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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Die Kampfhandlungen in der Türkei   (Forts.)
Major Erich Prigge

2. Neutralität der Türkei.

Das Attentat in Serajewo am 28. Juni 1914 hatte die politische Schwüle in Konstantinopel gesteigert, aber weder staatsrechtliche Abmachungen noch irgendwelche militärischen Maßnahmen gezeitigt.

Ein öffentliches oder geheimes Bündnis der Türkei mit Deutschland bestand bis zum Beginn des Weltkrieges nicht. Erst am 2. August 1914 wurden geheime Abmachungen zwischen dem deutschen Botschafter Freiherrn v. Wangenheim und Enver Pascha für gewisse Kriegsfälle zum Abschluß gebracht. - Gleichzeitig erklärte die Türkei offiziell ihre Neutralität. Dementsprechend verblieben alle diplomatischen Vertreter auf ihren Posten.

Da in Artikel 9 des Vertrages der deutschen Militär-Mission die Rückberufung sämtlicher deutschen Offiziere für den Fall eines europäischen Krieges in Aussicht genommen war, beantragte der Chef der Militär-Mission, der Marschall Liman v. Sanders, eine solche am 11. August bei S. M. dem Kaiser. Diese wurde aber, auf die Gegenvorstellungen des deutschen Botschafters hin, vom Kaiser abgelehnt.

Am 7. August liefen "Goeben" und "Breslau" in die Dardanellen ein. Da aber die englische Marine-Mission in ihrer Tätigkeit belassen worden war, mußten sich in der türkischen Marine Verhältnisse entwickeln, die auf die Dauer unhaltbar wurden.

Die verschiedenfachen Bemühungen der Entente-Botschafter auf Entfernung der deutschen Offiziere aus dem türkischen Heere und der Flotte blieben bei der türkischen Regierung ohne Erfolg. - Es kann nicht wundernehmen, daß die Entente in ihnen eine starke Belastung der türkischen Neutralitäts-Wage zugunsten der deutschen Seite erblickte.

Im türkischen Ministerium wie im Komitee waren die Stimmen für dauernden Beibehalt der Neutralität oder für Anschluß an Deutschland und Österreich noch geteilt. Ein Zusammengehen mit der Entente war, im Hinblick auf die bekannten russischen Bestrebungen nach dem Besitz der Hauptstadt und der Meerengen, ausgeschlossen. Hatte doch die russische Regierung bereits seit Frühjahr 1914 gewisse Vorbereitungen für Truppenlandungen am Bosporus getroffen, die nicht ganz geheim geblieben waren. - Alle obersten Stellen der [417] osmanischen Regierung waren aber darin einig, daß die Armee mobilisiert werden müsse, um jedem gewaltsamen Druck, oder einer Überraschung von seiten der Entente begegnen zu können. Auf dieser Grundlage erfolgte Anfang August der türkische Mobilmachungsbefehl.

Die Durchführung der Mobilmachung währte mehrere Wochen. Durch eine Art Kriegsleistungsgesetz wurde zum ersten Male in der Türkei eine Einquartierung der Truppen in Wohnstätten gesetzmäßig vorgesehen. Bis dahin war eine solche nicht zulässig; die Truppen waren vielmehr außerhalb der Kasernen auf Zeltlager beschränkt gewesen. Vermittels Aushebungen und Ankäufen wurden Reittiere, Zugtiere, Tragetiere und Fahrzeuge zur Ergänzung der nur geringen Friedensbestände der Kolonnen und Trains herangezogen.

Vielfach hörte man damals von türkischen Offizieren den Ausspruch, daß eine so ruhige und ordnungsmäßige Mobilmachung bisher in der Türkei unbekannt gewesen sei. Ein wesentlicher Teil des Verdienstes entfiel hierbei auf die deutschen Offiziere, welche im Verein mit türkischen Generalstabsoffizieren die bezüglichen neuen Bestimmungen geschaffen hatten.

Enver Pascha, der Vizegeneralissimus der mobilen Armee und Flotte geworden war, bildete alsbald drei Armeen, die vorläufig noch in einer weitgespannten Unterbringung verblieben, wennschon einige Verschiebungen im Hinblick auf eine etwa schnell notwendige Verwendung durchgeführt wurden.

Zu Oberbefehlshabern wurden ernannt:
      Marschall Liman v. Sanders für die 1. Armee,
      der Marineminister Djemal für die 2. Armee
      und der General Hassan Izzet für die 3. Armee.

Die Verwendung der letztgenannten, in den Landstrichen westlich des Kaukasus untergebrachten Armee gegen die Russen erschien am ehesten wahrscheinlich.

Die Stellung der deutschen Offiziere im türkischen Heere erforderte damals mancherlei Entsagung. Die gewaltigen Kämpfe auf der deutschen Westfront und Ostfront waren entbrannt und die Herzen aller Deutschen zogen sie dorthin, während sie in der Türkei ganz ungeklärten Verhältnissen gegenüberstanden. Es darf hierbei nicht übersehen werden, daß es im türkischen Offizierkorps damals eine große Anzahl Anhänger einer strikten Neutralität und auch nicht wenige gab, deren Sympathien zur Entente neigten.

Die Deutschen waren in vielen wichtigen Stellungen der Armee verwendet, von denen die wesentlichsten hier genannt sein sollen: General Bronsart v. Schellendorff, Generalstabschef Envers; Oberstleutnant Frhr. Kreß v. Kressenstein, Chef der Operationsabteilung; Major Eggert, Chef des Generalstabes des I. Armeekorps; Major Perrinay v. Thauvenay, Chef beim III. Armeekorps; Major Albrecht, Chef beim V. Armeekorps; Oberstleutnant Nicolai, Komman- [418] deur der 3. Division; die Oberstleutnants oder Majors Wehrle, Kirsten, Schierholz, Bienhold, Effnert in Regimentskommandeur- und selbständigen Bataillons-Kommandeur-Stellungen.

Die Chefs der drei Armeen waren während der Neutralitätsperiode deutsche Offiziere, und zwar bei der 1. Armee Major v. Feldmann, später dann Major Endres, bei der 2. Armee Oberstleutnant v. Frankenberg und Proschlitz, bei der 3. Armee Major Guse. An der Zentralstelle im türkischen Hauptquartier und Kriegsministerium waren tätig: General Posseldt, Oberst Bischof, Oberstleutnant Schlee, Oberstleutnant Kannengießer, Oberstleutnant Potschernick, Major Serno und andere.

So konnte die Militär-Mission, solange keine Sonderbestrebungen unter den Mitgliedern eintraten, tatsächlich "une influence effective sur la conduite générale de l'armée" gewinnen, wie es die Abmachungen vom 2. August zwischen dem deutschen Botschafter und Enver festgesetzt hatten.

Auch in der Flotte und in den Küstenbefestigungen übernahmen zwei hohe deutsche Marineoffiziere, die Admiräle Souchon und v. Usedom, die Führung. Am 15. September verließ die englische Marine-Mission Konstantinopel.

Enver gab am 9. September 1914 in einem Befehl an den General-Inspekteur der Küstenartillerie und des Minenwesens, den Admiral v. Usedom, bezüglich Sperrung der Dardanellen folgendes bekannt:

      "Die Dardanellen können erst gesperrt werden, wenn in der Nähe die Versammlung einer starken feindlichen Flotte festgestellt ist, oder wenn der Krieg erklärt worden ist, oder wenn ohne Kriegserklärung ein Angriff auf die Dardanellen ausgeführt wird."

Gleichzeitig wurden von ihm aber einige vorbereitende Maßnahmen hierfür befohlen. Als dann die Zahl der Entente-Schiffe im Ägäischen Meere erheblich zunahm und ein türkisches Torpedoboot von einem derselben vor der Dardanellenmündung angehalten und in die Dardanellen zurückgewiesen wurde, schloß Oberst Djevad Bey, der Kommandeur der Festung Dardanellen, Ende September die Meerenge mit Minen. An der Verstärkung der Befestigungen und Batterien in den Meerengen wurde nun mit aller Kraft gearbeitet. Die letzten Oktobertage kamen heran, ohne daß eine Änderung der türkischen Neutralität eingetreten war.

Es muß noch erwähnt werden, daß die türkische Regierung in sehr geschickter Weise die durch den Weltkrieg geschaffene Gebundenheit der europäischen Großmächte benutzte, um am 11. September 1914 die Aufhebung der Kapitulationen zu erklären. Damit sprengte sie die drückenden Fesseln, die ihr durch Verträge früherer Zeiten im eigenen Lande auferlegt waren und bekundete den festen Willen, als unabhängige Großmacht ihre Entscheidungen selbständig zu treffen.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte