Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Die
Kampfhandlungen in der Türkei
(Forts.)
Major Erich Prigge
[419] 3. Der Eintritt der Türkei in den
Krieg.
Am 29. Oktober entstand im Schwarzen Meer, nicht weit von der
Bosporus-Mündung, ein ernster Kampf zwischen russischen Schiffen und
einem Teile der türkischen Flotte. Nach türkischer Meldung war ein
russisches Minenschiff, begleitet von drei Torpedobooten und einem
Kohlenschiff, gegen den Bosporus vorgegangen, scheinbar um Minen zu legen.
Das Minenschiff wurde versenkt, das Kohlenschiff genommen und ein
Torpedoboot schwer beschädigt. Nach dem Gefecht beschossen "Goeben"
und "Breslau" Sebastopol sowie Noworossisk und versenkten eine Anzahl
russischer Schiffe, die im militärischen Transportdienst standen. Die
Würfel für Neutralität oder Krieg waren damit für die
Türkei gefallen.
Als erstes kriegerisches Ereignis führte die
deutsch-türkische Flotte einen Kreuzerkrieg im Schwarzen Meere, welcher
die russische Flotte, die russische Handelsschiffahrt und die russischen
Küsten empfindlich schädigte.
Bald begannen nun Feindseligkeiten der englisch-französischen Flotte
gegen die Küsten Kleinasiens, Syriens und Palästinas.
[416a]
30,5 cm-Treffer unter der Back S. M. S. "Goeben".
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Die Türkei bekundete den festen Willen, im Kriege ihre ganze Kraft
einzusetzen durch die Erklärung des Heiligen Krieges, die am 14. November 1914 erfolgte. Das Fetwa schloß mit den Worten: "Wir sind
glücklich, diesen Krieg gemeinsam mit den Heeren
Österreichs-Ungarns und Kaiser Wilhelms zu führen, dessen Wort
»Ich bin der Freund von 300 Millionen Mohammedanern« alle
Kinder des Islam kennen". Diese sehr geschickte Wendung sollte den
Religionskrieg begründen, obgleich die Türkei an der Seite
christlicher Mächte focht.
Der Heilige Krieg hat auf den Lauf der kriegerischen Ereignisse keinen
Einfluß gehabt. Er hat auch nicht die mohammedanischen Araber auf seiten
der Türken fesseln können; er ist aber wohl als
äußerlicher Vorwand von manchen türkischen Beamten
gebraucht worden, wenn es galt, die überaus harten und oft grausamen
Maßregeln gegen die christlichen Armenier zu begründen.
Die wichtigste Frage für die türkische Heeresleitung mußte die
Erwägung bilden, wie sie ihre eigenen weit gespannten Grenzen
schützen konnte, und ob und wo ein Überschuß an
Kräften etwa für offensive Unternehmungen verfügbar
war.
Als Kriegsschauplätze an den türkischen Grenzen waren
vorauszusehen:
- Die Dardanellen und auf der anderen Seite der Bosporus, als Zugänge
für den Besitz der Hauptstadt Konstantinopel;
- die kleinasiatische Küste mit der in dem reichsten
Teile gelegenen großen Handelsstadt Smyrna, beides von der Flotte der
Entente bedroht;
- demnächst die Grenzgebiete am Kaukasus, in
welchen eine russische Offensive erwartet werden konnte;
- dann war der Schutz der Küsten von Syrien und
Palästina, insbesondere der Golf von Alexandrette, in Rechnung zu stellen.
Dem letztgenannten mußte eine entscheidende Wichtigkeit zugemessen
werden, weil eine hier gelandete Armee in [420] kurzem Vorstoß
die einzigen Eisenbahnverbindungen nach Syrien sowie Mesopotamien
durchschneiden und damit Norden und Süden des Osmanischen Reiches
voneinander trennen konnte.
- Weniger bedroht war das Trennungsland zwischen Ägypten und
Palästina, die Sinai-Halbinsel, da hier die in etwa zehntägigem
Marsche zu durchquerende Wüste El Tih allen Operationen
größerer Truppenmassen die denkbar schwierigsten Bedingungen bot.
Stärker gefährdet war der türkische Besitz nordwestlich des
Persischen Meerbusens, der Irak und in der Folge Mesopotamien. Während
es in Ägypten für die Engländer näher lag, ihren Besitz
lediglich zu schützen, war es seit langer Zeit offenkundig, daß sie, im
Verein mit ihrem Festsetzen in Südpersien, ihr Auge auf das
Mündungsgebiet des Schatt el Arab und auf die großen
gewinnverheißenden Länder am Tigris und Euphrat gerichtet hatten.
Hier konnten sie ihre maritimen Hilfsmittel ausnützen und für
Offensiv-Unternehmungen aus der großen Zahl ihrer indischen Truppen
schöpfen.
Die genannten Kriegsschauplätze waren die einfache und natürliche
Folge des Krieges gegen England und Rußland, denen Frankreich Hilfe
gewähren konnte, während es selbst keine direkten
Berührungspunkte mit der Türkei hatte.
Unsicher war zu Beginn des Krieges noch die Stellungnahme Bulgariens und
Griechenlands sowie Rumäniens. Den hier möglichen
Verwicklungen konnte durch Aufstellung einer
Reserve-Armee in Thracien begegnet werden.
Ein unbefangener Beobachter wird kaum zu dem Ergebnis kommen, daß
nach den genannten hohen Ansprüchen, welche die Verteidigung der
weitgespannten Grenzen an die Wehrkraft des durch frühere Kriege
reichlich erschöpften Landes stellte, noch größere
Offensivpläne in die erste Rechnung eingestellt werden konnten.
Zudem mußte der Operationsbereich der türkischen Flotte bis auf
weiteres auf das Schwarze Meer und auf das
Marmara-Meer beschränkt bleiben. Ihre Tätigkeit an der
Kleinasiatischen und Syrischen Küste und weiter hinaus war
ausgeschlossen, solange nicht Unterseeboote zu ihr hinzutraten.
Die Gestaltung der türkischen Etappen muß in Ansehung der
ungeheuren Entfernungen, welche die
Hauptstadt - und damit den Ausgangspunkt jeder aus Europa kommenden
Hilfe - vom Kaukasus, von der
Sinai-Halbinsel und dem Persischen Golf trennten, als eine besonders schwierige
in Rechnung gezogen werden. Diese Etappen erforderten um so mehr Menschen
und Tiere für ihren Betrieb, je weniger das ungenügende
Eisenbahnnetz dazu beitragen konnte, die weiten Strecken zu den eigenen
Grenzländern zu überbrücken.
Von Konstantinopel bis zur kaukasischen Grenze sind rund 1200 Kilometer
Luftlinie. Die Bahn in direkter Linie dorthin hörte bereits in Angora auf.
Dann verblieben noch etwa 900 Kilometer Luftlinie über Sivas Ersindjan
und Erzerum auf Landwegen ohne geregelten Straßenbau, zum Teil durch
Gebirge.
[421] Bis in das Grenzgebiet
der Sinai-Halbinsel waren an 2000 Kilometer von Konstantinopel
zurückzulegen. Die einzige eingleisige Bahnverbindung war in der Gestalt
der Anatolischen- und Bagdadbahn bis zum Taurus einwandfrei, soweit es eine
eingleisige Bahn für starken Militärbetrieb sein kann. Am Taurus
mußte alles ausgeladen und das Gebirge auf der
Taurus-Paßstraße in drei- bis viertägigem Marsche und
Transport überschritten werden. Nach kurzem Bahntransport war dann
wieder das Amanusgebirge im Fußmarsch zu überwinden. Hieran
schloß sich Bahntransport nach Aleppo, und weiter auf der durch
große Wasserarmut im Betriebe beschränkten syrischen Eisenbahn
derjenige nach Rajak. Hier mußte wieder alles umgeladen werden, da die
Schienenbreite wechselte. Von Rajak ab konnte in Rücksicht auf die
starken Steigungen und Gefälle, sowie auf die zum Teil überaus
scharfen Kurven nur in kleinen Halbzügen gefahren werden.
Weiter herrschte ein erheblicher Mangel an Lokomotiven und Waggons. Der
Betrieb der gesamten Bahnstrecke südlich von Aleppo war im wesentlichen
auf Holzfeuerung angewiesen, und auch diese war in dem waldarmen Land oft nur
unter großen Schwierigkeiten zu beschaffen.
Das Meer als Transportstraße war den Türken versagt und nur den
Engländern dienstbar.
Es gehörte eine mehr als starke Entschlußfähigkeit dazu, um
auf die vorstehend geschilderte Transportstrecke einen Feldzug zur Eroberung
Ägyptens zu basieren.
Die Hedjasbahn, welche von Deraa über Amman und Maan die Richtung
auf Medina nahm, litt unter denselben Schwierigkeiten wie die durch Syrien und
Palästina geführte Linie.
Die Verbindung von Konstantinopel zum Persischen Meerbusen, welche
ursprünglich durch die Bagdadbahn hatte sichergestellt werden sollen,
maß von Konstantinopel allein bis Bagdad 2435 Kilometer
Streckenentfernung. Von Bagdad bis Basra, dem damals geplanten Endpunkt der
Eisenbahn, wären noch weitere rund 500 Kilometer zu bauen
gewesen.
Die Bagdadbahn war aber - abgesehen von den vorher genannten
Unterbrechungen durch Taurus und
Amanus - nur bis Ras el Ain in Richtung auf Mossul
fertiggestellt. Von dem Kopfpunkt Ras el Ain fehlten bis Samara
nördlich Bagdad etwa 590 Kilometer, während die Teilstrecke
Bagdad-Samara ausgebaut und im Betrieb war.
Angesichts dieser nach europäischen Begriffen riesenhaften Entfernungen,
die wochenlange und zum Teil monatelange Transporte und Märsche
für jede größere
Truppen-Gruppierung an den äußeren Grenzen des Reiches
erforderten, waren in ganz anderem Maße, wie auf europäischen
Kriegsschauplätzen, frühzeitige Entschlüsse der
türkischen Heeresleitung geboten. Zum Vergleich braucht nur
herangezogen zu werden, daß die Entfernung von Berlin nach Wien wenig
über 500 Kilometer Luftlinie beträgt.
[422] Enver Pascha hat die
Aussichten einer Offensive gegen Ägypten günstiger beurteilt, als
aus den für den Außenstehenden verfügbaren Grundlagen
gefolgert werden konnte, und hat die einleitenden Schritte hierfür bereits im
November 1914 angeordnet. Der Marineminister und Oberbefehlshaber der
2. Armee, Djemal Pascha, trat schon in diesem Monat an die Spitze der
4. Armee - deren Aufstellung hiermit
begann - mit dem Hauptquartier in Damaskus.
Im Irak begnügte man sich mit Aushilfen. Dagegen wurde am Kaukasus die
3. Armee derart zusammengezogen, daß sie den Russen, deren Stärke
noch nicht abschließend zu beurteilen war, wirksam entgegentreten
konnte.
Die Hauptmasse der türkischen Truppen, die 1. und 2. Armee mit
zusammen 7 Armeekorps, blieb vorläufig um Konstantinopel in Thrazien
und im nördlichen Teil von Kleinasien zur weiteren Verfügung der
Heeresleitung.
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