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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Die Kampfhandlungen in der Türkei   (Forts.)
Major Erich Prigge

4. Der erste Kaukasusfeldzug.

Der größte Teil der unter dem Oberbefehl des Generals Hassan Izzet stehenden 3. Armee wurde bereits in den Monaten September und Oktober 1914 nach der Gegend von Erzerum versammelt. Im November wurde dieser Armee auch das X. Armeekorps unterstellt, das bis dahin im Raum Kerasund - Samsun verteilt lag, um im Bedarfsfalle auf dem Seewege, entweder nach Westen oder nach Osten, transportiert zu werden.

Es wurde alsbald zur Front nach Erzerum in Marsch gesetzt. Nur ein kleiner Teil konnte zur See nach Trapezunt verbracht werden, da die russische Flotte zeitweise den Wasserweg zu sehr gefährdete. Welche Schwierigkeiten den türkischen Truppen für einen Winterfeldzug erwuchsen, ist aus einer Meldung dieses Armeekorps, die am 29. November nach Konstantinopel gelangte, ersichtlich. Darin ist gesagt, daß dem Armeekorps 17 000 Mäntel, 17 400 Paar Schuhe, 23 000 Zeltbahnen und 13 000 Tornister fehlen. Wenn auch manchem dieser Mängel abgeholfen wurde, so wirft doch diese, wenn auch vielleicht übertriebene, Meldung ein Streiflicht auf die auf allen Gebieten bestehende Unvollkommenheit, unter der die türkische Armee, trotz aller tatkräftigen Bemühungen der Militär-Mission, in den Weltkrieg eingetreten ist.

Die unzureichende Bekleidung und die unregelmäßige Ernährung haben die überall auftretende Fahnenflucht an erster Stelle verschuldet. Das Soldatenmaterial gerade der zur 3. Armee gehörenden Truppen, das sich aus Ostanatoliern zusammensetzte, war ausgezeichnet. Und doch meldete ein einziges Infanterieregiment nach seinem Abmarsche aus Samsun an einem Tage 180 Fahnenflüchtige.

Bei der 3. Armee befanden sich bereits neben dem IX. und XI. Armeekorps die 2. türkische Kavallerie-Division und die 2. Reserve-Kavallerie-Division. Die letztere aus freiwilligen Formationen, zumeist Kurden, bestehende Truppe [423] erwies sich alsbald als völlig wertlos. Sobald es Ernst wurde, zerstreuten sich diese Reiter und plünderten.

Anfang November trat Gefechtsberührung mit den Russen an der Straße Erzerum - Kars ein. Als die Russen, zuerst mit einer Kosaken-Division und einer Plastum-Brigade, in Richtung Erzerum den Vormarsch über die Grenze antraten, entschloß sich Hassan Izzet Pascha zum Angriff. Am 8. November wurde eine feindliche Stellung auf dem Rücken westlich Köpriköj genommen, wobei Truppen des I. Kaukasischen Armeekorps erkannt wurden. Am 11. und 12. November folgten weitere türkische Erfolge bei Köpriköj. Am 17. November erfolgte ein türkischer Angriff in breiter Front auf die russische Stellung in Gegend von Asap. Ein Teil der Stellung wurde genommen, aber ein durchschlagender Erfolg gegen die auf verschiedenen Felsterrassen eingenisteten Russen konnte nicht erreicht werden, zumal es den Türken an Artilleriemunition mangelte. Die 3. Armee ging deshalb in der Nacht vom 20. bis 21. November freiwillig etwas zurück, um den Truppen Ruhe und bessere Unterkunft zu gewähren.

Im allgemeinen konnte man mit den türkischen Erfolgen und auch mit den Leistungen der Truppen, die zum ersten Male nach dem Balkankriege wieder angegriffen hatten, zufrieden sein. Der russische Vormarsch war zwar auf türkischem Gebiet, aber nicht weit von der Grenze, zum Stehen gebracht worden.

Bei dem letzten Angriffe waren auch Teile des II. Turkestanischen Armeekorps erkannt worden, so daß die Erwägung geboten schien, ob es nicht zweckmäßig wäre, bis auf weiteres auf eine Offensive zu verzichten und zuerst den inneren Halt der türkischen 3. Armee zu kräftigen, sowie Ausrüstung und Nachschub zu verbessern. Die 3. Armee blieb demgemäß vorläufig stehen und trug den genannten Forderungen Rechnung. Die Gesamtverluste in den bisherigen Kämpfen wurden von der 3. Armee in einer Meldung vom 6. Dezember auf 5600 Verwundete und 1500 Tote beziffert.

Am 6. Dezember verließ Enver Pascha mit einigen Offizieren seines Hauptquartiers Konstantinopel mit einem Kriegschiff, landete in Trapezunt und begab sich zur Front der 3. Armee.

Inzwischen waren türkische Freischaren und eine gemischte Truppenabteilung unter Befehl des Oberstleutnants Stange weiter nördlich erfolgreich in russisches Gebiet eingedrungen und hatten sogar Ardahan besetzen können. Vor weit überlegenem Feind hatten sie dann später auf Artwin zurückgehen müssen. - Sofort nach seinem Eintreffen (am 21. Dezember) in Erzerum übernahm Enver persönlich den Oberbefehl über die 3. Armee. Sein Generalstabschef war General Bronsart v. Schellendorff, und in seinen Generalstab traten Major v. Feldmann und der verdienstvolle Chef der 3. Armee, Major Guse, ein. - Generalstabschef des X. Armeekorps war Hauptmann Lange; der sächsische Major Kirsten war dem Generalkommando dieses Armeekorps zugeteilt. General Posseldt verblieb in seiner, schon im Spätherbst übernommenen Stellung als Kommandant von [424] Erzerum, während die als Artillerieoffizier und Ingenieuroffizier vom Platz ihm unterstellten Hauptleute Stange und v. Staczewski dem Generalkommando XI. Armeekorps zugewiesen wurden. Rittmeister Schröder trat zur Etappeninspektion der 3. Armee.

Kurz nach Übernahme des Oberbefehls durch Enver Pascha begann die große Offensive der 3. Armee auf Sarikamisch, mit dem weiteren Ziel der Eroberung von Kars.

Das IX. und X. Armeekorps erhielten Befehl, zur weit ausholenden Umgehung links abzumarschieren, während das XI. Armeekorps auf der Hauptstraße Erzerum - Kars gegenüber den Russen belassen wurde. Das IX. Armeekorps sollte den Paß von Id, der noch von den Russen besetzt war, öffnen und dann über Olti vorgehen. Das X. Armeekorps sollte bereits bei Erzerum nach Norden abbiegen, die nördlich des Kara Dagh auf Olti führende Straße einschlagen und sich darauf nach südlicher Richtung wenden. Jenseits der Grenze sollten dann beide Korps gegen die Rückzugstraße des Feindes vorgehen, falls dieser nicht schon vorher abzöge.

Es herrschte strenge Kälte, und die zu überschreitenden Gebirgshöhen waren mit Schnee bedeckt, als die geplanten Bewegungen kurz vor Weihnachten 1914 begannen.

Das IX. Armeekorps gelangte, nach Anfangserfolgen in Gegend Id gegen die vorgeschobenen russischen Truppen, Anfang Januar mit nur schwachen Kräften vereinzelt bei Sarikamisch an den Feind. Das X. Armeekorps, welches den weiteren Weg hatte, traf erst später und auch nur mit ganz geringen Stärken ein, als der Mißerfolg des IX. Armeekorps schon entschieden und dieses fast aufgerieben war. Grund des Mißerfolges war vor allem die weit ausholende Umgehung in unwegsamem Berggelände mit ungenügend verpflegten und für einen Winterfeldzug im Gebirge in keiner Weise ausgerüsteten Truppen. Abenteuerliche Eroberungspläne, denen die Züge Alexanders des Großen als Vorbild gedient haben mögen, veranlaßten Enver Pascha trotz der Mahnungen des Marschall Liman v. Sanders, zu jener Unternehmung, die der Türkei einen Teil ihrer besten Truppen kostete. Nach kurzen Kämpfen erübrigte auch dem X. Armeekorps nur der Rückzug in die schneebedeckten Berge. Der Feind folgte.

Die folgenden Sätze, aus einem Bericht des Majors Vonberg, Kommandeur des Feldartillerie-Regiments 30 beim X. Armeekorps, wiedergegeben, erläutern am ehesten die ungeheuren Schwierigkeiten jenes Vormarsches. Dieser tapfere Offizier ist später auf türkischem Boden den Tod für sein Vaterland gestorben. Er schreibt:

      "Der Marsch am 26. Dezember über den etwa 3000 m hohen, mit hohem Schnee bedeckten Alaheckber nach Baschköy bzw. Beyköy führte zu einer vollkommenen Auflösung der Truppe. Wie schwer dieses Gebirge zu überschreiten war, geht am, besten daraus hervor, daß 8 Pferde notwendig waren, um eine Protze, 8 bis 10 Ochsen, um eine Lafette zu ziehen. Der Infanterie reichte der [425] Schnee fast bis zur Hüfte. Die Kälte war sehr groß, auch wehte ein eisiger Wind über das Gebirge. Viele Leute sind auf dem Marsche erfroren, viele hatten erfrorene Hände bzw. Füße. - Um die Truppen zu sammeln, wurde vom Generalkommando X. Armeekorps für den folgenden Tag Ruhetag befohlen. Bald darauf traf aber der Gegenbefehl ein - man sagte auf Veranlassung des Arme-Oberkommandos -, daß die Truppen nicht gesammelt, sondern so, wie sie ankämen, weitermarschieren sollten. - Von diesem Tage an habe ich geschlossene Verbände nicht mehr gesehen, und haben die Truppen in den Kämpfen von Sarikamisch daher wenig geleistet!"

Major Vonberg gibt weiter in diesem Bericht an, daß die Truppe vom 21. Dezember ab keine Bagage mehr gesehen habe und Anfang Januar bei Sarikamisch "mehrere Tage nichts zu essen bekommen habe".

Das Communiqué des Generalstabs der russischen Kaukasus-Armee sagt von den Kämpfen bei Sarikamisch am 4. Januar: le neuvième corps d'armee turc s'est constitué prisonnier, tandis que les débris du dixième corps abandonnant ses munitions et ses convois se repliaient sur toute la largeur du front vers la frontière. —

Enver Pascha begab sich am 4. Januar vom Umgehungsflügel mit seinem Stabe zum XI. Armeekorps, um hier durch Angriff an der Straße von Ködek nach Sarikamisch die Lage wiederherzustellen. Nachdem es diesem Korps gelungen war, die russischen Vortruppen gegen die Grenze zurückzudrängen, mußte es vor überlegenen Kräften unter heftigen Kämpfen und mit großen Verlusten längs der Straße zurückweichen.

Durch die letztgenannten Kämpfe, welche die Hauptteile des Feindes fesselten, wurde es aber den Resten des IX. und X. Armeekorps möglich, wieder die Hauptstraße von Hassankale nach Erzerum zu erreichen. Teile des X. Armeekorps konnten sogar den Paß von Id besetzt halten und behaupten, so daß im allgemeinen ein Halten des XI. Armeekorps bei Asap, ungefähr in der vor der Offensive innegehabten Stellung, möglich blieb.

Die Russen waren ebenfalls durch Verluste und durch die Einflüsse der Witterung geschwächt und ließen von einer weiteren und tatkräftigen Verfolgung ab. - Es lag wohl schon in ihrem Plan, weitere Truppen vom Kaukasus nach dem europäischen Kriegsschauplatz zu senden.

Die Stärke der 3. türkischen Armee war nach der Offensive nur noch gering. Ein Telegramm derselben vom 23. Januar 1915 beziffert sie folgendermaßen:

    IX. Armeekorps 2 800 Mann
     X.       " 2 400 "
    XI.       " 2 400 "
    dazu Artillerie und die 2. Kavallerie-Division   4 800 "

    12 400 Mann

[426] Die Armee gibt darin an, daß sie außer den auf dem Schlachtfelde Gefallenen und sonst Umgekommenen und außer dem Verlust an Gefangenen allein im letzten Monat etwa 30 000 Mann beerdigt habe.

Enver Pascha gab den Oberbefehl über die 3. Armee an den General Hawis Hakki ab und kehrte auf dem Landwege beschleunigt nach Konstantinopel zurück. Chef des Generalstabs der 3. Armee wurde wieder Major Guse, der in den Kämpfen zweimal verwundet war. - Als Hawis Hakki Pascha dann im Februar an Flecktyphus starb, der in Erzerum und allen Unterkunftsorten bald große Ausdehnung gewann, wurde der General Mahmud Kiamil - bisher im Kriegsministerium in leitender Stellung - mit dem Oberbefehl betraut. Am 10. März übernahm er in Erzerum dieses Kommando.

Die nächste Zeit wurde zur Auffüllung und inneren Arbeit in der Armee benutzt, ohne daß vorerst kriegerische Ereignisse von Bedeutung eintraten.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte