Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Die
Kampfhandlungen in der Türkei
(Forts.)
Major Erich Prigge
5. Der erste Vorstoß gegen den
Suezkanal.
Ägypten war zu Beginn des Weltkrieges nur noch äußerlich ein
türkischer Vasallenstaat. In Wirklichkeit lag die gesamte Macht in der Hand
der Engländer. Frankreich hatte sich durch das
englisch-französische Kolonialabkommen vom Jahre 1904 verpflichtet,
Englands Maßnahmen in Ägypten nicht zu stören und einen
Endtermin der englischen Okkupation nicht zu verlangen.
Die Engländer hatten, als die Türkei in den Krieg trat, den ihnen vielfach nicht willfährigen Khediven Abbas II. für abgesetzt
erklärt und den Prinzen Hussein Kiamil, den Sohn des früheren
Khediven Ismail, zu seinem Nachfolger ernannt. Am 19. Dezember 1914 stellte
England, indem es sich von jeglichen Verträgen freimachte, Ägypten
unter sein Protektorat und ernannte Sir Artur Maxwell zum Generalgouverneur
von Ägypten.
Die türkische Heeresleitung fügte, zugleich dem dringenden
Verlangen der deutschen Heeresleitung folgend, einen Feldzug gegen
Ägypten als ersten Punkt in ihr militärisches Programm ein. Auf die Mitwirkung der Senussis, auf eine Erhebung im Sudan und auf innere Unruhen in
Ägypten wurde dabei zur Erleichterung des Erfolges gerechnet. Es erschien
auch möglich, durch Unternehmungen von Hedjas aus, englische
Eisenbahnen und Telegraphen im Sudan zu zerstören. Insbesondere war die
Unterbrechung der Bahnlinie
Suakin - Atbara und der Hauptlinie über Chartum geplant.
Auf türkischer Seite wurde - auf Anregung des Auswärtigen Amtes
in Berlin - der Bau einer Bahn von Maan in allgemein ostwestlicher
Richtung nach der Operationsbasis gegen Ägypten erwogen. Der
Durchführung stellten sich aber Schwierigkeiten entgegen, welche zur Zeit
unüberwindlich waren. Die Strecke hätte nur über Akaba
geführt werden können und wäre dann mit
Sicher- [427] heit englischen
Zerstörungsversuchen ausgesetzt gewesen, denen mangels schwerer
Geschütze und sonstigen Schutzes nicht hätte wirksam begegnet
werden können.
Der Bau, unter Umgehung von Akaba, von Maan auf Nachl, war durch die
Geländegestaltung für absehbare Zeit ausgeschlossen. Das zu
durchquerende Land trägt dort zum Teil den Charakter eines Hochgebirges,
was wohl aus den in Berlin zur Verfügung stehenden Karten nicht
ausreichend zu übersehen war. Der Bau entlang der Mittelmeerküste,
wo die technischen Bedingungen am günstigsten lagen, verbot sich, weil
die Engländer das Meer beherrschten.
Es erübrigte nur, eine Schmalspurbahn von Jerusalem oder zum wenigsten
von Birseba aus in Richtung des geplanten Vormarsches zu strecken. Sollte dies
mit der notwendigen Beschleunigung geschehen, so waren hierzu zum mindesten
40 000 Kamele notwendig. Diese waren aber nicht zu beschaffen. Mithin
konnte nur die Weiterführung der bis Sile fertigen syrischen Bahn betrieben
werden, deren Leistungsfähigkeit aus den im dritten Abschnitt genannten
Gründen immer überaus gering bleiben mußte.
Im November 1914 wurde die Teilstrecke Sile - Sebastije (nordwestlich Nablus)
in Betrieb genommen. Von dort waren noch 12 km bis Nablus und von hier
etwa 50 km Luftlinie bis nach Jerusalem. So mußte bei dem ersten
Vormarsch gegen den Suezkanal, der unter möglichster Beschleunigung
durchgeführt werden sollte, auf die direkte und gewichtige
Unterstützung durch Bahnbau überhaupt verzichtet werden.
Um so mehr verdient die größte Anerkennung, was angesichts der
vorgenannten und aller sonst noch bestehenden Schwierigkeiten zur
Ermöglichung des Vormarsches geleistet worden ist. Das erste Verdienst
für die Vorbereitungen fällt dem Oberstleutnant Frhrn.
v. Kreß zu, der bereits im September 1914 nach Damaskus gegangen
war, zuerst zur Verwendung als Chef des Generalstabs VIII. Armeekorps.
Oberstleutnant Frhr. v. Kreß mußte nicht nur die notwendigen
Erkundungen nachholen, welche als Grundlagen für den Marsch durch die
Wüste El Tih unentbehrlich waren, sondern auch alle
Vorbereitungen der Expedition trotz des chronischen Geldmangels treffen, ferner
die auf überaus geringem Ausbildungsgrad stehenden Truppen des VIII.
Armeekorps - die zumeist aus Arabern
bestanden - nach Möglichkeit verbessern und dabei allerorten starken
passiven Widerstand überwinden.
Im allgemeinen ging der Plan dahin, mit der ersten, etwa 10 000 Mann starken
Staffel des VIII. Armeekorps den Suezkanal zu überschreiten und dann in
einer brückenkopfartigen Stellung das Herankommen der zweiten und
dritten Staffel zu erwarten. Die Rücksendung einer großen Anzahl
entleerter Kamelkolonnen der ersten Staffel war für den Vormarsch der
zweiten und dritten Staffel durch die Wüste Bedingung.
Die Nachrichten über die Stärke der englischen Truppen in
Ägypten war viel- [428] fach widersprechend.
Sie hat auch fraglos mannigfachen Veränderungen unterlegen. Zu Anfang
Dezember 1914 wurde sie auf etwa 40 000 bis 45 000 Mann
beziffert. Es war auch bekannt, daß Verschanzungen am Kanal angelegt
waren, daß mehrere Schienenstränge entlang des Kanals die
Verschiebung der englischen Truppen begünstigten und daß eine
Einwirkung der im Kanal liegenden englischen Kriegschiffe zu erwarten war.
Durch das Eintreffen des im November neu ernannten Oberbefehlshabers der 4.
Armee, des Marineministers Djemal Pascha, welcher mit seinem
Generalstabschef, Oberstleutnant v. Frankenberg und Proschlitz, mit
großem Stabe im Dezember in Damaskus anlangte, ergaben sich einige
Verschiebungen der ursprünglichen Festsetzungen und dadurch
naturgemäß gewisse Verzögerungen.
Gegen Mitte Januar 1915 konnte Oberstleutnant Freiherr v. Kreß den
Aufbruch von Birseba vorsehen.
Auch die von Enver Pascha entsendete 10. Division unter Oberst
Trommer - einer der Regimentskommandeure in ihr war der Major
Hunger - war inzwischen aus Kleinasien eingetroffen, um zum Kanal zu
folgen.
Die Engländer hatten El Arisch und Nachl, östlich des Kanals
gelegen, bereits früher aufgegeben. Zu Kämpfen bei dem Vormarsch
durch die Wüste kam es nicht.
Der erste Vorstoß gegen den Kanal scheiterte auch nicht an den
Vorbereitungen zur Überwindung der Wüste, sondern bei dem
Zusammenstoß mit dem Feinde am Ufer des Kanals.
Die Vorbereitungen bewährten sich durchaus. Obgleich lange Strecken
ohne Wege im tiefsten Sand oder über steiniges Gelände
zurückgelegt werden mußten, obgleich meist nachts marschiert
werden mußte und aus Mangel an Holz fast nur kalte Kost verabreicht
werden konnte, gelangte die erste Staffel unter ganz geringen Marschverlusten an
den Kanal.
Die Engländer wurden überrascht. Dies ist um so höher zu
bewerten, da die Engländer Flugzeuge hatten, während die
Türken über kein einziges verfügten.
Am Kanal aber versagten die durch die Anstrengungen des Vormarsches
erschöpften syrischen Soldaten. Die vorderste Truppe war in der Nacht vom
2. bis 3. Februar, mit Übersetzmaterial versehen, ohne einen Schuß
zu erhalten, in Gegend Ismailia an den Kanal herangeführt worden.
Nachdem das Übersetzen begonnen hatte, eröffnete die
nächste englische Postierung das Feuer. Ein Teil der in den Pontons
befindlichen Soldaten sprang heraus. Die Pontons und Flöße, soweit
diese noch auf festem Boden waren, wurden von den Trägern hingeworfen,
so daß sie zum Teil zerbrachen. Der zur Deckung des Übersetzens
auf dem östlichen Ufer mit Maschinengewehren in Stellung befindliche
türkische Offizier ließ nicht schießen, "weil er keinen Befehl
dazu hatte". So konnten die Engländer, die sehr schnell
Verstärkungen nach der Übergangsstelle warfen, eine ganze Anzahl
Mannschaften und auch einige [429] Offiziere der ersten
beiden Kompagnien nicht nur am feindlichen Ufer gefangennehmen, sondern
sogar am diesseitigen Ufer mit Booten
abholen. - Oberleutnant v. dem Hagen starb hier den Tod
für sein fernes Vaterland.
Da der Feind jeden Augenblick am westlichen Ufer stärker wurde, verboten
sich vorerst weitere Übergangsversuche. Panzerzüge mit
Revolverkanonen zerstörten die türkischen Pontons. Englische
Kriegschiffe griffen von Norden und Süden durch ihr Feuer in den Kampf
ein. Wenn dies auch materiell wenig Erfolg hatte, so war es doch auf die arabische
Truppe von stärkstem moralischen Einfluß. Die Batterie Heybey und
andere Geschütze griffen auf türkischer Seite ein; wieder andere
türkische Artillerie war zunächst nicht zum Schießen zu
bewegen, "weil sie ihre Stellung nicht verraten wollte".
So ging das Westufer bald wieder verloren. Das Ostufer des Kanals wurde am 3.
Februar von den Türken behauptet, aber am Nachmittag begann bereits das
Zurückgehen einzelner Mannschaften, so daß offenkundig war,
daß von dieser Truppe kein erfolgreicher Angriff zu erwarten war. In der
Nacht trat das Expeditionskorps in voller Ordnung den Rückmarsch an.
Die weiteren in Anmarsch befindlichen Truppen wurden angehalten. Die Linie
El Arisch - Nachl blieb von den Türken mit
vorgeschobenen Truppen besetzt.
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