Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Die
Kampfhandlungen in der Türkei
(Forts.)
Major Erich Prigge
6. Die Flottenaktion der Entente gegen die
Dardanellenstraße.
Der erste Lord der englischen Admiralität, Winston Churchill, beantragte
Ende November 1914 im englischen Kriegsrat eine Expedition
größeren Stils gegen die Türkei. Er glaubte, durch die
Eroberung der Dardanellen nicht nur jeden türkischen Angriff auf
Ägypten ausschalten zu können, sondern sogar die Türkei zum
baldigen Frieden zu zwingen.
Diese Expedition war zunächst als reiner Flottendurchbruch durch die
genannte Meerenge geplant. Den Landtruppen war in der ersten Anlage nur eine
Nebenrolle zugedacht.
Die Flotte, welche die Befestigungen und Uferbatterien an der
Dardanellenstraße niederzukämpfen und die Sperrminen mit allen
möglichen Mitteln zu überwinden hatte, sollte nach dem Durchbruch
sofort nach Konstantinopel fahren. Man glaubte, daß die türkische
Hauptstadt keinen Widerstand gegen die schweren Schiffsgeschütze leisten
könne. Im übrigen sollten englische
Landungstruppen - deren Entsendung nach den der
Dardanellenmündung vorgelagerten Inseln Imbros und Lemnos der erste
Lord Anfang Januar 1915 im Kriegsrat
durchsetzte - der Flotte auf dem Wasserwege folgen, um Konstantinopel zu
besetzen.
Eine in den südrussischen Häfen zu versammelnde russische Armee
sollte zugleich westlich der Bosporusmündung landen, auf Konstantinopel
marschieren und dort den Verbündeten die Hand reichen.
Zu dem Flottendurchbruch wurden Ende 1914 und Anfang 1915 weitgehende
[430] Vorbereitungen
getroffen. Die Zahl der Kriegschiffe und Transportschiffe der Entente im
Ägäischen Meere wurde dauernd vermehrt, Schlepper, Leichter und
alle Arten Boote wurden allerorten angekauft. Minensucher arbeiteten nachts an
der Entfernung der Minen. Unterseeboote versuchten mehrfach, wenn auch
damals ohne Erfolg, unter den Minenreihen durchzufahren, um in das
Marmarameer zu gelangen. Die alten Küstenforts, die mit ihren Batterien
den Eingang zur Meerenge schützten, Seddulbahr auf europäischer
und Kumkale auf asiatischer Seite, wurden im Februar 1915 mehrfach durch die
weittragenden Geschütze der englisch-französischen Flotte unter
Feuer genommen. Am 19. Februar wurden durch eine größere
systematische Beschießung die Batterien dieser beiden Forts zum
endgültigen Schweigen gebracht und ein Teil des alten Mauerwerks dieser
Festungsteile in Trümmer gelegt. Am 27. Februar wurde auch das weiter
aufwärts in der Meerenge gelegene Fort Dardanos durch die feindlichen
Schiffsgeschütze wirksam beschossen. Im Monat März erfolgten
mehrfach Vorstöße von Teilen der feindlichen Flotte in die Meerenge
hinein, um weitere Forts zu schädigen und Uferbatterien
niederzukämpfen.
Ein sehr unbequemer Gegner erstand der englisch-französischen Flotte
durch zahlreiche Haubitzbatterien, die unter Befehl des Oberstleutnants Wehrle
aus Adrianopel nach Gallipoli abgegeben waren. Sie standen am weitesten gegen
die Mündung der Dardanellen hin vorgeschoben und wirkten von beiden
Ufern, aus immer wechselnden Stellungen, gegen jedes einfahrende Schiff.
Obgleich sie grundsätzlich unter Verzicht auf jegliche Eindeckung
schossen, hat die Ententeflotte ihnen keinen wesentlichen Schaden
zuzufügen vermocht.
Alle feindlichen Kampfhandlungen waren nur Vorbereitungen zu dem
großen Angriff der englisch-französischen Flotte am 18. März
1915, von welchem der Feind einen wesentlichen Fortschritt, wenn nicht gar den
Durchbruch, erwartete.
Am Vormittage dieses Tages fuhren 16 Großkampfschiffe und zahlreiche
kleinere Schiffe in mehreren Staffeln in den unteren Teil der Meerenge ein und
bekämpften die Uferforts und Batterien mit einem furchtbaren Feuer. Die
vordersten Teile der feindlichen Flotte drangen bis in die Bucht von Erenkeui vor,
welche kurz vorher von türkischer Seite auch mit Minen verseucht worden
war. Die Forts und Batterien antworteten unentwegt, und mancher Volltreffer
wurde auf den feindlichen Schiffen beobachtet.
Am Abend mußte sich die englisch-französische Flotte, die
große Verluste erlitten hatte, ohne wesentlichen Erfolg aus der Meerenge
zurückziehen. Eine Anzahl Großkampfschiffe, darunter "Bouvet", "Ocean", "Irresistible", war gesunken. Mehrere andere von ihnen, darunter "Gaulois", waren schwer beschädigt. Verschiedene der kleinen Schiffe
waren versenkt worden.
Es wurde zur entscheidenden Frage, ob der Durchbruchsversuch, trotz der
Verluste, am nächsten Tage wiederholt werden sollte. Sir John
de Robeck, der englische Admiral und verantwortliche Oberbefehlshaber,
welcher kurz vor dem [431] Kampfe den Admiral
Carden ersetzt hatte, nahm, weil er die Aussichten für zu gering erachtete,
davon Abstand.
Die Dardanellen-Forts und Batterien hatten keinen derartigen Schaden erlitten,
daß ihre Kampffähigkeit wesentlich beeinträchtigt worden
wäre. Die Minensperrung bestand in vollem Umfange weiter.
An der ruhmvollen Verteidigung der Meerenge waren deutsche Offiziere
hervortretend beteiligt. Es sind hier der Oberbefehlshaber der Meerengen,
Admiral v. Usedom, der Beauftragte des Großen Hauptquartiers,
Admiral Merten, sowie der Kommandant des Forts Hamidje, Kapitän
Wossidlo, in erster Linie zu nennen. Den umsichtigen Anordnungen des Oberst
Djevad Bey, des Kommandanten der "Festung Dardanellen", ist
uneingeschränkte Anerkennung zu zollen.
Ein weiterer Durchbruchsversuch der feindlichen Flotte durch die
Dardanellenstraße ist während des Feldzuges nicht mehr erfolgt,
wennschon Nachrichten, die von feindlicher Seite oder aus neutralen
Ländern kamen, ihn mehrfach ankündigten.
Der nächstgroße Akt des Völkerringens im Orient galt der
Eroberung der Dardanellen durch eine
englisch-französische Landarmee, welcher die unbeschränkte
Unterstützung der Ententeflotte die Wege ebnen sollte.
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