Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Die
Kampfhandlungen in der Türkei
(Forts.)
Major Erich Prigge
7. Der Feldzug auf Gallipoli.
Wenige Tage, nachdem der Vorstoß der Ententeflotte gegen die Meerenge
gescheitert war, befahl Enver Pascha am 24. März in Erwartung einer
Landung die Bildung einer 5. Armee auf der Halbinsel Gallipoli und am
asiatischen Ufer der Dardanellenstraße. Er übertrug den Oberbefehl
über diese Armee dem bisherigen Oberbefehlshaber der 1. Armee, dem Marschall Liman v. Sanders.
Die Versammlung starker englischer und französischer Truppen auf den
schon früher genannten Inseln Lemnos und Imbros, sowie die sonst
eingehenden Nachrichten über die verschiedenartigsten militärischen
Anlagen auf diesen Inseln selbst machten es immer wahrscheinlicher, daß
die Dardanellenufer durch eine große Landungsoperation gewonnen werden
sollten, um nach erreichtem Erfolge mit Flotte und Landheer gegen
Konstantinopel vorzugehen.
Vom türkischen Standpunkt aus war es unverständlich gewesen,
daß der Versuch des Flottendurchbruchs am 18. März von vornherein
auf die Mitwirkung von Landungstruppen verzichtet hatte, die doch schon in
beträchtlicher Anzahl hierfür verfügbar waren. Es steht
außer Frage, daß eine größere Landung bei dem
artilleristisch niedergekämpften Kumkale und auf dem südlich
anschließenden asiatischen Ufer in der Frühe des 18. März sehr
wohl durchführbar war, da damals nur schwache türkische Truppen
dort im Küstenschutz standen. Das Vorgehen derartiger gelandeter
Kräfte gegen die vorgeschobenen Batterien des Oberstleutnants Wehrle
hätte eine wesentliche Entlastung der Flotte gebracht.
[432] Auch von russischer
Seite war am 18. März nicht einmal eine Demonstration gegen die
Bosporus-Mündung unternommen worden. Der Durchbruchsversuch hatte
sich auf einen rein artilleristischen Kampf von englischen und
französischen Kriegschiffen gegen Uferforts und Uferbatterien sowie gegen
Minensperren in einer engen Wasserstraße beschränkt. Der
bevorstehende neue Kampf schien etwas ganz anderes bieten zu sollen. Es war
vorauszusetzen, daß eine Landungsarmee an einer oder mehreren Stellen der
Außenküsten der Halbinsel Gallipoli oder der asiatischen Seite, unter
dem Schutze der Flotte, an das Land gesetzt werden würde und
schwere Kämpfe zu Lande bevorständen.
Die verschiedensten Vorschläge für die türkischen
Gegenmaßregeln wurden laut. Von einer hohen militärischen Stelle
wurde eine Zentralstellung im Innern der Halbinsel und eine ebensolche an einer
Höhenlinie südwestlich von Tschanakkale in Vorschlag gebracht,
also ganz passive Maßregeln. Die verschiedensten Verteidigungsstellungen
wurden von anderen Seiten erörtert. Liman v. Sanders wollte aber
auf Aktivität und Beweglichkeit nicht verzichten und stellte seine sechs
Divisionen - in Summe etwa 60 000
Kombattanten - in drei Gruppen auf, an den drei Stellen, welche dem
Feinde einen durchschlagenden Erfolg am ehesten versprechen mußten.
Dies waren der obere Sarosgolf, der südliche Teil der Halbinsel, und die
asiatische Seite.
Die Engländer und Franzosen verfügten, wie damals angenommen
wurde, und wie es sich später auch bestätigte, für die erste
Landung über rund 80 000 Mann, aber über eine fast
unbeschränkte Artillerie der Flotte, so lange ihre Truppen im Bereiche des
Schiffsfeuers blieben. Ein weiterer Vorteil für sie war, daß sie ihre
Landungsstellen wählen konnten, während der Verteidiger abwarten
mußte, was geschah.
Nachdem die englischen Truppen zur Vollendung ihrer Ausbildung noch zum
großen Teil nach Alexandrien und anderen Mittelmeerhäfen
für kurze Zeit verbracht worden waren, erfolgte am 25. April die
große Landung, auf welche ganz Europa mit Spannung schaute, weil bei
ihrem Gelingen voraussichtlich aus dem Dreibund der Mittelmächte ein
Zweibund werden und zugleich die kürzeste Verbindung der Entente mit
Rußland hergestellt werden konnte.
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In einem Bericht dieses denkwürdigen Morgens, wie er damals unter dem
frischen Eindruck der Ereignisse niedergelegt wurde, heißt es wie folgt:
"Seit Tagesanbruch war die
Südspitze der Halbinsel, wie auf asiatischer Seite Kumkale, in eine Wolke
von Rauch, Pulverdampf, Staub, Eisensplittern und Sprengstücken
gehüllt.
Regungslos sitzen die Besatzungstruppen in den
Unterständen der Stützpunkte des Küstenschutzes. Reißt
auch hier und dort einmal ein Volltreffer eine Gruppe buchstäblich in
Stücke, auch nur der Gedanke eines Rückzuges kommt dem
türkischen Soldaten nicht. Lehrt ihm doch seine Religion, daß der
Tod auf dem Schlachtfelde die Pforte des Paradieses ist.
[433] Ein
Windstoß teilt für Sekunden den Rauch der Geschütze, von
den großen Transportdampfern lösen sich Leichter und Schaluppen,
Fahrzeuge aller Art, mit Soldaten vollgepfropft.
Man hatte den Landenden gesagt, daß nach stundenlanger
Beschießung von den Verteidigern an Land unmöglich noch einer am
Leben sein könnte, und beherzt springen sie aus den Booten. Sie waten an
Land. Da, Stolperdraht unter Wasser, einer fällt über den andern,
Menschenknäuel, und schon hält das Maschinengewehr der
längst vernichtet Geglaubten seine furchtbare
Ernte."
So vollzieht sich oder scheitert die Landung bei Seddulbahr, Cap Helles, an der
Sigindere-Mündung, an der Mortobucht, im Südteile der
Halbinsel - so bei Kumkale auf asiatischer Seite. Ähnlich spielen
sich die Landungskämpfe bei Ariburnu und bei Kabatepe ab.
Bei Cap Helles ist es die 29. englische Division, bei Kumkale eine
französische Division, bei Ariburnu und Kabatepe zwei Divisionen
Australier und Neuseeländer, am oberen Sarosgolf demonstriert eine
Division englischer Marineinfanterie, und in der Besikabucht drohen von
Kriegschiffen geschützte Transporter mit Landungen.
Nach tagelangen, heftigen Kämpfen faßten die Engländer nur
an der Südspitze der Halbinsel bei Seddulbahr und Cap Helles festen
Fuß, sowie die Australier und Neuseeländer auf den Uferhöhen
bei Ariburnu. Bei Kumkale wurden dagegen die Franzosen am vierten Kampftage
in der Nacht vom 28. zum 29. April durch die 3. Division unter Führung
des Oberstleutnants Nicolai gezwungen, sich auf die Schiffe
zurückzuziehen und das asiatische Ufer zu räumen. Am 29. April
konnte das türkische Große Hauptquartier berichten: "Trotzdem der
in der Gegend von Kumkale gelandete Feind erbitterte Anstrengungen gemacht
hat, sich unter dem Schutze seiner Kriegschiffe zu behaupten, ist er doch von
unseren Truppen vollständig verjagt worden. Zur Stunde steht auch nicht
ein einziger Feind auf der asiatischen Küste der Meerengen."
Auch an der Sigindere-Mündung waren die gelandeten Truppen
genötigt gewesen, sich wieder einzuschiffen. Und auch bei Kabatepe
mißlang die Landung unter erheblichen Verlusten für den Feind.
Der feindliche Oberbefehlshaber Sir Hamilton zog in den nächsten Tagen
alle verfügbaren Truppen nach den beiden gewonnenen Kampffronten,
welche nunmehr die Basis für das weitere Vorgehen bilden sollten, nach
der Südspitze der Halbinsel und nach Ariburnu. Ebenso zog der
Oberbefehlshaber der 5. türkischen Armee, Liman v. Sanders, die
beiden Divisionen vom oberen Sarosgolf sowie die 11. Division und Teile der 3.
Division von asiatischer Seite dorthin zusammen.
Angriffe und Gegenangriffe wechselten an beiden Stellen in nächster Zeit
ohne entscheidenden Erfolg, bis die Gegner sich eingraben mußten und im
Stellungskriege die erbitterten Kämpfe fortsetzten.
Im Süden der Halbinsel führte vom 29. April ab der Kommandeur
der [434] 5. Division, Oberst
v. Sodenstern, den Befehl, bis ihn eine schwere Verletzung
kampfunfähig machte. Dann ging die dortige Führung an den
bisherigen Befehlshaber der Truppen auf asiatischer Seite, Oberst Weber,
über, dem Major Perrinet v. Thauvenay als Chef des Generalstabes
zur Seite stand. Unter ihm kommandierte der aus dem türkischen
Kriegsministerium herbeigeeilte Oberstleutnant Kannengießer die 9.
Division, während Major Bienhold als Artilleriekommandeur und
Hauptmann Effnert als Pionierkommandeur erfolgreich tätig waren. Bei
Ariburnu führte Essad Pascha, der tapfere Verteidiger von Janina, das
Kommando.
Der Marschall Liman v. Sanders verfügte mit Ausnahme seines deutschen
Adjutanten über einen rein türkischen Stab mit Oberstleutnant
Kiazim als Chef des Generalstabes, bis Oberstabsarzt Professor Dr. Mayer
als Armeearzt und Rittmeister v. Frese, als Kommandant des
Hauptquartiers, beim Oberkommando eintrafen.
Es ist gegenüber deutschen Verhältnissen wohl bemerkenswert,
daß der Oberbefehlshaber, welcher die erste Zeit nach der feindlichen
Landung im Zeltlager von Essad Pascha geweilt hatte, für den ganzen
übrigen Teil des Feldzuges mit dem gesamten Oberkommando ein Zeltlager
im Gelände - unweit des Dorfes
Bigali - etwa 5 Kilometer von der englischen Front bei Ariburnu
entfernt - bezog. Dem Marschall war bekannt, daß der
türkische Soldat seine Führer in der Nähe wissen und
öfters sehen will, er lehnte daher alle Vorschläge, das Hauptquartier
rückwärts in Galata oder Stadt Gallipoli zu belassen oder gar auf die
asiatische Seite zu verlegen, ab.
Von der deutsch-türkischen Flotte wurde bald nach der Landung eine
Anzahl Maschinengewehre mit deutscher Marinebemannung an die 5. Armee
abgegeben. Die Festung Dardanellen stellte verschiedene schwere
Geschütze zur Verfügung, und von Konstantinopel trafen
allmählich weitere Verstärkungen ein. Die Artilleriemunition der 5.
Armee war von Beginn des Feldzuges ab knapp und blieb auch ein Gegenstand
dauernder Sorge, da der Weg aus Deutschland durch neutrale
Zwischenländer führte, welche die Durchfuhr von Kriegsmaterial
nicht gestatteten.
Der Generalinspekteur der türkischen Artillerie, Oberst Schlee, ließ
alle irgend verfügbare Artilleriemunition von Smyrna, Damaskus und sogar
von Bagdad herankommen und sandte sie nach Gallipoli. Bald erstand eine neue
Munitionshilfe. Der Kapitän z. S. Pieper trat im Mai an die Spitze
des in Konstantinopel neu gegründeten Waffenamtes und erweiterte die in
der Hauptstadt bestehenden Einrichtungen für Munitionsfabrikation mit
größter Tatkraft. Maschinen wurden in Adrianopel, in
Lüle Burgas, in Brussa und in Smyrna requiriert, Gießereien
und Drehereien wurden geschaffen. Am 29. Juni 1915 konnte der erste Guß
in dem zur Munitionsfabrik umgeänderten Marinearsenal erfolgen. Der bei
weitem größte Teil der neu gefertigten Granaten konnte aber nur als
Graugußgranaten mit Schwarzpulverfüllung hergestellt und geliefert
werden, da [435] Brisanzfüllung
in größerem Maßstabe fehlte. Es fehlte damals in der
Türkei an allem, was ein moderner Krieg erforderte, vor allem auch an
Hindernis- und Baumaterial, an Eisenschienen für die Unterstände,
an Sandsäcken, an Telegraphen- und Telephonmaterial und besonders auch
an Bekleidung für die Truppe. So wurde der Feldzug in mancher Richtung
für die 5. Armee ein Feldzug von Aushilfen. Um so mehr muß
anerkannt werden, was die Türken und was die nur geringe Anzahl der dort
vorhandenen Deutschen geleistet haben. Daß es den letzteren oft an der in
der Heimat gewohnten Verpflegung mangelte und sie so manchesmal nur die
dünne türkische Suppe als einzige Verpflegung hatten, ist willig
getragen worden.
In den Monaten Juni und Juli gelang es den Engländern, denen
verschiedenste Verstärkungen, darunter auch Gurkhas und Sikhs
zugeführt worden waren, nur wenig Gelände auf der Südfront
zu gewinnen. Bei Ariburnu blieben sie auf die nahe dem Ufer gelegenen
Höhenketten beschränkt. Der bisherige Erfolg war gering.
In England war unterdes an die Stelle des Kriegsrats das Dardanellenkomitee als
tatkräftige leitende Behörde getreten. Bis Anfang August konnten
von ihm 5 neue Divisionen nach den Dardanellen entsandt werden. Sir Hamilton
glaubte nunmehr sicher den entscheidenden Erfolg gewinnen zu können,
indem er im Norden der Ariburnufront an der bis zur Suvlabucht reichenden
Küste eine neue große Landung plante, um in diesem durch nur
schwache Küstenschutztruppen besetzten Abschnitt die beherrschenden
Höhen überraschend zu gewinnen. Durch ganz Europa hallten die
zuversichtlichen stolzen Worte, welche Winston Churchill über den in
naher Aussicht stehenden entscheidenden Erfolg öffentlich sprach.
Die deutschen Unterseeboote, welche von Pola kommend, Ende Mai zwei
wichtige Erfolge durch Torpedierung der vor der Westküste von Gallipoli
liegenden Kampfschiffe "Triumph" und "Majestic" davongetragen
hatten - Kapitänleutnant Hersing war der kühne
Führer - waren inzwischen durch die vielfachen
Minen- und Netzsperren, die von den Engländern zwischen Imbros und
Festland sowie vor allen dortigen Häfen gelegt waren, in ihrer Wirksamkeit
außerordentlich beschränkt worden. Die Engländer konnten
daher die neue Landung in sicherer Zuversicht wagen. Sie begann am 6. August
abends und wurde in den folgenden Tagen und Nächten fortgesetzt.
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Vierzehntägige schwere Kämpfe entspannen sich um das Bergmassiv
des Kodja-schimendag, um die Höhen beiderseits von Anaforta und um den
Bergrücken westlich der Suwlabucht, den Kireschtepe.
Die Engländer und Franzosen hatten kurz vor Beginn der Landung die
Südgruppe heftig angegriffen, anscheinend, um alle dort stehenden
Kräfte zu binden. Bald darauf entwickelte sich ebenso ein
mehrtägiger Angriff gegen die Nordgruppe bei Ariburnu. Aber auch diese
große Schlacht, welche erst am 21. August endete, konnte Sir Hamilton den
erwünschten Erfolg nicht bringen. [436] Die von Essad Pascha
rechtzeitig entsandte 9. Division unter Oberstleutnant Kannengießer, und
die von der Südgruppe mit anderen Truppen auf Forderung Liman
v. Sanders' herankommende 4. Division unter Oberstleutnant Djemil Bey,
vermochten die Kuppen des Kodja-schimendag und des anschließenden
Jongbahir im Kampfe wieder zu gewinnen und zu behaupten. Oberstleutnant
Kannengießer wurde hierbei an der Spitze seiner Truppen schwer
verwundet und bald auch sein Generalstabsoffizier Holussi Bey, der nach
türkischem Gebrauch für ihn das Kommando übernommen
hatte. Fast ohne Unterbrechung lag während der Kämpfe das Feuer
der schweren Schiffsgeschütze auf den weithin sichtbaren
Höhenrücken. Aber die türkischen Truppen wankten
nicht.
Auf der Südgruppe wies Wehib Pascha, der im Juli mit Teilen der 2. Armee
die dort am schwersten abgekämpften Divisionen abgelöst und damit
für Oberst Weber den Befehl übernommen hatte, alle Angriffe
zurück. Ebenso scheiterten die feindlichen Anstürme gegen die
Truppen Essad Paschas, insbesondere gegen die türkische 16. und 19.
Division, bei Ariburnu.
Auf dem nördlichen Teil der neuen Landungsfront, beiderseits von
Anaforta und am Kireschtepe, leisteten die nur schwachen
Küstenschutztruppen, unter der vortrefflichen Führung des Major
Willmer, allerorten gegen die vorgehenden Landungstruppen zähen
Widerstand. Die sofort vom Oberbefehlshaber vom oberen Sarosgolf
herangezogene 7. und 12. Division konnten noch rechtzeitig eintreffen, um dem
Angriff in der Anafortaebene und östlich des Salzsees Halt zu gebieten.
Wenn auch die Kuppe des Mestantepe in englischer Hand verblieb, so konnte
doch der daran anschließende Ismailtepe von den Türken behauptet
werden.
Als dann Mitte August von der Suwlabucht her ein großer englischer
Angriff auf dem Kamme des Kireschtepe begann, und die Türken dort
vorübergehend schrittweise weichen mußten, trafen noch in letzter
Stunde die vom Oberbefehlshaber von der asiatischen Seite herbeigeholten und
von ihm selbst eingesetzten Truppen ein, um unter Führung des Major
Willmer die Lage wiederherzustellen. Auch der Gipfel dieses wichtigen
Höhenzuges blieb in türkischer Hand.
Das Kommando auf der gesamten neuen Landungsfront war vom
Oberbefehlshaber bereits am 8. August abends an den bisherigen Führer der
19. Division, Oberst Mustapha Kemal, übertragen worden. Diese Wahl
bewährte sich nach jeder Richtung hin. Mustapha Kemal führte
bereits am Morgen des 10. August persönlich erfolgreich einen Sturm, der
die Engländer am Nordhang des
Kodja-schimendag und Jongbahir zurückwarf.
Als am 21. August Sir Hamilton noch einmal versuchte, durch einen groß
angelegten Angriff in der Anafortaebene - zu dem auch noch die 29.
Division von Kap Helles mit Schiffen herangeholt worden
war - das Geschick zu wenden, scheiterte auch dieses Beginnen unter
schweren Verlusten an den türkischen Stellungen. Dies war der letzte
große Kampftag der ununterbrochenen Kämpfe, welche die neue
große Landung gebracht hatte. Die Engländer hatten nirgends [437] die entscheidenden
Höhen gewonnen. Ihre Stellungen, die sich lediglich als eine etwa
11 Kilometer messende Verlängerung der Ariburnufront nach
Norden darstellten, mußten sämtlichst in Nähe der Küste
verbleiben. Auch auf der neuen Front - von den Türken
Anafortafront genannt - entwickelte sich nunmehr der Stellungskrieg.
Trotz vielfacher Teilangriffe auf allen Fronten vermochten die Engländer,
die Franzosen und ihre Hilfsvölker aus den Kolonien auch in den
nächsten Monaten nicht, irgendwelche nennenswerten Fortschritte zu
erzielen. Die Leitung des Artilleriekampfes auf türkischer Seite war zum
wesentlichen Teile in deutsche Hände übergegangen. Beim
Oberkommando übernahm sie Oberst Greßmann, dem Oberstleutnant
Wehrle für die schwere Artillerie zur Seite stand. Bei der Anafortagruppe
waren Major Vonberg und Major Lierau, der während der
Landungskämpfe eingetroffen war und sofort im kritischen Augenblick die
Führung einer Haubitzabteilung bei
Groß-Anaforta übernommen hatte, Mustapha Kemal unterstellt.
Ferner sind die Majore Schmidt-Kolbow und Senftleben neben etwa 40 deutschen
jüngeren Offizieren der Feldartillerie zu nennen. Noch manche schwere
Stunde war den tapferen Artillerieoffizieren beschieden, die immer weiter mit der
Munition sparen mußten. Aber auch schöne Erfolge wurden gegen
die feindlichen Stellungen und gegen feindliche Schiffe erzielt, sobald sich diese
in die Reichweite der türkischen Geschütze wagten.
Sir Hamilton hatte, nachdem der Erfolg im August versagt geblieben war, in der
Heimat noch einmal 100 000 Mann als notwendig zum Siege verlangt.
Diese konnten in Rücksicht auf andere Kriegsschauplätze nicht
für Gallipoli gewährt werden, das schon ungeheure Menschenopfer
gefordert hatte. Zur Aufgabe des großen Unternehmens konnte man sich
damals noch nicht entschließen, weil man den Verlust an Prestige im Orient
fürchtete. Aus dem Dardanellenkomitee wurde ein Kriegskomitee, in dem
die Ansichten über Räumung oder Weiterführung des
Feldzuges sich scharf gegenüberstanden.
An der englischen Front wurde der Abzug von vielen für sehr schwierig
erachtet, verschiedene der hohen Offiziere glaubten, daß mindestens eine
Division dabei geopfert werden müsse. Lord Kitchener, der zuerst ein sehr
bestimmter Gegner des Rückzuges von Gallipoli gewesen war, bekehrte
sich nachher zu anderer Ansicht. Als er im November auf allen Fronten in
Gallipoli gewesen war, vertrat er die Auffassung, daß ein geschickt und
sorgsam vorbereiteter Abzug nicht zu große Opfer kosten werde. Die
Wahrscheinlichkeit hierfür lag in der nahen Entfernung der englischen
Stellungen von der Meeresküste, und in dem Umstande, daß nach den
immer weiter verbesserten Vorkehrungen gegen die Unterseeboote, das Meer
zwischen der Festlandsküste und den Inseln fast ungefährdet den
Engländern gehörte.
Es steht außer jedem Zweifel, daß die moralische Kraft der
Ententetruppen vom Herbst ab nur schwer auf der Höhe gehalten werden
konnte, und daß die [438] Türken im
Gegensatz hierzu immer unternehmender wurden. Auf der türkischen
Südfront traten zwar noch einzelne Krisen ein, als die bewährten
Truppen Wehib Paschas durch weniger wertvolle Divisionen der 1. Armee ersetzt
wurden, und diese, zum Teil aus arabischen Mannschaften bestehend, in ihren
ersten Kämpfen nur geringen Halt zeigten. Aber auch diese Krisen wurden
überwunden. An Wehib Paschas Stelle trat Djevad Pascha, der bisherige
Kommandant der Festung Dardanellen.
Eine harte Probe war für Freund und Feind der ganz überraschend in
jenen südlichen Gegenden Ende November einsetzende viertägige
Schneesturm.
Trotzdem vom Oberbefehlshaber, der mit seinen Adjutanten in diesen schweren
Tagen dauernd unterwegs war, um die Aufmerksamkeit rege zu erhalten,
halbstündige Ablösung in den vordersten Gräben befohlen
war, erfroren doch in einer Nacht allein über 90 Mann der von
Oberstleutnant Heuck befehligten 12. Division, welche an den westlichen
Bergabhängen gegenüber dem Salzsee stand. Auch die 11. Division
des Major Willmer auf der Höhe des Kireschtepe hatte ernst zu leiden.
Beim Feinde, der wesentlich besser ausgerüstet war, dessen Gräben
aber durch den tiefsten Teil der Niederung gingen, waren die Verluste noch
erheblich höher.
Essad Pascha war im Spätherbst an die Spitze der 1. Armee, für den
zum Führer der 6. Armee in Bagdad berufenen Generalfeldmarschall
Freiherrn von der Goltz getreten. Die Führung der Nordgruppe war an Ali
Risa Pascha übergegangen, dem Major Eggert als Chef des Generalstabs
zur Seite stand.
Im November, als durch den serbischen Feldzug der Weg aus Deutschland nach
der Türkei frei geworden war, trafen nacheinander zwei
österreichische Batterien, als erste aktive Hilfe an Truppen der
Mittelmächte, bei der 5. Armee ein. Bald folgten die ersten Raten der
ersehnten deutschen Artilleriemunition. Die erhöhte Wirkung machte sich
schnell bemerkbar, zeigte doch die aus der Heimat stammende Munition sich der
im Orient unter schwierigsten Verhältnissen hergestellten weit
überlegen. Im Dezember beschloß endlich das englische
Kriegskomitee den Abzug von Gallipoli. Die Aussichten für einen
durchschlagenden Erfolg waren durchweg schlechter geworden. Der Plan wurde
mustergültig geheimgehalten. Er kam einem großen Angriff zuvor,
den die 5. Armee vorbereitet hatte und der zur Ausführung kommen sollte,
sobald die technischen Hilfstruppen aus Deutschland eingetroffen waren.
Bei dichtem Nebel zogen die Engländer in der Nacht vom 19./ 20.
Dezember von der Ariburnu- und Anaforta-Front ihre gesamten Truppen auf die
Schiffe zurück und räumten damit die ganze Westküste der
Halbinsel in einer Front von rund 16 Kilometer. Das ganze Kriegsmaterial und
alle in vielen Monaten zusammengebrachten Vorräte
überließen sie dem Feinde. Dies war ein unbedingt richtiges Opfer,
denn auch nur der teilweise Abbau würde dem Gegner die Absicht verraten
haben.
[439] Der Weg zur
Küste war kurz, das Feuer aus den vordersten Gräben wurde bis zum
Abzuge der letzten Truppen unterhalten. Ganze Felder von Tretminen
verzögerten das Nachdrängen der Türken, das vom
Oberbefehlshaber auf der ganzen Linie befohlen wurde, sobald am 20. Dezember
kurz vor 4 Uhr morgens die erste Nachricht über die Räumung
der vorderen englischen Gräben und über rückgängige
feindliche Bewegungen an ihn gelangten.
Der Feind hatte aber ausreichenden Vorsprung gehabt, um sich einzuschiffen; und
die Schiffsgeschütze deckten durch ihr Feuer den Abzug, indem sie nach
den verlassenen Befestigungen und in das Zwischengelände feuerten.
Es ist nicht zutreffend, daß der Abzug ganz ohne Mannschaftsverluste
erfolgt ist, denn eine Anzahl unbeerdigte Leichen englischer Kolonialtruppen
lagen an den Gräben gegenüber der 12. türkischen Division.
Der Verlust war aber, in Ansehung der gesamten Rückzugsaktion, aus den
vorher genannten Gründen ganz gering. Auch bei der
nachdrängenden 11. Division fand noch leichter Feuerkampf mit den
allerletzten Teilen des abziehenden Feindes statt. Zahlreiche Boote und mehrere
Dampfer mußte der Gegner noch im letzten Augenblick am Ufer im Stich
lassen. - In der Nacht vom 8. und 9. Januar 1916 folgte der Abzug des
Feindes von der Südfront, nachdem am 7. Januar mittags ein Angriff der
12. Division gegen den äußersten linken englischen Flügel dem
Feinde noch ernste Verluste beigebracht hatte. An einigen Stellen war es bei
Dunkelheit während des englischen Zurückgehens zu kurzen
Kämpfen gekommen. Ehe der Tag am 9. Januar anbrach, standen die
türkischen Truppen wieder wie am 25. April 1915 in Seddulbahr, bei
Cap Helles und an der Sigindere-Mündung.
Der Feldzug, in dem auf beiden Seiten über 800 000 Mann auf der
schmalen Halbinsel Gallipoli um den Besitz der Dardanellenstraße und der
Hauptstadt des Osmanischen Reiches gekämpft hatten, war von den
Türken gewonnen!
Die "Hölle von Gallipoli" ist der blutgetränkte Boden der Halbinsel
von den Engländern genannt worden. Der amerikanische Berichterstatter
Shephard schrieb in einem Berichte an den Daily Telegraph: "Gallipoli ist
das furchtbarste und blutigste Schlachtfeld, das die Geschichte kennt. Wenn
einmal alle Tatsachen bekannt sind, so wird es in den Geschichtsbüchern
als eine Stätte des Entsetzens bezeichnet werden."
Zu den 31 389 Mann, welche als Zahl der englischen Toten in diesem Feldzuge
offiziell genannt werden, dürfte noch eine weit höhere Zahl
hinzuzurechnen sein, die infolge von Wunden und Krankheiten in den
großen Lazaretten in Malta, Alexandrien und anderen
Mittelmeerhäfen verschieden sind.
Der Unterstaatssekretär Tennants bezifferte am 11. Dezember 1915 im
englischen Unterhause die bis dahin bekannten britischen Verluste an den
Dardanellen auf 4 915 Offiziere, 108 006 Mann, hinzu kamen
96 683 Mann, die wegen [440] Krankheit in Lazarette
übergeführt werden mußten. Die Verluste der farbigen
Truppen und diejenigen der Franzosen sind bisher nicht veröffentlicht
worden.
Die 5. türkische Armee erlitt vom 25. April 1915 bis zum 9. Januar 1916
218 000 Mann Gesamtverlust, davon etwa 66 000 Tote.
Die Dardanellen blieben während des ganzen Weltkrieges in
türkischer Hand, bis der Waffenstillstand vom 31. Oktober 1918 sie der
Entente kampflos überantwortete!
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