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Kolonien, unsere zweite Heimat   (Teil 6)
[256]

Frühere Kriegsschiffsreisen nach Übersee
Vizeadmiral a. D. Dr. e. h. Eberhard von Mantey

Wer heute auf einem modernen Passagierdampfer oder auf einem neuen kleinen Kreuzer ohne jede Takelage unter Dampf mit großer Geschwindigkeit die See befährt, kann sich wohl kaum eine Vorstellung machen, wie die Seefahrt noch vor 50 Jahren schwierig und schwerfällig war. Wie aber gerade durch diese Schwierigkeit Männer besonderer Art herangebildet wurden.

Wenn heute in dem fernsten Hafen auf der "anderen" Seite unseres Planeten ein Schiff zu Anker geht, oder wenn es mitten im Ozean schwimmt, so ist es immer und sofort durch Funkspruch zu erreichen. Jederzeit kann ein Auslandskreuzer vom Chef der Marineleitung einen Befehl erhalten oder selbst Meldung machen und anfragen. In früheren Zeiten war man, sobald man den Anker gelichtet hatte und das Schiff unter dem Horizont verschwand, völlig unerreichbar. Es mutet eigenartig an, wenn in einem Reisebericht der Kreuzerfregatte "Leipzig" nach einer schwierigen Seefahrt von 22 Tagen der Kommandant schriftlich in die Heimat meldet, er habe es für nötig erachtet, nach dieser langen Zeit seinen Leuten etwa eine Woche Hafenruhe zu gönnen, und wenn dann die Admiralität in Berlin an das Wort "lange Zeit" ein Fragezeichen und ein Ausrufungszeichen macht, um damit anzudeuten, daß man dies durchaus nicht für eine lange Fahrt hielte. Reisen unserer Kreuzerfregatten von über 40 Tagen Dauer waren durchaus keine Seltenheit. Wie selbständig die Kommandanten fühlen und denken mußten, geht daraus hervor, daß ein Kommandant der "Leipzig" im August meldet, daß er die letzte Post aus Berlin vom Februar des betreffenden Jahres erhalten habe. Gegenwärtig wird einem ausreisenden Schiff der gesamte Reiseweg bis zum Tage der Ankunft ganz genau vorgeschrieben. Geringe Abänderungen sind natürlich gestattet, doch müssen diese sofort durch Funkspruch gemeldet werden, auch weiß man in Berlin über jede Kleinigkeit des Dienstes auf dem Auslandsschiff ununterbrochen Bescheid.

In früheren Zeiten wurde dem Schiff gewöhnlich nur das Endziel mitgeteilt und einige wenige Häfen vorgeschrieben, die anzulaufen seien. Kam man dann nach etwa halbjähriger Reise an diesem Endziel an, dann wußte kein Mensch, was die weitere Verwendung dieses Schiffes sein würde. Erst die Post brachte eine neue Reiseorder, die nach der weltpolitischen Lage, nach den Wünschen des Auswärtigen Amts, nach Bitten irgendwelcher deutscher Handelshäuser oder zu Repräsentationszwecken aufgestellt war. Als im Jahre 1882 die Kreuzerfregatte "Leipzig" ihre Auslandsreise antrat, lautete der Befehl für das Schiff, im Nachstehenden etwas gekürzt, aber sonst im Wortlaut, folgendermaßen:

      "Euer Hochwohlgeboren befehle ich, mit S. M. S. Leipzig nach vollendeter Ausrüstung des Schiffes nach Jokohama zu gehen und in den japanischen Gewässern zum Schutz der deutschen Interessen zu stationieren. Euer Hochwohlgeboren wollen dafür Sorge tragen, daß das Ihrem Kommando unterstellte Schiff stets in allen Teilen so kriegsbereit ist, wie es für die Lösung etwa an Sie herantretender militärischer und maritimer Aufgaben erforder- [257] lich ist. Sie lösen Seiner Majestät Schiff »Elisabeth« ab und treten beim Eintritt in den Stationsbereich nach Maßgabe der Instruktion für den Chef der ostasiatischen Station unter Befehl des Commandore von Blanc.
      Auf dem japanischen Teil der ostasiatischen Station bildet die kaiserliche Gesandtschaft zu Tokio die politische Zentralstelle für Euer Hochwohlgeboren. Die Verbindung mit Hongkong als Zentralpoststation ist unter allen Umständen so aufrecht zu erhalten, daß Befehle von mir sowie von dem Chef der ostasiatischen Station Euer Hochwohlgeboren in kürzester Zeit erreichen können. (Zur damaligen Zeit brauchte im allgemeinen ein solcher Befehl bis Hongkong mindestens sechs Wochen.)
      Für einen Gesundheitszustand und frischen Geist der Besatzung, die für die Leistungsfähigkeit und Kriegsbereitschaft des Schiffes durchaus erforderlich sind, wollen Sie ganz besonders Sorge tragen. Gute Luft im Schiffe, zweckentsprechende Nahrung und ein angemessener Dienstbetrieb in bezug auf die klimatischen Verhältnisse werden zur Erreichung dieses Zweckes förderlich sein."

Es folgt dann im Befehl, daß der Weg um Südamerika herumgenommen werden soll, und daß das Schiff am 15. Mai 1883 womöglich in Jokohama sein möchte. (Hierzu sei bemerkt, daß das Schiff am 19. Oktober 1882 den Kieler Hafen verließ.) Es heißt dann weiter:

      "Am Tage Ihres Eintreffens in Plymouth, Montevideo, Valparaiso, Jokohama haben Sie mir mit möglichst wenigen Worten den Tag telegraphisch zu melden, an welchem Sie die Weiterreise antreten wollen. Im übrigen haben Sie sich des Telegraphen nur in ganz besonderen Fällen zu bedienen - bei allen Fahrten wollen sich Euer Hochwohlgeboren hauptsächlich der Segel bedienen und alle günstigen Wind- und Stromverhältnisse benutzen, die Maschine ist nur in besonderen Fällen und nur wenn Eile geboten ist, in Gang zu setzen, aber auch dann in einer Weise, welche eine ökonomische Verwendung der Kohlen in sich schließt."

Der Befehl ist unterzeichnet von dem damaligen Chef der Admiralität v. Stosch.

Schon auf der ersten Strecke der langen Reise durch die Nordsee hatte die "Leipzig" einen außergewöhnlich schweren Sturm zu bestehen. Im Skagerrak war bei einem Barometerstand von 738 mm bereits Windstärke 9 - 10. Als man das Galloper Feuerschiff, das ungefähr nördlich von Holland die Einsteuerung in den englischen Kanal bildet, erreicht hatte, schreibt der dienstliche Reisebericht:

      "Der Wind hatte außerordentlich aufgefrischt, so daß beigedreht werden mußte. Das Barometer fiel sehr schnell weiter und erreichte seinen niedrigsten Stand um 6 Uhr abends mit 733 mm. Der sich bis zum Orkan Stärke 11 steigernde Wind ging allmählich abends auf Westen herum. Dabei war das Wetter so unsichtig, was durch häufige Regen- und Hagelböen noch vermehrt wurde, daß man keine Schiffslänge weit sehen konnte. Das Schiff arbeitete im hohem Seegang sehr heftig. Um 7 Uhr brach die Schot des Großgaffelsegels. Alle Geitaue brachen, daß Segel mußte gekappt werden. Gleichzeitig nahm eine See die Drahtstander zum Aussetzen der Dampfpinas über Bord. Beide Kutter wurden von einer See so stark gegen die Davits1 gepreßt, daß die Seiten eingedrückt wurden. Nur mit allergrößter Mühe gelang es, Sturmgaffelsegel unterzuschlagen. Da das Schiff sehr stark nach Lee überlag und mit dem Leefallreep Wasser schöpfte, wurden Sturmsegel geborgen. Vor Top und Takel ohne ein Stück Segeltuch legte sich das Schiff bei einer neu einsehenden Böe derartig über, daß das Wasser über die Bordwand, über die Hängemattskasten strömte, mit einem Wort, das Schiff zum Kentern lag. Ein Aufbrassen der Achterrahen war auch nicht imstande, das Schiff zum [258] Abfallen zu bringen. (Hier sei bemerkt, daß die Kreuzerfregatte »Leipzig« ein ausgezeichnetes Segelschiff von etwa 4000 Tonnen war, fast 90 m lang und 14 m breit.) - Nur dadurch, daß ich die Maschine mit voller Kraft anschlagen ließ, gelang es mir, das Schiff zum Abfallen zu bringen, es richtete sich wieder auf, der kritische Moment war vorüber. Während der ganzen Zeit waren »alle Mann klar zum Manöver,« und hat mir dieses ungewöhnlich schwere Wetter gerade zu Anfang der Indiensthaltung die Überzeugung verschafft, daß ich mit der Mannschaft allen Eventualitäten gewachsen sein werde."

Tatsächlich hat die Fregatte "Leipzig" nicht den ersten vorgeschriebenen Hafen sogleich erreichen können, sondern mußte den englischen Hafen Yarmouth als Nothafen anlaufen. In jener Nacht waren 18 Kauffahrteischiffe an der englischen Küste gestrandet. Nach dem Verlassen des englischen Hafens wurde "Leipzig" bis in die Biskaya von weiteren Stürmen verfolgt.

Um eine Seefahrt in der damaligen Zeit zu schildern, sei auf den vorstehend angeführten Reisebefehl ein wenig eingegangen. Vor dem Jahre 1890 hatten alle unsere Schiffe eine große Segeltakelage. Die ersten Schiffe ohne Takelage waren die Kreuzer "Irene" und "Prinzeß Wilhelm". Der Kohlenersparnis wegen mußte jeder Wind, auch wenn er ungünstig war, ausgenutzt werden. Um die Segeleigenschaften einer Kreuzerfregatte zu erhöhen, konnten die Schornsteine teleskopartig niedergeschraubt werden, so daß, von weitem gesehen, das Schiff keine Schornsteine hatte. Gleichzeitig wurde die Schiffsschraube (es gab früher keine Doppelschraubenschiffe) gelichtet. Hierzu war senkrecht über der Schraube im Schiff ein großer Schraubenbrunnen, in dem sich ein Rahmen bewegte. In der Mitte dieses Rahmens saß die Schraube. Mit sehr schweren Flaschenzügen konnte man den Rahmen mitsamt der Schraube, nachdem letztere von der Schraubenwelle gelöst war, in die Höhe ziehen. Es war dies ein "Alle-Mann-Manöver". War die Schraube gelichtet, dann war selbstverständlich das Schiff ein reines Segelschiff. Wollte man nun aus zwingenden Gründen wieder als Dampfschiff fahren, dann mußte das Feuer in den Niederdruck-Kofferkesseln angesteckt, die Schornsteine in die Höhe geschraubt und die Schraube wieder heruntergelassen werden. Dieses letztere Manöver war dadurch sehr erschwert, daß die Schraube bei dem meist im Seegang sehr bewegten Schiff unter Wasser genau mit dem Schlitz in der Schraubenwelle in Verbindung kommen mußte. So war das Fieren der Schraube meist viel schwieriger als das Lichten. Elektrisches Licht gab es auf den alten Kreuzerfregatten nicht. Solches ist erst in den neunziger Jahren eingeführt worden.

Das Steuerrad, bestehend aus mehreren großen Handrädern, war vielfach mit 6 - 8 Mann bei starkem Winde besetzt. Es wurde nur mit der Hand gesteuert. Das große Handruder stand unter der Kommandobrücke, die Leute konnten nicht vorn über das Schiff sehen, sondern steuerten nach dem Kompaß und nach den Segeln; im übrigen mußte der Wachhabende das Ruder stets kommandieren. Die Kommandobrücke entbehrte jeden Schutzes. Bestenfalls war vor das Geländer ein einfacher Segeltuchbezug gespannt. Um ein Schiff seeklar zu machen, wurden die Geschütze in der Batterie eingerannt und die Ge- [259] schützpforten hermetisch verschlossen. Luft kam nur durch die Niedergänge. Im Hafen konnte man sogenannte Windsäcke aus Segeltuch als Ventilatoren setzen. Eine künstliche Ventilation in dem Sinne der heutigen Dampfschiffe gab es damals nicht. Daher schreibt auch der Reisebefehl ausdrücklich vor, daß der Kommandant für "gute Luft" im Schiff zu sorgen habe. Eismaschinen und ein Backapparat zur Herstellung von Brot waren nicht vorhanden. Auch fehlten die heute bekannten Konserven. Salzfleisch, Erbsen, präservierte Kartoffeln und präserviertes Rindfleisch, seemännisch "Kabelgarn" genannt, Hartbrot und außerordentlich wenig, meist sehr fades Trinkwasser, waren noch in den achtziger Jahren die Nahrung der Mannschaft.

Da die Schiffe sehr viel Holzwerk hatten und innen meist dick mit Ölfarbe angestrichen waren, so war das Rauchen nur unter ganz besonderen Bedingungen gestattet. Z. B. waren Streichhölzer verboten. Zigaretten gab es an Bord nicht, ja selbst Zigarren durften von der Mannschaft nicht in See geraucht werden, sondern nur die kurze mit Deckel versehene Pfeife. Der Tabak derselben durfte nur an besonderen Lunten, die auf dem Oberdeck und in der Batterie aufgehängt waren, angesteckt werden. Im Zwischendeck war das Rauchen überhaupt verboten.

Im allgemeinen ging die Mannschaft in zwei Wachen. Die eine wurde die Backbordwache, die andere wurde die Steuerbordwache genannt, hauptsächlich deshalb, weil die Backbordwache ein Bandabzeichen auf dem linken, die Steuerbordwache auf dem rechten Oberarm trug. Alle vier Stunden wurde die Wache abgelöst, so daß an ein Schlafen länger als vier Stunden hintereinander niemals gedacht werden konnte. War besonders schweres Wetter, mußten z. B. Reefe in die Marssegel gesteckt, Sturmsegel untergeschlagen oder die Schraube gelichtet werden, dann wurden "alle Mann", d. h. beide Wachen, gebraucht, und zwar in der Nacht ohne Rücksicht auf den Schlaf. Der Wachwechsel in der Nacht fand wie folgt statt: Um 8 Uhr abends zog eine Wache auf und behielt den Dienst bis 12 Uhr nachts bei. Die Wache stellte sämtliche Posten, die Rudergänger und die Rettungsbootsmannschaft. Um 12 Uhr nachts war Wachwechsel. Dazu wurde zehn Minuten vorher die neue Wache, die in Hängematten schlief, geweckt, die Hängematten wurden gezurrt und verstaut. Dann trat die neue Wache an, Posten und Rettungsbootsmannschaft wurden gemustert, und Punkt 12 Uhr erfolgte der Wachwechsel. Die alte Wache erhielt dann Hängematten und durfte bis 4 Uhr morgens schlafen. Um 4 Uhr folgte dann ebenfalls ein Wachwechsel genau wie um Mitternacht. Die Wache von 12 bis 4 Uhr nachts wurde in unserer Marine als Hundewache bezeichnet. (Die Engländer verstanden unter "Hundewache" die Wache von 4 Uhr morgens an.) Die Leute, die Hundewache gehabt hatten, durften nach dieser Wache noch bis ½7 Uhr morgens schlafen. Mit jedem Wachwechsel wechselte auch der wachhabende Offizier und der zweite Offizier, der Unterleutnant, der meist den Dienst auf dem Vorschiff hatte. Die Offiziere gingen auf [260] der Kommandobrücke ihre Wache vier Stunden durch. Die Posten in der Batterie, im Zwischendeck und im Ausguck wurden je nach Bedarf ein- oder zweistündig abgelöst, ebenso die Rudergänger. Die Rettungsbootsmannschaft bestand aus der vollen Besatzung eines Kutters und diente dazu, falls ein Mann über Bord fiel, mit diesem Kutter zur Rettung hinuntergelassen zu werden. Zu der Rettungsbootsmannschaft gehörte ein Seekadett der Wache. Irgendwelche Hilfsmaschinen besaßen die Schiffe der achtziger Jahre nicht. So mußte beispielsweise der Anker mit dem Gangspill mit der Hand gelichtet werden.

Um eine solche Segelschiffsreise kurz zu schildern, sei im folgenden ein Auszug aus dem Reisebericht der Kreuzerfregatte "Elisabeth" gegeben, die im Jahre 1884 von Deutschland über Madeira, Südafrika nach Australien und von dort über die Südsee nach Ostasien ging.

      "Die lange Zeit, die S. M. S. »Elisabeth« von Madeira vom 1. Juni bis 14. August 1884 bis zum Kap der Guten Hoffnung in See zugebracht hat, hat sehr vorteilhaft auf die Ausbildung der Mannschaft eingewirkt. Zwar konnte nicht ganz regelmäßig mit der Batterie exerziert werden, weil vielfach schlechtes Wetter dies verhinderte. Um so mehr hat die Mannschaft aber Gelegenheit gehabt, in der Bedienung der Takelage größere Sicherheit und Schnelligkeit zu erlangen. »Mann über Bord« ist geübt worden und hat sich einmal im Ernstfalle, als ein nicht schwimmkundiger Mann in See über Bord fiel, bewährt. Der Mann wurde noch gerade gerettet. (Man kann den hohen Ausbildungsstand aus dieser kurzen Notiz ohne weiteres ersehen.) Es ist häufig Reefen, alle Segel festmachen, Wenden und Halfen notwendig gewesen oder auch zur Übung ausgeführt worden."

Es folgt dann in dem Bericht eine Angabe über die gute Führung der Mannschaft und über die Spezialausbildung der 41 an Bord befindlichen Seekadetten. Der Bericht fährt dann fort:

      "Der Gesundheitszustand der Mannschaft, der im Mai ein guter war, hatte sich im Laufe des Juni unter dem Einfluß der zunehmenden Hitze verschlechtert. Die Mannschaft war im allgemeinen magerer und blasser geworden. Aber es traten außer einigen Fällen, von Hitzschlag im ganzen 7 und von Darmkatarrh 11, keine schweren ungewöhnlichen Erkrankungen ein."

"Elisabeth" hatte den Auftrag, unterwegs die Losinseln dicht bei Senegal zu erkunden.

      "Als Folge des nur sechstägigen Aufenthalts in dem heißen, feuchten und regnerischen Klima der Losinseln machten sich im Juli zahlreiche Fälle (44) von Wechselfieber bemerkbar. Zuerst und am heftigsten und hartnäckigsten wurden diejenigen Personen befallen, die nach dem Dubrekaflusse entsendet worden waren. Von 27 Teilnehmern dieser Expedition erkrankten 17, und zwar ein Seeoffizier, ein Arzt, ein Seekadett, drei Unteroffiziere und elf Matrosen. Es erkrankten später auch einige (10) Personen der Besatzung, die das Schiff überhaupt nicht verlassen hatten. Die Westküste Afrikas, soweit sie zu den Tropen gehört, ist eine höchst ungesunde Gegend, vor ihr sind zumal größere Schiffe und Schulschiffe zu warnen. Ich habe überhaupt keine Beurlaubungen eintreten lassen. Am ungesundesten ist die Gegend während der Regenzeit, welcher auch der kräftigste Körper auf die Dauer nicht widersteht. Im Juli hat sich die Mannschaft bei dem allmählich kühler werdenden und trockneren Wetter trotz sechswöchigen Aufenthaltes in See und trotz einer Zeitlang gekürzter Brotration sichtlich erholt. Zeichen von Skorbut sind vollständig ausgeblieben.
[261]       Am 7. August wurde der Kolonialpionier Lüderitz von S. M. S. »Elisabeth« in Angra Pequena abgesetzt."

So weit der Bericht aus Kapstadt. Bereits am 23. August morgens verließ die Fregatte "Elisabeth" zunächst unter Dampf den Hafen von Kapstadt. Zur damaligen Zeit war das Liegen größerer Schiffe in Kapstadt wegen der schweren Fallböen, die vom Tafelberg kamen, vielfach recht anstrengend und unsicher. Verluste von Ankern und zwangsweises Inseegehen waren keine Seltenheit. Der nächste Bericht lautet:

      "Außerhalb Kapstadt wurde zunächst Stille angetroffen. Doch war die See sehr bewegt und schlingerte das Schiff heftig. In der Nacht wurde nach Süden gedampft, inzwischen setzte Nordwestwind ein, der bei fallendem Barometer schnell auffrischte. Morgens um 4 Uhr betrug seine Stärke schon 8, und wurden die Feuer ausgemacht und unter Segel weitergefahren. Gegen 10 Uhr vormittags war Windstärke 10. Am nächsten Tage drehte der Wind östlich, flaute ein wenig ab, jedoch bei Sonnenuntergang wehte ein regelrechter Sturm und mußte das Schiff unter dichtgereeften Marssegeln und Sturmsegeln beilegen. Der Wind drehte abends über Nord auf West und erreichte Stärke 11. Das Schiff machte sich in der hohen See gut, schlingerte aber recht bedeutend, so daß die Seitenboote aufgetoppt werden mußten, um ein Wegschlagen derselben zu verhüten. Außerdem zeigte es sich, daß das Schiff durch sein Alter schon recht gelitten hatte. Das Schiff leckte besonders in den Nähten des Batteriedecks so, daß das Wasser eimerweise in die Zwischendeckskammern lief."

In dieser Weise geht die Seefahrt durch den südlichen Indischen Ozean ungefähr auf dem 39. Südenbreitengrade bis Australien weiter.

      "Am 26. September morgens wurde die Südküste von Australien gesichtet, am 27. trat Windstille ein und wurde nunmehr die Reise unter Dampf in zwei Kesseln und bei aufkommendem Winde unter gleichzeitiger Benutzung der Segel fortgesetzt. Am 1. Oktober vormittags wurde in Sydney geankert."

Ein solcher Reisebericht von einem Zeitraum von über fünf Wochen in dem stürmischen Südindischen Ozean liest sich außerordentlich einfach. Wer sich aber vergegenwärtigt, wie es in dieser Zeit in einem solchen Schiff aussah, wo alle Geschützpforten und selbstverständlich jedes Seitenfenster luftdicht geschlossen war, wo sämtliche Decks durch überkommende Seen ununterbrochen einige Zoll hoch unter Wasser stehen, wo das Innere des Schiffes durch wenige Stearinkerzen kümmerlich beleuchtet ist und wo die Nahrung aus Dauerproviant besteht, der wird ermessen können, daß eine solche Reise große Anstrengungen, vor allen Dingen aber auch große Entsagungen kostete. Eintönig verläuft eine Wache wie die andere, und doch muß auf jeder Wache unter Segel in den schweren Stürmen aufs schärfste aufgepaßt werden. Gegensegler gibt es in dieser Gegend überhaupt nicht. Während der ganzen Zeit ist von der "Elisabeth" nicht ein einziges Schiff gesichtet worden. Es ist für die Offiziere nicht leicht, die Mannschaft immer zweckentsprechend zu beschäftigen und für die erforderliche Dienstfreudigkeit zu sorgen. Ein Exerzieren am Geschütz oder mit dem Gewehr ist bei stark bewegter See völlig ausgeschlossen. Der Dienst besteht daher vielfach aus Instruktionen, aber auch aus Arbeitsdienst, zum Instandhalten der schweren Segelschiffstakelage. Eine wissenschaftliche Be- [262] schäftigung der Offiziere in ihren engen Kammern, die während der ganzen Zeit selbstverständlich nicht gelüftet werden können, ist so gut wie unmöglich. Die Post, die man vielleicht im letzten Hafen noch erhalten hat, ist viele Wochen, oft Monate alt, Zeitungen interessieren dann überhaupt nicht mehr. Die Unterhaltung in der Messe und an den Backen der Mannschaft wird immer kümmerlicher und dreht sich eigentlich nur noch um Wind, Wetter, die Geschwindigkeit des Schiffes und die Hoffnung, daß das nächste Ziel recht bald erreicht wird.

Kommt man dann in den Hafen, so muß zunächst das Schiff gründlich instand gesetzt werden. Fast alle Teile des Schiffes sind feucht und mit einer Salzkruste bezogen. Der Urlaub ist meistens nur auf die Nachmittagsstunden beschränkt. Sehnsüchtig wird die Post aus der Heimat erwartet. Im allgemeinen weiß niemand, welcher Befehl von der Admiralität kommt. Es ist vorgekommen, daß eine Fregatte von Sansibar kommend in Australien nach fast 50tägiger Fahrt anlangte und dort das Telegramm vorfand, sofort nach Sansibar zurückzukehren. Vielfach werden in der Offiziersmesse Wetten abgeschlossen über das zu erwartende nächste Reiseziel; die Ansichten, ob es vielleicht nach Amerika oder nach Afrika von irgendeinem Südseehafen aus weitergeht, sind oft sehr geteilt.

So eintönig eine solche Fahrt von weit über einmonatiger Dauer scheint, so erkennt man auf dieser doch erst die ungeheuere Größe des Ozeans und die Kleinheit des Menschen. Der Kampf mit Wind und Wellen auf einer Wasserwüste, wo man wochenlang kein Schiff und als einziges Lebewesen den Albatros und die kleine Seeschwalbe antrifft, übt aber doch auf jeden echten Seemann trotz Strapazen und Entbehrungen einen außerordentlichen Reiz aus. - Die See erzieht ernste Menschen und starke Männer.

Das Haus der Woermann-Linie in Duala, Kamerun.
[143]      Das Haus der Woermann-Linie in Duala, Kamerun.

Der deutsche Hauptdampfer der Woermann-Linie fährt zurück in die
Heimat. [341]      Der deutsche Hauptdampfer der Woermann-Linie
fährt zurück in die Heimat.
Fünfzig Jahre später - ein anderes Bild des Verkehrs und der Möglichkeiten, in jene Gebiete zu kommen, die einmal unsere Kolonien waren und wieder unsere Kolonien sein werden: nur mit dem Unterschied, daß sie damals Gebiete in märchenhaften Fernen waren, später aber einmal als Provinzen Deutschlands gelten werden, da der Flugverkehr Entfernungen auf der Erde aufgehoben hat. Jetzt bringen uns ebensoviel Tage in südliche Gegenden, wie früher Wochen, vielleicht sogar, bei den Territorien der Südsee, Monate.

Aber auch die Seefahrt hat heute ein anderes Gesicht: einer unserer Kreuzer, den eine Weltreise zu den australischen oder chinesischen Ländern führt, hat mit den beschriebenen Widerwärtigkeiten nicht mehr zu kämpfen. Der Passagierdienst aber wird von deutschen Linien auf allen Meeren geleistet: die Deutsche Ostafrika-Linie, die Woermann-Linie und der Afrikadienst der Bremer lassen die besten neuen Dampfer rund um den Erdteil laufen.

Auch nach Ostasien und der Südsee führen uns deutsche Schiffe, die Hapag und Lloyd in Fahrt setzen, so daß die früher deutschen Gebiete in ständiger Verbindung mit dem Mutterlande stehen - ein Bewußtsein, das den Überseedeutschen nicht zum geringsten das Gefühl ständigen Zusammenhaltes verleiht.

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1Davits sind zwei Kranbalken, an denen die Seitenboote hängen. ...zurück...

Das Buch der deutschen Kolonien
Herausgegeben unter Mitarbeit der früheren Gouverneure
von Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Kamerun, Togo und Deutsch-Neuguinea.
Vorwort von Dr. Heinrich Schnee.