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Die politische Besitzergreifung

Adolf Lüderitz

Mit den Diamanten aber ist es folgendermaßen bestellt. Zieren sie die Frisur einer schönen Frau, oder tropfen sie von den Ohrläppchen einer solchen, oder zielen sie mit beredtem Finger in den Ausschnitt eines zart gewölbten Busens hinab, dann bannt ihr lebhafter Glanz, ihr unerhörtes Farbenspiel den Blick eines jeden und überträgt die Bewunderung von der toten Kostbarkeit auf die lebendige ihrer Trägerin. Und dabei ist es doch nur ein Stückchen reinen Kohlenstoffes, das zwar von allen Gesteinen die größte Härte besitzt, bei starker Glühhitze und Zutritt von Sauerstoff aber ohne jeden Rückstand verbrennt. Jedoch das wunderbare Farbenspiel, das auf einem fabelhaften Lichtbrechungsvermögen und erstaunlicher Fähigkeit der Farbenzerstreuung beruht, gibt dem wasserklaren Mineral einen ausdermaßen hohen Wert. Und wollen wir noch einige gelehrte Ausdrücke anfügen, dann sagen wir, daß die Diamanten meist rhombendodekaedrisch auftreten und dem Spinellgesetze folgen, im Rohzustande aber, [224] also ungeschliffen, gewöhnlich sehr unscheinbar aussehen, so daß ihre Erkennung in der Natur nicht so leicht ist, wie mancher denkt.

Seitdem im Jahre 1870 in Kimberley Diamanten entdeckt worden waren, kam auf und erhielt sich in Südafrika hartnäckig das Gerücht, am unteren Oranjeflusse gäbe es ebenfalls reiche Diamantenlager. Die Grubenleute abends vor ihren Zelten und die Burenfrächter an ihren Lagerfeuern erzählten sich mit solchen Märchen die Augen groß und flackernd, und ihre Phantasie träumte von unverhofften Freuden, von Reichtum und Glück. Die abenteuerlichsten Geschichten gingen um. Da hätten Männer in der öden Namib ungeheure Diamantenlager gefunden und wagten sich nicht wieder von ihnen fort, aus Furcht, bei der Rückkehr Fremde als Ausbeuter zu finden. Lieber ließen sie sich die Bärte bis zum Gürtel wachsen und verwilderten zu halben Tieren.

Ja, in den sechziger Jahren schon sollen Männer in einem Boot von einer jener Guanoinseln, die der öden Küste Südwestafrikas vorliegen, nach Kapstadt gekommen sein und ein Säckchen voll Diamanten mitgebracht haben. Aber schon in der ersten Nacht, als sie das Leben hochnahmen und den Sekt und die Weiber, da ist ihnen der Schatz entwendet worden, und sie mußten in doppelter Verkaterung den weiten Seeweg zurückrudern. Man sah und hörte in Kapstadt nie wieder von ihnen.

Und im Jahre 1907 tauchte in der Lüderitzbucht ein englischer Dampfer Xema auf, von dem es in Kapstadt hieß, er fahre auf Diamantensuche. Ein alter Seemann habe von einem Manne, der jahrzehntelang auf einer der Guanoinseln gearbeitet habe, auf dessen Sterbebette das Geheimnis erfahren, wo Diamanten haufenweise zu finden seien. Der Seemann habe dann wertvolle, durch einen Lageplan vervollständigte Kunde an eine Gesellschaft verkauft, die jetzt mit der Xema unterwegs sei. Nachdem dem Dampfer von der Kapregierung eine Landung auf den Inseln verboten worden war, lag er längere Zeit vor Lüderitzbucht, ohne den deutschen Schlep- [225] per in Anspruch zu nehmen. Nach einiger Zeit verschwand das geheimnisvolle Schiff, tauchte in Kapstadt auf und gelangte dort zur Versteigerung. Alle Welt wunderte sich über die gewaltige Menge ganz neuzeitlicher Feuerwaffen. Vielleicht war es nur ein Schmuggler, der den aufständischen Eingeborenen Waffen zubringen wollte und diese Absicht durch das Diamantensuchen zu verschleiern strebte. Vielleicht aber, wer weiß, hatten sie wirklich von Diamanten in Südwest Wind bekommen und gedachten die Fundstätte mit Handstreich zu nehmen und gegen deutsche Obrigkeit zu verteidigen. Wer weiß das? Die Beteiligten pflegen sich auszuschweigen.

Aber Diamanten waren tatsächlich da, schon ein Jahr später wurden sie gefunden! Es gab einen Mann, einen Deutschen, der hieß Strauch und beaufsichtigte eine Strecke der zwei Jahre vorher gebauten Bahn, die von Lüderitzbucht in Richtung Keetmanshoop führte. Von seiner Wellblechbude in Grasplatz aus leitete er einen farbigen Arbeitertrupp an, die Strecke vom Dünensande der Namib freizuhalten. Hier waren früher immer Ochsenwagen und während des Aufstandes auch Soldaten in Menge durchgezogen, von Lüderitzbucht zum Hochlande hinauf und vom Innern zum Meere hinab. Dieser Mann Strauch nun langweilte sich fürchterlich und blickte mit ungünstigen Augen auf die kahle Wüste, die ihn umgab. Manchmal war ihm zumute, als wolle sie von allen Seiten auf ihn eindringen, ihn umhüllen und gänzlich zu Tode drücken. Um sich seelisch von dieser Naturangst zu befreien, redete er sich vor, der liebe Gott könne so etwas Schreckliches, solche absolute Leere nicht gewollt haben, sondern habe irgendwie einen Ausgleich dafür geschaffen, etwa indem er im Sande Gold oder Edelsteine verborgen habe. Diese kindfromme Vorstellung setzte sich in des Bahnmeisters Strauch Kopfe immer fester und erfüllte ihn bald so gänzlich, daß er überzeugt war, er habe nur noch zu suchen, denn die Schätze seien unbedingt da. Um sich über das Sachliche solcher ihm völlig neuer Dinge zu unterrichten, wußte er sich ein Büchlein zu verschaffen, um (er war doch ein Deutscher) erst einmal nachzulesen, was ein [226] Prospektor wissen muß. Er wurde von seiner Idee immer mehr besessen und besorgte sich sogar schon amtliche Schürfscheine, um ja nichts zu versäumen, wenn der große Tag kommen würde und müßte. Auch seinen schwarzen und gelben Streckenarbeitern befahl er, auf hübsche Steine achtzugeben.

Und wirklich, eines schönen Tages im April 1908 kam der Kapneger Levita angelaufen, hielt seine rotgraue Handfläche hin und rief: "Master, ek denk, dit moet en Demant wees." Er hatte das Steinchen dicht neben der Bahn und ganz nahe dem Rastplatze der Ochsenwagen gefunden.

Daraufhin dankte Strauch seinem Gotte und schlug an der Stelle, die unweit der Kolmanskuppe lag, eilig seinen Schürfpfahl ein. Das war am 14. April des Jahres 1908.

Nun muß man aber nicht glauben, daß jetzt ein fieberhaftes Rennen nach den Diamantfeldern anhub, durchaus nicht. Zuerst einmal glaubte niemand daran. Erst nach vollen zwei Monaten setzte das Wettrennen ein, und die Schürfscheine kletterten im Werte auf das Hundertfache. Die Suche war furchtbar mühsam, denn die Diamanten fanden sich in dem z. T. ziemlich harten, sandigen Kieselbelag der Wüste verstreut oder eingebacken. Die diamantführenden Sande und Kiese liegen, was man anfangs nicht wußte, in Streifen, die zur Küste parallel laufen, zwischen 10 m und 100 m Breite schwanken und ganz verschieden lang sind. An manchen Stellen lagen die Diamanten so dicht, daß der glückliche Finder sie nur zusammenzufegen brauchte, an anderen waren sie sehr spärlich oder fehlten ganz. Man hat die Lagerstätten vom 26. bis zum 28. Breitenkreise, also über eine Länge von mehr als 200 km, freilich mit mancher Unterbrechung durch Dünen, verfolgt. Im Gegensatze zu Südafrika sind die südwester Diamanten nicht an Blaugrund gebunden. Die Ausbeute in der wasserlosen Wüste wurde anfangs von einzelnen Suchern vorgenommen – unter denen übrigens keineswegs ein kalifornisch-wildes Leben mit Saufen und Totschlagen anhub – ging aber allmählich meist in die Hand geldkräftiger Gesellschaften über. Die Arbeit [227] fand so statt, daß man den Wüstensand in ein Handsieb warf und dieses unter Wasser so lange schüttelte, bis die schweren Steine sich am Boden zusammengefunden hatten. Jetzt wurde das Sieb umgekippt, und man konnte die Edelsteine mit der Pinzette herauspicken. Die gefundenen Steine zeichneten sich nicht durch Größe, wohl aber durch vorzügliche Klarheit und leichte Schleifbarkeit aus. Die mittlere Größe hielt sich zwischen einem viertel und zwei Karat, größere waren selten. Die jährliche Ausbeute stieg schnell in die Millionen.

Dies Diamantenland ist das gleiche Gebiet, das der deutsche Kaufmann Adolf Lüderitz im Jahre 1883 von dem Hottentottenhäuptling Joseph Frederichs für den Preis von 2000 Mark und 60 Gewehren kaufte, da er hier eine Siedlungskolonie für deutsche Auswanderer gründen wollte. Zwei Jahre darauf war Lüderitz, nachdem er 920 000 Mark, eine sein eigenes Vermögen übersteigende Summe, in den Wüstensand von Südwestafrika gesteckt hatte, so weit, daß er verkaufen mußte. Mit Hängen und Würgen bekam er 300 000 Mark heraus, die er an seine Verwandten für ihre Darlehen zurückzuzahlen hatte. Und er ahnte nicht, daß sein Besitz einen Milliardenwert darstellte! Im Jahre 1886 suchte er im Hochlande des Innern nach Kupfererzen, die sich aber nicht finden ließen, und ist dann auf einer gefährlichen Bootfahrt entlang der Küste dort umgekommen, wo zweiundzwanzig Jahre später andere, die seinen Unternehmungssinn und Opfermut nicht gehabt hatten, reiche Beute ernteten. Dies war das Schicksal des ersten deutschen Kolonialgründers.

 
Der Lebensweg eines Kaufmannes

Nicht nur der Gelehrte, nicht nur der Abenteurer, nicht nur der Offizier hat eine Rolle bei der Aufschließung Afrikas und bei der Vorbereitung unserer Kolonien gespielt, nein, auch der Kaufmann fehlt nicht in dieser Reihe, ja, um es gleich von Anfang an klar zu sagen, er hat sogar den tatsächlichen Anstoß gegeben – nicht allein zur Gründung von Deutsch-Südwestafrika, nein, sogar zu dem bedeutungsvollen und weltgeschichtlichen Schritte, [228] daß Deutschland überhaupt in die Reihe der Kolonialmächte eintrat. Gewiß war es ein ganz persönlicher Zufall, daß der schon achtundvierzigjährige Bremische Tabakhändler Lüderitz auf die Idee kam oder besser gebracht wurde, an der wegen ihrer Wüstenhaftigkeit noch von keiner Macht besetzten Küste von Südwestafrika Land zu erwerben, um dort – wie groß war doch seine Unkenntnis des Gebietes – eine deutsche Siedlungskolonie anzulegen. Aber es war sein Glückstreffer, daß sein privater Wunsch zeitlich mit dem Verlangen des jungen Reiches und des geeinten Volkes nach neuem Raum in der Welt zusammentraf und ihn so zum Mundwalte allgemeiner Wünschbarkeit erhob. Ja, der Glückstreffer ging noch weiter, indem Bismarck grade in jener Zeit von 1883 und 84 einer ausnehmend günstigen politischen Lage gegenüberstand, da England, die einzige Gefahr im Süden und in der Mitte Afrikas, mit Frankreich und Rußland in so ernste Schwierigkeiten geriet, daß es, um sich die Gunst des Reiches zu erhalten, dessen kolonialen Wünschen nicht allzu stark entgegentreten durfte. Gewiß war Lüderitz nur Anreger dafür, daß Bismarck damals in die Kolonialpolitik eintrat, und Bismarck selber war es, der diesen gefährlichen Schritt vorsichtig und fest durchführte, aber Lüderitz ist nun doch der erste gewesen, und dies wird sein Ruhm bleiben immerdar. Er war es, der mit seiner wagemutigen Tat des Ankaufes von Land um Angra Pequena anderen Kolonialpionieren die Gasse brach – ein zweiter Winkelried, denn wahrlich, er hat sich die Speere dabei in die eigene Brust gebohrt und mit seinem Vermögen, ja sehr bald mit seinem Leben gezahlt. Mit Lüderitz setzte eine neue Epoche deutscher Außenpolitik ein, die nach Übersee griff, eine starke Flotte baute, schließlich mit England in Zwist geriet und hierdurch die von Bismarck so sehr gefürchtete Gefahr der europäischen Mittellage ins Ungeheure erweiterte.

So steht der einfache Kaufmann Adolf Lüderitz aus Bremen am Anfange der deutschen Übersee- und Weltgeltungspolitik. Und lange bevor diese vom Weltkriege verschlungen wurde, ward er selber von seiner eigenen Gründung verschlungen. Ohne [229] Politiker zu sein, ohne einen wirklich weitumfassenden politischen Blick zu besitzen, wurde er doch eine Persönlichkeit von weitesttragender politischer Auswirkung.

In dem Manne Lüderitz hielt – ohne daß außer Bismarck und etlichen englischen Politikern es jemand gemerkt hatte, und er selber auch nicht – in diesem Manne hielt die Weltgeschichte den Atem an. Die Götter in Walhall blickten auf die Sterblichen hinab und sannen, wem wohl die Waage des Schicksals sich zuneigen würde. Anfangs neigte sie sich Deutschland zu, dann aber blieb sie bei England – vorläufig...

Adolf Lüderitz kam am 16. Juli 1834 in Bremen als Sohn eines Tabakhändlers zur Welt. Der Vater entstammte einer niedersächsischen Offizierssippe, die Mutter, eine Schüßler, einer Lehrers- und Küsterfamilie der Niederweser und des Oldenburgischen. Der Vater, in Hannover geboren, gründete in Bremen ein Tabaksgeschäft, dem er durch Fleiß und Sparsamkeit guten Absatz im Binnenlande, ja selbst in Holland verschaffte; er wird als engherziger Pedant und jähzorniger Mensch geschildert.

Der Knabe, von vornherein für das Geschäft bestimmt, besuchte die einer Oberrealschule gleichkommende Handelsschule und lernte dann seine drei Jahre in der väterlichen Handlung. Abenteuerlustiger und weitherziger als sein Vater, fand er keinen Gefallen an den engen Verhältnissen und beschloß nach Amerika zu gehen, um sich den Wind um die Ohren wehen zu lassen. Zwanzig Jahre alt fuhr er, es war im April 1854, auf einem Segelschiff nach Neuyork, besuchte die Tabakmärkte in Virginia und Kentucky und begab sich dann über Vera Cruz nach dem Landstädtchen Colima hinter der Westküste Mexikos. Hier fand er in einem Bremischen Hause Anstellung und führte eine Weile das Leben eines jungen Auslandsdeutschen, der sich unter Farbigen als Herr fühlt und im Reiten über Stock und Stein seine Ausspannung sucht. Er hat sich dort allerhand geleistet, so wenn er einer Wette wegen in einem der beliebten Stierkämpfe als Fechter auftrat.

Das Geschäft, in dem er Arbeit gefunden hatte, hielt sich [230] aber nicht lange, sondern ging in die Brüche, so daß der junge Mann allein und verlassen im großen Lande Mexiko stand. Doch nach Hause zurückkehren, wie der verlorene Sohn mit leeren Taschen? Schon jetzt auf dem Kontorbocke hinter Debet- und Kreditfolioseiten hocken, die Kundschaft in Stadt und Land besuchen und zur Börse gehen? Um alles in der Welt nicht. Allein was tun – ein kleiner Clerk im kleinen Colima sein, ist auch nichts, was einen jungen Menschen von Tatlust und Phantasie befriedigen kann; aber da bietet sich plötzlich Gelegenheit, einen heruntergewirtschafteten Rancho draußen auf dem Lande zu pachten, nahe am Gebirge, unfern dem Urwalde, wo der Jaguar lauert und der Puma schleicht. Da züchtet man Pferde und Maultiere und Rinder, reitet im schattenden Sombrero umher, schwingt den Lasso und zielt nach ausladenden Hörnern, geht auf die Jagd und kehrt abends köstlich ermüdet auf den Rancho zurück, wo der Halbblutindianer mit erfrischenden Früchten und Getränken wartet. Das wäre ja nun alles ganz schön gewesen, aber eines Tages, während einer der üblichen Revolutionen, erschien eine starke Bande von Räubern oder Soldaten – wer konnte das noch unterscheiden – und begann zu plündern. Sie führten die Tiere fort und steckten die Gebäude in Brand. Der junge Ranchero selber setzte sich mit Büchse und Tomahawk tapfer zur Wehr, wurde aber durch eine Kugel, die ins Knie traf, umgeworfen und mußte froh sein, daß er mit dem nackten Leben davonkam. An Entschädigung war natürlich nicht zu denken, denn wo war die Macht, die einem hansischen Kaufmanne in Übersee Genugtuung hätte verschaffen können?

Jetzt also blieb wirklich nichts anderes übrig, als heimzukehren. Das war 1859, und fünf Jahre Mexiko lagen hinter dem Abenteurer, der nun ein ehrsamer Kaufmann zu Bremen werden sollte. Der strenge Vater war wenig erbaut von solchen Erlebnissen und ermahnte den Sohn, fortan die Nase eifrig in die Kontobücher zu stecken und die Kunden zu besuchen. So lernte Lüderitz Ostfriesland, Westfalen, Rheinland und Holland kennen; in diesem Lande ahnte er nicht, daß ihm das [231] Erlernen der holländischen Mundart ein Vierteljahrhundert später im Umgange mit Buren und Hottentotten gute Dienste leisten sollte. Geschäftsreisen, Börsengänge und Familientage waren sein Leben, und er fand sich mit der Zeit hinein, denn er war von Natur frohsinnig und verstand es, einer unangenehmen Lage immer noch die beste Seite abzugewinnen.

Wie sehr er dies verstand, zeigt seine Heirat, die er im Alter von zweiunddreißig Jahren vollzog. Seine Frau nämlich, eine geborene von Lingen aus alter Bremischer Familie, brachte ihm reiches Heiratsgut zu. Von da an durfte er sich von seinem Vater unabhängig fühlen und sich sein Leben angenehmer einrichten. Aber erst 1878, nachdem der Alte gestorben war und er das Tabaksgeschäft geerbt hatte, richtete er sich alles nach seinen Wünschen ein. Der nunmehr Vierundvierzigjährige kaufte außerhalb der Stadt ein Landgut von 200 Morgen Umfang, baute dort und führte nun ein Leben halb als Tabakhändler und halb als Gutsherr. Jetzt konnte er wieder reiten und jagen, schießen und segeln und edle Pferde züchten – ganz wie zwanzig Jahre vorher in Mexiko. Er war wieder Ranchero, wenn auch Sombrero und Lasso fehlten und wenn einem auch nicht der großkalibrige Revolver am Gürtel hing.

Lüderitz lebte als reicher Mann, unabhängig und sorglos – wie mancher mochte ihn beneiden. Und doch – dieses Leben war zu bequem, zu satt, und so etwas sollte nun noch zwanzig oder dreißig Jahre weitergehen, immer ohne Wünsche, ohne Sorgen, ohne Erregungen? Es fehlte etwas, eine große Tat, die einen kräftig aufrüttelte und zwischen die ehrbaren Handelsherren von Bremen wie ein Blitz einschlug. Diese ewige Unruhe, wer hatte denn Verständnis dafür? Die Frau war sanft und zart, eine ganz passive Natur. Die Söhne waren noch zu jung. Der Prokurist, der das Tabaksgeschäft leitete, hatte nur Sinn für sein Hauptbuch.

Ah, da kam endlich etwas Anderes, etwas Neues, wenigstens etwas. Das Bremische Handelshaus Bellois brauchte Geld für seine Faktoreien an der Goldküste und an der Sklavenküste. Das klang verheißungsvoll, das roch doch mal wieder [232] nach Abenteuer. Lüderitz beteiligte sich sofort und durfte schon 1882 die Faktorei in Lagos so gut wie sein Eigen nennen. Die Spekulation glückte derart, daß er drei kleine Segelschiffe kaufen konnte, die Tabak, Salz, Pulver, Schnaps und Eisenwaren luden und koloniale Rohstoffe dafür zurückbrachten.

Aber auch dies war für Lüderitzens unruhigen Sinn, in dessen Ahnenreihe nicht bremische Kaufherren, sondern hannoversche Offiziere spukten, noch lange nicht genug. Und da begrüßte er es denn sehr, als er 1882 Vogelsang und Timpe kennenlernte.

 
Die Erwerbung von Südwestafrika (1883/84)

Heinrich Vogelsang war ein zwanzigjähriger Kaufmannsgehilfe, er stand also in dem gleichen Alter, in dem Lüderitz damals nach Mexiko gegangen war, und dies mag ihn an seine eigene Jugend erinnert haben. Vogelsang, für sein Alter ungewöhnlich umsichtig, hatte aber schon etliche Faktoreijahre in West- und Südafrika hinter sich. Er berichtete Lüderitz, der ja durch Lagos sehr daran interessiert war, von den Handelsverhältnissen an der Westküste. Schließlich fragte Vogelsang den Älteren gradezu, ob er nicht Lust habe, ihn nach Westafrika hinauszuschicken, damit er für seine Rechnung eine gewinnbringende Faktorei anlege. Lüderitz bezeigte aber wenig Lust, denn er glaubte an einer Faktorei genug zu haben.

Zur selben Zelt, also ebenfalls im Jahre 1882, machte Lüderitz noch eine zweite Bekanntschaft, nämlich die des Kapitäns Karl Timpe. Der war als Schiffer an der Westküste gefahren und lag augenblicklich schwer auf Legerwall, ohne daß sich Aussicht auf ein neues Kommando bot. Auch Timpe hatte einen Vorschlag vorzubringen, den nämlich, daß Lüderitz eine schmücke Brigg kaufen und ihn mit ihr an die Küste von Südwestafrika senden solle, damit er von den Wilden Landesprodukte gegen billige europäische Waren eintauschen könne. Das Land sei dort ja sehr trocken, aber durch Mitnahme von Bier und Genever lasse sich diesem Übelstande befriedigend abhelfen, meinte der Seemann listig blinzelnd.

[233] Es erhob sich nun ein Streit zwischen Timpe und Vogelsang, indem Timpe für Südwest war, das Vogelsang aber als öde Wüste ablehnte, während Vogelsang selber sich für den tropischen Teil der Westküste aussprach, der unendlich viel lohnender sei. Lüderitz saß dabei, rauchte seine Zigarre, amüsierte sich, wie beide sich die Köpfe heiß redeten, und wurde gar nicht recht gewahr, daß er innerlich schon ebensosehr danach lechzte, etwas zu leisten. Eines Tages aber fiel die Entscheidung. Lüderitz nämlich entfaltete die neueste Karte von Afrika, die er soeben gekauft hatte, und alle drei steckten ihre Köpfe darüber zusammen. Plötzlich wurde es Lüderitz bewußt – er muß wohl keine große Kartenkenntnis gehabt haben – daß an der Südwestküste noch keine Farbe verzeichnet war, die auf Besitznahme durch einen europäischen Staat hindeutete. Und da blitzte die Eingebung in ihm auf: hier müßtest du eine deutsche Kolonie gründen, damit der jährlich wachsende Auswandererstorm deines Volkes nicht auf fremdem Boden verlorengeht! Eine Siedlungskolonie, nicht eine Faktorei – ein Volksunternehmen, nicht ein Geschäft.

Als er diesen Einfall lautwerden ließ, riet Vogelsang sofort davon ab und sprach sich wieder für eine Faktorei im tropischen Afrika aus, West oder Ost, wo sich glänzende Geschäfte tätigen ließen. Aber Lüderitz stand schon mitten im Weiterspinnen seiner Eingebung, sagte, daß es dort zu ungesund sei, und rief aus: "Und wenn wir eine Kolonie gründen und aus der Kolonie mal was werden sollte, will ich auch, daß der Deutsche dort leben kann." Diese Worte zündeten endlich auch in dem jungen Vogelsang, er stimmte begeistert zu und erklärte sich bereit, nach Südwestafrika zu gehen und den dortigen Häuptlingen Land abzukaufen.

Gesagt getan, wie Lüderitzens Art war. Durch das von seiner Frau eingebrachte Vermögen völlig Herr seiner Entschlüsse, kaufte er die Brigg Tilly, 260 t, belud sie mit Tauschwaren und stellte sie unter Kapitän Timpes Kommando. Im ganzen sollte dieses sein erstes eigenes Kolonialunternehmen ihn 150 000 Mark kosten. Über das genauere Ziel freilich konnten [234] die drei Männer nicht klarkommen, denn auf einer Karte standen die Buchten Walfischbai und Angra Pequena als englisch verzeichnet. Es erschien ihnen deshalb am besten, mit dem Tilly erst einmal Kapstadt anzulaufen und dort möglichst vorsichtig Erkundigungen einzuziehen, wie das neue Land beschaffen und wieweit es noch frei sei.

Da war England, das immer noch die Meere beherrschte und das Kapland besaß. Würden sich von ihm aus Schwierigkeiten ergeben? Wahrscheinlich. Deshalb setzte Lüderitz sich hin und entwarf Mitte November 1882 sein erstes Gesuch an das Auswärtige Amt in Berlin, dem in den nächsten Jahren noch so viele andere folgen sollten. Aber er war auch hier vorsichtig, sprach nicht von seiner Absicht, eine deutsche Kolonie zu gründen, sondern bat um Schutz des Reiches nur für eine anzulegende Faktorei. Das noch vorsichtigere Amt zog aber erst einmal Erkundigungen über ihn selbst ein und schwieg sich aus. Dies dauerte dem in seinem Briefwechsel an Pünktlichkeit gewöhnten Kaufmanne zu lange, und er sandte deshalb Vogelsang am 10. Dezember über London nach Kapstadt voraus, damit er, wenn Kapitän Timpe mit dem Tilly nachfolgte, schon einigermaßen mit den Verhältnissen Bescheid wisse.

Heinrich Vogelsang kam Anfang Januar 1883 in Kapstadt an, gab sich hier sehr klug als wohlhabender junger Weltenbummler aus und suchte viel Verkehr. Er erfuhr leicht, daß die ganze Küste zwischen Oranjefluß und Kunene mit Ausnahme der englischen Walfischbai niemandem gehöre und daß insbesondere auch die Bucht Angra Pequena Niemandsland sei. Er machte sofort einen Versuch, zu Lande dorthin zu gelangen, mußte aber aus Wassermangel umkehren. Er brachte weiter in Erfahrung, daß sich in Nama- und Damaraland schon seit Jahrzehnten deutsche Missionare aufhielten, daß die dortigen Handelsaussichten augenblicklich sehr schlecht seien, da die Hottentotten und Hereros sich blutig bekämpften, und schließlich, daß Elefanten und Strauße fast ausgerottet seien, so daß auch auf Elfenbein und Federn nicht zu rechnen wäre. Einige Aussichten beständen für den Handel mit Rindern sowie für Gewin- [235] nung von Kupfer, und der beste Hafen für Namaland sei die Bucht Angra Pequena, die zwar einem Hottentottenkapitän in Bethanien gehöre, aber wohl käuflich zu erwerben sein werde. Der Auskunfterteiler, ein Dr. Th. Hahn, empfahl, in den Kampf zwischen Hottentotten und Hereros einzugreifen, indem Vogelsang den ersteren durch Lieferung von Schußwaffen zum Siege verhelfe und dadurch friedliche Zustände herbeiführe. Im übrigen, meinte Hahn, seien dies alles ja recht schöne Phantasien, aber doch auch recht gefährliche Geschichten, und er rate dem jungen Weltreisenden, hübsch in Kapstadt zu bleiben und hier sein überflüssiges Geld in einer zu gründenden Schnapsfabrik anzulegen.

Abenteuer – Gefahr – Eingreifen in einen Krieg – grade dies reizte Heinrich Vogelsang, und er brannte darauf, möglichst bald nach Angra Pequena zu kommen. Endlich am letzten Märztage lief der Tilly in die Tafelbai ein, und Vogelsang brachte sofort eine kleine Schar junger Abenteurer an Bord, die er für sein kühnes Unternehmen gewonnen hatte, während er selber ihren Chef spielte. Außerdem ließ er Ochsenwagen, Zelte, Wasser, Mundvorrat laden. Dem neugierigen englischen Hafenkapitän gab er ein ganz anderes Reiseziel an. So jung er war, hatte er doch nicht geschwatzt, so daß keine Menschenseele in Kapstadt etwas ahnte – ganz anders als Lüderitzens zweiter Agent, der anderthalb Jahre später den gleichen Streich auf der Ostküste Südafrikas unternehmen sollte und durch seine großsprecherische Geschwätzigkeit von vornherein alles verdarb.

Am 5. April stach der Tilly wieder in See, machte einen schönen Bogen nach Süden und wandte sich dann außer Sichtweite nordwärts. Vier Tage darauf, am 9. April, ließ er in der Außenbucht von Angra Pequena Anker fallen. Vogelsang sprang als erster aus dem Boote an Land, und seine Gefährten folgten ihm mit Hurra. Dies war sozusagen die Gründung der ersten deutschen Kolonie.

Nun waren aber ein paar Engländer da. Die freuten sich anfangs über die Abwechslung in ihrer Einsamkeit, doch einer [236] von ihnen, Redford mit Namen, erhob bald Einspruch, als er sah, daß die Deutschen Zelte, Baugerät, Wagen und Wasser an Land schafften und sich häuslich einrichteten. Aber gegen die Übermacht konnte er nichts ausrichten und zog sich grollend zurück.

Vogelsang beeilte sich nunmehr, ins Innere nach Bethanien zu kommen und erbat von dort Pferde. Nach fünftägigem Ritte, der ihm die Öde und Leere des Landes zeigte, traf er oben ein, nahm in der deutschen Mission Quartier und begann sofort unter Mithilfe eines mitgenommenen Buren, mit dem Hottentottenkapitän Joseph Fredericks zu verhandeln. Und schon am nächsten Tage, dem 1. Mai des Jahres 1883, hatte Vogelsang den unterschriebenen Kaufvertrag in Händen, nach dem die Bucht Angra Pequena nebst fünf Meilen Land im Umkreise seinem Herrn Adolf Lüderitz, Kaufmann in Bremen, zu erb und eigen gehörte, wofür er dem Joseph Fredericks in Bethanien 100 £ und 60 Gewehre zu zahlen hatte. Alles war über Erwarten leicht gegangen.

Am 21. Mai tauchte Vogelsang in Angra Pequena wieder auf und hißte noch am selben Nachmittage an hohem Mast unter begeisterten Hurrarufen seiner Mannen die deutsche Flagge, die zum ersten Male über deutscher Erde in Afrika im Winde knatterte. Die jungen Leute waren überzeugt, daß ihre Firma jetzt der Vertreter des Reiches in Südwest sei, und blieben sich der Wichtigkeit ihres Tuns vollkommen bewußt. Waren sie es doch, welche soeben die erste deutsche Kolonie gegründet hatten.

Am 15. Juni 1883 empfing Lüderitz in Bremen ein Kabel Vogelsangs aus Kapstadt: "Land von Chief gekauft gegen einmalige Zahlung."

Jetzt fühlte Lüderitz sich im Sattel und beeilte sich, den Schutz des Reiches für seine Erwerbung zu erlangen. Er hatte schon im Januar persönlich im Auswärtigen Amte vorgesprochen, hatte aber nur eine ganz allgemein gehaltene Zusage auf Reichsschutz erhalten, auf die schließlich jeder Deutsche im Auslande Anspruch hatte. Gleichzeitig ließ Bismarck dem [237] Foreign Office mitteilen, daß das Reich dem Kaufmanne Lüderitz in der üblichen Weise seinen Schutz gewähre und gleichzeitig Aufklärung über Lüderitzens Pläne gäbe für den Fall, daß England jetzt, entgegen früheren Angaben, Hoheitsrechte über jene Gegenden beanspruche. Deutschland hege keine überseeischen Pläne und habe nicht die Absicht, sich in ältere britische Belange in Südafrika einzumischen, ja es sehe es sogar gern, wenn England dortigen deutschen Ansiedlern Schutz gewähren würde. Das Reich behalte sich diesen Schutz selber vor, falls die Ansiedlungen Deutscher außerhalb des britischen oder eines anderen Einflusses lägen. Das Foreign Office gab eine dilatorische Antwort und glaubte wohl, sich damit alle Türen offenzuhalten.

Nun aber erschien Lüderitz im August mit seinem vollzogenen Kaufvertrage im Auswärtigen Amte, wozu er ausführte, er wolle sein Gebiet durch neue Ankäufe noch erweitern und wirtschaftlich aufschließen, außerdem wolle er ein paar Engländer, die sich als Besitzer der Guano- und Robbeninseln gebärdeten, dort verdrängen, denn der Hottentottenkapitän von Bethanien bestreite ihnen jedes Recht dazu. Er wurde aber dahin belehrt und verwarnt, er könne aus seinem Landkaufe keine Hoheitsrechte ableiten und dürfe sein Gebiet nicht als Teil des Reiches betrachten, wie ein voreiliger Artikel der Weserzeitung soeben noch ausgeführt habe. Von einer Kolonie wolle das Amt überhaupt nichts wissen.

Dies war ein recht kalter Wasserstrahl auf Lüderitzens optimistische Erwartungen. Aber die Angelegenheit war namentlich durch den Artikel der angesehenen Weserzeitung in Fluß gekommen. Bismarck ließ bekanntgeben, daß das Reich dem Kaufmanne Lüderitz Schutz gewähre, soweit er nicht in ältere fremde Rechte eingreife. Gleichzeitig ließ er ebenso vorsichtig wie geschickt durch einen Artikel der offiziösen Post die öffentliche Meinung Deutschlands abtasten und erfuhr, daß Lüderitzens Unternehmen schon eine starke Kolonialbegeisterung entfacht hatte. Damit hatte Bismarck den Klangboden gefunden, der ihm bisher, namentlich im Reichstage, bei der Linken [238] und beim Zentrum gefehlt hatte, und in dessen Ermangelung er bislang jede koloniale Unternehmung abgelehnt hatte. Er sah jetzt die Bahn für koloniale Politik frei, um so mehr als die politische Lage sich grade damals für das Reich günstig, für England aber ungünstig gestaltete. Mit Frankreich stand England wegen der ägyptischen Staatsschulden und wegen des Kongostaates auf gespanntem Fuße und hatte am Nil durch den Mahdiaufstand wachsende Schwierigkeiten; Rußlands Vorrücken in Turan und gegen die Grenzen von Afghanistan beobachtete es mit nicht geringer Beklemmung, da die Richtung auf Indien gar zu klar angedeutet wurde; schließlich drohte nicht nur eine Erneuerung des Dreikaiserbündnisses zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Rußland, sondern auch eine Annäherung Frankreichs an Deutschland. Das war eine Lage, wie sie sich Bismarcks klugem Handeln lange nicht geboten hatte, und wenn einer, so war er der rechte Mann, eine solche Gunst energisch wahrzunehmen.

Verstimmt durch einige Erfahrungen über Englands Mangel an gutem Willen, dem Reiche in Überseeangelegenheiten entgegenzukommen – es handelte sich vor allem um jahrelange Verschleppung von Beschwerden deutscher Kaufleute in Fidschi – drängte Bismarck jetzt auf eine klare Stellungnahme des Foreign Office in der Angelegenheit Lüderitz. Er hielt dafür, daß durch die Tatsache, daß England von Bismarcks mittelbarer Einladung, die Südwestküste sich einzuverleiben, keinen Gebrauch gemacht hatte, sowie durch die andere, daß Lüderitz seinen Besitz durch Kauf inzwischen ganz bedeutend erweitert hatte – daß also im Spätsommer 1883 eine neue Lage entstanden sei. Hierzu kam, daß der sehr tätige und kolonialfreundliche Geheimrat von Kusserow in dieser Zeit die handelspolitische Abteilung des Auswärtigen Amtes übernommen hatte, der sofort die Kolonialpolitik des Reiches vorwärtstrieb und Bismarck mit zahlreichen Ausarbeitungen und Vorschlägen zusetzte.

Am 6. September wiederholte das Reich in London seine bisher nicht beantwortete Frage, ob England die Oberhoheit [239] über Angra Pequena beanspruche und, wenn ja, worauf ein solcher Anspruch sich gründe. Auch diesmal wurde die Antwort verschleppt und traf erst Ende November in Berlin ein. Aber dafür ließ sie an Unverfrorenheit nichts zu wünschen übrig. Das Foreign Office erklärte nämlich, die englische Oberhoheit sei zwar nur über Walfischbai und die der Bucht Pequena vorgelagerten Inseln erklärt worden, aber trotzdem sei die englische Regierung der Ansicht, daß Ansprüche irgendwelcher Macht auf die Küste zwischen dem englischen Kaplande und Portugiesisch-Angola in ihre Rechte eingreifen würden. Trotzdem habe sie gegen die Teilnahme deutscher Kaufleute an der Besiedlung von Angra Pequena nichts einzuwenden.

Diese Erwiderung brachte Bismarck in Harnisch. Solche Kaltschnäuzigkeit durfte das Reich sich nicht bieten lassen. Darauf konnte es nur durch Erklärung seines Schutzes über Lüderitzens Erwerbungen antworten. Die deutsche Gegenfrage in London ging denn auch dahin, mit welchem Rechte die englische Regierung ein Protektorat über Südwestafrika behaupte und welche Vorkehrungen sie getroffen habe, den dort weilenden Deutschen Rechtsschutz zu gewähren. Auch diese Anfrage blieb monatelang unbeantwortet, da der englische Kolonialminister die Kapregierung zur sofortigen Einverleibung der ganzen Küste Südwestafrikas zu veranlassen suchte.

Inzwischen war Lüderitz selber nach Angra Pequena gereist, um sich Vogelsangs Erwerbungen anzusehen, die dieser am 25. August 1883 auf das ganze Gebiet zwischen Oranjefluß und 26° Südbreite mit einer Tiefe von 150 km erweitert hatte – dies war schon ein Besitz etwa von der Größe Bayerns. Er fuhr im September 1883 über London nach Kapstadt, wo er hörte, daß ein Engländer Spence die Küsteninseln und sogar Teile der von Lüderitz gekauften Küste beanspruche und gegen Lüderitzens Anspruch in Kapstadt und in Berlin Beschwerde eingelegt habe.

Lüderitz suchte sofort den Gouverneur der Kapkolonie auf. Dieser erklärte ihm, ein englischer Kapitän habe 1864 von elf Küsteninseln für England Besitz ergriffen, und die Kap- [240] regierung habe sie an die englische Firma de Passy, Spence & Co. verpachtet. Auf Lüderitzens Frage, von wem denn jener Kapitän die Inseln gekauft habe, erhielt er die Antwort, von niemandem, denn sie seien Nobody's Land gewesen.

Der deutsche Konsul in Kapstadt, ein sehr englandfreundlicher Herr, gab Lüderitz den Rat, dem Mr. Spence doch einfach seine Ansprüche abzukaufen. Lüderitz aber lehnte dies ab, da er sich in seinem Recht fühlte und da auch Joseph Fredericks Spences Ansprüche bestritt – vielleicht war dies nicht klug, denn die Guano- und Robbeninseln wären schließlich das einzige gewesen, das ihm Einnahmen gesichert hätte.

Jetzt fuhr Lüderitz auf einem kleinen englischen Dampfer nach Angra Pequena und langte dort am 11. Oktober an. Als der Dampfer auch Waren für englische Rechnung löschen wollte, da verbot dies Lüderitz so lange, als ihm nicht Zoll gezahlt worden wäre; auch einem etwas später eintreffenden englischen Dampfer ging es so; ja Lüderitz drohte sogar zu feuern, denn er fühlte sich als Souverän eines Landes. Auch ließ er den Flaggenmast des Mr. Spence umhauen. Jetzt schickte die Kapregierung ein Kanonenboot nach Angra Pequena, doch begnügte dieses sich mit einem (recht freundlich gehaltenen) Proteste – anscheinend nahm sein Kommandant, den Lüderitz nebst seinen Offizieren und Kadetten zum Essen eingeladen hatte, die ganze Angelegenheit mehr von der erheiternden Seite – Lüderitz gegen Großbritannien und Irland! Sogar einen schriftlichen Protest Lüderitzens an die Kapregierung nahm das Kanonenboot mit.

Nachdem er sich derart in seiner Bucht behauptet hatte, fuhr Lüderitz im Ochsenwagen ins Hochland nach Bethanien hinauf. In diesen vierzehn Tagen mühseliger Wanderung lernte er sein Reich kennen, und er scheint davon nicht erfreut gewesen zu sein, denn es wurde ihm klar, daß hier von einer deutschen Siedlungskolonie keine Rede sein konnte. Damals schon mag in ihm der Gedanke aufgekeimt sein, in einer ganz anderen Ecke Afrikas neues Land zu kaufen. Mit den Hottentottenhäuptlingen kam er leicht zurecht, ja sie baten ihn sogar, [241] in Bethanien einen Kaufladen anzulegen, und schenkten ihm sieben Morgen Land, damit er durch einen Sachverständigen die Eingeborenen im Landbau unterrichten lasse. Besonders befriedigte Lüderitz die Erklärung des Kapitäns Joseph Fredericks, daß er dem Engländer Spence niemals Land verkauft, sondern ihm nur gewisse Nutzungsrechte überlassen habe, die nunmehr durch den förmlichen Verkauf an Lüderitz ihr Ende gefunden hätten. Nach diesen Aussagen behielt Spence bis 1904 lediglich das Recht, am Naubberge Kupfererz zu brechen und über die Angra- oder Pomonabucht zu verschiffen.

Alles in allem kehrte Lüderitz in guter Stimmung nach seiner Bucht zurück, stolz im Bewußtsein, unabhängiger Herr eines so riesigen Landes zu sein. Auf den Gipfel aber stieg [242] seine Freude, als er sehr bald das deutsche Kriegsschiff Nautilus einlaufen und ankern sah. Auf der Diazspitze, wo Bartolomeu Diaz 1486 seinen Gedenkstein gesetzt hatte, errichtete jetzt Lüderitz ein mächtiges, schwarzgeteertes Holzkreuz, an dem auf einer Zinkplatte die Worte standen: Errichtet von F. A. E. Lüderitz auf Diaz-Point.

Nach Kapstadt abgefahren, suchte Lüderitz wiederum den Gouverneur der Kapkolonie auf, wurde aber nur von dessen Sekretär empfangen. Dieser teilte ihm mit, es hätten sich jetzt Dokumente gefunden, daß nicht allein die Küsteninseln, sondern daß auch die Bucht Angra Pequena schon seit längerer Zeit englischer Besitz sei. Auf seine Frage, wann England die Bucht gekauft habe, antwortete der Sekretär, man habe sie nicht gekauft, denn die Hottentotten seien Wilde, weshalb das Land von jeder Macht in Besitz hätte genommen werden können. Der Deutsche empfahl sich mit der ausgesprochenen Absicht, er werde an Bismarck berichten, der es schon herausbekommen werde, mit welchem Rechte England das von ihm, Lüderitz, rechtmäßig gekaufte Gebiet beanspruchen dürfe.

Der Zweikampf Lüderitz–England nahm jetzt schroffere Formen an, und ohne Bismarck als Sekundanten würde Lüderitz natürlich zweiter Sieger geblieben sein.

Mitte März 1884 stellte er sich im Auswärtigen Amte zu Berlin ein und legte Kusserow seine Ansichten und Wünsche dar. Zu seiner freudigen Überraschung erfuhr er, daß die Reichsregierung jetzt kolonialen Plänen näher getreten sei und den Wunsch habe, er möge auch noch die ganze Küste von 26° Südbreite nordwärts bis zur portugiesischen Grenze in einer Tiefe von 150 km ankaufen. Zum Zwecke der Flaggenhissung in Westafrika habe das Amt schon einen Reichskommissar bestimmt, der dann auch nach Südwestafrika gehen solle. Nunmehr machte Lüderitz, nach vorhergehender Beratung mit Kusserow, eine große Eingabe, in der er nochmals um Reichsschutz bat und seine Wünsche im einzelnen darlegte.

Bismarck war jetzt, nachdem das Foreign Office ihn drei Monate lang hatte warten lassen, entschlossen zu handeln und [243] den Schutz des Reiches durch den Reichskommissar Dr. Nachtigal an Ort und Stelle unter Hissung der Flagge aussprechen zu lassen. Was Lüderitzens besondere Angelegenheit anging, so empfing Bismarck den Kaufmann am 19. April 1884 und versicherte ihn des ausgedehntesten Schutzes des Reiches. Er sagte: "Man muß der englischen Bulldogge gelegentlich die Peitsche zeigen; sie knurrt wohl, aber sie beißt nicht." Dann stellte er ihm für Juni den Besuch der Möwe mit Nachtigal in Aussicht und fragte lächelnd, wer nun eigentlich Souverän von Südwestafrika sein solle: Lüderitz I. oder Kaiser Wilhelm I. oder der König von Bethanien? Dann tranken beide ein Spatenbräu auf das Gedeihen des neuen Gebietes.

Lüderitz kehrte in gehobenster Stimmung nach Bremen zurück. Alle Sorgen zerstreuten sich, und alle Unkosten würden sich verzinsen. Er sah sich als eine Art souveräner Lehensträger des Kaisers an.

Am 24. April 1884 – dies ist der denkwürdige Tag von Deutschlands Eintritt in die Kolonialpolitik – erging an den deutschen Konsul in Kapstadt folgende Drahtung des Auswärtigen Amtes: "Nach Mitteilung des Herrn Lüderitz zweifeln die Kolonialbehörden, ob seine Erwerbungen nördlich des Oranje auf deutschen Schutz Anspruch haben, Sie wollen amtlich erklären, daß er und seine Niederlassungen unter dem Schutze des Reiches stehen." Gleichzeitig wurde das Foreign Office zu London im selben Sinne verständigt.

Sonderbarerweise fand die Drahtung weder in Kapstadt noch in London ernstliche Beachtung, soweit waren die Engländer von dem Gedanken entfernt, Deutschland könne jemals Kolonien erwerben wollen. Der bekannt englandfreundliche Konsul in Kapstadt verweigerte Lüderitzens Vertreter jede Unterstützung, und Mr. Spence verlangte in der Presse schleunige Inbesitznahme der ganzen Südwestküste. Und der Kolonialminister in London schwieg das Telegramm amtlich tot.

Bismarck selber unternahm vorläufig nichts weiter, denn er wollte Zeit gewinnen, bis Reichskommissar Dr. Nachtigal erst einmal in Westafrika eingetroffen und zum Handeln, d. h. [244] zum Hissen der Flagge, gelangt war. Innerlich aber fühlte er sich in seinem Nationalstolze durch Englands verächtliches Verhalten tief gekränkt. Als im Anfang Juni bekannt wurde, daß die Kapregierung die Absicht habe, die Südwestküste vom Oranje bis zur Walfischbai als englisches Hoheitsgebiet zu erklären, da ließ er dem Foreign Office vertraulich mitteilen, das Reich sei nicht in der Lage, eine solche Besitzergreifung anzuerkennen und bestreite das Recht zu ihr. Diese wortkarge Mitteilung erregte in London große Bestürzung, ja der Außenminister gestand am 17. Juni zu, daß in der Angelegenheit nichts weiter unternommen werden solle. Er sah ein, daß die örtlichen Belange der Kapkolonie hinter den größeren des Britischen Reiches in seinem Verhältnisse zu Deutschland zurückstehen mußten. Vorläufig freilich fügte sich die Kapregierung noch nicht den Wünschen des Foreign Office, vielmehr meldete ihr Gouverneur am 23. Juli dem Kolonialminister in London die Einverleibung der ganzen Küste nördlich von Walfischbai. Daraufhin ließ Bismarck den deutschen Kriegsschiffen Wolf, Leipzig und Elisabeth den Befehl zugehen, an allen Punkten der Küste nördlich von Angra Pequena, wo nicht die englische Flagge wehe, die deutsche zu hissen.

Für Bismarck war es vorläufig nur noch ein ungelöstes Problem, in welchem Rechtsverhältnisse die neuen Gebiete zum Reiche stehen sollten. Er war dafür, daß sie im Besitze von Privatleuten oder noch besser Gesellschaften blieben und daß das Reich diesen nur seinen Schutz gegenüber anderen Mächten gewähre. Es leitete ihn dabei die Absicht, dem Reiche Unkosten für Verwaltung und Militär zu ersparen, und er dachte an die Vorbilder jener großen Handelsgesellschaften, die im 17. und 18. Jahrhundert besonders bei der Erschließung Indiens eine so wichtige Rolle gespielt hatten. Er dachte sogar an ein Syndikat aller in den drei geplanten westafrikanischen Schutzgebieten beteiligten Handelsunternehmen, mit dem allein dann die Reichsregierung zu tun hätte. Diesen Gedanken lehnten jedoch sowohl der in Kamerun beanteiligte Reeder Woermann wie auch Lüderitz ab.

[245] Vor allem aber kam es erst einmal darauf an, möglichst schnell zu handeln. Während jene drei Schiffe durch den Atlant fuhren, verlebte Lüderitz Wochen schrecklichster Unruhe. Er hatte im Mai eine Expedition zur Erwerbung der zwischen Walfischbai und der portugiesischen Grenze gelegenen Küste ausgesandt und mußte befürchten, daß alle Opfer umsonst gebracht waren, wenn englische Schiffe den deutschen zuvorkamen; hatte doch Bismarck ihm gesagt, daß er für solchen Fall auf Reichsschutz nicht zu rechnen habe. Aber alle Sorge stellte sich als überholt heraus, denn am 7. August 1884 hatten Leipzig und Elisabeth in Angra Pequena zum ersten Male die deutsche Kriegsflagge gehißt und mit einundzwanzig Kanonenschüssen begrüßt. Wolf hißte dann die Flagge an der ganzen Küste Südwestafrikas zwischen Sandwichhafen und der portugiesischen Grenze.

Anfang September war die deutsche Besitzergreifung von Südwest aller Welt bekannt geworden, und England nahm die vollzogene Tatsache schweigend hin, denn es konnte es sich damals nicht leisten, die ohnehin etwas gespannten Beziehungen zum Deutschen Reiche noch weiter zu belasten. Am 22. September erkannte es das deutsche Schutzgebiet Südwestafrika an.

Adolf Lüderitz, Kaufmann zu Bremen und Herr von Südwestafrika, war mit einem Schlage einer der volkstümlichsten Männer Deutschlands geworden; die Presse feierte ihn in schwungvollen Aufsätzen, die ganze Welt kannte seinen Namen. Bitternis in den Wein schüttete nur die Linkspresse, die nach ihrer materialistischen Art behauptete, daß in jenem Sandloche nichts zu holen sei. Ein gutes Wort sprach Carl Alexander von Weimar, als er Lüderitz bei einer Wagenfahrt rechts zu sitzen nötigte: "Sie haben mehr Land als ich, und wenn von mir niemand mehr spricht, so werden Sie in der Geschichte Deutschlands als großer Mann dastehen, und Ihnen werden Denkmäler gesetzt."

[246]
Scheitern in Südost und Südwest

Adolf Lüderitz stand, fünfzig Jahre alt, auf dem Gipfel seiner Erfolge. Er hatte im zufälligen Erhaschen einer ausnehmend günstigen politischen Lage ein Stück Erde in seinen Besitz gebracht, mit dessen Größe verglichen das angelegte Geld lächerlich klein war. Aber wie stand es mit der Ertragsfähigkeit? Würde die öde Wüste die für einen Privaten ja doch ungeheuren Opfer jemals lohnen? Sollten die Linksparteien doch recht behalten? Jedenfalls war es Lüderitz schon im Winter 1883 auf 84 bei seiner Reise klargeworden, daß Südwest sich nicht als Siedlungskolonie großer deutscher Auswanderermengen eignete. Deshalb richtete er seinen Blick noch anderswohin, und zwar auf das Sululand und die an dessen Küste liegende Bai Santa Lucia, auf welche ihn ein Mann namens Einwald Anfang 1884 aufmerksam machte. Dies war durchaus keine neue Idee mehr, denn schon 1875 hatte der Afrikareisende E. von Weber dem Auswärtigen Amte in einer Denkschrift den Vorschlag gemacht, die Delagoabai zu besetzen, eine Bahn nach Pretoria zu bauen und die deutsche Auswanderung in die zukunftsreiche Burenrepublik Transvaal zu lenken. Nachdem dies abgelehnt worden war, trat Weber in seinem 1878 erschienenen Werke Vier Jahre in Afrika öffentlich dafür ein, Deutschland solle an der West- und Ostküste Afrikas einige Buchten in Besitz nehmen, um von ihnen aus allmählich in das Innere einzudringen. Aber Südafrika hatte durch die 1870 erfolgte Entdeckung von Gold- und Diamantengruben für England eine viel größere Bedeutung erlangt, als es vorher besessen hatte, wo es kaum mehr als ein Stützpunkt auf dem Seewege nach Indien gewesen war. Es war England klargeworden, daß es in Südafrika, wo es ohnehin die beiden Burenfreistaaten gegen sich hatte, unter keinen Umständen einen europäischen Wettbewerber zulassen dürfe. Und schon seit 1872 erschienen in der südafrikanischen Presse immer wieder Warnungen vor dem jungen Deutschen Reiche und dem deutschen Militarismus, die auch auf viele Buren nicht ohne Eindruck blieben. Als nun Deutschland die Südwestküste zu seinem [247] Schutzgebiet erklärt hatte, marschierte England, von Cecil Rhodes angetrieben, Ende 1884 in das Betschuanaland ein, um die neue deutsche Kolonie von dem Burenfreistaate Transvaal abzusperren, und im folgenden Jahre erklärte es sogar die öde Kalahari als seinen Besitz.

Zu Beginn des Jahres 1884 begann Adolf Lüderitz, der junge Souverän von Angra Pequena, seine Aufmerksamkeit der Ostküste Südafrikas zuzuwenden. Der Abenteurer August Einwald, ein Pfälzer und seines Zeichens Photograph, hatte sich fünf Jahre lang in Südafrika herumgetrieben und wandte sich jetzt an Lüderitz. Dieser ließ ihn nach Bremen kommen und sich seinen Plan auseinandersetzen. Einwald schlug vor, ihn zu beauftragen, das noch von keiner Macht besetzte Sululand nebst der Bai Santa Lucia sowie die Konzession für eine von hier nach Pretoria zu bauende Bahn zu kaufen. Lüderitz, der den ihm völlig fremden Mann Einwald nicht durchschaute, erteilte ihm am 21. Mai 1884 den Auftrag, mit den Suluhäuptlingen bindende Kaufverträge abzuschließen, die alle Hoheitsrechte auf Lüderitz übertrügen und eine Schutzerklärung des Reiches ermöglichen würden. Lüderitz nahm in seiner Unkenntnis an – und Einwald klärte ihn aus Unkenntnis oder Gewinnsucht auch nicht anders auf – daß Sululand Nobody's Land sei, auf welches England wie Transvaal keinerlei Anspruch hätten. Einwald erhielt 6000 Mark und wertvolle Geschenke für die Suluhäuptlinge; außerdem wurden ihm 25 000 Mark für den Fall des glücklichen Gelingens zugesichert. In seinem Optimismus und seiner Phantasie sah Lüderitz schon von der Westküste bis zur Ostküste und über Transvaal hinweg deutsches Kolonialgebiet reichen, und er ahnte nicht, daß grade der Erfolg, den er auf der Westseite des Festlandes errungen hatte, die Engländer auf der Ostseite inzwischen sehr hellhörig gemacht hatte. Noch bevor Einwald sein Ziel, das Sululand, erreichte – er nahm sich Zeit und vergaß nicht, sich allerorten seiner wichtigen Sendung zu rühmen – war das Unternehmen eigentlich schon gescheitert, denn es war England klargeworden, daß es auch auf dieser Seite den [248] Burenfreistaat Transvaal umklammern und durch Besetzung der Bai Santa Lucia vom Meere und damit von jeder Berührung mit deutschem Gebiete abschnüren müsse.

Als Einwald endlich im Herbst 1884 in Sululand eintraf, da fand er hier die politische Lage völlig anders, als sie noch im Jahre vorher gewesen war. England hatte 1879 den mächtigen Sulukönig Ketschwajo besiegt und sein Reich in dreizehn untereinander verfeindete Häuptlingschaften aufgeteilt, deren keine ihm mehr gefährlich werden konnte. Bald darauf mischten sich Buren ein und gründeten in einem Teile des Gebietes im August 1884 die Neue Republik, die zu dem einflußreichsten der Suluhäuptlinge, Dinisulu, sofort in starken Gegensatz geriet.

Einwald, Ende Juni in Durban gelandet, erkannte allmählich, daß die Lage inzwischen sehr bedrohlich geworden war, und richtete im September an das Auswärtige Amt die dringende Bitte, sofort einzugreifen und ein Kriegsschiff in die Bai Santa Lucia zu entsenden. Er glaubte jetzt, daß Lüderitz keine Aussicht mehr hätte, Land zu erwerben, da die Neue Republik und Dinisulu, jeder für sich, als Herren des Sululandes sich betrachteten, so daß für Landkäufe eines Privatmannes keine Möglichkeit mehr bestehe. Bismarck, dem Einwalds Schreiben am 10. Oktober vorgelegt wurde, verhielt sich aber durchaus ablehnend, denn es war sein Grundsatz, nur vollzogene Kauferwerbungen unter Reichsschutz zu stellen. Schon kurz vorher, am 28. September, hatte er Lüderitz, der ihm in Friedrichsruh von Einwalds Sendung sprach, leise gewarnt.

Inzwischen war Einwald in der Neuen Republik angekommen, wurde aber von deren Präsidenten abgewiesen. Jetzt ging er zu Dinisulu und traf Mitte November bei ihm ein. Dieser, von seinem Staatssekretär Schiel, einem guten Deutschen und bewährten Burenkämpfer, beraten, schenkte ihm gern Gehör; denn er sah hier einen Weg, die Buren loszuwerden und auch gegen England Schutz zu finden. Schiel aber, ein in allen Sätteln gerechter Abenteurer, der Einwald als unzuverlässigen Schwätzer durchschaute und ihm nicht glaubte, daß er Lüde- [249] ritzens Beauftragter sei, ließ von Dinisulu am 13. November 1884 die Bai Santa Lucia nebst 245 qkm Land an sich selber urkundlich übereignen und erlangte außerdem Vollmacht, die Schutzhoheit des Deutschen Reiches über Sululand herbeizuführen! Einwald erkannte dies zu seiner größten Verblüffung erst, als der Akt schon vollzogen war, doch Schiel suchte ihn zu beruhigen, indem er ihm sagte, er werde seinen Vertrag an Lüderitz abtreten. Dies wollte Schiel aber persönlich ausführen, deshalb ritt er schleunigst nach Durban, von wo Einwald eine Drahtnachricht an Lüderitz senden mußte: "Mission ended successful details orally by Schiel." Damit hatte letzterer seine Einführung in Bremen erlistet und empfahl sich zu Einwalds neuer Bestürzung mit dem nächsten Dampfer.

Lüderitz war hocherfreut, als er Einwalds Drahtung erhielt und setzte sich sofort mit dem Auswärtigen Amte um Erklärung des Schutzes für seine neue Erwerbung ins Benehmen, glaubte er doch, Bismarcks Bedenken würden durch einen unanfechtbaren Kaufvertrag ohne weiteres überwunden werden. Bismarck aber erkannte sofort, daß der Vertrag nicht unbedingt einwandfrei war, da die Rechtslage zwischen Dinisulu und der Neuen Republik als sehr ungeklärt, ja als äußerst verwickelt erschien. Aber er sagte sich, daß diese Bai Santa Lucia recht wohl als Druckmittel und Tauschgegenstand gegenüber England in Rücksicht auf Zugeständnisse desselben in Kamerun zu verwenden sei, wo englische Agenten fieberhaft arbeiteten, um den deutschen Besitz möglichst einzuengen. Er gab Ende November unverzüglich Befehl, daß der Gneisenau die Bai anlaufen und dort die Flagge hissen solle.

Aber wenige Tage später lief eine Depesche des deutschen Konsuls in Kapstadt beim Auswärtigen Amte ein, die folgenden erstaunlichen Inhalt hatte: "Einwald hier, seine Meldung an Lüderitz am 24. November falsch. Warnung vor Schiel." Daraufhin ließ Bismarck ohne weiteres den Befehl für Gneisenau rückgängig machen und jenem Konsul drahten: "Vorgehen in Sululand einstellen." So hatte Einwalds Eifersucht auf Schiel, der ihn geschickt ausgeschaltet hatte, noch [250] im letzten Augenblicke die schöne Aussicht zerstört, auf der Ostseite Südafrikas eine deutsche Kolonie zu gründen. Und für Adolf Lüderitz begann der Abstieg! Allerdings bleibt zweifelhaft, ob Gneisenau noch rechtzeitig in der Bai Santa Lucia eingetroffen wäre, denn am 18. Dezember wurde dort die britische Flagge durch ein Kriegsschiff gehißt. Einwald hatte allerorten gar zu offenherzig und großtuerisch von seiner Aufgabe geschwatzt.

Am 29. Dezember 1884 traf Schiel bei Lüderitz in Bremen ein und legte den Kaufvertrag in seine Hände. Er hörte zu seinem Erstaunen, daß Einwald doch Lüderitzens Beauftragter gewesen war, was er ihm nicht geglaubt hatte, da Einwald seine Behauptung nicht hatte beweisen können. Und zu seinem Ärger vernahm er auch von der Hissung der englischen Flagge, während er selber damals noch in der Biskaja die allerschönsten Luftschlösser gebaut hatte.

Lüderitz sandte jetzt die von Schiel empfangenen Vertragsurkunden nebst einem Bericht Schiels über den Vorgang an das Auswärtige Amt und bat um Reichsschutz, denn die Flaggenhissung der Engländer sei ungültig, da sie nicht in einem Niemandslande, sondern auf seinem eigenen, rechtskräftig gekauften Grund und Boden erfolgt sei.

Dem Fürsten Bismarck schien zwar die Rechtmäßigkeit der Erwerbung unanfechtbar zu sein, er wollte aber, ehe er weitere Schritte einleitete, über die Stellungnahme der Buren zu diesen Fragen unterrichtet sein, damit sie nicht etwa durch ein deutsches Vorgehen an Englands Seite gedrängt würden. Nur wenn Transvaal zustimmte, gedachte er die Schutzerklärung über Sululand auszusprechen; im andern Falle wollte er Sululand lediglich als Druckmittel gegen England in Hinblick auf Zugeständnisse in Kamerun und Neuguinea verwenden.

Damit war den Buren die Entscheidung über die Zukunft Südafrikas in die Hand gegeben. Erklärten sie sich mit einer deutschen Festsetzung an der Bai Santa Lucia einverstanden, dann waren sie der englischen Umklammerung ledig, und es [251] stand ihnen hier immer ein englandfreier Hafen offen. Der Ausblick auf ein deutsch-burisches Südafrika, das den Transvaalkrieg nicht erlebt und den Weltkrieg an dieser Stelle der Erde schnell zu Deutschlands Gunsten entschieden hätte, öffnete sich einen Augenblick. Aber der Augenblick fand in den Buren ein kleines Geschlecht, das Angst vor dem angeblichen deutschen Militarismus hatte und der englischen Propaganda schon viel mehr erlegen war, als es selber ahnte. Die Transvaalburen wollten ebensowenig die deutsche wie die englische Nachbarschaft, aber sie erkannten nicht, daß die stammverwandte deutsche immer noch das kleinere Übel war. Denn die englische Flaggenhissung in Santa Lucia wurde der Anfang von Transvaals und Oranjes Ende. Der bauernschlaue Paul Krüger bildete sich ein, er könne einen Mann wie Bismarck gegen England ausspielen, um die Bai selber zu bekommen; aber damit mutete er sich zu viel zu, Bismarck einigte sich auf Krügers Kosten mit England, und Krüger selber bekam – nichts. Hatte Transvaal auf einen Vertrag vom Jahre 1840 gepocht, in dem ihm ein längst verschwundener Suluhäuptling die Bai zugesichert hatte, so wies England nach, daß jener durch den englisch-burischen Vertrag von 1884 hinfällig geworden sei, der die Grenzen Transvaals neu festlegte und Sululand nicht in sie einschloß. Jedenfalls erkannte Bismarck klar, daß von den Buren keine Unterstützung eines deutschen Vorgehens gegen England wegen der Bai zu erwarten sein würde.

Um Lüderitzens Erwerbung aber wenigstens als Austauschwert auszunutzen, ließ Bismarck in der Öffentlichkeit das mangelnde Recht Englands auf das Gebiet kräftig herausstreichen und die englische Flaggenhissung wegen älterer Rechte sowohl der Buren wie Lüderitzens als voreiligen Schritt brandmarken. Lüderitz ahnte nicht, daß er schon nichts anderes mehr war als ein kleiner Bauer auf Bismarcks Schachbrett. Er war von seinem Rechte felsenfest überzeugt, aber was ist Privatrecht gegenüber der Macht der Großen!

Es entspann sich Mitte Januar 1885 ein diplomatischer Streit zwischen Auswärtigem Amt und Foreign Office, in [252] welchem Bismarck langsam von der von ihm nur vorgeschobenen Luciabai auf Kamerun und Neuguinea hinüberspielte, und schließlich kam im März ein Einvernehmen zustande, in welchem Bismarck die Bai Santa Lucia preisgab, während England in Kamerun und Neuguinea Zugeständnisse machte. Aber die Bai war für England das wichtigere, denn sie bedeutete die endgültige Abschnürung Transvaals vom offenen Meere.

Es war für Bismarck ein Übersee-Erfolg in allerletzter Stunde, denn schon kurz darauf befreite der Sturz des französischen Ministerpräsidenten Ferry durch den grimmen Clemenceau, der eine Zeit des Revanchegeschreis gegen Deutschland einleitete, die englische Regierung von der Sorge einer Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich.

Adolf Lüderitz aber, Kaufmann zu Bremen und Herr von Südwestafrika, war das Opfer der großen Politik geworden. Er hatte Gold und Hoffnung einer Schimäre geopfert. Dem Reiche freilich hatte er unbewußt einen großen Dienst erwiesen, denn Kamerun und Deutsch-Neuguinea wären ohne seinen Ankauf der Luciabai wesentlich kleiner ausgefallen, als sie fortan waren.

 
Südwestafrika

Lüderitz sah sich auf Südwestafrika zurückgeworfen und machte sich erneut daran, dessen wirtschaftliche Möglichkeiten besser zu erkennen und zu entwickeln. Das einzige freilich, was eigentlich sofort Ertrag abwarf, die Küsteninseln mit Guano und Robben, die hatte das Reich preisgegeben und als außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes liegend anerkannt.

Lüderitz schickte seit 1884 mehrere Expeditionen in das Innere, teils um Kaufverträge mit Häuptlingen abzuschließen, teils um nach nutzbaren Lagerstätten zu forschen. So ließ er dem Häuptling Piet Haibib im Sommer 1884 die Küste zwischen 22 und 26° Südbreite in 150 km Landtiefe abkaufen. Der Hererohäuptling Kamaherero von Okahandja freilich verhielt sich gegen alle Versuche ablehnend und einigte sich mit dem Leiter der Walfischbai sogar auf Annahme englischer [253] Schutzherrschaft, wobei der deutsche Missionar Hahn ihn erstaunlicherweise noch unterstützte. Dagegen verkauften die Häuptlinge von Berseba und Rehobot. Im Spätherbst 1884 kam der Reichskommissar Nachtigal, prüfte die Kaufverträge nach und veranlaßte mehrere Häuptlinge auch zur Annahme der deutschen Schutzherrschaft. Kamaherero aber verstand sich erst Ende Oktober 1885 dazu, sie anzuerkennen. Lüderitz selber kaufte 1885 noch eine ganze Anzahl von Gebieten.

Adolf Lüderitz hatte dem Reiche ein Gebiet von etwa 580 000 qkm mit 200 000 Bewohnern zugebracht und besaß selber weite Teile davon zu eigen. Aber er wurde darüber ein armer Mann. Der ursprünglich geplante Tauschhandel mit den Eingeborenen erbrachte nichts Nennenswertes, da diese durch ständige Kriege verarmt waren und da die damals noch geringwertigen deutschen Waren gegen die besseren englischen nicht aufkommen konnten. Lüderitz begann einzusehen, daß nur durch Auffindung und Abbau von nutzbaren Mineralien aus dem angelegten Kapital noch etwas herauszuholen blieb. Zu Anfang 1885 traf ihn der Schlag, daß der Tilly mit allen Waren und mit teuren Bohrmaschinen an der Küste unterging. Lüderitz begann nur noch an Erze zu denken und sandte mehrere kostspielige Expeditionen aus, die in dem Riesenlande in kürzester Zeit greifbare Erfolge hereinbringen sollten. Ein Ertrinkender schon, klammerte er sich wie an einen Strohhalm an Kupfer oder dergleichen, hatte doch auch der vielgereiste Afrikaforscher Nachtigal sofort erkannt, daß in diesem Ödlande nur Mineralschätze großen Gewinn abwerfen konnten. Und die Expeditionen kehrten allesamt ohne Ergebnis zurück!

Schon im Herbst 1884 mußte Lüderitz begreifen, daß er sein Unternehmen aus eigener Kraft nicht lange mehr würde aufrechterhalten können. Er sah sich nach Kredit um, aber welche Bank hätte ihm solchen gewährt, nachdem die Reichstagslinke nur zu oft über das unergiebige Sandloch geschimpft hatte. Bloß seine nächsten Verwandten liehen ihm 300 000 Mark. Aber das nützte alles nichts, er mußte versuchen, seinen südwestafrikanischen Besitz unter Wahrung gewisser Rechte an [254] eine Gesellschaft abzutreten. Die Diskontogesellschaft hätte wohl gekauft, aber sie wollte bedingungslose Abtretung, worauf Lüderitz nicht einging, da er wenigstens die Minenrechte seinen Kindern erhalten wollte.

Erst als englische Geldleute sich meldeten, griff das Auswärtige Amt ein und gab etlichen Finanzkreisen einen Wink. Aber diese wußten nur zu genau, in wie großen Schwierigkeiten Lüderitz schon stak, und jedermann war überzeugt, daß es sich hier um ein reines Verlustgeschäft handle. Lüderitz hatte 920 000 Mark in Südwestafrika hineingesteckt – für die Entwicklung einer großen Kolonie lächerlich wenig, für einen Privatmann zu viel. Er mußte mit seiner Forderung immer mehr heruntergehen, und schließlich mußte er sich mit der baren Zahlung von 300 000 Mark zufriedengeben, grade die Summe also, die er seinen Verwandten schuldete; hierzu kamen noch 200 000 Mark in Anteilscheinen. Käufer war die zu diesem Zwecke gegründete Südwestafrikanische Gesellschaft, deren Aktionäre sicherlich alle überzeugt waren, daß sie einem verkrachten Kaufmanne ein fettes Almosen schenkten. Das war am 4. April 1885. Etliche Wochen vorher hatte Deutschland die Luciabai preisgegeben. Lüderitz ahnte nicht, daß er ein Milliardenvermögen verschenkt hatte, und die Käufer hatten ebensowenig eine Ahnung davon, wie reich sie plötzlich geworden waren.

Ein Jahr darauf, im Mai 1886, fuhr Lüderitz ein zweites Mal nach Südwest. Er wollte im Süden, in dem Lande zwischen Angrabucht und Oranje, selber nach Lagerstätten forschen und außerdem die Nordseite des Oranje auf ihre Besiedlungsfähigkeit untersuchen sowie die Mündung des Flusses auf ihre Schiffbarkeit hin prüfen. Er war und blieb felsenfest überzeugt, daß sein ehemaliges Land eine große wirtschaftliche Zukunft haben werde, und er fühlte sich mit seinen zweiundfünfzig Jahren noch nicht zu alt, um nicht noch selber daran teilzuhaben. Sein Vermögen war schon so weit heruntergegangen, daß er sich von der Südwestafrikanischen Gesellschaft 6000 Mark leihen mußte, um die geplante Reise ausführen zu können.

Auf See schrieb er an seine Frau: "Ohne günstige Resul- [255] tate komme ich nicht zurück, und wenn ich ein Jahr lang herumreisen muß." Am 13. Juni lief sein kleiner Schoner Meta, von Kapstadt kommend, in die Angrabucht ein.

Einen Monat später brach er mit zwei Ochsenwagen sowie mit etlichen weißen und farbigen Begleitern ins Innere nach Bethanien auf. Von hier ritt er am 30. August südwärts und erreichte den Oranje Mitte September bei Nabas Drift. Am 20. September fuhr er mit drei weißen Begleitern in zwei Segeltuchbooten den Fluß abwärts, wobei sie innerhalb von siebenundzwanzig Tagen zweiundfünfzig Schnellen umgehen mußten.

Am 17. Oktober langten die vier Männer bei Aries Drift an. Sie hatten zwar das Nordufer des Oranje als zur Ansiedlung geeignet, Mineralschätze aber nicht gefunden.

In Aries Drift beschloß Lüderitz, in einem der Boote und mit nur einem Begleiter, einem ehemaligen Schiffssteuermanne namens Steingröver, den Strom bis zur Mündung hinabzufahren und dann entlang der Küste nordwärts nach Angra Pequena zu segeln. Er hatte keine Lust, viele Wochen lang der Ankunft seiner Wagen, die er in Bethanien zurückgelassen hatte, zu harren. Die anderen beiden Weißen dagegen sollten die Wagen erwarten und derweilen in der Gegend prospektieren.

Am 21. Oktober lief Lüderitzens Boot in die Mündung des Oranje ein und landete bei dem Hause eines Buren. Hier übernachteten die beiden Reisenden. Als der Bur von der Absicht hörte, in dem winzigen und gebrechlichen Boote nach Angra Pequena zu fahren, erschrak er, warnte Lüderitz ernstlich und ermahnte ihn, lieber längere Zeit auf seinen Ochsenwagen zu warten. Aber die beiden Deutschen ließen sich nicht abraten.

Am 22. Oktober trugen fünf Eingeborene das Boot an die Alexandrabucht und zu Wasser. Am nächsten Tage schoben sie frühmorgens das Boot ein Stück hinaus, hierauf ruderten Lüderitz und Steingröver es noch etwa einen Kilometer weiter, um dann das kleine Segel zu setzen. Die See war ruhig, es wehte ein leichter Südwest, Lüderitz hoffte, in zwei Tagen in der Angrabucht anzukommen.

[256] Seitdem hat man nie wieder etwas von Adolf Lüderitz gesehen noch gehört. Man weiß nur, daß am andern Tage, am 24. Oktober 1886 also, der Wind umsprang und sich schnell in einen starken Nordweststurm verwandelte, der hohe Wogenberge gegen den Strand wälzte.

Hieraus ergeben sich zwei Möglichkeiten der Erklärung von Lüderitzens Schicksal an diesem Tage. Entweder ist das Boot vollgeschlagen und gekentert, so daß die beiden Insassen den Tod in den Wellen fanden; aber der eine war Seemann von Beruf, und auch Lüderitz hatte auf der Weser viel gesegelt, so daß sie doch wohl rechtzeitig gelandet sein werden. Oder aber, und dies dünkt uns wahrscheinlicher, sie haben sich noch glücklich an die öde Küste gerettet und haben hier auf besseres Wetter gewartet oder sind zu Fuße nach Norden gewandert. Da sie nur wenig Trink- und Eßvorrat bei sich hatten, werden sie mindestens am nächsten Tage die Wanderung vorgezogen haben, denn sie mögen nur noch 100 km von der Angrabucht entfernt gewesen sein. Eine solche Strecke läßt sich im Wüstensande notfalls in zwei Tagen zurücklegen, und das hätten die beiden Männer unter furchtbarer Entbehrung – aber es dürfte ja Ende Oktober noch nicht allzu heiß gewesen sein – wohl grade noch schaffen können. Wir denken an Nachtigals Flucht aus Tibesti (S. 114). So will es uns am wahrscheinlichsten vorkommen, daß jene Erzählung, die ein deutscher Offizier 1909 von einem alten Buschmanne gehört hat, auf Lüderitz und seinen Begleiter zutrifft: daß nämlich vor Jahren einmal zwei weiße Männer an den Strand getrieben und dann von Buschmännern getötet worden seien. Ein Absuchen der Küste durch den Schoner Meta, der in alle Buchten hineinlief, blieb ergebnislos.

Es ist anzunehmen, daß der Mann, der sich als Fünfundzwanzigjähriger mit Büchse und Tomahawk gegen die mexikanischen Banden verteidigte, auch in Afrika sein Leben an Wellen oder Buschmänner teuer verkauft hat. Enttäuscht von seinen kühnen Unternehmungen, fand er in dem Lande seinen Tod, das bald den Namen Lüderitzland erhielt, grade wie Angra [257] Pequena auf Vorschlag der Deutschen Kolonialgesellschaft in Lüderitzbucht umgetauft wurde. Es wurde dem unternehmenden Manne ein Alter in Verzicht und Gram erspart, er hätte es schwer ertragen, bei Lebzeiten vergessen zu werden. Um so heller klingt sein Name in währender Zeit, da alles verloren ist, was er dem deutschen Volke gewann. Wilhelm Schüßler gab 1936 seine Lebensbeschreibung heraus.

 
Das Charakterbild

Neben den Kolonialsoldaten Hermann Wissmann ist jetzt in unserer Betrachtung der Tatmensch und Kolonialgründer Adolf Lüderitz getreten. Er ist der einzige unter den Männern dieses Buches, der in gereiftem Alter nach Afrika kam und der nur vier Jahre mit der schwarzen Sphinx rang. Er erstritt den schnellsten Sieg, aber er erlag auch am schnellsten. Lüderitz hat keine Bücher über Afrika geschrieben, denn er war ein Kaufmann, der anfangs in der Hoffnung auf bessere und interessantere Geschäfte in den westafrikanischen Handel Geld steckte, dann aber sehr bald auf eine höhere Ebene stieg, indem er seinem Volke die langersehnte Siedlungskolonie schaffen wollte. Es war wohl Schuld seiner kaufmännischen Einstellung zum Leben, daß er sich nicht rechtzeitig aus dem Schrifttum über Südwestafrika und dessen dürftige Natur unterrichtete, er würde sein Augenmerk sonst vermutlich anderswohin gerichtet haben. Aber wenn wir von diesem Fehler seiner Geistigkeit absehen, dann steht er als deutscher Mann von bestem Wollen vor uns und bleibt ewig der, welcher den Eintritt des Reiches in die Kolonialpolitik erwirkt und die erste deutsche Kolonie erworben hat. Das ist wahre Tatleistung, deren über jeden Verdacht erhabene Reinheit der Absichten er mit seinem Vermögen und bald darauf mit seinem Tode unter gültigen Beweis gestellt hat.

Adolf Lüderitz entstammte niedersächsischen Familien, von denen die väterliche Seite anscheinend mehr in der Südhaide, die mütterliche an der Niederweser wurzelte. Damit stoßen innerhalb des Gesamtrahmens manche Gegensätze in ihm aufeinander, und der Winkel der Möglichkeiten erscheint weiter [258] gespannt, als er es bei einheitlicherer Stammesprägung sein müßte. So war er äußerlich dunkler und innerlich lebhafter, als man dies von einem bremischen Kaufmanne alten Schlages erwartet; ja er war überhaupt keine eigentliche Händler-, sondern eine Heldennatur, er wagte mehr als er wägte. Diese Zwiespältigkeit seines Wesens ist ihm zum Verhängnis geworden, denn der Held in ihm grub, rein geschäftlich gesehen, dem Händler das Grab.

Adolf Lüderitz.
[zwischen S. 224 u. 225]      Adolf Lüderitz
Leider sind wir über Lüderitzens Äußeres nur wenig unterrichtet, hier versagt selbst sein trefflicher Biograph Wilhelm Schüßler, der in seinem Buche Adolf Lüderitz (Bremen 1936) auf Grund tiefschürfender Aktenstudien seinen Lebensgang und dessen Verflechtung in die große Politik so eingehend aufgedeckt hat. Lüderitz war hochgewachsen und hatte blaue Augen, doch scheint das Haar ziemlich dunkel gewesen zu sein, wohl tiefdunkelblond, auf dem Haupte etwas gelockt. Das Antlitz war schmal und hoch, seine Züge zeigten eine dem nordischen nahekommende Regelmäßigkeit, ohne doch grade nordischen Ausdruck zu haben – soweit das von Schüßler gegebene Bild ein Urteil erlaubt. Unter der großen und freien Stirn sitzt ein Gesicht, das in den hinter goldener Brille scharf und nadelspitz beobachtenden Augen verhaltene Ruhe und verborgene Bereitschaft zum Losbrechen anzuzeigen scheint. Ein eigenartiges Antlitz, das durch den prüfenden, fast stechenden Blick und durch die Ahnung einer verborgenen großen Leidenschaft auf manche Menschen einen ungewöhnlichen Eindruck gemacht haben dürfte.

Suchen wir uns in Lüderitzens Charakter zu vertiefen, so offenbart uns seine Gefühligkeit folgendes Bild. Sein Antlitz verrät, daß viel Ernst in ihm wohnte, etwas, das auf absolute Erkenntnisse drängte und sich nicht mit Nebensächlichkeiten abgab. Er hatte einen einfachen und graden Sinn, der bis zur Derbheit ging und Freude an unkomplizierter Tätigkeit fand, an der des Bauern oder Handwerkers etwa. Durchaus kein Stadt- und Kontormensch, liebte er Felder und Tiere. An solchen Dingen freute er sich in naiver Heiterkeit, wie er [259] überhaupt vieles mit Humor auffaßte. Er fand für alles den richtigen Namen und scheute sich nie, ihn auch auszusprechen. Als Carl Alexander von Weimar ihn fragte, wie eigentlich die Hottentottenweiber aussähen, da hockte Lüderitz auf dem Boden nieder und sagte: "Sehen Sie, Königliche Hoheit, bei uns ist immer noch Luft zwischen, bei den Hottentottinnen aber nicht – bis auf die Erde." Er war ein guter Gesellschafter, liebte Neckereien und belebte die langweiligen Familientage durch Vortrag eigener launiger Verse.

Auf der Grundlage dieser angeborenen Heiterkeit entwickelte sich ein nicht totzukriegender Lebensmut und ein unverwüstlicher Optimismus, eine rege Phantasie und eine ungewöhnliche Begeisterungsfähigkeit. Faßte er einen Plan, so übersprang seine Phantasie erst einmal den weiten Weg, der zum Gelingen führte, und ergötzte sich wie an einem schon glücklich zu Ende gebrachten Werke. So arbeitet das Gehirn eines Schwelgers, nicht eines nüchternen Rechners. Ohne feurige Anteilnahme seines innersten Wesen reizte ihn kein Geschäft, kein Unternehmen, wogegen die Unmöglichkeit einer genaueren Berechnung der Ertragsfähigkeit keinerlei Schrecken für ihn barg. So war er das Gegenteil eines eisig prüfenden hansischen Kaufmannes, der ein Geschäft nur mit vollkommener Nüchternheit und rein verstandesmäßig anfaßt, während es ihm anders nicht mehr als Geschäft, sondern als abenteuerliches Glücksspiel erscheint. Aber für gar zu lange Erwägungen zeigte Lüderitzens sprühendes Temperament wenig Neigung. So schnell und deshalb oft schwer verständlich wie er sprach, so hastig pflegte er zuzupacken, wenn etwas Neues ihn reizte, laut und unruhig, nicht selten unbedacht und verletzend redend, rückhaltlos alles herausschleudernd, was er meinte. Seine bremischen Landsleute, die gemessensten Kaufleute in deutschen Landen doch, dachten deshalb nicht allzu hoch von ihm und seinen afrikanischen Geschäften. Als es mit seinem Vermögen bergab ging, sprang ihm kein einziger bei, denn sie fürchteten seine kaufmännische Unbedachtheit. Aber die Meinung seiner engeren Landsleute machte Lüderitz nichts aus, darüber lachte [260] er, denn er fühlte sich als freier und unabhängiger Mann, besonders wenn er auf seinem Landgute weilte, wo er die beste Zeit seines Lebens genoß. Innere Bindungen empfand er nur gegenüber seinem Volke, das er hingebend liebte und auf dessen Größe im jungen Reich er stolz war. Diese Größe noch zu mehren, setzte er Vermögen und Leben ein.

Die Grundlagen von Lüderitzens Willenhaftigkeit waren Energie und Mut, die zur Tatlust zusammenrannen und entweder in Erfolg oder in Scheitern ausmündeten. Immer nach etwas Neuem aus, nie zufrieden mit Vorhandenem, nicht ausgefüllt von einem behaglichen Leben, dürstete Lüderitz nach Taten, nach Leistungen, mit denen andere sich nicht messen konnten. Es mußte aber Abenteuer, Gefahr dabei in Aussicht stehen, sollte ein Ziel den Offizierssproß reizen, dessen ewige Unruhe die bürgerliche Welt einer Hansestadt nicht zu befriedigen vermochte. Er war ein ländersuchender Wiking im Kaufmannsrock, der statt des Meerdrachens den Kontorbock zu besteigen verurteilt war. Daß solch eine Natur von der bescheidenen Ebene kolonialer Handelsbetätigung auf die höhere des Kolonialgründers emporstieg, mag da nicht allzu verwunderlich erscheinen. Ein Stürmer und Dränger, ein Mann, der von der Gegenwart in die Zukunft hinaus dachte, wuchs er vom Kaufmanne, der an Geldverdienen, also nur an sich selber denkt, zum Kolonialpolitiker empor, dem sein Volk immer mehr vor ihn selber tritt. Schnelle Entschlossenheit ermöglichte ihm, ja sie trieb ihn, von der Fassung einer Idee sofort an ihre Verwirklichung zu gehen, seine Beharrlichkeit ließ ihn dann nicht von dem eingeschlagenen Wege abweichen, und seine Energie war stets zum letzten Einsatze bereit. Daß sein Mut vor nichts zurückschreckte, beweist die Teilnahme des jungen Menschen an einem Stiergefecht und die Verteidigung seines Ranchos gegen mexikanische Räuberbanden; das beweist auch seine Todesfahrt an der gefährlichen Küste seines Landes, von der er sich nicht abraten ließ. Durch Einspruch oder Widerstand nur gereizt und von Gemüt aus zu Unvorsichtigkeiten geneigt, artete sein Mut leicht in Tollkühnheit aus und hörte auf keinerlei Gründe [261] der Vernunft mehr. Wenn das Auswärtige Amt ihn bei Beginn seiner beiden kolonialen Unternehmungen warnte, so bedeutete das nichts für seine gradezu dämonische Unternehmungslust.

Sein Optimismus und seine Beharrlichkeit bewahrten ihn vor Verzichtleistung, so daß diese sogar dann nicht in ihm aufkam, wenn für die Augen anderer schon alles verloren war. Ebenso wie seine Beharrlichkeit ihn nicht von der Verfechtung seines Rechtstitels auf die Angrabucht nebst deren Inseln sowie auf die Luciabai zurückweichen ließ, ebenso unwandelbar war seine Zuversicht auf endliches Gelingen und auf die Zukunft seines kolonialen Wirkens. Irgendwann einmal mußte Südwestafrika alle ihm gebrachten Opfer lohnen, und eines Tages würde er, Lüderitz, dies aller Welt beweisen können. Sein Selbstvertrauen, das ihn schon als junger Mensch in Mexiko vom Kaufmann zum Landwirt hinüberwechseln ließ und das sich in dem Wahlspruch prägte: Nec aspera terrent, sed per aspera ad astra – dieses Selbstvertrauen steigerte seine Fähigkeiten, besonders wenn Sorge und Not auf ihn eindrangen, so sehr, daß er einer an ihn herantretenden großen geschichtlichen Aufgabe gerecht zu werden vermochte; und zu einer solchen mußte einer mehr als Nur-Kaufmann sein, wie denn der große Adolf Woermann, der bloß Geschäfte machen wollte, grade in jenen Tagen an einer solchen Aufgabe hinsichtlich Kameruns vorbeigegangen ist.

Lüderitz war von einer besonders starken, durchaus niedersächsischen Ichheit erfüllt. So sehr er, auf das ganze deutsche Volk und das Reich angesehen, ihnen zu dienen bereit war, als Person fühlte er sich völlig selbständig und unabhängig und hatte als Hanseat für preußische Unterordnung wenig Sinn. Auch unter seinen engeren Landsleuten in Bremen stand er ziemlich vereinsamt, Landwirt aus Neigung und Abenteurer von Wünschen; man sah ihn dort als Sonderling an, ja er hatte für den ehrbaren Kaufmann etwas von einem Don Quichote. Am wohlsten fühlte er sich in dem Gedanken, als Souverän über ein großes, sei es auch armes Ländergebiet zu herrschen; [262] am liebsten hätte er eine eigene Landesflagge geführt und Zölle erhoben. Was ein Wunder, daß er dann in den Tagen der Not einsam und verlassen dastand.

So erwuchs ihm aus seiner Tollkühnheit und aus seiner Ichhaftigkeit, freilich auch aus seiner Unkenntnis der Verhältnisse, über die er sich nicht rechtzeitig unterrichtete, die Tragik seines Lebens. Aus der Welt bürgerlicher Gesichertheit in die des patriotischen Abenteurers heraustretend, begann er ein privates Unternehmen, das sich schnell zu politischer Bedeutung ausweitete und dessen bergeschwere Last sein Vermögen überstieg. Die Wogen schlugen plötzlich über ihm zusammen und stellten Anforderungen an Arbeitskraft und Geld, denen er als einzelner nicht mehr gerecht werden konnte und denen nur ein Staat gewachsen war. So hat die übergroße Aufgabe ihn verschlungen, aber wahrlich, es war ein tapferes und schönes Kämpfen, das dem Deutschen Reiche den Durchbruch zur Kolonialpolitik ermöglichte!


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Adolf Lüderitz. Zeichnung von Joachim Fritz von Roebel.








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Ewald Banse