Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Der
Seekrieg
Kapitel 4: Der Der U-Bootskrieg
(Forts.)
Fregattenkapitän Friedrich Lützow
5. Der U-Bootskrieg 1917 und
1918.
Nunmehr begann am 1. Februar 1917 der uneingeschränkte
U-Bootskrieg. Er wurde von den Stützpunkten der Heimat Wilhelmshaven,
Helgoland, Emden, Brunsbüttel, Bremerhaven und Kiel, in Flandern von
Ostende und Brügge und im Mittelmeer von Pola und Cattaro aus
geführt; die U-Boote, die vorher zeitweise in der Ostsee (Libau) und im
Schwarzen Meer (Konstantinopel) gegen Rußland angesetzt waren, wurden,
soweit es nicht schon geschehen war und soweit sie für den
U-Bootskrieg in Nordsee, Atlantik und Mittelmeer in Frage kamen,
endgültig an die genannten
Nordsee-, Flandern- und Mittelmeerverbände herangezogen. In den
heimischen Stützpunkten war die Hauptmasse der
800-Tonnen-Boote (Typ "U 19") vereinigt; Boote des gleichen Typs
bildeten auch das Rückgrat der U-Flottille im Mittelmeer; denn die
heimischen wie die Mittelmeerverbände brauchten wegen der großen
Entfernung zu den Haupttätigkeitsgebieten in erster Linie
U-Boote, die neben erheblicher Kampfkraft einen genügenden Fahrbereich
besaßen. In Flandern dagegen, wo man näher am Feinde stand und
zudem in erster Linie im Englischen Kanal, also unter der Küste zu arbeiten
hatte, spielten die kleineren U-Boote, "B II"- und
"C II"-Boote,23 die Hauptrolle. Eine Anzahl
"B II"- und "C II"-Boote besaßen aber auch die heimischen
und die Mittelmeerverbände; außerdem waren ihnen die großen
Minenboote ("U 71" bis "U 80") zugeteilt. Die Gesamtzahl der
U-Boote, die am 1. Februar 1917 zum U-Bootskrieg bereitstand, war 103
U-Boote, die sich schon im nächsten Monat auf 130 steigerte, etwa dem
Dreifachen der Zahl, die bei früherer Gelegenheit als Durchschnittsbestand
in der zweiten Hälfte des Jahres 1915 angegeben war.
Die Haupttätigkeitsgebiete der U-Boote der heimischen
U-Flottillen waren die englische Ostküste, die englische und irische
Westküste und das nördliche Eismeer, wohin während des
Sommers 1917 mehrere Male ein U-Boot entsandt wurde. Die
Flandern-U-Boote wirkten vorzugsweise im Englischen Kanal und an der
französischen Westküste, die
Mittelmeer-U-Boote in allen Teilen des Mittelmeers. Auf den Fahrstraßen
des Atlantik (von Nord-, Mittel und Süd- [258] amerika sowie von
Westafrika nach Europa) begann ferner um diese Zeit die Tätigkeit der
U-Kreuzerflottille. Die ersten U-Kreuzer waren die 7 für Kriegszwecke
umgebauten U-Handelskreuzer vom Typ
"U-Deutschland" ("U 151" bis "U 157"), die ja ihrer
ursprünglichen friedlichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen konnten,
nachdem Amerika in den Krieg eingetreten war. Ihr Hauptmerkmal war ein
außerordentlicher Fahrbereich (25 000 sm), der sie
befähigte, monatelang in See zu bleiben und im Bereich des ganzen
Nordatlantischen Ozeans längere Zeit tätig zu sein. Ihre
größte Schwäche bestand in der geringen Geschwindigkeit (10
bis 12 sm), die sie am Erreichen wesentlicher Erfolge hinderte. Der erste
U-Kreuzer, "U 155" (Kapitänleutnant Meusel), kehrte im Juli 1917
von seiner ersten Kreuztour nach 104tägiger Abwesenheit mit einem Erfolg
von 54 000 Tonnen zurück, ein Erfolg, der in erster Linie dem sehr
schneidigen Gebrauch der Artillerie
(2 - 15-cm-Schnelladekanonen) zu danken war.
Das Material aller Boote war, von einigen Einzelheiten oder Schwächen
weniger Bootsserien abgesehen, erstklassig; die Konstruktionen unter
sorgfältigster Ausnutzung aller Fronterfahrungen hervorragend durchdacht
und geschickt ausgeführt. Trotz der immer höher werdenden
Ansprüche, trotz der wachsenden Schwierigkeit, für bestimmte nicht
mehr vorhandene Gegenstände (wie z. B. Gummi als
Dichtungs- und Packungsmaterial) geeigneten Ersatz zu beschaffen, litt doch die
Solidität der Ausführung nicht wesentlich darunter. Die
U-Boote, deren Druckkörper für eine Tauchtiefe von 50 m
konstruiert waren, kamen nicht selten auf 80, 100, ja 120 m Tiefe, ohne
Schaden zu nehmen. Was die Boote, die Maschinen und Hilfsmaschinen,
Rohrleitungen, Ruder usw. gelegentlich bei Minentreffern und Wasserbomben
aushielten, ohne zu Bruch zu gehen, erregte oft Erstaunen. Ein bedeutender
deutscher Ingenieur bezeichnete in den ersten Jahren des deutschen
U-Bootsbaus einmal das U-Boot als ein "Wunder der Technik". Wenn man die
feindlichen Boote, die gelegentlich in deutsche Hände fielen, mit den
eigenen verglich, oder wenn man jetzt, drei Jahre nach dem Kriege, die Angaben
ausländischer U-Bootsneubauten liest, in denen Einrichtungen wie
z. B. Unterteilung des U-Bootes in druckfeste Abteilungen,
Sehrohrfahrstuhl u. a. als besondere Neuerungen hervorgehoben werden,
die deutsche U-Boote schon 1917 besaßen, so wird man immer mehr in der
Auffassung bestärkt, daß diese deutschen
U-Boote in besonderem Sinne "Wunder der Technik" waren, die ihren
Konstrukteuren und Erbauern zum höchsten Ruhm gereichen. Wie die
Boote, waren die Waffen. Kürzlich stieß ein englischer Fachmann die
Klage aus, die geringen Erfolge der englischen
U-Boote seien auf die Mangelhaftigkeit der Torpedos
zurückzuführen. Trotz des durch den
U-Bootskrieg ungeheuer gesteigerten Bedarfs an Torpedos und der Schwierigkeit,
ihn zu befriedigen, hat auf deutschen Booten die Torpedowaffe nicht versagt. Das
Geschütz stand frei an Oberdeck, jedem Seegang ausgesetzt, bei jeder
Tauchfahrt dauernd vom Seewasser umspült. Trotzdem tat es seine Dienste.
Freilich mußte es nach jeder Unternehmung von [259] Bord genommen und in
der Werkstatt gründlich überholt werden. Das Sehrohr wurde immer
komplizierter. Anfangs war es bis zur Spitze von gleichbleibendem Umfang (etwa
dem eines kräftigen Oberarms). Da dieses Sehrohr beim Bewegen durchs
Wasser einen zu weit sichtbaren Wasserberg verursachte, ging das Bestreben
dahin, den obersten Teil des Sehrohrs zu verjüngen. Bald gelang es, ihn
nicht dicker als eine Weinflasche herzustellen und doch gleichzeitig die Optik so
zu vervollkommnen, daß man das Objektiv auch nach oben drehen und den
Himmel nach Luftfahrzeugen absuchen konnte. Schließlich, Sommer 1918,
waren Sehrohre in der Front, die oben nur noch den Umfang eines Spazierstockes
besaßen. Neben der Entwicklung des Sehrohrs als Auge des
U-Bootes lief die Vervollkommnung der Höreinrichtungen des
U-Bootes. Empfänger hierfür wurden nach allen Richtungen, vorn,
achtern, nach den Seiten und oben, eingebaut. Bei aller Komplizierung der
technischen Einrichtungen wurde nicht vergessen, die Unterbringung der
Menschen so geräumig und wohnlich zu gestalten, als es nach Lage der
Dinge möglich war. Auch das Ausfindigmachen geeigneter Plätze
für Frischproviant, vor allem Kartoffeln und Brot, wurde nicht
vergessen.
Auf solchen Booten fuhr und kämpfte das ausgesuchteste Personal der
Marine. Mit dem Anwachsen des Bestands an
U-Booten hatte die Hochseeflotte immer wieder von neuem unter ihren
Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften die geeignetsten aussuchen und an
die U-Bootswaffe abgeben müssen. Sie stand auch in dieser Beziehung im
Dienst des U-Bootskriegs. Daneben stellte die
U-Division Rekruten ein, die in Sonderausbildung zum Seemann,
Geschützführer, Torpedorohrmeister, Heizer und Maschinisten an
den Diesel- oder Elektromotoren erzogen wurden. Von stolzem Geist erfüllt
haben diese U-Bootsbesatzungen Unternehmungen durchgeführt, die ihnen
ewig zum Ruhm gereichen werden, so wie die Siege an Land der Armee oder die
Skagerrakschlacht den Kreuzern und Linienschiffen. Sie wußten, daß
die Augen der ganzen Welt auf sie gerichtet waren; es war ihnen klar, daß
es auf die U-Boote ankam, daß sie die Entscheidung bringen sollten. Die
ungeheure Schwere dieser Aufgabe, der Ernst der Lage erhöhte ihre Energie
und Aufopferungsfreudigkeit. Sie brauchten diese aufs äußerste; denn
wie hatte der Feind in den verflossenen zwei Jahren seine Abwehrmittel
ausgebaut. Vom Zeitpunkt des Verlassens des eigenen Hafens oder der
Flußmündung bis zum Wiedereinlaufen war die
U-Bootsbesatzung in dauernder Fühlung mit dem Feind, und diese
Fühlung war um so aufreibender, als ein Teil der feindlichen Abwehrmittel
(U-Boote, Minen) unsichtbar war. Der Minengürtel, den England um die
Deutsche Bucht der Nordsee gelegt hatte, war bald so dicht, daß die
U-Boote aus den heimischen Stützpunkten nur noch hinter
Minensuchfahrzeugen oder besonderen Geleitfahrzeugen mit Suchleinen hinter
sich auslaufen konnten oder das Minengebiet getaucht auf 25 m passieren
mußten. Sogleich außerhalb der Minensperren lauerten
U-Boote auf sie. Vor den flandrischen Häfen war eine 37 sm
(70 km) lange Netzsperre [260] mit eingeflochtenen
Minen ausgelegt, die Tag und Nacht bewacht war und an der sich die
U-Boote über Sände und Untiefen vorbeischleichen mußten.
Wegen der dauernden Gefahr durch
U-Boote, flutbare Motortorpedoboote und Flieger liefen die
U-Boote in der Regel nur nachts aus. Über die Abwehr in den feindlichen
Gewässern berichtet z. B. der Chef der
U-Flottille Flandern im Juni 1917 folgendes:
"Die nun vorliegenden Ergebnisse des
U-Bootskrieges des Monats Mai ergeben mit den Meldungen der Kommandanten
aus den Kriegstagebüchern der Unternehmungen folgendes Bild:
1. Die feindliche Abwehr hat, begünstigt
durch das andauernd gute Wetter, fortgesetzt zugenommen. Der Gegner hatte Zeit,
sich im Lauf der Jahre reichlich mit Abwehrmitteln zu versehen. Es arbeiten
gegen U-Boote:
a) Sehr gut eingefahrene
Zerstörerverbände mit einer sehr guten Ausrüstung an
Wasserbomben.
Verbände von gut eingeübten Fischdampfern
mit Schleppnetzen, Artillerie und Wasserbomben.
b) Eine große Anzahl sehr schneller
Motorboote, die zum Teil zum Fluten eingerichtet, namentlich bei dem fast stets
ölglatten Wasser den U-Booten bei Nacht sehr unangenehm sind.
c) Eine große Anzahl gut mit Flugzeugen
und Fliegern versehener Flugstationen, die den ganzen Englischen Kanal
befliegen, die Boote mit Bomben angreifen und schwimmende Streitkräfte
mit F. T. herbeirufen.
d) Luftschiffe, allerdings wenig
leistungsfähig, sind westlich
Dover - Calais tätig und melden ebenfalls durch F. T.
gesichtete U-Boote.
e) Zahlreiche U-Bootsfallen, die namentlich aus
kleinen, mit mehreren Geschützen bewaffneten Seglern bestehen,
außerdem aus bewaffneten, harmlos aussehenden Dampfern unter neutraler
Flagge.
Im Verein mit der fast restlos ausgeführten
Bewaffnung der feindlichen Dampfer mit Geschützen von 5 cm bis
12,5 cm hat diese Abwehr die Tätigkeit der
U-Boote sehr erschwert.
Die Erfolgsaussichten sind gegenüber den
Verhältnissen der Jahre 1915 und 1916 naturgemäß sehr viel
geringer geworden und die Gefährdung der Boote sehr viel
höher.
Was früher ein Boot mit
verhältnismäßig leichter Mühe erreichen konnte,
schaffen jetzt mehrere Boote unter schwerer Gefährdung und mit
Aufbietung aller Geschicklichkeit."
Trotz dieser Erschwerungen übertrafen die Erfolge alle Erwartungen. Die
Versenkungsziffern, die man vor Eröffnung des
U-Bootskrieges zu 600 000 Tonnen monatlich angenommen hatte,
überstiegen zweimal, im April und Juni 1917, eine Million Tonnen. Die
U-Boote wetteiferten miteinander in rastlosem Streben. "U 70"
(Kapitänleutnant Wünsche) erzielte vom 1. Februar 1917 [261] bis 30. Juni 1917 einen
Erfolg von 101 516 Tonnen. Über einen charakteristischen Angriff
an der Westküste Englands im Juni 1917 berichtet sein Kriegstagebuch
folgendes:
"4. Juni 1917, 1020 Uhr Vm. Auslaufenden Passagierdampfer
mit 4 Masten und 2 Schornsteinen und starken
Zickzackkursen - Generalkurs West - gesichtet.
Vorgesetzt und zum Angriff gefahren.
Heckschuß auf 570 m. Treffer Mitte. Dampfer
schießt aus 15-cm-Geschütz wild in die Gegend und erhält
noch einen Torpedo, um das Sinken zu beschleunigen. Mannschaft
verläßt in etwa 10 Booten das Schiff, welches nach 1 Stunde
senkrecht über den Achtersteven sinkt. Es ist der englische
Passagierdampfer »Southland«, 11 899 Tonnen, der
International Navigation Co. aus Liverpool mit Ladung Eisenerz für
Amerika. Keine Passagiere. Er war nach den Aussagen bereits vor einer Woche
ausgelaufen, wegen U-Bootsgefahr jedoch wieder umgekehrt und 5 Tage auf dem
Mersey (Anm.: Fluß, an dem Liverpool liegt) zurückgehalten.
Es werden 3 Dampfer im Konvoi sichtbar, ohne
Bewacher, mit westlichen Kursen, alle fast leer. Torpedoschuß auf den
vordersten. Keine Detonation, vermutlich in der Dünung unterschossen.
Nach dem Schuß wird bemerkt, daß Dampfer schwer armiert mit
Bug- und Heckgeschütz, etwa 15 cm, also ein Bewachungsfahrzeug
ist. Er markiert Treffer, stoppt, bläst Dampf ab und setzt zwei vollbemannte
Boote aus, während die beiden anderen Dampfer, denen sich mittlerweile
ein vierter - anscheinend Bewacher - zugesellt hat, kehrt machen und
ablaufen.
Als auf seine Lockmittel nichts erfolgt und ich unter
Wasser bleibe, werden nach etwa ½ Stunde die Boote wieder eingesetzt.
Einen nochmaligen Anlauf, zum Torpedoschuß zu kommen, gebe ich
schließlich auf, da der Dampfer zu hoch aus dem Wasser liegt und
Flachschuß bei der Dünung nicht angebracht. Gleichzeitig wird das
Sehrohr heftig beschossen. Sprengstücke fallen auf das Deck, einige Nieten
des vordersten Ölbunkers werden leck. Boot erhält infolgedessen
leichte Ölspur. Unter Wasser abgelaufen, Bewacher verschwindet im
Westen.
Aufgetaucht und Batterie
aufgeladen."
Interessant ist hierbei die Verwendung des Passagierdampfers lediglich zu
Materialtransporten, die zeigt, welche Bedenken gegen eine Schonung von
Passagierdampfern immer bestehen mußten. Ferner ist hier das
Vortäuschen eines Geleitzugs durch
U-Bootsfallen neu und zu beachten. In den Frühsommer 1917 fällt
nun tatsächlich die Einführung des Geleitzugsystems.
Die englischen Handelsschiffskreise wehrten sich zwar stark dagegen; sie
schätzten den Verlust an Schiffsraum allein durch
Zusammenstöße auf 15 bis 20 v. H. der Tonnage.
Trotzdem erzwang Admiral Jellicoe im Mai 1917
Ver- [262] suche, die befriedigten
und zur allgemeinen Einführung des Systems führten. 1918 waren
einzelne Dampfer in den Gewässern um England nur selten anzutreffen.
Die Nachteile der Geleitzüge waren zwar nicht abzuleugnen: das
Zusammenfahren mehrerer Schiffe (die Geleitzüge umfaßten bis zu
40 Schiffe) zwang alle Schiffe, an einem Sammelplatz auf den zuletzt
Ankommenden zu warten, und dann in See sich nach der Geschwindigkeit des
langsamsten Schiffes zu richten. Auch wurden, wenn das
U-Boot in günstige Angriffsstellung kam, nicht selten zwei, ja drei
Dampfer unmittelbar hintereinander in kürzester Zeit abgeschossen. Oder
das U-Boot konnte sich aus verschiedenen den größten Dampfer
aussuchen. Es konnte dem Geleitzug folgen und ihn mehrmals hintereinander
angreifen. So sind gelegentlich kleinere Geleitzüge vollständig
aufgerieben worden. Vielfach brachen die
U-Boote aufgetaucht nachts, wo die Sicherung erschwert war und
Luftaufklärung ganz fehlte, in Geleitzüge ein und griffen wie
Torpedoboote an. Zweifellos taten sich die Handelsschiffe in Geleitzügen
oft schweren Schaden durch Zusammenstoß: in
sturm- oder nebelreichen Monaten und nachts konnte das unmöglich
ausbleiben. Die von der englischen Admiralität herausgegebenen
vorläufigen Listen der versenkten Schiffe geben Anhaltspunkte für
die Annahme, daß etwa 12 v. H. des von deutschen
U-Booten versenkten Schiffsraumes außerdem durch Kollisionen in den
Geleitzügen verlorengegangen sind. Die Ausnutzung des
Gesamt-Schiffsraums wurde nach Angabe englischer Sachverständiger aus
dem Jahre 1918 durch die Geleitzüge wegen aller der genannten Faktoren
um 30 v. H. herabgesetzt. Aber auf der anderen Seite erschwerten
diese die Arbeit der U-Boote sehr, vorausgesetzt, daß sie gut gesichert
waren. Viele Meilen vor dem Geleitzug kreuzten in breiter Formation Bewacher
mit Ballons und zwangen das U-Boot zum Tauchen, ehe es vom Geleitzug eine
Rauchfahne gesehen hatte. In engerem Umkreise um den Geleitzug fuhren
Fischdampfer oder U-Bootsjäger, in weiterem Zerstörer, an der
Spitze führte ein Kreuzer oder Hilfskreuzer, über dem Geleitzug
kreisten Luftschiffe oder Flugzeuge. Zwischen den einzelnen Schiffen
patrouillierten Zerstörer, um ein eingebrochenes
U-Boot sofort nach dem Schuß rammen oder mit Wasserbomben belegen zu
können. Die Sicherung begleitete den Geleitzug von England oft mehrere
hundert Seemeilen weit in See und nahm dort einen anderen Geleitzug in
Empfang, der von Kreuzern und Hilfskreuzern zum Schutz gegen
"raiders" wie
"Möwe" und "Wolf" sowie gegen
U-Kreuzer über den Ozean geleitet war.
Im Sommer 1917 herrschte jedoch der einzeln fahrende Dampfer durchaus vor.
Daraus ergab sich oft Gelegenheit zu Artilleriegefechten. Kapitänleutnant
Rose, der von der Amerikafahrt 1916 bekannte Kommandant von "U 53",
der auch im U-Bootskrieg 1917 besonders große Erfolge erzielte (vom 1.
Februar bis 30. September 1917 123 871 Tonnen versenkt), berichtet
über ein solches Gefecht mit einem englischen Dampfer am 26. August
1917 folgendes:
[263] "26. August
1917, 1 Uhr Nm. Von einer Regenwolke verdeckt, den Dampfer auf 55 hm
unter Feuer genommen. Dampfer erwidert weit-, dann gutliegend aus etwa
10-cm-Geschütz, macht sehr geschickt Nebel.24 Er wird allmählich nach
Norden aus der belebten Gegend herausgedrängt. Beim Aufklaren kommen
fünf andere westwärts steuernde Rauchwolken in und
allmählich aus Sicht. Dampfer gibt laufend Standort, ruft dringend um
Hilfe, die ihm zugesagt wird, er nebelt stundenlang, schießt sehr sparsam,
Aufschläge gelegentlich 5 m vom Boot. Eigenes Schießen
durch Dünung sehr erschwert. Es wird ein Treffer erzielt. Als die Hilferufe
des Dampfers immer dringender werden, wurde ihm von "U 53" unter
Benutzung des F. T.-Namens der Leitstation o g j und
unter möglichster Nachahmung des englischen Tons der
F. T.-Befehl gegeben: "Leave the ship, before the boats are
damaged." Der Dampfer kam dieser Weisung sofort nach; über Wasser
herangefahren, 7 Uhr Nm. Schiff durch einige
10,5-cm-Granaten in die Wasserlinie zum Sinken gebracht.
»Durango« (Sunderland), 3008 Tonnen. Soweit erkennbar, bestand
der Granatenvorrat noch aus 8 bis 9 Schuß."
Ebenso gelang es "U 57" (Kapitänleutnant v. Georg) mehrfach, in
außerordentlich kühnem und überraschendem Auftreten
unmittelbar unter der irischen Küste mehrere Erfolge gegen bewaffnete
Dampfer zu erzielen.
"U 53" erwähnt das "Nebeln", das auf Anweisung der englischen
Admiralität auf den Handelsschiffen weit verbreitet war und den
U-Bootsangriff oft erheblich erschwerte. Bemerkenswert ist, was
Kapitänleutnant Rose zusammenfassend über die Unternehmung
(vom 12. bis 30. August 1917) nach der Nordküste Irlands sagte:
"Die geringe Bewachung im
Tätigkeitsgebiet, die Nutzlosigkeit der Hilferufe und die
Beschränktheit der Munitionsdotierung des Dampfers
»Durango«, das verwahrloste Aussehen der Minensucher
müssen als Beweis genommen werden, daß wir an der
Westküste fortschreitend die Oberhand gewinnen. Die Zahl der kleinen
Fahrzeuge scheint erheblich abgenommen zu haben; dies ist ein Verdienst der
E- und C-Boote, die nicht oft genug Minen dicht vor den feindlichen Häfen
werfen können."
Dieses Urteil steht zwar offensichtlich unter dem Eindruck des großen
Erfolges - es waren 50 000 Tonnen versenkt
worden -, aber es zeigt, wie es den Engländern unmöglich
war, der U-Boote Herr zu werden.
Zeitweise gelang es, die Funksprüche über Treffpunkt von
Handelsschiffen und Bewachern zu entziffern und dementsprechend die Schiffe in
weiterer Entfernung von der Küste planmäßig aufzusuchen,
ohne daß sie es vermuten konnten. Auf diese Weise hatte "U 66"
(Kapitänleutnant v. Bothmer) einmal den schönen Erfolg von
36 500 Tonnen zu verzeichnen. Der
U-Bootskommandant meldete über die Methode folgendes:
[264] "10. Juni 1917,
10 Uhr Vm. Die Dampfer melden ihr Eintreffen auf dem Rendezvous mit Uhrzeit
an und wurden dort von Zerstörern wahrgenommen. Ich hielt mich daher in
dieser Gegend auf und habe dort trotz des tageweise schlechten und unsichtigen
Wetters in 5 Tagen von den 25 angemeldeten Dampfern 10 gesichtet und davon 6
vernichtet. Mehr Erfolg in dem Zeitmaß hätte ich voraussichtlich
unter der Küste auch nicht gehabt. Hier konnte ich meine
Bewegungsfähigkeit voll ausnutzen und wurde von keiner Bewachung
gestört. Einzelne begleitende Zerstörer sind kein wesentliches
Hindernis. (Vor allen Dingen nicht die Amerikaner, die noch ziemlich
ungeschickt sind und denen die Wasserbomben noch nicht so lose
sitzen!)"
Währenddessen hielten die Minen-U-Boote den Feind in ewiger Spannung.
Es gab tatsächlich keinen irgendwie nennenswerten Hafen,
Flußmündung, Bucht oder Dampferweg, der nicht einmal mit Minen
belegt worden wäre. Die wichtigsten Plätze wurden fortlaufend unter
Minenverseuchung gehalten. 3200 Fahrzeuge waren allein an den englischen
Küsten mit Minensuchen und -räumen beschäftigt. Die
Minen wurden möglichst verstreut, zu 3, 6 oder 9 geworfen, um das
Auffinden zu erschweren. Oft gelang es, durch Entziffern von
Funksprüchen festzustellen, welcher Weg gerade abgesucht und als
minenfrei gemeldet war; dieser wurde sofort mit neuen Minen bedacht.
Gelegentlich beobachteten die U-Boote auch an Ort und Stelle das Minensuchen
und bewarfen diesen Weg unmittelbar hinter den Minensuchfahrzeugen. Unter
schneidigem Einsatz gingen sie bis an die Molen feindlicher Häfen
(z. B. Shields, Cherbourg, Dover) oder unmittelbar an die
Flußmündungen und Hafeneinfahrten (z. B. vor Liverpool,
Portsmouth, Brest, Queenstown) in der Absicht, dort durch Minenerfolge zu
bewirken, daß ein gesunkener Dampfer den engen Weg sperrte und die
Schiffahrt noch mehr störe. Freilich liefen sie dabei Gefahr, in Nacht oder
Nebel zu stranden. Über eine solche Strandung an der englischen
Südküste berichtet "U C 17" (Kapitänleutnant
Wenninger) folgendes:
"11. Mai 1917, 423 Uhr Vm. Im Abdrehen auf Südkurs
stößt das Boot plötzlich zweimal hart auf und sitzt dann fest.
Beide Maschinen werden zunächst auf äußerste Kraft
zurück gestellt, Regler und Minenausgleichtanks gelenzt. Das Boot liegt
vorne so hoch heraus, daß die vorderen Tiefenruder aus dem Wasser sind.
Es ergibt sich folgende Lage: Das Boot sitzt bei einer Achterlastigkeit von 7°
und einer Schlagseite von 13° mit Kurs 180° mit der ganzen vorderen
Hälfte auf Grund. Die Lotungen ergeben: Vor dem Bug 2,3 m,
Steuerbord bis zum Turm 2,5 bis 3,5 m, achtern 4,5 bis 5,0 m, an
Backbordseite 4,0 bis 5,5 m. Nach den Lichtern eines längs der
Küste fahrenden Eisenbahnzuges wird die Entfernung von Land auf etwa
200 bis 300 m geschätzt. Das Land selbst ist im Nebel nicht zu
sehen. Da das Geräusch der oft verkehrenden Züge südlich
von uns plötzlich aufhört, wird angenommen, daß dort ein
Tunnel ist und danach die ungefähre Lage des Bootes nördlich
Teinmouth [265]
(50° 34,6 N, 3° 27,6 W) festgestellt. Um
445 Uhr Vm. ist
Niedrigwasser, darum ist an ein sofortiges Loskommen nicht zu denken. Es
werden deshalb zuerst alle Vorbereitungen getroffen, um das Boot
nötigenfalls zu sprengen und die Geheimsachen zu vernichten. Gegen 6 Uhr
wird es hell, und ich versuche, spätestens bis dahin mit allen Mitteln
loszukommen. Es wird Tauchtank I25 geflutet,
die Tauchtanks II, III und IV nochmals ausgeblasen, alles Trimmwasser wird nach
achtern getrimmt und Vorbereitungen getroffen, den steuerbordvorderen
Ölbunker mit Preßluft auszublasen. Danach versuche ich, das Boot
mit Backbordmaschine äußerste Kraft zurück, Steuerbord
äußerste Kraft voraus, so zu drehen, daß der Steven nach
außen liegt. Nach einiger Zeit dreht das Boot Grad für Grad bis auf
160°. Maschinen werden wieder gestoppt. Boot liegt jetzt Steuerbordachtern
auch fest. Tauchtank I wird deshalb wieder ausgeblasen. Da die Zeit bis zum
Hellwerden knapp ist, lasse ich mit dem Ausblasen des steuerbordvorderen
Ölbunkers beginnen. Durch dauernde Lotungen rund um das Boot wird
festgestellt, daß das Wasser langsam steigt, auch läßt die
Schlagseite ganz allmählich nach. Weitere Drehversuche bleiben
zunächst erfolglos. Es trifft sich außerordentlich günstig,
daß der Nebel auch beim Hellwerden noch so dick bleibt, daß das
Land gar nicht oder nur für Momente als ganz schwacher Schatten sichtbar
wird. Gegen 615 Uhr Vm. ergeben die
Lotungen vorne bereits 3,5 m im Durchschnitt. Ich versuche deshalb, jetzt
mit beiden Ölmaschinen äußerste Kraft voraus und
»Hart Ruder« über die Steine hinwegzurutschen. Die
Maschinen werden langsam auf Umdrehungen gebracht. Nach kurzer Zeit
fängt das Boot an, sich zu bewegen und drehen und kommt um 620 Uhr Vm. wieder los. Der
Ölbunker wird sofort wieder geflutet und das Boot in tauchfähigen
Zustand gebracht. Bunkerleckungen können vorerst nicht festgestellt werden,
weil durch das Ausblasen des Ölbunkers noch ein breiter Ölstreifen
hinter dem Boot bleibt. - Losgekommen."
Nach diesem Erlebnis warf "U C 17" noch den Rest seiner Minen an die
beabsichtigte Stelle und versenkte 5 Schiffe. Daneben hatten die
U C 2-Boote, besonders die von Flandern unter der bewährten
Führung der Kapitänleutnants Steinbrinck, Pustkuchen,
Waßner, Saltzwedel u. a. hervorragende Erfolge mit Torpedo und
Kanone. "U C 65" (Steinbrinck) versenkte vom 1. Februar 1917 bis
1. Juli 1917 98 600 Tonnen, "U C 66" (Pustkuchen)
71 300 Tonnen, "U C 21" (Saltzwedel) 100 600
Tonnen, "U C 69" (Waßner) 68 400 Tonnen. Neben
ihnen wirkten die B 2-Boote in Flandern ebenfalls hervorragend.
"U B 40" (Kapitänleutnant Howaldt) unternahm von Mitte
Mai bis Ende Juli vier Fahrten und versenkte 70 000 Tonnen.
"U B 32" (Kapitänleutnant Viebeg) versenkte von Mitte
März bis Mitte Juni auf vier Unternehmungen 61 700 Tonnen.
[266] Im Mittelmeer tat sich
besonders "U 35" (Kapitänleutnant v. Arnauld) hervor, dem
auf einer Fahrt im Februar 1917 33 000, auf der nächsten im April
80 000 Tonnen zum Opfer fielen. Neben ihm wirkten besonders
"U 39" (Kapitänleutnant Forstmann), "U 63"
(Kapitänleutnant Schultze), "U 32" (Kapitänleutnant
Hartwig), der am 9. Januar 1917 bei Malta das englische Linienschiff
"Cornwallis" durch drei Torpedos versenkt hatte, "U B 47"
(Kapitänleutnant Steinbauer), der am 27. Dezember 1916 das
französische Linienschiff "Gaulois" (11 300 Tonnen) und am 1. Januar 1917 den englischen Truppentransportdampfer "Ivernia" (14 278
Tonnen) vernichtet hatte.
Es bleibt bei diesen außerordentlichen Leistungen fast rätselhaft,
warum dennoch die letzte Wirkung, die Erzielung von Friedensverhandlungen,
ausblieb. Doch besitzen wir schon jetzt wichtige Zeugnisse für die
politische Situation in England und Frankreich, die durch die Erfolge des
U-Bootskrieges geschaffen war. Die drei wichtigsten Zeugnisse hierfür sind
im folgenden wörtlich wiedergegeben.
1. Der amerikanische Admiral Sims berichtet
in Pearsons Magazine Oktober 1919 über seine Reise nach England
Frühjahr 1917. Er erzählt zu Beginn seines Berichts, wie er im
März 1917 von Newport, wo er als Präsident der dortigen
Marine-Kriegsschule stationiert war, nach Washington berufen wurde und den
Auftrag erhielt, sofort unauffällig nach London zu reisen und dort
Fühlung mit der britischen Admiralität zu nehmen. Er schildert, mit
welchem Optimismus er bis dahin auf Grund der Zeitungsberichte die Lage der
Alliierten betrachtet hatte und fährt dann fort:
"Und doch, als ich einige Tage in
London zugebracht hatte, waren alle die Illusionen geschwunden. Die britische
Admiralität machte mich mit Tatsachen und Zahlen bekannt, die sie der
Presse nicht mitgeteilt hatte. Diese Dokumente stellten mich der erstaunlichen
Tatsache gegenüber, daß Deutschland daran war, den Krieg zu
gewinnen, und zwar in einem Tempo, das in vier oder fünf Monaten zu der
bedingungslosen Übergabe des britischen Reiches führen
mußte... Am Tage meiner Ankunft in London hatte ich meine erste
Unterredung mit Admiral Jellicoe, den ich seit vielen Jahren kannte. Nach der
üblichen Begrüßung nahm Jellicoe aus einer Schublade einen
Bogen Papier und reichte ihn mir. Es war ein Bericht über die
Schiffsverluste während der letzten Monate und zeigte, daß die
deutschen U-Boote im Februar 436 000 Tonnen versenkt hätten,
daß diese Ziffer im März auf 603 000 Tonnen gestiegen war
und daß die Versenkungen in den ersten Tagen des April eine weitere
Steigerung der Ziffer auf etwa 900 000 Tonnen erwarten ließen.
Diese Verluste waren drei- bis viermal so groß, als man nach den
absichtlich ungenauen Presseberichten vermuten konnte. Es wäre zu milde,
zu sagen, daß ich durch diese Enthüllung überrascht wurde. Ich war
geradezu bestürzt, ich hatte mir nie etwas so Schreckliches vorgestellt und
machte Admiral Jellicoe gegenüber aus meiner Bestürzung keinen
Hehl.
»Ja,« sagte er, so ruhig, als wenn wir
über das Wetter und nicht die
Zu- [267] kunft des britischen
Reiches sprächen, »es ist unmöglich für uns, den Krieg
fortzusetzen, wenn diese Verluste anhalten.«
»Was werden Sie tun?« fragte ich.
»Alles, was wir tun können. Wir
vergrößern nach Möglichkeit unsere Streitkräfte zur
Bekämpfung der U-Boote. Wir stellen jedes Fahrzeug ein, das wir finden
können. Wir bauen Zerstörer, Schlepper und andere Schiffe so
schnell wir können. Aber die Lage ist sehr ernst, und wir brauchen alle
Hilfe, die wir bekommen können.«
»Es sieht so aus, als wenn die Deutschen im
Begriff wären, den Krieg zu gewinnen«, sagte ich.
»Sie werden ihn gewinnen, wenn wir nicht diese
Verluste einschränken können, und zwar sehr bald«,
antwortete Admiral Jellicoe.
»Gibt es keine Lösung des
Problems?« fragte ich.
»Ganz und gar keine, soweit wir das jetzt erkennen
können«, erklärte Jellicoe.
»Ich stellte bald fest,« fährt Sims fort,
»daß die Berichte über die Versenkung zahlloser deutscher
U-Boote nicht wahr waren. Seit Beginn des Krieges wußte man nur von 54
deutschen Tauchbooten, die wirklich versenkt worden waren, und Admiral
Jellicoe erzählte mir, daß die deutschen Kriegswerften jede Woche
drei neue U-Boote fertigstellten. Es waren in der Presse auch Berichte über
Fälle von freiwilliger Übergabe einzelner deutscher
U-Boote veröffentlicht worden. Diese Berichte stimmten nicht; keine
einzige freiwillige Übergabe eines deutschen Tauchbootes hatte
stattgefunden; die Berichte waren nur veröffentlicht worden, um die
feindliche Moral zu untergraben. Ich konnte feststellen, daß sogar englische
Regierungsbeamte, die es wirklich hätten besser wissen sollen, und selbst
Marineoffiziere fest daran glaubten, daß viele gefangene deutsche
U-Boote in den Kriegshäfen von Portsmouth und Plymouth versteckt
lägen...
Angesichts der Tatsache, daß die Ziffer der
monatlichen Tonnageverluste sich der Million näherte, ließ sich sehr
leicht ausrechnen, wie lange die Alliierten noch aushalten konnten. Die
bestunterrichteten Instanzen rechneten, daß die äußerste Grenze
der Widerstandskraft ungefähr am 1. November 1917 erreicht sein
würde; mit anderen Worten: wenn nicht sofort ein neues Mittel zur
erfolgreichen Abwehr der U-Boote entdeckt wurde, mußte
Großbritannien vor einem siegreichen Deutschland die Waffen
strecken...
Ich besprach die Lage auch mit Mitgliedern des Kabinetts,
z. B. mit Balfour, Lord Robert Cecil und Sir Edward Carson. Ihre Haltung mir
gegenüber unterschied sich sehr merklich von der Haltung, die sie in der
Öffentlichkeit annahmen. In ihren Reden ließen diese Männer
natürlich nichts verlauten, was die Moral des Feindes hätte heben
können; in ihren Privatgesprächen mit mir wiederholten sie aber
alles, was mir Jellicoe bereits gesagt hatte. Der Ernst der Lage veranlaßte
schließlich die Regierung, Balfour und die britische [268] Kommission nach
Amerika zu senden. Welch ein düsterer Moment war das für die
Sache der Alliierten! Nicht nur fegten die deutschen Tauchboote den englischen
Handel vom Meere, sondern die deutschen Armeen siegten auch noch in
Frankreich über die englischen und französischen Armeen. Der
Höhepunkt des Erfolges des U-Bootskrieges wurde gerade in dem
Augenblick erreicht, als General Nivelles Offensive an der Westfront
fehlschlug..."
2. Der frühere deutsche Botschafter in Wien, Graf Wedel,
veröffentlichte im Juli 1919 unter der Überschrift "Der
Immediatbericht des Grafen Czernin vom 12. April 1917" in den Hamburger
Nachrichten folgende Nachricht:
"Es war für Berlin und Wien
eine sehr unerfreuliche Überraschung, als eine rheinische Zeitung den
Geheimbericht des Grafen Czernin ungeniert besprach. Es wurde festgestellt,
daß Herr Erzberger in einer Versammlung - wenn ich nicht irre, in
Frankfurt a. M. - ihn vertraulich verwertet hatte. Das
Geheimnis fand seinen Weg nach Paris. Der geheime Immediatbericht Graf
Czernins wurde von einer französischen
Zeitung - ich glaube, es war der Temps - mit besonderer
Genugtuung besprochen. Wenn man den Inhalt des Berichts ins Auge faßt,
so kann man sich den Eindruck vorstellen, den er bei der Entente machte. Ein
französischer Diplomat hat in Wien verraten, es habe 1917 einen
Augenblick gegeben, wo Lloyd George, der über Krieg und Frieden
entschied, in seiner Siegeszuversicht infolge der Wirkung des
U-Bootskriegs wankend geworden und Verständigungsgedanken nicht ganz
unzugänglich gewesen sei. Lloyd George und Ribot hätten im Begriff
gestanden, nach Rom zu reisen, um mit den italienischen Kollegen die Frage eines
Verständigungsfriedens zu beraten. Die geplante Reise sei aufgegeben
worden, weil durch das Eintreffen österreichischer Nachrichten die Lage
sich geändert habe. Der Diplomat hat auch verraten, daß der
Immediatbericht Czernins in Paris bekannt wurde und in den amtlichen Kreisen
großes Aufsehen erregte. Man habe danach geglaubt, daß
Österreich, vielleicht auch Deutschland, nahe vor dem inneren
Zusammenbruch ständen. Man habe geglaubt, den Sieg in der Tasche zu
haben und habe dementsprechend den Verständigungsgedanken definitiv
fallen gelassen. Sogar der Gedanke eines Sonderfriedens mit Wien, auf den man
zeitweise gehofft habe, habe an Interesse verloren. Man habe jeden Monat, fast
jede Woche den Zusammenbruch der Mittelmächte fast erwartet und habe
sich deren kraftvolle Offensive im Herbst 1917 und im Frühjahr 1918 gar
nicht erklären können. Man habe vor einem Rätsel
gestanden."
3. In der Monatsschrift Stimmen der Zeit (Januar 1921)
bespricht der Pater Leiber unter Benutzung vatikanischer Akten die
Friedenstätigkeit des Papstes Benedikts XV. Er berichtet, daß
die päpstliche Friedensnote vom 1. August 1917 nicht der Beginn, sondern
der Abschluß einer Vermittlung gewesen sei, welche schon im
Frühsommer 1917 eingesetzt habe und führt über deren
Aussichten folgendes aus:
[269] "Woran war
nämlich ein halbes Jahr früher das deutsche Friedensangebot
gescheitert? Daran, daß im Dezember 1916 auf seiten der Entente gar kein
Bedürfnis nach einem Verständigungsfrieden vorhanden war. In den
folgenden Monaten machten sich aber im Spiele der militärischen und
politischen Kräfte Größen geltend, die wohl geeignet sein
konnten, jenes Bedürfnis wachzurufen: die unerwartet großen
Verluste durch die U-Bootwaffe, der Eintritt Amerikas in den Krieg, der nicht
bloß, und vorerst überhaupt nicht, neue Kriegshilfe, sondern
für England vielmehr das Auftauchen eines gefürchteten
Wettbewerbers um die Vorherrschaft im Rate der Entente bedeutete; ferner die
vollständig mißglückten Frühjahrsschlachten in der
Champagne und an der Somme, die von neuem drohende Gefahr eines russischen
Sonderfriedens, die sozialistische Friedensbewegung, die der Entente noch viel
ungelegener kam als uns: mußte nicht das alles in London und Paris die
Stimmung schaffen, auf der sich vielleicht ein Verständigungsfriede
aufbauen ließ?
Wir wissen heute aus den tatsächlichen Vorgängen des
Frühsommers 1917, wie sehr die Überlegung Benedikts XV.
der Wirklichkeit entsprach.26 Vielleicht
hat er seine Friedensvermittlung gerade auf diese Tatsachen gestützt. Die
diplomatischen Äußerungen der britischen Politiker aus jener Zeit
ließen durchblicken, daß es für sie bloß ein
Friedenshindernis gebe: Belgien. Also nicht die deutschen Kolonien, auch nicht
Elsaß-Lothringen! Aber auch Frankreich schien über
Elsaß-Lothringen mit sich reden lassen zu wollen: April bis Mai 1917
gelangten Andeutungen von französischer und belgischer Seite nach Berlin,
welche die Geneigtheit zu vertraulichen Erörterungen der
Friedensmöglichkeiten ausdrückten. Ja, wie Clemenceau
erklärt hat, beschloß das Ministerium Ribot im Mai 1917 im tiefsten
Geheimnis, daß es sich mit einer Abstimmung in
Elsaß-Lothringen abfinden werde."27
Nachdem dann ausgeführt ist, daß sowohl der deutsche Kaiser wie
der Kanzler v. Bethmann Hollweg dem damals vom Papst entsandten
Nuntius Pacelli gegenüber ihre Bereitwilligkeit ausgesprochen haben, auf
der Basis der päpstlichen Vorschläge zu verhandeln, fährt
Pater Leiber fort:
"In den ersten Julitagen 1917 stand die
ganze Angelegenheit so, daß Benedikt XV. gute Hoffnung hegen
konnte.
Da trat etwas ein, was das päpstliche Friedenswerk
in seinem Lebenskeime treffen mußte. Die inneren politischen
Vorgänge im Deutschen Reich vom 9. bis 20. Juli 1917 verschoben
vollständig die Grundlage, auf der Benedikts XV. Vermittlung
aufgebaut war. Zunächst stürzten sie gerade den Mann, der die Sache
des päpstlichen Friedenswerks in Deutschland auf sich genommen hatte:
Herrn [270] v. Bethmann
Hollweg. Am 12. Juli wurde er zum Rücktritt genötigt. Dann schufen
oder offenbarten sie unsere innere Schwäche, und genau in dem
Maße, wie sie das taten, trieben sie im französischen Parlament und
Volk den Kriegswillen und die Kriegsziele in die Höhe. Kriegsbegeisterung
und Friedensansprüche standen dort nie so hoch wie in den Wochen nach
jenen schicksalsschweren Julitagen. Hinter Frankreich stellte sich aber Wilson,
und ihren vereinten Forderungen wagte England nicht entgegenzutreten. Bald war
nicht mehr nur Belgien, sondern auch
Elsaß-Lothringen und noch vieles andere
Friedenshindernis."
Wie auch sonst dem U-Bootskrieg nicht die Unterstützung zuteil wurde,
deren er bedurfte, zeigen eine Anzahl Schreiben des Chefs des Admiralstabs an
den Reichskanzler vom Frühjahr 1917 an; eines derselben, vom 8.
Dezember 1917, hatte folgenden Wortlaut:
An den Reichskanzler.
"Euere Exzellenz erlaube ich mir darauf aufmerksam zu
machen, daß sich die Nachrichten über das Zustandekommen oder
auch den bevorstehenden Abschluß von Verträgen Neutraler mit
unseren Feinden häufen, in denen neutraler Schiffsraum den Gegnern zur
Verfügung gestellt wird.
So taucht die Nachricht auf, daß die Vereinigten
Staaten mit den nordeuropäischen Neutralen ein
Schiffsraum-Abkommen getroffen hätten, in dem eine erhebliche Anzahl
Schiffe an die Vereinigten Staaten abgetreten werden. Ferner ist einwandfrei
festgestellt, daß ein erheblicher Teil des in schwedischen Häfen
aufgelegten Schiffsraumes jetzt die Fahrt auf England aufgenommen hat. So sind
allein von Gothenburger Reedereien 50 Dampfer in der Englandfahrt
beschäftigt. Der oft gehörte Einwand, daß solche Fahrten
lediglich in neutralem Interesse vorgenommen werden, ist unzutreffend. Die in
Fahrt gesetzten Schiffe müssen für Abgabe englischer Kohlen zum
mindesten Zwangsfahrten im Dienste unserer Feinde unternehmen. Meist werden
sie in den Häfen unserer Gegner beschlagnahmt und in den feindlichen
Dienst eingestellt. Häufig ist die Fahrt in neutralem Interesse nichts anderes
als ein Verschleierungsmanöver vorher getroffener bindender
Abmachungen. Aus Holland trifft soeben die Nachricht ein, daß die
holländische Regierung auf Druck des
Gewerbe-Verbandes der Fischer die Ausfahrt von etwa 50 Fahrzeugen nach
England nicht verbieten wird und daß damit gerechnet werden muß,
daß sich Reeder finden, die ihre Fahrzeuge zum Fischen an der englischen
Westküste zur Verfügung stellen werden. Das bisher bestehende
Ausfahrt-Verbot für Fischdampfer und Logger, das für letztere
bereits wieder aufgehoben ist, und das von holländischer Seite geschickt als
ein Beweis einer strengen Neutralität dargestellt worden ist, hat hiermit
durchaus nichts zu tun und ist nur verhängt gewesen, um eine
Neuregistrierung aller Fischerfahrzeuge durchführen zu können. Die
größte, 300 Fahrzeuge umfassende argentinische Reederei
»Argen- [271] tina Navigation
Company« ist durch Verkauf von Anteilen in den Besitz englischer und
französischer Schiffahrtsgesellschaften übergegangen.
Nach den hier gemachten Feststellungen sind seit 1.
Februar 1917, besonders aber nach den innerpolitischen Ereignissen in
Deutschland im Sommer dieses Jahres und, wie ich Euerer Exzellenz bereits
mitgeteilt habe, nachdem in den Kreisen der deutschen
Reichstags-Mehrheit offen über ein »Versagen des
U-Bootskrieges« gesprochen worden ist, neutraler Tonnenraum von
1½ bis 2 Millionen Brutto-Register-Tonnen in die Hände unserer
Feinde gelangt. Wenn auch ein nicht unerheblicher Teil den Neutralen durch
Gewaltmaßnahmen entzogen worden ist, so liegen doch genügend
Beweise vor, daß, vor allem in Norwegen, die unverantwortlichen
Äußerungen über das »Versagen des
U-Bootskrieges« den Anstoß dazu gegeben haben, die bis dahin aus
Furcht vor Versenkungen gewahrte Reserve endgültig aufzugeben.
Ich kann mich besonders auch nach Rücksprache
mit einer maßgebenden Persönlichkeit des neutralen Auslandes, die
sich über unser Interesse an der Schiffsraumfrage durchaus nicht klar war,
ganz allgemein des Eindruckes nicht erwehren, daß dem
Unterseebootskriege die für ihn unerläßliche politische
Unterstützung in dem erforderlichen Grade gefehlt hat, und ich halte es
daher für meine Pflicht, erneut hervorzuheben, daß er dieser
Unterstützung bedarf, um das beabsichtigte Ziel in möglichst kurzer
Zeit zu erreichen.
gez. v.
Holtzendorff."
Man sieht aus alledem, daß die Erwartung des Admirals v. Holtzendorff, der
U-Bootskrieg werde, unter selbstverständlicher Unterstützung aller,
auch der politischen Kreise, England in 5 Monaten zu Friedensverhandlungen
bereit machen, keineswegs utopisch war. Während Deutschland aber mit
Rücksicht auf neutrale Nachbarn Durchlöcherungen des
U-Bootskrieges zuließ, wie z. B. die, daß das Abkommen,
wonach Dänemark die Hälfte seiner landwirtschaftlichen Produkte
Deutschland, die andere Hälfte aber an England lieferte, nicht mit Einsetzen
des uneingeschränkten U-Bootskrieges ohne weiteres gekündigt
wurde, oder daß es zustimmte, daß etwa 200 000 Tonnen
feindlichen, hauptsächlich englischen Schiffsraums, die Ostsee durch die
Kogrund-Rinne (ein schwedisches Binnengewässer) verließen,
übte England einen immer stärker werdenden Druck auf die
Neutralen aus, ihren Schiffsraum den Diensten der Entente nutzbar zu machen.
Über ein bezeichnendes Beispiel hierfür berichtet
"U C 17" unter dem 24. Februar 1917 folgendes:
"Griechischer Dampfer
»Salamis«, 995 Tonnen, mit 760 Tonnen Kohlen
von Cardiff nach Bordeaux, mit Artillerie zum Stoppen gebracht und mit
Sprengpatronen versenkt.
Der Kapitän des Dampfers sagt aus, er hätte
sich zuerst geweigert, zu fahren, sei dann jedoch gezwungen worden, den Hafen
zu verlassen. Er habe [272] darauf sein Schiff auf
Strand laufen lassen. Nach drei Tagen wurde er wieder flottgemacht, worauf
Soldaten an Bord kamen, die ihn mit dem Gewehr in der Hand zwangen, in See zu
gehen. - Beim Wegpullen brachte die Besatzung drei Hurras auf
Deutschland aus."
Im Frühjahr 1918 wurde die gesamte in nordamerikanischen Häfen
liegende holländische Tonnage für den Transport von
amerikanischen Mannschaften und Ausrüstung beschlagnahmt. Trotzdem
blieb dieser Transport von Amerikanern nach der Westfront ein gewaltiges
Risiko; man ist geneigt, hier von einem Vabanquespiel im schlechten Sinne des
Wortes zu reden. Dazu führt eine Äußerung des Vorsitzenden
des Schiffahrtausschusses der Handelskammer der Vereinigten Staaten Edward
Filene. Dieser sah im Frühjahr 1918 in den genannten Maßnahmen
der Entente eine solche Gefahr, daß er offen in der amerikanischen Presse
aussprach:28
"Auf Verlangen der Bundesgenossen
senden wir jetzt Mannschaften in unvernünftigen Mengen nach Frankreich.
Wir senden sie, ohne genügenden Schiffsraum für ihren Nachschub
zu haben. Buchstäblich setzen wir das Leben unserer Jungen aufs Spiel in
der Annahme, daß Amerika den notwendigen Schiffsraum bereitstellen
könne."
Ähnlich äußerte sich später der Premierminister Lloyd
George in einer am 7. Dezember 1918 in Leeds gehaltenen Rede; man habe, sagt
er, mit der Einleitung der gewaltigen Transporte im März 1918 die
Versorgung mit Lebensmitteln und notwendigen Rohstoffen aufs Spiel
gesetzt.
Daneben setzte mit dem Hochsommer 1917 die militärische
Abwehrtätigkeit, die über zwei Jahre Zeit zur Vervollkommnung
gehabt hatte, in voller Schärfe ein. Das Geleitzugssystem, die Bewaffnung
der Dampfer, der Neubau an Zerstörern ist bereits früher genannt
worden. Groß wurde nunmehr auch die Gefahr von Minen und
Wasserbomben. Der Ring von Minensperren, der sich um die Deutsche Bucht
legte, dehnte sich bald bis zur Linie
Terschelling - Bovbjerg (dänische Küste) aus. Um auch
unsere besonders flach gebauten Minensuchboote zu fassen, stand ein Teil der
Minen dicht unter der Wasseroberfläche. Die Doverstraße wurde
unter Wasser von 10 m Wassertiefe an durch mehrere Reihen Minen, die
treppenförmig auf verschiedenen Wassertiefen standen, und durch Netze
gesperrt.
Gleichzeitig wurde - gegen Ende 1917 - durch starke Scheinwerfer auf dem
englischen und französischen Festland sowie auf besonders hierfür
ausgelegten Schiffen, ferner durch Bewachungsfahrzeuge, die starke
Magnesiumfackeln in kurzen Zeitabständen abbrannten, die
Dover-Enge die ganze Nacht hindurch taghell erleuchtet, so daß das
Passieren über Wasser wie unter Wasser mit großen Gefahren
verbunden war. Tiefstehende Minen gegen unter Wasser angreifende
U-Boote lagen auch auf den Hauptwegen der Geleitzüge. 1918 folgte eine
um- [273] fassende
Minenverseuchung des Kattegats und des Seegebiets zwischen Norwegen und den
Shetland-Inseln. Für die letztere Sperre waren 57 000 amerikanische
und 13 000 englische Minen erforderlich; sie lagen auf Tiefen bis
300 m, die man bisher als unbenutzbar für Minenverwendung
angesehen hatte.
Daneben taten die Wasserbomben, die von Fahrzeugen über Bord geworfen
oder mit einer Maschine bis zu 50 m weit geschleudert, in bestimmter,
vorher eingestellter Tiefe detonierten, den
U-Booten schweren Abbruch. Über die Wirkung der Wasserbomben
berichtet z. B. "U B 117" (Kapitänleutnant
Waßner) unter dem 14. September 1918, 241 Uhr Nm.:
"Es werden 18 Wasserbomben
geworfen. Sehr heftige Detonationen. Das Boot wird durch dies Sperrfeuer bis 4
Uhr unter Wasser gehalten, so daß der Geleitzug in der Zwischenzeit mit
Kursänderungen außer Sicht kommt.
Verfolger standen ziemlich senkrecht über dem
Boot. Boot wurde bei jeder Bombe erheblich durchgerüttelt. Die Packung
im Kegel des Frischluftmastes gab nach und ließ Wasser durch.
Kopf- und Fußventil konnten 3/4 Gang nachgezogen
werden. Bunker waren dicht. - Im Boot blättert Farbe ab, und
Kleinkram kommt von oben. Die auf dem Turm aufgesetzten Zielapparate
(Messing) sind ganz blau angelaufen. Offenbar also Detonation in ziemlicher
Nähe."
Oft ging das Licht aus; Ölbunker wurden leck, und austretendes Öl
bezeichnete den Weg des U-Bootes. Luken sprangen auf, ein mächtiger
Wasserschwall drang ins Boot, das Boot drohte vollzulaufen. Hilfsmaschinen,
Gläser, elektrische Apparate gingen zu Bruch,
Tiefen- und Seitenruder wurden verbogen.
Daneben blieben die dem U-Boot an sich eigentümlichen Schwierigkeiten
und Gefahren bestehen. Das Boot nahm manchmal unverständliche
Neigungen an, es sackte auf den Grund, Wasser brach ein, ohne daß gleich
erkennbar war, worin der Grund zu suchen war. Über ein derartiges
Erlebnis berichtet "U B 55" (Kapitänleutnant Wenninger)
folgendes:
"3. November 1917. Englischer Kanal.
Das Boot wird während des Flutens stark achterlastig, so daß stark
zugeflutet werden muß, um unter Wasser zu kommen. Durch das Fluten
wird Boot noch mehr achterlastig, kommt aber auf Tiefe und fällt nun
ziemlich schnell. Die Lastigkeit wird, trotzdem die Leute alle voraus
geschickt sind, kaum geringer. Lenz- und Trimmpumpe saugen nicht an. Es wird
mit Preßluft getrimmt und gleichzeitig die mittleren Tauchtanks angeblasen.
Boot stößt auf 67 m auf den Grund. Beide Pumpen saugen
jetzt aus Regler, jedoch nur sehr wenig.
Nach geraumer Zeit steigt das Boot ganz plötzlich
vorne und schießt mit starker Achterlastigkeit an die Oberfläche. Ein
Rundblick zeigt, daß sich das Boot gerade mitten in dem vorher gesichteten
Konvoi, bestehend aus etwa 12 Dampfern und mehreren Zerstörern,
befindet. Durch starkes Zufluten kommt das Boot wieder unter Wasser und sinkt
trotz Anblasen aller Tanks bis [274] auf den Grund
(67 m). Plötzlich dumpfer Knall, gleichzeitig ist von der Maschine
Spritzen von Wasser zu hören. Wasser kommt durch die
Entwässerung des Frischluftmastes. Hahn wird zugemacht. Anscheinend ist
der Luftmast zusammengedrückt.
Durch Peilen aller Innentanks wird nur ein geringer Fehler
an der vorderen Torpedoarmierung festgestellt. Es bleibt also nur die Annahme
übrig, daß sich beim Fluten in den Tauchtanks Backbord III,
Steuerbord IV, VI eine Luftblase gebildet hat, die durch das Fehlen einer
Restentlüftung bei Achterlastigkeit nicht entweichen
kann. - Alle Tauchtanks werden sorgfältig entlüftet und das
Boot auf 30 m eingesteuert."
1918 wurde neben den geschilderten Abwehrmaßnahmen ein neues Mittel
wirksam, nämlich die Horchverfolgung. Sowohl feste Stationen
längs der Küste wie Wachfahrzeuge waren mit elektrischen
Horchgeräten ausgerüstet, die das Schraubengeräusch eines
U-Bootes bei glattem Wetter viele Meilen weit feststellten. Hatten sie das
Geräusch wahrgenommen, so meldeten sie es an die nächste
Bewachung, verfolgten das U-Boot, kreisten es ein und griffen es dann mit
Wasserbomben an. Das U-Boot aber konnte sich nicht mit höchster Fahrt
seinen Verfolgern entziehen, denn dann wurden die Schraubengeräusche
am lautesten, sondern mußte entweder mit geringer, "geräuschloser"
Fahrt sich allmählich aus dem Staube zu machen suchen, oder sich, wenn
die Wassertiefen es erlaubten, auf den Grund legen, alle Maschinen und Pumpen
abstellen und hoffen, daß es die Horchfahrzeuge verlieren würden.
Auch im günstigen Falle war der betreffende Tag für die
Tätigkeit des U-Bootes ausgefallen. Die
U-Boote mußten deshalb, bevor sie zur Front kamen, oder nachdem
Umbauten an ihnen vorgenommen waren, an Horchstationen in der Heimat
erproben, bei welcher Umdrehungszahl der Schrauben der geringste Lärm
entstand, welche Hilfsmaschinen (Pumpen, Sehrohrmotor usw.) am lautesten
waren und deshalb besonders zurückhaltend verwandt werden
mußten.
Über die Erfahrungen mit diesen neuen Abwehrmitteln berichtet der
Führer der
U-Boote Flandern am 31. Mai 1918 zusammenfassend das folgende:
"a) Horcher: Die ruhige Luft
und das glatte Wasser sind den Horchern natürlich besonders zustatten
gekommen; die mehrfach gemeldeten Beobachtungen über geschickte
Horchverfolgung bei geräuschlosen Unterwasserfahrten, selbst bei
Aufgrundliegen nach Anstellen von Luftreinigung, sind wohl mehr auf diese
selten günstigen äußeren Verhältnisse
zurückzuführen, als auf verbesserte Einrichtungen der
Geräuschempfänger. Nach Gefangenenaussagen, die durch eigene
Beobachtungen bestätigt werden, sind auch Zerstörer und
Motorboote mit Geräuschempfängern ausgerüstet. Nach einem
Funkspruch aus Newhafen »Enemy submarine heard on 2, 3, 4
(buoy?)... still on number...« geht aufs neue das Ausliegen von
Horchkabeln oder -bojen auf den wichtigsten Dampferwegen und vor
Häfen hervor. Für die Minenboote muß bei ruhigem Wetter
daher gefordert [275] werden, daß sie
beim Ansteuern, Legen und Absteuern ihrer Sperre jedesmal 3 bis 4 sm
lang elektrisch laufen, um ein vorzeitiges Entdecktwerden der Sperre zu
verhüten.
b) U-Boote: Die feindliche U-Bootsgefahr ist zweifellos die
größte, die unsern Booten zur Zeit auf der Unternehmung droht. Eben
außerhalb der Flandernsperre, vor der Kanalsperre und im ganzen
Englischen Kanal von Quessant bis Vergoyer sind feindliche
U-Boote gesichtet worden; selbst in der Nähe dichtester Dampferwege, wie
bei Owers-Feuerschiff, bei Lizard und Beachy Head haben sie ihre
Wartestellungen eingenommen. Die Gefahr wird am deutlichsten gekennzeichnet
durch den Hinweis, daß in letzter Zeit »U C 17«
und »U B 57« Torpedotreffer erhalten haben, die nicht
detonierten; dies zeigt, wie hoch der Anteil der feindlichen
U-Boote an unsern Verlusten sein muß.
c) Luftstreitkräfte: Das Luftschiff scheint
den Flieger im Kanal immer mehr zu verdrängen; Gruppen von 6 bis 8
Luftschiffen sind verschiedentlich im Ostkanal beobachtet worden. Ihre
Tätigkeit als Geleitschutz ist bereits erwähnt. Zum Suchen unter
Wasser fahrender oder auf Grund liegender
U-Boote werden sie wohl in der Hauptsache ausgenutzt. Häufig sind sie auf
den Dampferwegen, oder in der Doverstraße, auf geringer Höhe
fliegend, beim Absuchen beobachtet, fast täglich kommen Meldungen,
daß verdächtig scheinende Ölflecke mit Bomben belegt sind.
Selbst des Nachts sind feindliche Luftschiffe beobachtet worden; nach
F. T.-Nachrichten sollen sie sogar nachts auf
U-Boote angesetzt sein. Die nächtliche Verwendung von Luftfahrzeugen,
angeblich auch auf den Ein- und Auslaufwegen vor der Flandrischen Küste,
bedeutet bei dem Sommerwetter eine neue Gefahr, über die vorläufig
ein Urteil aber noch nicht abgegeben werden kann."
Die tatsächlichen Erfolge der feindlichen U-Boote werden hier zwar im
Vergleich zu anderen Abwehrmitteln überschätzt, aber es ist
festzustellen, welche Beunruhigung sie für unsere
U-Boote bedeuteten. Interessant ist dabei, aus englischen Quellen nach dem
Kriege zu hören, daß sie auch in die eigenen Reihen Verwirrung
brachten. Der englische Comodore Hall gibt die Gesamtverluste an englischen
U-Booten mit 61 an, davon seien drei versehentlich durch Geschützfeuer
oder Rammen von eigener Seite vernichtet, 20 seien verschollen. Wie viele von
diesen 20 durch eigene Streitkräfte einschließlich
U-Boote fälschlich als Feinde angesehen und vernichtet sein mögen,
sei daher unsicher. Hall sagt weiter folgendes:
"Ich glaube, die Mehrzahl der
Granaten, die auf englische U-Boote abgefeuert wurden, kamen aus englischen
Geschützen. Jedenfalls waren die Boote mehr in Sorge, wenn sie sich den
eigenen Häfen näherten, als wenn sie sich in feindlichen
Gewässern betätigten. Das Schießen war gewöhnlich
wild und konnte für spaßhaft gelten, aber manchmal waren die
verhängnisvollen Ergebnisse über allem Spaß. Die
Abwehrfahrzeuge machten keinen feinen Unterschied, und die
U-Boote hatten zuweilen den übermäßigen Eifer der eigenen
Seite zu beklagen."
[276] Trotz dieser
wachsenden Abwehr blieben die monatlichen Versenkungsziffern der
U-Boote bis Ende 1917 auf der Höhe von über 600 000
Tonnen. Der Bestand an U-Booten erhöhte sich während 1917
allmählich von 148 auf 168 U-Boote, der Bestand der davon für die
Tätigkeit in der Front in Frage kommenden
U-Boote von 100 auf 132. Die Verluste betrugen durchschnittlich 5
U-Boote im Monat. Durch die fertiggestellten Neubauten wurden diese Verluste
ausgeglichen und darüber hinaus der Bestand um die angegebenen Werte
erhöht. Die Frontbefehlshaber, d. h. der Chef der Hochseeflotte und
der Kommandierende Admiral des Marinekorps machten nachdrücklich
darauf aufmerksam, daß es bei der wachsenden Gegenwehr nicht
genüge, wenn die Neubauten die Verluste mit einem mäßigen
Überschuß ausglichen. Es müsse vielmehr eine erhebliche
Steigerung der U-Bootszahl einsetzen, um den Erfolg sicherzustellen. Darauf
wurde im Reichs-Marine-Amt das U-Bootsamt gegründet und mit
besonderen Vollmachten ausgestattet, um die Bereitstellung der Mittel für
den U-Bootskrieg, U-Bootsneubauten, -Reparaturen, Ausbau der
Stützpunkte und ihrer Werften, Bereitstellung und Ausbildung des
Personals nachdrücklich zu fördern. Im ganzen sind 1918 vom
U-Bootsamt 220 U-Boote in Bau gegeben worden. Bis zu dem Abbruch des
Krieges konnte naturgemäß keines dieser
U-Boote bereits in der Front sein.
Erst 1918 fielen die Versenkungsziffern, hätten aber voraussichtlich im
Winter 1918/19, in dem ein erheblicher Zuwachs an
U-Booten in Aussicht stand, wieder eine Steigerung erfahren. Mit welcher
Geschicklichkeit, Zähigkeit und Kühnheit die
U-Boote vorgingen, mögen einige Beispiele erweisen.
Kapitänleutnant Steinbrinck, "U B 57", einer der
heldenhaftesten, erfahrensten
U-Bootskommandanten in Flandern, berichtet unter dem 26. Dezember 1917,
2 Uhr Nm.:
"Aus Richtung Falmouth naht in
langer Linie ein Konvoi, über ihm 2 Luftschiffe und etwa 4 Flieger; an der
Spitze fährt ein Zerstörer, an den Seiten Zerstörer und
Fischdampfer. Verband steuert Schlangenlinien. Der fünfte und sechste
Dampfer, ein sehr großer Engländer und ein Einheitsschiff ohne
Masten, sollen im Doppelschuß angegriffen werden.
345 Nm.
Schuß aus I. Rohr, wegen der Größe des Dampfers wird die
Entfernung sehr unterschätzt. Treffer aus 1275 m Entfernung hinter
dem achteren Mast; sehr schwere Detonationen.
347 Nm.
Schuß aus II. Rohr aus 570 m auf das Einheitsschiff von etwa 5000 Tonnen.
Treffer vor dem Schornstein.
Die weiter hinten stehenden Dampfer werden mit
Sicherheit nach Süden abdrehen; daher mit höchster Fahrt zum
Angriff gefahren, da von allen Seiten Fischdampfer herbeieilen.
353 Nm.
Umschau. Es wimmelt von Fischdampfern und Zerstörern. Das
Einheitsschiff ist gesunken. Der erste Dampfer liegt stark achterlastig; Wasser
dringt in den Heizraum ein, er wird nur noch kurze Zeit schwimmen. [277] Es ist ein sehr
großes, breites Schiff, mit Sicherheit über 6000 Tonnen groß.
Der hintere Teil des Konvois dreht, wie erwartet, auf Süd und bietet noch
einmal Gelegenheit zum Angriff.
429 Nm.
Heckschuß aus 1000 m auf den vorletzten Dampfer dicht neben einem
Fischdampfer; die Wirkung konnte daher nicht beobachtet werden; Detonation
nach 65 s = 1100 m; einige Minuten später
fällt eine Wasserbombe.
Im großen Bogen die Schußstelle umsteuert,
auf 40 m gefahren.
515 Nm.
Umschau: der dritte Dampfer schwimmt noch 2000 m ab; der erste
Dampfer jetzt nicht mehr zu sehen, daher ebenfalls gesunken. Der Rest des
Konvois steuert weiter nach Süden.
Kurs auf den Dampfer genommen, der von 2
Fischdampfern umkreist wird. Er liegt nur wenig verändert, hat Treffer in
den Maschinenraum erhalten, ist ein sehr großes 150 bis 160 m
langes Schiff; in der Hoffnung, daß er sinkt und aus den Trümmern
der Name festgestellt werden kann, bis Dunkelheit in seiner Nähe
geblieben.
830 Nm.
Ausgeblasen, Fühlung gehalten und Batterie geladen. Es kommen noch
zwei andere Fischdampfer und 1 Zerstörer hinzu, die gegen Mitternacht
sich bemühen, den Dampfer in Schlepp zu nehmen. Getaucht, um dem
Dampfer Fangschuß zu geben.
27. Dezember 1917, 105 Nm. Bugschuß aus 400 m, Treffer
Vorkante Maschinenraum - Achterkante Laderaum ganz dicht neben einem
längsseit liegenden Fischdampfer; das mindestens 6000 Tonnen
große Schiff bekommt Schlagseite. Nachdem sein Sinken sichergestellt ist,
nach Norden abgelaufen."
Kapitänleutnant Steinbrinck versenkt auf dieser Fahrt 27 000 Tonnen und
hat damit seit dem 1. Februar 1917 einen Gesamterfolg von über
200 000 Tonnen erreicht. Steinbrincks Nachfolger auf
"U B 57", Oberleutnant Loß, versenkt auf einer Unternehmung
vom 29. Januar bis 15. Februar 9 Dampfer mit 25 000 Tonnen, auf der
nächsten Fahrt vom 15. März bis 1. April 6 Dampfer und
3 Segler mit 27 000 Tonnen, auf der folgenden, nur 4 Tage, vom 28. April
bis 2. Mai dauernden Unternehmung 7 Dampfer mit 22 500 Tonnen, auf
der nächsten vom 19. Mai bis 1. Juni 5 Dampfer mit 27 300 Tonnen,
auf der nächsten vom 28. Juni bis 8. Juli 4 Dampfer mit 20 000
Tonnen; er hatte also trotz aller Gegenwirkung in wenig mehr als 5 Monaten des
Jahres 1918 auf 5 Fahrten 122 000 Tonnen versenkt! Auf der dann
folgenden Fahrt starb er mit seiner ganzen Besatzung den Heldentod.
Selbst mit einem so alten U-Boot wie "U 19" gelang es Kapitänleutnant
Spieß auf einer Fahrt vom 19. Februar bis 9. März 1918 nach dem
Nordkanal mit hervorragendem Schneid und dabei vorbildlicher
Überlegung und Ruhe 4 Dampfer von 35 500 Tonnen zu versenken.
Welche ungeheure Mühe es manchmal machte, einen großen
Dampfer zum Sinken zu bringen, zeigt deutlich der Angriff von
"U B 64" (Kapitänleutnant v. Schrader) auf die
"Justitia":
[278] "19. Juli 1918
350 Nm. Alarm, zwei Zerstörer
in Sicht, Kurs 320° (Anm. = Nordwest). Hinter den
Zerstörern Konvoi. Boot steht recht davor.
Angriff zum Doppelbugschuß auf
größten Dampfer (drei Schornsteine, zwei Masten) angesetzt.
Dampfer steht in der Mitte des Konvois, der ungefähr 12 Dampfer stark ist.
Sicherung durch Zerstörer, U-Bootsjäger, in großen Mengen.
Konvoi fährt Zickzack. Kurz vor dem Schuß dreht Dampfer auf Boot
zu, daher nur noch Heckschuß möglich.
433 Nm.
Schuß aus Rohr V,
Tiefe 4 m, Abstand 350 m, Schneidungswinkel 80°, Kurs 200°,
Geschwindigkeit 14 sm. Treffer hinter der Brücke
Backbordseite.
Englischer Dampfer »Justitia«,
32 120 Tonnen in Ballast.
Auf Tiefe gegangen; es folgen 35 Wasserbomben, die gut
deckend liegen.
520 Nm. Auf 11 m. Dampfer liegt gestoppt,
bläst viel Dampf ab. Anscheinend Schuß in Kessel oder
Maschinenanlage. Viele Zerstörer sichern.
Auf Gegenkurs zum Angriff. Zerstörer fahren des
öfteren über das Boot weg.
615 Uhr Nm. Doppelschuß aus Rohr I
und II, je ein Torpedo, Tiefe 4 m, Abstand 2000 m, Schneidungswinkel 90°,
Kurs 17°. Treffer Mitte und achtern, Backbordseite, auf gestoppt liegenden
Dampfer. Auf Tiefe gegangen, 23 Wasserbomben, die sofort nach Schuß
fallen.
703 Uhr Nm.
Auf 11 m. Dampfer hat Backbordschlagseite, liegt achtern tief drin. Neuen
Angriff angesetzt. Da Zerstörer dauernd in der Nähe, kann Sehrohr
nur selten gezeigt werden. In der Zwischenzeit ist Dampfer durch
größeren Seeschlepper auf südlichen Kurs geschleppt worden.
»U B 64« ist dadurch so nahe herangekommen und so vorlich,
daß Schuß nicht möglich. Auf Schußabstand abgelaufen.
Boot befindet sich auf Steuerbordseite des Dampfers. Dampfer wird mit
ungefähr 3 bis 4 sm Fahrt geschleppt mit Kurs 180°. Unter
Wasser vorgesetzt. 948 Uhr Nm. Schuß aus
Rohr IV, Tiefe 4 m, Abstand 900 m, Schneidungswinkel 75°,
Kurs 105°. Treffer auf Steuerbordseite.
Auf Tiefe gegangen. 11 Wasserbomben. Auf 0°
abgelaufen, da Batterie erschöpft.
1038 Uhr
Nm. Auf 11 m. Dampfer befindet sich noch im Schlepp, Schlagseite hat
zugenommen, ebenfalls Tiefertauchung.
1128 Uhr
Nm. Aufgetaucht, aufgeladen. Torpedos in vorderen Rohren nachgeladen.
1150 Uhr
Nm. Nach den vier Treffern war an dem Untergang des Dampfers nicht mehr zu
zweifeln. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die letzten Schotten brechen
würden. Die Krängung des Dampfers war durch Gegenfluten
teilweise beseitigt worden. Das Schleppen gegen die See mußte zum
baldigen Kentern beitragen.
20. Juli 1918. Während der Nacht Fühlung
gehalten, um unter allen [279] Umständen
Sinken zu beobachten. Dampfer wurde anfänglich mit 3 sm Fahrt
nach Nordkanal geschleppt. Da sich Zustand des Dampfers dauernd
verschlimmert hatte, ist Schleppzug gegen Morgen auf Kurs Süd nach
Lough Swilly gedreht. Überwassernachtangriff wegen zu großer
Helligkeit unmöglich.
4 Uhr Vm. Alarm. Dampfer erneut unter Wasser
angegriffen. Während des Anlaufs wurde festgestellt, daß Dampfer
seinen Kurs nicht durchgehalten, sondern quer zur See trieb. Darauf zugehalten.
Eine Ablösung der Schlepper war zur Stelle. Bei der ziemlichen Dunkelheit
und dem Wirrwarr van Fahrzeugen war es besonders schwer, in richtige
Angriffsposition zu kommen. Bevor »U B 64« auf
Schußabstand heran war, wurde Dampfer angeschleppt. Sehr achterliche
Position. Dampfer lag bedeutend tiefer, hatte durch das Schleppen schwer
gelitten.
Batteriezustand reicht nicht aus, um unter Wasser
mitzulaufen.
537 Uhr Vm. Schuß aus Rohr IV, Tiefe
4 m, Abstand 900 m, Schneidungswinkel 40°, Kurs 220°.
Keine Detonation gehört wegen Wasserbomben. Unter Wasser
abgelaufen.
620 Uhr Vm.
Auf 11 m. Dampfer liegt quer und treibt mit erheblich stärkerer Schlagseite,
so daß jeden Augenblick mit dem Sinken zu rechnen ist.
Unter Wasser Hecktorpedo und einen vorderen Torpedo
nachgeladen.
840 Uhr Vm.
Aufgetaucht. Es konnte jetzt festgestellt werden, daß die Wasserbomben die
Ölbunker schwer mitgenommen hatten, so daß Boot breite
Ölspur. Überwasservorsetzmanöver vor Dampfer. Dampfer
zur Zeit aus Sicht.
Funkspruch an die in der Nähe befindlichen
Boote.
11 Uhr Vm. Dampfer auf Kurs 180° an Backbord in
Sicht. An ein Erreichen der Küste ist nicht mehr zu denken. Dampfer wird
mit schwerer Schlagseite kaum mehr von der Stelle gebracht.
1130 Uhr
Vm. Über Wasser vorgesetzt. Zwei hohe, klare Wassersäulen, die
dicht aufeinander folgen, hinter Dampfer beobachtet. Mußte von zwei
Torpedos herrühren. Im Boot Detonationen von 35 Wasserbomben
gehört.
120 Uhr Nm.
Aufgetauchtes englisches
U-Boot mit Flagge auf dem Turm läuft dem Schleppzug entgegen.
123 Uhr Nm.
Alarm. Auf Dampfer zugehalten zum neuen Angriff. 215 Uhr Nm. Dampfer treibt mit starker
Backbordschlagseite, Steuerbord-Brückennock hoch in der Luft.
Dampfer ist nicht mehr zu sehen. Dampfer inzwischen
gesunken."
Die beiden Treffer, die um 1130 Uhr
Vm. am 20. Juli auf die "Justitia" erzielt waren, rührten von "U 54"
(Oberleutnant z. S. v. Ruckteschell) her, der den Schleppzug
ebenfalls zufällig getroffen hatte.
Eine ebenso kühne wie besonnene Unternehmung war der Angriff von
"U B 48" (Kapitänleutnant Steinbauer) auf Schiffe im
befestigten Hafen von Carloforte (Sardinien). "U B 48" hatte am 26.
April 1918 2 Dampfer torpe- [280] diert, einer derselben
war nicht gesunken. Auf ihn beziehen sich die ersten Worte des folgenden
Auszugs aus dem Kriegstagebuch vom 28. und 29. April:
"28. April 1918. Dampfer nicht
wiedergefunden. Aus F. T. festgestellt, daß er voraussichtlich nicht mehr
Bône erreichen konnte und bei Carloforte (Insel San Pietro) aufgesetzt ist.
Dorthin ist auch - wie mir bekannt - vor 10 Tagen der (Anm.
beschädigte) Transporter »Kingstonian« eingebracht. Ich
werde einzudringen versuchen.
San Pietro angesteuert und, nachdem in
Morgendämmerung in der Bucht der »Kingstonian« erkannt,
zur Aufklärungsfahrt getaucht. Carloforte wird seit längerer Zeit als
Zufluchtshafen für Transporter benutzt, ist als »befestigter
Platz« bekannt und Erzverschiffungshafen. Ich rechne daher mit
möglicher Sperrung der inneren Bucht auf der Höhe von Colonna,
dem Beginn der engen Einfahrt. Darum außerhalb dieser Linie zum
Einpeilen des »Kingstonian« gesteuert. (Basis P 1 bis
P 2.)
In der Bucht liegen zahlreiche Fahrzeuge: 2 Dampfer,
darunter »Kingstonian«, der eben außerhalb der
10-m-Linie auf 15 m Wassertiefe geankert hat; ferner 3 Viermastschuner,
mehrere Dreimastschuner und im Hafen von Carloforte viele kleine Segler und
Dampfschiffe (Fischdampfer?).
Von Norden einlaufen unter der Insel San Pietro ein
englischer großer Seeschlepper mit 2 Schornsteinen, ein großer
französischer Fischdampfer, beide bewaffnet. In ihrem Kielwasser
eingelaufen. Sie gehen zu »Kingstonian«. Fischdampfer ankert,
Seeschlepper macht längsseit fest.
Mittags zum Feststellen des Auslaufkurses ins Kielwasser
eines Fischdampfers gesetzt, der mit 180° mitten durch die Einfahrt die
Bucht verläßt. Eine Sperre scheint mir nach dieser Beobachtung nicht
zu liegen.
Die Annahme bestätigt sich bei Eintreffen eines
schnellen, kleinen, armierten Dampfers (800 bis 1200 Tonnen), der in der
Nähe »Kingstonian« mit diesem signalisiert und auf direktem
Kurse ein- und aussteuert.
Ich gehe nunmehr ganz in die innere Bucht hinein: Auf
der mir bisher abgekehrten Seite hat »Kingstonian« noch einen
zweiten Seeschlepper (mit englischer Kriegsflagge) längsseit.
»K.« hat Ladung gelöscht,
liegt - etwas vorlastig - hoch aus dem Wasser, Schlepper,
Fischdampfer und »Kingstonian« haben Dampf; ich hoffe, sie
werden heute Nacht auslaufen, so daß ich sie auf tiefem Wasser fassen
kann; ich unterlasse deshalb jetzt den an und für sich günstigen
Schuß und warte noch eine Nacht auf Schußgelegenheit vor dem
Hafen.
In der Nähe des
»Kingstonian« - innerhalb der
10-m-Linie - liegt ein, etwas weiter ab zwei weitere Viermastgaffelschuner,
der erste tief beladen.
Jenseits der Barre, auf seichtem Wasser, sitzt ein
Dampfer - vermutlich der von mir torpedierte - (Entfernung 3 sm).
Nach Beendigung der Aufklärung aus der Bucht ausgelaufen.
Aufgetaucht.
Nachts vor Carloforte kein Verkehr. Es läuft kein
Schiff aus.
[281] 29. April 1918.
Vor Morgengrauen in den Kanal von San Pietro eingelaufen.
»Kingstonian« liegt noch in der Bucht, die Schlepper liegen jetzt
beide auf derselben Seite. Das erleichtert mir den beabsichtigten
Überwasserangriff, da ich mit Feuerüberfall nach dem
Torpedoschuß beide Fahrzeuge gleichzeitig vernichten kann, ohne um den
Transporter herumfahren zu müssen.
Wieder ausgelaufen, um nicht durch das
Motorengeräusch bei dem spiegelglatten Wasser und der im Hafen
herrschenden Totenstille verraten zu werden. Draußen
Bereitschaftsmunition gemannt und gefechtsklar gemacht,
dann - bei fahlem Mondlicht und schon beginnendem
Dämmern - mit äußerster Kraft eingelaufen.
In wenigen Minuten entwickelt sich folgendes Bild:
Von der Innenseite her fällt auf 600 m der
Torpedoschuß, der - mit 4 m Tiefeneinstellung unter den beiden Schleppern
durchgehend - mit gewaltiger Detonation den »Kingstonian«
in der Mitte auseinanderreißt. Gleichzeitig erfolgt Schnellfeuer auf die
Schlepper. Nach ein paar Schüssen sind sie in blendend weißen
Qualm gehüllt und in der mächtigen, schwarzen Explosionswolke
des »Kingstonian« verschwunden; sie sind unschädlich.
Während ich das Boot herumdrehe, um den ersten hinter mir liegenden
Segler zu vernichten, wird von Land her das Feuer auf uns eröffnet. Der der
Explosion folgende Geschützdonner, der in mehrfach krachendem Echo
von den Felsufern widerhallt, hat drüben jetzt wohl jeden Zweifel
darüber genommen, daß es sich nur um einen Überfall handeln
kann. Erstaunlich schnell setzt Schlag auf Schlag die Gegenwirkung ein. Leider
wird es rasch hell. Die draußen an der Einfahrt und auf der Insel Antioco
liegenden Forts können das im Hafen operierende
U-Boot sehen und vereinigen ihr Feuer mit der Molenbatterie von Carloforte, der
wir ein paar Schrapnells hinüberschicken. Auch vom Heck des sinkenden
»Kingstonian« wird törichterweise noch geschossen; drei
unserer Granaten holen die Geschützbedienung herunter und ersticken das
Feuer. Die unterbrochene Beschießung des 500 m landwärts
liegenden Seglers wird wieder aufgenommen; nach zwei Treffern beginnt er zu
brennen.
Da bricht zwischen den Segelfahrzeugen mit hoher Fahrt
und wildem, regellosem Schnellfeuer ein Motorboot hervor. Ich kann im
Dämmerlicht die Gefechtskraft des Fahrzeuges noch nicht übersehen,
muß daher die Beschießung der zu Anker liegenden Fahrzeuge
abbrechen, um die 3 sm lange, von den Batterien beider Ufer bestrichene
Enge der Einfahrt mit Höchstfahrt zu passieren.
»Kingstonian« ist in der Mitte zerbrochen,
die achtere Hälfte im Wegsacken, die vordere hängt noch an der
Back. Der innere Schlepper ist, in seinen Leinen hängend, gesunken, der
äußere hatte losgeworfen, liegt mit schwerer Schlagseite und
völlig in Qualm gehüllt, 4 bis 5 m neben
»Kingstonian«. Alle drei Fahrzeuge sind wohl mit Sicherheit
vernichtet.
Das Motorboot wird bei Tageslicht erkannt als etwa 50
Tonnen großes Fahrzeug mit etwa
5- bis 7-cm-Buggeschütz und wahrscheinlich auf dem
Achter- [282] deck Torpedorohr; es
manövriert offenbar auf Torpedoschuß in folgender Weise:
Aufdampfen in meinem Kielwasser, da es weiß, daß ich recht
achteraus nicht schießen kann; dann Vorsetzen durch plötzliches
seitliches Ausbrechen. Manöver wird ihm dadurch erschwert, daß es
dabei in das Feuer der Landbatterien gerät (es schießen jetzt 6
Batterien, teils Flachbahngeschütze, teils Haubitzen, von beiden Ufern).
Durch mein Sperrfeuer vor seinen Bug verhindere ich sein Vorlaufen.
Mit geringen Kursänderungen bringe ich das Boot
unbeschädigt durch die gefährlichste Zone der feindlichen Batterien,
bis eine Haubitzbatterie bei Cap Calonne (Insel San Pietro) mich eindeckt. Das
Boot steht jetzt auf tiefem Wasser.
Alarmtauchen. E-Maschinen unklar. Springen nicht an.
Befehl: »Untertrieb. Boot auf Grund legen.« Wassertiefe
50 m. Boot fällt schnell, auf 30 m springen die Maschinen an:
der Trennungsschalter im Offiziersraum war beim Schießen herausgefallen.
Unter Wasser südwärts abgelaufen. Zu dem Motorboot kommt noch
ein großer Fischdampfer, beide suchen vor dem Hafen.
gez. Steinbauer."
Der Umstand, daß hier durch Kapitänleutnant Steinbauer ein von "U
B 68" (Kapitänleutnant v. Heimburg) bereits torpedierter Dampfer
zum Sinken gebracht wurde, legt die Frage nahe, wie eigentlich die amtlichen
Veröffentlichungen des Admiralstabs über die durch
U-Boote oder ihre Minen versenkten Schiffe zustande kamen und wie sie nach
den bisherigen Nachrichten von der Entente nach dem Kriege zu bewerten sind.
Im Admiralstab wurden während des Krieges für die Versenkung
zwei verschiedene Kontrollen geführt. In die eine kamen die von
U-Booten gemeldeten Versenkungen durch Torpedos, Artillerie, Sprengpatronen,
in die andere die Mitteilungen über Schiffsuntergänge durch die
englische Admiralität, Lloyds Agenten, Reuter, die Fachpresse,
aufgefangene Funksprüche usw. Die von den
U-Booten als unbekannt gemeldeten Schiffe, die sie versenkt hatten, wurden an
Hand der zweiten Liste versucht zu identifizieren. Ebenso wurden vermittels der
zweiten Kontrolle die Minenerfolge festgestellt. Schiffe, von denen nicht
gemeldet war, daß sie gesunken seien, wurden nicht als Erfolg in die Listen
aufgenommen.
Für die Feststellung der Minenerfolge standen bis Anfang 1917 genug
zuverlässige Nachrichten durch die feindlichen Funksprüche,
Lloyd usw. zur Verfügung. 1917 wurde das anders. Es wurde deshalb aus dem
Durchschnitt sämtlicher für die Zeit vom November 1916 bis
Februar 1917 bekanntgewordenen Minenverluste innerhalb des
europäischen Kriegsgebietes eine monatliche Minenquote von
137 000 Tonnen errechnet und in die Monatszusammenstellungen
eingesetzt. Man ging dabei von der Annahme aus, daß sich die
Vergrößerung der Zahl von
Minen-U-Booten auf deutscher Seite und Verstärkung der Abwehr gegen
Minen auf gegnerischer Seite die Wage hielten. Als man jedoch den Eindruck
gewann, daß die Minenquote vielleicht doch zu hoch sei, ging man
vorsichtshalber [283] im Oktober 1917 auf
100 000 Tonnen monatlich, im Juni 1918 auf 90 000 Tonnen, im
August 1918 auf 80 000 Tonnen, im September 1918 auf 50 000
Tonnen zurück.
Trotz dieser überaus gewissenhaften und sorgfältigen Methode, wie
die Versenkungen festgestellt wurden, haben sich erhebliche Unterschiede in den
englischen Angaben und den deutschen Angaben herausgestellt. Während
des Krieges war das nicht wunderbar. Der amerikanische Admiral Sims berichtet
in Pearsons Magazine, daß die englische Admiralität 1917,
als Sims in England eintraf, den Umfang der Versenkungen mit Rücksicht
auf die Stimmung im Volk geheimhalten mußte. Die Zahlen von
Schiffsverlusten, die ihm Admiral Jellicoe für den Februar bis April 1917
zeigte, waren drei- bis viermal so hoch, als die, die nach den Nachrichten in der
Presse zu erwarten waren. Möglich ist, daß England auch jetzt noch,
nach dem Kriege, Interesse daran hat, seine Schiffsverluste geringer erscheinen zu
lassen, als sie in Wirklichkeit waren. Es hat die Verluste an
Kriegs- und Handelsschiffen in zwei Weißbüchern 1919
herausgegeben. Das Weißbuch mit den Handelsschiffsverlusten trägt
ausdrücklich den Vermerk: "Soweit bekannt". Vollständig ist diese
Liste also auf keinen Fall, was auch an einzelnen Beispielen nachzuweisen ist. Ein
genaues Bild, wie die deutschen amtlichen Veröffentlichungen zu bewerten
sind, läßt sich deshalb noch nicht gewinnen; auch deshalb nicht, weil
Zusammenstellungen der Handelsschiffsverluste der anderen feindlichen Staaten,
Amerika, Frankreich, Japan, Italien, noch nicht erschienen, und manches
unbekannte Schiff, das wir als wahrscheinlich englisch bezeichnet haben,
vielleicht einer anderen Flagge angehörte und umgekehrt.
Alles in allem sind die vom Admiralstab veröffentlichten Schiffsverluste
der Gegenseite als richtig anzusehen; es ist anzunehmen, daß dies bei
fortschreitender Bekanntgabe der Tatsachen von seiten der Entente immer mehr
festzustellen sein wird.
Bemerkenswert ist zum Beispiel, daß nach einer Veröffentlichung der
amerikanischen Zeitung Public Ledger vom Januar 1918 der Leiter des
englischen Schiffahrtsamts, Sir Maclay, angegeben hat, die Deutschen
hätten in 7 Monaten, vom 25. Februar 1917 ab gerechnet, 5 Millionen
Tonnen an englischen Handelsschiffen und nahezu 1 Million sonstigen
Schiffsraums versenkt, also zusammen nahezu 6 Millionen Tonnen. Die
Versenkungsangaben des deutschen Admiralstabes beziffern sich für diese
Zeit auf 6 203 000 Tonnen, geben also ziemlich genau dieselbe Zahl
an.
Außer acht gelassen sind bei den deutschen und natürlich erst recht
bei den englischen Angaben die Beschädigungen von Handelsschiffen, die
mit Abnahme der Versenkungen naturgemäß stiegen, indem es dank
der größeren
Vorsichts- und Sicherheitsmaßnahmen öfters gelang, ein torpediertes
Schiff schwimmend zu erhalten, einzuschleppen oder auf den Strand zu setzen,
Beschädigungen, die ferner infolge der Überanstrengung der
Handelsschiffe häufiger wurden. Nach amtlicher [284] englischer Statistik
lagen am 1. Januar 1917 Handelsschiffe von 100 000 Tonnen Raumgehalt
auf englischen Werften zur Reparatur; am 1. Januar 1918 war es 1 Million
Tonnen! Während des Jahres 1917 hatte sich also der Raumgehalt der
reparaturbedürftigen Schiffe verzehnfacht.
Will man den Einfluß der Schiffsversenkungen oder besser gesagt, des
U-Bootskrieges überhaupt, auf verschiedene Seiten der feindlichen
Kriegs- und Friedenswirtschaft feststellen, so verdienen das größte
Interesse die Einwirkungen auf den Landkrieg. Sie erschöpften sich nicht
darin, daß eine große Menge von Dampfern mit Kriegsmaterial (nach
Feststellungen des Admiralstabs im Lauf des Jahres 1917 565, darunter 97 Schiffe
mit Munition) oder Truppen untergingen, daß diese Verluste des Feindes,
wie General Ludendorff im Sommer 1917 hervorhob, eine wesentliche Entlastung
der Westfront herbeiführten, daß, ebenfalls nach einer
Äußerung des Generals Ludendorff, auch an der Ostfront der Mangel
der Russen an schwerer Artillerie infolge von
U-Bootserfolgen festzustellen war, oder daß nach einem aufgefangenen
feindlichen Funkspruch zeitweise ernstlich erwogen wurde, die
Saloniki-Front erheblich einzuschränken wegen Mangel an Schiffsraum,
um sie zu versorgen.29 Noch weitergehend und tiefer
einschneidend waren die mittelbaren Einwirkungen des
U-Bootskriegs. Sie bestanden darin, daß erhebliche Kräfte an
Menschen und Material, die sonst dem Landkrieg hätten nutzbar gemacht
werden können, diesem entzogen wurden. Am deutlichsten tritt dies darin
zutage, daß allein England nach amtlicher englischer Statistik 3745
Geschütze mittleren Kalibers (10 bis 19 cm) und 9210
Geschütze leichten Kalibers (unter 10 cm), zusammen also rund
13 000 Geschütze für Bewaffnung der
Handels- und Hilfsschiffe gebraucht hat. Rechnet man für jedes
Geschütz im Durchschnitt eine Geschützbedienung von 5
ausgebildeten Leuten, so ergibt sich daraus ein Bedarf an Personal von
65 000 Mann, die sonst an die Landfront hätten geschickt werden
können. Hierin sind Geschütze und Geschützbedienungen der
französischen, italienischen und amerikanischen Handelsschiffe noch nicht
eingerechnet. Aber der Einfluß geht noch weiter. Die von
U-Booten versenkten Schiffe mußten durch Neubauten ersetzt werden.
Neue Werften mußten angelegt, die vorhandenen
aus- oder umgebaut, die Schiffbauindustrie bis zum äußersten
angespannt werden. Als die große Krisis, die im Jahre 1917 für die
Entente auftrat, zunächst überwunden war, tauchte bald die Gefahr
der Überflüglung des englischen Schiffsbaues durch den
amerikanischen auf, die den ersteren zu neuen Anstrengungen zwang. Diese
bedeuteten bei der abnehmenden Arbeitsleistung des einzelnen einen
unverhältnismäßig hohen Bedarf an Menschen. Aber damit
nicht genug: die durch Minen, Torpedos, Geschützfeuer oder
Zusammenstoß beschädigten oder infolge des überhasteten
Baues und Überanstrengung im Seedienst oft
reparatur- [285] bedürftigen
Schiffe belasteten die Werften in früher nicht gekannter Weise. Es wurde
bereits erwähnt, daß gelegentlich der Etatsberatungen im englischen
Unterhaus im Frühjahr 1919 mitgeteilt worden ist, am 1. Januar 1917
hätten 100 000 Brutto-Register-Tonnen Schiffsraum, am 1. Januar
1918 dagegen 1 000 000 Brutto-Register-Tonnen zur Reparatur in
englischen Häfen gelegen. Sie erforderten naturgemäß auch
das Zehnfache an Arbeitern wie ein Jahr zuvor. Dazu kam die Herstellung,
Besetzung, Instandhaltung und der Ersatz der unzähligen Abwehrmittel, der
Zerstörer, U-Bootsjäger, Motorfahrzeuge,
U-Boote, Luftfahrzeuge, U-Bootsfallen,
Netz- und Horchverbände, Minensucher
und -räumer. 1917 waren, nach amtlicher englischer Angabe, allein
für das Minensuchen 3200 englische Fahrzeuge mit 25 000 Mann
Besatzung in Dienst.
Laut amtlicher englischer Statistik dienten in der englischen Marine vor dem
Krieg 146 000, bei Kriegsende 407 000 Mann. Man wird nicht fehlgehen in
der Annahme, daß davon mindestens 200 000 Mann in der
U-Boots- und Minenabwehr beschäftigt waren. Dazu kamen
schließlich die Menschen, die die Waffen gegen die
U-Boote, die Geschütze mit ihren Geschossen, die Wasserbomben, Minen,
Torpedos, Netze, Horchapparate usw. herstellten und verwalten mußten.
1918 ist in Deutschland der Versuch gemacht worden, ein Bild über den
Aufwand an Menschenkräften zu gewinnen, den der
uneingeschränkte U-Bootskrieg nach dem Stand vom Beginn des Jahres
1918 auf beiden Seiten erforderte. Mangels sicherer Zahlenangaben von
englischer Seite konnte die Berechnung nur angenähert durchgeführt
werden; aber jedenfalls waren sämtliche Angaben mit Absicht stark nach
der für Deutschland ungünstigen Seite abgerundet worden. Ihr
Ergebnis war daß in Deutschland für Besetzung, Ersatz,
Instandhaltung und Versorgung der U-Boote und derjenigen Fahrzeuge, die die
U-Boote im Bereich der Stützpunkte sicherten und geleiteten,
112 000 Menschen, in England für Besetzung, Ersatz, Instandhaltung
und Versorgung der Abwehrfahrzeuge sowie unmittelbar am Bau von
Handelsschiffen als Ersatz für die versenkten Schiffe 770 000
Menschen tätig waren. Alle diese Menschenkräfte hätten dem
Landkrieg zur Verfügung gestanden, wenn Deutschland keinen
uneingeschränkten U-Bootskrieg geführt hätte. Wie mit dem
Personal, so stand es ähnlich mit dem Material. Die 13 000 auf
englischen Handelsschiffen und Hilfsschiffen eingebauten Geschütze fielen
direkt an der Westfront aus. Ebenso alle Flugzeuge, Luftschiffe, Ballons,
desgleichen 3700 Scheinwerfer auf Hilfsschiffen und die Horchapparate. Infolge
des Schiffsraummangels konnte nicht so viel Stahl für Herstellung von
Granaten und Tanks zur Verfügung gestellt werden, wie hätte
verarbeitet werden können. Churchill teilte in einer Rede am 11. Januar
1918 mit: "Ich habe um Hunderttausende von Tonnen den Granatstahl vermindern
müssen, für dessen Verarbeitung die Fabrikanlagen bereitstehen,
für den die Zünder bereitliegen, für den die Geschütze
bereitstehen, für den das Geschützpersonal bereit ist, nur aus Mangel
an Schiffen." Die Munitionsmengen, die für eine einmalige
Ausrüstung der [286] Geschütze auf
englischen Handels- und Hilfsschiffen gebraucht wurden, sowie die Mengen, die für
die laut amtlicher Statistik von England während des Krieges gebauten
Torpedos, Minen und Wasserbomben nötig waren, beliefen sich nach
durchschnittlicher, vorsichtiger Berechnung auf 45 896,5 Tonnen oder
917 930 Zentner Sprengstoff. Dies entspricht nahezu der Leistung einer
unserer größten Sprengstoffabriken für die Dauer eines ganzen
Jahres. Die durchschnittliche Geschoßladung eines mittleren
Geschützes ist dabei zu 6 kg, die eines leichten zu 1,5, die eines
Torpedos zu 130, die einer Mine zu 115, die einer Wasserbombe zu
150 kg angesetzt. Nicht in Rechnung gestellt sind hierbei die Ladungen der
Netzminen, der Luftschiff- und Fliegerbomben und der
U-Bootsdrachen, weil dafür Zahlenangaben fehlen; ebenso läßt
sich der Verbrauch an Munition in der
U-Bootsabwehr und die sich daraus ergebende Ersatzmenge nicht
annähernd berechnen.
Das für Netzsperren gegen U-Boote gebrauchte Drahttauwerk hätte
für Stacheldraht an der Westfront verwendet werden können;
desgleichen das für Minensuchen
und -räumen benötigte Stahltauwerk, das nach der Statistik
zum englischen Marineetat 1919/1920 8 825 500
Faden = 16 327 175 Meter oder 16 327
Kilometer betrug. Völlig unberechenbar ist endlich, welchen Zuwachs an
Kriegsmaterial die Landkriegführung erhalten hätte, wenn der
für Neubau und Reparatur von Handelsschiffen und Abwehrfahrzeugen
gebrauchte Stahl sowie die erforderlichen Maschinen, Motoren, Dynamos usw.
gespart und anders hätte verwendet werden können.
Alle diese Betrachtungen legen die Frage nahe, ob nicht der
U-Bootskrieg, auch wenn man ihn nicht für kriegsentscheidend hielt, doch,
allein schon zur Entlastung der Landfront, hätte geführt werden
müssen.
Anfang Oktober mußte wegen der Verlegung der Westfront Flandern
geräumt und damit auch die
U-Bootsstützpunkte verlassen werden. Die
Flandern-U-Boote gingen bis auf 4, die in Reparatur waren und nicht fahrbereit
gemacht werden konnten, nach Bremerhaven, wo schon 1917 ein
U-Bootsstützpunkt neueingerichtet war. Am 15. Oktober 1918 wurde der
U-Bootskrieg auf Verlangen Wilsons eingestellt; die Einstellung war die erste
Voraussetzung für die Einleitung von Friedensverhandlungen. Die
Forderung bewies schlagend die Bedeutung des
U-Bootskrieges auch Oktober 1918 noch, trotz allen Geredes der Gegenseite von
der Überwindung der U-Bootsgefahr. Wie schon mehrfach, mußte die
U-Bootswaffe sich von neuem auf Aufgaben gegen Kriegschiffe einstellen. Bald
kam jedoch eine neue Unterbrechung; infolge der jugoslawischen Revolution
mußten die deutschen Mittelmeer-U-Boote Ende Oktober nach der Heimat
gezogen werden. 10 U-Boote konnten für die weite Fahrt nicht mehr
bereitgemacht werden; sie wurden vor Triest, Pola, Fiume und Cattaro versenkt;
kein U-Boot fiel [287] den Aufrührern,
die sofort mit dem Feinde in Verbindung traten, in die Hände. Von den
fahrbereiten Mittelmeer-U-Booten ging "U 34" auf der Heimreise
verloren.
Während dieser Heimreise der Mittelmeer-U-Boote trat in Deutschland die
politische Umwälzung ein. Die fahrbereiten
U-Boote der Heimatverbände hatten keinen Anteil an ihr. Sie lagen in jenen
Novembertagen zuerst in Helgoland, dann hinter Sylt unter dem Kommando ihres
Befehlshabers, Kommodore Michelsen, bereit gegen die in der Deutschen Bucht
erwartete englische Flotte. Erst als die Umwälzung vollzogen war und die
Vorräte zur Rückkehr in die Stützpunkte zwangen, gingen die
U-Boote auf Befehl ihres Führers in die einzelnen Häfen.
Am 24. November 1918 trafen sich die 11 heimkehrenden
Mittelmeer-U-Boote im Hafen von Lervik (Norwegen) und marschierten
gemeinsam, in geschlossener Formation, mit Kriegsflagge und Heimatswimpel,
nach Kiel, wo sie am 29. November 1918 eintrafen. Sie gewährten den
letzten, stolzen Anblick eines Teils einer einst stolzen Flotte!
Während der Heimreise war es "U B 50" (Kapitänleutnant Kukat)
gelungen, das englische Linienschiff "Britannia" kurz nach Passieren der
Straße von Gibraltar zu versenken. Kapitänleutnant Kukat berichtet
darüber im Kriegstagebuch: Atlantic. 9. November 1918, 720 Uhr Vm.
"Vor einem in der Dämmerung
mit Einlaufkurs nach Gibraltar in Sicht kommenden Kriegschiff zum Angriff
getaucht.
Wird als Linienschiff mit 2 Schornsteinen, einem langen
und einem kürzeren Mast, Typ »Britannia«, ausgemacht, dem
sich 2 Zerstörer als Sicherung anschließen. Das Linienschiff
fährt starke Zickzackkurse, so daß ich nur auf sehr weite Entfernung
zum Schuß komme.
Auf über 2000 m Doppelschuß mit etwa 100
m Streuung. I. und II. Rohr los. - Nach etwa 2
Minuten - Boot ist gerade im Begriff, auf Tiefe zu
gehen - wird laute, typische Torpedodetonation hörbar. Mit
äußerster Fahrt kurze Zeit abgelaufen. Keine Wasserbomben.
Nach einer halben Stunde auf Sehrohrtiefe. Das
Linienschiff wird in etwa 5000 bis 6000 m Entfernung mit
Backbordschlagseite, aber noch in Fahrt, gesehen. Eine Anzahl Zerstörer
mit hoher Fahrt und Zickzackkursen in Sicht. Einer sieht das Sehrohr, das wegen
Beschlagen der Vergrößerung höher als sonst ausgefahren
ist.
Auf 50 m gegangen. Boot erhält 21 Wasserbomben.
Mit höchster Fahrt abgelaufen. Mit höchster Fahrt und gleichem
Kurs versuche ich mich dem Linienschiff vorzusetzen.
Mit Strom muß gespart werden, da ich wieder in die
Gibraltar-Straße hineinhalte und evtl. noch den ganzen Tag unter Wasser
gehalten werde.
Auf Sehrohrtiefe. »B 50« ist dem
Linienschiff, das von 4 Zerstörern gesichert wird und mit geringer Fahrt auf
Tanger zuhält, anscheinend, um sich [288] auf Strand zu setzen,
erheblich aufgekommen. Die Schlagseite des Schiffes hat stark zugenommen.
Flieger in Sicht. Auf 35 m gegangen und mit großer Fahrt dem
Linienschiff vorgehalten, um nach einer halben Stunde auf 11 m zu gehen
und den Fangschuß zu geben. Auf Sehrohrtiefe und Angriffskurs. Das
Linienschiff hat inzwischen noch mehr Schlagseite bekommen. Ehe ich auf
Schußweite heran bin, kentert es und sinkt.
gez. Kukat"
Der Held dieses letzten Erfolges der U-Boote gegen das englische Linienschiff
"Britannia" fiel 1919 in der Marinebrigade Löwenfeld im Kampf gegen
Aufruhr; ein Bruder war 1918 als
U-Bootskommandant in Flandern gefallen.
Deutschland hat von 1906 bis 1918 371 U-Boote gebaut und in Dienst gestellt.
Bei Kriegsende waren 439 weitere
U-Boote in Bau. Von den in Dienst gestellten
U-Booten sind 199 im Kriege verlorengegangen; davon 178 durch den Feind
vernichtet, 14 von der Besatzung selbst versenkt, 7 in neutralen Häfen
interniert.
Der Feind hat also 50 v. H. der deutschen in der Front stehenden
U-Boote vernichtet. Der Prozentsatz ist hoch. Wenn man ihn aber mit dem
Verlust vergleicht, den England an
U-Booten zu verzeichnen gehabt und der 30 v. H. betragen hat,30 so erscheint er im Verhältnis zu
den beiderseitigen U-Bootserfolgen nicht sehr hoch. Denn was haben die
englischen U-Boote erreicht? Ihre Erfolge verschwinden vollständig hinter
denen der deutschen U-Boote. Während die deutschen
U-Boote 1917 und 1918 vom Auslaufen aus ihrem Stützpunkt an bis zur
Rückkehr mit schärfster Gegenwehr zu rechnen hatten,
beschränkte sich die Gegenwehr gegen die englischen
U-Boote auf die Gebiete unmittelbar vor den feindlichen Häfen.
Auf den Booten, die an der Front standen, haben nach angenäherter
Berechnung 13 000 Mann gedient. Von ihnen haben 5087 ihre Treue mit
dem Tode besiegelt. Der zahlenmäßige Erfolg des
U-Bootskrieges bestand - abgesehen von einer noch nicht feststellbaren
Zahl von feindlichen Kriegschiffen - in der Versenkung von 16 Millionen
Brutto-Register Tonnen Schiffsraum, der der Entente dienstbar war.
Die Aussichten waren im Herbst 1918 für den U-Bootskrieg nicht schlecht.
Von November 1918 bis April 1919 hatte die Front mit einem Zuwachs von 76
U-Booten zu rechnen. Die Verluste der letzten Monate hatten sich nicht
progressiv gesteigert, sondern schwankten hin und her, sie betrugen April 1918 8,
Mai 16, Juni 3, Juli 5, August 8, September 7. Es war also mit Zuwachs an
U-Booten zu rechnen, der die Verluste weit übertreffen würde. Auf
der Gegenseite aber standen die Dinge höchst kritisch. Der englische
Admiral Lord Fisher sagt in seinen Records:31
[289] "Ein
Kabinettsminister stellt nach dem Waffenstillstand in einem Zeitungsartikel fest,
daß die Alliierten am Ende ihrer Kraft waren, als es, wie ein Wunder, zum
Waffenstillstand kam. Auch Marschall Foch war auf dem toten Punkt
angekommen durch die Unfähigkeit der amerikanischen Armee, weiter
vorzurücken, und durch die unvermeidlichen Folgen des Mangels an
Erfahrung in einer neuen Armee (einer ungeheueren, aber
unerfahrenen - sie wurden zu Hunderten dahingeschlachtet und starben wie
die Fliegen), und so wurde der amerikanische Vorstoß auf der
Verdun-Flanke aufgehalten, und Haig hatte infolgedessen ihre Arbeit zu leisten
(und er machte es gut). Aber obgleich die englische Armee Mons nahm, so war
doch die deutsche Armee schlagkräftig, nicht demoralisiert und hatte
ungeheuere Widerstandslinien in ihrem Rücken, ehe sie den Rhein
erreichte. Das war kein Waterloo, Sedan, Trafalgar!..."
Die Lage der Entente auf dem Landkriegsschauplatz war also im Herbst 1918
keineswegs über jedem Zweifel erhaben.
Bei der Übergabe der U-Boote und Torpedoboote an die Engländer
nach dem Waffenstillstand wurden die deutschen Offiziere, Unteroffiziere und
Mannschaften häufig von englischen Marineangehörigen erstaunt
gefragt, warum Deutschland aufgehört habe zu kämpfen. England
wäre im Winter mit Sicherheit genötigt, Frieden zu schließen.
Dieselbe erstaunte Frage wurde einem
U-Bootskommandanten in Norwegen, Dänemark und Schweden
entgegengehalten, der sein Boot in Norwegen hatte internieren müssen und
zur Berichterstattung nach Deutschland reiste. Dieselbe Frage stellten Japaner mit
unverhohlener Besorgnis vor ihrer eigenen Zukunft an deutsche Kriegsgefangene.
In England und Italien herrschte Kohlenmangel, in Frankreich stand das gesamte
Transportwesen vor einer Krise. Englische Matrosen haben mehrfach die
deutschen Besatzungen bei der Übergabe der Fahrzeuge um Brot gebeten.
Die englische Marine war erstaunt, auf den deutschen Schiffen noch
Signalflaggen aus Stoff vorzufinden, bei ihnen mußte bereits mit
Papierflaggen gearbeitet werden.
Es wird deshalb verständlich, was Churchill im Sunday Pictorial
vom 12. Januar 1919 in einem Aufsatz veröffentlichte:
"Darf ich es sagen? Wir sind nur
gerade durchgekommen. Je mehr wir über den Kampf erfahren, um so mehr
erkennt man, an welchem kleinen, dünnen, gefährlichen
Fädchen unser Erfolg hing (on what small narrow perilous margins our
success turned). Beim ersten Ansturm wäre Frankreich beinahe
vernichtet worden. Nur ein wenig mehr, und der Unterseehandelskrieg
hätte, anstatt Amerika an unsere Seite zu führen, uns alle durch
Hunger zu unbedingter Übergabe gezwungen. Selbst nach dem 21.
März war die Gefahr äußerst groß für Paris wie
für die Kanalhäfen. Es war ein gleiches Wettrennen bis zum
Ende."
Genau ebenso hat sich Lloyd George im Herbst 1920 in einer Rede in Wales
geäußert. "Hätten die Deutschen etwas eher," sagte er, "die
Kraft ihrer U-Boote [290] auszunutzen
begonnen, - wer weiß, ob das Britannische Reich dann heute noch
bestünde."
Hätte man den U-Bootskrieg sich auswirken lassen, so hätte er,
dessen entscheidende Wirkung 1917 durch Kleinmut und Torheit gestört
war, trotzdem im Winter 1918/1919 zum Ziele geführt. Das Maß von
Besorgnis, das England vor deutschen U-Booten hatte, geht auch aus dem
"Friedensvertrag"
hervor. Artikel 181, der die erlaubte Größe der
deutschen Flotte festsetzt, enthält den Satz:
"U-Boote dürfen darunter nicht enthalten sein." Artikel 188 beginnt mit
dem Satz: "Mit Ablauf eines Monats nach dem Inkrafttreten dieses Vertrages
müssen alle deutschen U-Boote, U-Bootshebeschiffe und
U-Bootsdocks einschließlich der Druckdocks den alliierten und assoziierten
Hauptmächten übergeben sein." Artikel 191 lautet: "Der Bau und
Erwerb irgendeines U-Bootes, auch für Handelszwecke, ist Deutschland
verboten."
Selbst in diesen schmachvollen Bedingungen ist eine ruhmvolle Anerkennung der
deutschen U-Boote und ihrer unübertroffenen Besatzungen enthalten.
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