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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Der Seekrieg

Kapitel 4: Der Der U-Bootskrieg   (Forts.)
Fregattenkapitän Friedrich Lützow

4. Aussichten eines uneingeschränkten U-Bootskrieges 1915.

Dieser ungeheure Erfolg einer U-Bootsunternehmung, der trotz aller Einschränkungen erzielt wurde, legt die schon viel erörterte Frage nahe, welches die Aussichten eines uneingeschränkten U-Bootskrieges im Jahre 1915 gewesen wären. Der Großadmiral v. Tirpitz führt in seinen Erinnerungen aus, daß man 1917 das Dreifache an U-Booten brauchte, um den gleichen Erfolg wie 1916 zu erzielen. Kapitän Bartenbach schätzt - in dem Brief, der in den Tirpitzschen Erinnerungen abgedruckt ist, - daß 1915 mit den vorhandenen Booten das Vierfache von dem erreicht werden konnte, was 1917 bei gleicher Bootszahl zu erreichen war. Gründet sich diese Auffassung nun auf Tatsachen oder nur auf Schätzung? Zur Prüfung dieser Frage sollen die Verhältnisse im zweiten Halbjahr 1915 betrachtet [232] werden. Die Zeit vom Beginn eines uneingeschränkten U-Bootskrieges 1915 bis 1. Juli 1915 sei nicht eingerechnet, weil Führung und U-Boote erst einige Erfahrungen im U-Bootskrieg gewinnen mußten. In der Zeit vom Juli bis Dezember 1915 einschließlich waren durchschnittlich 44 U-Boote in der Front gegen England. Davon waren etwa 2/3 große und mittelgroße U-Boote und 1/3 kleine, hauptsächlich von Flandern aus operierende U-Boote. Die großen U-Boote, größtenteils in den heimischen Häfen, zum Teil im Mittelmeer stationiert, waren in dieser Zeit durchschnittlich 14 Tage bis 4 Wochen in See. Wenig gerechnet konnten sie alle 2 Monate eine Unternehmung ausführen. Der Durchschnittserfolg einer solchen Unternehmung wird mit 30 000 Tonnen eher zu niedrig als zu hoch geschätzt, wenn man sieht, was außer "U 38" auf der eben beschriebenen Fahrt eine Reihe von U-Booten trotz der Einschränkungen des U-Bootskrieges in jenen Monaten erreichte. So versenkte im Mai "U 30" 21 000, "U 41" 25 000 Tonnen, im Juni und Juli "U 39" 36 000 Tonnen, "U 35" 25 000 Tonnen, "U 24" 28 000 Tonnen, im August "U 28" 22 000 Tonnen, "U 24" 27 700 Tonnen, im September 37 000 Tonnen. Die kleinen Flandernboote machten kürzere Unternehmungen, kamen dafür aber im Verlauf zweier Monate mehrmals an den Feind, so daß auch für sie eine Durchschnittsversenkung von 30 000 Tonnen pro Boot und 2 Monate niedrig geschätzt ist. Unter diesen Umständen würden die 44 U-Boote in der zweiten Jahreshälfte 1915 durchschnittlich monatlich 44 mal 15 000 = 660 000 Tonnen versenkt haben. Eine solche Versenkungsziffer wäre 1915, als weder die englischen Handelsschiffswerften ausgebaut, noch die amerikanischen Werften neu entstanden waren, bald zum Verhängnis für England geworden. Dabei ist noch nicht in Betracht gezogen, daß, wie gezeigt wurde, bereits in den Sommermonaten 1915 eine Anzahl von U-Booten durch U-Bootsfallen verloren gingen, deren Wirksamkeit nach eigenem Eingeständnis der Engländer mit der Führung eines unbeschränkten U-Bootskriegs beträchtlich sank: es waren 6 große und 2 kleine U-Boote, die Deutschland so 1915 infolge der Einschränkungen des U-Bootskriegs verlor. Ferner bleibt ganz unberücksichtigt der Erfolg von Hilfskreuzern oder Teilen der Hochseeflotte, die den U-Bootskrieg unterstützen konnten. Es ist deshalb verkehrt, den Grund für die Unmöglichkeit eines durchschlagenden Erfolgs 1915 in der Zahl der U-Boote zu suchen.

Die Ausführungen über die militärischen Folgen der Einschränkungen des U-Bootskriegs (Schonung der Neutralen und der Passagierdampfer, auch der feindlichen) zeigten schon, daß dieser eingeschränkte U-Bootskrieg ganz unabhängig von der Zahl der U-Boote im Sande verlaufen mußte. Je mehr U-Boote tätig waren, um so schneller aufeinander mußten die politischen Fälle folgen, um so mehr, je fühlbarer die Wirkungen der Versenkungen wurden und je mehr deshalb Amerika im Interesse der Entente nach Vorwänden für Einspruch gegen den U-Bootskrieg suchte.

[233] Die Aussicht auf prozentual wesentlich höhere Erfolge 1915 beruhte auf der höchst dürftigen Gegenwehr auf seiten der Feinde im Vergleich zu 1917 und 1918. Die Abwehr bestand 1915 in Zerstörern, Fischdampfern, einigen wenigen U-Booten, Netzen, Minen, Fliegern und U-Bootsfallen. Zerstörer und Torpedoboote standen in England für U-Bootsabwehr nur wenige zur Verfügung; in Verbänden traten sie nie auf. Sie waren zum weitaus größten Teil bei der großen Flotte konzentriert. Der für die Knappheit an Zerstörern bezeichnende Ausspruch Churchills wurde gelegentlich des "Lusitania"-Falls erwähnt.

Wie energisch dann der Neubau an Zerstörern betrieben wurde, geht aus folgenden Zahlen hervor:

vom 4. August bis 31. Dezember 1914 stellten 31 englische Zerstörer in Dienst,
während des Jahres 1915: 37
" " " 1916: 96 !
" " " 1917: 69
" " " 1918: 72.

Zur Zeit des uneingeschränkten U-Bootskrieges 1917 stand also eine mit 1915 nicht zu vergleichende Zahl an Zerstörern gegen U-Boote zur Verfügung; ihnen gesellten sich seit Anfang Mai 1917 amerikanische Zerstörerflottillen in den englischen Gewässern zu.

Fischdampfer waren natürlich auch 1915 in reichlicher Zahl vorhanden, konnten aber allein gegen U-Boote wenig ausrichten.

Die Waffen der Zerstörer und Fischdampfer gegen U-Boote waren Geschütz, Rammstoß, Schleppnetze, Sprenggeräte und Wasserbomben. Die Wasserbomben waren von diesen die aussichtsreichste Waffe; doch war 1915 ihre Ladung noch nicht stark genug, als daß sie den U-Booten viel Schaden hätten tun können. Auch war ihre Bedienung schwerfällig und ihre Anwendung verhältnismäßig selten. 1917 und 1918 wurde das anders. Die Bomben hatten 150 bis 200, teilweise sogar 300 Kilogramm modernen Sprengstoffs. Durch besondere Wurfeinrichtung konnten sie etwa 50 m weit auf das U-Boot zugeschleudert werden. Der Verbrauch an Wasserbomben betrug vor 1918 monatlich 100 bis 300; in den letzten sechs Kriegsmonaten stieg er auf monatlich 2000. Im ganzen hat England nach amtlicher Statistik 96 400 Wasserbomben hergestellt.

Netze waren entweder fest ausgelegt, wie z. B. in der Doverstraße, oder sie wurden von Verbänden von Fischdampfern geschleppt. Der Versuch, die Doverstraße mit Netzen zu sperren, ist 1915 gemacht, aber aufgegeben worden, da bei dem starken Strom die Sperre, die an starken Balken hing, nicht standhielt. Sie wurde 1917 in wesentlich wirksamerer Weise durch mehrere Reihen von Minen, die für verschiedene Tiefen eingestellt waren, ersetzt.

Karte des Nordsee-Kriegsschauplatzes

[Beilage 1 zu Bd. 4]
      Karte des Nordsee-Kriegsschauplatzes.
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Minen haben die Engländer im ersten Kriegsjahr ausgelegt in der südlichen Nordsee und vor der Deutschen Bucht der Nordsee.16 Das Minenfeld in der süd- [234] lichen Nordsee wurde schon gelegentlich der völkerrechtlichen Ausführungen erwähnt. Die Minen waren schlecht konstruiert. Sie schwammen zum großen Teil bei Niedrigwasser auf und konnten dann von den Fahrzeugen mit Gewehr- oder Maschinengewehr abgeschossen werden. Ein großer Teil der Minen entzündete sich bei Seegang selbst oder riß sich los und wurde an den benachbarten Küsten angetrieben. Erst 1917 gelang es, eine brauchbare Mine zu konstruieren; sie war nach Angabe von Admiral Jellicoe eine Nachahmung der deutschen Mine. Nunmehr wurden Minen in großer Zahl bestellt und geworfen; in der Doverstraße, in der Deutschen Bucht, im Kattegat, schließlich 1918 sogar im tiefen Wasser zwischen Norwegen und den Shetlands. Im ganzen hat England während des Krieges nach amtlicher Statistik 221 000 Minen hergestellt. Von den 70 000 Minen für das große Minenfeld zwischen Norwegen und Schottland stammten jedoch nur 13 000 aus England, die übrigen 57 000 aus Amerika.

Wasserbomben und Minen haben die größten Opfer an U-Booten gefordert, nämlich zusammen 63 U-Boote = 35,4 v. H. der Verluste durch feindliche Gegenwirkung. Beide Waffen standen 1915 auf sehr tiefer Stufe der Entwicklung und sind erst seit 1917 wirksam geworden.

Flieger wurden 1915 fast nur im Englischen Kanal angetroffen. Aus einem Aufsatz eines englischen Fliegeroffiziers in der Times vom Dezember 1920 geht hervor, daß England zu Beginn des Krieges 20 Seeflugzeuge besaß. U-Boote traten ganz vereinzelt auf.

U-Bootsfallen fing die englische Marine, wie erwähnt, Sommer 1915 an auszurüsten. Ihr Zweck und ihr Verfahren wurden geschildert.

Dies waren die schon 1915 vorhandenen Abwehrmittel. Es fehlten damals im Vergleich zu 1917 und 1918 ganz die U-Bootsjäger, d. h. Spezialfahrzeuge von hoher Geschwindigkeit und geringem Tiefgang, so daß sie mit dem Torpedo schwer angreifbar waren, dazu mit vorzüglicher Schotteneinteilung, so daß sie nach einem Torpedotreffer nicht sanken. Es fehlten ferner die Motorboote und die Motor-Torpedoboote, die halbgeflutet fahren konnten und besonders in engen Durchfahrten, wie der Doverstraße, der Fair-Passage zwischen Orkneys und Shetlands und der Otrantostraße, die U-Boote durch Rammstoß oder Torpedos anzugreifen suchten. Es fehlten Fesselballons, die von Zerstörern hochgelassen wurden, Luftschiffe, von denen 1917 in England für U-Bootsabwehr 50 zur Verfügung standen; es fehlten Horchverfolgung, Geleitzugsystem und vor allem Bewaffnung der Handelsschiffe. Welche Entwicklung die Bewaffnung der Handelsschiffe genommen hat, ist aus der vorläufigen englischen Liste der Schiffsversenkungen (Merchant Shipping Losses, 1919 von der Admiralität herausgegeben) ersichtlich. Der erste bewaffnete englische Dampfer, der nach dieser Liste versenkt wurde, war der Dampfer "Hesperian" September 1915; dann folgten November 1915 drei, Dezember zwei bewaffnete Schiffe. Angegriffen, aber nicht [235] versenkt wurde zum ersten Male März 1915 ein Dampfer; ihm folgten April, Juni und Oktober je einer, Mai 5, Juli 4, August und September je 2, November und Dezember je 5. Von 1916 ab aber entwickelt sich das Bild folgendermaßen: Februar 1916 sind von 38 versenkten oder erfolglos angegriffenen Dampfern 10 bewaffnet = 25 v. H.; im September 1916 sind es 50 v. H.; im Februar 1917 55 v. H., im April 1917 75 v. H.; im Oktober 85 v. H.

Das Geleitzugswesen wurde im Sommer 1917 von der englischen Admiralität gegen den Willen der Handelsschiffskreise erzwungen. Wenn auch die Ausnutzbarkeit des Schiffsraums durch das Zusammenziehen der Handelsschiffe in bestimmten Häfen, durch das Warten der Schiffe aufeinander, durch die Herabsetzung der Geschwindigkeit aller Schiffe auf diejenige des langsamsten Schiffes, die Schwierigkeit des Zusammenhaltens des Geleitzuges bei Nacht, Nebel oder Seegang, durch Kollisionen u. a. ganz wesentlich - nach Angabe eines englischen Ministers um 33 v. H. - herabgesetzt wurde, so bereiteten die Geleitzüge mit zunehmender Erfahrung und Sicherung sehr große Schwierigkeiten. Dieses Geleitzugssystem hätte 1915 mit Aussicht auf Erfolg gar nicht eingeführt werden können; denn die dazu notwendigen Sicherungsstreitkräfte (Zerstörer, U-Bootsjäger, Luftschiffe) waren gar nicht vorhanden. Ein schlecht gesicherter Geleitzug aber schadete den Handelsschiffen mehr als er nutzte. Mehrfach ist es, besonders im Mittelmeer, vorgekommen, daß ein U-Boot in tagelanger zäher Verfolgung einen schlechtgesicherten Geleitzug völlig aufreiben konnte.

Es könnte eingewendet werden, die U-Bootsabwehr hätte sich bei Führung des uneingeschränkten U-Bootskriegs 1915 viel schneller entwickelt, als es unter den tatsächlichen Umständen geschehen ist. Das ist in gewissem Maße zuzugeben; aber nur in sehr beschränktem Maße. Zerstörer, U-Bootsjäger, Motor-Torpedoboote, U-Boote, Luftschiffe brauchten nicht nur zur grundsätzlichen Entwicklung, sondern auch zur Herstellung Zeit, wenn sie brauchbar sein sollten. Ob sich Horchverfolgung, Minen, Funkentelegraphie, die in den späteren Kriegsjahren durch Einpeilen der U-Boote die wertvollsten Dienste leistete, in kurzer Zeit vervollkommnen ließen, ist eine offene Frage. Ebenso, ob es die Verhältnisse im Landkriege gestatteten, die Handelsschiffe schon 1915 in größerer Anzahl zu bewaffnen, zumal gleichzeitig die Luftschiffabwehr in England erhebliche Kräfte in Anspruch nahm. Nach amtlicher Statistik hat England im ganzen 13 000 Geschütze vom Kaliber zwischen 5 und 15 cm auf Handelsschiffen eingebaut; ob es 1915 möglich gewesen wäre, einen wesentlichen Teil hiervon schon bereitzustellen, kann keineswegs als sicher angesehen werden.

Es erscheint nach alledem nicht verwunderlich, daß Lloyd George im Herbst 1920 in einer Rede in Wales geäußert hat: "Hätten die Deutschen etwas eher die Kraft ihrer U-Boote auszunutzen begonnen - man weiß nicht, ob das britische Reich dann heute noch bestände." Ebenso ist dem Manchester Guardian zuzustimmen, der am 4. Juni 1918 schrieb: "Wenn Deutschland von Anfang an den [236] U-Bootskrieg in seiner ganzen Schärfe geführt hätte, hätte England infolge der überwältigenden Schiffsraumverluste unterliegen müssen."17

Doch anstatt die Kraft der U-Boote restlos auszunutzen, wurde sie im Gegenteil im September ganz ausgeschaltet. Den Anlaß gab der "Arabic"-Fall. "Arabic" war ein englischer Passagier- und Frachtdampfer von 15 000 Tonnen, der am 19. August 1915 von "U 24" südlich von Irland versenkt wurde. Die Versenkung geschah, obgleich ja große Passagierdampfer durchgelassen werden sollten, deshalb, weil der Kommandant von "U 24" aus dem Verhalten des Dampfers beim Begegnen mit ihm schloß, daß er das Boot rammen wollte. Unter diesen Umständen entsprach die Versenkung den erhaltenen Befehlen und den völkerrechtlichen Anordnungen. Sie löste wieder einen diplomatischen Notenwechsel mit der amerikanischen Regierung aus. Diese stand auf dem Standpunkt, daß das U-Boot nicht genötigt und daher auch nicht berechtigt war, die "Arabic" ohne Warnung zu versenken. Objektiv mochte die amerikanische Regierung recht haben, d. h. die "Arabic" mochte in der Tat nicht beabsichtigt haben, "U 24" zu rammen. Es ist aber klar, daß "U 24" nur nach seiner subjektiven Auffassung der Lage handeln konnte, und diese war eben, daß er in Gefahr war, gerammt zu werden. Irrtümer über die Absicht und den Zweck eines Schiffsmanövers sind auf See auch im Frieden etwas Alltägliches; man lese nur die Berichte der Seeämter über Zusammenstöße auf See. Dementsprechend instruierte das Auswärtige Amt den deutschen Botschafter in Washington, Graf Bernstorff, zu erklären: "Bei dieser Sachlage besteht kein Zweifel, daß Kommandant U-Boots Rammversuch »Arabic« angenommen hat und allen Grund hatte, ihn anzunehmen. Anderseits will deutsche Regierung eidlichen Aussagen englischer Seeoffiziere »Arabic« Glauben nicht versagen und danach zugeben, daß Rammversuch tatsächlich nicht vorgelegen hat." Graf Bernstorff überschritt diese Instruktion eigenmächtig, indem er den U-Bootskommandanten unter Namensnennung desavouierte.

Das Ergebnis der Verhandlungen zwischen der deutschen und amerikanischen Regierung für die Kriegführung war, daß am 30. August 1915, ohne Anhörung des Chefs des Admiralstabes und des Staatssekretärs des Reichs-Marine-Amts (Admiral Bachmann und Großadmiral v. Tirpitz), Befehl erteilt wurde, alle, nicht nur die großen Passagierdampfer nur nach Warnung und Rettung der Menschen zu versenken. Beide Admirale reichten auf diese Übergehung ihrer pflichtmäßigen Stellungnahme hin ihr Abschiedsgesuch ein. Admiral Bachmann, der in der ganzen Marine uneingeschränktes Vertrauen genoß, wurde verabschiedet, an seine Stelle trat der seit 1912 bereits außer Dienst befindliche Admiral v. Holtzendorff. Großadmiral v. Tirpitz blieb, unter gewissen Zusicherungen bezüglich seiner Teilnahme an marinepolitischen Entscheidungen, im Amt. Damit war der Konfliktstoff aber nicht aus der Welt geschafft. Was war ein [237] Passagier-, was ein Frachtdampfer? Die Frage konnte in unzähligen Fällen vom U-Boot nicht entschieden werden; denn es gab zahlreiche Dampfer, die sowohl Passagier- wie Frachtdampfer waren. Außerdem war die Möglichkeit von Verwechslungen niemals ausgeschlossen. Wer die Wirkung von verschiedenen Sichtigkeitsverhältnissen auf See kennt, weiß dies. Als daher der Reichskanzler kurz darauf an den Admiralstab die Forderung stellte, Verstöße gegen die letzten Anweisungen über die U-Bootskriegführung mit Sicherheit zu verhüten, blieb diesem nichts anderes übrig, als folgenden Befehl zu erlassen: "Gesamtkriegslage erfordert, daß für die nächsten Wochen jede Möglichkeit von Verstößen gegen den über U-Bootskrieg erlassenen Allerhöchsten Befehl ausgeschlossen wird. Für diese Zeit ist daher an der Westküste und im Englischen Kanal weder U-Bootskrieg noch Handelskrieg mit U-Booten gemäß Prisenordnung zu führen. In der Nordsee darf Handelskrieg gemäß Prisenordnung geführt werden." Der U-Bootskrieg hörte damit von der Nordsee und von Flandern aus praktisch auf; aus den Wochen wurden Monate. Nur im Mittelmeer blieb zum Glück eine erfolgreiche Tätigkeit der U-Boote bestehen.

Kurz vor Aufgabe des U-Bootskriegs 1915, am 21. August, hatte der Chef des Admiralstabs in einer ersten Denkschrift die Wirkungen des U-Bootskriegs auf die englische Wirtschaft niederlegen lassen. Sie beruhte hauptsächlich auf der amtlichen englischen Außenhandelsstatistik und stellte erhebliche Verschiebungen der englischen Einfuhr zu deren Ungunsten und starke Preissteigerungen fest, als deren Ursache der U-Bootskrieg anzusprechen war. Die Denkschrift wurde einer Reihe von Autoritäten auf dem Gebiete des deutschen Wirtschaftslebens zur Begutachtung übersandt. Sie stimmten sämtlich sowohl der Methode wie den Ergebnissen zu. Die Denkschrift wurde mit dem Gutachten dem Reichskanzler, dem Auswärtigen Amt und dem Staatssekretär Helfferich vorgelegt.

Daß der Admiralstab sich in dieser Weise mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigte, geschah deshalb, weil kein bestimmtes Reichsamt mit der Führung des Wirtschaftskriegs betraut war, weil in Deutschland nicht, wie in England im Frühjahr 1916, ein besonderer "Minister für Blockade" ernannt war. Deshalb mußte sich der Admiralstab eine Stelle schaffen, der diese Aufgabe übertragen wurde. Eine Anzahl teils wissenschaftlich, teils praktisch vorgebildeter Fachleute wurde in sie berufen. Ihnen war die immer schwerer werdende Arbeit der Beobachtung der wirtschaftlichen Wirkungen des U-Bootskriegs, der Beobachtung der englischen Wirtschaft, der Entwicklung der Weltschiffahrt und des Weltschiffbaus anvertraut, die in den Denkschriften des Admiralstabs ihren Niederschlag fand.

Auf Grund weiterer Forschungen entstand die zweite Denkschrift vom 12. Februar 1916, deren Untersuchungen sich auf den englischen Außenhandel, den Frachtraum, die Preisgestaltung und die Finanzen erstreckten. Sie stellte folgende Leitsätze auf:

[238]   "1. Der vorjährige U-Bootskrieg traf mit allmählich wachsenden Mitteln und unter zunehmenden Einschränkungen nichtmilitärischer Natur auf einen vom Kriege noch wenig beeinträchtigten, voll widerstandsfähigen Wirtschaftskörper. Im Wege einer Knappheit, die sich vorzugsweise in erheblicher Verteuerung wichtiger Nahrungsmittel, auch von Fabrikaten und Rohstoffen äußerte, hat er Verkehr und Handel Englands so beeinträchtigt, daß, nach allen Richtungen ausstrahlend, schwere wirtschaftliche und finanzielle Schädigungen eintraten. Die Schädigungen haben in England, das sich an gefährlicher Stelle bedroht fühlte, erhebliche Beunruhigung erzeugt und waren geeignet, England mit der Zeit zum Frieden geneigt zu machen. Die Wirkung verlor sich, sobald England sicher war, daß der U-Bootskrieg aus Gründen, die auf anderem Gebiete lagen, nicht durchgeführt werden würde.
      2. Die vom U-Bootskrieg in Bewegung gesetzte wirtschaftliche Entwicklung hat sich, wenn auch meist unter Abschwächungen, erhalten. Gegen Ende 1915 hat dann der Mangel an Frachtraum den englischen Seeverkehr in einem Grade beengt, daß sich die Störungen des englischen Außenhandels durch fortschreitende erhebliche Verteuerung der Zufuhren verschärft haben. Die Marktpreise sind dem Anstoß gefolgt. Auch die Finanzlage hat inzwischen infolge der Anforderungen der für England gegebenen militärischen und politischen Lage eine bedrohliche Gestalt angenommen.
      3. Ein neuer U-Bootskrieg findet demnach gegenüber dem Februar 1915 völlig andere, und zwar unvergleichlich günstigere Voraussetzungen vor, insofern der der englischen Ein- und Ausfuhr noch zur Verfügung stehende Schiffsraum erhebliche Abgänge nicht mehr verträgt, ohne daß die Transportmöglichkeiten für unentbehrliche Ein- und Ausfuhren getroffen werden, und insofern England jetzt durch Knappheit, Teuerung und finanzielle Überanstrengung des besten Teils seiner Widerstandsfähigkeit beraubt ist.
      Der neue U-Bootskrieg verfügt ferner gegenwärtig über derartige Streitkräfte, daß er unter Berücksichtigung der vermehrten Abwehrmittel des Gegners einerseits, der inzwischen sonst geschaffenen technischen Hilfsmittel anderseits in der Lage ist, eine im Vergleich zur vorjährigen wesentlich gesteigerte militärische Leistung zu sichern.
      4. Wird auf solcher Grundlage der U-Bootskrieg wiederum unter den vorjährigen Einschränkungen nichtmilitärischer Natur geführt, so würde eine weitere Beeinträchtigung der wirtschaftlichen und damit finanziellen Lage Englands erreicht werden. Angesichts der zahlreichen technischen Schwierigkeiten der Durchführung eines in seiner spezifischen Wirkung beschränkten U-Bootskrieges und der alsdann beträchtlich vermehrten Möglichkeiten der Abwehr, besonders weil in solchem Fall auf Grund der vorjährigen Erfahrungen die Wirkung der Abschreckung auf die Schiffahrt in der Hauptsache wegfällt, läßt [239] sich nicht mit Sicherheit annehmen, daß auf diese Weise England zum Frieden würde genötigt werden können.
      5. Wird der neue U-Bootskrieg uneingeschränkt, d. h. mit der Maßgabe geführt, daß im Kriegsgebiet jeder Schiffsverkehr vernichtet werden darf, dann steht in sicherer Aussicht, daß England sich infolge unerträglicher Beengung des Frachtraums und damit der Zu- und Ausfuhren und folgeweise gesteigerter Teuerung, unterstützt durch schwerste finanzielle Bedrohung, in absehbarer Zeit, längstens in 6 Monaten, zum Friedensschluß gezwungen sehen wird. Eine andere Art der Beendigung des Krieges als durch eine vollkommene englische Niederlage erschien unter dem Gesichtspunkt des gegen Deutschland geplanten Handelskrieges, an dem England nur im Fall einer solchen Niederlage gehindert werden kann, als gefährliche Bedrohung der Zukunft des deutschen Wirtschaftslebens."

Schon während der letzten Monate 1915 waren aus diesen Feststellungen heraus Verhandlungen zwischen Admiralstab, Heeresleitung und politischer Reichsleitung gepflogen worden. In einer Denkschrift des Chefs des Generalstabs vom Ende Februar 1916 wird dessen Standpunkt folgendermaßen gekennzeichnet:

      "Denn der uneingeschränkte U-Bootskrieg ist das einzige Kriegsmittel, durch dessen Anwendung England sicher und unmittelbar in seinen Lebensbedingungen getroffen werden kann, - die Wirksamkeit des Mittels erachte ich nach der dienstlichen Erklärung des Chefs des Admiralstabs für gegeben. Gegen den Gewinn, den uns die Sicherheit, England niederzuringen, bringt, kann der Nachteil nicht ausschlaggebend ins Gewicht fallen, daß die Möglichkeit dadurch hervorgerufener Verwicklungen mit Neutralen besteht. Und zwar um so weniger, als sich die Verwirklichung der Möglichkeit durch zweckmäßige politische und diplomatische Vorbereitung sehr wohl hinhalten, vielleicht sogar ausschalten läßt.
      Aus vorstehenden Betrachtungen ergibt sich meiner Ansicht nach, daß die Kriegsleitung gar nicht das Recht hat, auf den U-Bootskrieg zu verzichten."

Der Reichskanzler legte sowohl in einer Denkschrift wie durch mündlichen Vortrag in einer entscheidenden Sitzung am 4. März 1916 seine Meinung so dar, daß er bei Wiedereröffnung des uneingeschränkten U-Bootskrieges den Bruch mit Amerika sicher voraussehe, daß dieser Bruch wahrscheinlich auch Holland und Dänemark auf die Seite unserer Feinde treibe, daß auch Rumäniens Haltung ungünstig beeinflußt werde, und daß er den Übertritt Amerikas zu unsern Feinden für verhängnisvoll halte. Dagegen hoffe er, wenn man den U-Bootskrieg auf England beschränke (Anm. d. h. wieder wie 1915 mit Einschränkungen, die der Natur des U-Bootes zuwider waren), dieses so geschädigt werde, daß es unter der Aussichtslosigkeit weiterer Kriegführung zum Frieden geneigt werden würde. Sein Standpunkt war der, daß erst, wenn ein ehrenvoller [240] Friede für Deutschland aussichtslos werde, und ein langer Krieg uns erschöpfen sollte, der schwerwiegende Entschluß zum uneingeschränkten U-Bootskrieg als ultima ratio gefaßt werden dürfe. Der Chef des Admiralstabs wollte die Gefahr der Erschöpfung rechtzeitig vermieden wissen und vertrat daher die Meinung, daß, wenn die Kriegslage ein Ende des Krieges bis zum Ablauf des Jahres erfordere, der U-Bootskrieg - und zwar der uneingeschränkte - spätestens am 1. April 1916 begonnen werden müsse. Ein irgendwie eingeschränkter U-Bootskrieg könne nicht zum Ziel führen. Der Kaiser entschied, die Aufnahme des uneingeschränkten U-Bootskriegs am 1. April sei bei voller Würdigung der Bedeutung eines Bruchs mit Amerika unerläßlich und solle durch geeignete Einwirkung auf Amerika diplomatisch vorbereitet werden. Bis zum 1. April sei Handelskrieg nach den zum 1. März erlassenen Befehlen als Kreuzerkrieg unter warnungsloser Versenkung bewaffneter Handelsschiffe zu führen. Zu dieser Sitzung war der Großadmiral v. Tirpitz nicht zugezogen worden, obwohl ihm 1915 Teilnahme an der Beratung wichtiger marinepolitischer Fragen zugesichert war. Er erbat und erhielt daraufhin den Abschied. Sein Nachfolger wurde Admiral z. D. v. Capelle.

Die U-Boote hatten während des Winters die verschiedenartigsten Aufgaben erfüllt. In der Heimat hatte der U-Bootskrieg geruht. Nur einmal, im Dezember 1915, war "U 24" (Kapitänleutnant Schneider) zum Handelskrieg nach Prisenordnung an die Westküste entsandt, um zu verhindern, daß die feindlichen Bewachungsstreitkräfte nach dem Mittelmeer entsandt würden und dort das erfolgreiche Wirken unserer Boote störten. "U 20" (Kapitänleutnant Schwieger) klärte im November das Seegebiet westlich der Orkney-Inseln als Vorbereitung für die Minenunternehmung des Hilfskreuzers "Möwe" auf und geleitete im Januar den Hilfskreuzer "Marie", der den Ostafrikanern Kriegsmaterial zuführen sollte, nach Norden. "U 44" (Kapitänleutnant Wagenführ) legte mehrere Male Minen, die zum Werfen aus den Torpedorohren besonders hergestellt waren, an der Ostküste Englands; mehrere Boote lauerten Kriegschiffen vor ihren Häfen auf. In Flandern trat die Tätigkeit der Minen-U-Boote ("C 1"-Boote) in den Vordergrund. "U C 9" (Oberleutnant z. S. Graf Schmettow) warf in einem Monat fünfmal seine Minenladung aus, mehrere andere U-Boote viermal. "U C 5" (Oberleutnant z. S. Pustkuchen) stieß bis Portsmouth vor. Im Mittelmeer, wo man, wie erwähnt, kaum zu befürchten hatte, mit amerikanischen Interessen zu kollidieren, begann damals, nachdem die Zahl der großen U-Boote auf sechs angewachsen war, eine höchst erfolgreiche Tätigkeit, begünstigt durch die geographischen Verhältnisse, die der Schiffahrt bestimmte Wege vorschrieben, durch besseres Wetter und eine geringfügige feindliche Abwehr. "U 33" (Kapitänleutnant Gansser) versenkte von September bis Dezember auf zwei Fahrten 100 000 Tonnen. "U 35" (Korvettenkapitän Kophamel) brachte eine türkische Mission von 10 Offizieren und 13½ Tonnen Ladung nach Afrika und [241] versenkte 50 000 Tonnen Schiffsraum. Eine gleiche Versenkungsziffer erreichte "U 38" (Kapitänleutnant Valentiner). "U 39" (Kapitänleutnant Forstmann) schleppte das Transport-U-Boot "U C 12" nach Tripolis und versenkte 25 000 Tonnen.

Im Februar 1916 traten die ersten U-Boote des "B 2"-Typs, eine Verbesserung des "B 1"-Typs, in Tätigkeit. Sie waren 250 Tonnen groß, hatten zwei Torpedorohre mit 4 bis 6 Torpedos, 1 - 8,8-cm-Geschütz, 2 Maschinen, die ihnen 9 sm Geschwindigkeit verliehen und einen solchen Fahrbereich, daß sie von Flandern bis an die Westküste Englands oder Frankreichs gehen konnten.

Gleichzeitig wurden die ersten großen Minen-U-Boote "U 71" bis "U 80" (800 Tonnen, 38 Minen, 2 Rohre mit 4 Torpedos, 1 Geschütz, nur 10,5 sm Geschwindigkeit bei Überwasserfahrt) fertig. Die Minen waren im Innern des Bootes gelagert und wurden, gleichgültig, ob das Boot über oder unter Wasser fuhr, durch eine Schleuse nach außen befördert. "U 73" (Kapitänleutnant Sieß) lief am 1. April 1916 nach dem Mittelmeer aus und warf Minen vor Lissabon und Valetta (Malta), auf welch letztere das englische Linienschiff "Russel" sowie zwei kleine Kriegsfahrzeuge liefen. "U 74" (Kapitänleutnant Weisbach) verseuchte zum ersten Male im März das Seegebiet beim Firth of Forth mit Minen. "U 75" (Kapitänleutnant Beitzen) wurde Mai 1916 nach der Westküste der Orkneys entsandt. Hier war, wie aus einem entzifferten geheimen Funkspruch der Engländer hervorging, soeben ein minenfreier Weg abgesucht worden. Ihn sollte "U 75" sogleich von neuem wieder verseuchen. Das U-Boot entledigte sich dieser Aufgabe sehr geschickt und sachgemäß; am 3. Juni fiel seinen Minen der Kreuzer "Hampshire" mit Lord Kitchener an Bord zum Opfer.

Inzwischen hatte der schon erwähnte eingeschränkte U-Bootskrieg am 29. Februar 1916 begonnen. Ihm lag die Feststellung zugrunde, daß England in steigendem Maße seine Handelsschiffe bewaffnete, ihnen Geschützmannschaften der Kriegsmarine mitgab und trotz der englischen Versicherung, daß die Schiffe nur für Verteidigungszwecke bewaffnet seien, die Anweisung erteilte, jedes in Sicht kommende U-Boot anzugreifen und zu vernichten. Infolgedessen sah sich Deutschland gezwungen, den Neutralen in einer Denkschrift vom 8. Februar 1916 die Tatsache der Bewaffnung und ihres offensiven Zwecks unter Beifügung von Beweisen in Gestalt englischer Geheimbefehle sowie den Entschluß mitzuteilen, bewaffnete Handelsschiffe wie Kriegschiffe zu behandeln, d. h. sie ohne weiteres zu vernichten. Mit Rücksicht auf die Neutralen trat der diesbezügliche Befehl erst mit dem 29. Februar in Kraft. Der U-Bootskrieg ergab im März 207 000, im April 225 000 Tonnen. Er fand sein Ende auf Einspruch Amerikas nach der Versenkung des französischen Passagierdampfers "Sussex" im Englischen Kanal. Der U-Bootskommandant hatte den Dampfer infolge auffallender Umbauten und grauen Anstrichs für einen Minenleger, also ein Kriegschiff, gehalten und deshalb ohne weiteres mit dem Torpedo angegriffen. Wieder erhob Amerika [242] Einspruch, wieder gab die politische Reichsleitung nach. Der U-Bootskrieg wurde wiederum in den heimischen Gewässern eingestellt, nachdem Amerika in seiner berüchtigten "Niederboxungsnote" vom 10. Mai 1916 erklärt hatte, die Verpflichtung Deutschlands, sich auf den Handelskrieg nach der Prisenordnung zu beschränken, sei absolut und unabhängig von Englands Verhalten gegenüber der Londoner Erklärung18 und nachdem es mit dem Abbruch der Beziehungen gedroht hatte. Zwischen Admiralstab, Hochseeflotte und Marinekorps wurde nunmehr erwogen, den Handelskrieg mit U-Booten nach der Prisenordnung weiterzuführen. Jedoch mußten die beiden höchsten Frontstellen pflichtgemäß erklären, auch der Handelskrieg mit U-Booten nach Prisenordnung gebe nicht die Sicherheit, daß die Forderung der politischen Leitung: "Konflikte mit Neutralen müssen unter allen Umständen vermieden werden", erfüllt werde. Denn gewissen Bestimmungen der Prisenordnung konnte in der Tat von den U-Booten wegen ihrer räumlichen Verhältnisse keinesfalls genügt werden. Man war deshalb gezwungen, bis auf weiteres ganz vom U-Bootskrieg abzusehen und die Boote für Aufgaben gegen Kriegschiffe zu verwenden. Die Berechtigung dieses Standpunktes hatte der "Sussex"-Fall soeben schlagend erwiesen. Denn da der Passagierdampfer gar nicht für ein Handels-, sondern für ein Kriegschiff gehalten worden war, so wäre er ebenso angegriffen worden, wenn U-Bootskrieg nach Prisenordnung geführt worden wäre. So wurden die U-Boote in der Heimat und in Flandern zu dem ebenso aufreibenden wie wenig aussichtsreichen Dienst gegen Kriegschiffe und Hilfskriegschiffe angesetzt; er ist an anderer Stelle behandelt und kann hier übergangen werden.

Bekanntlich wurde von Gegnern des U-Bootstriegs 1915 und 1916 immer wieder behauptet, Deutschland besäße gar nicht genug U-Boote, um den U-Bootskrieg mit Aussicht auf Erfolg zu führen. An früherer Stelle ist schon auseinandergesetzt, daß das Argumentieren mit absoluten U-Bootszahlen, ohne Bezugnahme auf die militärische Lage auf der Gegenseite, d. h. auf den Stand der Abwehrmittel, höchst laienhaft und oberflächlich war. Aber es ist in diesem Zusammenhang auch die Frage aufgeworfen worden, ob das Reichs-Marine-Amt während des Krieges mehr U-Boote hätte bauen können. Die Frage ist noch nicht genügend erforscht, als daß man ein eigenes begründetes Urteil haben könnte, und sich auf die Wiedergabe der Aussprüche des Großadmirals v. Tirpitz und Admirals v. Capelle beschränken muß.

[243] Großadmiral v. Tirpitz schreibt in seinen Erinnerungen Seite 377: "Bis zu meinem Rücktritt hat das Reichs-Marine-Amt so viel U-Boote gebaut, wie überhaupt möglich war. Ich bin dreimal auf allen Werften herumgereist und habe jede Helling persönlich untersucht und festgestellt, ob eine Mehrleistung zu erzielen wäre." Über die verhältnismäßig geringe U-Bootsbautätigkeit 1916 hat Admiral v. Capelle nach längeren Ausführungen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß am 11. November 1919 sich folgendermaßen zusammengefaßt:

      "Ich habe mich bemüht, auszuführen, daß es ein ganzer Komplex von Vorgängen war, die mir, der ich nach Abgang des Großadmirals v. Tirpitz eben neu ins Amt hineingekommen war, die Überzeugung beibrachten, daß, wenn ich mich nicht mit der Reichsleitung, dem Kaiser, dem Reichskanzler, der »Sussex«-Note, dem Reichstag in Widerspruch setzen wollte, es doch gänzlich deplaciert, auch nicht ausführbar gewesen wäre, nun im Anschluß an diesen ganzen sozusagen negativen Komplex ein großzügiges U-Boots-Bauprogramm zu entwerfen. Für mein Empfinden, das ich noch heute habe, hätte das doch den Vorgängen geradezu ins Gesicht geschlagen; auf der einen Seite ein allgemeines Abblasen von seiten der Politik und auf der anderen Seite ein großzügiges U-Boots-Bauprogramm des neuernannten Staatssekretärs. Die Vorwürfe, die dem Großadmiral v. Tirpitz nach seinem Abgang überall gemacht werden, gipfeln ja gerade darin, daß er eigene Politik getrieben hätte. Wäre denn das nicht eine eigene Politik, wäre das nicht wieder derselbe Fehler gewesen, wenn ich nach diesen Vorgängen ein großzügiges U-Boots-Bauprogramm in die Hand genommen hätte?"

Inzwischen verschärfte England, soweit es noch möglich war, die Hungerblockade gegen Deutschland. Alles deutsche Privateigentum, dessen England habhaft werden konnte, wurde beschlagnahmt. Die deutschen Geschäfte auf englischem Boden wurden geschlossen, die Geschäftsbücher verbrannt. Die deutschen Postsäcke wurden zu Tausenden neutralen Schiffen weggenommen, was gegen jedes Völkerrecht verstieß. Deutsche Patente wurden aufgehoben. Alles das ließ deutlich erkennen, daß sich England des deutschen Wettbewerbs, der die Quelle seines Neides und Hasses war, für immer, auch für die Zeit nach dem Kriege, entledigen wollte. Darüber ließen auch englische Staatsmänner keinen Zweifel. Der Handelsminister Runciman sagte in der großen Rede im Unterhaus Januar 1916:19

      "Solange der Krieg währt, sollten wir nach meiner Meinung alles, was in unserer Macht liegt, tun, um die deutschen Finanzen zu schädigen und zugrunde zu richten. Während des Krieges sollten wir alles tun, um den deutschen Kredit zu zerstören, und zu diesem Zweck sollten wir alles, was wir vermögen, tun, um Deutschlands Handel zu verkrüppeln, zu knebeln, zu erdrosseln und [244] zu vernichten. (Beifall.) ... Auf jeden Fall müssen wir darauf sehen, daß wir, wenn dieser Krieg siegreich beendet sein wird, Deutschland keine Möglichkeit lassen, seine Handelsstellung wieder aufzurichten... Zu befürchten ist nur, daß, wenn der Krieg zu Ende und Deutschland zur See und hoffentlich auch zu Lande besiegt ist, es den Wunsch haben könnte, sich zu einem neuen Feldzug anzuschicken. Im Hinblick auf diesen neuen Wirtschaftskrieg wird es nötig sein, daß wir beim Friedensschluß darauf achten, daß Deutschland sein Haupt nie wieder erheben kann. (Beifall.)"

Bekannt und berüchtigt sind die "Schwarzen Listen" geworden; auf sie wurden nicht nur die Namen deutscher Firmen, sondern auch neutraler Personen in neutralem Land gesetzt, die sich nicht gescheut hatten, mit einer auf der schwarzen Liste stehenden Person Handel zu treiben. Die auf der schwarzen Liste stehenden Personen waren im Bereich des britischen Einflusses rechtlos. Alle ihre Sendungen unterlagen der Beschlagnahme. In britischen Gasthäusern wurden ihnen die Speisen, in britischen Hotels die Wohnungen, in britischen Apotheken die Arznei verweigert. Der Schiffsreeder, der auf der Liste stand, erhielt in englischen Häfen für seine Schiffe keine Kohlen, keine Lebensmittel, nicht einmal Trinkwasser. Versah der Reeder aber seine Schiffe mit deutschen Kohlen für Hin-und Rückfahrt, um das Anlaufen englischer Häfen zu vermeiden, so wurde gegen jedes Völkerrecht die deutsche Bunkerkohle als "Ware" deutschen Ursprungs beschlagnahmt. Durch solche und ähnliche Vergewaltigung erreichte England, daß die meisten neutralen Reedereien ihre Schiffe freiwillig englische Häfen anlaufen und sich der englischen Kontrolle unterziehen ließen, um die sonst ihnen entstehenden Schikanen zu vermeiden. England übte aber nicht nur in seinen eigenen Häfen eine strenge Kontrolle der gesamten Schiffahrt nach und von Nordeuropa aus, sondern erzwang sogar von den kleinen, machtlosen Neutralen die Einrichtung von Kontrollgesellschaften, die unter englischer Aufsicht eine fast vollständige Kontrolle über den Verbleib der gesamten überseeischen Einfuhr des betreffenden Landes bewirkten. So wurde zuerst in Holland der N. O. T. (Neederlandsche Overzee Trust), in der Schweiz die S. S. S. (Société Suisse de Surveillance Economique), in Dänemark die Grosserer Societät und in Schweden die Gesellschaft Transito gegründet. Andere Sendungen als die an diese Kontrollgesellschaften wurden beanstandet. Infolgedessen gab es in der Tat bald nur noch Sendungen, die an diese Gesellschaften gerichtet waren. Die kleinen Neutralen suchten sich zwar gegen alle Willkür Englands zu wehren, aber vergebens. England übte seine Macht auf See rücksichtslos aus, wenn es natürlich auch keine Gelegenheit vorübergehen ließ, um zu betonen, wie sehr ihm der Schutz der kleinen Nationen am Herzen liege. Die einzige Macht, die auf England hätte Einfluß ausüben können, Amerika, aber machte sich selbst zum willigen Knecht Englands. Wie leicht wäre es Amerika gewesen, durch Sperrung der Lieferung von Munition, Kriegsmaterial und Lebensmitteln bei England alles, was es [245] wollte, zu erreichen! Vergleicht man die Macht und den Einfluß, den Amerika durch die Gunst der Verhältnisse während des Krieges besaß, mit der Rolle, die es nach Beendigung des Waffenstillstands spielte, so steht man vor einem Rätsel, mit welcher Würdelosigkeit sich eine Großmacht damit begnügen kann, England den Schemel zur Erreichung der höchsten Staffel seiner Macht zu halten und dann wie der Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat, freiwillig zu gehen. Es handelte sich ja bei der amerikanischen Regierung nicht allein um die Duldung einseitiger Lieferungen an die Entente; sie ging weiter. Der englische Minister Sir Edward Carson hat am 27. März 1917 im Unterhaus kundgegeben, daß, bevor Amerika in den Krieg eingriff, eine Vereinbarung zwischen der amerikanischen und englischen Regierung bestand, nach der englische Behörden jedes von amerikanischen nach neutralen Häfen bestimmte Schiff bereits in amerikanischen Häfen untersuchen und darüber Bescheinigungen ausstellen durften. Ohne diese Vereinbarung war, wie Carson erklärte, die Durchführung der Hungerblockade gar nicht möglich. Nicht nur passiv, sondern auch aktiv hat Amerika bei der Hungerblockade gegen Deutschland, der materiellen Quelle alles Unglücks und aller Not, mitgeholfen!

Die Wirkungen dieser Hungerblockade begannen fühlbar zu werden. Der Chef des Admiralstabs, Admiral v. Holtzendorff, empfand die Gefahr, daß in dem Erschöpfungskrieg England die Oberhand, den Vorsprung gewinnen würde. Er überreichte dem Reichskanzler deshalb am 27. August 1916 eine neue Denkschrift: "Die Schiffsraumfrage und die Versorgung Englands im Jahre 1916". Sie legte unter anderem dar, welchen Einfluß der kurze und eingeschränkte U-Bootskrieg 1916 auf Englands Versorgung mit Lebensmitteln und Rohstoffen gehabt hatte. In dem Anschreiben zu der Denkschrift ging Admiral v. Holtzendorff auf die Bedeutung einer weiteren Verschiebung des uneingeschränkten U-Bootskrieges ein. Er sagte darin:

      "In militärischer Hinsicht ist zunächst zu sagen, daß im Verlaufe des nächsten halben Jahres zwar die Zahl der U-Boote sich erheblich vermehren wird, demgegenüber aber auch die Abwehrmittel des Gegners außerordentlich schnell zunehmen. Wir haben Agentennachrichten, wie Euer Exzellenz bekannt, daß alle Dampfer von 3000 Tonnen Fassungsvermögen aufwärts armiert werden und ein gleiches sogar für kleinere Dampfer beabsichtigt ist. Ist dies einmal durchgeführt, so ist es für unsere U-Boote in den meisten Fällen unmöglich, feindliche Handelsschiffe über Wasser anzuhalten. Ihr Erfolg im rücksichtslosen U-Bootskrieg ist dann allein von den Torpedotreffern abhängig. Diese Einschränkung wird die Vermehrung an U-Bootszahl fast ausgleichen. Das heißt, daß der vorauszusehende militärische Erfolg in einer Wartezeit kaum wächst, während das Risiko, Amerika gegen uns ins Feld zu führen, in der gleichen Zeit größere Bedeutung gewinnt.
      Aber noch weitere militärische Faktoren, zu deren Heranziehung in den früheren Kriegsmonaten noch keine Veranlassung vorlag, müssen jetzt besprochen [246] werden. Während wir zur Zeit noch über personelle Hilfsmittel verfügen, die, wie der Chef des Generalstabes bestätigen wird, uns die Möglichkeit gewähren, einem Zustrom amerikanischer Kriegsfreiwilliger zu unsern Gegnern mit Ruhe entgegenzusehen, hört der Überschuß an Personal bald auf. Im Frühjahr ist Deutschland in der Heranziehung seines Menschenmaterials so weit, daß nur noch der natürliche Jahreszuwachs an Wehrpflichtigen eingestellt werden kann, während Österreich-Ungarn, wie mir durch einen Bericht des Marine-Attachés bekanntgeworden ist, im Frühjahr schon vor seinem für absehbare Zeit letzten Menschenmaterial steht. Greift Amerika nach dem Frühjahr in den Krieg ein, so müssen die von dort kommenden Streitkräfte ganz anders in Rechnung gestellt werden, als dies in nächster Zukunft nötig ist; ganz besonders, wenn wir mit Hilfe des U-Bootskriegs auch beim Bruch mit Amerika darauf rechnen können, den Krieg schnell zu einem für uns günstigen Ende zu führen. Ein Abwarten bis zum Frühjahr gibt den Gegnern Ruhezeit zum Vorbereiten einer neuen Offensive. Schließlich sei erwähnt, daß ein Zuwachs für die englische Flotte aus amerikanischem Schiffsmaterial für die U-Bootskriegsführung keine Bedeutung haben würde. Selbst eine sehr viel stärkere Flotte als es die englische jetzt ist, wird nicht riskieren, die Stützpunkte unserer U-Boote anzugreifen. Der Einsatz würde mit dem voraussichtlichen Erfolg in keinem zu verantwortenden Verhältnis stehen. Eine Einschränkung der für den Handelskrieg verfügbaren Zahl der U-Boote würde deshalb durch den Zutritt amerikanischer Einheiten zur Kriegsflotte unserer Gegner nicht nötig werden. Auch dann bleiben U-Boote genug verfügbar, um den englischen Seeverkehr so schwer zu treffen, daß England nach wenigen Monaten den Frieden suchen wird."

Auch im Reichstag gewann die Erkenntnis von der Notwendigkeit des baldigen uneingeschränkten U-Bootskriegs Raum. Am 7. Oktober erklärte die Zentrumsfraktion wörtlich:

      "Namens sämtlicher Fraktionsmitglieder der Zentrumsfraktion des Ausschusses für den Reichshaushalt ist folgende Erklärung abgegeben worden: Für die politische Entscheidung über die Kriegsführung ist dem Reichstag gegenüber der Reichskanzler allein verantwortlich. Die Entscheidung des Reichskanzlers wird sich dabei wesentlich auf die Entschließung der Obersten Heeresleitung zu stützen haben. Fällt die Entscheidung für die Führung des rücksichtslosen U-Bootskriegs aus, so darf der Reichskanzler des Einverständnisses des Reichstages sicher sein."

Der damalige Reichskanzler v. Bethmann Hollweg bemerkt in seiner großen Rede vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß am 31. Oktober 1919 dazu: "Hiermit war, da Konservative und Nationalliberale seit früher unbedingte und drängende Verfechter des U-Bootskriegs waren, der parlamentarische Ring geschlossen. Der Reichstag hatte eine Verantwortung für den Lauf der Dinge genommen, von der er sich auch hinterher nicht mehr freimachen kann."

[247] Der Wunsch des Admiralstabs, daß der U-Bootskrieg im Oktober 1916 in uneingeschränkter Form eröffnet wurde, blieb unerfüllt. Der Kanzler regte im Oktober 1916 eine Friedensaktion des Präsidenten Wilson an und wollte erst den Erfolg abwarten. Die U-Boote wurden deshalb zunächst zum Handelskrieg nach Prisenordnung entsandt. Das widersprach zwar der grundsätzlichen Stellung des Admiralstabs zur Frage des U-Bootskriegs, aber es war in den Verhältnissen begründet. Das Friedensangebot Wilsons konnte entweder in absehbarer Zeit wirklich zum Frieden führen, oder es konnte scheitern. Im ersteren Fall war der uneingeschränkte U-Bootskrieg keine unbedingte Notwendigkeit, um den Krieg zu einem ehrenvollen Ende zu führen; denn auf einen anderen als einen solchen Frieden konnte und brauchte sich Deutschland auch ohne U-Bootskrieg nicht einzulassen. Scheiterte aber der Friedensschritt, so war bei der Stellung von Oberster Heeresleitung und Reichstag und deren Einfluß auf die Entschlüsse des Kanzlers vorauszusehen, daß der uneingeschränkte U-Bootskrieg eröffnet werden würde. Für diesen Fall war es wichtig, schon jetzt der feindlichen Handelsschiffahrt so viel Abbruch zu tun, wie nur irgend nach Lage der Dinge möglich war, damit der Vorsprung, den England bereits durch das zweimalige Aufgeben des U-Bootskrieges wieder gewonnen hatte, nicht noch vergrößert wurde. Es war damals schon klar, daß, wenn man sich zum uneingeschränkten U-Bootskrieg entschließen würde, er die ultima ratio, der letzte Trumpf Deutschlands in diesem Kriege, sein würde; die ultima ratio, als die ihn der Kanzler von jeher aufgefaßt wissen wollte. Welche Verantwortung in diesem Fall auf dem U-Bootskrieg und der Marine lastete, lag auf der Hand. Es wäre nicht zu verantworten gewesen, etwas zu unterlassen, was diese Verantwortung späterhin zu erleichtern geeignet war, nur um der grundsätzlichen Stellung zu der Frage des U-Bootskriegs willen. Anderseits war der Handelskrieg nach Prisenordnung nur als Übergang entweder zu den Friedensverhandlungen oder zum uneingeschränkten U-Bootskrieg richtig und möglich. In ersterem Fall verbesserten seine Erfolge die Stellung Deutschlands beim Friedensschluß, in letzterem erleichterte es den Entscheidungskampf mit England. Hätte man ihn anders aufgefaßt, so war kein Zweifel, daß er bald ein Fiasko erleben würde. Die Bewaffnung der Handelsschiffe war bereits in erheblichem Maße durchgeführt. Es fehlte nur noch, daß die Entente die Handelsschiffe nicht einzeln, sondern in Gruppen mit mindestens je einem bewaffneten Dampfer darin - Kriegschiffe als Begleitung waren gar nicht einmal nötig - fahren ließ, dann war Deutschland die Waffe des Handelskrieges nach Prisenordnung aus der Hand geschlagen. Die Folge davon mußte eine erneute Einbuße an Prestige, an Ansehen in der Welt sein. Eine solche Einbuße an Prestige hatte aber nicht nur die innere Bedeutung, daß den Feinden an der Front wie in der Heimat der Mut und Wille zum Aushalten gestärkt wurde, wenn Deutschland wieder einen Schritt zurückwich, sondern er mußte auch bei Neutralen den Eindruck erwecken, als ob es an den Sieg seiner Sache nicht [248] glaubte, als ob es sich zu schwach fühlte, durchzuhalten. Ein solcher Eindruck aber beeinflußte die Neutralen in ihrer Bereitschaft, Deutschland Kredite in irgendeiner Form zu gewähren.

So konnte der U-Bootskreuzerkrieg im Herbst 1916 nicht anders aufgefaßt werden wie als Einsatz der U-Boote vor dem Friedensschluß oder als Vorbereitung für den uneingeschränkten U-Bootskrieg.

An der Art der U-Bootskriegführung im Mittelmeer hatte sich zum Glück in der Zwischenzeit wenig geändert; sie zeitigte weiter schöne Erfolge. Aus der Reihe ertragreicher Unternehmungen können hier nur je eine von "U 39" (Kapitänleutnant Forstmann) und "U 35" (Kapitänleutnant Arnauld de la Perière) als Beispiele hervorgehoben werden. "U 39" lief unter österreichischer Flagge am 16. Mai aus Pola aus, passierte in der Otrantostraße 10 feindliche Fischdampfer und versenkte auf dem Wege südlich um Sizilien herum nach Elba 3 Segler und 1 Dampfer italienischer Flagge. In der Dämmerung des 23. Mai lief "U 39" in den befestigten Hafen Porto ferraio auf Elba und beschoß die für die italienische Kriegsindustrie wichtige Hochofenanlage wirksam auf nahe Entfernung. Mit dem Auftreten eines U-Bootes mitten in der Bucht von Porto ferraio hatte man offenbar nicht gerechnet; denn erst nach 18 Minuten wurde das Feuer aus einer Revolverkanone erwidert. Als freilich nach Verlassen des Hafens die Beschießung der Hochofenanlage fortgesetzt werden sollte, griff das Fort Stella mit Geschützen mittleren Kalibers ein, und "U 39" mußte tauchen. Die nächsten Tage kreuzte "U 39" bei ständig gutem Wetter zwischen Korsika und Marseille, verlegte dann nach Aufzeichnungen über Dampferkurse, die er auf einem versenkten Dampfer gefunden hatte, seinen Standort nach Minorca und ging am 29. Mai nach Versenkung von 11 Dampfern auf den Dampferweg Gibraltar - Malta, wo ihm weitere 6 Dampfer zum Opfer fallen. Über die Art, wie er einmal gleichzeitig zwei Dampfer anhielt, berichtet Kapitänleutnant Forstmann:

      "550 Uhr Nm. Ein Dampfer nähert sich mit Ostkurs, ein zweiter mit Westkurs. Getaucht und zwischen die Dampfer gesteuert. Überflutet aufgetaucht, als sich die Dampfer passieren. Die Entfernung ist zu gering. Schnell tauchen, als der eine Dampfer, später als englischer Dampfer »Baron Tweedmouth« erkannt, auf das Boot zudreht. Beide Dampfer versuchen jetzt zu entkommen. Aufgetaucht, die Dampfer gleichzeitig angehalten. Die Besatzungen verlassen die Schiffe. Zuerst engl. Dampfer »Baron Tweedmouth« aus Ardrossan, 5007 Tonnen, volle Ladung Kohlen, durch Geschützfeuer versenkt. Dann italienischer, früher deutscher Dampfer »Hermersberg« aus Genua, ohne Ladung, 2834 Tonnen, durch Geschützfeuer versenkt."

Die Gegenwehr seit Verlassen der Otrantostraße war sehr gering gewesen. Nur einige Male waren einzelne Zerstörer oder Bewachungsfahrzeuge erschienen. Die meisten hatten hier im Mittelmeer noch keine Kanone oder sie machten wenigstens keinen Gebrauch davon. Freilich eröffnete einmal ein großer Dampfer [249] auf 10 km das Feuer auf "U 39", ohne angehalten worden zu sein und zeigte damit praktisch den offensiven Zweck seiner Bewaffnung. Nach kurzem Feuergefecht mit bewaffneten Fischdampfern im Ionischen Meer und Passieren der durch Zerstörer und Fischdampfer gesicherten Otrantostraße in Unterwasserfahrt lief Forstmann am 6. Juni in Cattaro ein mit einem Erfolg von 53 000 Tonnen versenkten Schiffsraums. Schon während der Fahrt war funkentelegraphisch an den in Emden liegenden Kreuzer "Arkona" das bisherige Ergebnis gemeldet worden.

Das deutsche Unterseeboot ‘U 35' im Mittelländischen Meere im Moment des Tauchens.
Das deutsche Unterseeboot "U 35" im Mittel-
ländischen Meere im Moment des Tauchens.
[Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 551.

Im Mittelländischen Meere von dem deutschen Unterseeboot ‘U 35' versenkter feindlicher Segler.
Im Mittelländischen Meere von dem deutschen
Unterseeboot ‘U 35' versenkter feindlicher Segler
im Untergehen.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 552.

Ein von ‘U 35' in den Grund geschossener feindlicher Dampfer.
Ein auf der Mittelländischen U-Bootfahrt von
"U 35" in den Grund geschossener feindlicher
Dampfer im Augenblick des Versinkens.
[Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 553.

Deutsche Unterseeboote in den von den Gegnern gesperrten Gewässern.
Deutsche Unterseeboote in den von den Gegnern
gesperrten Gewässern. "U 52" (im Vordergrund)
begegnet "U 35" auf seiner 31 Tage währenden
reichen Beutefahrt im Mittelländischen Meere.
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Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 554.

Korvettenkapitän Lothar von Arnauld de la Perière auf dem Deck seines Bootes ‘U 35'.
Korvettenkapitän Lothar von Arnauld de la Perière
auf dem Deck seines Bootes "U 35", bei
Sonnenuntergang im Mittelländischen Meere.
"U 35" hatte auf dieser 31tägigen Fahrt
45 feindliche Fahrzeuge versenkt.   [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 555.
Noch erfolgreicher gestaltete sich eine Fahrt von "U 35" nach dem westlichen Mittelmeer vom 26. Juli bis 20. August 1916. Unter dauerndem planmäßigen Wechsel des Tätigkeitsgebiets während der Nächte gelang es "U 35", bald im Dampferweg Gibraltar - Malta, bald vor Marseille, bei Mallorca, an der spanischen Küste, wieder vor Marseille, im Golf von Genua, bei Elba und schließlich noch einmal zwischen Tunis und Sizilien überraschend aufzutreten und im ganzen 54 Fahrzeuge von insgesamt 91 000 Tonnen Raumgehalt zu versenken. Die Gegenwehr war gegen früher verstärkt, doch immer noch schwach. Zum ersten Male wird eine Art Geleitzugsverkehr festgestellt. Als neue Abwehrmittel treten flache, schnelle Motorboote in die Erscheinung. Über einzelne Episoden berichtet das Kriegstagebuch folgendermaßen:

      "7. August, nördlich der Balearen. 820 Uhr Vm., Wind Süden, Stärke 2, Seegang Stärke 2. 4 Bewachungsfahrzeugen, darunter einem älteren Torpedoboot, über Wasser nach Westen ausgewichen. Bewachung vorbeigelassen, dahinter in den Dampferweg gestoßen. Es folgen etwa 5 sm hinter der Bewachung 3 Dampfer, 2 feindliche und etwas weiter ab ein neutraler.
      Die beiden feindlichen Dampfer durch abwechselndes Feuer zum Stoppen gezwungen, setzen Boote aus. Die Bewachung hat den Vorgang bemerkt und strebt unter großer Rauchentwicklung der Stelle zu.
      An die Boote des ersten Dampfers herangegangen, zur Feststellung der Ladung den Kapitän übergenommen, dabei dem Dampfer einen Bugtorpedo gegeben, mit höchster Fahrt auf den etwa 30 hm (Anm.: 3 km) entferntliegenden anderen Dampfer zugehalten, diesem einen Hecktorpedo gegeben, an die Boote dieses Dampfers herangegangen, Papiere in Empfang genommen und den Kapitän des ersten Dampfers wieder abgegeben. Zwei der Bewachungsfahrzeuge, das Torpedoboot und ein armierter Dampfer, sind inzwischen aufgekommen, können aber nicht feuern, da das U-Boot sich zwischen den Schiffsbooten befindet; dort ungestört getaucht und abgelaufen.
      Der erste ist der englische Dampfer »Trident«, Newcastle, 3129 Tonnen, mit 4600 Tonnen Kohle von Cardiff nach Langhorn, Papiere (Anm. d. h. Schiffs- und Ladungspapiere, Besatzungsliste) nicht geborgen. Der zweite ist der englische Dampfer »Newburn«, Newcastle, 3554 Tonnen, mit 5183 Tonnen Kohle von Cardiff nach Marseille. (Bestimmt für Chemin de fer Paris - Lyon et Méditerranné.) Papiere geborgen."

[250] Am 15. August trifft "U 35" mit einer U-Bootsfalle zusammen und meldet hierüber im Tagebuch:

      "912 Uhr Vm. Auf kleinen Dampfer mit Westkurs zugehalten, Feuer eröffnet. Dampfer stoppt, setzt italienische Flagge, läßt Boote zu Wasser. Während des Angriffs ist ein anderer Dampfer (etwa 2000 Tonnen), weißer Ring um schwarzen Schornstein, helle Aufbauten, ohne erkennbare F. T., ohne Flagge, mit Ostkurs herangekommen. Nunmehr diesen Dampfer angegriffen, Feuer eröffnet auf 65 hm. Dampfer fiert zwei Boote über Wasser. Sicherheitshalber weitergefeuert. Habe den Dampfer auf 60 hm in der 2-hm-Gabel. Plötzlich eröffnet der Dampfer aus 4 Breitseitgeschützen etwa 12 cm (Steuerbordseite) ein gut liegendes Feuer. Drei Geschütze feuern Granaten, eins Schrapnells. Die Granaten schlagen um das Boot herum ein, ein Schrapnell platzt über dem Boot, die Kugeln prasseln beim Boot ins Wasser. Im Feuer mit »Aller Fahrt« getaucht. Während des Tauchmanövers kann ich durch das Turmfenster verfolgen, wie die Aufschläge immer näher kommen bis auf 50 m vom Boot. Als das Boot eben auf 9 m ist, höre ich dann Aufschläge direkt am Turm. Boot kommt glücklich herunter, ist unbeschädigt. Nach dem Einsteuern zum Angriff auf 10 m gegangen. Dampfer hat abgedreht und läuft mit hoher Fahrt ab, kommt nach etwa 1 Stunde aus Sicht."

Am 17. August werden nach einem leider vergeblichen Versuch auf den französischen Panzerkreuzer "Ernest Renan" 2 Dampfer gesichtet:

      "1030 Uhr Vm. östlich Kap Bon. Den vorderen Dampfer, Heckgeschütz ist zu erkennen, mit Geschütz angegriffen. Auf Signalstation Pantellaria weht das U-Bootswarnungssignal. Beide Dampfer - wie später festgestellt, ist der vordere der englische Dampfer »Swedish Prince«, der hintere »Astraea« -, erwidern das Feuer, ohne Flagge zu zeigen, »Swedish Prince« auf 60 hm mit einem 4,7-cm, »Astraea« auf 70 hm mit zwei nicht erkennbar aufgestellten 7-cm. In längerem Feuergefecht erhält »Swedish Prince« zwei Treffer, stoppt, feuert zuerst weiter, läßt dann Boote zu Wasser, »Astraea« versucht unterdessen auf 75 hm durch erstaunlich gut liegendes Feuer (Aufschläge unter 100 m vom Boot), dem durch Fahrt- und Kursänderungen erfolgreich ausgewichen wird, mich von »Swedish Prince« fernzuhalten, wird aber allmählich abgedrängt. Mein Feuer bleibt auf dieser Entfernung wegen der zu kleinen bestrichenen Räume der 8,8-cm leider wirkungslos. Es wird dann der Kapitän, der 1. Maschinist und der Geschützführer (französischer Reservist) gefangengenommen, der Dampfer versenkt und nach Norden abgelaufen."

Wegen dieser guten Erfolgsaussichten wurden im September 4 weitere Boote aus der Heimat nach dem Mittelmeer detachiert: "U 63", "U 64", "U 65" und "U 32". Von der Nordsee aus waren indessen einige Sonderunternehmungen nach dem nördlichen Eismeer ausgeführt worden, und zwar auf ausdrücklichen Wunsch der "Obersten Heeresleitung", die "die umfangreichen Transporte von [251] Kriegsmaterial nach Archangelsk in ihrer Wirkung auf die Kriegführung ernst einschätzte". "U 75" (Kapitänleutnant Beitzen) hatte August 1916 denselben Dampferweg, auf dem vor einem Jahr der Hilfskreuzer "Meteor" seine Minen unmittelbar vor der Einfahrt ins Weiße Meer geworfen hatte, von neuem verseucht. "U 43" (Korvettenkapitän Jürst), "U 46" (Kapitänleutnant Hillebrand) und "U 48" (Kapitänleutnant Buß) wirkten nunmehr im Oktober an der Küste von Lappland. "U 43" gelang die Versenkung von 11 Dampfern mit 34 000 Tonnen Raumgehalt. Darunter waren 4 mit Kriegsmaterial beladen. Der rumänische Dampfer "Bistritza" sollte z. B. von Brest nach Archangelsk für das rumänische Heer u. a. folgendes Material bringen:

    125 000 7,5-cm-Granaten,
    200 000 andere Granaten,
    576 000 Patronen für Maschinen-Gewehre,
    338 Tonnen Sprengstoff,
    60 000 Stahlhelme,
    10 000 Gewehre,
    100 Maschinengewehre,
    20 5,8-cm-Mörser,
    93 Automobile,
    5 Luftballons,
    2 Flugzeugschuppen,
    883 Tonnen Stahl in Barren,
    14 000 000 Kartuschen für Mitrailleusen.

Über Wetter und Sichtigkeit berichtete Korvettenkapitän Jürst im Kriegstagebuch "U 43":

      "Die Wetterverhältnisse waren entsprechend der Jahreszeit wenig günstig und unbeständig, häufiger starker Seegang, Schnee- und Hagelböen, langandauerndes Schneetreiben und Kälte erschwerten die Führung des Handelskrieges, während die große Sichtigkeit bei völligem Fehlen von Nebel sehr vorteilhaft war. Die in der Luft liegende Feuchtigkeit teilte sich in unangenehmer Weise dem Bootsinnern mit, zumal die vorhandenen Mittel nicht genügten, das stets völlig nasse Zeug der Wachen und Geschützbedienungen zu trocknen."

"U 46" kehrte mit dem Erfolg von 18 300 Tonnen heim, "U 48" hatte 3 Dampfer von 8 163 Tonnen versenkt und brachte den russischen Dampfer "Suchan" (3781 Tonnen) mit einer Ladung von 6800 Tonnen Munition (Wert 80 Millionen Mark) und Automobilen aus Amerika als Prise nach Deutschland. Die Führung der Prise war dem Wachoffizier, Oberleutnant z. S. d. R. Hashagen, übertragen; er bekam 3 Unteroffiziere, 4 Mann (¼ der U-Bootsbesatzung!) vom U-Boot mit. Über die Fahrt der Prise längs der norwegischen Küste nach Süden berichtete der Kommandant von "U 48" folgendes:

[252]   "Dampfern wurde rechtzeitig ausgewichen und abgeblendet gefahren, so daß »Suchan« nicht angehalten wurde. Sehr bald kam schwere See auf, mehrfach Windstärke 12, so daß beigelegt werden mußte. Das mit Munition weit überladene Schiff rollte 40° nach jeder Seite und die schweren Brecher gingen bis über die Schornsteine weg. Die Rettungsboote wurden bis auf zwei weggeschlagen und das Wasser drang durch das Schußloch immer mehr in den Kollisionsraum ein. Ein Ladebaum wurde abgesägt und unter großen Schwierigkeiten in das Schußloch hineingerammt. Der Dampfer mußte zu diesem Zweck durch Überpumpen von Wasser gekrängt werden. In der einen Nacht wurde das Schiff 65 sm nach Land zu vertrieben, trotzdem mit 7 sm gegen den Weststurm gefahren wurde. Die Kohlen wurden allmählich so knapp, daß das Schiff weiter beiliegen mußte und schließlich die russischen Heizer nicht mehr heizen wollten. Es ist nur der äußersten Energie des Oberleutnants z. S. Hashagen zu verdanken, daß der Dampfer nach Deutschland eingebracht werden konnte. Während der Offizier auf der Kommandobrücke war, fingen die Russen an, in die Weinvorräte einzubrechen und sich dauernd zu betrinken, so daß kistenweise der Schaumwein und anderer Wein, Whisky usw. über Bord geworfen werden mußte. Die russische Besatzung wurde durch den Prisenoffizier in mustergültiger Weise in Schach gehalten. "U 48" hat die 1400 sm lange Strecke mit der Prise »Suchan« aufgetaucht zurückgelegt, bei Tage weit vor dem Dampfer fahrend, klar zum Angriff gegen fremde Schiffe, bei Nacht im Kielwasser von »Suchan«. Südlich vom Skagerrak, als das Schiff nur noch 20 Tonnen Kohlen hatte, zwang ein harter Südweststurm noch einmal 1½ Tage beizulegen. Schließlich kam das Schiff mit 9 Tonnen Kohlen bei Horn-Riff Fsch. an und konnte dann nach Wilhelmshaven eingebracht werden. Nach dem Festmachen in der Schleuse waren noch ½ Tonne Kohlen an Bord.
      Der Dampfer hatte an Deck eine größere Anzahl Stahlflaschen mit giftigen Gasen geladen. Die Sprengstoffladung - Geschosse hatte er nicht - war in Kisten mit der Aufschrift »High explosive« verstaut. Er kam direkt von Amerika."

In den Sommer 1916 fiel auch die erste Fahrt des 2000 Tonnen großen Handels-U-Bootes "U Deutschland" nach Amerika, unter Kapitän Paul König; als eine andere Art der Abwehr gegen die mörderische Hungerblockade steht sie in enger Beziehung zum U-Bootskrieg. Die Fahrt ist von Paul König in seinem vortrefflichen Buch so klar geschildert, daß hier nicht besonders auf sie eingegangen zu werden braucht; sie stellte eine vorzügliche Leistung dar. Besonders eindrucksvoll ist die Darstellung des unbemerkten Auslaufens aus der Chesapeake-Bai trotz des Lauerns englischer Kreuzer außerhalb der Küstengewässer.

Bekanntlich sollte als 2. Handels-U-Boot die "Bremen" folgen; sie erreichte ihr Ziel nicht, sondern ging während der ersten Fahrt nach Amerika auf bis jetzt unaufgeklärte Weise verloren. Mit dieser Fahrt steht in unmittelbarer Beziehung [253] die Entsendung des (Kriegs-)U-Bootes "U 53" (Kapitänleutnant Rose) nach Amerika. Der Operationsbefehl für "U 53" enthielt in Ziffer 1 folgenden Befehl: "Nach dem Eintreffen des Handels-U-Bootes »Bremen«, welches etwa am 15. September in New London zu erwarten ist, werden voraussichtlich feindliche Streitkräfte die östlichen Zugänge zum Long-Island-Sund bewachen. Sie sollen diese Streitkräfte aufsuchen und angreifen...." Der Hafen Newport-Rhode Island sollte für "einige Stunden" angelaufen werden, "um den amerikanischen Marinebehörden Gelegenheit zu geben, das Boot zu besuchen und um etwa gerettete Gefangene, die nicht mitgenommen werden können, internieren zu lassen"; auf dem Rückweg durfte Handelskrieg nach Prisenordnung geführt werden. "U 53" lief am 17. September aus Helgoland aus. Sein Treibölvorrat war auf 150 cbm, sein Trinkwasserbestand auf 7000 Liter, der Waschwasserbestand auf 7500 Liter erhöht. Die Besatzung war um einige Köpfe vermehrt worden, um den Dienst auf der langen Unternehmung zu erleichtern. Vor Antritt der Reise war sie belehrt worden, nur gekochtes Wasser zu trinken, elektrischen Strom soweit möglich zu sparen, Eßgeschirr nur mit Seewasser zu reinigen und unausgetrunkenen Tee oder Kaffee nicht zu verschütten. Am 7. Oktober lief "U 53", ohne vorher feindliche Kriegschiffe gefunden zu haben, vom amerikanischen U-Boot "D 2" begleitet, in Newport (bei New York) ein und ankerte 3 Uhr nachm. Nach Austausch einiger Besuche lief "U 53" 530Nm. (also nach 2½ Stunden) wieder aus, ohne irgendwelche Vorräte aufgefüllt zu haben. Nachdem am 8. Oktober bei Nantucket Feuersch. 5 Dampfer von zusammen 20 000 Tonnen Raumgehalt nach Prisenordnung versenkt waren, mußte der Rückmarsch angetreten werden. Am 28. Oktober traf "U 53" in Helgoland ein. Die Leistung des Bootes beruhte in erster Linie in dem Aushalten der langen ununterbrochenen Seefahrt ohne irgendwelche schwerwiegenden Störungen an Bootsmaterial, Maschinen oder Gesundheit der Besatzung. Leicht war diese Leistung nicht erzielt. Auf der Hinfahrt herrschte in den ersten Wochen dauernd Sturm und Seegang. Am 1. Oktober (14 Tage nach Abfahrt) konnte die Freiwache zum ersten Male aus dem Bootsinnern an Deck kommen. Zusammenfassend berichtete der Kommandant über die Wohn- und Gesundheitsverhältnisse:

      "Der Gesundheitszustand der Besatzung war bis auf die Neufundlandkrankheit und allerhand Kleinigkeiten - in erster Linie Verdauungsstörungen zu Beginn der Fahrt - gut.
      Im Laufe der Zeit machte sich bei der Besatzung eine gewisse Erschlaffung geltend, die in dem Mangel an Bewegung, frischer Luft und Anregung, sowie in den überaus beschränkten Wohnverhältnissen ihren Grund hatte. Das Oberdeck konnte auf der Hinfahrt erst nach 14 Tagen und auf der Rückfahrt überhaupt nicht zum Auf- und Abgehen freigegeben werden. Sonst wurde das Oberdeck nur zu notwendigen Arbeiten - mit Schwimmweste und Leine - betreten und einmal, am 28. September, zum Baden.
[254]   Das Wohnen im Bugraum ist wegen der dortigen Nässe auf die Dauer gesundheitsschädlich. Im Heckraum ist es besser. Trotz aller Sorgfalt ließ sich das allmähliche Naßwerden der Hängematten und wollenen Decken im Bugraum nicht verhindern. Sie sind während der ganzen Reise nicht wieder trocken geworden. Durch Anstellen der elektrischen Öfen wurde zeitweilig, wenn auch nur mit sehr geringem Erfolg versucht, der Nässe entgegenzuwirken.
      In kalter Jahreszeit sind derartig lange Unternehmungen allein schon wegen der Unwohnlichkeit und Nässe unmöglich. Durch häufige Verabreichung von warmen Suppen zum Abendbrot wurde Erkältungskrankheiten vorgebeugt."

Dadurch, daß statt 60 cbm Brennstoff 150 an Bord waren, war das Boot überlastet und nahm noch mehr Wasser über als andere U-Boote. Auch die Gummianzüge nutzten der Wache auf der Brücke nichts, sie kamen aus den nassen Kleidern während der ersten Wochen nicht heraus. In der Maschine gab es auf dieser langen und sturmreichen Fahrt unzählige Störungen und Sonderarbeiten. Maschinisten-Maat Mazurimm und Heizer Schröder zeichneten sich mehrfach durch stundenlanges Arbeiten an Oberdeck - Dichten von Ölleitungen, Reparatur eines Auspuffschiebers - wobei sie dauernd von der See überspült wurden, aus.

Ebenso vorzüglich war die Leistung von "U C 20" auf einer Fahrt nach dem Mittelmeer, die 55 Tage dauerte und auf der eine Strecke von 6000 sm zurückgelegt wurde.

Inzwischen war das Friedensangebot Deutschlands gescheitert, die Antwort der Entente faßte der Kanzler als "apodiktische" Absage auf, "so apodiktisch, daß ich auch von der Friedensnote Wilsons vom 21. Dezember 1916 einen Umschlag nicht mehr erwartete".20

Auch andere Verhandlungsmöglichkeiten standen nicht in Aussicht. Die Oberste Heeresleitung hielt den U-Bootskrieg unter diesen Umständen für unbedingt erforderlich. Feldmarschall Hindenburg hat das vor dem Untersuchungsausschuß am 18. November 1919 in die Worte gekleidet:

      "Die Führung des U-Bootskrieges wurde zur Pflicht, da andere Mittel, der schwer bedrängten Westfront zu Hilfe zu kommen und den Feind durch Mittel der Kriegführung friedenswillig zu machen, nicht mehr bestanden. Dies war aber der einzige Weg, den Krieg zu beenden, wenn die Friedensangebote sich zerschlugen. Sollten wir ruhig dulden, daß unsere Söhne und Brüder an der Westfront durch amerikanische Geschosse zerfleischt wurden, sollten wir es ruhig mit ansehen, daß in der Heimat Weib und Kind durch die Blockade unserer grausamen Gegner dem Verhungern entgegengeführt wurden? Da war der U-Bootskrieg das einzige Mittel, um dem entgegentreten zu können."

[255] General Ludendorff fügte dem hinzu:

      "Der Geist an der Front war noch ungebrochen. Immerhin war die Lage so, daß wir zu Lande auf einen Sieg allein nicht rechnen konnten. In der Lage, in der wir uns befanden, war die Anwendung des uneingeschränkten U-Bootskrieges dem deutschen Volke und dem Heere gegenüber eine Pflicht, wenn das Friedensangebot nicht angenommen wurde."

Der Chef des Admiralstabs hatte auf Grund neuer wirtschaftlicher Forschungen eine Denkschrift eingereicht, die zu dem Schluß kam: "Ich komme daher zu dem Schluß, daß ein uneingeschränkter U-Bootskrieg, der so rechtzeitig eröffnet wird, daß er den Frieden vor der Welternte des Sommers 1917, also vor dem 1. August, herbeiführt, selbst den Bruch mit Amerika in Kauf nehmen muß, weil uns gar keine andere Wahl bleibt. Ein bald einsetzender uneingeschränkter U-Bootskrieg ist also trotz der Gefahr eines Bruches mit Amerika das richtige Mittel, den Krieg siegreich zu beenden. Es ist auch der einzige Weg zu diesem Ziel."21

Auf diesen Grundlagen, aus dem Zwang der Gesamtkriegslage heraus, wurde in der Sitzung am 9. Januar 1917 in Pleß unter Vorsitz des Kaisers der Entschluß zum uneingeschränkten U-Bootskrieg gefaßt. Man hat diesen Entschluß als "Vabanque-Spiel" kritisiert.

Die erhabenste Antwort auf diesen Vorwurf des Vabanquespiels hat der Feldmarschall Hindenburg gefunden, wenn er schreibt (Aus meinem Leben, Seite 233):

      "Angesichts des für uns verhängnisvollen Ausganges des Krieges hat man die Erklärung des uneingeschränkten U-Bootskrieges für ein Vabanquespiel halten zu müssen geglaubt. Damit versuchte man diesen unseren Entschluß politisch und militärisch wie auch moralisch herabzuwürdigen. Man übersieht bei diesem Urteil, daß nahezu alle Entscheidungen, Entschlüsse, und zwar nicht nur diejenigen im Kriege, ein schweres Risiko in sich tragen, ja, daß die Größe einer Tat hauptsächlich darin liegt und daran zu messen ist, daß ein hoher Einsatz gewagt wird. Wenn ein Feldherr auf dem Schlachtfeld seine letzten Reserven in den Kampf schickt, so tut er nichts anderes, als was sein Vaterland mit Recht von ihm fordert: Er nimmt die volle Verantwortung auf sich und beweist den Mut zum letzten, entscheidenden Schritt, ohne den der Sieg nicht zu erringen wäre. Ein Führer, der es nicht auf sich nehmen kann oder will, die letzte Kraft an den Erfolg zu setzen, ist ein Verbrecher an dem eigenen Volk. Mißlingt ihm der Schlag, dann freilich wird er vom Fluch und Hohn der Schwachen und Feiglinge getroffen. Das ist nun einmal das Schicksal des Soldaten. Es würde jeder Größe entbehren, wenn er nur auf sicheren Berech- [256] nungen sich gründen ließe und wenn die Erringung des Lorbeers nicht abhängig wäre von dem Mute der Verantwortung. Diesen Mut heranzubilden, war Ziel unserer deutschen militärischen Erziehung."

Man hat ferner die Schlußfolgerung des Chef des Admiralstabs in der Denkschrift vom 21. Dezember 1916, ein uneingeschränkter U-Bootskrieg werde aller Voraussicht nach England in 5 Monaten zum Frieden geneigt machen, kritisiert. Man übersieht dabei, daß dem Admiralstab seit Ende 191422 stets, wenn die Frage des U-Bootskrieges zur Diskussion stand, die Festsetzung eines Termins als Voraussetzung zugeschoben wurde, ferner, daß der in der Denkschrift vom 21. Dezember 1916 angegebene Termin von 5 Monaten keineswegs allein und entscheidend auf den Entschluß zum U-Bootskrieg einwirkte, wie die Stellungnahme des Kanzlers und der Obersten Heeresleitung zeigt, und endlich, daß er unter der selbstverständlichen Voraussetzung gegeben war, daß der U-Bootskrieg von allen Stellen nachdrücklich unterstützt wurde. Ob diese Bedingung erfüllt wurde, wird sich noch zeigen.

Die Ausführungsbefehle für den uneingeschränkten U-Bootskrieg wurden vom Admiralstab am 12. Januar 1917 verausgabt, die ersten U-Boote, die mit den Befehlen ausgerüstet waren, liefen Mitte Januar aus. In den letzten Tagen des Januar wurde von der Reichsleitung noch einmal die Frage an den Admiralstab gerichtet, ob der Befehl rückgängig gemacht werden könne. Die Möglichkeit, über Wilson zu Friedensverhandlungen zu kommen, tauchte anscheinend zum letzten Male auf. Der Admiralstab verneinte die Frage und konnte nichts anderes tun. Denn wenn die Forderung an die Marine gestellt wurde, die U-Boote zurückzurufen, den Befehl zum Beginn des uneingeschränkten U-Bootskrieges rückgängig zu machen, so bedeutete das naturgemäß, daß auch die Sicherheit für die Ausführung dieses Befehls geschaffen wurde. Etwas anderes konnte der politischen Leitung nichts nützen. Diese Sicherheit aber konnte die Marineleitung nicht geben. Zwar hatte jedes U-Boot genaue schriftliche Angaben an Bord, zu welchen Tages- und Nachtzeiten die F. T.-Stationen in der Heimat besondere Nachrichten an U-Boote abgeben würden; die Boote waren angewiesen, zu diesen Tageszeiten nach Möglichkeit auf die Signale der Heimatsstationen zu achten. Technisch war also die Möglichkeit gegeben, den U-Booten durch F. T.-Befehle zu übermitteln. Aber wie sehr es auch gelungen war, die F. T.-Einrichtung der U-Boote zu vervollkommnen, so kam es doch oft vor, daß U-Boote tagelang keine F. T.-Signale empfingen. Hatten sie heute während der Empfangszeiten getaucht fahren müssen, so war morgen das Wetter so schwer, daß ihr Apparat versagte. War bei einem U-Boot der F. T.-Apparat durch Wasserbomben beschädigt, so herrschten auf anderen U-Booten, in anderen Gegenden zeitweise so ungünstige meteorologische Verhältnisse, daß kein Signalverkehr mit der Heimat bestand. So konnte niemals, auch wenn eine ganze Reihe von [257] Tagen hintereinander dieselbe Nachricht, derselbe Befehl durch F. T. an die U-Boote gegeben wurde, sichergestellt werden, daß wirklich alle U-Boote das betreffende Signal empfingen.


16 [1/233]Vgl. hierzu Karte des Nordsee-Kriegsschauplatzes. [Scriptorium merkt an: der Einfachheit halber von uns verkleinert oben im Text eingefügt; durch Mausclick zu vergrößern!] ...zurück...

17 [1/236]Vgl. La Revue maritime, "Les dessous politiques de la guerre sousmarine allemande", décembre 1920. ...zurück...

18 [1/242]Bezüglich der Gründe zu diesem Verhalten Wilsons hat damals der Vertraute Wilsons, Oberst House, dem deutschen Botschafter Graf Bernstorff gesagt: "...daß sich die Verhältnisse so entwickelt hätten, daß Wilson nicht mehr die Macht habe, England zu zwingen, den völkerrechtlichen Normen zu gehorchen. Das erkläre sich dadurch, daß der amerikanische Handel so sehr durch seine Beziehungen mit der Entente gebunden wäre, daß Wilson unmöglich diese Handelsbeziehungen stören könne, ohne einen derartigen Sturm in der öffentlichen Meinung hervorzurufen, daß er seinen Willen nicht würde durchsetzen können." (Aussage Bernstorffs vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß 21. Oktober 1919.) ...zurück...

19 [1/243]Times vom 11. Januar 1916. ...zurück...

20 [1/254]Rede von Bethmann Hollweg vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß am 31. Oktober 1916. Die Verhandlungen vor dem parlamentarischen Ausschuß geben über die Zeit vor dem uneingeschränkten U-Bootskrieg eingehenden Aufschluß. ...zurück...

21 [1/255]Anschreiben zur Denkschrift vom 22. Dezember 1916, an Feldmarschall von Hindenburg gerichtet. ...zurück...

22 [1/256]Vgl. Tirpitz, Erinnerungen, Seite 348. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte