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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Der Seekrieg

Kapitel 4: Der Der U-Bootskrieg   (Forts.)
Fregattenkapitän Friedrich Lützow

3. Der U-Bootskrieg 1915.

Nach Hersings Fahrt nach den Dardanellen brachte der Mai in der Versenkung der "Lusitania" durch "U 20" einen Erfolg, der bei richtiger diplomatischer Ausnutzung vielleicht von großem Nutzen für die Wirkung des U-Bootskrieges hätte sein können, der jedoch im Gegenteil zum Schaden [218] ausschlug, weil die politische Leitung den Forderungen, die Wilson stellte, nachgab. Da der "Lusitania"-Fall von England in lügnerischer Weise dazu ausgenutzt wurde, um die ganze Welt in gehässige Stimmung gegen die Deutschen, die "Hunnen", zu treiben, um vor allem in Amerika zum Kriege zu reizen, muß etwas näher auf ihn eingegangen werden.

Am 24. April 1915 traf beim Kommando der deutschen Hochseeflotte sowie beim Führer der U-Boote in Wilhelmshaven die Nachricht ein, in der nächsten Zeit sei die Abfahrt großer englischer Truppentransporter von der West- und Südküste Englands nach Frankreich zu erwarten. Der Führer der U-Boote erhielt Befehl, diese Truppentransporte mit U-Booten nach Möglichkeit abzufangen und dazu baldmöglichst drei Stationen durch U-Boote zu besetzen: Vor Dartmouth, vor dem Bristol-Kanal und vor Liverpool. Die Wichtigkeit der Aufgabe und der langdauernde Anmarsch der U-Boote bis zu den bezeichneten Ausschiffungsplätzen drängte. Deshalb wurden die drei zunächst verfügbaren U-Boote "U 20", "U 27" und "U 30" für den Auftrag vorgesehen. "U 30", das am 25. April von Emden zum Handelskrieg ausgelaufen war, also schon in See war, erhielt durch Funkentelegraphie folgenden Befehl: "Große englische Truppentransporte zu erwarten von West- und Südküste Englands. Auf schnellstem Wege um Schottland den Englischen Kanal ansteuern. Stellung nehmen vor Dartmouth. Transporter, Handelsschiffe, Kriegschiffe angreifen, Position besetzt halten, solange Vorräte gestatten. 'U 20' und 'U 27' gehen nach Irischer See und Bristol-Kanal." Für "U 20" und "U 27" wurde folgender Befehl an die vorgesetzte Flottille nach Emden gedrahtet: "Große englische Truppentransporte zu erwarten, ausgehend von Liverpool, Bristol-Kanal, Dartmouth. Zur kräftigen Schädigung der Transporte sollen baldmöglichst entsandt werden 'U 20' und 'U 27'. Stationen dort verteilen; Stationen auf schnellstem Wege um Schottland aufsuchen; innehalten, solange Vorräte gestatten. 'U 30' hat Befehl, Dartmouth zu gehen. Boote sollen angreifen Transporter, Handelsschiffe, Kriegschiffe." Die Erwähnung der Handelsschiffe in diesem Befehl bedeutete nur einen Hinweis darauf, daß durch den Sonderauftrag gegen die Transporter nicht der allgemeine Befehl zur Handelskriegsführung aufgehoben war.

"U 30" befand sich am 7. Mai bereits auf dem Rückweg, bei den Shetland-Inseln, "U 27" erlitt eine Verzögerung in der Fertigstellung, konnte erst am 4. Mai auslaufen und war am 7. Mai auf der Ausreise nördlich von Schottland, "U 20" lief am 30. April aus, befand sich am 5. Mai an der Südküste Irlands, versenkte an diesem und dem folgenden Tage, auf dem Marsche nach dem St. Georgs-Kanal zu, den Segler "Earl of Lathom", die Dampfer "Candidate" und "Centurion", mußte aber ein weiteres Vordringen in die Irische See, nach Liverpool, wegen des herrschenden Nebels im Verein mit der vor Liverpool zu erwartenden stärkeren Bewachung und wegen größeren Ölverbrauchs auf dem Hinmarsch aufgeben und beschloß deshalb, südlich vom Eingang des Bristol-Kanals [219] zu bleiben und hier Schiffe anzugreifen, bis der Treibölverbrauch zum Rückmarsch zwang. Als aber auch hier derselbe Nebel wie an der Südküste Irlands herrschte, entschloß sich "U 20" am 7. Mai Vm., schon jetzt den Rückmarsch anzutreten, um gegebenenfalls nördlich von Irland durch den Nordkanal in die Irische See vorzustoßen. Es wurde deshalb Kurs nach Westen auf die Südwestspitze Irlands zu genommen. Über das Zusammentreffen mit der "Lusitania" berichtete das Kriegstagebuch "U 20" dann folgendes:

      "220 Uhr Nm.,12 Sichtigkeit sehr groß, sehr schönes Wetter.
      7. Mai 1915, 220 Uhr Nm. Recht voraus werden 4 Schornsteine und 2 Masten eines Dampfers mit Kurs senkrecht zu uns (er steuerte, von Südsüdwest kommend, Galley Head an) sichtbar. Schiff wird als großer Passagierdampfer ausgemacht.
      225 Uhr Nm. Auf 11 m gegangen und mit hoher Fahrt auf konvergierenden Kurs zum Dampfer gegangen, in der Hoffnung, daß er Kurs nach Steuerbord, längs der irischen Küste, ändern wird.
      235 Uhr Nm. Der Dampfer dreht Steuerbord, nimmt Kurs auf Queenstown und ermöglicht so eine Annäherung zum Schuß. Bis 3 Uhr Nm. hohe Fahrt gelaufen, um eine vorliche Stellung zu bekommen.
      310 Uhr Nm. Reiner Bugschuß auf 700 m (G-Torpedo, 3 m Tiefeneinstellung). Schneidungswinkel 90°, geschätzte Fahrt 22 sm. Schuß trifft Steuerbord-Seite dicht hinter der Brücke. Es erfolgte eine außergewöhnlich große Detonation mit einer sehr starken Sprengwolke (weit über den vorderen Schornstein hinaus). Es muß zur Explosion des Torpedos noch eine zweite hinzugekommen sein (Kessel oder Kohle oder Pulver). Die Aufbauten über dem Treffpunkt und die Brücke werden auseinandergerissen, es entsteht Feuer, der Qualm hüllt die große Brücke ein. Das Schiff stoppt sofort und bekommt sehr schnell große Schlagseite nach Steuerbord, gleichzeitig vorn tiefer tauchend. Es hat den Anschein, als wollte es in kurzer Zeit kentern. Auf dem Schiff entsteht große Verwirrung, die Boote werden klargemacht und zum Teil zu Wasser gelassen. Hierbei muß vielfach Kopflosigkeit geherrscht haben; manche Boote, voll besetzt, rauschen von oben, kommen mit dem Bug oder mit dem Heck zuerst ins Wasser und schlagen sofort voll. An der Backbord-Seite kommen wegen der Schräglage weniger Boote klar als auf der Steuerbord-Seite. Das Schiff bläst ab; vorn wird der Name "Lusitania" in goldenen Buchstaben sichtbar. Die Schornsteine waren schwarz gemalt, Heckflagge nicht gesetzt. Es lief 20 sm.
      325 Uhr Nm. Da es den Anschein hat, als wenn der Dampfer sich nur noch kurze Zeit über Wasser halten kann, auf 24 m gegangen und nach See zugelaufen. Auch hätte ich einen zweiten Torpedo in dies Gedränge von sich rettenden Menschen nicht schießen können."

[220] Die Versenkung des großen Passagierdampfers rief in England und Amerika einen Sturm der Entrüstung hervor. Man unterstellte der deutschen Seekriegführung den vorbedachten Plan, absichtlich möglichst viel Menschen haben dem Untergang opfern zu wollen. Noch das amerikanische Distriktsgericht (südlicher Distrikt von Neuyork), das 1918 wegen Begrenzung der Haftpflicht der Besitzerin der "Lusitania" (Cunard Line) angerufen wurde, sprach sich folgendermaßen aus: "daß der Angriff überlegt und lange geplant war und den ruchlosen Zweck hatte, Menschenleben sowohl als Eigentum zu vernichten, kann nicht länger zweifelhaft sein". Es behauptete, die deutsche Seekriegsleitung habe mehrere U-Boote entsandt, die ausdrücklich dem Passagierschiff "Lusitania" auflauern sollten und ferner, der U-Bootskommandant habe nicht einen, sondern zwei Torpedos abgeschossen, ebenfalls, um möglichst viel "friedliche" Menschen zu töten. Hierzu ist zu bemerken:

1. Die deutsche Seekriegsleitung ist niemals auf den Gedanken gekommen, U-Boote gegen den Passagierdampfer "Lusitania" oder einen anderen auszusenden. Abgesehen von allem anderen wäre das in dem freien Seegebiet, in dem die "Lusitania" getroffen und angegriffen wurde (südlich von Irland), wo die Entfernung von Land zu Land (Irland - Scilly-Inseln) 130 sm = 240 km betrug, eine unbegreifliche Torheit gewesen. Vielmehr war, wie oben geschildert, "U 20" entsandt, um Truppentransportschiffen vor Liverpool aufzulauern.

2. "U 20" hat nicht zwei, sondern nur einen Torpedo geschossen. Der Kommandant berichtete im Kriegstagebuch ausdrücklich, daß er "einen zweiten Torpedo in dies Gedränge von sich rettenden Menschen nicht hätte schießen können".

Die "Lusitania" ist im "Kriegsgebiet", in den Gewässern um England, versenkt worden; vor dessen Befahren war eindringlich gewarnt worden. Seit Februar 1915 hatten die Engländer gesehen, wie wirksam der U-Bootskrieg war; trotzdem scheuten sie sich nicht, den ganzen U-Bootskrieg als "Bluff" hinzustellen und Hunderte von friedlichen Menschen zu verleiten, ohne Bedenken durch das Kriegsgebiet zu fahren. Der Angriff auf die "Lusitania" war daher eine Kriegshandlung im Rahmen des U-Bootskrieges, der deutlich genug angekündigt war. Über die Berechtigung des U-Bootskrieges ist oben im Zusammenhang mit der Hungerblockade gesprochen worden.

Mit der "Lusitania" verloren von nahezu 2000 Mitreisenden 1198 ihr Leben. Dieser ungewöhnlich hohe Menschenverlust fällt den feindlichen Maßnahmen, nicht dem U-Bootsangriff zur Last. Einem so großen Dampfer wie die "Lusitania" (31 000 Tonnen) kann ein einziger Torpedo nicht viel mehr anhaben, als ihn bewegungsunfähig zu machen,13 wenn der Dampfer verständig gebaut, eingerichtet, beladen und geführt wird. Aber in allen diesen Beziehungen stellten [221] sich schwere, unentschuldbare Mängel heraus. Zu beachten sind folgende Tatsachen:

1. Auf der "Lusitania" waren nach Feststellung des erwähnten amerikanischen Gerichts als Passagiere eingeschifft: 688 Männer, 440 Frauen, 129 Kinder. Mußten wirklich 440 Frauen und 129 Kinder unbedingt durch das Kriegsgebiet reisen?

2. Nach einer Meldung der Chicago Tribune vom 30. Oktober 1920 und der Neuyorker Staatszeitung (Nr. 260) hat Dudley Field Malone, der zur Zeit der "Lusitania"-Versenkung "Collector des Hafens von Neuyork" war, am 29. Oktober 1920 in einer Rede erklärt:

      "Senator La Follete habe die Wahrheit gesprochen, als er in St. Paul erklärte, die »Lusitania« habe Explosivstoffe für die Engländer an Bord gehabt. Herr Malone hat den Bericht über die »Lusitania«-Katastrophe geschrieben, den Präsident Wilson für seine zweite "Lusitania"-Note benutzte. Der Bericht zeigte, daß die "Lusitania" große Quantitäten Munition für die englische Regierung an Bord hatte und wies besonders auf eine Sendung von 4200 Kisten Springfield-Metallpatronen hin, welche insgesamt 11 Tonnen schwarzes Schießpulver enthielten. Herr Malone erklärte, daß die Wilson-Administration und die republikanische Maschine im Senat die Verfolgung des Wisconsiner Bundessenators aufgegeben hätte, als er sich erbot, betreffs der Verhältnisse und der Ladung auf "Lusitania" Zeugnis abzulegen, nachdem das Staatsdepartement dem Senator La Follete Einsicht in den Maloneschen Bericht verweigert hatte."

Das amerikanische Gericht hat, indem es "einwandfrei" festgestellt hat, es sei keinerlei Explosivstoff auf der "Lusitania" gewesen, einen Fehlspruch getan. Hat es den Senator Follete oder einen so wichtigen Zeugen wie den Hafenkollektor Malone nicht vernommen?

Die Munition hat sich bei der Detonation des Torpedos mit entzündet und dadurch in erster Linie die Katastrophe, d. h. den schnellen Untergang des Schiffes innerhalb 18 Minuten, und infolgedessen den Tod so vieler Menschen verursacht. Andere Umstände sind hinzugekommen, nämlich

3. die schlechte Bauart der "Lusitania": Obwohl die Katastrophe der "Titanic" (Zusammenstoß mit einem Eisberg 1911) die Gefährlichkeit der Längsschotten erwiesen hatte und deutsche Passagierdampfer danach entsprechend umgebaut waren, besaß die "Lusitania" noch Längsschotten. Dafür war ihre Unterteilung durch Querschotten mangelhaft.

4. Obwohl eine reichlich genügende Anzahl von Rettungsmitteln (48 Rettungsboote, 3187 Rettungsgürtel, 20 Rettungsbojen) auf dem Schiff vorhanden waren, wurde nicht ein einziges Mal ihre Bedienung bei einem Unglücksfall, mit dessen Möglichkeit man bei Durchfahren des Kriegsgebiets doch rechnen mußte, geübt. Das durfte man wahrscheinlich nicht, weil man sonst die [222] frühere Erklärung, der U-Bootskrieg wäre "Bluff", selbst Lügen gestraft hätte. Aber die Folge war, daß, als nun wirklich der Unglücksfall eintrat, alle Rettungsmittel nichts nützten, sondern nach übereinstimmendem Urteil des U-Bootskommandanten wie des amerikanischen Gerichts, eine Panik auf dem Schiff entstand, die eine ordnungsmäßige Rettung der Menschen verhinderte.

5. Obwohl die "Lusitania" fast 2000 Menschen (Besatzung 702, Passagiere 1257 Personen) an Bord hatte, fuhr sie im Kriegsgebiet ohne zwingenden Grund mit verminderter Geschwindigkeit (18 statt 24 sm), ohne Zickzackkurse und ohne ein einziges Begleitfahrzeug. Minister Churchill hat im Unterhause am 10. Mai 1915, nach dem Grund gefragt, erklärt: "Unsere verfügbaren Hilfsmittel gestatten uns nicht, Fracht- oder Passagierschiffe durch Zerstörer begleiten zu lassen... Wir versuchen manchmal, Geleit für Truppen-, Munitions- oder andere dringend notwendige Regierungstransporte zu schaffen. Unser Grundsatz aber ist, daß ein Handelsschiff für sich selbst sorgen muß, entsprechend den allgemeinen Anordnungen." (Times, 11. Mai 1915.) Das stimmt nun wieder nicht mit der Darstellung des U-Bootskrieges als Bluff überein, und die englische Zeitung Morning Post brachte am 11. Mai 1915 folgende mit Recht entrüstete Stimme aus Amerika: "Wir meinen, daß angesichts der Drohung der deutschen Botschaft die englische Regierung moralisch verpflichtet war, die Amerikaner zu beschützen, die den Versicherungen der Beamten der Cunard Line vertrauten, daß sie keine Gefahr liefen. Besondere Maßregeln hätten getroffen werden müssen, um das Schiff zu beschützen. Das Publikum fragt, weshalb das Schiff nicht begleitet wurde."

Aus diesen zusammenfassenden Worten über den "Lusitania"-Fall14 geht schon hervor, daß weder von einer absichtlichen Tötung von Zivilpersonen an Bord der "Lusitania" durch den U-Bootsangriff die Rede sein kann, noch daß der Torpedoschuß überhaupt schuld an dem ungewöhnlich hohen Menschenverlust ist; dieser ist vielmehr durch die leichtfertige Beladung eines Passagierschiffes mit Munition, die schlechte Bauart, das Unterlassen von Rettungsübungen und das Fehlen jeder Begleitung verursacht worden.

So liegen die Tatsachen. Der Entrüstungsschrei, der nach dem 7. Mai in England und nach genügender Bearbeitung auch in Amerika ertönte, beruhte nicht auf dem Mitgefühl mit den vielen untergegangenen Menschen - das englische Volk hatte sich von seiner Regierung ganz andere Dinge bieten lassen, z. B. die Opferung des Generals Gordon mit 10 000 Menschen in Kartum 1885, das bewußte Verhungernlassen von Hunderttausenden von Iren in den Jahren 1845 bis 1848 und ähnliches -, sondern zeigte nur, wie dieser U-Bootserfolg England an verwundbarer Stelle, seiner Beherrschung der Meere, getroffen hatte. Prof. Gaul hatte recht, als er eine seiner charakteristischen Zeichnungen: der [223] britische Seelöwe, von einem Pfeil getroffen, hoch aus dem Wasser springend und sich vor Schmerz krümmend, mit der Unterschrift versah "Lusitania". Die dänische Zeitung Extrabladed hatte ebenfalls recht, als sie schrieb:

      "Weshalb soll die Torpedierung schrecklicher sein als alles andere, was im Kriege geschieht? Ereignet es sich doch jeden Tag, daß Frauen und Kinder getötet werden, wenn eine Stadt bombardiert wird. Es ist also nichts Neues, daß der Krieg nicht nach Alter und Geschlecht fragt. Es ist also nur Heuchelei, Hysterie und Gedankenlosigkeit, wenn sich England, Frankreich, Rußland und Amerika jetzt entrüsten. Die russischen Greueltaten gegen Frauen und Kinder, das englische Verhalten gegen Deutsche in den Kolonien und das Verhalten der Franzosen in Marokko sind doch aller Welt bekannt. Weshalb also der Entrüstungsschrei? Der einzige Gesichtspunkt bei der Kriegführung ist, ob sie wirkungsvoll ist. Es ist jetzt nichts Außergewöhnliches, daß Engländer und Amerikaner über eine deutsche Tat heulen. Der Getroffene heult immer. Aber wir Unbeteiligten können doch einen solchen Standpunkt nicht einnehmen, wenn wir uns das Recht des selbständigen Denkens bewahren wollen. Der Gesichtspunkt, der sich uns zunächst aufdrängt, wenn wir das fürchterliche Ereignis betrachten, ist die Verachtung für die englische Prahlerei. Darin liegt nichts Verächtliches, daß Englands gewaltige Flotte nichts verhindern konnte. Aber verächtlich sind der Übermut und die Sorglosigkeit, womit man in allen Kreisen Englands und Amerikas die deutschen Warnungen aufgenommen hat. Wenn man seine Sachen in vollkommenster Ordnung hat, läßt es sich hören, daß man Übermut zeigt, obwohl es auch dann nicht gerade kleidsam ist. Aber England hatte keineswegs seine Sachen in Ordnung. Die englische Admiralität ist, obwohl ihr die stärkste Seemacht zur Verfügung steht, machtlos gegen die deutschen Unterseeboote, die auf dem Meeresgrund herankriechen und sich im geeigneten Augenblick in das Schiff einbohren. O, England! Du, der Meere stolze Herrscherin, wo ist deine Herrschaft hin?"

Aber freilich, um diese Wirkung auszubeuten, bedurfte es gerade jetzt der festesten und kaltblütigsten Haltung der politischen Leitung. Sie aber versagte; zum zweiten Male wurde Wilsons in Menschlichkeitsphrasen eingehüllten Forderungen nachgegeben und der U-Bootskrieg weiter eingeschränkt. Vom 6. Juni ab durften die U-Boote keine großen Passagierdampfer, auch keine feindlichen, mehr angreifen. So verwandelte die Politik den militärischen Erfolg der "Lusitania"-Versenkung in einen Mißerfolg!

Was das Nachgeben in der Passagierdampferfrage militärisch bedeutete, ist schon früher (vgl. Seite 206) gestreift wurden. Wenn auch in der Versenkung der Passagierdampfer nicht der Schwerpunkt des U-Bootskrieges lag, so fielen sie doch wegen ihrer Größe immerhin ins Gewicht und erlangten vermöge ihrer Geeignetheit für Truppentransporte eine besondere Bedeutung. Ein Schiff wie die "Lusitania" von 31 000 Tonnen mit 24 sm Geschwindigkeit konnte in einem [224] Jahre 18 Fahrten zwischen England und Amerika hin und zurück ausführen und auf jeder Fahrt nach englischer Berechnung 21 000, nach deutscher Berechnung 12 000 Mann, im ganzen während eines Jahres also 378 000 bzw. 216 000 Truppen dem europäischen Kriegsschauplatz zuführen. Unter diesen Umständen mußte 1918, zur Zeit der Krisis auf dem Landkriegsschauplatz, das Fehlen jedes einzelnen großen und schnellen Passagierdampfers, der in erster Linie für Truppentransporte in Frage kam, schwer ins Gewicht fallen. Vor allem aber mußte die Unklarheit, die von der Politik in die U-Bootskriegsführung hineingebracht war, die Entschlußkraft der Unterführer lähmen und nach menschlicher Berechnung über kurz oder lang zu neuen politischen Verwicklungen führen. Graf Bernstorff hat vor dem parlamentarischen Ausschuß mit Recht ausgeführt, immer, wenn man hoffte, mit einem "Fall" des U-Bootskrieges fertig zu sein, trat ein neuer Fall auf. Das lag in der Natur der Einschränkungen. Verwechselungen konnten auf See nicht ausgeschlossen werden, das war eine alte Erfahrung schon von Friedensmanövern her. Die "Arabic" wurde angegriffen, weil ein Manöver von ihr - ob mit Recht oder Unrecht, bleibe dahingestellt - als Angriff auf das U-Boot gedeutet wurde, die "Sussex", weil sie als Kriegschiff angesprochen wurde. Verwechslungen und Irrtümer kommen in jeder Kriegführung vor. Nirgends aber konnten sie so weittragende Wirkungen ausüben als im U-Bootskrieg, der in dem Rufe stand, von ihm hänge Amerikas Eingreifen oder Nichteingreifen in den Krieg ab.

Die Einschränkungen, die dem U-Bootskrieg in den heimischen Gewässern mit Rücksicht auf Amerika auferlegt wurden, führten folgerichtig zu dem Plan, einen Teil der U-Boote nach dem Mittelmeer zu entsenden, wo wegen des Fehlens amerikanischer Interessen Einsprüche von dieser Seite weniger zu befürchten waren. So gingen im Laufe der nächsten Monate "U 34", "U 35", "U 33", "U 39", "U 38" nach den österreichischen Stützpunkten Pola und Cattaro ab und hatten hier Gelegenheit, hervorragende Erfolge zu erzielen. Schon vorher war eine Anzahl von "B 1"- und "C 1"-Booten in zerlegtem Zustand mit der Bahn nach Pola gebracht und dort unter Leitung eines deutschen "Spezialkommandos" zusammengesetzt worden. Sie leisteten zunächst dadurch wertvolle Dienste, daß sie, solange der Landweg nach der Türkei noch nicht frei war, Zünder und andere wichtige Munitionsteile den Türken, die diese selbst nicht herstellen konnten, trotz der englischen Minen- und Netzsperren vor den Dardanellen zuführten. Sie haben dadurch, wie "U 21" im Mai, die Dardanellen ein zweites Mal vor der Einnahme gerettet, als die türkischen Befestigungen und die türkische Armee ohne jede Munition dem Ansturm des Feindes preisgegeben waren. Später ermöglichten sie durch Munitionszufuhr den Aufstand in Tripolis gegen die Italiener.

Inzwischen hatten auch in der Heimat, und zwar von den flandrischen Stützpunkten Ostende und Brügge aus, die "B 1"- und "C 1"-Boote seit April in den [225] Kampf eingegriffen. "U B 4" eröffnete die Erfolge durch Versenkung eines Dampfers am Nordeingang der Doverstraße. "U B 5" und "U B 10" folgten bald nach. Im Mai warf "U C 11" als erstes Minen-U-Boot seine Ladung zum ersten Male in der Doverstraße an einem der belebtesten Punkte. Im Juni wurden die Fahrten bis jenseits der Doverstraße ausgedehnt. Die Tätigkeit dieser U-Boote bedeutete von vornherein eine glänzende Leistung der Besatzungen, denn hier vor dem größten Handels- und Kriegshafen Englands, London, konzentrierten sich naturgemäß die Abwehrmaßnahmen des Feindes; unzählige Sande und Untiefen sowie eine stark wechselnde Gezeitenströmung erschwerten die Navigation ganz außerordentlich. In der Dover-Straße herrschte im Wechsel von Ebbe und Flut zu gewissen Zeiten regelmäßig so starker Strom, daß die kleinen U-Boote, die nur einen schwachen Motor von 60 Pferdestärken besaßen, über Wasser kaum gegen ihn ankamen; sie mußten deshalb, um vorwärts zu kommen, sich auf den Grund legen, solange der starke Strom ihnen entgegen war und auftauchen, wenn der Gegenstrom nachließ oder wenn sie mit dem Strom fahren konnten.

Unter den Abwehrmaßnahmen des Feindes hatten sich in diesen Monaten des Jahres 1915 die U-Bootsfallen am fühlbarsten bemerkbar gemacht. Das hing mit den Einschränkungen des U-Bootskrieges unmittelbar zusammen. Denn die U-Boote durften ja die neutrale Schiffahrt nicht ohne Prüfung der Schiffs- und Ladungspapiere, also nicht ohne vorher mit den Schiffen in Verbindung zu treten, behelligen; also brauchte man nur ein harmloses neutrales Schiff vorzutäuschen, um große Aussicht zu gewinnen, sich mit versteckten Geschützen, Wasserbomben und Torpedos dem U-Boot auf wirksamste Schußentfernung nähern zu können. Im Sommer 1915 wurden 6 gewöhnliche englische Handelsdampfer als U-Bootsfallen ausgerüstet und bemannt. Sie behielten ein möglichst unauffälliges äußeres Aussehen, die Geschütze (anfangs 3, später 5 : 12-Pfünder und 1 : 10-cm-Geschütz) wurden maskiert. Torpedorohre (eins nach jeder Seite) standen in den unteren Decken. Das Schiff erhielt einen falschen Namen und falsche Papiere; die gefälschten Angaben mußte jeder Mann der Besatzung bei Strafe auswendig wissen, damit alle gegebenenfalls dem untersuchenden U-Boot dieselben Angaben über sich und ihr Schiff machten. Beschoß das U-Boot die Falle, so wurden durch Entzünden von Kanonenschlägen oder durch Dampfablassen Treffer vorgetäuscht. Eine besonders abgeteilte Mannschaft, die "panic party", verließ in den Rettungsbooten fluchtartig das Schiff und suchte das U-Boot zu veranlassen, sich in eine für die Geschütze der U-Bootsfalle möglichst günstige Stellung zu begeben. An diesen Geschützen lauerte während dessen der heimlich zurückgebliebene Teil der Besatzung, um auf Befehl des Kommandanten aufzuspringen, die Maskierung fallen zu lassen und Schnellfeuer auf das U-Boot zu eröffnen. Mit der Zeit wurden die U-Bootsfallen immer erfinderischer, um die Täuschung sicherer zu machen. Segelfahrzeuge wurden mit Vorliebe als U-Bootsfallen ausgewählt, weil sie noch harmloser als Dampfer erschienen. In [226] die "panic party" wurden Neger eingestellt, ein kleiner Hund mitgenommen; Zahl und Anzug der "panic party" entsprachen genau der Besatzung eines Fahrzeuges, wie es die U-Bootsfalle darstellte. Eine zweite "panic party" wurde abgeteilt, um von Bord zu gehen, wenn das U-Boot den Charakter der U-Bootsfalle erkannt haben sollte; sie suchte dann den Eindruck zu erwecken, daß sie die gesamten Geschützbedienungen umfaßte und daß nunmehr sicherlich niemand mehr an Bord der Falle war. Besonders bezeichnend ist folgende Schilderung der Times, Weekly Edition vom 9. September 1918:

      "Als die von einigen Granaten unterstützte Aufforderung vom U-Boot kam, sich zu ergeben, wurden die Boote zu Wasser gelassen und ruderten davon. An Bord blieb nur eine Frau, die mit einem Kinde in den Armen schreiend an Deck auf und ablief. Auf die Frage der Deutschen erging die Antwort, der Kapitän sei getötet und seine Frau verrückt geworden, weshalb sie das Schiff nicht verlassen wollte. Darauf ging das U-Boot längsseit des Fahrzeuges. Als es nahe kam, stürzte die verrückte Frau herzu, schleuderte ihr Kind in das offene Luk des Kommandoturmes und sprang auf der anderen Seite über Bord. Ob die Deutschen mehr empört als erstaunt waren, ist gleichgültig; denn bevor sie Zeit zum Nachdenken hatten, hatte das »Baby« ihrem Fahrzeug den Boden zersprengt und in gehöriger Zeit erschien die Frau im Buckingham-Palast, um das Victoriakreuz als Belohnung für ihr geschickt erdachtes und gut ausgeführtes Stückchen zu erhalten."

Durch solche U-Bootsfallen verlor die Flotte "U 36" im Juli, "U 27" im August und "U 41" im September 1915, letztere beiden durch dieselbe U-Bootsfalle "Baralong" unter dem Kommando des berüchtigten McBride [Deckname von Commander Godfrey Herbert; Scriptorium.]. Sein sinnlos brutales Verhalten dem Feinde gegenüber hat mit Recht in ganz Deutschland die tiefste Entrüstung hervorgerufen; denn es war der Auftakt zu einer bis zum Kriegsende zu beobachtenden wilden, unmenschlichen Kriegführung gegen die gefürchteten U-Boote, die ein Schandfleck für eine zivilisierte Nation ist. "U 27" hatte am 19. 8. 1915 70 sm südlich von Queenstown (Irland) den britischen Dampfer "Nicosian" angehalten und, nachdem die gesamte Besatzung das Schiff verlassen hatte, beschossen. Währenddessen näherte sich "Baralong" unter amerikanischer Flagge auf geringe Entfernung dem U-Boot, eröffnete plötzlich aus Geschützen, die bis dahin hinter Schutzschilden verdeckt gestanden hatten, sowie aus Gewehren Feuer, und brachte "U 27" zum Sinken. Die Überlebenden retteten sich auf die "Nicosian" oder hielten sich an den von ihr herabhängenden Leinen fest. Auf diese letzteren ließ McBride jetzt das Feuer richten, legte dann mit seinem Schiff an der "Nicosian" an und ließ die Deutschen suchen, indem er anordnete, keine Gefangenen zu machen. Vier wehrlose Matrosen wurden im Maschinenraum und Wellengang gefunden und ermordet. Der Kommandant von "U 27", der von der "Nicosian" aus ins Wasser gesprungen war, wurde durch mehrere Gewehrschüsse getötet. Gegen diese Schandtat [227] protestierte die deutsche Regierung unter Vorlage der eidlichen Aussagen von sechs Amerikanern der "Nicosian", die Zeugen des Vorfalls gewesen waren, erhielt aber von der englischen Regierung eine dem Ernst der Angelegenheit ganz unangemessene Antwort, über die sich im Deutschen Reichstag die Redner aller Fraktionen mit einstimmiger Empörung äußerten. Selbst ein Engländer, Gibson Bowles, beurteilte in seiner Zeitschrift Candid Quarterly Review vom Februar 1916 folgendermaßen: "Der Ton der Antwort Sir Edward Greys ist höchst unglücklich, er ist sogar ungehörig. Er wird durch spöttische Leichtfertigkeit und durch rohen Ton gekennzeichnet in einem Fall, wo man strenge Einfachheit und strengen Ernst erwartete." Es folgte noch ein mehrfacher Notenwechsel hin und her, aber es blieb dabei, daß England ablehnte, den Kommandanten der "Baralong" vor ein Gericht zu ziehen. McBride läuft in der Tat noch jetzt unbestraft umher!

Neben diesen planmäßig von der englischen Admiralität ausgerüsteten U-Bootsfallen entwickelte sich eine Franktireur-Tätigkeit von Handels- und Fischdampfern. So berichtet z. B. die Times vom 28. 10. 1920 von einer Prisengerichtsverhandlung über einen Antrag der Offiziere und Besatzungen des englischen U-Bootes "C 27" und des englischen Fischdampfers "Prinzess Marie Jose" auf Erklärung, daß sie berechtigt seien zu einem Prisengeld von 170 Pfund Sterling für die Zerstörung des deutschen U-Bootes "U 23" am 20. 7. 1915. Das englische U-Boot und der Fischdampfer arbeiteten zusammen. Der Fischdampfer war mit seiner Friedensbesatzung besetzt und war nicht in den Kriegsdienst übernommen. Er lockte das deutsche U-Boot an, um dem englischen U-Boot Gelegenheit zu einem Angriff zu schaffen. Der Präsident des Prisengerichts bewilligte den Antrag auf Gewährung des Prisengeldes und sagte dabei, dies sei ein bemerkenswertes Beispiel von Zusammenwirken. "Er müsse seiner Befriedigung Ausdruck geben, daß ein Fall vor Gericht komme, in dem eine Fischdampferbesatzung sich bereit gezeigt habe, S. M. regelrechten Seestreitkräften in einer Lage Hilfe zu leisten, in der diese Streitkräfte sonst außerstande gewesen wären, mit derartigen Schandtaten fertig zu werden." Man erstaunt über die Leichtfertigkeit, mit der hier durch ein Gericht ein schwerer Verstoß gegen die Kriegsgebräuche gedeckt wird, und über das Eingeständnis der Hilflosigkeit gegen deutsche U-Boote zu einer Zeit, als nach Ansicht mancher sogenannter "Sachverständiger" Deutschland gar nicht genug U-Boote besaß, um wirksam U-Bootskrieg gegen England führen zu können. Durch Fischdampfer und U-Boot wurde außer "U 23" noch "U 40" vernichtet; ähnlich "U 14". Auch "U 37" erlag dem Angriff einer U-Bootsfalle.

Trotz aller dieser Schwierigkeiten erzielte der U-Bootskrieg, dank der wachsenden U-Bootszahl und der Erfahrung ihrer Besatzungen, achtbare Erfolge. Im Mai wurden 107 500, im Juni 115 300, Juli 98 300, August 174 500 Tonnen versenkt. Dabei nahmen außer der Handelskriegführung noch manche anderen [228] Aufgaben die U-Boote in Anspruch. Die Unternehmung von "U 21" gegen die Dardanellen und der Munitionstransport nach den Dardanellen durch kleine Boote wurden schon angeführt. Im Mai begleiteten 2 U-Boote die Flotte bei einem Vorstoß in die Nordsee. Im Juni sicherte "U 19" das Auslaufen des Hilfskreuzers "Meteor", der Minen auf dem Dampferweg nach Archangelsk (Nordrußland) legen sollte, bis zur Höhe des Sogne-Fjords (Norwegen). Auf Grund eines Schriftwechsels mit verschleierter Bedeutung zwischen dem gefangenen Kommandanten des Oktober 1914 vor Scapa Flow gesunkenen "U 18" und dem Führer der U-Boote wurde versucht, diesen erfahrenen U-Bootsführer in einer verabredeten Nacht, in der er aus dem Lager fliehen wollte, an der nahe gelegenen Küste durch "U 38", das in der Nähe, nämlich der Irischen See, Handelskrieg führte, abzuholen. Leider mißglückte der Versuch, obgleich beide Teile nur wenige 100 m voneinander entfernt waren. Auf die Meldung eines im Landheer dienenden Ingenieurs, der im Frieden den Bau einer Sprengstoff-Fabrik bei Warkington dicht an der englischen Westküste in der Irischen See geleitet hatte, wurde dieser auf "U 41" eingeschifft. "U 41" sollte im Juli gelegentlich des Handelskriegs durch Beschießung der wichtigsten Gebäude die Fabrik lahm legen. Das Unternehmen schien unter ungünstigem Stern zu stehen. Beim ersten Auslaufen wurde "U 41" bei einem Angriff auf feindliche Kreuzer in der nördlichen Nordsee von einem derselben gerammt und mußte umkehren. Beim zweiten Anlauf geriet das U-Boot bei St. Kilda (westlich Schottland) in ein Gefecht mit einem Bewachungsdampfer, erlitt Beschädigungen und mußte die Fahrt wiederum abbrechen, freilich nicht ohne bis dahin bereits 11 000 Tonnen versenkt zu haben. Der Ingenieur wurde nun dem gerade fahrbereiten "U 24" mitgegeben, dem es Mitte August gelang, die Sprengstoff-Fabrik durch Artilleriefeuer unbrauchbar zu machen. Ebenfalls im August mußte "Meteor" auf seiner zweiten Unternehmung, nach dem Moray Firth (Ostküste Schottlands), durch "U 17" gesichert werden. Im Rahmen des U-Bootkrieges lagen mehrere Versuche, neutrale Dampfer als Prisen in die heimischen Häfen zu schicken. "U 28" hatte auf seiner ersten Fahrt zwei holländische Dampfer mit nach Zeebrügge genommen. "U 6" brachte im Juli zwei Prisen, "U 17" im August eine Prise nach List ein. "U 36" setzte im Juli 1915 im Atlantischen Ozean westlich der Shetlands-Inseln den Steuermannsmaaten Lamm auf das amerikanische Vollschiff "Pass of Balmaha", das mit Baumwolle beladen war; dieser brachte trotz der gleichzeitigen Anwesenheit eines englischen Prisenkommandos das Schiff glücklich nach Cuxhaven und erntete dafür das E. K. II. und I. Klasse. Die "Pass of Balmaha" wurde später unter dem Kommando des Grafen Luckner als "Seeadler" zum Kreuzer-Handelskrieg entsandt.

Eine überragend erfolgreiche Fahrt führte "U 38" unter Kapitänleutnant Valentiner nach der Irischen See aus. Sie sei als typisches Beispiel für die Art der damaligen U-Bootskriegführung eingehend geschildert. Am 4. August lief das [229] Boot aus Helgoland nach Norden aus. Bei gutem Wetter hielt es am 5. August in der Nordsee zwei skandinavische Segler mit Grubenholz nach England (Bannware) an, entließ die Besatzung des einen in seinen Booten, nahm die des anderen zunächst an Bord, um sie 2 Stunden später einem neutralen Dampfer abzugeben und verbrannte die Schiffe. Auf der Reise nördlich um die Shetlands-Inseln nach der Westküste Groß-Britanniens wurden 1 englischer Fracht- und 3 englische Fischdampfer nach Aussteigen der Besatzung versenkt, teils durch Granaten, teils durch Sprengpatronen, die man an der Bordwand befestigte, teils durch Öffnen der Bodenventile. Ein paar neutrale Segler wurden angehalten, mußten aber, da sie keine Bannware führten, entlassen werden. An Bewachung und U-Bootsabwehr traf "U 38" westlich der Shetlands einen Hilfskreuzer, südlich Irlands 2 kleine Kreuzer und einen Zerstörer, sonst nichts; erst beim Eingang in den St. Georgs-Kanal lag eine Vorpostenlinie von 4 bewaffneten Fischdampfern aus, die unbemerkt passiert wurde. Um zunächst von dem sehr lebhaften Schiffsverkehr im St. Georgs-Kanal ebenfalls unbemerkt zu bleiben und eine Sonderaufgabe (Abholung eines gefangenen U-Bootskommandanten) ausführen zu können, mußte vorzugsweise unter Wasser gefahren werden. Zwei Nächte hintereinander steuerte "U 38" die Küste bei Great Ormes Head an, um den Kameraden zu befreien, beide Male vergeblich. Am 17. August befand sich "U 38" wiederum im St. Georgs-Kanal und versenkte an dem einen Tage 10 Dampfer mit 15 200 Tonnen Raumgehalt. Valentiner berichtete darüber im Kriegstagebuch:

      "Operationen waren erleichtert durch diesiges Wetter und im wesentlichen ungehindert. Boot mußte zweimal tauchen vor größerer Jacht, die jedesmal in der Nähe von Dampfern auftauchte und einmal vor einem Zerstörer. Wenn angängig, wurden Schiffe auf 10 Meter beobachtet,15 dann (Anm. nach Auftauchen) durch Schuß vor den Bug zum Stoppen gebracht und erst herangesteuert, wenn Besatzung ausgestiegen war."

Die meisten Dampfer wurden durch ein bis zwei Dutzend Granaten, zwei durch Torpedos versenkt. Ein Versuch, am nächsten Tage im Bristol-Kanal weitere Erfolge zu erzielen, scheiterte, da Bewachung (Jacht und 2 Torpedoboote) in der Nähe war und ein Dampfer, der angegriffen wurde, sich mit Geschützen wirksam zur Wehr setzte. Das Tätigkeitsgebiet wurde deshalb nach dem Westausgang des Englischen Kanals verlegt. Hier versenkte "U 38" am 19. August 3 Dampfer trotz Anwesenheit einer bewachenden Jacht und eines Fischdampfers, am 20. August 4 Schiffe, am 21. August 3, am 22. August 2 Dampfer. Wie sich die Tätigkeit an einem solchen Tage abspielte, zeigen am besten die Kriegstagebuchaufzeichnungen von "U 38" am 21. August:

      "21. 8. 1915. Westeingang des Kanals, Wind N, Stärke 1, bedeckt, kein Seegang, gut sichtig.
[230] 530 Vm. Aufgetaucht, doch sofort wieder getaucht, da in unmittelbarer Nähe drei abgeblendete Fahrzeuge, anscheinend Torpedoboote, in Vorpostenlinie gesichtet.
      637 Vm. Aufgetaucht, zwei Rauchwolken am Horizont in Sicht. Bei Annäherung dieser getaucht und 2 Zerstörer mit 1 Mast und 3 Schornsteinen ausgemacht. Steuerten südlichen Kurs, Bewachung zieht sich also weit in offene See hinaus.
      1200 Mittags. Auf nördlichem Kurse Dampfer "Windsor" aus London, 6055 Tonnen, mit Kohlen nach Italien angehalten und durch 16 Granaten versenkt. Etwas später ungefähr 3 sm nördlich einen Dampfer mit unbekanntem Namen und südlichem Kurs durch Flaggensignal Befehl gegeben, Schiff zu verlassen. Befehl wurde ausgeführt.
      248 Nm. Als ein zweiter Dampfer auf Stelle zudrehte, getaucht und verlassenen Dampfer unter Wasser mit G-Torpedo torpediert. Tiefgeladen, anscheinend Kohle. Nach Pressenachrichten handelt es sich um Dampfer "Cober" aus London, 3060 Tonnen, dessen Besatzung, wie beobachtet, vom holländischen Dampfer "Monnikendam" aufgenommen wurde.
      Bei der folgenden Unterwasserfahrt einen etwa 8000 Tonnen großen, leeren Tankdampfer mit westlichem Kurse gesichtet. Hatte F. T.- (Funkentelegraphie) Einrichtung. Da Entfernung zum Unterwasserangriff zu weit, querab aufgetaucht und vergeblich versucht, Dampfer durch Schüsse zum Stoppen zu bringen. 1. Schuß Treffer. Dampfer fierte Boot bis zur Wasserlinie, fuhr jedoch weiter. Stoppte erst, als Boot dicht herangekommen war.
      450 Nm. Plötzlich 3 bewaffnete Fischdampfer, 4' an Backbord (Anm. 4 Strich = 45°, an Backbord = halb links voraus) in Sicht. Entfernung etwa 5000 m, deshalb zum Tauchen gezwungen. Dampfer entfernte sich sofort mit äußerster Kraft.
      735 Nm. Verfolgung zweier in Sicht gekommener Dampfer aufgenommen. Der zunächst liegende steuerte West, der andere Süd, beim Sichten U-Bootes versuchten beide mit Kurs 290° (Anm. = Westnordwest) Schutz bei einer Fischerflottille recht voraus.
      835 Nm. 1. Dampfer "Auel" aus Cardiff, 4000 Tonnen ohne Ladung, durch 19 Granaten versenkt. Danach 2. Dampfer weiter verfolgt und versucht, ihn durch Schüsse zum Stoppen zu bringen. Versuch blieb ohne Erfolg, da von gesichteter Fischerflottille ein bewaffneter Fischdampfer herbeieilte. Entfernung schätzungsweise 4000 m. Deshalb getaucht und durch Sehrohr beobachtet, daß Flottille Netz in Stich ließ und hinter dem bewaffneten Fischdampfer zu sinkendem Dampfer "Auel" fuhr.
      945 Nm. Aufgetaucht zum Laden der Batterie.
      1050 Nm. Auf 20 m gegangen (Anm. d. h. getaucht und auf 20 m Wassertiefe gefahren), westlich gesteuert."

[231] Nachdem am 23. August 1915 an der Südküste Irlands noch 2 Dampfer erlegt waren, trat "U 38" den Rückmarsch an und traf am 29. August in Helgoland ein. Zusammenfassend berichtete der Kommandant über die Unternehmung:

      "Das Ergebnis des Fernunternehmens ist in erster Linie dem erweiterten Aktionsradius und den günstigen Wetterverhältnissen zuzuschreiben. Es wurden 22 Dampfer, 5 Fischdampfer und 3 Segler mit einem Tonnengehalt von 74 194 Tonnen vernichtet. 4 weitere Dampfer entkamen; zwei von diesen dadurch, daß der eine armiert war, die beiden anderen geschützt durch herbeieilende Fischdampfer. Die Gegenwirkung trat stets auf, wenn ein Dampfer F. T.-Einrichtung hatte und erstreckte sich weit in die offene See hinaus. Auf Grund der Erfahrungen wird die Aufstellung eines 10,5-cm-Geschützes mit Fernrohrvisier vorne außer dem 8,8-cm achtern vorgeschlagen. Durch die Kalibererhöhung soll angestrebt werden, daß schon auf 6000 Meter ein wirksames Feuer eröffnet werden kann. Bei Verfolgung des Dampfers "Diomed" konnte "U 38" erst auf 4000 m zum Wirkungsschießen übergehen. Wenn, wie zu erwarten, die Armierung der Handelsdampfer fortschreitet, können wir durch Kalibererhöhung weitere günstige Resultate ohne Gefährdung des Bootes erzielen. Denn ein Boot mit einem 10,5-cm-Geschütz kann einen Dampfer, der nur ein geringes Kaliber besitzt, auf große Entfernung ungefährdet bekämpfen. Zum Gewichtsausgleich wird die Vonbordgabe der Hebetrichter, Schottüren mit Rahmen und der U. T.-Anlage ins Auge gefaßt und dabei der Standpunkt vertreten, daß das Boot bei Vollaufen einer Abteilung verloren ist. (Anm. d. h. daß im Kriege dann doch nicht mit der Rettung des Bootes gerechnet werden kann.) Von 430 Granaten wurden 410, von 7 Torpedos 6, von 12 Sprengpatronen 10 verbraucht. Der Etat an Sprengpatronen erscheint zu hoch, da durch dieselbe Anzahl Granaten Fahrzeuge leichter versenkt werden können.
      Der zurückgelegte Weg beträgt 4000 sm. Dabei wurden bei einem Gesamtinhalt der Bunker von 96 cbm 80 cbm Treiböl verbraucht."


12 [1/219]Nach mitteleuropäischer Zeit. Der englische und amerikanische Bericht rechnet nach mittlerer Greenwicher Zeit, differiert daher bei Zeitangaben um 1 Stunde von den Angaben von "U 20". ...zurück...

13 [1/220]Das zeigten zum Beispiel die U-Bootsangriffe auf den ebenfalls 30 000 Tonnen großen englischen Dampfer "Justitia" im Juli 1818, der in 20stündiger Verfolgung 6 Torpedos erhielt, ehe er sank. ...zurück...

14 [1/222]Ausführlich ist er in einem Aufsatz: "Der 'Lusitania'-Fall", in den Süddeutschen Monatsheften März 1921 behandelt. ...zurück...

15 [1/229]Das heißt: "U 38" näherte sich ihnen, unter Wasser auf 10 Meter Tiefe fahrend, und beobachtete sie aus dieser Stellung, ob sie verdächtig waren oder nicht. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte