Dr. Hermann Wanderscheck Teil 5 Auch die Erschießung des englischen Kapitäns Fryatt auf Grund des Urteils des außerordentlichen Kriegsgerichts des deutschen Marinekorps, war für die britische Lügenpropaganda im Weltkrieg ein Anlaß, die deutsche Kriegsführung zu diffamieren. Gegen Fryatt
Die englische Zeitung Daily Chronicle prägte das Schlagwort "der
Nichtkombattant, der sich nicht widersetzt, wird ersäuft, der, der sich
widersetzt, wird erschossen" und verbreitete ein Hetzbild, auf dem zwei zur
Erschießung Fryatts kommandierte Soldaten sich folgendermaßen
unterhalten: "Flüstere mir zu, warum erschießen wir
diesen!" - "Weißt du es nicht? Weil es uns nicht glückte, ihn zu
ertränken!" Das alte Spiel wiederholte sich: auf einen Wink der Regierung stürzte sich die gesamte englische Presse auf das Thema und wandelte es mit dem voraus feststehenden Ergebnis ab, daß man sich selbst für "unmoralisch" erklärte, falls Deutschland auch nur einen Fußbreit Kolonialbesitz behalten und dadurch zu weiteren Eingeborenenmißhandlungen Gelegenheit haben sollte. Während das ganze Blaubuch zunächst noch zurückgehalten wurde, gab die Regierung seinen Inhalt stückweise der Presse bekannt. Hierdurch sollte einer rechtzeitigen wirksamen Widerlegung vorgebeugt werden, damit Telegraph und Funkspruch Zeit hätten, die bestellte Entrüstung in alle Welt zu tragen. Die Deutschen werden nach "britischer Tradition" als Ausbeuter und Vergewaltiger der Eingeborenen gekennzeichnet. Besonders ausführlich wurden angebliche Grausamkeiten der Deutschen im Kriege gegen die Hereros und Hottentotten (1904-1906) behandelt. Dabei stützte sich das Blaubuch für seine Beschreibung der deutschen Grausamkeiten ganz überwiegend auf "eidliche" Eingeborenenaussagen. Das übrige Material bestand in sechs Stellen aus dem Roman von Gustav Frenssen, Peter Moors Fahrt nach Südwest. Frenssen ist nie in Südafrika gewesen und hat sein Buch nach Hörensagen und Aufzeichnungen, die ihm geschickt wurden, als Roman verfaßt. Mit solchem Stoff sollte im Blaubuch bewiesen werden, daß Deutschland sich unwürdig gemacht habe, eine Kolonie wie Deutsch-Südwestafrika zu besitzen.
Für die antideutsche Propaganda im Weltkrieg wurden auch Film und Bühne eingesetzt - eine Methode, die England heute gleichfalls wieder auswertet. Die englischen Vorkriegsfilme, die propagandistischen Zwecken dienten, waren in der Hauptsache darauf angelegt, die Vorzüge Englands, des englischen Volkes, seiner Einrichtungen und Sitten, seiner Industrie und Lebensbedingungen in ein günstiges Licht zu rücken. Der Ausbreitung englischer Sprache und Kultur galten zahlreiche Kulturfilme mit offener oder versteckter Tendenz gegen Deutschland. Die Filme trugen imperialistisches Gepräge. Der Gedanke an die "göttliche Mission" des englischen Volkes trat klar hervor. Bereits 1909 begann der englische Film in Holland, Belgien, Italien, Amerika, auf dem Balkan und in Skandinavien seine planmäßige Deutschenhetze. Amtliche Berichte sind über die englische Filmtätigkeit während des Weltkrieges bis heute nicht veröffentlicht worden. Eine besondere Propagandaabteilung für Filmherstellung und Filmreklame wurde der berüchtigten Hetzzentrale Lord Northcliffes, in Wellington House, angegliedert. Offenbar sind alle Herstellungen dieser "moralischen Munition" im Einvernehmen mit dem Ministerium des Innern und dem Foreign Office getätigt worden. Vom Informations-Departement des britischen Auswärtigen Amtes wurde
Die Propaganda wurde bis nach Indien und Australien getragen. Dort wurde ein Pathéfilm "The German Emperor captured by the English" (Der deutsche Kaiser von den Engländern gefangen genommen) gezeigt. In Karatschi wurden den Eingeborenen deutschfeindliche Filme vorgeführt. Die englische Regierung sandte eine Abordnung englischer Offiziere mit etwa 4000 Meter Film nach Rußland. In diesen Filmen wurden die englischen Waffensiege im Kriege gezeigt, um "mehr Verständnis für die englischen Kriegstaten" hervorzurufen. Das russische Volk wurde vorwiegend durch englische Filme beeinflußt.
In vielen anderen Theaterstücken wurden die "hingemordeten" belgischen
Kinder gezeigt. Der englische Theateragent Grein wurde zum Leiter der
Theaterpropaganda im neutralen Ausland ernannt. Seine Aufgabe war es, in der
Schweiz, in Holland und Skandinavien englische Schauspielaufführungen
durchzusetzen und auch Propagandastücke einzuschmuggeln. Auch hier
versuchte die Propaganda, getreu den puritanischen Überlieferungen, der
englischen "Mission" die Gloriole eines religiösen Mäntelchens,
eines Sendungsbewußtseins umzuhängen. Als England mit Reuters propagandistischer Hilfe den Weltkrieg entfesselt hatte, setzte das Nachrichtenbüro in Übereinstimmung mit den amtlichen britischen Pressestellen eine verhetzende Lüge nach der anderen in Umlauf. Eine raffinierte geographisch-psychologische Zurechtmachung der Nachrichten und eine heuchlerisch "objektive" Abfassung der Meldungen sollten der Welt die "Wahrheitstreue" der Lügenmeldungen vor Augen führen. Reuter berichtete dementsprechend von großen Siegen der alliierten Armeen in Ostpreußen und im Rheinland, von der Vernichtung der deutschen Hochseeflotte, von systematischen Zerstörungen belgischer Altarbilder (Löwen), von riesigen Verlusten deutscher Truppen, von der bevorstehenden Abdankung des Kaisers, von Selbstmordversuchen führender deutscher militärischer Persönlichkeiten, von deutschen Hungersnöten, von Revolten und Sabotageakten in deutschen Fabriken, von Massendesertionen in der deutschen Armee, von Marterungen englischer Gefangener in deutschen Gefangenenlagern - Zwecklügen, Hetzlügen, um die Neutralen für England zu gewinnen, die Moral der deutschen Truppen und der deutschen Heimat zu zersetzen.
Arthur Ponsonby wies in seiner Schrift Lügen in Kriegszeiten darauf hin,
daß der Gebrauch der Lügenwaffe in einem Land, wo keine
Wehrpflicht besteht, "notwendiger" sei, als in den Ländern, wo die
Männer automatisch zum Heer, zur Marine oder zum Luftdienst eingezogen
werden. "Die Gefühle des Volkes können durch Scheinideale
erregt
werden. Eine Art Massenhysterie greift um sich und steigert sich, bis
schließlich auch nüchterne Leute und angesehene Zeitungen von ihr
erfaßt werden." Das
englische Reuter-Büro machte sich zum Kronanwalt der journalistischen
Massenhysterie in allen Ländern, die
die Reuter-Meldungen aufnahmen. Die kindlichsten Lügen wie die tollsten
Ausgeburten einer krankhaften Phantasie waren geeignet, das neutrale Ausland in
dauernder Erregung zu
halten. Reuter-Meldungen waren in der Hauptzahl panikartige Hetzlügen,
wohlerwogene und amtlich inspirierte diplomatische Lügen,
Tatsachenfälschungen und wohlpräparierte Greuelgeschichten. Mit
diesem Material wurde der Welt die Wahrheit vorenthalten.
Nicht nur Nachrichten, sondern auch deutsche Heeresbefehle wurden auf diese
Weise erfunden und in der Daily Mail im September und Oktober 1914 Tag
für Tag abgedruckt. Die Times verbreitete solche "barbarische"
Armeebefehle mit neuen Verdächtigungen und so konnte es passieren,
daß der Kriegshetzer Winston Churchill Mitte September solche
Verleumdungen in einer Propagandarede in Chatham verwendete. "Der deutsche
Kaiser hätte seine Truppen aufgefordert, das kleine Heer des General
French heimtückisch abzuschlachten." Amtlich wurde von Berlin aus am 6.
und am 24. Oktober 1914 erklärt, der Kaiser habe weder in Aachen noch
sonst den behaupteten Armeebefehl vom 19. August erlassen. Die englische
Presse sandte ihrerseits trotz des Dementis Berichte nach Amerika über das
"sinnlose und wilde Hinschlachten auf Befehl des Kaisers".
Der amerikanische Admiral Sims, der im Frühling 1917 als Verbindungsoffizier zu dem Oberbefehlshaber der britischen Flotte, Admiral Jellicoe, entsandt war, machte über die Lügenpropaganda Aufzeichnungen, die die britischen Methoden trefflich beleuchten. Der hohe amerikanische Seeoffizier schilderte seinen Antrittsbesuch bei Jellicoe wie folgt: "Nach der üblichen Begrüßung nahm Jellicoe aus einer Schublade einen Bogen Papier und reichte ihn mir. Es war ein Bericht über die Schiffsverluste während der letzten Monate... Diese Verluste waren drei- bis viermal so hoch, wie man nach den absichtlich ungenauen Presseberichten vermuten konnte. Es wäre milde, zu sagen, daß ich durch diese Enthüllung überrascht war. Ich war geradezu bestürzt; ich hatte mir nie etwas so Schreckliches vorgestellt. Ich stellte bald fest, daß die Berichte über die Versenkung zahlloser deutscher U-Boote nicht wahr waren... Es waren in der Presse auch Berichte über Fälle freiwilliger Übergabe einzelner deutscher U-Boote veröffentlicht worden. Diese Berichte stimmten nicht; keine einzige freiwillige Übergabe eines deutschen U-Bootes hatte stattgefunden; die Berichte waren nur veröffentlicht worden, um die feindliche Moral zu untergraben. Ich konnte feststellen, daß sogar englische Regierungsbeamte, die es wirklich besser hätten wissen sollen, und selbst Marineoffiziere fest daran glaubten, daß viele gefangene deutsche U-Boote in den Kriegshäfen von Portsmouth und Plymouth versteckt lägen... Ich sprach auch mit Mitgliedern des Kabinetts... Ihre Haltung mir gegenüber unterschied sich merklich von der Haltung, die sie in der Öffentlichkeit annahmen. In ihren Reden ließen diese Männer natürlich nichts verlauten, was die Moral des Feindes hätte heben können; in ihren Privatgesprächen mit mir wiederholten sie aber alles, was mir Jellicoe bereits gesagt hatte..." |