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der deutschen Kolonien
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Land und Leute in unseren Kolonien (T. 2)
[104]
Deutsch-Südwestafrika
Dr. Alex Haenicke
Das Land
Die westafrikanische Küste bildet in ihrem südlichen Teil ein
unwirtliches Gestade, das nicht ohne Grund von den Seefahrern gefürchtet
war. Landungsplätze sind selten, in gleichförmiger gerader Richtung
zieht sich der Strand vor öden Sanddünen dahin; unablässig
dröhnte die Brandung auf das Ufer, auch bei scheinbar ruhiger See. Die
gewaltige Dünung, welche die Oberfläche des freien Ozeans in
langen, weit auseinanderliegenden Wasserhügelzügen
aufwölbt - die zu manchen Zeiten so wenig markiert sind, daß
größere Dampfer fast unmerklich über sie
hinweggleiten - staut sich in der Nähe des Ufers, so daß nun
hochragende Wogen entstehen, die mit unwiderstehlicher Gewalt, dem Lande
zurollend, sich in mehreren Linien hintereinander überschlagen und als
stürzende Brandungswellen in Gischt und Schaum endigen. Es ist nicht
möglich, in gewöhnlichen Booten die sich
überstürzenden Wogen zu überwinden; eine Landung ist also
unmöglich, wenn sich nicht eine gegen die Wucht der Flut
geschützte Bucht im Einerlei der Strandlinie öffnet. Eine solche bot
sich den frühen Besuchern der Küste gerade über dem 23.
Grad südlicher Breite; von hier aus wurde Jagd auf das kostbare
Säugetier des Meeres gemacht, das Tran und andere nützliche Stoffe
liefert. So erhielt sie den Namen Walfischbai und kam 1878 in
englischen Besitz, der dann als Enklave im deutschen Besitz lag. Indessen sollten
die Briten keine allzu große Freude an ihr erleben; die Bai versandete und
war bald für die Schiffahrt nicht mehr von Nutzen.
Aber auch das hinter der Küste sich dehnende Innenland ist von wenig
einladendem Charakter: Es stellt sich als eine von Felsen durchzogene
Sandwüste dar, die nur vereinzelt Wasser bietet und infolgedessen auch von
den Eingeborenen gemieden wurde. Die aus dem Innern strömenden
Flüsse erreichen das Meer zumeist nur gelegentlich in der Regenzeit, sonst
sind ihre steinigen Betten trocken. So ist also der erste Anblick des Landes nicht
geeignet, Sehnsucht oder nur freundliche Empfindungen im Herzen des
Ankommenden zu erwecken. Es bedurfte vielleicht des Deutschen und seiner
zähen Liebe zur erwählten Scholle, vielleicht wurde manchem
Ansiedler die neue Wahlheimat durch leise Erinnerung an norddeutschen
Dünenboden besonders wert. Jedenfalls bildet die Kolonisierung
Südwestafrikas, des von der Natur stiefmütterlich
behandelten Gebietes, ein Blatt des Ruhmes, den deutsche Energie verdient.
Gerade weil in Südwest mit dem Mangel gerungen werden mußte,
während Kamerun und Ostafrika den Kolonisten mit ihrer unendlichen
Fülle des Tier- und Pflanzenreiches zu ersticken drohten, gerade deshalb
hängt der Südwestmann mit fanatischer Hingebung an dem Boden,
um den er gerungen und gekämpft hat.
Das Schutzgebiet umfaßt den südwestlichen Teil des
südafrikanischen Hochlandes; dieses wird rings von kahlen,
zerklüfteten und malerisch geformten Randgebirgen umzogen. Das Land
steigt fast unmittelbar hinter dem Küstensaum [105] stark an. Bereits in
einer Entfernung von 100 km werden 1000 m Höhe erreicht,
die höchste Erhebung des Plateaus beträgt 1600 m. In der
Mitte des Landes erheben sich ebenfalls wilde Gebirgsmassen bis zur Höhe
von 2500 m und darüber. Von dieser zentralen Höhe senkt
sich das Gelände nach Norden zum Kunene, nordöstlich
zum Sambesi, ostwärts zu der berüchtigten
Kalahariwüste und südwärts zum Oranjefluß.
Der bereits erwähnte, fast bis auf das Plateau reichende wasserlose
Wüstengürtel heißt die Namib; ihr entspricht ein
breiter, öder, nur mit Gras und Buschwerk bewachsener Sandgürtel
im Osten - was zwischen diesen todbringenden Landstrichen liegt, ist
Steppe, deren Vegetation im Süden hauptsächlich aus
Sträuchern, im Norden aus Bäumen besteht: hier gibt es Wasser. Das
ist eigentlich bewohnbare und bestellungsfähige Gegend. Sie wird nach den
Völkerschaften, die sie ursprünglich besiedelten, benannt: Im
Süden als Namaland, in der Mitte als
Herero- oder Damaraland, und im Norden als Amboland. Zwischen
Herero- und Namaland, in jenem Teil, der anfangs am stärksten von
Weißen besiedelt wurde, saßen die Bastardmischlinge von
Hottentotten und Europäern, hauptsächlich Holländern. Ein
schmaler Streifen Landes, der östlich von Amboland von Bismarcks
Nachfolger erworben wurde, heißt der "Caprivizipfel".
Die Namib gehört zu den so gut wie regenlosen Gegenden der Erde; nur die
häufig sich bildenden Nebel, welche die seltsame Melancholie der in ihrer
Einsamkeit großartigen Landschaft vermehren, hinterlassen
Niederschläge, die einiges Vorkommen von Vegetation
ermöglichen - Pflanzen von grotesker Form und jener
merkwürdigen Weisheit der Natur, die ihnen das Gedeihen ohne viel
Wassernahrung ermöglicht. Eins der hier lebenden Gewächse, das
fußhohe Sarcocaulon, schwitzt ein Harz aus, das den Stengel umgibt und
die innere Feuchtigkeit zurückhält. Es hat sogar die Kraft,
radförmige rosa Blüten hervorzubringen.
Ein wunderliches Ding ist die Welwitschie, deren 2 - 3 m lange
Blätter, aus einem im Boden steckenden dicken Stamm entwickelt, sich
flach dem Boden anschmiegen. Die Naras, ein Kürbisgewächs mit
kilogrammschweren eßbaren Früchten, schätzen die
Eingeborenen sehr.
Die Tierwelt tritt zurück. Von Raubtieren sind fast nur
Hyänen, Schakale und Geparden vertreten, an der Etoschapfanne kommen
auch Löwen vor. Von Steppentieren begegnen uns Zebras, Gnus,
Antilopen, Gazellen, Springböcke, Giraffen, Springhasen, Trappen und
Strauße. Mit den fallenden Tieren der Schaf- und Rinderherden
räumen die Geier auf. Eine Plage sind die Schlangen. An der Küste
sind Wasservögel häufig, außer Möwen auch
Kormorane. Die schlimmsten Feinde des Hausbaus sind die Termiten.
Ehe wir der Küste und der wüstengleichen Namib fürs erste
den Rücken kehren, um die höhergelegenen Gebiete zu betreten,
wollen wir noch einen Blick auf die wenigen Plätze werfen, die eine
Landung in der Kolonie ermöglichen: [106]
Lüderitzbucht und Swakopmund. Sandfischhafen,
südlich der Walfischbai, teilt das Schicksal der Versandung mit der
zweitgenannten; zwar gibt es dort Wasser, aber abgesehen von der durch die
Sandbank bedingten Schwierigkeit oder Unmöglichkeit des Landens,
erschweren die sich hinter ihr erhebenden mächtigen 28 km breiten
Sanddünen den Zutritt zum Lande. Die Croßbai
(Kreuzbucht) bildet einen guten Hafen mit grasreichem Hügelhinterland;
hier landeten im Jahre 1486 Portugiesen und setzten ein hölzernes Kreuz,
das durch ein steinernes abgelöst worden ist. Wenn sich auch an der Bucht
Ansiedler niedergelassen haben, so ist doch Swakopmund infolge der Bahnanlage
für den mittleren und nördlichen Teil der Kolonie am wichtigsten
geworden und geblieben.
[126]
Die Hafenanlagen von Lüderitzbucht,
Deutsch-Südwestafrika.
[125]
Der Bahnhof in Lüderitzbucht. Schwierig ist es, die Gleise von dem
Sand der Wanderdünen freizuhalten.
|
Lüderitzbucht, der geräumigste Hafen, wird von einer
Halbinsel und drei Eilanden gebildet, deren Namen, in die Vergangenheit
weisend, wenigstens bei zweien nicht mehr stimmen: von der
Robbeninsel hat das Seevolk längst vor dem wachsenden
Schiffsverkehr das Weite gesucht, auf der Pinguininsel ist von den
kommerzienrätlichen Einwohnern nichts mehr zu spüren; die
Guanoberge, die sie hinterließen, sind wertvoller Dung für andere
Länder. Nur um die Haifischinsel mögen sich noch die
dreieckigen Flossen der gierigen Seeräuber über das Wasser erheben.
Alle drei Inseln sind kahle Klippen... Trinkwasser gibt es in Lüderitzbucht
nicht; anfangs mußte es aus dem Innern des Lands oder sogar von Kapstadt
hergebracht werden, später wurde das Meerwasser kondensiert. Der
Aufschwung des Ortes begann mit dem Bau der Bahn nach
Keetmanshoop.
Swakopmund liegt am Swakop, der das englische Walfischbaigebiet im
Norden begrenzt. Sein breites Flußbett ist, Seltenheit in diesem Lande der
Austrocknung, manchmal bis zum Meer mit Wasser gefüllt. Es ist daher
mit einer schönen, stellenweise sogar üppigen Vegetation bestanden
und für Ochsenwagen gut fahrbar. Vor allem aber: Wasser wird
überall in geringer Tiefe gefunden. Die Landungsstelle an der
Swakopmündung wurde geschaffen, um von der englischen Walfischbai
ganz unabhängig zu sein. In der ursprünglich ganz öden
Gegend entwickelte sich der Ort verhältnismäßig schnell, ein
angenehmer Gartenbau, ebenso nützlich wie zierlich, grüßt den
Ankommenden... Hier ist der Ausgangspunkt für die Lebensader der
Kolonie, für die Eisenbahnstrecken nach Windhuk,
Otavi - unzertrennlich mit dem Begriff Kupfer und einem ehemals viel
umkämpften Spekulationspapier der Börse
verbunden - und Tsumeb. Auch diese werden uns zusammen mit dem
Kampf, der gegen den Ozean um die Mole und den Pier geführt werden,
später beschäftigen.
Es möge an dieser Stelle eine anschauliche Schilderung des Auftretens von
Wasser in trockenen Flußläufen eingefügt sein, da wir im
Verlaufe unserer Schilderung noch mehrfach solche Ereignisse zu
erwähnen haben werden. Vom Abkommen des
Swakop-Flusse berichtet einer der ganz frühen Besucher des Landes,
Dr. Pechuël-Loesche, folgendes:
[107-108=Fotos]
[109] "Am 21. und 22. Oktober 1884
entluden sich einige Wetter über der Wasserscheide des Swakop und
Nasob. Am 23. morgens um 4 Uhr sahen wir das Wasser im Flußbett
herannahen, im Grunde etwa so, wie Flüssigkeiten in Rinnsteinen von
Städten. Kotig und dickflüssig von Staubmassen, Rindermist, Spreu,
Blattwerk usw. wälzte es sich zunächst über die tiefsten
Stellen des Bettes, jedoch so schnell heran, daß übermütige
Knaben sich nur im vollsten Lauf vor ihm halten konnten. Binnen einer Stunde
strömte der Fluß in einer 220 Meter breiten Stelle
1 - 1,5 Meter tief mit großer Gewalt bis zum nächsten
Vormittag, fiel dann ein wenig, stieg aber nachmittags nochmals zu
größerer Höhe und ließ dann stetig nach, bis am
26. Oktober der Kotstrom aufhörte und nächsten Tages das
Bett trocken lag wie zuvor. Um festzustellen, wie weit die bedeutenden
Wassermassen gelaufen waren, folgten wir dem Bette. Es fanden sich
überall nur noch geborstene Schlammanlagen."
Den größten und zur Besiedlung geeignetsten Teil der Kolonie bildet
das Herero- oder Damaraland; es umfaßt einen
Flächenraum von 100 000 bis 200 000 qkm, entspricht
also etwa der Ausdehnung Bayerns, Württembergs und Badens. Sein
Charakter ist durchaus gebirgig; zahlreiche Berggruppen, Tafelberge und kuppig
geformte Erhebungen geben ihm seinen eigentümlichen Charakter. Die
Verwitterung dieser Steinmassen ist eine große und etwa dem
Abbröckeln der Dolomiten zu vergleichen, das jedem Bergsteiger vor der
kleinen Zinne, am Cimone oder der Fünffingerspitze nur allzu bekannt ist.
Wie die Wände des Rosengartens von Bozen festen und glatten Mauern
gleichen, sich dem an ihrem Fuße Befindenden aber in unzählige
Kamine, Bänder, Rillen und anderes Getrümmer auflösen, so
verraten die Berge Südwestafrikas auch erst aus der Nähe ihren
wahren, sehr brüchigen Charakter. Allerdings geht der
Auflösungsprozeß dieser Gebirge noch schneller und intensiver vor
sich als die Splitterung der alpinen Höhen, da die Temperaturunterschiede
größer und die Einwirkungen der Naturkräfte im ganzen viel
gewaltsamer sind. So finden sich an vielen Stellen nur noch wirre Haufen
durch- und übereinandergestürzter Blöcke, die nun auch noch
der Zerstörung ausgesetzt und zum Vergehen verurteilt, ein
großartiges und melancholisches Bild alles Irdischen darbieten, aber im
heißen Sonnenschein zugleich von außerordentlich malerischer
Wirkung sind. Allerdings sind ästhetische Betrachtungen mit einem
gewissen und sehr verständlichen Recht in einem Lande nicht allzu
häufig angestellt worden, in dem erst das Ringen um den Boden und das
Wasser, dann der jahrelange Kampf um das Leben selbst bis zur Unterwerfung der
Eingeborenen, dann der Wiederaufbau und die weitere Erschließung der
Kolonie alle Kräfte und Interessen vollkommen in Anspruch nahm; wenn
aber, wie sehr zu wünschen wäre, Menschen, deren wirtschaftliche
Lage eine weitere Reise gestattet, in die verlorenen Schutzgebiete gingen, um sich
von der Notwendigkeit ihrer Rückgabe zu
überzeugen - was sehr viel wichtiger wäre, als etwa aus rein
sportlichen oder künstlerischen Gründen irgendwo in der Welt
herumzufahren: dann würden wohl sehr viele, denen die Schönheiten
etwa der Riviera selbstverständlich sind, auch die außerordentlichen
Reize unserer ehemaligen Gebiete als Reiseländer entdecken, die den
meisten Menschen noch ganz und gar verschlossen zu sein scheinen. Gerade das
Herero- [110] land gehört zu
den sehr reizvollen und ist im übrigen heute ohne jede Mühe oder gar
Gefahr zu erreichen. Die Onjatiberge, auf denen der Swakop entspringt,
bedeuten wohl mit ihrer Erhebung von über 2000 m den
Höhepunkt der landschaftlichen Südwestschönheit.
Aber nicht nur der Naturschwärmer und Ästhet kommt hier auf seine
Rechnung: vor allen Dingen wird der Landwirt den Wert des
gras- und wasserreichen Bodens erkennen. Das Vorland der Onjatiberge erinnert
in seinem Äußern an eine mitteldeutsche Landschaft: Hügel
und Täler, dichter Baumwuchs in den Flußläufen, die von allen
Seiten auf das Bett des Swakop zustreben, geben der Landschaft das trauliche
Gepräge der Heimat - nur daß die Luft jene stählerne
Klarheit, Frische und Reinheit hat, wie wir sie nur in den Gegenden der Alpen
antreffen.
Als die Eckpfeiler des Landes können wir im Süden das
Erongogebirge bei Karibib, im Nordwesten das Paresisgebirge bei Outjo
betrachten. Die Erongoberge erinnern in ihrer Formation an die altbekannte
Gestalt des Tafelberges bei Kapstadt; sie erinnern an die geometrische Gestalt
eines Trapezes. Im Norden aber liegt der Waterberg, dessen Name durch
die Entscheidungsschlacht gegen die Hereros in der Kriegsgeschichte der
Kolonien unvergänglich ist. Seine Form bestimmt ihm zum Schlachtfeld:
ein 50 km langes und
10 - 15 km breites, flaches, in Terrassen abfallendes
Sandsteinplateau bietet die besten Verteidigungs- und
Festsetzungsmöglichkeiten - man hat den Waterberg oft genug eine
"natürliche Festung" genannt. Etwa in der Mitte des Hererolandes erhebt
sich als höchster Berg der Omatako (2280 m); nordwestlich
von ihm erstreckt sich der 2130 m hohe Etjo, ebenfalls ein
Tafelberg, an dem der zum Atlantik fließende wichtige Omaruru
oder Eisib entspringt. Uns begegneten diese Namen in der Geschichte
des großen Aufstandes.
Für Jäger bietet das als Landeszipfel vom Hererogebiet
nach Nordwesten reichende Kaokofeld viel Anziehendes. Obgleich der
Name "ohne Wasser" bedeutet, ist das Feld besser als seine Bezeichnung es
behauptet: die hügelige Hochebene besitzt gutes Weideland. Sie ist nur
dünn bevölkert, zur Feldbestellung nicht recht
geeignet - für Pferdezucht bieten sich Möglichkeiten;
infolgedessen ist der Wildreichtum groß; im Norden sollen hier und da
sogar noch Elefanten zu sehen sein. Antilopen, Leoparden und Hyänen sind
zahlreich. Im Nordosten des Schutzgebietes zieht sich als Gegensatz zum
Kaokofeld das große Sandfeld
hin - ein von feinem roten Sande bedecktes Dünengebiet; als drittes
schließ sich nach Osten das Kaokofeld an, dessen riesige
Affenbrotbäume berühmt sind; es bildet den Hauptwohnsitz der
Buschmänner, des am niedrigsten stehenden Eingeborenenvolkes. Wieder
weiter nach Osten wird mit dem zunehmenden Mangel an Feuchtigkeit die
Vegetation immer spärlicher, bis schließlich noch auf deutschem
Gebiet die Kalahariwüste beginnt. Sie ist im Charakter
vollkommen von jenen Wüsten verschieden, die der Nordafrikareisende
von Algier oder Ägypten her kennt. Es ist kein Sandmeer mit gewaltigen
Dünenwogen wie die Sahara, [111] keine flache
rötliche Steinsee mit ragenden Basaltklippen wie die nubische
Wüste; sie ist zum größten Teil mit dünnem Gras
bewachsen, zwischen dem sich sogar allerlei Knollengewächse und
Kriechpflanzen finden lassen. Aber gerade diese kümmerliche und
qualvolle Vegetation bringt einen Hauch von Trauer der Vergänglichkeit
hervor, welcher zuzeiten stärker wirken kann, als das Grauen des Sandes
oder der Schrecken der Steine.
Zu den wichtigsten Wohnorten des Hererolandes gehört
Okahandja, 1330 m hoch am Okahandjafluß gelegen, einst
die größte Ansiedlung der Hereros und Sitz des
Oberhäuptlings. Hier schlug im großen Aufstand 1904/06 der
Hauptmann Franke die Hauptmacht Samuel Mahareros und
erwarb sich für seinen schneidigen Angriff den Pour le
mérite. Die Stadt ist heute Eisenbahnstation. Ihr Wahrzeichen ist der
gen Norden sich erhebende Kaiser-Wilhelm-Berg (1613), der letzte bis zu seinem
dreieckigen Gipfel mit hohem Gras bewachsene Ausläufer der Onjatiberge.
Ganz anders ist der Eindruck Otjimbingwes, einer am mittleren Swakop
gelegenen Missionssiedlung: ein sonnendurchglühter, von steilen
Felsbergen umschlossener Felskessel umgibt den 940 m hoch gelegenen
Ort. "Die Umgebung ist ziemlich öde, und das Vieh muß weit nach
Osten und Südosten zur Tränke geführt werden", heißt
es - die wenigen Worte schildern die Lage sehr treffend.
Im Südosten der Erongoberge liegt Karibib in einer Kalkmulde als
nördlichster Punkt der Bahn
Swakopmund - Windhuk. Wir werden bei der Schilderung des
Bahnbaus noch mehr von diesem Ort zu sagen haben. Omaruru und das
ganze im Osten des Gebietes liegende Gobabis haben während
des Hereroaufstandes Wichtigkeit gewonnen.
Zwischen dem Ovambo- und dem Hereroland breitet sich zwischen dem 19. und
20. Grad des Südens ein zur Ansiedlung besonders geeignetes Gebiet aus,
das nach einem in seinem Norden gelegenen Salzsee das "Becken der
Etoschapfanne" genannt wird und bereits die Merkmale der Tropen zeigt.
Die Regenzeit dauert einen Monat länger als im Hererolande,
dementsprechend ist die Niederschlagsmenge größer, und da der
Boden aus Kalk gebildet wird, wird die begehrte Flüssigkeit mit
Leichtigkeit durch das poröse Gestein aufgesogen und in unterirdischen
Höhlen, Trichtern, Schloten und anderen natürlichen
Behältnissen aufbewahrt. In dieser Formation, deren Alter und
Entstehungsart die geologische Forschung wohl vor manche noch ungelöste
Aufgabe stellt, finden sich reiche
Kupferlager - die Otaviminen; der Boden gibt hier viel, Erz und Wasser
unten, sowie üppigen, dichtblättrigen Baumbestand und gutes
Weideland auf der Oberfläche... Wieviele Deutsche könnten hier
unter deutscher Herrschaft auf deutscher Erde ein gesichertes Dasein
führen und das noch in keiner Weise ausgenutzte Land zum Grund
neuen Wohlstandes, neuer Kräfte, neuen Lebens machen, die eines Tages
alle dem Mutterlande zugute kommen könnten.
[112] Die Etoschapfanne
selbst stellt sich als Überbleibsel eines viel größeren
Binnensees in Form eines Dreiecks dar, dessen Südrand 130, dessen nach
Norden sich erstreckendes Westufer 80 km in die Länge mißt.
Wasser findet sich in diesem Becken, dessen Umgebung vielfach salzig oder
"brackig" ist, nur zur Regenzeit: dann bedeckt sich der Boden mit einer
trüben salzigen Flut. Hauptmann Hutter hat in einem Berliner
Zeitungsbericht vom 19. Dezember 1907 eine hübsche Schilderung des
landschaftlichen Eindrucks gegeben, den der seltsame, in der trockenen Zeit mit
einer Salzschicht belegte "See" gewährt.
"Nähert man sich von der
Station Namutoni frühmorgens dem Ufer, so liegt plötzlich nach
Passieren einiger der zahlreichen schmalen, aber dichten Buschwaldstreifen
scheinbar ein unendlich weißglitzernder Wasserspiegel gen Westen. Nun
beginnt mit dem Höhersteigen der Sonne ein reizendes Strahlungsspiel
draußen auf der Fläche und insbesondere in den durch Landzungen
und Buchten lebhaft gegliederten Uferpartien. Bald schimmert hier ein schmaler,
weit ins Ufer hineinzüngelnder vermeintlicher Wasserarm wie eine
tiefblaue Ader, bald leuchtet dort eine smaragdgrüne Bucht, und
drüben, wo eine bewaldete Bodenwellen sich weit in den
»See« hineinschiebt, spiegeln sich, um die Täuschung
vollkommen zu machen, die Bäume in der Salzpfanne genau wie im
ruhigen offenen Wasser eines Sees. Ist die Sonne höher gestiegen, dann
wandelt sich das Bild zu einer neuen Täuschung; da glitzern und funkeln
die weißen Salzausblühungen auf der uferosen Fläche gleich
frischgefallenem Schnee; man glaubt sich in eine nordische Winterlandschaft
versetzt. Dieses einzigartige Gebilde ist umrahmt, soweit eben seine Ufer
überblickt werden können, von der ungemessenen Steppe: fahles
gelbes Gras, dazwischen quadratkilometergroße Felder niederen
Dornbusches, der aus seinem gelben Blütenmeer die klaren reinen
Lüfte mit herrlichen Wohlgerüchen erfüllt. Nach den beiden
Nordquadranten schweift der Blick von den Türmen der Feste über
offenes Land, nach Süden, Osten und Westen sind inselartig dichte
Waldstreifen eingelagert, die zum Teil aus Laubbäumen mit
tiefgrünen Blättern bestehen."
Welch ein Motiv der malerischen Darstellung! In der Tat: auch der Künstler
fände in unseren verlorenen Gebieten eine Fülle von Anregungen
und Aufgaben - wie es denn eine sonderbare Tatsache ist, daß gerade
von den besten Naturdarstellern die Welt von Übersee noch nicht entdeckt
worden ist.
Das Ovamboland, 20 000 qkm, ist noch so ziemlich im Urzustand, eine
echt tropische Gegend, von der gesagt wird, daß man in ihr vier Monate
ertrinke, vier Monate verdurste und nur vier Monate gute Zeit habe.
Immerhin - vier Monate gute Zeit ist wohl mehr, als von den meisten
Klimaten, etwa auch vom mitteleuropäischen, behauptet werden kann...
Von den Einwohnern werden wir später noch zu sprechen haben; das von
ihnen besetzte Land stellt sich als "eine Aufeinanderfolge von Lichtungen in
einem großen Waldgebiete" dar. Zur Besiedlung durch Europäer ist
es bis jetzt noch nicht gekommen; ebenso wie bereits beim Caprivizipfel bieten
sich hier dem Forscher noch viele Möglichkeiten zu interessanten
Entdeckungen.
[71]
Deutsches Reiterstandbild in [Windhuk,]
Deutsch-Südwestafrika.
|
Bereits ins Gebiet der Namastämme gehört
Südwestafrikas wichtigster Platz: Windhuk, der Sitz des
früheren Kaiserlichen Gouvernements, ein stattlicher Ort mit vielen
großen Gebäuden und einer auf beherrschendem Berge
lie- [113] genden starken Feste.
Die Umgebung ist für Garten- und Ackerbau wohl geeignet, die hohe Lage,
1650 m über dem Meere, also etwa der der Talsohle des
Oberengadins entsprechend, bürgt für gute Luft. Das Hochland wird
im Süden durch das wilde Auasgebirge abgeschlossen; auf ihm
entspringt der wasserreiche Otjihavera, der, sich später mit dem
Swakop vereinigend, dem Tal seines Laufes den Namen gibt: es erinnert an
manchen Orten mit seinen bewaldeten Höhen in seiner stattlichen Breite an
das Rheintal zwischen Schwarzwald und Vogesen, und wird von Okahandja bis
Windhuk von der Swakopmunder Bahn durchzogen. Hier ist das Land dicht
besiedelt, deutsche Arbeit gedieh - und gedeiht zum Teil auch noch, aber
unter fremder Herrschaft...
[54]
Ein Bild aus der Umgebung von Windhuk in
Deutsch-Südwestafrika.
|
Durch die "große Scharte" des Auasgebirges führt der Weg von
Windhuk in das Land der Bastards mit dem Hauptort
Rehoboth; es zeigt etwa denselben landschaftlichen Charakter wie das
Hereroland, hat die besten Weidegründe und wird von öden
Bergzügen begrenzt, die noch verhältnismäßig wenig
erforscht sind, wie das von Bergdamaras bewohnte Hakosgebirge im
Norden. In den südlichen Bergen liegt das berühmte, längst
von den Eingeborenen verlassene Raubnest Hoornkrans, der
Schlupfwinkel Hendrik Witbois, das am 12. April 1893 von den
Deutschen erstürmt wurde. Witboi wollte die deutsche Herrschaft nicht
anerkennen; er sah das ganze Namaland als sein Eigentum an, raubte und
plünderte, immer im geeigneten Augenblick aus seinem Bergnest
hervorbrechend, ohne Ansehen der Person, bei Namas, Hereros und
Weißen, kurz, er trotzte den Europäern in einer Weise, die in ihrer
Art zwar etwas Wild-Großartiges hatte, aber leider auch viel Unglück
über die deutschen Siedlungen brachte. Die Roheit und Grausamkeit der in
diesem Falle wirklich "Wilden" verbreitete Schrecken unter den Kolonisten, bis
es dem Gouverneur Major Leutwein mit der verstärkten
Schutztruppe nach blutigen Kämpfen gelang, den Rebellen zu bezwingen.
Der kluge Hendrik erkannte die Überlegenheit des Gegners, gelobte Treue
und trat gegen ein Jahresgehalt von 2000 M. sogar in deutsche Dienste.
Das Bastardland leitet uns noch weiter nach Süden in das
Namaland; es reicht bis zum Oranjefluß, der Grenze der Kolonie,
und ist in der Längsrichtung von Norden nach Süden klar durch zwei
"Gräben" gegliedert, zwischen denen die
Hanami- oder Zwiebelhochfläche emporragt: den westlichen oder
nach seinem Hauptort "Bethanien" genannten, und den östlichen, in
gleicher Weise bezeichneten Bersebaer
Graben - breite Talgebilde, die als "geologische Senkungsgebiete"
aufzufassen sind. Drei Flüsse durchziehen die Täler: das westliche
der Konkip, das östliche der Leberfluß und der
Fischfluß, der durch eine schmale und tiefeingeschnittene
Öffnung den Graben erreicht, um sich mit dem Leberfluß zu
vereinigen. Der Bersebagraben wird durch ein reiches Farbenspiel der Natur
belebt, das an die koloristischen Wunder der nordamerikanischen Kanons
erinnert: denn der Ostrand besteht aus hellem Kalk, während der steile
Abfall des Hanamiplateaus ein düsteres Sandsteinrot erkennen
läßt - ein fast erschreckender Gegensatz, der die
Bezeichnungen Schwarz- und Weißrand entstehen [114] ließ. Der Westen
des Bethaniergrabens wird durch eine Reihe plateauartiger, durch tiefeingerissene
Schluchten voneinander getrennter Massengebirge gebildet: das
Naukluftgebirge, in dem sich die letzten Kämpfe Leutweins gegen
die Witboianhänger abspielten, bemerkenswert in botanischer Hinsicht;
das Zarisgebirge, das, von einem Gewirr baumbestandener Schluchten
durchzogen, der Entdeckung zum Teil noch harrt, und das Tirasgebirge,
welches Wasser und Weiden besitzt.
Viel Raum für ein Volk, das solchen bedarf... Im Osten des Namalandes,
jenseits des "Weißrandes", breitet sich ein weites Kalkplateau aus, das zwar
Quellen und in "Kalkpfannen" zur Regenzeit auch Wasser besitzt, aber im ganzen
doch zu wenig, um als Ansiedlungsgebiet in Frage zu kommen. Dann beginnen
parallele Dünenketten aus rötlichem Sande den Kalkboden zu
bedecken, die sich in endlos gleichförmigem Zuge bis über die
Grenze in die Kalahari hinein erstrecken. In den drei Flußtälern, die
dieses Gebiet durchziehen, tritt die Kalkunterlage wieder zutage: Auob,
Elefantenfluß und Nossob haben ihre Betten wohl tief in das
Gestein eingeschnitten, aber die Wasserstellen sind nur im Oberlauf des Auob
häufiger und verlieren sich später ganz. Das Land der wasserlosen
Flüsse.
Einen Ersatz bietet die "Tsama," eine wilde Melone von so
großem Wassergehalt, daß Menschen und Tiere ihren Durst an ihr
stillen können. Zur Zeit ihrer Reife können die Grasflächen
der Flußtäler als Weidegebiet benutzt
werden - Sorge der gegensätzlichen Natur... In einem
dünenfreien Gebiet am Elefantenfluß, auf dem
"Ointjesfeld", wachsen die kleinen zwiebelähnlichen Knollen in
reicher Menge, die einen Hauptbestandteil der Eingeborenennahrung bilden.
Der südliche Teil des Namalandes wird vom Bezirk
Keetmanshoop gebildet - auch dieser Ort spielte während
der Aufstandsjahre eine wichtige Rolle. In diesen Gebieten machte sich der
Wassermangel manchmal besonders fühlbar, da es vorkommen kann,
daß eine Regenzeit nur schwach auftritt oder sogar ganz ausfällt.
Dann kann nach dem Verschwinden des vorjährigen Grases kein neues
wieder wachsen, und die Weidemöglichkeiten sind dahin; wenn sich auch
das dort wachsende Gras vorteilhaft von dem bei uns vorkommenden
unterscheidet, da die Halme mit Mark
gefüllt sind - also ein hervorragendes Futtermittel
bilden - und mehrere Jahre hindurch stehenbleiben kann, ohne die
Nährkraft zu verlieren, so nutzt dies dann auch nichts mehr, wenn der neue
Regen nicht reichhaltig genug ist, um neues Gras wachsen zu lassen, da der alte
Halm stets mit dem Regen zugrunde geht. Gerade hier, zwischen
Lüderitzbucht und Keetmanshoop haben Menschen und Tiere in den
Kriegsjahren entsetzlich gelitten; wie wir noch sehen werden, wieder infolge der
falschen und kleinlichen Sparsamkeit des Reichstages, der kein Geld zum
Bahnbau bewilligt hatte.
Ganz im Süden erheben sich die Großen Karrasberge bis
zur Höhe von 2000 m, in ihrem schwer zugänglichen Gebiet
gibt es Wasser genug und gute [115] Weiden... sie sind nicht
recht zu benutzen. Westlich dieses Gebirges wird indessen die Gegend ganz
trostlos: die in zahlreiche Plateaus aufgelöste
Huibhochfläche übertrifft an Dürftigkeit alles
[126]
Deutsches Wohnhaus in der Diamantenstadt Lüderitzbucht.
Brütende Hitze, trostlose Landschaft, aber unendlicher Fleiß schafft
Werte.
|
andere... Nun, wir brauchen sie nicht, unfruchtbares Land ist auch anderswo zu
finden. An solche gewiß nicht gerade einladenden Stellen aber
knüpften die Gegner der Kolonien, besonders auch im Reichstage, an, um
die überseeischen Gebiete in Verruf zu bringen.
Das Klima des in gemäßigte Zonen reichenden Namalandes kann
für manches entschädigen; es ist gesund für Menschen und
Tiere. Außerdem aber lockt ein Zauberruf: Diamanten. In der
Nähe von Berseba und Gibeon finden sich zahlreiche "Blaugrundstellen",
die den Lagern von Kimberley gleichen: tiefe, trichterförmige Schlote, die
mit einer bläulich-grünen oder gelben Masse vulkanischen Ursprungs
gefüllt sind und allerlei farbige kristallisierte Mineralien, auch Diamanten,
enthalten... Auch ein paar heiße, starke Heilquellen entsteigen dem Boden,
so bei Warmbad und Bethanien.
Die Einwohner
Das ehemalige Deutsch-Südwest ist recht dünn besiedelt, erst auf
4 qkm kommt ein Mensch. Weite
Küsten- und Wüstenstrecken sind unbewohnbar. Am dichtesten ist
das Amboland bevölkert. Das Gebiet zwischen
Herero- und Namaland wurde zuerst als Regierungsland, das von Samuel
Maharero billig gekauft war, an deutsche Siedler vergeben. Nach dem Aufstand
verdoppelte sich die Zahl der Weißen, bis 1913 vervierfachte sie sich auf
etwa 15 000. Die Zahl der Farmen, der Verwaltungsstützpunkte und
kleinen Städte wurde seitdem beträchtlich vermehrt und viel
Weideland gewonnen. Bei der großen Regenarmut wurden Staubecken als
Tränken für die Viehherden von hoher Bedeutung.
[377]
Rassen in Deutsch-Südwestafrika:
vorn zwei Buschmannsfrauen, dahinter zwei Bergdamaras, an den Seiten
Hereros.
|
Die farbigen Einwohner
Deutsch-Südwestafrikas stellen sehr verschiedene
Kulturstufen dar, die vom Urzustand des nomadisierenden Jägervolkes bis
zur gewissen Zivilisation des seßhaft gewordenen Ackerbauers und
Viehzüchters einen Teil der Menschheitsentwicklung in längst
vergangenen Zeiten anschaulicher zu machen imstande sind.
Allerdings müssen die Buschmänner, die noch der
primitivsten Daseinsform hingegeben sind, früher
einmal - genauere Zeitbestimmungen sind unmöglich, die Angaben
der Forscher schwanken bis zu tausend und mehr
Jahren - auf einer höheren Stufe gestanden haben als jetzt: das
bezeugen die "Buschmannmalereien", die sich in Höhlen gefunden haben
und stark an die europäischen Zeichnungen der Eiszeit erinnern. Es scheint
allerdings diesen Dokumenten einer so gut wie unbekannten Vergangenheit
gegenüber einige Vorsicht am Platze, vor allem müssen wir wohl
ihren Farben mißtrauen, die vielleicht in neuer und neuester Zeit
nicht ganz ohne Auffrischung geblieben sind.
[116] Die
Buschmannzeichnungen, die auszuführen die heutigen Vertreter
dieses Volkes ganz und gar außerstande wären, zeigen recht
lebendige Darstellungen des erwünschten Wildes: Antilopen verschiedener
Gattungen und Elefanten; sie sind wohl als Beschwörungsbilder
aufzufassen, deren Zauber das Erscheinen des Wildes bewirken sollte. Auch
Menschen sind dargestellt, während sie Zaubertänze aufführen
oder zur Jagd ausziehen. Bei diesen Figuren ist eine fesselnde Besonderheit zu
beobachten, die zeigt, daß in der Kunst ganz verschiedener Völker
häufig genug dieselben Gestaltungen auf dem Wege zur realistischen
Darstellung anzutreffen sind, ohne daß eine Beziehung zwischen diesen
Völkern bestanden hat. Die menschlichen Figuren zeigen zum Teil genau
dieselbe Form wie archäische griechische Bronzen des 7. und 6.
Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung: der Oberkörper wird als Dreieck
gezeigt, dessen Spitze die Leibesmitte bildet; die Hüften wölben sich
rund heraus, die Beine sind sehr kurz und die Arme sehr lang. Die Dreiecksform
ist natürlich als Versuch zum Realismus zu erklären, da breite
Schultern und schmale Hüften stets als Schönheit des Mannes
gegolten haben; bei den Griechen half die "Geometrie" des alten Stiles (man
bezeichnet die Art gewisser Vasen nach ihren Ornamenten als "geometrischen
Stil") wohl zur Anwendung der Dreiecksform, die Buschleute sind auf anderen
Wegen zu derselben Erkenntnis gelangt. Es ist also gar nicht nötig, zur
Erklärung von Stilgleichheiten, die sich ja bei manchen durch die
Weltmeere getrennten Völkern vorfinden (z. B. Inkas und
Ägypter), versunkene Kontinente und Landbrücken anzunehmen.
Den jetzt lebenden Buschmännern ist die Erinnerung an die Entstehungszeit
dieser Bilder so völlig entschwunden, daß sie die
Zeichnungen den Weißen zuschreiben - ein "kunsthistorischer
Mißgriff", zu dessen Richtigstellung es keiner großen Stilkritik
bedarf, abgesehen davon, daß sich die Malereien in weit entlegenen
Gebieten befanden, die bis zu ihrer Entdeckung noch kein Weißer betreten
hatte.
Die Rückbildung oder Verkümmerung der Buschmänner,
welche sich auf Geist und Körper erstreckt, wird auf den Hunger
zurückgeführt: denn in früherer Zeit fand das Jägervolk
bei dem ungeheuren Wildreichtum des Inneren ohne viel Mühe ein
behagliches Auskommen. Viehsterben und Pestilenzen zerstörten den
Überfluß, so daß es seit Jahrzehnten für den Buschmann
als ein Glücksfall betrachtet werden muß, wenn es ihm gelingt, mit
seinem Giftpfeil ein größeres Stück zur Strecke zu bringen.
Trotz dieser Mißhelligkeit, trotz knurrenden Magens und elenden
Lebensbedingungen ist der Buschmann in den meisten Fällen nicht zu
bewegen, seßhaft zu werden und auf einer Farm Arbeit zu nehmen, die ihn
aller Daseinsnot entheben würde. "So hatte", schreibt Major
Rothmaler, ein ausgezeichneter Kenner der
Südwestbevölkerung, "ein um die Erforschung der
Buschmänner sehr verdienter Missionar der Missionsstation
Ghaub eine Anzahl Buschmannsfamilien in der Station angesiedelt, auf
der sie ein recht beschauliches Dasein unter günstigen Lebensbedingungen
führen konnten. Eines Tages packte die ganze Gesellschaft der naturhafte
Trieb in den Busch mit [117] seinem doch so
entbehrungsreichen Leben, und sie war spurlos im Busch verschwunden.
Ähnlich ist es oft bei den wenigen in der Nähe der
Buschmannsgebiete angesiedelten Farmern gegangen, und dann meist zu einer
Zeit, in der diese die Eingeborenen dringend gebrauchten."
Die Angehörigen des Volkes sind für unsere Begriffe von groteskem
Aussehen, "plattnasig, breitmäulig und klein"; so unzivilisiert sie
begreiflicherweise sind - nie kann das ein Vorwurf sein oder mit dem
Hochmut des "Europäers" ausgesprochen werden, der durch seine
zivilisatorischen "Errungenschaften" den Materialismus, die platte Diesseitigkeit
zum Lebensinhalt gemacht und den Idealismus, die hohe Geistigkeit,
gänzlich verloren hat: so "unzivilisiert" also die Buschmänner sind,
so gut kennen sie sich in der Natur aus: sie wissen aus den kleinsten Anzeichen
das Leben des Waldes und der Steppe bis ins letzte zu deuten, sie riechen mit dem
sicheren Instinkt eines Tieres, was in der Ferne
vorgeht - kurz, sie haben zum Ausgleich einer fehlenden Gesittung
erstaunliche Naturverbundenheit. Ich erinnere mich sehr wohl der
Erzählungen von Regimentskameraden, die den Aufstand in Südwest
mitgemacht hatten; sie berichteten, daß sie besonders anfangs auf
Patrouillenritten und Transporten ohne den Spürsinn und das tierhafte
Naturdurchdringungsvermögen der Eingeborenen, hauptsächlich der
Buschmänner, gänzlich verloren gewesen wären. Allerdings
ist den schmutzigen, übelriechenden, verschlagenen Gesellen jene falsche
Indianerromantik, von der früher viel die Rede war, völlig fern; sie
betätigen sich mit Vorliebe als Viehdiebe, besonders wenn sie lange nichts
gejagt haben, und schießen, wenn sie es für nötig halten, mit
ihren kleinen, tödlich wirkenden Giftpfeilen mit großer Seelenruhe
auch auf Weiße. Ortschaften kennen sie nicht; manchmal bauen sie sich
Hütten von bienenkorbähnlicher Form, begnügen sich aber
meist mit Windschirmen. Sie sind so vorsichtig, sich niemals direkt an einer
Wasserstelle niederzulassen, sondern finden es entschieden praktischer, in einiger
Entfernung zu lagern, da dies erstens sicherer ist und außerdem noch
Aussicht auf eine gelegen kommende Beute bietet... Ihre Sprache ist für den
Europäer wohl fast unerlernbar; sie besteht aus eigentümlichen
Schnalz- und Schmatzlauten, die nicht nachzumachen sind.
Die Buschmänner sind, wenn vielleicht auch nicht die Ureinwohner, so
doch jedenfalls sehr lange im Lande gewesen; leider ist eine Datierung der
Malereien zu ungewiß, um genaue Anhaltspunkte zu geben. Dagegen sind
die Hottentotten oder Nama bestimmt nach Südafrika
eingewandert; der Ursprung ihres Volkes ist allerdings unbekannt. Sie sprechen
eine hamitische, mit Schnalzlauten der Buschmänner vermischte
Sprache.
Die Hottentotten besitzen keine gleichmäßige
Hautfärbung - wie übrigens die Europäer auch nicht.
Ihre Farbe schwankt zwischen hellem Gelb und schwärzlichem Braun,
ebenso wie sich der hellhäutige Europäer vom dunklen Sizilianer
unterscheidet; es ist die Ansicht ausgesprochen worden, daß eine
Verwandtschaft mit malayischen Völkern vorliegt. Ihre Stammesnamen
beziehen [118] sich auf die
charakteristischen Färbungen: sie heißen Witbois und
Zwartbois - weiße und schwarze Männer.
Die Nama zeigen eine Zivilisationsstufe etwas höheren Grades als die von
den Buschmännern eingenommene: sie sind zum größten Teil
seßhaft und betreiben Kleinviehzucht. Diese Tatsachen hindern sie jedoch
keineswegs daran, für den Weißen unter Umständen sehr viel
unangenehmer zu sein als die Waldgeschöpfe: sie sind ausgesprochen
kriegerisch, hinterlistig, grausam und von nicht geringer Intelligenz. Die bereits
erwähnten Kämpfe gegen Witboi 1893 und in den Naukluftbergen
1894, vor allem aber ihre Fortführung des Hereroaufstandes nach der
Schlacht am Waterberg 1904 haben unseren Schutztruppen und den
Farmern zur Genüge bewiesen, ein wie gefährlicher Gegner der
Hottentotte ist. Natürlich stehen ihm die Naturkenntnisse des "Wilden"
auch in hervorragendem Maße zur Verfügung; in Verbindung mit der
europäischen "Zivilisation", das heißt also in diesem Falle mit guten
Gewehren und großer Schießfertigkeit, wurde ihre
Busch-, Steppen- und Gebirgspraxis zur schwersten Gefahr für Soldaten
und Kolonisten. Auch ihnen fehlt der groteske Zug nicht: sie leiden in hohem
Maße an dem kindlich-kindischen Nachäffungstrieb, der manche
Negerstämme erfüllt, und kommen sich in abgelegten
Uniformröcken oder anderen unpassenden und nichtsitzenden
europäischen Bekleidungsstücken ungemein prächtig vor. Da
die Hottentotten über die ganze Kolonie verteilt waren und mit den
Ansiedlern in engeren Beziehungen standen, legten im Bestreben nach
"Zivilisierung" vor allem die Frauen den größten Wert auf
europäische Tracht; nur der Turban als Kopfbedeckung und
Laststütze sowie die selbstgefertigten Bastschuhe waren von der alten
Tracht übriggeblieben. Besonders in der Viehwirtschaft sind die
Hottentottenfrauen dem Ansiedler brauchbare Helfer.
Die Sprache der Hottentotten, der "Stotterer", wie sie von den Holländern
genannt wurden, ist dem Idiom der Buschmänner verwandt; außer
dieser hat sich eine Art von holländischem Dialekt unter ihnen verbreitet,
so daß es einem Niederdeutschen bald gelingt, sich mit ihnen zu
verständigen - auch dies zeigt ihre geistige Überlegenheit den
Buschleuten gegenüber. Der ehemalige Missionar Theophilus
Hahn hat wesentlich zur Erforschung der Hottentottensprache
beigetragen.
Die Hottentotten bereiten sich ihre Nahrung stets zu; auch Früchte werden
merkwürdigerweise immer erst etwas angekocht oder gebraten; wenn auch
die Reinlichkeit beim Kochen nicht gerade hohen Ansprüchen gewachsen
ist, steht sie doch auf einer höheren Stufe als bei den Buschmännern,
von denen Hauptmann Schmitt erzählt:
"Wir sind nicht kleinlich und
überlassen den Buschleuten gern Stücke des Wildbrets (gelegentlich
einer Jagd in der Kalahari), die unsern Gaumen nicht reizen. Der Aufbruch liefert
dem Buschmann besondere Leckerbissen. Der Dickdarm ist sein Lieblingsgericht,
das an erster Stelle vertilgt wird. Er wird flüchtig mit der Hand gereinigt,
mit Blutgerinnsel und Fett [119] gefüllt und in die
Asche gelegt. Auf besondere Zubereitung, auf Beigabe von Salz und Pfeffer, legt
der Buschmann keinen Wert. Alles, was wir ihm übrig lassen,
Rippenstücke, Magen, Herz, Lunge, Kopf, wird vom Buschmann in der
Asche geröstet und dann unter Schmatzen verschlungen. Auf den Gebrauch
der Gabel verzichtet er; ist das Fleisch noch so groß, so führt er es
trotzdem mit beiden Händen zum Mund, packt mit den Zähnen einen
möglichst großen Happen und säbelt mit dem Messer den
übrigbleibenden Teil ab. Nicht selten kommt es vor, daß der
eingeschrumpfte Leib des Buschmanns bei einem solchen Schlemmermahl sich
immer mehr rundet und schließlich zu einem richtigen
Buschmanns-»Penz« anschwillt. Alles bis auf den letzten Rest
aufzuessen, ist für den Buschmann Ehrensache. Wo Buschleute tafeln,
bleibt für Aasgeier, Schakale und Hyänen nur das
Nachsehen..."
In einigen etwas fragwürdigen europäischen Gepflogenheiten sind
die Hottentotten schnell Meister geworden. Ihre heitere und leichtsinnige
Veranlagung ließ sie nicht eben selten zur Schnapsflasche greifen.
Übrigens sind sie, vielleicht auch ein Ausdruck ihrer inneren
Beschwingtheit, ziemlich musikalisch; sie besitzen ein
Gom-Gom oder Gora genanntes Saiteninstrument sowie eine Art Trommel, die
aus einem irdenen, mit einem Schaffell überzogenen Topfe besteht.
Die Europäisierung und Christianisierung der Hottentotten hat manche der
alten Volksbräuche ganz oder so gut wie ganz beseitigt; ursprünglich
herrschte z. B. Polygamie unter ihnen, obgleich hier wie auch anderswo das
Geld in dieser Frage seine Rolle spielte und nur der reiche Viehbesitzer sich den
Luxus mehrerer Frauen leisten konnte. Seltsam und von alter Magie bestimmt
waren die Gebräuche bei Todesfällen: Man bestrich die Leiche mit
Bocksblut, band sie mit Stricken in Hockstellung zusammen und nähte sie
vor der Beerdigung in Matten und Felle ein. Der Tote durfte, um die
Rückkehr seines Geistes zu verhindern, nicht durch die Tür
hinausgetragen werden, sondern mußte die Behausung durch eine der
Tür gegenüberliegenden Öffnung verlassen. "Besonders
eigentümlich", sagt Karl Heßler, "ist das Grab eingerichtet.
Nachdem ein Grab, das etwa dem unsrigen gleicht, hergestellt ist, bringt man noch
an der einen Längsseite eine Nische an. In diese legt man den Toten,
verschließt die Öffnung durch Steinplatten und Stäbe, wirft die
ausgegrabene Erde wieder in das Grab und bedeckt dasselbe mit einem
Steinhügel, um auf diese Weise die Leiche vor den Hyänen zu
schützen. Da die Herstellung eines solchen Grabes wegen der
unvollkommenen Werkzeuge außerordentliche Schwierigkeiten verursacht,
wird die Leiche zuweilen in Höhlen und Felsen beigesetzt."
Aber diese romantisch-zaubereihaften Gebräuche haben sich wohl heute
fast ganz verloren - ebenso wie die ursprüngliche Bewaffnung mit
Wurfspieß, Wurfstock (Kirri), Pfeil und
Bogen - die Geschosse waren vergiftet - sich schon vor dem letzten
Aufstande in gute moderne Gewehre verwandelt
hatte - sehr zum Schaden unserer Schutztruppe. Die Nama haben ein nicht
geringes Geschick, sich der europäischen Technik anzupassen; so wird
berichtet, daß die Telephonvermittlungsstelle in Keetmanshoop mit zwei
Hottentotten besetzt war, die ihren Dienst mit bestem Gelingen versahen.
[120] Ganz verschieden von
den Hottentotten sind die Damara, ein den Bantunegern verwandter
Stamm von sehr dunkler, fast schwarzer Hautfarbe. Sie sind bescheidene,
dienstwillige Leute, denen ihr Gebiet nordwestlich des Erongogebirges
ungeschmälert belassen worden war, da sie der deutschen Schutzherrschaft
niemals Schwierigkeiten gemacht haben. Sie erfreuten sich wegen ihres
unkriegerischen Wesens niemals besonderer Wertschätzung bei den
anderen Eingeborenen, wie schon ihr Name zeigt, der ihnen von den Nama
verliehen worden ist: Damara, ursprünglich Daman, bedeutet
Schmutzmenschen, und die Hereros sagten "Ovosorotua" zu
ihnen - schwarze Rechtlose. Sie treiben Kleinviehzucht und Ackerbau,
leben in behaglicher Einfachheit im allgemeinen vegetarisch und sind gegen die
Unbilden des Lebens und des Klimas ziemlich unempfindlich. Unseren
Schutztruppen haben sie gute Dienste geleistet, solange keine Gefahr drohte. Mut
ist nicht ihre stärkste Seite, und eine Giftschlange ließ, wie der bereits
zitierte Major Rothmaler erzählt, das Gesicht eines bei der Landvermessung
als Träger beschäftigten Damara "zunächst aschgrau werden,
was dem Bleichwerden des Weißen entspricht; dann drückte er sich
sofort aus der Nähe dieses gefährlichen Reptils".
Das Herrenvolk unter den Eingeborenenstämmen Südwestafrikas
aber sind die Hereros, die alle anderen Farbigen mit großer
Verachtung betrachten und auch dem Weißen gegenüber nie ihren
Stolz verloren. Sie kämpften im Jahre 1904 ihren Freiheitskampf gegen
uns; die Ritterlichkeit verlangt anzuerkennen, daß
sie - was wir gerade jetzt sehr gut zu verstehen imstande
sind - von ihrem Standpunkt im Rechte waren und mehr als tapfere Gegner
gewesen sind. Sie empfanden ihre Niederlage denn auch tief. Ihre Frauen legten,
nachdem das Volk seine Selbständigkeit verloren hatte, ihre alte
Kopfbedeckung, den Dreispitz, einen helmartigen Kopfputz aus Lederlappen,
ab - ein Zug, der fast an die Haltung von Frauen in der griechischen Kunst
gemahnt. Die Hereros sind von schlankem, hohem Wuchs und besitzen somit das
Merkmal ihres Stammes, der Bantuneger, denen wir auch in Ostafrika
begegnen werden. Sie sind vor nicht allzulanger Zeit nach Südwestafrika
eingewandert und haben ihr Gebiet von den Hottentotten erobert, das ihnen, wie
wir sahen, nach dem Aufstand genommen wurde...
Wir brauchen nicht sentimental zu sein, im Gegenteil, wir sehen die
Notwendigkeit sicheren und ausgedehnten Kolonialbesitzes für unser Volk
klar vor uns; aber dennoch können wir die Tragik wohl empfinden, die
über einem unerschrockenen Volke liegt...
Ein Schicksal bricht über seine Angehörigen herein, das sie nicht
verstehen, eine dämonische Welt wird gegen sie losgelassen, von der sie
nichts wissen, Menschen sind stärker als sie, die ihnen in allen Fragen der
Naturverbundenheit nicht gewachsen scheinen... Die Magie des Wissens gegen
den Zauber des Instinktes: es ist keine Frage, wer da unterliegen muß.
Die Hereros glauben - oder glaubten - an einen wunderlichen Mythos, [121] der ihre Abstammung
nicht vom Menschen oder einem höheren, göttlichen Wesen, sondern
von einem Baume herleitet: dem Ahnenbaum Omomborombonga... Vielleicht
liegt hier nur ein Ausdruck des tiefsten Zusammenhanges mit der lebendigen
Natur vor, denn nur das versteht sich, was vom gleichen Stamme ist: Baum und
Mensch, die Göttlichkeit in beiden ist dieselbe. Auch bei den Hereros stirbt
alter Glaube, sterben alte Sitten, wie das Abfeilen der Vorderzähne, immer
mehr aus; vielleicht verliert sich auch ihre Tapferkeit und mit ihr eine
plötzlich hervorbrechende, hemmungslose Roheit.
Ihre Sprache ist klangvoll und vokalreich, wie der Name ihres Ahnenbaumes
zeigt; sie stehen auf der wiederum nächsthöheren Zivilisationsstufe
der viehzüchtenden Menschheit mit festen Wohnsitzen. Ihr
größter Stolz vor dem Aufstand waren die Herden mächtiger,
breitgestirnter Rinder, in denen ihr Reichtum, ihre Macht sich verkörperten;
als sie nach dem Kriege heimat- und besitzlos geworden waren, dienten sie den
sich neu ansiedelnden Farmern als unentbehrliche
Hilfskräfte - so konnten sie wenigsten ihrer Passion für
Rinderzucht und Ringerpflege nachgehen... Etwa wie ein verarmter Herrenreiter
sich als Stallmeister verdingt, nur um nicht für immer vom Sattel zu
müssen. Die Liebe der Hereros zu ihren Tieren war so groß,
daß sie selbst in der dürren Zeit, wenn Mangel an Früchten und
an Milch herrscht, lieber hungerten als ein Rind schlachteten... Die "Kreatur"
stand ihnen näher als der Mensch; wir finden diese Auffassung gerade bei
sehr naturverbundenen Völkern nicht eben selten.
Ihre alte Kleidung aus Schaf- und Ziegenfellen haben die Hereros längst
aufgegeben und europäische Tracht angelegt, die ihre
wunderschönen Gestalten nur allzuoft zur Karikatur werden
läßt. Aber es fehlt bei ihnen vollständig jenes äffische
Element, das, wie wir auch bei den Hottentotten sahen, so oft dem Neger anhaftet,
wenn er den Europäer spielt. In der Schutztruppe hießen vor dem
Kriege die europäisierten Eingeborenen "Hosennigger" oder
"Stadtfräcke".
Solche gab es jedenfalls bis nach dem Kriege unter den etwa 100 000
Ovambo, die den nördlichsten Teil des Schutzgebietes bis zur
Grenze von Portugiesisch-Angola bewohnen, nicht. Die deutsche
Kolonialverwaltung vermied es, "durch starken Verkehr von Weißen
Unruhe in dieses Land hineinzutragen, das sich seine echte
Eingeborenenursprünglichkeit noch bis zum Ausbruch des Weltkrieges
bewahrt hat". Die Ovambo sind durch die Zugehörigkeit zum Bantustamm
mit den Hereros verwandt, wie auch ihre Sprache zeigt, die eine Dialektart des
Herero-Idioms darstellt. Aber die Ovambo haben in langer Seßhaftigkeit
eine noch höhere Zivilisationsstufe erklommen als ihre Vettern. Sie treiben
neben der Viehzucht auch Ackerbau; eine Beschäftigung, die durch das
fruchtfördernde tropische Klima ihres Landes in jeder Weise
unterstützt wird. Sie ziehen als Hauptprodukte zwei Hirsearten,
außerdem aber Erbsen, Bohnen, Mais, Weizen, Kürbisse,
Wassermelonen und Tabak, der ihnen sehr wichtig ist; denn nach jeder Mahlzeit
wird geraucht. Ihre kleinen Hütten erheben sich [122] auf Lehmsockeln, die
Getreidespeicher sind aus Ton und ebenso wie die Häuser mit Binsen
gedeckt. Sie salzen ihre Speisen, was die anderen vor ihrer Europäisierung
nicht taten. Als Bantuabkömmlinge sind sie kriegerisch und trugen schon
vor dem Kriege mit Vorliebe Gewehre - allerdings damals noch sehr
ungefährliche uralte Donnerbüchsen mit niemals passender
Munition. Ohne Zweifel wird dieser Mangel in der letzten Zeit auf das beste und
wirksamste durch Lieferung guter und moderner Waffen mit den nötigen
Instruktionen behoben worden sein.
Zum Verständnis der Ovambo, besonders des großen
Stammes der Ovahuanjama und seiner Sprache, hat
H. Tönjes durch sein Buch Ovamboland und sein
Lehrbuch und Wörterbuch der Ovambosprache wesentlich
beigetragen.
Nach seinen Schilderungen sind die Bewohner des Ovambolandes ein
fleißiges, arbeitsames Volk. Um in den Besitz wenigstens einer kleinen
Herde zu gelangen, scheuen sie keine noch so große Arbeit und
Mühe. Die Pflege des Viehes wie auch die Bearbeitung der Äcker
erfordern große Anstrengungen. - Seit 50 Jahren und noch
länger zogen und ziehen noch alljährlich tausende junge Leute nach
dem Süden, um dort Arbeit und Verdienst zu finden. Dort sind sie von den
Deutschen als Arbeiter sehr geschätzt.
In dem Volk der Ovambo findet sich, vielleicht bedingt durch ihre Gebundenheit
an heidnischen Kult und Zauberei, viel Grausamkeit. Ein böses Wort ist oft
der Anlaß zu blutigsten Schlägereien. In ihrer Aufregung sind sich
die Leute kaum ihrer Taten und deren Folgen bewußt.
In dem Buch Ovamboland berichtet Tönjes:
"Auf unserer Station befanden sich
unter der besonderen Obhut meiner Frau eine Anzahl junger Mädchen. Der
Onkel eines derselben wohnte in unserer Nähe und suchte dieses zu
überreden, nachts mit einer Kameradin heimlich die Station zu verlassen,
um ihm bei den Feldarbeiten zu helfen. Am nächsten Morgen waren die
beiden dann auch wirklich ausgerückt. Sie waren schon längere Zeit
bei uns und, über den Grund ihres Verschwindens benachrichtigt, hielt ich
es für geboten, sie zurückzuholen.
Ich ritt persönlich zu dem betreffenden Mann und
traf ihn auch an. Auf meine Frage nach dem Grunde seines Verhaltens gab er
ausweichende Antworten, um bald darauf plötzlich zu verschwinden. Mit
den beiden Mädchen versteckte er sich in einem der nächsten
Gehöfte. Bald war dieses mit Hilfe meiner Begleiter entdeckt und auch die
beiden Flüchtlinge gefunden.
Darob geriet nun der betreffende Mann in furchtbare
Aufregung. Wütend wie ein Löwe, dem sein Raub entrissen, kam er
aus dem Gehöft, welches ich gerade betreten hatte, heraus, und wir zwei
stießen in einem engen, mit hohen Palisaden eingefaßten Gang
zusammen. Sobald er mich erblickte, ergriff er Bogen und Pfeil und legte,
fünf Schritte vor mir stehend, auf mich an, vor Aufregung am ganzen
Körper zitternd. Ruhig schaute ich ihn an und sagte: »Bedenke, was
du jetzt tun willst«, ihn keinen Moment aus den Augen lassend. Endlich
ließ er seinen Bogen sinken und durchbrach, um ins Freie zu gelangen, die
eine Palisadenwand. Nach einigen Tagen kam er auf meine Station und bat
demütig um Verzeihung."
In der Regel suchen aber die Ovambo, besonders im Umgang mit den
Weißen, die Ruhe zu bewahren. Der Weiße aber glaubt oft, dem
Eingebore- [123] nen zu imponieren,
wenn er möglichst laut schreit und poltert,
und - erreicht das gerade Gegenteil.
"Ich habe immer wieder gestaunt
über die Ruhe, die auch bei allerernstesten Gerichtsverhandlungen bewahrt
wurde. Sie haben ein von Geschlecht zu Geschlecht überliefertes Recht von
großer Feinheit der Unterscheidung und tiefem Sinn für
Gerechtigkeit.
Die Aufnahmefähigkeit der Ovambo für das
Gute unserer abendländischen Kultur ist überraschend groß. In
der Schule hatte ich reichlich Gelegenheit zu beobachten, wie viele meiner
schwarzen Schüler, was Intelligenz anbelangt, kaum hinter einer
großen Schar ihrer Kameraden in Europa zurückstehen dürften.
Eine Menge Kinder, Knaben und Mädchen, habe ich unterrichtet, die
spielend in kurzer Zeit die Kunst des Lesens lernten, obwohl sie früher nie
einen Buchstaben gesehen hatten. Einer der ersten Minister des Häuptlings,
der mich sehr oft besuchte, war so hingerissen von dem »Zauber«,
der in allem Geschriebenem und Gedrucktem verborgen ist, daß er in
seinem Alter - er war über 60 Jahre - ohne große
Schwierigkeiten noch die Kunst des Lesens lernte."
(Tönjes.)
Die Ovambo gehören, wie ihre südlichen Nachbarn, die Ovaherero,
zu der großen Familie der Bantu. Aber sie haben in langer
Seßhaftigkeit eine noch höhere Zivilisationsstufe erklommen als
diese. Sie sind Ackerbauer und Viehzüchter. In ihren Feldern ziehen sie als
Hauptprodukte zwei Hirsearten, außerdem noch Bohnen, Kürbisse
und eine Art Erdnüsse. Viele befassen sich auch mit dem Anbau des sehr
geschätzten Tabaks. (Der Name Ovambo ist wahrscheinlich zu
übersetzen mit "Bewohner von Gehöften".
Ovaneumbo = die [also Menschen] mit
eumbo = Gehöft.)
Je reicher und angesehener ein Ovambo ist, um so größer seine
Wohnstätte. Diese liegt in der Regel am Eingang, zuweilen auch in der
Mitte des Ackers. Die Wohnstätten werden beinahe kreisrund angelegt und
sind eingefriedigt mit Palisaden oder starkem Dorngestrüpp. Das Innere ist
in die benötigten Räume: Wohnraum, Schlafräume,
Küche, Scheune, Oschini (Stelle, wo sich die zum Mehlstampfen
benötigten Mörser befinden) und Kräle für das Vieh
eingeteilt.
An der Spitze eines jeden Stammes steht, mit unbeschränkter Gewalt
ausgerüstet, der Häuptling, König (Ohamba), umgeben von
der Schar seiner Minister, Richter und
Großleute. Das Stammesgebiet ist in Bezirke eingeteilt. Der
Bezirksvorsteher hat für Ruhe und Ordnung zu sorgen und ist für die
Durchführung königlicher Verordnungen in seinem Bezirk
verantwortlich.
Religiöser Aberglaube, nach dem auch ein noch so natürlicher Tod
auf bösen Zauber zurückzuführen ist, wo in jedem Fall der
Schuldige gesuchte werden muß und für seinen Tod mit dem eigenen
Leben zu büßen hat, sowie häufige kriegerische Unruhen
haben die zahlreiche Bevölkerung immer wieder stark verringert. Ihre
Hauptwaffen sind Bogen und
Pfeile - letztere häufig mit vergifteter
Spitze -, Speere, Dolche, Keulen. Moderne Schußwaffen waren und
sind [124] - jedenfalls auch
heute noch - in allen Stämmen in nicht geringer Anzahl
vorhanden.
In der Holzschneidekunst und im Flechten von Körben und Tellern aus
starken Palmenblättern sind viele wahre Meister. Das für ihre Waffen
und Werkzeuge benötigte Eisen holen sie sich aus im Nordosten des
Stammesgebietes gelegenen Gruben, wo die Erze gleich an Ort und Stelle durch
eigens dazu hergerichtete Öfen geschmolzen werden müssen. Das
reiche Vorkommen von Kupfer bei Tsumeb haben die Ovambo schon vor
hunderten von Jahren gekannt. Hier holten sie das für ihre
Handelsgegenstände benötigte Kupfer.
Eine Ausnahmestellung unter den Eingeborenen nahmen die Bastards
ein - nicht die zufälligen Produkte vorübergehender
Vereinigungen von Weiß und Schwarz, die häufig die schlechten
Eigenschaften beider Stammrassen in sich vereinten, sondern der Stamm
der Bastards, der vor mehr als 100 Jahren durch Vereinigung von Buren und
Hottentotten entstanden, zu einem Volk geworden ist und eine selbständige
Rasse bildet. Sie wurden von der deutschen Verwaltung besonders gut behandelt.
Ihr Gebiet in der Gegend von Rehoboth bestand aus dem fruchtbarsten Weideland
des ganzen Schutzgebietes und war durch besondere Maßnahmen
geschützt; z. B. durfte kein Farmer hier Land erwerben. Stets waren
die Bastards der deutschen Regierung freundlich und beteiligten sich an keinem
Aufstand; während des großen Aufstandes nahm sogar eine
Bastard-Kompanie auf seiten der Weißen am Kampf gegen die Farbigen
teil...
Vielleicht hätte diese ein wenig zu große Loyalität
doch die Deutschen stutzig machen sollen, die stets jede Rassenmischung
aufs schärfste bekämpft
haben - so sehr sie auch eine den Eingeborenen gerecht werdende
Behandlung durchzuführen suchten. Die Bastards lohnten es den Deutschen
schlecht; sie kehrten sich während des Weltkrieges als einziger
Eingeborenenstamm, von den Engländern verhetzt und gekauft, gegen die
Deutschen, und zwar zeigten sie sich von einer Grausamkeit gegen die
weißen Farmer und deren Familien, die früher von den Hereros und
Hottentotten auch nicht übertroffen worden war. Die Bastards erhoben sich,
als die südafrikanischen Unionstruppen unter Führung des uns aus
dem Burenkriege bekannten General Botha sich anschickten, das
Schutzgebiet mit ungeheurer Übermacht zu besetzen. Die Bastards wurden
trotzdem von unseren Schutztruppen in einigen Gefechten erledigt.
Die Bastards leben auf einer verhältnismäßig hohen Stufe der
Zivilisation. Außer Garten- und Ackerbau beschäftigen sie sich fast
ausschließlich mit Vieh-, vor allem mit Pferdezucht, und produzierten ein
kleines, aber hartes und bedürfnisloses Pferd, das der Schutztruppe gute
Dienste geleistet hat. Es ist mit dem auf dem östlichen Schauplatz des
Weltkrieges berühmt gewordenen "Panjepferd", dem struppigen,
ausdauernden polnischen Gaul zu vergleichen.
Das Volk der Bastards hat nach dem Kriege eine bedeutsame Veränderung
erfahren: Unter der deutschen Herrschaft war der Schnapsverkauf verboten, die
Mandatsherren haben ihn zugelassen. Viele Bastards, die früher
wohlhabend [125-126=Fotos]
[127] waren, sind infolge ihrer bereitwillig unterstützten
Trunksucht verarmt; ihr Vermögen und ihr Land gehören den neuen
Herren... "Dem Deutschen Reiche aber", sagt Major Rothmaler
sehr richtig, "glaubten unsere Feinde, die Ausbildung und Erziehung der
Bevölkerung nicht mehr anvertrauen zu dürfen! Wahrheit und
Dichtung!"
"Von den Hottentotten leben noch
heute drei Gruppen in Reservaten in ihren alten Organisationen, ebenso die
Ovambo, ein Teil der Klippkaffern und die Bastards. Der Rest ist zumeist als
Hauspersonal, Farmarbeiter oder Hirten im Dienst der weißen Siedler. Der
Rassenstolz der Engländer, außerdem die Heimattreue der deutschen
Siedler lassen in Zukunft eine Vermischung mit den
zurückgedrängten Resten der wenig geachteten Urbevölkerung
unwahrscheinlich sein. Die weiße Bevölkerung zeigt ein
beständiges erfreuliches Wachstum, wie es dem Charakter einer
Siedlungskolonie entspricht, und langsam nahm der Hundertsatz der weiblichen
Bewohner zu. Allerdings brachten die langen Aufstandjahre einen schweren
Rückschlag." (Schnee.)
Die Erschließung des
Landes
Es klingt sehr einfach, wenn wir sagen, daß ein Land durch Verkehrsmittel
erschlossen wird - die Frage bleibt offen, wie denn diese Verkehrsmittel
transportiert werden sollen. Die meisten Europäer sind stets, sei es zu
Fuß oder zu Wagen, an die gebahnte Straße
gewöhnt - die wenigsten kennen aus Manöver oder Krieg, von
Geländeritten oder Jagden hinter den Hunden das wunderbare Gefühl
des nicht an den gebahnten Weg Gebundenseins. Gerät der
Durchschnittseuropäer aber einmal vom Wege ab, so ist er in den meisten
Fällen verraten und verkauft.
Südwestafrika war ein Land ohne Wege; nur die "Pad"
existierte - das heißt die Strecke, auf der einmal ein Wagen gefahren
war und tiefe Spuren hinterlassen hatte. Die nächsten folgen
ungefähr den Gleisen und markierten so ein immer breiter werdendes
Fahrband mit jähen Rillen. Während des Krieges gab es in Polen und
Rußland Sandwege, die an die Pad erinnerten; alle, die auf ihnen
weiterkommen mußten, können ein Lied von ihrer Beschaffenheit
singen. Das Transportmittel auf der Pad war der schwere, mit zwanzig und mehr
Ochsen bespannte Wagen - sein Tempo können wir uns
vergegenwärtigen, wenn wir bedenken, daß die Reise von
Swakopmund nach Windhuk, etwa 300 km, drei Wochen dauerte:
100 km pro Woche, 14 km am
Tage - nervöse Menschen können bei dem Gedanken allein
ungeduldig werden!
Zum Verkehr gehört aber auch die
Nachrichtenübermittlung. Drahtlose Telegraphie existierte noch
nicht, der wie immer kurzsichtige,
kolonie- [128] feindliche und
einseitige Reichstag bewilligte keine Mittel - so blieb der kleinen, viel zu
kleinen Schutztruppe die Aufgabe, in jeder Weise für die Anlage von
"Verkehrsmitteln" zu sorgen. Die Nachrichtenübermittlung machte
zunächst die geringste Mühe: Die Kavalleristen waren
großenteils auf der Telegraphenschule gewesen und am Heliographen
ausgebildet. Die mit geringen Unterbrechungen scheinende Sonne erleichterte es
den einzelnen Stationen, mit ihren Sonnenspiegeln, die sie auf hohen Bergkuppen
aufgestellt hatten, eine am Tage selten unterbrochene Verbindung
herzustellen.
Außerdem aber besserten sie die Wege, sprengten hindernde Felsen und,
das wichtigste von allem, sie erschlossen neue Wasserstellen, die dem
reisenden Händler die Gewißheit geben sollten, am Ende der
Tagesleistung mit Bestimmtheit Wasser zu finden. Bisher waren oft
Wasserstellen, die bis vor kurzer Zeit bestanden hatten, versiegt, wenn der Wagen
wiederkam... Dann blieben die Tiere ohne Tränkung und fraßen vor
Durst nichts; blieb dann aber auch am nächsten Tage das Wasser aus, so
gingen die Zugtiere ein, und die Fahrt nahm ein trauriges Ende oder brachte zum
mindesten dem Unternehmer schwere Verluste. Die Karten des Landes waren
höchst ungenau, so daß gerade im wichtigsten Punkte, der
Wasserversorgung, kein Verlaß auf sie war und sie mehr Unheil als Gutes
stifteten. Die vorgebildeten Offiziere der Schutztruppe fertigten neues und
sicheres Kartenmaterial an, und auch die Unteroffiziere und Mannschaften
skizzierten auf Patrouillenritten das Gelände und trugen zur Verbesserung
der Verkehrsverhältnisse bei.
So entwickelten sich zwei Hauptwege, die von der Küste ins Innere
führten: einer im mittleren Teil der Kolonie von Swakopmund nach
Windhuk und einer im Süden des Landes von
Lüderitzbucht nach Keetmanshoop - die Ausgangspunkte
waren durch die beiden einzigen Landungsstellen am Ufer des Schutzgebietes
gegeben. Aber die Schwierigkeiten des Verkehrs begannen schon auf dem
Wasser. Wie wir schon gesehen haben, behindert die Ozeanbrandung, die bei
auffrischendem Winde zu mächtig stürzenden Wasserbergen
anschwillt, die Landung oder macht sie auch ganz unmöglich, so daß
die Dampfer manchmal tagelang auf hoher See liegen mußten, ohne ihre
Passagiere an Land setzen oder ihre Ladung löschen zu können. Die
einzige Möglichkeit, etwas an den Strand zu bringen, bestand in der
Beförderung mit Kähnen von drei Tonnen Fassungsvermögen;
Kruneger, die in Liberia angeworben worden waren und von ihrer Heimat her mit
dem Ausbooten in gefährlicher Brandung vertraut waren, führten die
Kähne mit großer Geschicklichkeit durch die tosenden Wassermassen
und setzen sie mit der auslaufenden Brandung hoch auf den Strand, wo ihnen die
Flut nichts mehr anhaben konnte. Von solchem Ausbooten in krachenden
Brechern liest es sich sehr behaglich; aber wenn man hört, welch Gekreisch
und Gezeter sich etwa bei dem sehr harmlosen Ausbooten in Helgoland bei ein
wenig bewegter See erheben, dann möchte man oft die ängstlichen
Gemüter in ein afrikanisches Boot setzen und sehen, was für [129] Gesichter sie mitten in
der Brandung machen würden... Es ist im allgemeinen nicht viel beim
Ausbooten passiert: nur, wenn gegen den Rat der Erfahrenen Neulinge bei hoher
See auf der Landung bestanden, sind Menschen zugrunde gegangen. Es ist ohne
weiteres klar, welches Hemmnis diese Zustände für die
Erschließung der Kolonie bildeten, da die notwendigsten Materialien nur
mit Mühe an Land gebracht werden konnten! Dazu war die Hilfe, die das
Mutterland der neuen Erwerbung angedeihen ließ, kläglich. Zehn
Jahre nach der Erwerbung Südwestafrikas bestand eine einzige
Postagentur für das ganze Land in Windhuk; 1899 waren es dann
glücklich 32 geworden. Ochsenwagen und Boten zu Fuß bildeten die
einzigen Postbeförderungsmittel; ein Brief von Swakopmund nach
Windhuk brauchte ebenso drei Wochen wie jeder andere Gegenstand, der ins
Land gebracht wurde.
Ein Unglück mußte kommen, um die kolonialfremden
Reichstagsabgeordneten, von denen kaum einer die Bedürfnisse einer
jungen Kolonie richtig beurteilte, zu bestimmen, wenigstens einige
spärliche Mittel zur Verfügung zu stellen. 1897 brach das
große Viehsterben, die Rinderpest, über Südwest herein und
vernichtete in kurzer Zeit ungeheuere Bestände an Wild und Haustieren.
Die Zugochsen wurden rar, der schwerfällige Verkehr drohte ganz ins
Stocken zu kommen. So wurde denn der an sich ganz unzureichende
Beschluß gefaßt, eine Eisenbahn durch die Namib zu bauen, um die
schlimmste Durststrecke zu überwinden. Im Herbst 1897 begann der
Bahnbau, zunächst bis Jakalswater am Ostrand der Namib; als dies Ziel
erreicht war, wurden weitere Mittel bewilligt, so daß in
fünf - fünf!! - Jahren endlich die 300 km bis
Windhuk als Staatsbahnstrecke ausgebaut waren.
Das klingt gut, wir denken an D-Züge, Schnellzugslokomotiven,
Speisewagen... In Wirklichkeit sah die
Swakopmund - Windhuk-Bahn anders aus. Da die erste Bedingung
möglichste Billigkeit des Unternehmens war, mußte die
Armee den Bau übernehmen, und zwar mit dem in Berliner Depots
liegenden Feldbahnmaterial, Spurweite
60 cm - das immer nur als Behelf in Kriegszeiten angesehen worden
war. Kein Mensch hätte daran denken sollen, eine ständige, zur
Erschließung des Landes bestimmte Linie mit solchem Material zu bauen.
Die Bahnen im englischen Südafrika hatten eine Spurweite von
1,067 m; allein die Erwägung, daß über kurz oder lang
ein Anschluß an diese Linien notwendig sein könnte, hätte eine
großzügigere Anlage vorsehen müssen, von
Sachverständigen geplant und ausgeführt, die Landeskenntnis genug
besaßen, um voreilige ungenügende Bauten zu verhindern, die sich in
unruhigen Zeiten nicht bewähren konnten. Erst Dr. Stübel setzte seit
1900 den Bau von 1800 km Eisenbahn, darunter die 600 km lange
Otawibahn, beim Reichstag durch.
Die Eisenbahnbrigade in Berlin kommandierte Offiziere und Mannschaften als
Aufsichtspersonal nach Südwest ab; unter ihrer Leitung bauten schwarze
Arbeiter die Strecke, für die natürlich ein ausgedehnteres Netz nicht
in Aussicht genommen war. Da teure Brückenanlagen vermieden werden
sollten, bekam die [130] Bahn eine
ungünstige Trasse, hatte Steigungen zu überwinden, die nur
erklommen werden konnten, indem man den Zug teilte; der Wassermangel in der
Namib kam hinzu, so daß nicht einmal die Leistungsfähigkeit dieser
Kleinbahn mit ihren Wagen von fünf Tonnen Traglast voll
ausgenützt werden konnte. Nach Vollendung der ganzen Strecke
Swakopmund - Karibib - Windhuk, Entfernung
380 km, brauchte ein Zug zu ihrer Bewältigung drei
Tage - immerhin gegen die drei Wochen der Ochsenkarren eine gewaltige
Verbesserung. Gleichzeitig wurde eine Telegraphenlinie nach Windhuk angelegt,
die mit den Heliographenstationen in Verbindung stand und an das englische
Kabel angeschlossen wurde, so daß nun wenigstens die Kolonie mit der
übrigen Welt in Verkehr treten konnte. Aber alles blieb unvollkommen,
solange nicht die Landungsmöglichkeiten von Wind und Wellen
unabhängig waren: es wurde also endlich der Bau einer Steinmole von
375 m Länge ausgeführt; ein nach Norden abbiegender
Querarm bildete ein Hafenbecken, in dem Leichter von 30 Tonnen Tragkraft
anzulegen und mittels Dampfkrähnen ihre Ladung direkt in die
Feldbahnwagen zu löschen vermochten. Die Überseedampfer
konnten nicht an die Mole herankommen.
Vielleicht wird die ungeheuerliche Kraft der an jenen Küsten herrschenden
Brandung am besten klar, wenn wir erfahren, daß der Molenkopf des
Querarmes schon nach wenigen Monaten von den Wellen entzweigeschlagen und
vom Meere her so viel Sand angespült wurde, daß der Hafen bald
unbrauchbar schien. 1905, gerade als während des Aufstandes die Mole
dringend benötigt wurde, mußte sie außer Betrieb gesetzt
werden.
Immerhin hatte bis zum Jahre 1904 die Kolonie trotz der geringen
Förderung, die die Heimat bot, einen beträchtlichen Aufschwung
genommen; es schien alles im besten Gedeihen, als der Hereroaufstand einsetzte,
zunächst jahrelange Unsicherheit über das Land brachte und
unendlich viel Geld und Menschenleben kostete. Die Kernfrage war der Erwerb
von Land von den Eingeborenen zu Siedlungszwecken, der den
Stammesgepflogenheiten der viehhaltenden, Wasserstellen benötigenden
Hereros widersprach. In den ersten Januartagen 1904 brach der Aufstand der
beunruhigten Häuptlinge, die sich wegen der Landverkäufe ihres
trunksüchtigen Oberhäuptlings Samuel verschworen hatten, aus. Die
kleine Schutztruppe von 800 Mann war den gut bewaffneten 10 000
Kriegern der Hereros und Hottentotten gegenüber zunächst machtlos;
nun wurden immer neue Hilfskräfte aus Deutschland geholt, bis
schließlich eine Armee von 10 000 Mann in Südwest
versammelt war. Diese aber wollte versorgt sein; da die Nahrungsmittel, vor allem
Fleisch, infolge des Viehsterbens der neunziger Jahre, nicht ausreichten,
mußten auch diese eingeführt werden. Ebenso fehlte Gemüse,
Brot und Heu für die Pferde - auch dieses mußte über
See kommen. Ein ausgedehntes Nachschubwesen mußte eingerichtet
werden, da nur eine Bahn, ein Telegraph zur Verfügung
stand und die erforderlichen Transportmittel im Lande nicht aufzutreiben
waren.
Die Importzahlen des Jahres 1906 geben uns ein anschauliches Bild
[131] von den
Schwierigkeiten, mit denen die Kolonie infolge ganz ungenügender
Voraussicht zu kämpfen
hatte - aber sie zeigen uns auch, was die deutschen Truppen damals
geleistet haben, in jenen Tagen der Gefahr, von denen heute nur wenige noch
etwas wissen. Allein in Swakopmund wurden nach dem Bericht des Majors
Fahnert außer Truppen 30 000 Stück Großvieh,
8000 Stück Kleinvieh und 200 000 Tonnen Güter
gelandet.
Kurz vor dem Aufstand war von privater Seite ein zweiter Bahnbau
begonnen worden, welcher dem Abbau der Otavikupferminen dienen
sollte. Auch diese von der damals bekannten Baufirma Koppel angelegte Strecke
wurde in 60 cm-Spurweite, aber schwererem Material ausgeführt, so
daß die Wagen und Maschinen der Otavibahn auf der Staatsstrecke nicht zu
brauchen waren - es muß nur alles möglichst praktisch
eingerichtet werden! Ein ziemlich groteskes Bild ergab sich, da die neue Bahn
200 km, bis Karibib, der Staatsbahn parallel lief; da aber ihre Linie durch
bequemeres Gelände führte, konnte sie mehr als diese leisten und ist
dann auch, von italienischen Arbeitern während des Aufstandes fertig
gebaut, von großem Nutzen gewesen. Später wurden beide Strecken
bei Karibib miteinander verbunden; ein Auswechseln des Materials aber blieb
unmöglich. Die ganze Länge der Minenbahn betrug
567 km.
Nach wie vor blieb die Vorbedingung für den Verkehr im Innern die
Verbesserung der Landungsmöglichkeiten.
"Diese bedurften", berichtet Major
Fahnert, "bei dem allmählichen Versanden der Mole einer
gründlichen Korrektur. Zunächst wurde das Landewesen am Strande
verbessert durch Bau von Tonnenflößen. Tiere und Fahrzeuge
wurden von Bord auf sie niedergelassen; Dampfwinden zogen die
Flöße an Land. Den Hauptfortschritt aber brachte der von der
Eisenbahntruppe unter Führung des Hauptmanns Bauer erbaute
hölzerne Pier von 9,25 m Breite und 325 m Länge, auf
dem Dampfkräne bis zu drei Tonnen Hebekraft standen. Die Jahresleistung
des Piers betrug 1906 über 200 000 Tonnen. Er war also imstande,
das zu leisten, was an Mole und Strand bisher gemeinsam gelöscht worden
war. Seine Vollendung war eine Glanzleistung für die Eisenbahntruppe,
deren Angehörige unter unsäglichen Mühen dieses
Werk vollendeten. Wie oft wurden sie bei Tag- und Nachtarbeit vollkommen von
dem eiskalten Wasser der dortigen Meeresströmung durchnäßt,
wenn sie, an den Pfählen der Brücke sich festhaltend, die
Brandungswellen über sich ergehen lassen mußten! Manche
Todesopfer zeugen von ihrem Mute!"
Da die Strömung unter der Brücke durchfluten konnte, war ein
Versanden ausgeschlossen; aber ein anderer Übelstand machte sich sehr
störend bemerkbar: das Holz wurde vom Bohrwurm angegriffen und so
brüchig, daß ein unaufhörliches Auswechseln der
Stützen und Träger notwendig wurde. Erst im Jahre 1912 ist der
hölzerne durch einen eisernen Pier ersetzt worden.
Im Süden lagen die Verhältnisse noch viel mehr im argen, als in der
Swakopmunder Gegend; bis zum Aufstand war so gut wie nichts zu seiner
Erschließung geschehen. Gewiß war die Situation schwierig, da
Lüderitzbucht kein Wasser [132] hatte, der dem Innern
vorgelagerte Dünengürtel von beträchtlicher Breite und das
Hinterland wasser- und vegetationsarm war. Nun aber griff der
Hottentottenaufstand nach dem Namaland über; es blieb nichts anderes
übrig, als "das Zentrum des Südens", Keetmanshoop, zum
Hauptetappenort des Feldzuges zu machen und dementsprechend zu
versorgen - aber wie sollte das geschehen? Über Windhuk?
550 km waren zu überwinden, und die Staatsbahnzüge schon
so überlastet. Es blieb aber schließlich, im Jahre 1906, nichts anderes
übrig, als die Natur selbst sich feindlich zeigte: die Regenzeit um die
Wende 1905/06 war ausgeblieben und der "Baiweg", die von Lüderitzbucht
nach Keetmanshoop führende Straße, weidelos... Nun mußte
alles den weiten Umweg über Windhuk machen. Damals wurden allein
zum Nachschub von Windhuk nach Keetmanshoop militärische Kolonnen
von 1600 Köpfen mit rund 11 000 Tieren, Ochsen, Maultieren, Eseln
eingesetzt. Das reichte für die Verpflegungsstärke einer Truppe von
2300 Mann. Es waren aber im ganzen zu versorgen 5000 Mann und 6000 Tiere,
außer der Zivilbevölkerung. (Fahnert.)
Natürlich war dies ein unhaltbarer Zustand, der den Erfolg der Waffen
zunichte machen konnte; also mußte die nördliche
Etappenstraße entlastet werden. Dazu war es nötig, die
Landungsverhältnisse in Lüderitzbucht zu verbessern, dort Wasser zu
schaffen und den Weg nach Keetmanshoop durch Wasserstellen und Ausbau zu
sichern. Alles fiel wiederum der Eisenbahntruppe zu, die in Südwest
geradezu Unvorstellbares geleistet hat. Es wurden zunächst in
Lüderitzbucht zwei Landungsbrücken von 85 und 125 m
Länge gebaut; ein Seewasserkondensator wurde beschafft, der den Ort
wenigstens von den aus Kapstadt kommenden Wasserdampfern unabhängig
machen sollte. So konnte das ankommende Vieh getränkt werden, ehe es
auf den Marsch nach dem Innern geschickt wurde, auf den berüchtigten
Baiweg, der trotz Wegebesserung und Wasserstellen zum Todesweg für
Tausende und aber Tausende von Tieren werden sollte. Die Entfernung von
Lüderitzbucht nach Keetmanshoop beträgt 250 km; 2500
Mann mit 11 000 Tieren wurden auf dieser Strecke eingesetzt. "Jeder
Afrikaner wird sich nur noch mit Ekel jenes Weges entsinnen; man konnte ihn
den Todesweg der vor Hunger und Durst erschöpften Tiere nennen. Es war
so, daß man ihn in der Dunkelheit nach dem Geruch der verwesenden
Kadaver finden konnte. Besondere Patrouillen gingen, um die Überreste der
Tiere beiseite zu räumen und zu verbrennen, da die Aasgeier mit dieser
Masse nicht fertig werden konnten..."
Als der Aufstand niedergeschlagen war, Weihnachten 1906, war die endlich im
August des Jahres genehmigte Bahn bis Aus, der ersten, 125 km
von Lüderitzbucht entfernten Wasserstation in Kapspurbreite
(1,067 m) fertig.
Der Reichstag bewilligte den durch den Aufstand geschädigten Ansiedlern
2 Mill. Mark, was dem verstörten Lande wieder Mut zusprach.
Stübels Nachfolger Dernburg brachte eine neue koloniale Eisenbahnvorlage
durch, die ein umfangreicheres Schienennetz sicherstellte. Diamantenfunde hoben
die Stimmung in der Heimat und führten zu lebhaftem Aufschwung in
Südwest.
[133] Nun, nachdem die
Kämpfe im großen und ganzen beendigt waren, ging die
Erschließung des Landes durch das Militär schnell vonstatten.
Telegraphenlinien wurden ausgebaut, Funkstationen kamen ins Land, Wege
wurden gebaut, Brunnen und Staudämme angelegt; auch
Privatunternehmungen beteiligten sich an den Brunnenbohrungen. Eine
Feldmessungsabteilung des Großen Generalstabes verfertigte endlich
genaue Karten, so daß nun dem Reisenden und seinen Tieren nicht mehr
täglich der Verdurstungstod drohte.
Nun wurde auch, nachdem man sich in der Heimat davon überzeugt hatte,
daß Südwest ertragreich für Deutschland gestaltet werden
könne, auch das Bahnwesen in Ordnung gebracht und
vereinheitlicht - nachdem drei Linien zunächst in drei verschiedenen
Spurweiten bzw. Tragfähigkeiten angelegt worden waren. Bis zum Jahre
1912 wurde der Bau der Verbindungsbahn
Windhuk - Keetmanshoop von der Eisenbahntruppe
durchgeführt - eine schwierige Strecke, die bis zu einer Höhe
von 1923 m in einer Steigung von 28% hinaufführt; die Strecke
Aus - Keetmanshoop war schon vorher fertig geworden, alles in
Kapspur. In derselben Breite wurden nun auch die Schienen der Otavibahn
umgelegt, so daß die Strecke
Swakopmund - Karibib - Windhuk -
Keetmanshoop - Lüderitzbucht ein einheitliches Ganzes darstellte.
Wenn die Truppen bei Ausbruch des Aufstandes ein solches Netz vorgefunden
hätten, wären die Kämpfe anders verlaufen, wenn sie
überhaupt stattgefunden hätten - denn die Hereros vertrauten
nicht zuletzt auf die Schwierigkeiten des Nachschubes, die den Deutschen
erwachsen mußten.
Alles andere entwickelte sich zeitgemäß weiter: Autostraßen
entstanden, Funkstationen sorgten für stete Verbindung mit den anderen
deutschen Kolonien in Afrika, feste Posttelegraphenleitungen ersetzten die
Feldkabel der Schutztruppe. Aber ein Übelstand erschwerte die Besiedlung
und Ausnutzung der Kolonie noch eine Zeitlang nach dem Kriege: der Mangel an
eingeborenen Arbeitskräften, ohne die eine vollkommene
Erschließung des Landes nicht möglich war. "Der Weiße
arbeitet zu teuer; ohne die billige Hilfe der Eingeborenen kann er sich keine
Existenz schaffen. Die einfachen Bedürfnisse der Eingeborenen erlauben
diesem, ein glückliches Dasein zu führen mit weit bescheideneren
Mitteln, als sie der Europäer, selbst der unverwöhnteste,
braucht."
Aber trotz allem brachte es die Kolonie vor dem Weltkriege zu einem
bedeutenden Aufschwung, der durch folgende Zahlen klar wird: Einfuhr 1903: 8,3
Millionen, Ausfuhr 3,5 Millionen; Einfuhr 1912: 32,5 Millionen, Ausfuhr 39
Millionen; weiße Bevölkerung: 1904 etwa 4000, 1912 etwa
15 000 Köpfe.
Es ist notwendig, gerade aus der Geschichte Südwestafrikas heraus die
Vorwürfe zu untersuchen, die uns von unseren Gegnern gemacht worden
sind, und zu prüfen, wie sich die anderen Kolonisatoren Südafrikas
benommen haben.
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