I. Antwort der Alliierten und Assoziierten Mächte auf die Bemerkungen der Deutschen Delegation zu den Friedensbedingungen
Die Bemerkungen der Deutschen Delegation zu den Bestimmungen über die Verkehrswege (Teil XII der Friedensbedingungen) sind zum großen Teil zu allgemein gehalten, um eine ins einzelne gehende Antwort zu gestatten. Sie stellen im übrigen keine Einwendungen technischer Art dar. Die Deutsche Delegation scheint überall anzuerkennen, daß die vorgeschlagenen Maßregeln sich praktisch durchführen lassen. Ihr Widerspruch ist in erster Linie ein grundsätzlicher Widerspruch vom theoretischen und politischen Standpunkt. Diese Einwendungen und Beanstandungen lassen sich in der Tat dahin zusammenfassen: Deutschland erblickt einerseits in jeder Bestimmung, die in die Verwaltung seiner Häfen, Schiffahrtsstraßen und Eisenbahnen irgendeine internationale Überwachung einführt und selbst in einer bestimmten, im Friedensvertrag niedergelegten Vertragsverpflichtung eine Beeinträchtigung seiner Souveränität; anderseits verlangt Deutschland, sofort in den Völkerbund auf dem Fuße völliger Gleichberechtigung mit den anderen Völkern aufgenommen zu werden und weigert sich aus diesem Grunde, Verpflichtungen auf sich zu nehmen, die nicht auf der Grundlage der Gegenseitigkeit mit alsbaldiger Wirkung auch für die Alliierten und Assoziierten Mächte verbindlich sind. Allein durch diese beiden gegenseitigen Gesichtspunkte erklären sich die Einwendungen im einzelnen und der Widerspruch, der gegen die Lösung der einzelnen bestimmten Fragen geltend gemacht wird. Deutschland scheint mit dem Grundsatz freien Durchgangs und internationalen Verkehrs einverstanden zu sein; aber sobald Maßnahmen ins Auge gefaßt werden, die die Anwendung dieser Grundsätze auf seinem Gebiet verlangen, führt es alsbald an, es könne sich "keine Einmischung in seinen Eisenbahnverkehr und -betrieb gefallen lassen" oder "die Lebenskraft der deutschen Seestädte würde absichtlich beeinträchtigt, wenn die Alliierten und Assoziierten Mächte das Recht zur Benutzung der Häfen und der Schiffahrtsstraßen in einer Weise in Anspruch nehmen, die sich in der Praxis jeder deutschen Überwachung entziehe", oder ein im voraus verlangter Beitritt zu künftigen, internationalen Übereinkommen über Verkehrswege ist mit seiner Würde unvereinbar; die vorgesehene Anlage von Eisenbahnen und Kanälen auf deutschem Grund und Boden stellt eine Verletzung von seiner Unabhängigkeit dar; in anderen Fällen (Tarifordnung auf den Eisenbahnen, Gleichberechtigung aller Nationen in den Häfen und auf den Schiffahrtsstraßen) nimmt Deutschland die vorgeschlagenen Bedingungen nur mit bestimmten Vorbehalten und unter der Bedingung sofortiger Gegenseitigkeit seitens der Alliierten und Assoziierten Mächte an. Ebenso ist hervor- [70] zuheben, daß Deutschland hinsichtlich der Danziger Frage sich zwar bereit erklärt, Polen zum Zweck eines freien Zugangs zum Meer ähnliche Vorteile und Vergünstigungen einzuräumen, wie die, die Deutschland in Hamburg und Stettin der Tschecho-Slowakei zugestehen soll, jedoch will Deutschland in beiden Fällen, ohne grundsätzliche Einwendungen zu erheben, die Frage zum Gegenstand und Mittelpunkt einer besonderen Verhandlung mit den allein Beteiligten machen und jede internationale Garantie ausschalten; auch hinsichtlich der Bestimmungen für die Elbe, die Donau und die Memel sieht Deutschland von jeder technischen Einwendung ab, will aber aus ähnlichen Gründen sie freundschaftlichem Übereinkommen vorbehalten, die allein mit den Souveränitätsrechten des deutschen Staates vereinbar seien. Der Völkerbundsvertrag sieht ausdrücklich vor (Artikel 23 e), "daß die nötigen Bestimmungen getroffen werden sollen, um die Freiheit des Verkehrs und der Durchfuhr, sowie die gerechte Behandlung des Handels aller Bundesmitglieder zu gewährleisten und aufrechtzuerhalten, mit der Maßgabe, daß die besonderen Bedürfnisse der während des Krieges von 1914/1918 verwüsteten Gegenden berücksichtigt werden sollen". Gerade diese Verkehrsfreiheit und diese Gleichberechtigung aller Nationen auf dem deutschen Gebiete werden in Teil XII der Friedensbedingungen festgesetzt und garantiert. Bis allgemeine Übereinkommen als Bestandteile der Völkerbundssatzung dieser ein größeres Feld der Anwendung verschaffen, war es notwendig, schon in den Friedensvertrag deren wesentliche Vorschriften aufzunehmen und andererseits im voraus ihre vollständige Annahme für die Zukunft zu fordern, damit nicht ein feindlicher Staat durch künftige Obstruktionsversuche und aus politischen Gründen deren Ausführung verhindert. Die Ausdehnung dieser Vorschriften und die Zusage gegebenenfalls eintretender Gegenseitigkeit für alle, bei denen eine solche Gegenseitigkeit möglich ist, ist formell vorgesehen, aber erst nach 5 Jahren, es sei denn, daß der Rat des Völkerbundes eine Verlängerung dieser Frist bestimmt. Es wäre in der Tat unannehmbar, wenn Deutschland infolge ihm sofort zugebilligter gleicher Behandlung mittelbar Vorteile aus den Verwüstungen und dem wirtschaftlichen Ruin zöge, die seiner Regierung und seinen Heeren zur Last fallen. Ist aber diese Frist abgelaufen, so erlangt Deutschland entweder die Anwendbarkeit derjenigen Vorschriften, in denen es heute eine unerträgliche Einmischung erblickt, auch für das Gebiet der Alliierten und Assoziierten Mächte, oder aber diese Vorschriften verlieren ihre verbindliche Kraft auch für Deutschland. Dies sind die Grundsätze, die den Text des Friedensvertrages, soweit er die allgemeine Verkehrsregelung auf den Verkehrswegen betrifft, bestimmen und erklären. Keinesfalls haben die Alliierten und Assoziierten Mächte versucht, Deutschland die rechtmäßige Geltendmachung seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit zu verwehren. Ihr Entschluß ist lediglich, Mißbräuche zu verhindern. Vor allem haben sie die Freiheit der Verkehrswege und des Durchgangsverkehrs von und nach den jungen, rings eingeschlossenen Staaten sicherstellen wollen, die ohne bestimmte Garantien ihre politische Unabhängigkeit gewonnen hätten, um wieder unter die wirtschaftliche Vormundschaft Deutschlands zu geraten. Derselbe Gedankengang hat die Lösung der bestimmten Einzelfragen veranlaßt und beherrscht, die sich aus der Schaffung einer Ordnung für bestimmt bezeichnete Verkehrswege ergaben. [71] So finden die Bestimmungen über die Binnenschiffahrtswege nur Anwendung auf internationale Flußgebiete im Sinne des Wiener Kongresses und späterer Übereinkommen. Die Oder insbesondere ist von der Mündung der Oppa an auf Grund eines Vertrages zwischen Österreich und Preußen vom 8. August 1839 international erklärt; daher ist die Tschecho-Slowakei an der Schiffahrtsordnung dieses Flusses rechtlich mitbeteiligt. Gleichermaßen bilden die Kanäle, von denen der Vertrag spricht, nicht das allgemeine deutsche Kanalsystem; sie sind vielmehr, mit Ausnahme der Schiffahrtsstraßen Rhein-Maas und Rhein-Donau, Seitenkanäle, welche von Natur schiffbare Abschnitte eines derartigen internationalen Flusses verdoppeln oder verbessern. Es sei in diesem Zusammenhange hervorgehoben, daß die Tschecho-Slowakei bereit ist, eine bestimmte Anzahl von Kanälen, deren spätere Anlage zwecks Verlängerung dieses schiffbaren Flußnetzes durch ihr Gebiet ins Auge gefaßt ist, unter die Verwaltung des internationalen Oder-Ausschusses zu stellen. Was schließlich die Amtsbefugnisse der Flußkommissionen anbelangt, so beschränken diese sich auf die praktische Verwirklichung der Grundsätze der Artikel 232/237 des Vertrags oder eines künftigen allgemeinen Übereinkommens, das dem Völkerbund zur Zustimmung vorgelegt werden soll. Ihre Befugnisse erstrecken sich nicht nur auf deutsches Gebiet, sondern stets auch auf das Gebiet mindestens einer Alliierten oder Assoziierten Macht. Die Internationalisierung der Elbe ist sogar auf einen ihrer Nebenflüsse ausgedehnt, der ausschließlich in tschecho-slowakischem Gebiet verläuft, nämlich die Moldau bis Prag. In Übereinstimmung mit allen früheren ähnlichen Fällen bezweckt die Schiffahrtsordnung auf diesen Flüssen lediglich die Gleichheit der Staatsangehörigen aller Nationen festzustellen und einem einzelnen Uferstaat zu verwehren, seine geographische Lage und die Tatsache, daß ein großer internationaler Verkehrsweg durch sein Gebiet geht, als wirtschaftliches oder politisches Druckmittel gegenüber den davon abhängigen Staaten zu benutzen. Wenn in den Flußausschüssen außer den Uferstaaten auch Nicht-Uferstaaten vertreten sind, so geschieht das einesteils, weil die letzteren das Allgemeininteresse freien Verkehrs auf den Flüssen, die als Durchgangswege gelten, wahrnehmen, andernteils zu dem Zweck, um im Schoße der Flußausschüsse ein Gegengewicht gegen den überwiegenden und einen Mißbrauch zum Schaden anderer ermöglichenden Einfluß des stärksten Uferstaates zu schaffen. In der gleichen Weise hat bei der Bemessung der Vertreterzahl für jeden Uferstaat das oberste Interesse des freien Verkehrs ausschlaggebend zu sein. Die Internationalisation wird für den gegebenen künftigen Fall oder auch jetzt schon auf bestimmte Verbindungsschiffahrtsstraßen ausgedehnt: Der Schiffahrtsweg Rhein-Maas und der Schiffahrtsweg Rhein-Donau, deren Bau ins Auge gefaßt ist, und die Entwicklung der Binnenschiffahrtsverbindungen zwischen der Nordsee und dem Schwarzen Meer, ebenso wie zur Befriedigung der wirtschaftlichen Lebensinteressen Belgiens und der neuen Staaten des europäischen Ostens notwendig sind, dürfen nicht ohne Bürgschaften allein unter der Überwachung Deutschlands stehen. Der Kieler Kanal, der ausschließlich zu militärischen Zwecken angelegt ist, verbleibt in deutscher Verwaltung, doch steht er künftig der internationalen Schiffahrt offen, um zum Nutzen aller einen leichteren Zugang zur Ostsee zu ermöglichen. Ein unleugbares Billigkeitsgefühl beherrscht die Bestimmungen über die Nutzbarmachung der Wasserkraft des Rheines an der deutsch-französischen Grenze [72] und ebenso die Bestimmungen über Abtretung von Eisenbahnmaterial, obgleich Deutschland behauptet, sie seien mit dem Rechte unvereinbar. Freilich ist die Nutzbarmachung der Wasserkraft des Rheines gänzlich an Frankreich übertragen, auf dessen Gebiet fast die gesamten Arbeiten auszuführen sind; würden Stauanlagen gleichzeitig auf beiden Ufern angelegt und von zwei Staaten, die notwendig im Wettbewerb miteinander stehen, so könnte dies nur zum Nachteil der Schiffbarkeit des Flusses ausschlagen und die freie Ausübung des Verkehrsrechts aller Beteiligten, ebenso wie den Ertrag der Kraftausnutzung beeinträchtigen; aber Frankreich verpflichtet sich, an Deutschland dessen Anteil an diesem natürlichen Kraftbenutzungsrecht zu zahlen, nämlich die Hälfte des Wertes der erzeugten Kraft nach Abzug der Anlagekosten. Was die Abtretung des Eisenbahnmaterials anbelangt, auch die Abtretung zugunsten Polens, so leuchtet es ein, daß eine gerechte Verteilung des vorhandenen rollenden Materials unter die beteiligten Staaten in erster Linie von der Notwendigkeit der Wiederherstellung normaler Betriebsverhältnisse auszugehen hat. Nach der Absicht der Alliierten und Assoziierten Mächte sollen Eisenbahnen und rollendes Material zweifellos in dem Zustand abgetreten werden, in dem sie sich im Augenblick der Unterzeichnung des Waffenstillstandes befanden. Eine Ausnahme gilt nur hinsichtlich der Abtretung des rollenden Materials für den Fall, daß Sachverständigenausschüsse unter Berücksichtigung der aus den Bestimmungen über Gebietsveränderungen folgenden örtlichen Lage der zugehörigen Wiederherstellungswerkstätten ein anderes bestimmen sollten. Die Alliierten und Assoziierten Mächte sind sich daher voll bewußt, daß die Grundsätze dieser aus dem Entschlusse, die Freiheit der internationalen Verkehrswege gegen jede Beschränkung zu schützen, geborenen Bestimmungen dieselben sind, die auch die Grundlage des Waffenstillstandes bilden und die auch für die Vorbereitung des Friedensvertrages maßgebend gewesen sind. Treu dem Geiste der Gerechtigkeit, der stets das Werk der Friedenskonferenz geleitet hat, haben sie indessen die Einzelheiten der Bestimmungen einer neuen peinlichen Prüfung unterworfen und sind der Frage nachgegangen, welche Abänderungen diese Bestimmungen billigerweise erfahren können, ohne daß die oben dargelegten Grundsätze eine Beeinträchtigung erführen. Dementsprechend sind folgende Abänderungen vorgenommen worden:
Im Oderausschuß sind Deutschland drei Vertreter statt eines Vertreters zugebilligt worden. Maßnahmen sind ins Auge gefaßt, um Deutschland eine Vertretung in der Konferenz zur Ausarbeitung einer dauernden Donauordnung zu gewähren. Der (künftige) Rhein-Donau-Kanal tritt lediglich unter die Verwaltungsordnung, die auch auf international erklärte Wasserwege Anwendung findet. Die Vorschriften, auf Grund deren die Einsetzung eines internationalen Ausschusses für den Kieler Kanal verlangt werden kann und ein großer Teil der Vorschriften über die in Deutschland zu bauenden Eisenbahnen kommen in Wegfall.
Die Bemerkungen der Deutschen Delegation zu dem Abschnitt "Arbeit" des Friedensvertrages enthalten fast nichts, das nicht bereits in den beiden von der Delegation früher eingereichten Noten vom 10. und 22. Mai 1919 sich fände; diese Noten sind unter dem 14. und 28. Mai beantwortet worden. Die Alliierten und Assoziierten Mächte erachten es daher nicht für angebracht, in eine erneute Prüfung der Fragen, die bereits in diesen Noten und den Antworten darauf behandelt sind, einzutreten. Für die Bemerkung über den Schutz der Arbeit in den abgetretenen Gebieten gilt, daß Artikel 312 des Friedensvertrages ausdrücklich diesen Schutz vorsieht, wenn er vorschreibt, daß zu solchem Zweck zwischen Deutschland und den beteiligten Staaten Übereinkommen abgeschlossen werden sollen. Immerhin sind neue Anordnungen getroffen, um der diesem Artikel zugrunde liegenden Absicht zur praktischen Anwendung zu verhelfen: Es ist nämlich vorgesehen, daß alle Fälle, in denen unmittelbare Verhandlungen nicht zu einer glatten Lösung führen, vor unparteiische, technische Ausschüsse verwiesen werden.
In ihren Bemerkungen über die Friedensbedingungen sagt die Deutsche Delegation: "Nur die Rückkehr zu den unwandelbaren Grundlagen der Moral und der Kultur, nämlich zur Treue gegen abgeschlossene Verträge und übernommene Verpflichtungen, wird der Menschheit ein Fortleben möglich machen." Nach 4½jähriger Dauer des Krieges, den die Verleugnung dieser Grundsätze durch Deutschland heraufbeschworen hat, können die Alliierten und Assoziierten Mächte nur die Worte des Präsidenten Wilson vom 27. September 1918 wiederholen: "Darum muß der Frieden Bürgschaften erhalten, weil an ihm Vertragschließende teilnehmen, auf deren Versprechungen, wie man gesehen hat, kein Verlaß ist."
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