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[Bd. 2 S. 564]
Hans David Ludwig Yorck, 1759 - 1830, von Jürgen Uhde

Johann David Graf Yorck von Wartenburg.
Johann David Graf Yorck von Wartenburg.
Gemälde von Carl Adalbert Herrmann, 1824.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 225.]
Hans David Ludwig Yorck gehört zu den großen preußischen Männern, in denen zum erstenmal deutsche Verantwortung deutlich wird. Er gehört aber auch zu den Männern, die erst durch einen ungewöhnlichen Lebenslauf für das Ungewöhnliche ihrer Taten reif gemacht sind. Dieser Lebenslauf beginnt hart, fast eintönig. Freudlose Jugend als Sohn eines armen Offiziers aus den friderizianischen Kriegen, eines sehr tapferen Offiziers freilich, dem der große König den Pour le mérite gegeben hat, und einer armen, aber redlichen Potsdamer Handwerkstochter, Marie Pflugin. Schon als Dreizehnjähriger wird er als "auf Avantage dienender gemeiner Rekrut" nach Ostpreußen, nach Braunsberg, ins Regiment von Luck, in die erbarmungslose Schule des eisernen preußischen Ladestocks gesteckt. Die erste "revolutionäre" Szene in Yorcks Leben spielt sich 1779 in Braunsberg ab: Das Offizierkorps wirft dem Stabskapitän von Naurock vor, er habe sich während des Feldzugs persönlich bereichert, Yorck nimmt den Vorwurf gegen Naurock persönlich auf sich. Die Sache kam dem großen König zu, der sonderbarerweise aus einer Laune heraus auf die Akten schrieb: "Geplündert ist nicht gestohlen, Yorck kann sich zum Teufel scheren!" Ob nun die Ausführung dieses Marginals nicht allzu ernst gehalten wurde oder sich verzögerte: jedenfalls sammelt Yorck den Widerstand gegen Naurock noch weiter, das Offizierkorps teilt dem Kapitän mit, es könne nicht weiter mit ihm zusammen dienen. Als nun eines Tages Yorck als wachhabender Leutnant die Wachtparade führt, die Naurock kommandieren sollte, befolgt er das Kommando nicht, dreht das Sponton zur Erde – und wird sofort in Arrest abgeführt. Der König bestätigt gegen ihn die Kassation und einjährige Festungshaft, die er nun in Königsberg absitzen muß.

Er benutzt die Haft, Französisch zu lernen. Mit einer Reihe von ausgezeichneten Empfehlungen, darunter einer seines Obersten, der ihn einen Offizier plein d'honneur nennt, geht er im Frühjahr 1781 von Pillau über Kopenhagen nach Holland. Es war die Zeit des Holländisch-Englischen Krieges. Die Generalstaaten Wilhelms V. waren in heller Unordnung und diesem Feldzug in keiner Weise gewachsen; die Stände taten, was sie wollten. Yorck macht seine erste Bekanntschaft mit dem Parlamentarismus. Der Statthalter nimmt ihn gnädig auf, zögert aber, ihm als Ausländer eine Kompanie zu geben. Inzwischen fährt er mit dem Kapitän Kinsbergen, der das größte holländische Schiff, den "Admiral General", befehligt, zu einer Seeschlacht gegen die Engländer. Er erlebt auf der Doggerbank [565] die schweren Zusammenstöße mit der englischen Flotte, wobei er selbst zum erstenmal ernstlich gefährdet ist. Der holländische Admiral wählt gerade ihn aus, Wilhelm V. die Siegesbotschaft zu bringen. Zum Lohn für diese gute Botschaft erhält er eine Gardekompanie. Die Erbstatthalterin, eine Nichte Friedrichs des Großen, bezahlt ihm obendrein seine Schulden.

Im Schweizerregiment von Meuron tut er Dienst, das Regiment wird in Paris aufgestellt, auf Grund eines Traktats zwischen der Ostindischen Kompanie und der französischen Regierung. Im Februar 1782 landet das Regiment, um hundertfünfzig Mann geschwächt, im Hafen Kapstadt. Nun liegt die Abfahrt aus Pillau schon etwa zwei Jahre zurück. Es müssen dort unten damals ziemlich wüste Zustände geherrscht haben. Die angekommenen französischen Truppen legten mehr Wert darauf, mit den Frauen der Kolonisten zu flirten, als darauf, die Kolonie nun auch wirklich gegen die Engländer zu sichern. Yorck selbst verliebt sich vom Kopf bis zum Fuß in eine ebenso schöne wie arme Kolonistentochter. Mit dem großen Admiral Suffren, dem alten Haudegen, der ein halbes Jahrhundert sich auf allen Meeren der Welt umhergetrieben hat, fährt bald auch Yorck nach Ceylon. Sie landen dort nach schweren Gefechten, die auch der spätere preußische General noch immer in der Erinnerung behalten wird, wie er denn überhaupt aus dem französischen Admiral sich eine Art bleibendes Vorbild geschaffen hat.

Der indische Dienst ist hart. Die Truppen sind verbummelt. Mit der Waffe in der Hand muß Yorck, der diable prussien, sich seine Autorität herstellen, dann erst schlägt die Wut in Anhänglichkeit um. Als er die Truppe eben in Schuß hat, geht es nach dem Kap zurück. Yorck sieht seine alte Liebe wieder; er denkt allen Ernstes daran, ihretwegen für immer auf dem Kap zu bleiben. Aber als ihr dann von einem anderen, einem reichen Kaufmann, ein Antrag gemacht wird, da überdenkt er mit seiner ganzen kalten Nüchternheit, ohne die mindeste Schonung der eigenen Person, die Lage – und tritt zurück, allerdings mit der eigentümlichen Bitte, der Hochzeit beiwohnen zu dürfen. "Fest und kalt" – so schildert es der alte Droysen – "hört er der Rede des Pfarrers zu. Als die Braut ihr Ja spricht, stürzt er zur Erde." Nun ist er zum erstenmal Yorck. Wie am Anfang Friedrich Wilhelms I. Karoline von der Pfalz, wie am Anfang Friedrichs des Großen das Erlebnis von Tamsel den Mann zu lebenslanger Härte glühte, so ging es auch ihm. Er verkauft, wie das damals so Sitte war, seine Kompanie und segelt nach Europa zurück. Anscheinend ist er Mitte 1785 wieder im Haag, wo er erneut auf das freundlichste empfangen wird. Er hat nun genug von Abenteuern, er will noch einmal versuchen, nach Preußen zu kommen. Die Erbstatthalterin unterstützt sein Gesuch, sagt ihm aber gleich, solange der Alte noch lebe, werde er kaum Glück haben. Höhnisch weist Friedrich der Große ihn ab: er hätte ja auf der Flotte Suffrens gedient, deshalb sei in der preußischen Infanterie nichts mit ihm anzufangen. Das wäre genau so, "als wenn man einen Koch zum Tanzmeister machen [566] wolle". Endlich, im Frühjahr 1787, hat er Glück. Der neue König stellt ihn, unter ausdrücklicher Anerkennung seiner Kriegserfahrung, im Regiment von Saß, beim Bataillon von Plüskow als Kapitän und Kompaniechef an. So hat er also im Avancement durch seine Abenteurerjahre nichts verloren, im Gegenteil erheblich gewonnen: zehn Jahre nach dem Offizierspatent ist er schon Kapitän. Seine Garnison erhält er in Namslau.

Der Feldzug in der Champagne hatte 1792 dem preußischen Waffenruhm einen enormen Stoß gegeben, nicht minder schwer als der Stoß, den das Ansehen der preußischen Diplomatie zwei Jahre vorher mit der Reichenbacher Konvention erhalten hatte. Der polnische Aufstand Kosciuszkos griff im darauffolgenden Jahr bis an die preußische Grenze und darüber hinaus. Die preußische Monarchie mußte bald auch an der Ostgrenze ihren Feldzug eröffnen. Yorck, der dort das Bataillon Eyssenhardt bekommen hatte, nahm an dem Feldzug, der über Krakau bis vor Warschau führte, teil. Schon damals zeichnet sich der junge Bataillonsführer durch ungewöhnlichen Mut aus, er selbst hält ein weichendes Regiment auf, führt es bei Scekoczin erneut gegen den Feind. Die Truppe erhält darauf zwei Pour le mérite. Yorck lehnt den seinen ab, weil Eyssenhardt, der erkrankt und an der Teilnahme verhindert war, den andern erhalten sollte. Die Führung dieses polnischen Feldzuges war kläglich. Unter dem allerdings sehr brauchbaren General Günther focht Yorck noch lange an der Pilica, am Narew, am Bug und an der Weichsel den Kleinkrieg gegen die Insurgenten, denen er im übrigen eine gewisse Sympathie, die gerade Kosciuszko ja auch mit Fug und Recht verdiente, nicht absprach. Yorck, der den Pour le mérite abgelehnt hatte, ging ohne Orden aus diesem Feldzug hervor. Der alte Günther gab grundsätzlich keine Offiziere zu Orden ein, wenn diese Offiziere ihm besonders nahestanden. Als dann der Feldzug sein Ende hat, bleibt Yorck, der nun endgültig Bataillonskommandeur geworden ist, noch zwei Jahre in elenden polnischen Garnisonen zwischen Kalisch und Sidawa stehen. Gemeinsam mit einem preußischen Major, der nach seinen Worten "wie geschaffen für eine Kotzebuesche Komödie" war, hat er dort das seinige getan, mit der polnischen Bevölkerung ein gutes Einvernehmen herzustellen. Es ist ihm weitgehend gelungen.

Im letzten Regierungsjahr Friedrich Wilhelms II. ging man an die Einrichtung neuer Füsilierbataillone in Ostpreußen. Eines davon bekam Yorck mit der Garnison in Johannisburg, das andere Major von Bülow mit der benachbarten Garnison in Soldau. Wer konnte damals wissen, daß aus den Kommandeuren dieser beiden entlegenen Bataillone einst die preußischen Feldmarschälle Bülow von Dennewitz und Yorck von Wartenburg werden sollten! Das ganze Regiment bekommt seinen Ersatz nur aus Förster- und Jägersöhnen. Am letzten Abend des Jahres 1799 trifft Yorck ein, am 26. Oktober 1800 wird er mit seinem vollkommen neugeschulten Regiment zum erstenmal vom König inspiziert. Es ist derselbe Tag, an dem in Parchim Helmuth von Moltke geboren wird.

[567] Erst mit dem Jahr 1805 tritt Yorck in das politische Bewußtsein seiner Zeit. Er ist kein seherischer Mensch, auch ihm fehlt der prometheische Funke, dafür arbeitet er mit seinem klaren, logischen Verstand, mit seiner harten Energie – auch im Denken ist er energisch – und als Ergebnis dieser klaren und nüchternen Schau sieht er schon 1805, daß Preußen die Entscheidung gegen Napoleon verloren hat. Er sieht die große Möglichkeit, die sich zwischen Preußen, Rußland und Schweden damals ergibt, er sieht, wie sie ungenutzt vergeht. Also folgert er auch, illusionslos, wie er nun einmal ist, daß die großen Hoffnungen, die er an Friedrich Wilhelm III. bei dessen Regierungsantritt geknüpft hat, trügerische Hoffnungen gewesen sind. Wäre er nur Revolutionär, "so würde er jetzt zu der Bewegung der jungen und emphatischen Rebellen um Ehre treten, die stürmisch darauf aus wollen, den König zur Entscheidung" zu zwingen. Aber Yorck, der ja in Holland und in Frankreich gesehen hat, wohin es führt, wenn man die Frage der königlichen Herrschaft, sei es auch nur als personelle Frage, offen zur Diskussion stellt, ist zuallererst einmal Legitimist, Royalist und dann erst Frondeur. Yorcks revolutionäre Haltung zeigt sich darin, wie er den Dingen innerlich entgegengeht. Nachdem Preußen mit dem Schönbrunner Vertrag seine freiwilligen Demütigungen noch erweitert hatte, nachdem es sich ebenso törichter- wie schmachvollerweise auch noch hatte bereden lassen, Hannover von Napoleons Gnaden Anfang 1806 zu annektieren, war es allgemeinster Verachtung preisgegeben. Es scheint, als wenn Yorck, der stumm und verbissen damals im Thüringischen als Brigadeführer im sinnlosesten aller Feldzüge seinen Dienst tat, um diese Zeit anfing, auch die Fronde des Prinzen Louis Ferdinand wohlwollender zu sehen als sonst. Nun wurde oben in Pommern eine lächerliche Mobilmachung befohlen. Im Zusammenhang damit kam er nach Berlin, sah dort im Theater die Szenen, in denen die Offiziere den König in aller Öffentlichkeit drängten, eine Entscheidung zu fällen. Seine royalistische Gesinnung war aufs tiefste empört, er dachte gar nicht daran, sich mit diesen Heißspornen zu identifizieren. Weiß Gott, auch er war für baldige Entscheidung, auch er wußte, daß Preußens Ehre nur auf dem Felde, wenn überhaupt zu retten war: aber er glaubte auch zu wissen, daß diese öffentliche Überstimmung der Krone durch eine, wenn schon idealistische, Prätorianergarde bestimmt ein falsches Mittel sein würde!

Sein Regiment war wieder in die Garnisonen gerückt. Als dann endlich am 1. September 1806 der Befehl zur Mobilmachung kam, war er "erleichtert und besorgt, im ganzen aber doch freudig bewegt". Über Magdeburg und Naumburg rückt seine Jägerbrigade bis in die Gegend von Weimar, bleibt dort bis etwa 1. Oktober. Langsam, sehr langsam ziehen sich die verschiedenen Korps unter Rüchel, Hohenlohe, dem Braunschweiger und Tauentzien zusammen. Der Herzog von Braunschweig hat sich in den Kopf gesetzt, die kleine Feste Königshofen zu nehmen, obwohl sie ganz außerhalb des Gefechtsterrains liegt. Yorck muß die Avantgarde führen. Unterwegs – am 10. Oktober – Befehl zum Rückmarsch: [568] Ordre, Contreordre, Désordre! Tauentzien war überfallen, Hohenlohe bei Saalfeld, vom Braunschweiger nun verlassen, von wesentlich stärkeren Kräften angegriffen, Louis Ferdinand gefallen. Alles ist zutiefst deprimiert. Nur Yorck reitet eisern an den Kolonnen entlang, tadelt die mangelhaften Abstände, die Reiter, die nicht auf Luke reiten, die Offiziere, die, anstatt vor der Front ihrer Formationen zu halten, miteinander schwatzen, als ob sie von einer Jagd nach Hause kämen. Bald danach, am 14. Oktober, bekommen sie Nachricht von der Schlacht bei Jena, am 15. Oktober erfahren sie die ganze Tragödie.

Yorck deckt den Rückzug. Bei Altenzaun, nicht weit von Stendal, erwartet er den Kampf. Im welligen Gelände mögen seine Jäger zeigen, was sie können. Und sie zeigen es. Sie halten in stundenlangem Kampf gegen eine mehrfache Übermacht, immer aufs neue den Feind durch ihre außerordentlich elastische Aufstellung irritierend, die Franzosen einen vollen Tag auf. Es war das erstemal seit langer Zeit, daß der Franzose von preußischen Truppen um seinen Sieg gebracht war. Die gesamten Blücherschen Truppen wurden durch dieses Gefecht gerettet, der Elbübergang sichergestellt. Yorck selbst hat später dieses Gefecht zu seinen schönsten militärischen Erfolgen gezählt. Aber der Altenzauner Erfolg konnte in der allgemeinen Kopflosigkeit wenig helfen. Wenige Wochen später muß auch Hohenlohe bei Prenzlau kapitulieren. Also wieder kehrtgemacht! Beim mecklenburgischen Müritzsee treffen Yorck, General von Winnig und Blücher mit ihren Truppen zusammen. Blücher rät zu einer Schlacht: Stralsund ist doch nicht mehr zu erreichen, für Rostock ist es auch schon zu spät. Aber während sie eben ausmarschiert sind, um eine günstigere Position zu suchen, wird Yorck mit seiner Nachhut bei Waren an der Müritz von feindlicher Kavallerie überfallen. Er selbst gerät mitten ins dichteste Handgemenge, bekommt einen schweren Hieb über den Arm, mit Mühe und Not schlagen ihn die eigenen Husaren noch einmal heraus. So folgt Nachhutgefecht auf Nachhutgefecht. Yorck, dessen Arm sich mehr und mehr entzündet, der seit einer Woche keine Stunde mehr zum Schlafen kommt, der kaum noch etwas zum Essen hat, ist allemal in die Gefechte verwickelt. Bei Nossenthin reitet er vor der Feuerlinie seiner Jäger vorbei: "Daß der Feind mich nicht treffen würde, das wußte ich schon, der schießt zu schlecht; aber ich hatte geglaubt, daß mir jetzt einer von euch, Jäger, eine Kugel verpassen würde; mir wäre es recht gewesen. Jetzt sehe ich doch: ihr seid alle wackere und treue Männer, von nun an seid ihr alle meine Kinder, ich euer Vater!"

Am 5. November rücken sie völlig abgerissen in Lübeck ein; er selbst war bei Altenzaun noch elfhundert Mann stark gewesen, nun waren es kaum fünfhundert. Yorck sinkt abends – er war als letzter eingerückt – todmatt und mit hohem Fieber vom Pferde, nimmt bei einem von den lübischen Kaufleuten Quartier. Die ganze Stadt hält nichts von diesem preußischen Einmarsch, sie möchte ihre Neutralität erhalten, sie möchte es um's Himmels willen nicht mit den Franzosen verderben. Anderntags setzt Soult zum Sturm auf die "freie" Stadt an. Yorck [569] selbst gerät zu Fuß, den einen Arm in der Binde, in der anderen die Klinge, ins Handgemenge. Dabei bekommt er einen schweren Kartätschenschuß. In Lübeck erfährt er auch von der Ratkauer Kapitulation vom 7. November. Er selbst ist jetzt achtundvierzig Jahre alt und sieht aus wie ein Siebzigjähriger. "Die preußische Armee ist wie ein Herbstnebel vor der aufgehenden französischen Sonne verschwunden", sagt das "22. Bulletin" des Korsen. Yorck vergräbt sich, selbst ein Fetzen Herbstnebel, in der Einsamkeit in Mittenwalde.

Noch hielt sich Courbière als "König von Graudenz", noch hielt sich Nettelbeck mit Gneisenau in Kolberg; schon hatte Blücher in Rügen zwei Divisionen mobilisiert, wenn nun der Russe vorstieß, hätte sich alles wenden lassen. Aber der Russe stieß nicht vor, er schloß am 21. Juni eigenmächtig seinen Waffenstillstand ab. Napoleon und Alexander treffen sich in Tilsit, erst am zweiten Tage darf Friedrich Wilhelm III. erscheinen. So wird der Tilsiter Friede geschlossen, der Preußen halbiert, der ihm – was ja vielleicht ein Nutzen hätte sein können – seine gesamten westelbischen Besitzungen nimmt, der ihm aber trotz allen Bittens der Königin – vor deren Haltung in diesen Tagen doch jetzt sogar Yorck Achtung bekommt – auch Magdeburg nimmt, der seine Festungen ausliefert, der – vielleicht bitterstes von allem – "zum Zeichen der (ebenbürtigen?) Achtung des Kaisers Napoleon für den Kaiser Alexander" auch ein Stück Preußen an Rußland abtritt.

So weit war also die Monarchie Friedrichs und Friedrich Wilhelms in jenen Julitagen des Jahres 1807 gesunken, so weit mußte erst der alte preußische Osten gedemütigt werden, ehe er sich wenigstens in seinen Gesinnungen wieder erhob. Und so weit mußte auch erst der alte Royalist Yorck den Kelch des Bitteren leeren, ehe er zu wirklich revolutionären Handlungen vorstieß. Es ist die Zeit, die einen Scharnhorst, einen Gneisenau, einen Boyen, einen Grolman auf den Plan rufen wird; zugleich die Zeit, die von ihren größten Männern die heroischsten Demütigungen verlangt. Yorck wird als preußischer Kommissar zu den Kommissionen verwandt, die aus Preußen die wahnwitzige Kontribution von hundertzwanzig Millionen Goldfrank herausholen sollen, damit dann wenigstens die französischen Truppen abziehen. Er wird auch für die Grenzkommissionen verwandt, ein widerwärtiges Amt: er kann nicht einmal verhindern, daß Graudenz rings von polnischem Gebiet zerniert wird! Endlich geht der Hof im Januar 1808 nach Königsberg. Droysen schreibt, daß nicht mit Sicherheit zu sehen war, inwieweit Yorck damals in Königsberg die Pläne kannte, die Scharnhorst und Gneisenau im Herbst 1808 dem König vorgelegt hatten. Vielleicht hat er sie nicht gekannt. Uns genügt zu wissen, daß er als Soldat lediglich in der Reform des Soldatentums noch einen Weg nach oben sah, daß er im übrigen glaubte, Napoleon werde sich eines Tages von selbst überschlagen. Er hat wieder eine Aufgabe: das Kommando der Stadt Memel, das er eine Zeitlang in Händen hatte, gibt er ab und wird dafür Kommandeur der neuaufgestellten westpreußischen Brigade. Es war die Zeit, in der Friedrich Wilhelm III. Stein entlassen mußte und dann [570] – Anfang 1809 – selbst nach Petersburg reiste. Yorck hatte seinen Standort nun in Marienwerder. Ihm unterstanden zwei neuaufgestellte Infanterieregimenter, ein Grenadierbataillon und eine aus drei Regimentern bestehende Kavalleriebrigade. Nebenher war ihm auch noch die Neuaufstellung seines alten Jägerregiments in Schlesien und der Mark übertragen. Die Armee war völlig neu gegliedert. Die wundervolle Scharnhorstsche Organisationskunst, das unvergleichlich präzise Denken, das dieser hannoversche Bauernjunge sich auf der kleinen Kriegsschule des Grafen Wilhelm Schaumburg am Steinhuder Meer angeeignet hatte und hier ins Große auf Preußen übertrug, war überraschend schnell zum Erfolg gekommen.

Er weiß, wie notwendig gerade jetzt ein ganz enger Zusammenhang von Ostpreußen, Pommern und Schlesien ist. Er spricht es ganz deutlich aus, daß von deren Zusammengehörigkeit immer wieder das Schicksal der Monarchie abhängen wird. Das Schicksal Preußens heißt preußischer Osten. Preußischer Osten und preußische Krone sind so unausdenkbar verflochten, wie preußische Krone und preußischer Sozialismus einander verschworen sind. Als sich die Situation dann noch weiter zuspitzt, wird Yorck auf Scharnhorsts Vorschlag zum Generalgouverneur der Provinz Preußen ernannt. Er hat nun alle "Vollmachten in außerordentlichen Fällen". Er selbst dankt Scharnhorst in aufrichtigster Weise: "Werde ich das alles leisten können? Würde nicht ein im großen Kriege besser unterrichteter Mann und erfahrener General den Forderungen sicherer entsprechen? Es komme als Oberbefehlshaber hierher, wer da wolle, wäre er auch heute noch Major, ich gebe mein Ehrenwort, ich werde unter ihm meine Pflicht tun." Es ist die Zeit, wo endlich auch Gneisenau wieder in Dienst gerufen wird.

Die Franzosen sind mißtrauisch geworden. Blücher muß auf ihr Verlangen entlassen werden. Tauentzien wird jetzt Kommandierender in Pommern, Yorck selbst ist von Spitzeln auf Schritt und Tritt umstellt. Der König von Preußen ist in Berlin völlig in ihrer Hand, er kann jeden Tag ausgehoben werden. Die königlichen Wagen stehen gepackt, jeden Augenblick kann eine neue Flucht fällig sein. Endlich wird die französisch-preußische Allianz gegen Rußland unter solchem Druck perfekt. Der König stellt ein preußisches Hilfskorps gegen die Russen. Der alte Grawert soll es führen, Yorck steht ihm als zweiter (das heißt eigentlicher) Befehlshaber zur Seite. Er gibt seine Vollmacht zurück, willig ordnet er sich unter. Sieht sein untrüglicher Instinkt auch hier voraus? Yorck selbst bekommt ein königliches Schreiben: er möge nur verbürgte Nachrichten über russische Angriffsabsichten ernst nehmen. Er denkt sich sein Teil. Er will unzweideutig Klarheit haben. Da wird die ursprüngliche Order noch einmal bestätigt.

Im Juni 1812 erhält er Befehl, das Korps in den Verband des französischen Korps Macdonald einzufügen. Sie haben dort vier preußische Kavallerieregimenter, neunzehn Infanteriebataillone und acht Batterien unter ihrem Kommando. Mit dem französischen Kommandierenden General waren sie nicht schlecht beraten. Macdonald ist unter den Marschällen Napoleons sicher eine der [571] vornehmsten, ritterlichsten und anständigsten Naturen. So marschieren sie über Labiau und Memel nach Kurland hinein. Sie kommen an Tauroggen vorbei, marschieren in die Gegend von Mitau. Der alte Grawert wird nervenkrank. Yorck ist alleiniger Befehlshaber des preußischen Korps. Bei Jakobstadt geraten sie gegen vielfache russische, aus Riga kommende Übermacht ins Gefecht, verlieren fünfundzwanzig Offiziere und siebenhundertfünfundsiebzig Mann – es ist die sogenannte Schlacht von Dahlenkirchen.

Der russische General schlägt Yorck schon damals – Ende September 1812 – eine Unterredung vor, die dann aber im Sande verläuft. In der Rigaer Gegend wird es sehr unsicher, die Russen scheinen neue Angriffe zu planen. Yorck konzentriert zunächst einmal seine Truppen. Der große Furagierpark Ruhetal muß von ihm bewacht werden, ist aber ein böses Hindernis für jede Truppenbewegung. Da läßt er Mitau räumen und sein ganzes Korps um Ruhetal zusammenziehen, greift von dort aus – "der Hieb ist die beste Parade" – auf Bauske an. Er wirft mit seinen Truppen, die mit ganz unvergleichlichem Elan vorgehen, den ungleich stärkeren Feind; zwar kostet auch diese Schlacht ihm über tausend Mann Verlust, aber die Russen verlieren das Fünffache und obendrein noch zweitausendfünfhundert Gefangene. Die Schlacht von Bauske zwang nach Yorcks eigenen Worten "Napoleon, der mich haßte, zu der Anerkennung, daß ich Soldat sei!" Macdonald scheint seine guten Gründe zu haben, wenn er jetzt sein Hauptquartier inmitten der preußischen Truppen nimmt.

Yorcks Laune wird immer schlechter. Wer konnte denn damals wissen, daß am 21. September ganz Moskau in Flammen aufgegangen war und den Korsen zum Rückzug gezwungen hatte? Der russische Befehlshaber, General Paulucci, ein Italiener, sendet ihm aus Riga ein Angebot einer persönlichen Unterredung. Er lehnt ab, es würde zu sehr auffallen. Nun greift von russischer Seite auch Wittgenstein in die Verhandlungen ein. "Ich offeriere Ihnen die Mitarbeit meiner Armee zur Besiegung der grausamen Bedrücker, die Preußen genötigt haben, an den unsinnigen Plänen Napoleons teilzunehmen, schlage Ihnen vor, gemeinschaftlich mit mir Ihrem König seine Gewalt zu restituieren. Ich habe fünfzigtausend Mann tapfere Truppen, die schon oft für die Unabhängigkeit Preußens gekämpft haben." Gleichzeitig sendet Wittgenstein den Fürsten Repnin zu Verhandlungen mit Yorck nach Riga. Yorck aber ist vorsichtig, durchaus nicht der flammende Rebell, als den ihn eine spätere Geschichtsbetrachtung so gern sehen möchte. Er denkt an den Tilsiter Frieden und alles, was damit zusammenhängt. Paulucci hat ihn an ein Beispiel der italienischen Geschichte erinnert, an Romana. Aber Yorck weiß darauf zu erwidern, nicht umsonst hat er immer und immer wieder sich mit Geschichte befaßt. Er pariert den Russen einen feinen und dünnen Hieb, den sie Alexander weiterbestellen mögen:

"Das Beispiel von Romana paßt nicht auf mich. Romana wußte ausdrücklich, was sein Vaterland von dem Verbündeten zu erwarten hatte, mit dem er sich [572] vereinigte, die Sache war ausgesprochen und vorweg entschieden. Aber sein Unternehmen wird immer das vollkommenste Muster der Loyalität des Geheimnisses und der Vorsicht von beiden Seiten sein!"

Wenn er nur will, dann kann er auch mit geistigen Floretten fechten, der alte Isegrim. "Vorsicht von beiden Seiten". Was geschieht, wenn Macdonald oder etwa der Hof in Berlin von der bloßen Tatsache in Kenntnis gesetzt werden, daß er überhaupt mit den Russen korrespondiert? Der Italiener auf russischer Seite wird nur noch dringender, noch verbindlicher. Er übersendet ihm die letzten Bulletins der Franzosen, aus denen Yorck ersehen mag, daß jetzt oder nie der Zeitpunkt zum Handeln kommt. Yorck antwortet, daß er erst mit Berlin unterhandeln müsse.

Er hat jetzt die ersten Nachrichten über das, was sich in den Tiefen des russischen Winters mit der französischen Armee zugetragen hat, er hat Nachrichten, daß die ersten Flüchtlinge bei seinen Vorposten gelandet sind. Bei den Russen befindet sich jetzt Scharnhorsts Schwiegersohn, Graf Dohna, im Hauptquartier, – steht nicht auch Stein in russischen Diensten? Zu allem erscheint nun auch Graf Dohna bei Yorck mit sicheren Nachrichten über die Vernichtung der letzten französischen Armeebestandteile bei Wilna, über die Eroberung Wilnas selbst. Nur Macdonald steht noch dem Siege über den Korsen im Wege. Und wer hat denn Macdonald in der Hand, wenn nicht Yorck? Der vom König insgeheim zu ihm entsandte Major von Wrangel brachte wohl den Hinweis auf die "Erhaltung der Unversehrtheit seiner Truppen", aber nicht die erwartete Vollmacht zu selbständigem Handeln. Der Legitimist in Yorck ist nach langen inneren Kämpfen stärker als alles andere. So sehr er sonst frondiert, so sehr er mit dem Herzen bei einer neuen Lösung ist, sein royalistischer Sinn erlaubt ihm noch keine Maßnahme, die mit seinem Fahneneide nicht in jeder Form vereinbar ist. Aber es gibt doch schließlich Situationen, die selbst einen Eid unwesentlich machen können, weil eine vielfach größere nationale Sache auf dem Spiele steht? Situationen, in denen ein großer Mensch ja schließlich, wenn er seinen Eid um der Sache willen bricht, auch sein Leben hinterherwerfen kann, wenn die Sache dadurch gerettet wird. Was gilt ein einzelnes Menschenleben in solchen Lagen? Ist etwa Yorck, weil er nun nicht so handelt, wie Louis Ferdinand gehandelt haben würde, vor solchen Konsequenzen besorgt? Lächerlicher Gedanke, daß ein Mann wie Yorck sein eigenes Leben rechnen könne.

Am 25. Dezember bekommt er von Macdonald seinen letzten Befehl: das gesamte Korps solle sich bei Tauroggen vereinen. Die Kolonnen sind mit etwa achthundert Gefährten belastet, jeder feindliche Angriff hätte sie vernichten müssen. Inzwischen bleiben die Nachrichten des französischen Generalkommandos aus: man ist voneinander abgeschnitten, ohne daß irgend jemand Yorck nachweisen könnte, daß er diese Abtrennung gewollt hätte. Macdonald steht in Tilsit, Yorck bei Tauroggen, dazwischen russische Kavallerie. In diese Lage trifft ein neuer russischer Brief, in dem von einer Neutralitätskonvention die Rede ist. Jetzt willigt [573] Yorck in eine Besprechung mit dem gegen ihn befehlenden russischen General Diebitsch ein. Auch Diebitsch sieht, daß Yorck zu einem "Schwenken mit fliegenden Fahnen" nicht zu haben ist, auch er bietet eine Neutralitätskonvention. Noch immer kann Yorck sich nicht entschließen. Mit Diebitsch ist Clausewitz auf russischer Seite zu den Verhandlungen bestimmt worden. Auch Graf Dohna erscheint jetzt in direktem Auftrage des russischen Oberbefehlshabers bei Yorck. Am 26. Dezember reiten Diebitsch und Yorck miteinander die Fronten ab; man überzeugt sich, daß ein preußischer Durchbruch unmöglich ist. Am 28. Dezember steht Yorck noch immer unschlüssig in Tauroggen; es ist der von Macdonald angesagte Treffpunkt. Am Tage darauf setzt er allgemeine Truppenruhe an, wer will ihm daraus einen Vorwurf machen? In der Nacht zum 30. Dezember eine stundenlange Unterredung mit Clausewitz, es kommt dabei zu einem Entwurf einer Neutralitätskonvention. Obendrein die Nachricht, daß auch schon Memel in russischer Hand ist. Endlich sagt Yorck, daß er anderntags bei den russischen Vorposten zur Unterzeichnung einer Konvention erscheinen würde. Seine Offiziere sind begeistert. Da fährt er sie an: "Ihr habt gut reden, ihr jungen Leute, mir altem Kerl aber wackelt der Kopf auf den Schultern!" So kommt denn nun endlich am 30. Dezember 1812, mittags, die Konvention zustande, an der Yorck nur Seydlitz und den Major von Rödern teilnehmen ließ, an der von russischer Seite aus General von Diebitsch, Clausewitz und Graf Dohna teilnahmen. Sie bestimmte, daß das preußische Korps in der Gegend Memel–Tilsit stehenbleiben solle, falls jedoch der König von Preußen diese Neutralität nicht anerkenne, so solle die Neutralität nicht vor 1. März aufgehoben werden, jedoch solle dann das Korps ungehindert marschieren, wohin sein König es befehle. Die Verpflegung sollte das Korps nach eigenem Ermessen mit der Verwaltung der Provinz Preußen regulieren.

So war die Konvention aus Yorcks alleiniger Verantwortung zustandegekommen. Der preußischen Truppen bemächtigte sich ein ungeheurer Jubel. Nur Yorck blieb finster. Niemand konnte ihm nachsagen, daß er etwa gegen seinen König gehandelt hatte. Es ist unmöglich, noch sorgsamer, noch vorsichtiger vorzugehen, als Yorck es tat. Er hatte schließlich auch das Interesse seines Königs verfochten, wenn er ihm ein intaktes Armeekorps erhielt. Er konnte den Dingen schon ins Auge sehen. Und dennoch: so wenig auch diese Geschichte der Yorckschen Tat dem "feurigen Bilde" entsprechen mag, das man sich im allgemeinen von ihr gemacht hat, so bleibt sie doch eine der revolutionärsten Taten aller Zeiten. In ihr lag die große Schwenkung von Frankreich weg und zu Rußland hin, die den Untergang des Korsen einleitete. In ihr lag die rettende Tat, die den preußischen Osten wachrief. Es war kein Abenteuer, wie das von Schill es gewesen war: es war eine selbständige, obendrein noch militärisch zu rechtfertigende Maßnahme von höchster preußischer und deutscher Verantwortung, und doch von größter revolutionärer Tragweite – es war die Tat eines preußischen Revolutionärs, der mit dem Revolutionären die Verantwortung, mit dem Revolutionären [574] die absoluteste Treue zu seinem Eide und schließlich auch mit dem Revolutionären das Interesse der Sache und die Verpflichtung an die Idee zu vereinen wußte. Yorck hat aus den Kräften seines gewaltigen instinktiven Schauens heraus genau gewußt, welche Tragweite von dieser als solcher gar nicht so bedeutsamen Neutralitätskonvention ausging, und er hat diese Verantwortung übernommen.

Von der Mühle in Poscherun her ist Preußen erneuert worden, und der General, der es wachrief – ohne alles Emphatische, frei von jeder Theatralik, jeder Pose, jeder Selbstgefälligkeit, die billigere Naturen gewiß damit verbunden hätten – hat schon durch diese Tat sich selbst und seinen Namen unlöslich mit dem Mythos von Preußen verbunden.. Hundertzwanzig Jahre später berief sich der nationalsozialistische Führer Ostpreußens, Erich Koch, auf Yorck, er berief sich auf ihn, um ihn von den billig gewordenen Vorstellungen der falschen, zu halben Preisen gegebenen Revolution zu befreien, und schrieb:

"Ich brauche nicht erst noch hinzuweisen auf das Einzigartige der Yorckschen Tat, die hell bis in unsere Gegenwart leuchtet. Es war die Tat eines Rebellen, wie die bürgerliche Geschichtschreibung es genannt hat, aber dieser Rebell war, ebensowenig wie etwa Louis Ferdinand, nicht etwa ein Aufrührer im gewöhnlichen Sinne, sondern ein Rebell aus Treue, ein Rebell aus Treue zum Führer, der damals vielleicht mehr im toten Friedrich als im lebendigen Friedrich Wilhelm III. zu sehen war, und wennschon Rebell, dann nicht gegen die Idee, sondern für die Idee. Dieser Tauroggener Geist war Treue in ihrer höchsten und ungewöhnlichsten Form..."

Yorck selbst berichtete direkt an seinen König: "Ich erwarte den Ausspruch Eurer Majestät, ob ich gegen den wirklichen Feind vorrücke oder ob die politischen Verhältnisse erheischen, daß Ew. Majestät mich verurteilen. Beides werde ich mit Hingebung erwarten. Ich schwöre Ew. Majestät, daß ich auf dem Sandhaufen ebenso ruhig wie auf dem Schlachtfelde, auf dem ich grau geworden bin, die Kugel erwarten werde. Ich bitte Ew. Majestät daher um die Gnade, bei dem Urteil, das gefällt werden muß, auf meine Person keine Rücksicht nehmen zu lassen."

Macdonald hatte auf die Kapitulation hin, nach schlimmen Ausfällen gegen "Yorck, den elenden Verräter", sofort mit seinen Truppen das Weite gesucht; die schlecht manöverierenden Russen ließen ihn entkommen. Yorck selbst erscheint dann sofort nach der Eroberung der Stadt in Königsberg, wo er gemeinsam mit Bülow – den der König ernannte – das Gouvernement übernimmt. Am 9. Januar bringt ihm die Studentenschaft der Albertina, in der damals wie heute der revolutionäre Gedanke in Bindung an das preußische Führerprinzip besonderen Anklang fand, einen Fackelzug. Sprecher der Studentenschaft ist Hans von Auerswald, derselbe, den sie 1848 als Abgeordneten mit Lichnowsky in Frankfurt vor der Paulskirche ermorden werden. Aber tags darauf kommen schlimme Nachrichten aus Berlin: Der König, "wie vom Schlage gerührt" (und im übrigen [575] unter französischer Oberhoheit), hat die Kapitulation verworfen. Er hat sofort den Major von Natzmer geschickt, um Yorck den Oberbefehl abzunehmen, ihn vor ein Kriegsgericht zu laden, arretieren zu lassen und General von Kleist zum Kommandierenden General zu machen. Aber Wittgenstein läßt Natzmer nicht ohne weiteres durch. Kleist ist zudem gerade beim russischen Kaiser – der nun auch selbst auf der Reise nach Ostpreußen ist – und erhält dort fünfhunderttausend Rubel für Ausstattung des Yorckschen Korps, das bei der Kapitulation nur noch elftausend, wenige Tage danach durch Hinzukommen der Massenbachschen Brigade wieder vierzehntausend Mann stark war und jetzt erst wieder seine volle Stärke von zwanzigtausend Mann bekommt.

Und noch etwas sehr Entscheidendes, Preußisches: Bülow räumt alle Spannungen beiseite und stellt sich selbst völlig auf seiten Yorcks, der ihm daraufhin jenen historischen Brief schreibt, in dem er völlig bewußt das Gesetz des Handelns auf sich selbst übernimmt: "An der Elbe werde ich meinem Könige sagen: Hier, Sire, steht meine Armee – und hier mein alter Kopf!" Diese revolutionäre und in ihrer harten Logik der Stadt Kants und Albrechts schon entsprechende Tonart fand stärksten Widerhall, so unzweifelhaft Yorck nun auch den Weg des Revolutionärs ganz offensichtlich beschritten hatte. Alexander hatte den Freiherrn vom Stein eingesetzt als seinen Kommissar für Preußen. Stein verlangt von Yorck wie von dem Oberpräsidenten von Auerswald, daß sie beide den Dienstverkehr mit Berlin einstellen sollen. Beide weigern sich. Hier liegt eine Grenze, die keiner von ihnen überschreiten kann, ohne den preußischen Gedanken preiszugeben. Stein verlangt die Einberufung der Stände. Die Stände werden einberufen, es ist ein einzigartiger Vorgang, daß das ohne Willen des Königs geschieht. Aber man kann diesen Willen vielleicht voraussetzen, denn gerade in jenen Tagen trifft die Nachricht ein, daß der König nach Breslau gereist ist. Im übrigen hat später Kaiser Wilhelm I. seinen Enkeln erzählt, daß sein Vater heimlich, im tiefsten Grunde seiner Seele, mit Yorck einverstanden gewesen sei.

Otto Brausewetters berühmtes Gemälde ‘'Ansprache des Grafen Yorck vor den ostpreußischen Ständen in Königsberg am 5. Februar 1813''.
Otto Brausewetters berühmtes Gemälde "Ansprache des Grafen Yorck vor den ostpreußischen Ständen in Königsberg am 5. Februar 1813". [Nach wikipedia.org.]
Yorck erscheint nach Steins Abreise aus Königsberg in der Landhofmeisterstraße vor den Ständen, nachdem die Stände zugleich noch eine Treue-Adresse an den König gerichtet haben. Wir kennen alle das Bild, auf dem er mit weitausholender Armbewegung zu den erregten Ständen spricht. Es hat nicht allzuviel Wahrscheinlichkeit für sich. Er soll knapp, hart, soldatisch gesprochen haben. Gesten waren nicht seine Art; Gesten sind, wenn sie nicht knapp und beherrscht sind, unpreußischen Charakters. Droysen hat uns die Szene beschrieben:

"In kurzen, knappen und mächtigen Zügen sprach er von dem, was es jetzt gelte, von der Erniedrigung, die Preußen getragen, von der neuen Hoffnung des Vaterlandes. 'Ich hoffe', schloß er, 'die Franzosen zu schlagen, wo ich sie finde. Ich rechne dabei auf die kräftigste Teilnahme aller. Ist die Übermacht zu groß, so werden wir ruhmvoll zu sterben wissen.' Da brach die Versammlung in lauten, begeisterten Zuruf aus, und den Hinausschreitenden begleitete ein jubelndes 'Es lebe Yorck!' [576] Er wandte sich um, mit ernster (und harter) Stimme gebot er Stille: 'Auf dem Schlachtfelde bitte ich mir das aus!' Dann ging er."

Die Landwehr-Entwürfe wurden glatt bewilligt. Die Provinz von damals einer Million Bevölkerung hatte an Bülow und das mobile Korps bereits dreitausend Krümper und Rekruten gegeben. Sie wollte nun nochmals auf ihre eigenen Kosten zwanzigtausend Mann, zehntausend Reserven und ein dem ostpreußischen Reitergeist entsprechendes Nationalkavallerieregiment unter Graf Lehndorff auf die Beine bringen. So nahm von Yorck her die große Volksbewegung – "Der Gott, der Eisen wachsen ließ!" – ihren Anfang. Der preußische Osten gab Gold für Eisen; aber sein Eisen war mehr wert als alles Gold des Reiches und des Westens. Die Stände sandten den Grafen Ludwig Dohna an den König, der inzwischen bereits Scharnhorst wieder aktiv gemacht hatte und auch schon auf indirektem Wege Yorck einen halbwegigen Vertrauensbeweis – über den wir außer einer Tagebuchandeutung nichts weiter wissen – zukommen ließ. Vielleicht ist es doch wesentlich Dohnas Bericht zuzuschreiben gewesen, wenn jetzt der König den Befehl oder zum mindesten die Anregung gibt, das Verfahren gegen Yorck rasch und formell zu beenden.

Wenige Wochen später gibt Yorck schon seine Marschbefehle. Auch dazu holt er sich die Vollmacht noch aus der eigenen Tasche. Bülow bekommt Befehl, am 10. März an der Oder zu stehen. Da trifft endlich der königliche Befehl ein, der Yorck selbst, von Scharnhorst gegengezeichnet, die in Pommern mobilgemachten Truppen unterstellt. Endlich rückt am 17. und 18. März 1813 das Yorcksche Korps in Berlin ein. Es ist derselbe Tag, wo nun endlich, endlich der König in Breslau, im Hause des Verlegers Korn von der Schlesischen Zeitung, in der bereits Friedrich der Große seine "Relationen eines vornehmen preußischen Offiziers" hatte erscheinen lassen, seinen "Aufruf an mein Volk" veröffentlichen läßt. Die Begeisterung ist grenzenlos. Der Präsentiermarsch klingt auf, immer und immer wieder die alten Märsche König Friedrichs des Großen. Prinz Heinrich ist ihm entgegengeritten, Wittgenstein ist auch gekommen. Aber Yorck sitzt steif auf seinem Pferde, grüßt nicht, dankt nicht. "Ein Bild von stolzer, strenger und unendlicher Kälte" – wie ein Augenzeuge es geschildert und auch Fontane es wiedergegeben hat –, so reitet er durch die dichtbesetzten Straßen. Nur vor dem Schloß galoppiert er auf, zieht den Degen, grüßt tief hinauf zu den Prinzessinnen oben in den Fenstern, salutiert vor dem Prinzen Heinrich, führt ihm die Bataillone in der Defilée vor und läßt dann sofort abrücken. Er selbst reitet noch am gleichen Abend nach Potsdam. Was kümmern ihn die Festlichkeiten! Er ist jetzt Mitte der fünfziger Jahre alt; ist grau im Gesicht, weiß in den Haaren, ein alter Mann, so wie Friedrich, dem er laut Urteil eines Augenzeugen im Profil ähnlich geworden sein soll, auch bereits mit fünfzig Jahren ein alter Mann gewesen ist. Jetzt reitet er zu Friedrichs Gruft.

Anderntags ist Audienz. Es heißt, sie sei anfangs lebhaft verlaufen. Jedenfalls hat sie einen guten Ausgang genommen. Es ist nicht anzunehmen, daß Yorck [577] nach so langer Ungnade das seinige getan hat, um etwa "peccavi" zu sagen oder um Nachsicht zu bitten. Bereits wenige Tage danach, am 26. März, steht sein Korps zum Ausmarsch fertig. Aus Berlin wird abgerückt. Feldprediger Schulze spricht; als er geendet hat, bricht heller Schein über den dunklen Himmel. Yorck selbst reitet ins Karree. Kurz und hart redet er, nicht anders als in der Landhofmeisterstraße: "Von nun an gehört niemandem von uns mehr unser Leben. Keiner rechnet darauf, das Ende des Kampfes zu erleben. Jeder ist freudig bereit, es hinzugeben für das Vaterland und den König!" Dann ruft er das alte Leibregiment an: "Ich schwöre euch, ein unglückliches Vaterland sieht mich nicht wieder!" General von Horn senkt weinend vor ihm den Degen: "Das soll ein Wort sein!" Da ruft das ganze Regiment es nach...

Der König begleitet sie nach Potsdam; dann beginnt der Marsch, der ewige Ritt von Schlachtfeld zu Schlachtfeld, von Schwierigkeit zu Schwierigkeit, der zweite Teil des großen Ritts und Marsches, der von Kurland nach Paris führen soll.

Die Leistungen des Ersten Korps und seines Kommandierenden Generals, von dem Droysen gesagt hat, er sei wie gehacktes Eisen gewesen, sind in diesem Befreiungsfeldzug über jedes Lob erhaben; sie gehören zu den allerglänzendsten Waffentaten preußischer Geschichte. Bei Groß-Görschen, bei Löwenberg, wo Yorck für sein beispielgebendes Sichselbsteinsetzen den Schwarzen Adler bekommt, in der großartigen Erzwingung des Elbübergangs bei Wartenburg (wofür er den Namen "Yorck von Wartenburg" erhält), in der blutigsten aller seiner Schlachten, bei Möckern, wo er fast alle seine Stabsoffiziere und von den zwanzigtausend Mann seines Korps über siebentausend verliert und selbst wie durch ein Wunder am Leben bleibt, überall häuft er Ruhm auf Ruhm. Möckern hat ihn an der Teilnahme am Leipziger Siege verhindert, und doch wäre dieser Sieg ohne die furchtbare Vorbereitung dieses Möckerner Blutopfers nicht möglich gewesen. Ruhelos und rastlos marschiert nach der Leipziger Schlacht das "eiserne Korps" unter furchtbaren Schwierigkeiten über die Thüringer Berge, über das Werraland durch das Fuldatal nach Gießen, von dort nach Wiesbaden. Was für ein Marsch von der Memel zum Rhein!

In der Neujahrsnacht bei Kaub hält er die Spitze, dann geht es weiter, unter endlosen Streitigkeiten mit dem Blücherschen Stabe und dem Chef seiner Operationsabteilung, dem Obersten Müffling, von Sieg zu Sieg, über Saint-Dizier nach Châlons und von Châlons nach Fontenelles. Dann: während der Einmärsche nach Paris darf das Yorcksche Korps draußenbleiben. Am Pariser Einzug dürfen die Truppen des Yorckschen Korps und überhaupt der Schlesischen Armee nicht teilnehmen, weil sie "zu schmutzig aussehen!" In diesen Tagen besichtigt der König von Preußen das Yorcksche Korps. Wie er wenige Schritte an der Front entlanggeritten ist, macht er kehrt: "Sehen schlecht aus, schmutzige Leute!" Das war der Dank eines in seinen Gesinnungen bürgerlichen Königs für das in seiner [578] Kampfweise revolutionäre Soldatentum, dem er seinen Thron zu verdanken hat. Es ist, als wenn sich hier, vor den Toren von Paris, das achtzehnte und neunzehnte Jahrhundert, das friderizianische und das bürgerliche Zeitalter auf einmal schroff entgegentreten. Yorck selbst, immerhin, darf nach Paris hinein. Er bittet um Audienz beim König, dem er für das Großkreuz des Eisernen Kreuzes dankt. Sie gehen lange am Jardin des Plantes auf und ab, der nüchterne, schlanke, honette König und der weißhaarig gewordene Isegrim mit dem zerfurchten Gesicht. Humboldt hat sie beobachtet und berichtet, er habe geglaubt, "in Yorck ein ganzes Stück Weltgeschichte zu sehen!".

Der König, der von Paris nach London reist, befiehlt Yorck in seine Begleitung. Er selbst ist inzwischen mit vielen Ehren überhäuft: er ist Graf, mit dem Titel Graf Yorck von Wartenburg, geworden, ihm ist eine Gutsdotation in Aussicht gestellt. In London wird Blücher enthusiastisch empfangen, auf Yorck achtet man weniger. Auch im übrigen ist Yorck in London schwer enttäuscht. Hier erhält er die Order, daß ihm sein altes Korps abgenommen ist, daß er Kommandierender General über die schlesischen Truppen wird. Kleist, der milde, anständige, bedächtige Kleist, wird Kommandierender General des Yorckschen Korps. Politische Gründe lassen es jetzt geraten erscheinen, den Isegrim aus Frankreich abzuschieben. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan – der Mohr kann gehen, mit Orden behängt. Ergreifend sein Abschied von dem Korps, das er nun seit 1811 geführt hat, dem er in fünfzehn Schlachten siegreich war, niemals geschlagen, immer überlegen gewesen. "Jetzt ist es der Stolz und die Freude meines Alters – euer Führer gewesen zu sein", sagt er zu seinen Offizieren. Dann redet er seine Mannschaften an: "Wie soll ich euch die Empfindungen ausdrücken, von denen mein Herz bei der Trennung von meinen Kindern voll ist? Wie soll ich euch danken für die Ausdauer, mit der ihr von den Ufern der Düna bis zur Seine, an heißen Schlachttagen, im Angesicht des Todes, bei den angestrengtesten Mühseligkeiten zweier Winterfeldzüge, bei Entbehrungen jeder Art mir eure Treue bewiesen habt?" Und Schack schreibt: "Er sprach besonnen, eindringlich, erschütternd, mehr Rührung erregend, als er selbst zu empfinden schien. 'Vergeßt mich nicht und nehmt mich freundlich wieder auf, wenn das Vaterland erneut des Yorckschen Korps bedürfen sollte!'"

In Berlin hat die Rede Verwunderung erregt, wie könnte es anders sein! So reist er nach Breslau. Er hat kein Haus für das Generalkommando zur Verfügung; er wohnt im Hause eines Tabakhändlers, mit dem er sich dermaßen auseinandersetzt, daß sich die Handelskammer über ihn beschwert. Schlimm, sehr schlimm, wenn sich eine Handelskammer über den Sieger von fünfzehn Schlachten, den unbesiegten Schlachtengeneral, den Mann von Tauroggen, beschwert! Und noch etwas anderes, wo wir allerdings nicht seiner Meinung sein können: Der König hat für Blücher und Hardenberg den Fürstentitel und je vierhundertfünfzigtausend Taler Dotation festgesetzt, für Yorck, Kleist, Bülow und Gneisenau je zweihunderttausend Taler Dotation. Yorck beschwert [579] sich in schärfster Form. Es wirkt nicht gerade sehr sympathisch, den alten Soldaten damit beschäftigt zu sehen, sich in eigenen Vermögensangelegenheiten zu beschweren. Er zählt alle seine Taten auf, aber in diesem Zusammenhang wirken sie ein wenig peinlich. Vorerst nimmt er – da der König den Trägern der Dotationen die Auswahl aus seinen Domänen freigestellt hat – die "Malteserkommende Klein-Oels in Beschlag".

Es folgt die schlimmste aller Demütigungen: Für den Feldzug von 1815 hatte man ihm sein altes Korps nicht wiedergegeben. Man hatte ihm nicht mehr eine mobile Truppe anvertraut, er sollte das in Sachsen stehende Fünfte Korps befehligen, das nur mit Schanzarbeiten beschäftigt war! "Könnte man doch Möllendorf erwecken!" schreibt er in diesen Tagen. Ja, wenn man jetzt Möllendorf und den Alten Fritz wecken könnte! Bitter beschwert er sich bei Schack: "Schmerzhaft ist es, zu sehen, wie der König seine treuesten Diener behandelt!" An Schack schreibt er ein andermal: "Der König hat mich in die Provinz geschmissen, hat mir da ein paar Güter wie einem alten Hunde einen Knochen hingeworfen ..." Nach dem Friedensschluß kommt er erneut um Abschied ein. Er wird nicht gleich bewilligt; erst auf sein wiederholtes Drängen bekommt er ihn. Friedrich Wilhelm III. will ihn zum Feldmarschall haben, begeht aber die Taktlosigkeit, Müffling zum Übermittler seiner guten Absichten zu machen. Schneidend, fast hohnvoll lehnt Yorck den "Feldmarschall" ab.

Er ist so verbittert, daß er nie wieder Uniform anzieht. Er vergräbt sich in seiner Natur, in seiner Erde. 1819 stirbt seine Tochter, die Gräfin Hoverden, bei einer Geburt. Sein Schmerz ist fassungslos, es ist das zehnte Kind, das dieses unglückliche Elternpaar verlor. An Schack schreibt er: "Ich kann es nicht aussprechen, wieviel ich selbst leide!" Als er das Sterbezimmer verläßt, fällt er draußen zu Boden. Es ist noch derselbe Yorck, der in Kapstadt vor vierzig Jahren aus verhaltener Erregung heraus zu Boden fiel, der starke vulkanische Mensch mit der starren, kalten Maske.

Graf Yorck von Wartenburg.
[568b]      Graf Yorck von Wartenburg.
Bronzebüste von Christian Rauch, um 1818.
Berlin, Hohenzollern-Museum.

[Bildquelle: Johannes Schulz, Berlin.]
1821 nimmt Kleist den Abschied; auch er hat von der allenthalben einsetzenden Reaktion die Nase voll; er wird Feldmarschall. Der "korrekte König" findet, daß man nun doch Yorck nicht übergehen kann. Es ist sogar eine Großzügigkeit von ihm. Es ist wohl der einzige Fall in der preußischen Geschichte, daß ein General den "Feldmarschall" ablehnt und es dann später doch noch wird.

Am Abend seines Lebens vereinsamt Yorck auf seiner Scholle ganz, sinkt in die Vergessenheit, lebt seiner Landschaft, aus der sein seltsam naturhafter, konvulsivischer, in echtem Sinne gehärteter Charakter, seine alte Jägernatur zeit seines Lebens ihre gewaltigen Spannkräfte schöpfte. 1825 wartet er mit seiner Frau auf die Rückkehr ihres nun auch Offizier gewordenen zweiten Sohnes, des letzten Kindes, das sie noch haben, von einer langen Urlaubsreise. Am Tage vor seiner Ankunft stirbt die Mutter. Er ist nun ganz einsam, es wird dunkel um ihn. Der Sohn (der spätere liberale (!) Herrenhausabgeordnete) steht in Garnison, [580] nur den Enkel, den seine Tochter mit dem Tode bezahlen mußte, hat er noch bei sich. Er selbst bekommt einen Schlaganfall und wird fast taub, aber "die alten Gluten toben noch weiter in dem morschen Körper". Ende September 1830 – draußen ist es schon Herbst, das Laub wird bunt und will zur Ruhe gehen – läßt er sich (wie einst Friedrich Wilhelm I.) seinen Sarg kommen, besichtigt ihn. Am 3. Oktober wechselt er dann, von allen Bitternissen, aber auch Größen, die dieses Leben ihm gebracht hat, befreit, in das ewige Reich aller alten Jäger und Soldaten hinüber.


Denkmal für Graf Yorck von Wartenburg in Wartenburg, Sachsen-Anhalt.
Denkmal für Graf Yorck von Wartenburg
in Wartenburg, Sachsen-Anhalt.
[Nach wikipedia.org.]
Wir sprechen von Preußen, wir sprechen von Bismarck, von Friedrich, wir sprechen auch von Tauroggen. Aber laufen wir nicht Gefahr, ein falsches Preußentum zu sehen, wenn wir Tauroggen nicht von allen seinen Hintergründen, politischen und soldatischen, psychologischen und religiösen Vorgängen aus sehen? Wird das Preußentum nicht zu billig, wenn wir neben Friedrich nicht auch Friedrich Wilhelm, wenn wir neben die Beschwörung des Wortes "1813" nicht auch Yorck als erlebte Geschichtlichkeit stellen? Gerade die Beziehung auf 1813 offenbart uns und unserer nationalen Revolution gewaltige Parallelen. Nirgends aber sind diese Parallelen so zwingend, so beschwörend, so überraschend deutlich wie bei Yorck von Wartenburg, der leider nicht Yorck von Tauroggen heißt.

Mögen wir ihm den Namen geben! Aber nur, wenn wir wissen, wer er war und was er tat. Er ist für uns nächst Friedrich Wilhelm und Friedrich der größte konservative Revolutionär, der uns Maßstäbe zu geben hat, ist der große Revolutionär des Preußischen, der dem Dritten Reich unendlich viel zu sagen hat, ist das unersetzliche Bindeglied zwischen friderizianischer und bismarckischer Zeit. Auf ihn wird Bismarck sich während des Krimkrieges in Frankfurt berufen, um die östlichen Züge der preußischen Politik festzulegen. Was für ein tiefer Sinn, wenn Bismarck sich auf Yorck beruft! Denn in Tauroggen hatte sich, wenn auch seiner selbst kaum bewußt, das Deutsche zum erstenmal aus dem Preußischen erhoben. Tauroggen steht am Anfang der nationaldeutschen, auf Preußen beruhenden Entwicklung des zwanzigsten Jahrhunderts – die man nicht mit der Entwicklung des Nationalitätenprinzips in diesem Jahrhundert verwechseln soll. Die Yorcksche Tat ist groß, ist geschichtlich und bleibend. Groß ist auch die Yorcksche Tragik, die im deutschen Geschichtsbild immer und immer in engster Verbindung mit den größten Zeugnissen des deutschen Heroismus wiedergekehrt ist: so in Heinrich dem Löwen, Ulrich von Hutten, Heinrich von Plauen, Albrecht von Brandenburg, dem Großen Kurfürsten, Friedrich dem Großen, Hertzberg, Yorck und Otto von Bismarck. Die wirklich großen Gestalten der Geschichte sind fast immer beim Undank und bei der Vereinsamung geendet. Aber gerade aus der Tragik ihrer Schicksale entstand wiederum ein neuer Mythos, wie ein Fackelschein, nach dem die Kommenden sich auf ihrem nächtlichen Marsch orientieren konnten.




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Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz