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Die Anfänge der französischen Revolutionskriege
Der Friede von Basel
  [Scriptorium merkt an: 1795]

Obgleich das französische Volk sich von den Wunden des spanischen Erbfolgekrieges nur langsam erholte, ruhten seine Eroberungspläne niemals völlig. In seiner geschichtlichen und politischen Literatur spielte während des ganzen 18. Jahrhunderts die Lehre von den natürlichen Grenzen eine Hauptrolle. Aus den Zeiten der Gallier wurde der Anspruch abgeleitet, daß Frankreich sich vom Ozean, den Pyrenäen und dem Mittelmeere bis zu den Alpen, dem Rheine und der unteren Maas zu erstrecken habe. Die Gelehrten durchmusterten die Jahrhunderte vaterländischer Geschichte, um dieses Recht als ein unverjährtes, niemals aufgegebenes zu verteidigen. Namentlich betrachteten sie die natürlichen Grenzen als das gegebene politische Ziel der Franzosen seit dem Dreißigjährigen Kriege. Die Erfolge Richelieus, Mazarins und Ludwigs XIV. galten als Abschlagszahlungen.

Zwingend nötig für die einheimischen Bedürfnisse waren die gewünschten Landstriche nicht. Von der flandrischen Küste bis zu den Alpen besaß Frankreich schwache, uneinige Nachbarn, die meisten durch eigene Interessen, einige auch durch Geldspenden auf sein Wohlwollen angewiesen. Hinter ihnen lagen die deutschen Großmächte, schon vor 1740 aufeinander eifersüchtig, seitdem im offenen Zwiste oder Mißtrauen. So [48] war nach Sorels Worten "das deutsche Reich im Innern gespalten; ein ausgestreckter Körper ohne Nerven und Seele, lediglich bestrebt, unter der Obhut seiner Nachbarn bequem dahinzuträumen". Ebenso war Italien unter verschiedene Herrscherhäuser geteilt, welche sich der Habsburgischen Übermacht gern zu entziehen suchten.

Einsichtige französische Politiker warnten deshalb, die Lage gewaltsam zu ändern. Die großen feindlichen Verbindungen in den letzten 20 Jahren Ludwigs XIV. hatten gezeigt, wie leicht sich der Bogen überspannen und der geschlossene Widerstand eines großen Teiles des übrigen Europa herausfordern ließ. Namentlich wäre eine weitere Ausdehnung in Belgien den Engländern nicht gleichgültig gewesen. Klüger schien es, die Österreicher bloß an einem neuen Aufschwung zu hindern und ihnen in Deutschland Schwierigkeiten zu bereiten.

Trotzdem brach der französische Eroberungsdrang immer wieder durch. Schon zwanzig Jahre nach dem spanischen Erbfolgekriege kreuzten sich wieder die bourbonischen und habsburgischen Waffen. Kaiser Karls VI. Schwiegersohn war der Herzog von Lothringen. Durfte die französische Krone zulassen, daß dieser und Maria Theresia nach Karls Tode Österreich und Lothringen vereinigten? Die Erledigung des polnischen Königsthrones schien überdies günstig, einen Schützling des Hofes von Versailles nach Warschau zu setzen. Endlich bot ein siegreicher Krieg den Franzosen Gelegenheit, die Ergebnisse des Rastatter Friedens umzustoßen und in Italien den damals dort erfolgreichen Habsburgern Abbruch zu tun. Die Franzosen erreichten in diesem zweijährigen Kriege nur teilweise ihr Ziel. Den polnischen Thronkandidaten brachten sie nicht durch; wohl aber bemächtigten sie sich eines großen Stückes von Italien. Damit gewannen sie Neapel für eine bourbonische Nebenlinie. Aber auch was sie den Österreichern zurücklieferten, verkauften sie gegen eine Preisgabe deutscher Interessen durch den Wiener Hof. Herzog Franz wurde von Lothringen nach Toskana versetzt. Sein Herzogtum sollte nach einer Zwischenregierung französisch werden.

Fünf Jahre später brach der österreichische Erbfolgekrieg aus. Er bot für französische Eroberungsgelüste keine günstige Gelegenheit. Die französische Kriegführung zeigte sich in [49] keinem guten Lichte. Außerdem brauchten die Franzosen deutsche Sympathien und durften nicht das deutsche Nationalgefühl durch rücksichtslose Ansprüche reizen. Nur so konnten sie erreichen, daß der Kurfürst von Bayern im Wettrennen um die Kaiserkrone Sieger blieb und die von Versailles abhängige wittelsbachische Vorherrschaft über Süddeutschland den bisherigen Habsburgischen Einfluß ablöste.

Nachdem jedoch die Habsburger den österreichischen Erbfolgekrieg gewonnen und sich in ihrer Stellung neu befestigt hatten, traten die französischen Erweiterungspläne wieder offener hervor. Im Siebenjährigen Kriege wollte Maria Theresia die französische Hilfe für Schlesien mit Abtretungen in Flandern bezahlen; das übrige Belgien sollte in ein tatsächlich unter französische Vormundschaft gestelltes Fürstentum verwandelt werden. In zwei Feldzügen hofften die Verbündeten ihre schlesischen und niederländischen Pläne zu vollenden. Doch der Siebenjährige Krieg endigte für die Franzosen mit einer vollständigen Niederlage. Sie erlitten die schlimmsten moralischen wie materiellen Verluste und konnten sich jahrzehntelang außer durch eine Unterstützung der jungen amerikanischen Republik bloß noch diplomatisch betätigen.

Nach Ausbruch der Revolution lebten die früheren Wünsche wieder auf. Sie weckte an sich schon kriegerische Gelüste. Die neuen Ideen schienen nur dann dauernde Aussichten zu haben, wenn sie sich auch im übrigen Abendlande durchsetzten. Eine weitverzweigte revolutionäre Agitation bezweckte, gleichzeitig mit den französischen Errungenschaften die Welt zu beglücken und den politischen Einfluß im Auslande zu steigern. Aber auch innerpolitische Gründe legten den herrschenden französischen Parteien Kriegspläne nahe. So verkündigte, um den Kampf volkstümlich zu machen, der girondistische Minister Dumouriez von der Tribüne herunter Frankreichs Recht auf die natürlichen Grenzen. Wo diese schon erreicht waren, sollte der Krieg nur in der Verteidigung geführt werden. Dagegen verlangte Dumouriez, die nichtfranzösischen Bezirke auf dem linken Rheinufer, besonders Belgien und Lüttich, anzugreifen.

Im Auslande herrschten vielfach dieselben Gewalten und Volksschichten, welche in Frankreich gestürzt worden waren. [50] Die adligen und geistlichen Vorrechte, welche die Nationalversammlung beseitigt hatte, waren in Deutschland und Italien ebenso angefochten und überlebt wie in Frankreich. Darum fürchteten die maßgebenden Kreise in Deutschland und in Italien für ihre Machtstellung, wünschten sich gegen die Revolution zu schützen und sie auch in ihrer französischen Heimat einzudämmen. Solche Gefühle waren zwar nicht stark genug gewesen, um die Deutschen, voran die deutschen Großmächte, zur Kriegserklärung fortzureißen, beherrschten aber die österreichischen und preußischen Absichten, nachdem die Franzosen den Kampf herbeigeführt hatten.

Doch strebten beide Großmächte dabei zugleich auf ihre Kosten zu kommen. Der Wiener Hof wünschte, den Plänen Josefs II. untreu geworden, seine niederländisch-belgische Stellung nicht mehr aufzugeben, sondern zu verstärken. Schon am 7. März 1791 hatte der kaiserliche Minister in Brüssel, Mercy, die Königin Maria Antoinette nur um den Preis erheblicher Landabtretungen schützen wollen. Als gar Österreich bei der zweiten Teilung Polens leer auszugehen drohte, stiegen seine Ansprüche im Westen gewaltig. Im Mai 1793 forderte Mercy das Gebiet zwischen der belgischen Grenze und der Somme, den Elsaß, das ganze Herzogtum Lothringen, die Bistümer Metz, Toul und Verdun. Damit sollten Deutschland und die Niederlande "durch Eroberung einer soliden Barriere gegen künftige französische Angriffe und Eroberungsprojekte sichergestellt, überhaupt aber die französische Macht, wo möglich auf eine Art eingeschränkt werden, die das übrige Europa über die zukünftigen Schicksale und Staatenveränderungen derselben außer Sorge setzen mag".

So stolze Pläne hätten allerdings nicht nur eine völlige Niederlage der Franzosen erfordert, sondern stießen auch auf den Widerspruch der preußischen Verbündeten. Friedrich Wilhelm II. hatte zwar zeitweilig selbst an Erwerb gedacht, seinen rheinischen Besitz durch Jülich abrunden wollen. Rasch hatte sich jedoch herausgestellt, daß er nicht gleichzeitig westliche und seine polnischen Eroberungsziele verfolgen konnte. Aber wenn er auch vorübergehend um seiner polnischen Pläne willen sich mit den Wiener Hoffnungen auf Bayern anfreundete, war er ebensowenig wie früher Friedrich der Große bereit, [51] eine weitere österreichische Vorherrschaft in Süddeutschland und am Rheine zu dulden. Elsaß und Lothringen gönnte er noch lieber den Franzosen als dem habsburgischen Nebenbuhler.

Bald zeigten sich noch tiefere Risse im österreichisch-preußischen Bündnisse gegen Frankreich. Preußen kämpfte im Westen mit großen Kosten, aber geringem Nutzen. Dagegen verhandelten Rußland und Österreich über die dritte Teilung Polens und versprachen sich Landstriche, welche Preußen besetzt hatte oder wünschte. Angesichts des drohenden Zusammenstoßes mit den Kaisermächten mußte Preußen den Rücken frei bekommen. Gleichzeitig war auch in Frankreich die Not groß, das Volk kriegsmüde, die Regierung von inneren Schwierigkeiten bedroht. Der Gedanke an einen preußisch-französischen Sonderfrieden tauchte auf.

Aber er war nicht leicht zu verwirklichen. Der Pariser Wohlfahrtsausschuß, welcher unsicher im Sattel saß, traute sich nicht, aufs linke Rheinufer zu verzichten, nicht einmal auf Mainz, welches doch noch in den Händen der Verbündeten war. Dieser Anspruch traf aber nicht bloß preußisches Gebiet, sondern zwang auch den Berliner Hof, an der Zertrümmerung des Reichs mitzuwirken. Denn die Fürsten, welche linksrheinische Besitzungen hatten, mußten entschädigt werden. Nun legte der Berliner Hof seit den letzten Jahren Friedrichs des Großen besonderes Gewicht darauf, als Hort der Reichsverfassung gegen österreichische Willkür und Erwerbssucht zu gelten. Er scheute sich daher, den jetzigen Rechtszustand zu untergraben.

Schließlich siegte indes in Berlin das Ruhebedürfnis. Beim Baseler Frieden vom 5. April 1795 hofften freilich die preußischen Staatsmänner noch, das alte Reich und das linke Rheinufer zu retten. Obwohl Preußens linksrheinische Bezirke von den Franzosen besetzt werden durften, sollte erst der allgemeine Reichsfriede die Grenzen endgültig bestimmen. Tatsächlich täuschte Preußen mit solchen Zukunftswechseln nur sich selbst. Ein großes Hindernis für die französischen Ansprüche war weggeräumt. Ja, sie selbst waren ausdrücklich vorbehalten. Denn Preußen hatte erklärt, seine linksrheinischen Kreise gegen zureichende Entschädigungen herzugeben, wenn auch das übrige [52] linke Rheinufer französisch werden sollte. Die französischen Aussichten stiegen noch durch die vorgesehene Erweiterungsmöglichkeit des Baseler Friedens. Um mindestens ganz Norddeutschland zu beruhigen, wurde eine "Demarkationslinie" vereinbart, welche von Ostfriesland durch Westfalen über Limburg zum Maine lief und drei Monate lang von den französischen Truppen nicht überschritten werden durfte. Den dahinterliegenden deutschen Staaten sollte inzwischen der Friede vermittelt werden.

Den Baseler Frieden empfanden Frankreich wie Preußen als Erlösung. In Preußen war der Krieg nie volkstümlich gewesen. Nationaldeutsche Erwägungen, welche für die österreichischen Erweiterungspläne und gegen die Abtretung des linken Rheinufers gesprochen hätten, gab es in Berlin bloß vereinzelt. Vom Standpunkte preußischer Nützlichkeit aus war die Aussicht auf die reiche rechtsrheinische Entschädigung nur zu begrüßen. Wichtiger war noch die Hoffnung, sich bald mit dem bisherigen Feinde auch innerlich zu versöhnen und davon zu profitieren. Darüber kam das Gefühl nicht auf, daß Frankreich Größeres als je erreicht hatte.

Der Pariser Konvent erklärte bald darauf Belgien, Limburg, Luxemburg und Lüttich für französisch und behielt sich die übrigen linksrheinischen Gebiete vor. Den Preußen bot er zum Ersatz das Stift Münster an. Jetzt drangen die deutsch-nationalen Anschauungen, welche Hardenberg in Basel einigermaßen noch berücksichtigt hatte, in Berlin erst recht nicht mehr durch. Der Minister Haugwitz verkündigte, Preußen könne sich nicht länger uneigennützig für die deutsche Sache opfern, und gab gegen den zugesagten rechtsrheinischen Gebietszuwachs im Zusatzvertrag vom 5. August 1796 das linke Stromufer endgültig preis.

Die Franzosen hatten ihren ersten Sieg über die Deutschen im napoleonischen Zeitalter davongetragen. Preußen hatte ihn durch seine Halbheit und Unklarheit herbeigeführt. Es war zwischen selbstsüchtigen Zielen und dem Anspruch, das Reich unversehrt zu erhalten, hin- und hergependelt, hatte zwei schwer vereinbare, sein Können weit überschreitende Zwecke verfolgt, Menschen und Dinge nicht nach der Wirklichkeit, sondern nach vorgefaßter Meinung beurteilt. Es war ent- [53] täuscht gewesen, als die deutschen Fürsten die preußische Friedensvermittlung gar nicht haben wollten, und war hierdurch zuletzt ganz den Franzosen in die Arme getrieben worden.






Deutschlands Friedensschlüsse seit 1555:
Ihre Beweggründe und ihre geschichtliche Bedeutung

Professor Dr. Gustav Wolf