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Die polnischen Teilungen
[Scriptorium merkt an: 1. 1772, 2. 1793, 3. 1795]

Die Teilungen Polens gehören zwar nicht zu den deutschen Friedensschlüssen; denn sie beendigten keine Kriegshandlungen. Aber es wäre falsch, sie aus diesem äußeren Grunde zu übergehen. Denn uns interessieren die Friedensschlüsse nicht wegen der Frage, wie im Laufe der deutschen Geschichte Feindseligkeiten beendigt wurden, sondern als Marksteine der politischen Entwicklung. Unter diesem Gesichtspunkte müssen die polnischen Teilungen um so mehr berücksichtigt werden, weil sie gerade in der Gegenwart besondere Bedeutung beanspruchen.

Den Hohenzollern galt der Erwerb polnischen Gebietes und zwar unabhängig von sprachlichen Grenzen als wichtige Zukunftsfrage, seit sie begonnen hatten, einen einheitlichen Staat zu schaffen und seit sie deshalb den Zusammenhang zwischen Brandenburg-Pommern und Preußen vermißten. Friedrich der Große trat lediglich in die Fußtapfen seiner Vorfahren. Allerdings griff er die Dinge schon als Kronprinz zielbewußter an wie der erste Preußenkönig und dessen Räte. In seiner Schrift Über die gegenwärtige Politik Preußens verlangte der neunzehnjährige Verfasser die ganze Ostseeküste vom Westende Mecklenburgs bis zum Kurischen Haff. Auf Mecklenburg hatten die Hohenzollern [42] Erbansprüche und mußten nur warten. Schwedisch-Pommern war eine alte Forderung und wurde wegen der erhofften militärischen Kräfteersparnis verlangt. Polnisch-Preußen hätte zum Ordensstaate gehört und wäre diesem nur durch Eroberung gewaltsam entrissen worden. "Wenn man dieses Land gewonnen hat, verschafft man sich nicht nur den freien Verkehr zwischen Pommern und Preußen, sondern beherrscht auch die Polen, weil sie von den weichsel- und pregelaufwärts gebrachten Waren abhängen und letztere alsdann ohne unseren Willen nicht durchgeführt werden können."

Als König wurde Friedrich der Große in seiner Auffassung von der Notwendigkeit des ganzen Erwerbes bestärkt. Ohne das dazwischen liegende Polen war Ostpreußen kaum zu schützen. Diese Erfahrung war schon im Dreißigjährigen und im Kriege des Schwedenkönigs Karls X. gemacht worden; sie wiederholte sich im Siebenjährigen. Nur wollte Friedrich um Polnisch-Preußen nicht kämpfen. Im politischen Testamente von 1752 empfahl er seinem Nachfolger, die vielen inneren Wirren Polens zu benutzen, die Neutralität Zug um Zug gegen die Abtretung heute dieses, morgen jenes Kreises zu verkaufen und so das Land in Ruhe stückweise wie eine Artischocke zu verspeisen; Danzig sollte zuletzt drankommen. Als er 1768 auf den Gedanken zurückkam, riet er, einen Augenblick zu benutzen, wo Rußland preußische Hilfe brauchte.

Dabei hatten sich, seit der Große Kurfürst ähnliche Pläne mit dem Schwedenkönig erwogen, die Bedürfnisse im einzelnen verschoben. Die Sehnsucht Karls X. nach Unterlauf und Mündung der Weichsel hatte sich erledigt. Gerade diese Gegend hatte sich als notwendig für den preußischen Staat erwiesen. Sie vermittelte die kürzeste militärische Verbindung von Brandenburg-Pommern nach dem Herzogtum. Ohne Polnisch-Preußen brauchte Friedrich zur Verteidigung gegen das seit dem 17. Jahrhundert erstarkte Rußland unnatürlich viele Truppen, die ihm bei jeder Offensive fehlten. Dagegen dachte der König noch an keine bessere ostpreußisch-schlesische Verbindung. Vom ohnmächtigen Polen erwartete er weder einen Einfall in sein Land noch ein ernstliches Hindernis für seine Absicht, Truppen zwischen Schlesien und Preußen zu verschieben. So entschied er sich für die Netze [43] als südliche Grenze des zu gewinnenden Gebietes. Anfangs begehrte er bloß das rechte Ufer, später das ganze Flußgebiet, um den Fluß zu beherrschen und weil er bei "der natürlichen Unruhe des Polen" Handelsstörungen befürchtete.

Wenn trotzdem Friedrich nur zögernd zugriff und dem ungestümen Prinzen Heinrich in die Zügel fiel, hatte das zwei Gründe. Einmal vertraute er darauf, daß die reife Frucht seinem Hause über kurz oder lang doch in den Schoß fallen würde, und zweitens wollte er einen Krieg vermeiden. Indes stellte sich heraus, daß gerade die Teilung Polens das einzige Mittel war, um eine drohende österreichisch-russische Spannung in den orientalischen Wirren zu verhüten und "alle Welt zu befriedigen".

Ursprünglich erheischte das gegenseitige Mißtrauen der drei Teilungsmächte, daß jede annähernd gleich viel erlangte. Dieser Grundsatz wurde jedoch verlassen; die österreichischen, russischen, preußischen Gewinne wurden so ungleich wie möglich. Indes tröstete sich Friedrich. Sein Erwerb war der wirtschaftlich wertvollste und fiel aus strategischen Gründen stärker ins Gewicht, als seiner Ausdehnung entsprach. Das ihm entgangene Danzig verglich Friedrich mit dem offiziellpäpstlichen, in Wirklichkeit französischen Avignon und sagte jenem das Schicksal Straßburgs voraus. Schwerer verzichtete er freilich den Russen zuliebe auch auf Thorn.

So hatte Preußen Großes erreicht. Der König sprach stolz von einem "Meisterstück seiner Politik". Zweierlei war ihm wider Erwarten geglückt. Er hatte fast ganz Westpreußen gewonnen und den Krieg nicht nur für sich vermieden, sondern überhaupt vereitelt. Trotzdem hatte der Erwerb etwas Unfertiges. Friedrich begann sofort das verwahrloste Land zu kolonisieren und kulturfähig zu machen. Hierdurch schmerzte jedoch seine künstliche Trennung von den Weichselstädten Danzig und Thorn nur noch mehr. Auch hing zwar Ostpreußen jetzt enger mit dem übrigen Staate zusammen. Dieser hatte indessen eine lange, schwer zu schützende Grenze erhalten. Vom polnischen Winkel bei Küstrin aus konnte gleichzeitig Westpreußen und Schlesien bedroht werden. Einst hatte Friedrich der Große durch Kursachsen Schlesiens linke Flanke decken wollen; jetzt bot Schlesien nach der an- [44] deren Seite eine viel schlimmere Blöße. Das ging, so lange Friedrich der Große nur mit Polen zu rechnen hatte und feindliche Einwirkungen von Warschau fernhielt. Aber schon Fürst Panin hatte den ganzen Teilungsplan bekämpft, damit Rußland im unversehrten, völlig von ihm abhängigen Polen mit Gewalt oder List unsichtbar herrsche. Geriet das noch übrige Polen unter festen russischen Einfluß, so diente es dem ehrgeizigen Zarenhof als Sprungbrett.

Ohnehin hinterließ Friedrich der Große seinen Staat in verschlimmerter Lage. Das russisch-preußische Bündnis, durch welches er lange Jahre den Frieden gesichert, bestand nicht mehr. Nur die orientalischen Pläne der Zarin schoben vorläufig die Gefahr hinaus, daß die alte preußenfeindliche Koalition des Siebenjährigen Krieges sich erneuerte. Österreich sah es deshalb zunächst als seine dringendere Sorge an, Rußland sich nicht einseitig vergrößern zu lassen und selbst am Türkenkriege teilzunehmen.

Bismarck hat in seinen Gedanken und Erinnerungen Preußens damalige Haltung getadelt. Er hat dort den nicht "saturierten" Staaten Richtschnuren vorgeschrieben, welche er während des Krimkriegs Friedrich Wilhelm IV. empfohlen hatte und welche vielleicht nach dem heutigen Weltkriege für Deutschland neue Bedeutung gewinnen können: "eine klare Vorstellung von der Schädlichkeit halber Maßregeln in Fällen, wo es sich um Parteinahme oder um ihre Androhung handelt", die ständige Bereitschaft, bei Interessengegensätzen, die uns an sich nichts angehen, ausschlaggebend aufzutreten, den Entschluß, in solchen Fällen die eigene Stärke um sichere, gute Vorteile den streitenden Parteien ohne Vorliebe für die eine oder andere zu verkaufen und sich nicht vorzeitig zu binden, sondern klug den richtigen Augenblick des Eingreifens abzuwarten, die Kraft und die Fähigkeit, dabei feste Ziele energisch zu verfolgen und endlich als unentbehrliche Vorbedingung all dieser weisen Maßregeln eine schlagfertige Truppe. Nach Bismarcks Meinung hätte Preußen die türkischen Absichten Österreichs und Rußlands fördern und, nachdem beide Mächte sich im Osten gebunden hätten, als Preis seines Zuwartens eigene Erwerbungen an anderer Stelle, voran Danzig und Thorn, verlangen sollen. Mit der Drohung, sonst durch die [45] preußische Heereskraft die Türken zu entlasten, wäre reicher Gewinn ohne große Anstrengungen zu haben gewesen.

So kühnen Wagemut besaß man damals in Berlin nicht. Ängstlich richteten sich die Blicke nach dem Oriente; die bange Sorge erhob sich, daß nach entscheidenden Türkensiegen die beiden Kaisermächte zu neuen Schlägen gegen Preußen stark genug sein könnten. Die Gefahr schien nur durch abermaligen preußischen Gebietszuwachs zu beschwören. Längst war eine preußische Partei mit der ersten polnischen Teilung unzufrieden. Sie hielt den Staat für ein unvollkommenes Zwitterding zwischen einer europäischen Großmacht und einem deutschen Landesfürstentum. Zu Friedrichs Lebzeiten kamen solche Anschauungen gegen das vorsichtige Bremsen des Königs nicht auf. Doch 1787 entwarf Graf Hertzberg eine Denkschrift mit überschwenglichen Hoffnungen. Während die Kaisermächte im Osten beschäftigt waren, sollte Preußen Danzig, Thorn, die Woiwodschaften Posen und Kalisch einheimsen und den Polen als Ersatz Galizien verschaffen, welches im bisherigen Habsburgischen Besitze nach Hertzbergs Meinung für Preußen eine ungeheure Gefahr bildete. Österreich wäre für den Verlust durch seine orientalische Beute mehr als entschädigt worden.

Hertzbergs Plan wäre ohne Krieg nicht ausführbar gewesen. In Wien fehlte jede Lust, auf das reiche Galizien zu verzichten. Auch machten die Kaisermächte im Osten nicht solche Fortschritte, daß sie den Türken in dem erwarteten Umfange Provinzen abnehmen konnten. Aber als die Zarin nach ihrem Siege über die Türken die alten polnischen Pläne wieder aufnahm, war sie bereit, Preußen und Österreich durch Geld oder Land abzufinden. Der Wiener Kaiserhof trug sich nach dem Türkenkriege mit neuen Eroberungsgedanken im Westen, brauchte hierzu preußische Hilfe und lenkte aus Rücksicht auf die eigenen Pläne den Berliner Landhunger lieber nach Polen ab.

Im einzelnen schwankten die preußischen Wünsche zwischen Danzig und Thorn auf der einen, dem gesamten Polen links der Weichsel, Kujavien, Mazovien, Samogitien auf der anderen Seite. Klare Richtlinien sind heute schwer zu erkennen. Seit 1786 hatte die Berliner Politik ihren einheitlichen Charakter verloren. Der neue König wachte eifersüchtig über seinen [46] persönlichen Regierungsrechten, besaß aber weder die Arbeitskraft seines Oheims noch dessen Fähigkeit, selbständig die Staatsgeschäfte zu leiten. Verschiedene Einflüsse wetteiferten und machten die preußische Politik unstet. Dabei wurde wohl das Ungenügende der bisherigen Machtmittel empfunden, aber die richtige Vorstellung vom Notwendigen, Wünschenswerten und Erreichbaren fehlte. Ohne bestimmtes Maß wollten der König und seine Räte nehmen, was sich ihnen gerade bot oder zu bieten schien.

Jedenfalls bedachten die preußischen Staatsmänner die Zusammengehörigkeit und Verschmelzbarkeit der geforderten Gebiete mit dem alten Staatskörper nicht, sondern fürchteten nur, von den Russen überflügelt zu werden, und wünschten eine kürzere, bessere Grenze. Dadurch griffen sie über das, was zur Abrundung Preußens diente, weit hinaus. Anderseits erreichten sie an einer wichtigen Stelle ihre Ziele nicht. Die strategischen Erwägungen, besonders der Gedanke, daß die Österreicher von Galizien aus Preußen bedrohten, machten die Weichselgrenze, besonders Krakau und Sandomirez, erstrebenswert. Aber der österreichische Gesandte in Petersburg verlangte bei der zweiten Teilung Polens, daß die neuen preußischen und russischen Bezirke nicht an Österreich grenzen dürften, und setzte das zwar nicht für die russischen, aber für die preußischen durch. Und bei der dritten Teilung begehrte Österreich das Gebiet zwischen Weichsel und Pilica für sich selbst, weil sonst Polen nirgends mehr an die habsburgischen Länder grenzte. Immerhin war Friedrich Wilhelm II. durch die beiden letzten Teilungen Polens ein größerer Länderzuwachs beschieden wie irgend einem seiner Vorgänger.

Doch froh wurden die preußischen Staatsmänner dieser außergewöhnlichen Ausdehnung nicht. Haugwitz berichtete dem französischen Botschafter: "Es gibt in Berlin keinen verständigen Menschen, welcher heute nicht zugibt, daß die letzte Teilung Polens eine für Preußen unglückliche Operation war." Die ganzen Einverleibungen erschienen den meisten preußischen Politikern als ein notwendiges Übel, weniger aus dem eigenen Staatsinteresse wie aus der Pflicht, nicht alles den Russen zu schenken, entsprungen. Schon 1796 stellte sich heraus, daß die meisten preußischen Soldaten in Polen und [47] Schlesien zum Schutze der langen Grenze gebraucht wurden, daß namentlich Warschau eine starke Besatzung erforderte. Mit Recht hat Koser die Nachteile der polnischen Erwerbungen aufgezählt: "Sie erhöhte die Zahl der polnischen Untertanen in einem Maße, daß eine innere Aneignung oder gar eine Germanisation der neuen Provinzen, wie sie Friedrich der Große für seine polnischen Erwerbungen ins Auge gefaßt hatte, nicht mehr möglich war; sie verschlechterte die preußische Grenze gegen Österreich, indem sie den Grenzzug um mehr als das Doppelte verlängerte und im Halbkreis ausgreifen ließ; sie brachte Preußen zum ersten Male und auf eine lange Strecke in unmittelbare grenznachbarliche Berührung mit Rußland."






Deutschlands Friedensschlüsse seit 1555:
Ihre Beweggründe und ihre geschichtliche Bedeutung

Professor Dr. Gustav Wolf