[Bd. 2 S. 233]
In der Gesamtfolge aller Generationsführer von Hasse zu Beethoven steht Joseph Haydn – entgegen der landgängigen Meinung – nicht an einem Stilbeginn, sondern genau in der Mitte der ganzen Entwicklung von den Anfängen des neuen Stils bis zu Beethovens Stilvollendung. Er ist Mitte und Angelpunkt, ist wirklich die Achse, um die sich die dem Barock entgegenstehende wie die sich von ihm lösende Tonkunst dreht. Haydn ist der Träger dieser Bewegung, der Hauptverantwortliche für die Ablösung wie für die Fortentwicklung der Tonkunst seines Jahrhunderts. Diese Bedeutung Haydns hat die Nachwelt nicht mehr erkannt, und nach dem Vorgang von E. T. A. Hoffmann sah das romantische Jahrhundert in dem Künstler vornehmlich den spielerischen, ewig tändelnden Geist. "Papa Haydn" – der Ausspruch kindlicher Verehrung eines Mozart und Beethoven wurde im gedankenlosen Nachschwatzen des Philistermundes zum abgeleierten, in der Sinnbedeutung ins Gegenteil verkehrten Gemeinplatz. Heute endlich ist zu hoffen, daß der immer reicher fließende Strom des durch die Gesamtausgabe der Werke in seiner ganzen Fülle in Erscheinung tretenden Schaffens das alte Fehlurteil zurückverwandeln wird in das ehrfürchtige Staunen, mit dem ein Mozart das Werk des Fachgenossen und Freundes entgegennahm. Neben den beiden anderen großen klassischen Wiener Meistern, den Musikersöhnen, steht Haydn als das schlichte Volkskind, als Bauernsohn. Dort – bei Mozart und Beethoven – die von Hause aus größere musikalische Kultur, hier die größere Urwüchsigkeit in der einstöckigen burgenländischen Dorfwohnung des Vaters Matthias, der sich vom Kleinhäusler zum Großbauern emporgearbeitet [234] hatte. Ihm war die Musik ständige Lebensbegleiterin, mochte er sich nun in ihr "die Grillen versingen" oder nach der Tagesmühe den Seinen zum Gesang aufspielen. Bauernerbe ist Josephs kleine, untersetzte Statur, ist seine Zähigkeit und die Nüchternheit seiner Zeiteinteilung. Bauernerbe ist nicht minder die Rastlosigkeit eines künstlerischen Wirkens, das bis ins hohe Alter sechzehn bis achtzehn Stunden der täglichen Arbeit widmet. Von den Eltern war Joseph Haydn für die ihnen leichter dünkende Laufbahn eines Geistlichen ausersehen, er aber schlug den schwereren Weg ein, der ihn durch alle Nöte und jeden Jammer des Musikertums geführt hat. Wie Wagner blieb auch Hadyn sich bewußt, was ihm, dem einstigen Dachkammerbewohner und Tanzbodenspieler die Notzeiten des Lebens bedeutet hatten. Das erweist sein Bekennerwort: "Was ich aber bin, ist alles ein Werk der dringendsten Not." Seine Kunst entschädigte den jungen Musiker für die Lebensschwierigkeiten noch nicht, und als das Schicksal ihn durch die Vermittlung des kaiserlichen Hofdichters Pietro Metastasio dem Italiener Nicola A. Porpora als Schüler im Gesang und "in den echten Fundamenten der Setzkunst" zuführte, lagen Fallstricke unter der Oberschicht des Guten und Nützlichen. Stand doch Haydn jetzt den glänzenden Kreisen der italienischen Wiener Hof- und Weltoper gefährlich nahe, aus denen Hunderte von deutschen Musikern den Weg zur heimischen Tonkunst nicht mehr zurückgefunden hatten. Aber das Geschick tat einen meisterhaften Gegenzug, als es den jungen Komponisten, der im Jahre 1759 seine erste Stellung als Kammerkomponist und Musikdirektor des Grafen Morzin angetreten hatte, schon zwei Jahre später dorthin leitete, wo die Wurzeln seiner Kraft lagen: in die ländliche Stille des kleinen Eisenstadt und seit 1766 für ein volles Vierteljahrhundert in die Einsamkeit des Schlosses Esterház am Südende des Neusiedler Sees. In der Zeit, in der der junge Mozart seine ersten von Beifall umbrausten Kunstausflüge in die Welt unternahm, fühlte sich der Esterházysche Kapellmeister Haydn von den dunkeln Fittichen der Einsamkeit umrauscht. Was sie für ihn als Schaffenden bedeutete, hat Haydn später in die klaren und klugen Worte zusammengefaßt: "Ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen, ich war von der Welt abgesondert. Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irremachen und quälen, und so mußte ich original werden."
Die eigentlichen Schwingen seiner Seele aber sind eine tiefe Frömmigkeit und ein urwüchsiger, nie versiegender, nie erliegender Humor. In dem herrlichen Briefe vom 22. September 1802, in dem der Siebzigjährige sich wünscht, als Priester seiner heiligen Kunst beurteilt zu werden, steht – ebenfalls auf die Ganzheit seiner Kunst hinzielend – das Wort von der seelenvollen Heiterkeit, das aus dem andern, dem weltlichen Schachte seines Gesamtschaffens hervorbricht. Das Werden und Reifen des Komponisten weicht von der streng geregelten Erziehung Mozarts und Beethovens bedeutsam ab. Seine theoretischen Fachkenntnisse verdankt Haydn – worauf er mit dem Stolze des sein Land selbst bebauenden Bauernsohnes hinweist – dem Selbststudium der wichtigsten Lehrbücher seiner Zeit von J. J. Fux bis zu Philipp Emanuel Bachs berühmtem "Versuch über die wahre Art, das Klavier zu spielen" – also Kunstgut aus süd- und norddeutschen Geisteskreisen. Mit besonderem Nachdruck betonte er später seinen Anfang "überall gleich mit dem Praktischen, erst im Singen und Instrumentalspiel, hernach auch in der Komposition. In dieser habe ich andere [236] mehr gehört als studiert, ich habe aber auch das Schönste und Beste in allen Gattungen gehört, was es in meiner Zeit zu hören gab. Und dessen war damals in Wien viel, o wie viel! Da merkte ich nun auf und suchte mir zunutze zu machen, was auf mich besonders gewirkt hatte und was mir als vorzüglich erschien. Nur daß ich nirgends bloß nachmachte." Dieser Wille zum Nicht-Nachmachen sah sich zu kaum einer anderen Zeit einer so verwickelten stilistischen Lage gegenüber als um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Die von Hasse angeführte Italienerpartei Musikdeutschlands stand damals auf der Höhe ihres Ruhmes. Die jungen Neutöner, ein Johann Stamitz in Mannheim, die Wiener um Monn und Wagenseil, der große Stilführer im Norden Emanuel Bach hatten gerade die Welt durch ihre ersten künstlerischen Großtaten aufhorchen lassen. Haydn, der junge, soeben aus dem Wiener Kapellhaus entlassene Musiker, hatte es in seiner kompositorischen Tätigkeit wahrlich nicht leicht, in der jetzt zunächst die Hauptbahnen der Klaviersonate, des Streichquartetts und der Sinfonie in den Vordergrund rücken. In der Klaviersonate hatte der deutsche Norden vor allem durch Emanuel Bach einen Vorsprung auf die formal straffere und stilreinere Gattung hin erreicht, während der Süden um die Jahrhundertmitte noch an dem vielsätzigen Divertimentotypus festhielt. Als der junge Haydn sich mit der noch keineswegs gefestigten Klaviersonate beschäftigte, waren Gemeinschaftsschicksal dieser Musikgattung und Einzelschicksal des Schaffenden noch ineinander verwoben. Haydn reifte in seinen ersten Arbeiten noch mehr durch die Gattung selbst als sie durch ihn. Da ihm die große Ausformung der sonatenförmigen Ecksätze in den ersten Frühsonaten nicht gelang, eroberte er die Form von innen, über die geistesvollen Mittelsätze und die besonders in den Trios oft schon sehr eigenartigen Menuette, schließlich auch über die Schlußsätze. Ein Scherzo-Finale mißlang zwar zunächst (Sonate Nr. 9) noch vollständig, aber das Finale der im Jahre 1767 geschriebenen D-dur-Sonate wirbelt alle bisher noch mitgeschleppten formalen und geistigen Beschränkungen hinweg. Dieses spritzige, kecke Kopfthema voll Schalkhaftigkeit und Übermut hat eine Meisterhand geformt, die jetzt auch imstande ist, den ganzen Satz auf entsprechender Höhe zu halten. Nur wenige Jahre später schenkt Haydn der Gattung in der 1771 geschriebenen dreisätzigen c-moll-Sonate ihr erstes hochragendes Gipfelwerk. Es ist eine Schöpfung von vielfacher Bedeutung und ein Tonwerk, das den in der Einsamkeit des Waldschlosses von Esterház Versunkenen doch mit hundert unsichtbaren Fäden der gewaltigen, gerade damals losbrausenden Geistesbewegung verknüpft. Diese urtümliche c-moll-Erschütterung, in der nicht irgendeines der Rokoko-Instrumente, sondern ganz bestimmt das moderne Hammerklavier erbebt, hallt durch alle Sätze des hochbedeutenden Werkes bis zur letzten Note. Was am modischen süddeutschen Divertimentogeist zu überwinden war, ist hier überwunden und in die Flucht geschlagen mit Hilfe eben jenes Emanuel Bachschen Geistes, dem der Österreicher Haydn sich hier mit voller Absicht [237] verbündet hatte. Der stilhafte Vorsprung der norddeutschen Klaviersonate ist in diesem selbst Epoche machenden Werke eingeholt. Der Weg zu den höchsten Kunstzielen ist von jetzt ab, von 1771 ab, auch für die süddeutsch-österreichische Klaviersonate frei. Auch für Haydns persönlichste Kompositionsgattung, das Streichquartett, bedeutete das Jahr 1771 einen der wichtigsten Angelpunkte. In diesem Jahre schrieb Joseph Haydn sein Opus 17, das wegen der ganzen Gewalt des Ansturms gegen das Bestehende Haydns "Räuber" genannt worden ist. Die schon im nächsten Jahre folgenden sechs "Sonnenquartette", op. 20, setzen den Stoß fort. Sie bedeuten vor allem in ihren drei Fugen Haydns Kampfansage gegen die hochgalante Schreibweise, gegen die hier der Trumpf der höchsten Gleichwertigkeit der vier Stimmen ausgespielt wird. Der Stürmer und Dränger aber hatte selbst hoch, zu hoch gespielt, wie mit vollster Eindeutigkeit die Schaffenspause von zehn Jahren erweist, die der Künstler in der Quartettkomposition nun eintreten ließ – eine der größten Pausen des Reifens, die die Musikgeschichte kennt. Als Haydn sich mit den "russischen" Quartetten von 1781 der Gattung wieder zuwandte, stand er auf der höchsten Stufe der nur noch von Mozart in seinen Spitzenleistungen erreichten Meisterschaft. Mit seinen hundertundvier beglaubigten Sinfonien ist Haydn der fruchtbarste unter den im heutigen Konzertleben noch bekannten Komponisten. Aber sein Schaffen mit den vierzig Frühsinfonien bis 1770, den dreißig der siebziger Jahre, den zwanzig des folgenden Jahrzehnts und dem letzten Dutzend der neunziger Jahre findet schon den Übergang zu der geringen Zahl der Werke der großen Sinfoniekomponisten des folgenden Jahrhunderts selbst. Diese Kurve offenbart deutlich die Abnahme des für den Tagesbedarf der fürstlichen Hofmusik geschriebenen Gebrauchsmusikgutes. Zugleich aber deutet sie auch auf die Ur- und Grundproblematik des sinfonischen Schaffens des frühen und mittleren Haydn hin, des hier einmal ganz scharf in den Rahmen einer repräsentativen Musikpflege eingespannten Komponisten. Die Übergangszeit, in der Haydn die Wirkungsmittel der modischen Sinfonie seiner Zeit verwendet, ist sehr kurz, denn schon die im Jahre 1761 geschriebenen drei Programmsinfonien "Le matin", "Le midi", "Le soir" zeigen ein eigenes Gesicht. Die Vorwürfe der drei Werke bilden nicht mehr nach Rokokoart zurechtgestutzte Naturbilder. Was hier schon gleich im ersten Hauptthema der dritten Sinfonie losbricht, ist echtes musikalisches Volksgut, unverbildet und naturfrisch in Rhythmen und Melos. Man blättere nur einige Seiten weiter in der gleichen Partitur, so stößt man in dem Zwiegesang von Solo-Violoncell und Fagott im Trio des Menuetts auf einen weiteren Zeugen der frühhaydnischen Naturmusik, auf Klänge einer wahren musikalischen Heimatkunst, die von der um die Jahrhundertmitte so stark italianisierten Tonsprache der Sinfonie seltsam abstechen. Aber mehr als Vorboten eines neuen Sinfoniestiles sind die Schöpfungen von [238] 1761 noch nicht, denn der Komponist hatte in diesem Bezirke seines Schaffens noch um jeden Schritt Boden zu kämpfen. Die stärksten Widerstände kamen diesmal von der technischen Grundlage der älteren Generalbaß-Sinfonie her. Selbst einem geistig so hoch stehenden Werke wie der um 1770 geschriebenen Sinfonie Nr. 39 in g-moll, einer den Gärungen des Sturmes und Dranges entgegenfiebernden Schöpfung, rauben die Bleigewichte der schwerfälligen Generalbaß-Stimmigkeit in den Celli und Bässen vieles von der sonstigen Beweglichkeit der Haydnschen Erfindungskraft. Von den Gipfelpunkten der Entwicklung gesehen, erreicht Haydn über die C-dur-Sinfonie von 1777, über "La chasse" von 1781 und über die 88. Sinfonie in G-dur von 1786 den Hochstand seines einzigartigen und unvergleichlichen Könnens, das mit derselben Meisterschaft Erfindung, Technik und Instrumentation als die Hauptmächte der Gestaltung ins Spiel wirft. Aus einem nur aus Frage und Antwort gestellten Sechsnotenmotiv heraus gesponnen, entfaltet sich in der Pariser G-dur-Sinfonie der ganze erste Satz; an ihn schließt sich der auf rein diatonische Harmoniewirkungen gestellte, der Tiefe des Herzens entsteigende Largo-Variationen-Satz an. Menuett und Allegro con spirito aber zeigen den anderen, den volknahen Komponisten in der sprudelnden Beweglichkeit seines Geistes. Das Zueinanderstehen der vier Sinfoniesätze zu einer vollendeten, innerlich geschlossenen Einheit ist erreicht und damit das klassische Maß des deutschen Sinfoniestiles. Ein anderes Bild: Haydn als Vokalkomponist. Das bisher beobachtete rüstige und ständige Vorwärtsschreiten ist irgendwie gehemmt, behindert. Ein verwandelter Künstler steht mit einem Male vor unserm Blick, aber wer möchte sagen – in Hinsicht auf so viel Großes und Gewaltiges auch in diesem Kreise – ein Kleinerer? Jedenfalls aber gibt es hier einen Komponisten, der mit Mode und Zeitströmung zu ringen hat, einen Schaffenden, der sich auf Tod und Teufel seines Deutschtums zu wehren hat, insbesondere auf dem Felde der Oper.
Es ist nicht mit einem glatten Ja oder Nein zu entscheiden, ob es gerecht und gerechtfertigt ist, daß die heutige Welt den Opernkomponisten Haydn nicht mehr kennt. Zudem kommt hier noch das Unglück hinzu, daß das Werk des nationalen Opernkomponisten, der schon im Jahre 1751 dem Wiener Singspiel mit seinem "Krummen Teufel" einen Beitrag geschenkt hatte und seitdem noch weitere, verloren ist. Aus der Welt der italienischen Opern Haydns dürften die großen, auf Texte Metastasios und seines Kreises geschriebenen Werke für eine Wiederbelebung nicht in Betracht kommen. Was selbst einem Mozart nicht möglich war, als er nach "Le Nozze di Figaro" und "Don Giovanni" in "La Clemenza di Tito" noch einmal zur Welt Metastasios zurückkehrte, gelang Haydn noch weniger. Die Brücke zur edlen Empfindsamkeit des Opernbeherrschers, die der junge, weiche Mozart leichtfüßig betreten konnte, brach unter Haydns Schritten zusammen. [239] Was ihm bei dem sentimental-pathetischen Metastasio schließlich unzugänglich bleiben mußte, glaubte Haydn bei dem Italiener der Gegenseite, bei Carlo Goldoni, zu finden, von dem er drei Texte in Musik gesetzt hat ("Lo speziale", 1768, "Le pescatrici", 1770, "Il mondo della luna", 1777). Der große deutsche Humorist scheint in Goldoni seinen Theatermann gefunden zu haben: Hier wie dort sprühendes Leben, heiteres, zärtliches Spiel und spielerisches Spät-Rokoko der Bühne. Und die ernste Welt, die Goldoni dem Spiel gegenüberzustellen pflegte, mochte gerade in der Gegensätzlichkeit Haydns dramatischen Absichten entsprechen. Aber bei genauerem Zusehen ergibt sich doch, daß die Bindungen, die bei beiden Meistern die Welten der Heiterkeit und des Ernstes miteinander verknüpfen, nicht zusammenfallen. Bei Goldoni, dem Italiener, liegen sie innerhalb der Umgrenzungen seiner volkhaft-dramatischen Konvention ("limiti della convenienza"), die die deutsche Opernbühne soeben erst durch Mozart hinter sich gelassen hatte und die Haydns Urwüchsigkeit niemals anerkennen konnte. Er vermochte wohl den beiden Seiten der Texte Goldonis einzeln gerecht zu werden, an den typischen Bindungen des Dichters aber mußte er als Dramatiker notwendig scheitern. Die letzte Lösung seiner Opernfrage hat der in allen künstlerischen Dingen gegen sich so grundehrliche Meister selbst gegeben. Unter den Äußerungen über seine Opernwerke trifft am sichersten ihre allgemeine Lage die Antwort, die er 1787 auf eine von Prag ausgehende Aufforderung zur Übersendung einer Opera buffa gegeben hat. "Ich kann Ihnen diesfalls nicht dienen – schrieb er –, weil alle meine Opern zu viel an unser Personale gebunden sind und außerdem nie die Wirkung hervorbringen würden, die ich nach der Lokalität berechnet habe." Man ersetze – um die ganze Bedeutung dieses Ausspruchs zu überleuchten – hier auf einen Augenblick das Wort Oper durch "Sinfonie" und unterstelle dann den gleichen Tatbestand etwa bei der bekannten Aufforderung der Pariser Verleger an den Sinfoniekomponisten. Das ist in der Tat unvorstellbar und offenbart deshalb die gewaltige Kluft zwischen dem Instrumentalkomponisten und dem Opernkomponisten Haydn. Dort der von der Welt als Führer anerkannte und für diese Welt arbeitende Meister – hier der Künstler, der just zu der Zeit, da Schiller von der Bühne aus den Geist der Nation anfeuert, sich in den kleinen Räumen eines weltverlorenen fürstlichen Privattheaters vor der großen Öffentlichkeit verschließt. In den Begleitgattungen der Oper – in Oratorium, Kantate, Messe – gelangte Haydn trotz gelegentlicher Durchbrüche etwa in dem Oratorium "Il ritorno di Tobia" von 1774–1775 oder in der Cäcilienmesse vom Anfang der achtziger Jahre im allgemeinen nicht über die Linie des italianisierten Wiener Geschmackes hinaus. Einzig die merkwürdige, später in eine Kantate verwandelte Instrumentalpassion von 1785 "Die Sieben Worte des Erlösers am Kreuze" ragt innerhalb der Bannmeile des Wiener oratorischen Stiles als das Werk eines auch hier schon überzeitlichen Schöpfertums hervor. [240] Als Liederkomponist trat Haydn zuerst in einem sonderbaren Wettbewerb mit dem Wiener Hofklaviermeister Joseph Anton Steffan hervor, der in den Jahren 1778–1782 eine "Sammlung deutscher Lieder für Klavier" herausgab, die des Meisters größtes Mißfallen erregte. Damit die Welt nicht glaube – wie er derb sagte, "daß der Prahlhans den Parnaß alleinig gefressen" habe, und um ihr den Unterschied zu zeigen, setzte Haydn drei der schon von Steffen vertonten Texte in seiner ersten Liedersammlung von 1781 in Musik. Aber auch er erhob sich hier noch nicht weit über das im Bannkreis von Arie und Singspiel stehende Wiener Lied, das sich an dem Ringen der norddeutschen Komponisten und Dichter um einen neuen Liedstil noch kaum beteiligt hatte. Haydn selbst schloß sich aus einer solchen Mitarbeit zunächst durch einen bösen Mißgriff aus, als er den ihm befreundeten Hofrat von Greiner beauftragte, ihn in seiner Einsamkeit von Esterház mit guten und zur Vertonung brauchbaren Liedertexten zu versorgen. Greiner entledigte sich dieses Auftrags im Sinne des seichtesten und oberflächlichsten Wiener Modegeschmacks und sandte dem Komponisten entsprechende Dichtungen zu. Erst in den Liedern der neunziger Jahre fand Haydn Anschluß an die große deutsche Dichtung, und über die Bearbeitungen
Wahrlich ein Lebenswerk auf allen Gebieten der Tonkunst und auch auf hier nicht berührten Feldern der Kammer- und Konzertmusik lag hinter dem Meister, als er nach der Auflösung der Esterházyschen Kapelle im Jahre 1790 seinen dauernden Aufenthalt in Wien nahm. Wie eine lange zusammengedrückte Feder schnellte der Künstler damals in die Reichshauptstadt und schon bald über sie hinaus, nach London. Richard Pohl hat seiner Schilderung der ersten englischen Reise Haydns in den Jahren 1790–1791 die Verse Shakespeares vorangestellt:
– – – Die Insel ist voll
Lärm, Haydn aber sollte neben den süßen auch schädliche und häßliche Klänge auf seiner großen Kunstfahrt kennenlernen. Die englische Öffentlichkeit, die den Künstler schon lange kannte, mochte sich den Menschen anders vorgestellt haben, da das Morning Chronicle den nicht eben freundlichen Empfang hinausposaunte, daß man bei Haydns Ankunft entdeckt habe, daß der Meister "schon an Kran verloren habe". Aber man hatte sich verrechnet, und der alte Meister gab alsbald Zeichen der unverbrauchten Urkraft seiner Natur von sich, angefangen von dem zähen Aushalten aller Pflichten des gesellschaftlichen Lebens der Weltstadt bis zum siegreichen Wettstreit im Burgundertrinken. Nach den ersten Siegen seiner Kunst setzte ein vollständiger Umschwung der öffentlichen Meinung ein, [241] und dieselbe Zeitung, die ihm ihren unfreundlichen Willkomm entgegengekrächzt hatte, schrieb nach dem ersten Konzert: "Wir freuten uns, das erste Konzert so zahlreich besucht zu sehen, denn es steigert unsere Hoffnung, daß das erste musikalische Genie des Zeitalters sich durch unsern freigebigen Willkomm veranlaßt sehen dürfte, seinen Wohnsitz in England zu nehmen." Das ist deutlich und sagt es gerade heraus, wie hier die Gefahr drohte, daß der unersetzliche Händel-Verlust für Musikdeutschland sich hätte wiederholen können. England hat sicherlich nichts unterlassen, dem im Morning Chronicle so deutlich ausgesprochenen Wunsch durch Ehrungen aller Art noch besonderen Nachdruck zu verleihen. Der besonders durch die Verleihung der Würde eines "Doctor in musica honoris causa" durch die Oxforder Universität in den Mittelpunkt der Musikinteressen der Weltstadt gerückte Meister mag sich einen Londoner Konzertwinter dennoch anders vorgestellt haben, als er sich schließlich wirklich anließ. Denn mit jeder neuen Ehrung wuchs die Zahl seiner Neider, und am Ende wiederholte sich das aus Händels Lebensgeschichte sattsam bekannte Schauspiel zweier gegnerischer Konzertunternehmungen, die – hie Haydn, hie Pleyel – zwei europäische Berühmtheiten gegeneinander auszuspielen trachteten. Es ist bezeichnend für Haydns Denkweise, wie er selbst dieser Merkwürdigkeit das richtige Maß gab: "Daß ich auch in London eine Menge Neider habe, ist ganz gewiß, und ich kenne sie beinahe alle, die meisten sind Welsche, allein sie können mir nicht nahekommen, weil mein Kredit bei dem Volk schon seit vielen Jahren festgesetzt war." Vor den Machenschaften eines Klüngels fühlt der Volkskomponist sich gesichert! Und mit Recht! Der Sieg, den der Künstler sich in England erkämpfen mußte, ist bei der zweiten Londoner Reise von 1794 bis 1795 unbestritten. Der Triumph des Meisters läßt den alten Wunsch wieder aufflammen, ihn dauernd an England zu fesseln. Selbst die königliche Familie spricht diese Hoffnung ganz offen aus. Die Königin bietet Haydn eine Sommerwohnung in Windsor an –"dann machen wir dort tête-à-tête Musik", schmeichelt sie. Der König verwandelt dieses Angebot ins Praktische und erklärt, er werde Haydns Gattin veranlassen, dem Gemahl für immer nach England zu folgen, worauf der große Humorist die Antwort gab: "Oh, die getraut sich nicht einmal über die Donau und noch weniger übers Meer!" Aber schließlich prallte die Gefahr des Verlustes des Meisters für das Vaterland an Haydns Heimatliebe und an seiner Anhänglichkeit an sein Stammland ab. Ein Ruf – nur ein Wink des Fürsten Nikolaus Esterházy, daß er die aufgelöste Kapelle wieder errichten werde – und der Spuk eines englischen Daueraufenthaltes ist verflogen. Das Vaterland, dem er in London abspenstig gemacht werden sollte, hatte ihn wieder – für immer. Seiner peinlich sorgfältigen Gewohnheit getreu, schrieb der im August 1795 Heimkehrende das Ergebnis der Londoner Reisen in sein Tagebuch: ...787 Notenblätter neuer Tonwerke, darunter die zwölf Londoner Sinfonien, und 15 000 fl. finanzieller Gewinn. [242] Haydns Spätstil ist von dem der anderen großen Komponisten, wie Beethoven, Bruckner oder Wagner, sehr verschieden, und er entspricht gerade in dieser Besonderheit den eigenartigen Veränderungen in des Meisters Lebenslage. Sie verlangte an Stelle einer beschaulichen Versenkung des Alternden in seine Eigenkreise das Hinaustreten in das hellste Rampenlicht der Weltöffentlichkeit, vor allem mit dem letzten Dutzend der Sinfonien. Die bewährten Grundlagen seiner Sinfonieform brauchte der späte Haydn nicht mehr zu erweitern, aber in die Höhe und Tiefe der Geistanlage konnte er das sinfonische Werk noch wachsen lassen, und fast jeder einzelne Satz zeugt davon, mit wieviel Bedacht der Meister sich darum bemühte. In einem Schaffensbezirk gelingt es dem Meister, das bisher Errungene noch zu überbieten: in seiner harmonischen Schreibweise. Da blitzen vorab in den langsamen Sätzen in kühnen Halbtonrückungen, in eigenartigen variantischen und anderen Dur-Moll-Wendungen oder auch in der Behandlung des verminderten Septakkordes ganz neuartige harmonische Lichter auf, die die Frühromantiker veranlaßt haben, den Harmoniker Haydn schon als den ihrigen anzusehen. In der Tat aber ist der sinfonische Endstil Haydns in allen stilhaften Werkbeziehungen die letzte und größte Huldigung des Instrumentalkomponisten an den Geist seines Jahrhunderts. Als Symbol dessen mag man den Abschluß des sinfonischen Schaffens durch die mit den Revolutionswirren zusammenhängenden Verkehrsstockungen ersehen, die es den Musikern des Festlandes unmöglich machten, an den Londoner Konzerten Haydns 1794 mitzuwirken. Das Ereignis, das die Kultur des Ancien régime zerschlug, setzte auch der Sinfonie Haydns ihr Ende. Wie zum Ausgleich des Schaffens stellte der in die Heimat zurückgekehrte Künstler in seinen späten Schöpfungen dem gewaltigen Sinfonieblock die Riesenwerke der großen, letzten Vokalkompositionen entgegen, darunter sechs zwischen 1799 und 1802 geschriebene Messen und die beiden Oratorien "Die Schöpfung" und "Die Jahreszeiten". Bei diesen Kompositionen greift in die natürliche Entwicklung und Reifung des Haydnschen Stiles ein Ereignis ein, das der Stilvollendung des Vokalkomponisten ihr besonderes Gepräge verleiht. Auf englischem Boden – bei der großen Erinnerungsfeier an Händel in der Westminsterabtei im Mai und Juni 1791 – durchbrausten die Seele Haydns die Schauer des aufwühlendsten künstlerischen Eindruckes seines Lebens. Und heimgekehrt, beschwor er die Fülle der Gesichte im eigenen Schaffen, und der Stilvollendung des großen Vormeisters entwuchs nun die eigene. Nach der Aussage Gottfried van Swietens, des Bearbeiters der Texte der beiden Spätoratorien, ist Haydn in London der ursprünglich für Händel bestimmte Text der Schöpfung zugestellt worden. "Ihm schien beim ersten Anblicke der Stoff zwar gut gewählt" – sagt van Swieten in einem Schreiben von 1799 – "doch nahm er den Antrag nicht gleich an und behielt sich vor, von Wien aus seinen Entschluß zu melden. Hier zeigte er es dann mir, und was er davon geurteilt hatte, [243] fand auch ich. Indem ich aber zugleich erkannte, daß der so erhabene Gegenstand Haydn die von mir längst gewünschte Gelegenheit verschaffen würde, die volle Kraft seines unerschöpflichen Genies zu äußern, so ermunterte ich ihn, die Hand an das Werk zu legen, und beschloß, dem englischen Gedichte ein deutsches Gewand umzulegen." In "Schöpfung" und "Jahreszeiten" legte Haydn den oratorischen Bau seiner Zeit wie ein Kartenhaus nieder. Mit dem Blick auf die großen Volksoratorien Händels strebte er jetzt seinen höchsten weltüberschauenden Zielen zu. Er, der so oft als ungelehrt gescholtene Künstler, stellte sich bewußt in den gleichen Geisteskreis, in dem die großen Dichter der Nation ihren gewaltigsten und tiefsten Gedanken Ausdruck verliehen hatten. Jetzt geht auch er, der Bauernsohn, das Naturkind, seiner letzten Auseinandersetzung mit der großen Gottesnatur entgegen, der die Musiker des Rokoko entweder ganz ausgewichen waren oder bei der sie sich in kleinen und kleinlichen Spielereien der "Naturnachahmung" verloren hatten. Haydn ging über die Reste solcher Naturauffassung, die seine Texte noch enthielten, mit dem Unmutsworte "Quark" hinweg und hielt es im Herzen mit dem Umwerter Herder, der Dichter wie Komponisten seiner Zeit in Hinsicht auf die Naturschilderungen daran erinnerte, was das deutsche Oratorium seit Händel aufgegeben hatte. "Da, wo der Geist der Leidenschaft fehlt" – schreibt Herder in den Früchten aus den sogenannten goldenen Zeiten des achtzehnten Jahrhunderts – "weiß der Tonsetzer kaum, was er mit den schönen Beschreibungen soll, die wie Bildsäulen vor Dädals Zeit dastehen, unbelebt." Haydns Spätoratorien machen mit dieser von Herder im Hinblick auf Händel geforderten Belebung und Beseelung Ernst. Aus dem seichten Gewässer der ewigen Tonmalereien taucht des Komponisten Geist in die Tiefe einer symbolischen Naturausdeutung. Eine nicht als Selbstverständlichkeit entgegenzunehmende Bedeutung haben die beiden Spätoratorien als in deutscher Sprache geschriebene Tonschöpfungen. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß es große und größte Komponisten der Haydn-Zeit gegeben hat, die kaum ein Wort ihrer Muttersprache vertont haben, kann dieser Teil der Sendung des Meisters nicht hoch genug gewertet werden. Ihm ist es im Verein mit seinem großen Freunde Mozart zu verdanken, daß, was diesem wie ein ewiger Schandfleck auf der Seele brannte, getilgt wurde, "daß Deutsche endlich mit Ernst anfingen, deutsch zu denken, deutsch zu handeln, deutsch zu reden und gar deutsch zu singen". Nur noch wenige Werke hat der Meister nach der Vollendung der "Jahreszeiten" geschrieben. Inmitten der Arbeit an dem Streichquartett in B-dur im Jahre 1803 legte er seine fleißige Feder für immer nieder. Haydns letzte, in Ruhe und Stille dahinziehenden Jahre wurden verschönt durch die Dankbarkeit seiner Zeitgenossen, die ihm in der "Schöpfung"-Aufführung von 1808 eine der größten Huldigungen aller Zeiten darbrachten. Noch ein letztes [244] Mal jubelte dem Meister sein altes Wien zu, ebenso auch die Träger der Zukunft der Musik in ihren vornehmsten Kulturpersönlichkeiten, allen voran Haydns größer Schüler: Beethoven.
Beethovens Kraft denkt liebend zu vergehen, besingt der Dichter Joseph von Collin das Ereignis, die letzte lauthallende Feier vor dem großen, ewigen Schweigen.
Es ist ein anderes, ob ein Philister so spricht, der das Gefährt seiner kümmerlichen Tagesleistung auf längst schon breitgetretener Straße vorwärtsschiebt, oder der Wegbereiter einer künstlerischen Epoche und eines der großartigsten aller Musikstile überhaupt. Man muß aber von der Bahn, in der dieser sich seiner Bedächtigkeit im Schaffen selbst rühmende Künstler steht, insbesondere auch auf das blicken, was in dem unmittelbar benachbarten Schaffensabschnitt geschah – in dem Mozarts. Die Zusammenarbeit der beiden Großen kann in einer knappen Zusammenfassung nicht in ihren Einzelheiten geschildert werden, wohl aber in ihrer schicksalhaften Verbundenheit. Diese liegt in Hinsicht auf die Erreichung der höchsten Kunstziele in der durch das Band des Zusammenwirkens geeinten Gegensätzlichkeit dessen, der nach den Worten des Vaters Leopold Mozart "keine Mittelstraße" gekannt hat, und dem geruhsamen Vorwärtsschreiten des bäuerlich zähen Joseph Haydn. Von der Klein- und Feinarbeit des älteren Freundes hat der jüngere genial-großzügige vieles gelernt. Mozart konnte in dem gewaltigen Vorwärtsstürmen seines kurzen Lebens stilistische Lücken lassen, er mußte sie lassen – Haydn nicht. Bewußt und langsam überwand er die galant-durchsichtige Schreibweise seiner Anfänge, eroberte sich dann in Sinfonie und Streichquartett eine handfeste Dreistimmigkeit, um erst in seiner mittleren Schaffenszeit zur kontrapunktisch festen Vierstimmigkeit seines Meistersatzes fortzuschreiten. Mit größter Bestimmtheit hat Haydn selbst gerade dieses Abweichen von der Schreibweise seiner Zeitgenossen, die "ein Stück an das andere reihen und abbrechen, wenn sie kaum angefangen haben", als einen Angelpunkt seines Schaffens erkannt. Hier öffnet sich in Haydns Vorstellung der Ganzheit des Einfalls, dessen seine Phantasie sich bemächtigt, wie der "Ideen", die seinen schöpferischen Geist beschäftigten, schon das Reich Beethovens. [245] Beethoven hat nach den sehr natürlich zu erklärenden ersten Widerständen seiner brausenden Jugend gegen den "Lehrer" im reifen Alter die Nähe zu Haydn wohl empfunden, und er hat in der Reihenfolge, in der er einmal seine Vormeister aufzählte, die wirkliche Zeitenfolge durchbrochen und Haydn hinter Mozart und unmittelbar vor sich selbst gestellt. So hat er die richtige Zusammengehörigkeit der drei klassischen Großmeister empfunden. Haydn und Beethoven stehen im Hinblick auf die letzten Kunstentscheidungen der klassischen Musik auch darin zusammen, daß sie den Durchgang durch die Tonkunst des großen Anregungslandes Italien nur im Wollen und Wünschen haben vollführen können, Mozart hingegen in unmittelbarer Wirklichkeit der Berührung und Durchdringung. Und diese Wirklichkeit einer immer südlich direkten Beziehung zwischen Mensch und Musik trennt wiederum den großen Salzburger von den beiden andern Klassikern. Haydn, gewiß auch süddeutscher Wirklichkeitsmensch wie Mozart, aber mit weit stärker ausgeprägter nordischer Willensstrebung, hat die Tonkunst über die Grenzen eines bloßen realen Seins in das Reich geführt, in dem sie – nach seinen eigenen Worten – vieles zu bedeuten hat. Das ist der Grenzübertritt zum neuen, zum Beethoven-Jahrhundert, von dem die Romantiker nichts gewußt haben oder nichts wissen wollten. Wohl aber hat diesen Teil der Haydnschen Sendung mit seinem Tiefblick in das Wesen der Tonkunst Karl Friedrich Zelter erkannt und in seinem herrlichen Brief vom 28. April 1830 an den Freund Goethe ausgesprochen. Zelter weist hier in seiner Deutung der "Schöpfung" die unberufenen Urteile über die Schilderungen, das "Pinselwerk", zurück und stellt das Werk als eine Folge von reizenden Erscheinungen hin, die sich das feine Ohr mit Lust enträtseln will. Hier ist jedes Wort wichtig, am bedeutsamsten aber der Begriff: Enträtseln. Enträtseln nehmen wir als das Wort entgegen, das uns zur vollen und letzten Erfassung der Kunst des Meisters Joseph Haydn noch gefehlt hat, der in gleicher Weise um die hellen wie die dunklen Stunden der deutschen Seele gewußt hat, von dem Mozart in ehrlichster und offenster Bewunderung sagte:
Keiner kann alles, schäkern und
erschüttern, Lachen
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