Mitteldeutschland - Hermann Goern
Frankenwald und Saaleland
Zwischen zwei Großlandschaften - dem Erzgebirge mit seinem
nördlichen Vorland und dem Thüringer
Wald - bildet der Frankenwald das Bindeglied. Ähnlich wie
das Erzgebirge entstanden, ist auch er eine Pultscholle mit einem bis
300 Meter hohen Steilabfall am Bruchrand nach Franken hinab. Seine
breite, hauptsächlich aus Tonschiefer bestehende und deshalb auch
Ostthüringisches Schiefergebirge genannte Hochebene neigt sich
allmählich nach Norden, dem Muschelkalkplateau der mittleren Saale zu.
Als seine westliche Grenze können die Täler der Loquitz und
Haßlach gelten, wo sich aus den Hügelwellen der Horst des
Thüringer Waldes scharf und bestimmt heraushebt. Flache Kuppen wie der
Döbraberg und Wetzstein überragen mit 800 Meter ihre
Umgebung nur wenig. In das abgeschiedene und wegen der kargen
Bodenerträge recht dünn besiedelte Gebiet bringen nur die dem Main
und der Saale zufließenden Bergwasser mit ihren oft tief eingeschnittenen
Tälern - so z. B. das wilde Höllental bei Bad
Steben - stärkere Reize. In den endlosen Fichtenwäldern,
über windumsauste Matten, wo auf den Kammhöhen nur die
Ebereschenbäume noch trotzen, ist ein schwermütiges, einsames
Wandern. Wenn anderswo die Dörfer mit dem Ziegelrot ihrer Dächer
heiter heraufgrüßen, so hebt sich hier die dunkle Beschieferung mit
heimischem Werkstoff kaum vom Blaugrün der Wälder ab und
vermag den Ernst der Landschaft nicht aufzuheitern. Nur wenn nach einem
Regenguß die Sonne durch die Wolken bricht, dann funkeln und
gleißen die Dächer wie Spiegel.
Gibt der Schiefer als Bedachung und Wandverkleidung den Siedlungen ihr
Gepräge, so bildet der Schieferbergbau auch die Lebensgrundlage für
den Gebirgler. Mit Ausnahme des Loquitztales, wo man ihn im "Hohlbau"
fördert, wird er fast nur im Tagebau gewonnen. Da 90 Prozent des
gesprengten Steines unverwendbar sind, so türmen sich in der Nähe
der Brüche riesige Abraumhalden, die besonders die Strecke
Probstzella - Ludwigstadt begleiten. Die Schiefergewinnung reicht
bis ins 13. Jahrhundert zurück, und der älteste, heute staatliche
Bruch in Lehesten ist noch immer in
Betrieb - als größter des Kontinents. In die
Schiefertafelfabriken von Probstzella und Ludwigstadt gehen
nur die reinsten und schwärzesten Platten. Der hellere Stein wird zur
Dachdeckung verwandt und es ist nur natürlich, daß die durch
Jahrhunderte
ge- [504] pflegte Kunst gerade
der Lehestener Schieferdecker für Deutschland vorbildlich geworden ist.
Aus den "Griffelbrüchen" aber kommen die Schreibstifte, an deren
Herstellung in Heimarbeit auch die Frauen und Kinder beteiligt sind.
Unweit von Lehesten ragt hoch überm Loquitztale der stolze
Lauenstein. Aus entwürdigendem Verfall durch die Tat eines
Einzelnen gerettet, bieten die schönen Säle aus der Gotik und
Renaissance mit reichem Urväterhausrat und dem Blick über
schweigende Wälder aus allen Fenstern dem Wanderer hier Frieden und
Erholung. Am Südrand des Gebirges, seine Übergänge
bewachend, schaut die einst den Bischöfen von Bamberg gehörige
mächtige Veste Rosenberg weit in fränkisches Land. In ihrem
Schutze, über rauschenden Wehren, drängt sich das
Porzellanstädtchen Kronach zusammen, vou dem der hier
geborene Maler der Reformation, Lukas Cranach, seinen Namen bekam.
Der Fluß der Schieferberge, die Sammelader all der eiligen und
geschwätzigen Bäche, ist die Saale. Ihre granitene
Quellkammer liegt hoch oben im Fichtelgebirge, im Trümmerfeld unterm
Waldstein. Selten läßt sich die zähe zersägende Arbeit
des Wassers so gut beobachten wie am tiefeingeschnittenen Bette ihres
vielfältig und umständlich gewundenen Oberlaufes, der oft
klammartig von sperrenden Felsschroffen bedrängt wird. Die Bahnlinie von
Hof nach Saalfeld meidet deshalb diese unwegsame Strecke und wählt
dafür die Seitentäler der Selbitz und Sorbitz, dabei den
mühevollen Anstieg über den Kamm in Kauf nehmend. Auf andere
Weise hat aber die Technik auch dieses drachenhaft gewundene Stück des
Saaletales in ihren Dienst gezwungen. Durch eine in ihren Ausmaßen bisher
nicht erreichte Großleistung ist in den letzten Jahren die riesige
Talsperre an den Bleilöchern bei Saalburg fertiggestellt
worden, die den Fluß zu einem See von 27 Kilometer Länge
und 2 Kilometer Breite mit einem Fassungsvermögen von
215 Millionen Kubikmeter staut. Doch nicht genug damit, ist bereits
40 Kilometer weiter abwärts bei Hohenwarte eine zweite
Sperre im Bau. Beide zusammen werden 340 Millionen Kubikmeter
nutzbaren Speicherraum enthalten und dienen neben dem Hochwasserschutz und
der Gewinnung bedeutender Mengen elektrischer Energie vor allem der Abgabe
von Zuschußwasser an Saale und Elbe bei Trockenzeiten.
Hat dieser kühne Eingriff der Technik, der die Umsiedlung von Hunderten
von Menschen notwendig machte, auch die früher als Wanderziel
berühmte Wildromantik der Klüfte von den Wassermassen
überfluten lassen, so hat er das Gebiet dafür um den in
Mitteldeutschland bisher nicht vorhandenen landschaftlichen Reiz eines klaren
Bergsees mit vielerlei erholsamen Möglichkeiten für Segler, Paddler,
Schwimmer und Angler (Ansiedlung der
Bodensee-Felchen) bereichert. Denn stehende Gewässer, dafür aber
gleich hunderte von Teichen und darunter beachtlich große, gab es in
Ost-Thüringen bisher nur in der Umgebung des benachbarten Schleiz bei
Plothen. Umrandet von Wiesen und Wäldern liegen ihre
blitzenden Spiegel in fruchtbarer Ebene ausgebreitet und bilden zur Sommerszeit
ein Paradies für ferienselige Zeltwanderer. Viele Teiche sind im 15. und
16. Jahrhundert terrassenförmig von Mönchen angelegt und
gehören noch heute zu den ergiebigsten Karpfenhegereien
Deutschlands.
[453]
Das Saaletal bei Orlamünde.
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[505-512=Fotos] [513] Im
Mittelpunkt des vom Oberlauf der Saale umschriebenen großen Vierecks
liegt Pößneck, das sich trotz mancherlei Industrie durch das
schöne spätgotische Rathaus und viele Bürgerbauten ein
Stück Mittelalter gerettet hat. Die zahlreichen Burgen und Schlösser
gerade dieser landschaftlich überaus reizvollen
Gegend, - wie Orlamünde, Saalfeld, Burgk, Saalburg, Hirschberg,
Ziegerück, Ranis und Oppurg, die alle auf eine über
tausendjährige Vergangenheit zurückblicken können, reden
eindringlich davon, wie sehr es Karl
dem Großen darauf ankam, seine
Thüringer Mark durch diese später von König Heinrich und Kaiser Otto I.
weiter ausgebauten Grenzfesten zu schützen.
[452]
Schloß Ranis (Thüringen).
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Weithin das Vorland beherrschend thront das trutzige Schloß
Ranis über dem Städtchen auf steilem Felsenriff. An der
Mauersohle der Burg befindet sich die in jüngster Zeit so oft genannte
Ilsenhöhle. Dunkel raunt die Sage von der schönen Druidin
Ilse, die, ins Zwergenreich verzaubert, dort goldene Schafe hüten
muß. Sage ist verhüllte Kunde von einstigem Wissen, und der Spaten
der Halleschen Vorgeschichtsforscher hat ihren lang verschütteten
Wahrheitskern 1934 ans Licht gehoben. Die Funde menschlicher Knochenreste in
den untersten Schichten haben den Beweis erbracht, daß es in
Mitteldeutschland schon am Ende der Eiszeit (also vor
100 000 Jahren)
Menschen, - neandertalrassige -, gegeben hat. Denn die Gletscher,
die damals weite Gebiete Norddeutschlands bedeckten, drangen nicht bis in unser
Gebiet vor, sondern verwandelten nur ihr Vorland zur trostlosen Steppe. In ihr
lebte der Urmensch der Ilsenhöhle als Bärenjäger, und die
ausgegrabenen vollendet schön gearbeiteten flachen, blattförmigen
Lanzenspitzen aus Feuerstein zeugen von der Kulturhöhe der älteren
Steinzeit.
[451]
Das Saaletal oberhalb Saalfeld.
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Bis zur Mündung hinauf ist der hartumkämpfte Grenzgraben des
Saaletales ein echter Burgenfluß und die landschaftliche Schönheit
des tief eingeschnittenen Bettes mit den zahlreichen Nebenflüssen bis zum
Eintritt in die Ebene bei Naumburg ist nur mit Lahn und Mosel zu vergleichen.
Wo der Fluß den Frankenwald verläßt, um sich ein fruchtbares
breiteres Tal zu schaffen, liegt unter den zackigen Schroffen der Ruine des Hohen
Schwarmes inmitten hoher Waldberge Saalfeld.
Silber- und Kupfergruben, die erst im 19. Jahrhundert stillgelegt wurden,
haben im Mittelalter den Wohlstand der Stadt begründet, dem sie die vielen
schönen Bürgerbauten mit der mächtigen gotischen
Johanneskirche verdankt. Im 15. Jahrhundert hat hier eine berühmte
Schnitzerschule gewirkt, die ganz Thüringen mit prächtigen
Altären versorgte.
[454]
Der Napoleonstein bei Jena. Von hier aus leitete Napoleon die Schlacht bei Jena 1806.
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Der Dreißigjährige Krieg hat der Stadt
übel mitgespielt und 1806 Napoleon nicht minder, als Preußens
Verhängnis mit dem Reitertod des Prinzen Louis Ferdinand dort anhob.
Die ehemals fürstliche Residenz Rudolstadt, unter der riesigen,
fensterreichen Front der Heidecksburg wie aus einer Spielzeugschachtel
ausgebreitet, läßt sich auch durch die
Porzellan- und Steinbaukästenfabriken nicht aus ihrer idyllischen Ruhe
aufscheuchen. Droben weht der Lindenduft ums Schloß und drinnen
erzählen schöne
[453]
Die Leuchtenburg in Thüringen.
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Rokoko-Prunkräume von den Tagen Thüringer Vielstaaterei.
Weithin sichtbar und nach jeder rundblickenden Höhe
hinübergrüßend, lockt über der Porzellanstadt
Kahla die Leuchtenburg mit ihrem mächtigen [514] romanischen Bergfried.
Östlich, abseits vom Saaletal, in Bürgel, ist die
Bauerntöpferei noch bodenständiges thüringer Gewerbe. Dank
der Anregungen der Weimarer Kunstschule, besonders van de Veldes, ist
das Handwerk hier der Technik nicht erlegen und überall auf den
Jahrmärkten bildet das bunte Geschirr mit seinen lustigen Mustern eine
willkommene Ware. Genau so wie die leuchtendweißen Holzgeräte
für alle Bedürfnisse der Hauswirtschaft, die aus dem
"Holzlande" um
Hermsdorf - Klosterlausnitz auf hochbepackten Leiterwagen
hinausgeschickt werden, früher bis zum Rhein und nach Ungarn hinein.
[456]
Dornburg (Saale). Das alte Schloß.
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Wer von einem der vielen, oft recht schroffen Kalksteinfelsen Jena unter
sich ausgebreitet sieht mit dem altersgrauen ragenden Turm der mächtigen
Stadtkirche und den riesigen Würfeln der Zeißwerke inmitten
regellosen Straßengewirrs, das sich im Grün von Parks verliert und
wie eine ständig wachsende Flut bald alle Buchten des engen Kessels
ausgefüllt hat, wer das Silberband der Saale bis hinauf zur Leuchtenburg
und hinab zu Dornburgs Schlössern in seinen Blick aufgenommen hat, der
muß diese freundliche Stadt lieben, auch wenn er nichts von all dem
wüßte, was sie für Deutschland bedeutet, auch wenn er nicht
das Glück gehabt hat, in ihr Student gewesen zu sein. Am
verträumten Prinzessinnengarten zerstreut sich eben eine vom Erlebnis des
Sternenhimmels noch staunend ergriffene Menge.
Zeiß-Planetarium. Wie hier stehen die Kuppeln mit dem Wunderwerk
optischer Präzision nicht nur in allen Hauptstädten Europas, sondern
des ganzen Erdkreises und künden vom deutschen Erfindergeist, der sich
friedlich die Welt erobert hat. Aus den bescheidenen Anfängen des
Universitätsmechanikers Zeiß ist eine
Werk-Stadt geworden, hinter deren Namen sich einer der Großen des
Volkes, der Physiker Ernst Abbe
bescheiden der Nachwelt verbirgt. Die soziale
Entwicklung unserer Tage weit vorausschauend setzte er bereits 1885 den
Gedanken des Sozialismus dadurch in die Tat um, daß er unter Beigabe
seines riesigen Vermögens das gesamte Werk zur Stiftung erhob, um damit
alle seine Mitarbeiter an den Einkünften teilnehmen zu lassen. Mit dem
Werk durch seinen eigentlichen Begründer als Dozenten untrennbar
verbunden ist die Universität. Seit 1558 haben unzählige
Generationen
wissens- und bierdurstiger Musensöhne sich hier um bedeutende Lehrer
geschaart. Die Namen erlauchter Geister tauchen auf und eröffnen
Ausblicke in weite Provinzen deutschen Geisteslebens: Fichte, Schelling, Ritter, Humboldt, Tieck, die Gebrüder Schlegel,
Oken, Fries, Luden, Haeckel,
Eucken und natürlich Schiller,
der hier 1789 seine Antrittsvorlesung
über das große Thema hielt: "Was heißt und zu welchem Ende
studiert man Universalgeschichte?" Drüben steht das Gartenhaus, wo er
von
1797-1801 wohnte und an seinen geschichtlichen Dramen schrieb.
Auch der alte Steintisch steht noch, an dem er oft mit Goethe saß und die
beiden "manches gute und große Wort miteinander wechselten". Goethe
war hier "immer ein glücklicher Mensch, weil er keinem Raume so viele
produktive Momente verdankte". Er wohnte dann im Botanischen Garten, in
seiner "Klausur auf dem
Blumen- und Pflanzenberge". All die Jahrhunderte hindurch seit der Reformation
hat sich von allen ehrwürdigen Hohen Schulen des Reiches in Jena das
Studentenleben am buntesten ab- [515] gespielt. Sind auch die
Zeiten längst vorüber, wo den Renommierern und Raufbolden der
Hieber locker an der Seite hing und an den Kanonenstiefeln die Sporen
übers Pflaster klirrten, so liegt von jenen Tagen her die Romantik wie ein
farbiger Schleier über der Stadt als ihr geheimster
Reiz - trotz der Hochhäuser von Zeiß und der gewaltigen
Schlote von Schott -, und heute wie einst werden auf dem Markt vorm Ratskeller und
der Göhre die Tische zusammengerückt zu frohem Umtrunk.
Daß diese überschäumende Jugend aber ihren Mann nicht nur
auf den Fechtböden und bei den Mensuren draußen auf den
Bierdörfern zu stehen wußte, das hat sie schon vor dem Weltkriege
bewiesen, als der Major von Lützow 1813 zur großen Erhebung aus
der auf den Schlachtfeldern droben besiegelten tiefsten Erniedrigung
Preußens aufrief. In der Universität am Ehrenplatz hängt das
herrliche große Bild, das Hodler dazu gemalt hat, und 1815 wurde im
Burgkeller die Burschenschaft gegründet. Unvergessen soll auch bleiben
das Leben des Romantikerkreises um die Schlegels herum und ihr hoher Beitrag
für das deutsche Geistesleben. Wo hätten sie sich anders
zusammenfinden sollen als gerade hier in dieser gesegneten Landschaft, die keiner
besser beschrieben hat als Dorothea Schlegel: "Der lebhaft rauschende Fluß
wie ein Spiegel hell; die Luft warm vom Morgen bis wieder zum Morgen, eine
Luft, die sich weich, lau und blau um einen her lagert und auf den Bergen wie eine
Decke
ruht - so sieht der Frühling in Jena aus." Wärmer als sonst in
Mitteldeutschland ist hier das Klima, und wenn auch die früher weithin sich
dehnenden Weinberge verschwunden sind, so ist die an den Süden
erinnernde weichlinige und zartgetönte Anmut der Landschaft geblieben, die Karl V.
hier "Toskana in Germanien" finden ließ. Im Tale
brausen die
FD-Züge von Berlin nach München, aber oben von hohem
Felsenborde über Dorndorf blicken drei Schlösser
beschaulich wie einst zu Goethes Tagen zum Fluß hinab. Wer über
die endlosen Treppen hinaufsteigt, findet in den schlichten Räumen alles
noch an seinem Platz, so wie es der alte einsame Herr aus Weimar damals
verlassen hat. Wenn dann der milde Schimmer des vollen Mondes über den
rosenduftenden Terrassen liegt, dann raunt es geheimnisvoll aus den
Schattentiefen der mächtigen Parkbäume und weckt die Lieder zu
ewig-jungem Leben auf, die seine große Seele
schmerzlich-glücklich sang. "Freudig trete herein und froh entferne dich
wieder, ziehst du als Wandrer vorbei, segne die Pfade dir Gott!" Das ist der
Reisesegen über der Tür, von ihm für jeden gesprochen, der
seine Sphäre hier betrat.
[457]
Saaleck und Rudelsburg.
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Umgeben vom Kranze der vielbesungenen Burgen Saaleck, Rudelsburg,
Schönburg und Schloß Goseck liegt inmitten fruchtbarer Auen
Naumburg, die alte mächtige Bischofsstadt. Heute das Ziel von
Hunderttausenden, die in ihrem Dom ehrfürchtig den geweihtesten Bezirk
deutscher Kunst betreten, weil in den Stifterfiguren des Westchores der
Meißel des großen unbekannten Meisters die Steine zu Urbildern
deutschen Wesens erweckt hat. Wer ihre stumme Sprache je gehört, der
nimmt von ihnen Maß und Haltung mit fürs ganze Leben.
[458]
Naumburg (Saale).
Stifterfiguren (um 1250)
- Ekkehard und Uta -
↓ im Dom.
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[459]
Naumburg (Saale).
Stifterfiguren - Hermann und Reglindis - im Dom. ↑ |
Die vornehm-ruhige Stadt mit dem gotischen Wehrbau ihres Marientores und den
vielen prächtigen Renaissancehäusern an den winkligen
Straßen ist nur der
wür- [516] dige Vorhof zu diesem
Heiligtum. Nur schwer vermag man sich vom Markt zu trennen, der
überwuchtet wird von der maßwerkübersponnenen
spätgotischen Wenzelskirche mit einer der besten Orgeln des
18. Jahrhunderts. Hildebrand, der nicht geringere Schüler des
großen Silbermann, hat das riesige Werk geschaffen, und Bach wurde aus
Leipzig herbeigerufen, es abzunehmen.
Die Fruchtbarkeit des Talstückes an der Unstrutmündung bis nach
dem Solbad Kösen, der Heimat der
Käthe-Kruse-Puppen, hinauf geht auf die kultivierende Arbeit der
Zisterziensermönche vom ehemaligen Kloster Pforte zurück, die im
frühen Mittelalter hier riesigen Landbesitz erwarben, den
Acker- und Obstbau förderten und die weiten Sumpfstrecken an den
Flüssen urbar machten. Schon 1144 legten sie an der Saale mit Reben aus
Burgund den ersten Weinberg an. Nach der Reformation wurde das Kloster zur
meißnischen Fürstenschule Schulpforta, in der bis in die
neueste Zeit eine lange Reihe großer Deutscher vorbildliche Schulung auf
humanistischer Grundlage empfangen haben. Klopstock entwarf hier den Plan
für seinen Messias, Fichte, Ranke und der Philologe v. Wilamowitz-Möllendorf sind von hier ausgegangen, und Nietzsches
unbändiger Freiheitsdrang erhielt in dem stillen Bezirk "eine
harte Disziplin zur rechten Zeit". Heute pflegt eine nationalpolitische
Erziehungsanstalt die alte Tradition. Wer Sommers hier vorüberkommt und
die schöne frühgotische Kirche mit dem Juwel der Abtskapelle
besucht, der kann sich an der gesunden Jugend der Schülergruppen freuen,
die, unter uralten Bäumen des Parkes gelagert, ihren Lehrern lauschen oder
Sport treiben.
An der Thüringischen Pforte, wo die Saale die mitteldeutsche
Gebirgsschwelle verläßt, um in die Tieflandsbucht einzugehen, liegt
Weißenfels, dessen Marktplatz mit den riesigen Fronten des
barocken Schlosses darüber zu den eindrucksvollsten deutschen
Städtebildern gerechnet werden darf. Daß nach seinem Sieg
über Wallenstein bei Lützen die Leiche Gustav Adolfs in der
Marienkirche aufgebahrt wurde, ist fast vergessen. Verklungen ist der
Waffenlärm von Friedrichs herrlichem Sieg über die Franzosen bei
Roßbach und ihres Rückzuges nach der Tragödie von Leipzig.
Friedlichen Zeiten der Herzöge einer wettinischen Linie verdankt das
Schloß mit der vielbewunderten barocken Kirche seine Entstehung. Heinrich Schütz
stammt von hier, wo während des Rokoko eine
hochstehende Hausmusik gepflegt wurde, wo Händel als Knabe zum ersten
Male auftrat, wo Louise v. François ihre feinsinnigen
Erzählungen schrieb und Novalis, der frühverstorbene
Hymnensänger, seine letzte Ruhestätte fand. Was der Stadt aber in
der jüngsten Zeit ihren Ruf gibt und sie wohlhabend gemacht hat, sind ihre
vielen Schuhfabriken und die Nähe des Braunkohlengebietes, die
Reichweite Leunas macht sich bemerkbar durch die beiden großen
Kerzenfabriken in Webau, die das aus dem Schwelverfahren gewonnene Paraffin
zu einer Produktion verarbeiten, die über 75 Prozent des
gesamtdeutschen Weihnachtsverbrauches deckt.
Den Fluß weiter hinab bis zu seiner Mündung stehen wunderlich
gemischt - und verwirrend freilich für den flüchtig
Durchreisenden - Stätten erlauchter Kultur neben riesigen
Industriezentren, die vorwiegend den reichen
Braun- [517] kohlenvorkommen
ihren heißen Atem verdanken. Das eindrucksvollste Beispiel dafür ist
die unmittelbare Nachbarschaft von Leuna und Merseburg. Die landschaftlichen
Schönheiten sind in diesem Gebiet sparsamer verstreut als im oberen
Saaleland und unmittelbar am Fluß aufgereiht, besonders dort, wo er wie im
Abschnitt Halle - Alsleben eine Porphyrschranke durchsägen
mußte. Aber die Bezeichnung Burgenfluß besteht weiter zu
Recht.
Nicht nur wegen seiner reichen Geschichte, sondern auch als selten schönes
Stadtbild verdient Merseburg hervorgehoben zu werden. Stärker
noch als von der Bahn ist seine Wirkung von der wasserreichen,
verschwiegen-reizvollen Elsteraue aus. Dann steigt unmittelbar über der
Saale und weithin sichtbar die türmereiche Baugruppe von Dom und
Schloß auf, an die sich nach der Bahnseite die Stadt in
terrassenförmigem Aufbau anlehnt. Aus einer fränkischen Grenzfeste
hervorgegangen, wurde Merseburg später Bischofssitz mit dem besonderen
Auftrage der Heidenbekehrung im Kolonisationsland. Seit Heinrich I. ist
die Stadt bis auf Wilhelm von Holland Lieblingssitz der ottonischen und salischen
Kaiser gewesen. Zahlreiche in ihren Mauern abgehaltene Reichstage und
ausgefertigte Urkunden sprechen davon. Während des großen
Glaubenskrieges ritten alle gefürchteten Feldherren durch ihre Tore, und im
benachbarten Breitenfeld sind zwei entscheidende Schlachten geschlagen worden.
Auch die späteren Kriege haben die Stadt, nun Residenz einer
sächsischen Seitenlinie, hart mitgenommen, bis sie 1813 an Preußen
kam und als Sitz wichtiger Behörden einen neuen Aufstieg nahm.
[460]
Merseburg. Der Dom und das Schloß an der Saale.
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Der spätgotische Dom mit seiner in edelsten Formen aufgeführten
ottonischen Krypta und das mächtige in drei Flügeln um einen
weiten Hof gelagerte Renaissanceschloß bilden zusammen mit den
anschließenden Klostergebäuden und Kurien der Domherren eine
Einheit von solcher Geschlossenheit, wie sie anderswo nur selten anzutreffen ist.
1015 hat Bischof Thietmar, der Geschichtsschreiber der sächsischen
Kaiserzeit, den Dom gegründet. Von seiner überaus reichen
künstlerischen Ausstattung kann hier nur die Bronzeplatte über dem
Grabe des 1080 bei Hohenmölsen gefallenen Gegenkönigs Rudolf
von Schwaben genannt werden. Zum ersten Male in der deutschen Kunst wird auf
ihr das Bildnis des Verstorbenen
dargestellt - in feierlichem Ornat mit den Insignien. Eine in jedem Sinne
ungewöhnliche Leistung für die Zeit, die selbst Heinrich IV.,
den Gegner dieses unglücklichen Parteigängers des Papstes, zu dem
doppelsinnigen Wunsche nötigte, "daß doch alle seine Feinde so
herrlich begraben liegen möchten". An kulturgeschichtlicher Bedeutung
wird dieses Denkmal noch übertroffen von einem schlichten Pergamentblatt
in der Bibliothek des Domkapitels. Auf ihm stehen, zwischen kirchliche Texte
gestreut, die berühmten Merseburger Zaubersprüche in fast
verlöschender Schrift. Der feierliche Rhythmus der dunkel
beschwörenden Worte in der volltönenden althochdeutschen
Sprechweise dieser Gegend weckt die Erinnerung an die gleiche
Klangschönheit des hohen Liedes vom "Heliand", dessen Sänger
ebenfalls im Merseburger Land beheimatet gewesen ist.
Daß wir hier auf uraltem Kulturboden stehen, beweist nicht zuletzt der
große Gräberfund von Rössen am linken Steilufer der
Saale, nach dem eine Epoche [518] der Jungsteinzeit ihren
Namen erhalten hat. Unter der den 80 Hockergräbern beigegebenen
Keramik erregen die Bewunderung besonders die großen Prachtamphoren
mit ihrer wundervollen Tiefstichornamentik. Sie kennzeichnet die
Fundstücke als Zeugnisse einer indogermanischen, vorwiegend nordisch
bestimmten Hochkultur, deren weitausstrahlendes Zentrum hier im Saalegebiet
gelegen hat.
In unvorstellbare Fernen der Erdgeschichte aber führen Funde
zurück, die das in Merseburg mündende Geiseltal in
allerjüngster Zeit über Nacht zu einer Weltberühmtheit
gemacht haben. Aus den dortigen bis 100 Meter Mächtigkeit
anstehenden Braunkohlenlagern wurden 7000 Wirbeltierfunde einer
30 Millionen Jahre alten alttertiären subtropischen Lebewelt
geborgen, die nun im Museum für mitteldeutsche Erdgeschichte einen
internationalen Anziehungspuukt der Stadt Halle bilden. Bis auf mikroskopische
Einzelheiten erstaunlich gut erhaltene Krokodile, Eidechsen, Vögel,
Insekten, Halbaffen, Urpferdchen und vielerlei Pflanzen bebildern aufs
Anschaulichste ein Kapitel der Entstehung heimatlichen Bodens, das sich nur mit
tiefer Ergriffenheit nachlesen läßt.
Die Förderung der zu Braunkohle verwandelten tropischen Wälder
des Geiseltales und des
Zeitz-Weißenfelser Revieres geht hinüber nach Leuna, dem
aus der Not des Krieges entstandenen Industriegiganten Mitteldeutschlands. In
drohenden Gliedern ausgerichtet, stehen die 14 über 100 Meter
hohen Schornsteine unmittelbar an der Bahnlinie und lassen ihre Rauchfahnen nie
rastender unerbittlicher Arbeit über das 8 Quadratkilometer
große Gelände mit seinen 900 Werksgebäuden wehen. Weithin
schon sichtbar, verkünden sie mit mahnendem Ernst dem von Bayern, vom
Rhein, von den Gestaden südlicher Schönheit Heraufkommenden,
daß er an dieser Stelle das Laboratorium Deutschlands, die Herzkammer
seiner chemischen Industrie betritt. Am überwältigendsten ist das
nächtliche Bild, wenn die 180 Kilometer Gleisanlagen mit bunten
Lichtern übersät sind, die Essen Flammen speien und das
unentwirrbare Gegitter von Trägern, Masten, Leitern, Röhren und
Ketten durch Scheinwerfer aus der Nacht herausgerissen wird. Wie ein
böses Gestrüpp wehrt es den Zugang zu den einfachen
stereometrischen Formen der Bauten dahinter mit ihren Würfeln, Prismen
und Zylindern. Ein verwünschtes, heulendes, tobendes und stinkendes
Chaos für den
Laien - ein klar durchdachtes Präzisionswerk für den
Ingenieur und Chemiker, für das Heer der 20 000 Arbeiter, die hier
auf die Minute ihren vorgeschriebenen Platz zum genauest berechneten dienenden
Handgriff einnehmen, um durch einen komplizierten Veredlungsvorgang der
Kohle die für Deutschland lebensnotwendigen Stoffe abzugewinnen.
Die Braunkohle, die durch gewaltige Bagger im Tagebau gewonnen wird,
während bis 400 Meter lange Förderbrücken
täglich je an 40 000 Kubikmeter Abraum bewegen, geht zu
zwei Fünftel als Rohkohle an
Kraft- und chemische Werke, sowie die
Kali-, Zucker- und Papierindustrie. Die Hälfte wird zur Brikettherstellung
versandt, während sich zur Verschwelung nur die
bitumi- [519] nösen, hoch
teerhaltigen Kohlen des Weißenfelser, Oberröblinger und Halleschen
Revieres eignen. Sie geben das Paraffin und Montanwachs her für
Bohnermasse, Schmier- und Lederfette. Leuna wurde zunächst als größtes
deutsches Stickstoffwerk gegründet, das mit Piesteritz bei
Wittenberg zusammen 1933 mit 250 000 Tonnen reinem Stickstoff
die Hälfte der deutschen Erzeugung stellte. Neben seiner Verwendung als
Grundsubstanz für alle
Schieß- und Sprengstoffe wird es vor allem zu Düngesalz verarbeitet
und macht Deutschland dadurch von der bis dahin notwendigen Einfuhr des
Guano und Chilesalpeters unabhängig. Gewaltige Summen an
Volksvermögen bleiben so dem Reich erhalten.
Die Abschnürung Deutschlands vom Weltmarkt und sein ständig
wachsender, aus den geringen natürlichen Vorkommen aber nicht zu
deckender Treibstoffverbrauch stellte die Chemie vor die Aufgabe, das fehlende
Erdöl künstlich zu erzeugen. 1926 gelang deutschem Erfindergeist
die Befreiung vom Auslandsbezug durch das
I. G.-Farben-Hochdruck-Hydrierverfahren der Verflüssigung
bituminöser Kohle zu Leunabenzin und Solaröl. Längst aus
dem Stadium der Unrentabilität heraus, werden die Anlagen jetzt für
eine Jahresproduktion von 300 000 Tonnen erweitert, mit der ein
Fünftel des gesamten deutschen Bedarfes gedeckt werden kann.
Die nichtbituminöse Braunkohle rollt Zug auf Zug zur Stromerzeugung in
die großen Kraftwerke. Zschornewitz, nahe der
Bitterfeld - Wittenberger Hauptstrecke, hat allein einen
täglichen Rohkohlenverbrauch von 11 000 Tonnen. Von der
Bahn aus sieht man über den weiten Kiefernwäldern der
Dübener Heide die mächtigen 15 Schornsteine des 1915 errichteten
Großkraftwerkes aufragen. Wer den neugeprägten Begriff der
stählernen Romantik einmal erleben will, der kann es hier tun, wo die
mächtigen rauchwehenden Säulen an trüben Tagen den
Himmel zu tragen scheinen und zu ihren Füßen in den weiten Hallen
der schönen klargegliederten Zweckbauten mit den breiten
Fensterbändern unter 100 riesigen Kesseln die ewigen Feuer lodern, um das
Wasser für die sausenden Turbinen zu verdampfen. Massige
Betonkühler wie Stümpfe babylonischer Türme hocken
daneben, in denen der Dampf wieder zu Wasser wird, um zu neuem Kreislauf
getrieben zu werden. Im Umspannwerk wird die tägliche Produktion von
5 Millionen
Kilowattstunden - von keinem europäischen Werk sonst
erreicht - auf todbringenden funkelnden Kupferdrähten in die
zwanzig
100 000-Volt-Hochspannungsleitungen überführt, um auf den
schwingenden Kabeln der Überlandmasten weit ins Reich
hinaus - bis nach Berlin - geschickt zu werden.
[463]
Großkraftwerk Golpa-Zschornewitz.
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Bitterfeld am Rande des Muldetales war einst ein friedliches
Ackerbürgerstädtchen mit regem
Tuchmacher- und Töpfergewerbe. Als 1839 die erste Braunkohlengrube
eröffnet wurde, brach die neue Zeit an und verwandelte die blühende
Landschaft allmählich zur Trostlosigkeit von Trichterfeldern und
Abraumhalden, zwischen denen endlose Schienenstränge ihren Weg
suchen, Bagger und Förderbrücken ihre kreischende Arbeit
verrichten. Aus den Kühltürmen steigt der Wasserdampf in
weißen Wolken, und aus den Bündeln
zahl- [520] loser Schlote regnet es
Flugasche und Kohlenstaub über den zerwühlten Boden. Hier hat die
I. G. Farben das Hauptquartier für die
Chlorkali-Elektrolyse Deutschlands aufgeschlagen, an deren Werke sich
Teerfarben- und Kunstseidefabriken anschließen. Was aber selbst diesem
"bitteren Feld" noch etwas vom Glanz des Märchens gibt, das ist die
Herstellung von vielfarbig funkelnden synthetischen Edelsteinen, die hier unter
höchsten Hitzegraden des Knallgasgebläses aus Tonerde
geschmolzen werden. In Wolfen, dicht dabei, liefert die
Agfa-Filmfabrik mit 7000 Arbeitern und einem Stab von Wissenschaftlern
fast ein Drittel des Weltbedarfes an Filmen, Platten und fotochemischen Mitteln.
Bis zu welchem Grade diese Betriebe alle spezialisiert sind, beweist die Skala von
5000 Farbstoffen, die in den dortigen Werken aus Kohlenteer gewonnen
werden.
Der wichtigste Grundstoff bei der Herstellung der lichtempfindlichen Emulsion
für Filme und Platten ist Silbernitrat, und ihr Bedarf daran macht die Agfa
zu Deutschlands größtem Silberverbraucher. Die Heimat des
begehrten Metalles ist die als Mansfelder Platte bezeichnete Landschaft
im östlichen Harzvorland, eine wellige vielformige Buntsandsteintafel mit
Muschelkalkaufsätzen über dem
Zechstein-Grundgebirge. Seine unteren Schichten führen neben gewaltigen
Salz- und Kalilagern ein Kupferschieferflöz, das sich über ganz
Mittel- und Norddeutschland ausbreitet. Zu lohnendem Bergbau kam es aber nur
in der Mulde zwischen Eisleben und Hettstedt, wenn auch die
Lagerstätte - in 800 Meter
Tiefe - meist nur
20-40 Zentimeter mächtig ist. Die bereits um 1200
beginnende Ausbeutung hat die Gegend zum klassischen Bergbaugebiet
Deutschlands werden lassen, in dem sich unter den mächtigen,
vielbeneideten Mansfelder Grafen ein wechselvolles Stück mittelalterlicher
Wirtschaftsgeschichte abgespielt hat. Seine zweite Blütezeit nach harten
Krisenjahren erlebt der für Deutschlands Rohstoffversorgung wichtige
Bezirk in der Gegenwart. Die wirtschaftliche Herrschaft darüber
führt die
Mansfeld A.-G. für Bergbau und Hüttenbetrieb, deren
vielverzweigte Werke mit den mannigfaltigsten Weiterverarbeitungsbetrieben in
Eisleben, Helbra, Mansfeld und Hettstedt eine Gefolgschaft von
22 000 Mann beschäftigen. Mit 20 000 Tonnen
jährlicher Ausbeute beherrscht Mansfeld die deutsche Kupfererzeugung zu
98 Prozent. Neben Blei, Zink und 20 Prozent des deutschen Goldes
enthält das Flöz vor allem Silber. 1935 wurden hier durch
Elektrolyse 150 000 Kilogramm gewonnen, das sind
75 Prozent der inländischen Ausbeute. Wie der Bergbau durch
jahrhundertelange Tradition dem rauhen und wortkargen Mansfelder Kumpel das
Gesicht gab, so verleiht er auch der Landschaft ihr eindrucksvolles
Gepräge. Zwischen Eisleben und Mansfeld sind es um die
Fördertürme der Schächte herum die bergehohen
sargförmigen Abraumhalden, auf denen geschäftige Bähnchen
immer neues taubes Gestein heranführen. Unter Viadukten gehen die
Straßen hindurch, und immer ist es das gleiche Bild: Schächte,
Kühltürme, Halden zwischen gutbebauten Äckern auf
fruchtbarem Lößboden.
Aber wie überall in Mitteldeutschland die Gegensätze dicht
nebeneinander stehen, so redet hier die Geistesgeschichte nicht weniger
eindringlich als der [521] ungestüme
Vormarsch moderner Industrie. Hier sammeln sich die Erinnerungen um Martin
Luther, den Bergmannssohn, der die Neuzeit eröffnete und schicksalsvoll
bestimmte. Ehrfürchtig hütet Eisleben die Stätten
seiner Geburt und seines Todes. In der Petrikirche ist er auf den Namen des
streitbaren Heiligen getauft worden, und in der Andreaskirche hielt er seine
letzten erschütternden Predigten. Immer wieder hat es ihn aus der
großen Welt von Wittenberg in seine stillere Heimat gezogen. Immer
helfend, sei es nun, um Händel zwischen den Mansfelder Grafen zu
schlichten oder die von Münzer aufgewiegelten Bergleute wieder zu
beruhigen.
Wer Eisleben durchstreift, wird sich über das von der Industrie
unberührte mittelalterliche Stadtbild freuen, dessen von steilen Giebeln und
Türmen eingehegter, ansteigender Marktplatz den schönsten in
Mitteldeutschland zuzurechnen ist. Überhaupt tut man dem Mansfelder
Seekreis und Gebirgskreis unrecht, wenn über der Industrie die
landschaftlichen Schönheiten vergessen werden, die abseits der
großen Straßen in ungeahnter Fülle ausgebreitet liegen. Der mit
reichem Obstbau und Weinbergen gesegnete Seekreis führt seinen Namen
nach dem langgestreckten Süßen See. Durch Auslaugung unter ihm
anstehender Salzlager entstanden, zaubert sein blauer Spiegel ein Stück
Bodenseelandschaft hierher. Auch die Uferburg fehlt nicht: Schloß Seeburg,
steil aufgetürmt mit reicher Geschichte. Am hellsten klingt der Name
Wichmann, Barbarossas
kluger und schöner Berater, Erzbischof von Magdeburg. Neben Heinrich dem Löwen und Albrecht dem Bären ist
dieser Graf von Seeburg vor allem Führer der deutschen Ostkolonisation
gewesen in Krieg und Frieden. Ein guter Patron der heute in seiner Burg
untergebrachten Gauführerschule.
Nach Westen, im Gebirgskreis, dem Harze zu, mehren sich die Schönheiten
mit Bergen, weiten Laubwäldern und tiefeingeschnittenen Tälern mit
Burgen darüber. Herrliches Wandern über die
Höhenstraßen mit lockenden Fernblicken zum behäbig sich
aufbauenden Harz. Drunten im Wippertal nach Hettstedt zu liegt ein
parkumgebenes Schloß. Hier in Oberwiederstedt wurde Novalis
geboren, und das Familienarchiv der Hardenbergs bewahrt die "Hymnen an die
Nacht" in seiner steilen und klaren Schrift.
Die rechte Einstellung zum Gau des Kupfers und der braunen Erde wird nur
finden, wer diese
Landschaft - abgesehen von den vielen verschwiegenen
Reizen - vor allem volkswirtschaftlich betrachtet und sie dann als
lebenswichtigen Teil im großen Organismus des Reiches sieht. Nach der
geschichtlichen Leistung der Ostkolonisation im frühen Mittelalter
erfüllt sich ihr eigentliches Schicksal erst in der Gegenwart unter der
besonderen Aufgabenstellung, aus einem bisher vorwiegend landwirtschaftlich
genutzten Gebiet eine Industrieprovinz zu werden, weil Deutschland leben
muß! So steht dieser Gau im Verzweiflungskampf ums Dasein des ganzen
Volkes mit in der vordersten Front. Damit in anderen Gauen die Felder reicher
tragen, holt hier das Leunawerk den Stickstoff aus der Luft. Damit die
Weihnachtskerzen in jedem Hause festlichen Glanz ausstrahlen können,
müssen riesige Bagger hier Felderbreiten zerwühlen, müssen
die Schwelöfen hier ihren beizenden Qualm verbreiten. An Stelle einer
langen [522] Reihe nur diese beiden
Beispiele für die unerbittliche Notwendigkeit der Zusammenballung so
vielartiger Industrien hier im Mittellande, die weiter davon abhängt,
daß die Braunkohle 50 Prozent Wasser enthält und also weiten
Versand nicht lohnt. So müssen die 100 Millionen Tonnen
jährlicher Förderung (zwei Drittel der gesamtdeutschen!) an Ort und
Stelle zu Kraft verwandelt und veredelt werden. Der Wasserreichtum des Gebietes
begünstigt vor allem die chemische Industrie. Aber auch das
nährende Umland für die von den Werken herbeigerufenen
Menschenmassen fehlt nicht. Denn die Industriestädte liegen inmitten der
unterm Regenschatten des Harzes ausgebreiteten, seit Urzeiten unbewaldeten
Kultursteppe mit der höchstentwickelten Landwirtschaft Deutschlands, und
das "bittere" Feld ist nur eine wenig wohlmeinende Umdeutung des Namens
Better-Feld, den die flämischen Kolonisatoren im 12. Jahrhundert
dem hier vorgefundenen besseren Ackerland gaben. "Daer isser een betere
stêe" heißt es im berühmten Ostlandlied der
niederfränkischen Siedler.
Wenn weiter von den seit altersher durch günstigeres Schicksal in ihren
ursprünglichen Wohnsitzen belassenen Altstämmen oft recht
geringschätzig auf die "gesichtslose" Bevölkerung dieses Gebietes
herabgeblickt wird, in dem die Gesichter aller deutschen Landschaften zu finden
seien, so hat das Kohlenland vielen Arbeitslosen eben jener Gaue eine neue
Heimat gegeben und ist dadurch zum zweiten Male in der Geschichte zum
"Neusiedelland" geworden. Großzügiger Siedlungsbau ist hier
überall im Gange. In nächster Nachbarschaft der Werke auf
eingeebneten Bruchfeldern und Abraumhalden entstehen schmucke Dörfer,
wo sich in gartenumhegten Häuschen gesünder leben
läßt als in den Mietskasernen der Großstädte. Gerade
Leuna mit seinen vorbildlichen sozialen Einrichtungen ist ein Beispiel für
viele. Nicht mehr steht es als "Zwingburg des Kapitalismus", von tragischem
Brudermord verdüstert, sondern die wuchtigen Fronten seiner Schlote sind
Symbol für das heroische Trotzdem einer unbesiegten Nation, die mitten im
größten Kriege aller Zeiten sich dieses Werk geschaffen, und wenn
die Rauchschwaden im Morgenrot grau über die Ebenen ziehen, so sind das
die stolzesten Farben, die ein Volk in seinem Daseinskampfe hissen
kann - die Fahnen der Arbeit.
Der Mittelpunkt dieses zwischen Eisleben, Bitterfeld und Weißenfels
ausgespannten Kraftfeldes ist in jedem Sinne Halle. Wenn irgendwo die
Bezeichnung "uralt" recht hat, so bei dieser Stadt, die wie ihr Umland
leichtfertigem Vorurteil den Ruf der Häßlichkeit verdankt. Aber
welche Großstadt hat keine Erinnerungen an die Trostlosigkeit der
raffenden Gründerzeit, der kulturlose Emporkömmlinge ihre hohle
Fassade vorsetzten? Wer
aber - unbeirrbar den echten Kern
suchend - bis zum Marktplatz vordringt, wird unvermutet einem
mittelalterlichen Stadtbild gegenüberstehen, dessen steingewordener
Bürgerstolz den Vergleich mit dem ehrwürdigen Prag sehr nahelegt.
Aus seiner Mitte, frei nach allen Seiten, strebt der riesige spätgotische
Campanile des vielzackigen "Roten Turmes" dem Himmel entgegen, reiner
Inbegriff von Macht, Stolz und Reichtum der einstigen Hansestadt, und das
kraftvolle Rolandsbild zu seinem Fuße kündet vom Recht des Rates
über Leben und Tod. Zusammen mit [523] den vier Türmen
daneben von Unserer lieben Frauen, der weiten Hallenkirche des
16. Jahrhunderts, bildet er jene berühmte
Fünf-Türme-Gruppe als unvergleichliches Wahrzeichen der Stadt.
Gegenüber ist von der ehrwürdigen Behäbigkeit des Rathauses
der Wandel der Baugesinnung von der Gotik zur Renaissance abzulesen, und
unweit davon birgt die Moritzkirche, eine erlesene Köstlichkeit im Stile des
frühen 15. Jahrhunderts, jene Reihe steinerner Bildwerke des Konrad
von Einbeck, der nach dem Naumburger Meister die eigenwilligste
Persönlichkeit des
mitteldeutsch-sächsischen Kunstkreises darstellt.
[461]
Halle (Saale). Die Moritzburg.
|
Nur wenige Straßen
weiter künden die verzückten Gestalten der Apostel an den Pfeilern
der Domkirche von der unbegrenzten Prachtliebe des Kardinals Albrecht von
Brandenburg, der Grünewald
an seinen glänzenden Hof zog und mit
vielen Neubauten den Glanz der Renaissance über die Stadt brachte. Die
Totenmaske seines größten Widersachers, des Wittenberger
Mönches, hütet die Marienkirche als ergreifendstes Zeugnis der
Reformation. Am weitesten bekannt ist Halle freilich als Salzstadt der Halloren,
jener Mitglieder der ehrwürdigen
"Salzwirker-Brüderschaft im Tal zu Halle", deren aus langer Tradition
entwickeltes Brauchtum bis heute lebendig geblieben ist, deren buntfeierliche
Tracht mit Dreispitz, langem Leibrock und Schnallenschuhen sich fremdartig
genug vom modernen Straßenbild abhebt. Neben der günstigen
Hügellage am Saaletal haben besonders die Salzquellen hier zur Siedlung
eingeladen, und seit der Jungsteinzeit breitet sich Kulturschicht über
Kulturschicht. Fast alle Ausschachtungen für Neubauten im Stadtgebiet und
seiner Umgebung fördern aus vorgeschichtlichen Gräberfeldern
reiche Funde (besonders an Schnurkeramik) zutage. Die Salzquellen,
hartumkämpft schon in der Vorzeit, sind bis zur Aufschließung der
Braunkohlenfelder der Lebensnerv der Stadt gewesen, und auf ihm beruht der rege
Marktverkehr, der bereits im Mittelalter hier einen Knotenpunkt von
14 Straßen entstehen ließ. Sechs Hauptstrecken der Bahn und
zwei sich hier vereinigende Linien der Reichsautobahn zeigen deutlich genug
für die Gegenwart die Verkehrswichtigkeit dieses Platzes neben der
benachbarten Messestadt, mit der er den bedeutenden Flughafen Schkeuditz teilt.
Als Sitz der
Riebeck-Montan-Werke, des größten Tiefbauunternehmens im
deutschen Braunkohlenbergbau, und einem der fünf preußischen
Oberbergämter (für Sachsen, Brandenburg und Pommern) ist die
Stadt zum Zentrum des mitteldeutschen Bergbaues geworden. Vom heute
ausgebeuteten Steinkohlenrevier der Löbejüner Flur nahm der
preußische Bergbau, vom Großen
Kurfürsten gefördert,
überhaupt seinen Ausgang, und in dem kleinen Städtchen jenseits des
Petersberges steht als einzigartiges Denkmal der Arbeit der Zylinder der ersten
1795 in Deutschland zum Auspumpen des Grundwassers aufgestellten
Dampfmaschine. Daß der Mittelpunkt dieses Industriegebietes selbst eine
vielseitige Industrie aufweist, ist begreiflich. An der Spitze der Maschinenfabriken
steht Weise Söhne, die über 100 000 Kreiselpumpen in
die entlegensten Länder des Erdkreises geliefert hat. Die
Zuckerrübenkultur des Umlandes fordert Fabriken zur Weiterverarbeitung,
von denen sich die Firma Most durch ihre Schokoladenerzeugnisse den
klangvollsten Namen gesichert hat.
[524] Nicht minder vielseitig
und weit zurückreichend ist Halles Bedeutung für das deutsche
Geistesleben, die sich am getreusten in seiner Universität widerspiegelt. Als
einzige Hochschule des Lutherlandes hat sie nach der Vereinigung mit der
Wittenberger deren Tradition übernommen und trägt heute den
verpflichtenden Namen des Reformators. Als Zeugnis deutscher Selbstbehauptung
wurde sie nach den demütigenden französischen Verheerungen in der
Pfalz 1694 ins Leben gerufen und blieb bis zur Gründung der Berliner die
wichtigste Universität in Preußen. Gleich am Anfang stehen ihre drei
größten Lehrer: A. H. Francke
(1663-1727), der durch die tätige Liebe seines Christentums
den Pietismus gegen die protestantische Scholastik zum Siege führte,
Chr. Thomasius, der als damals unerhörter Revolutionär gegen
die hergebrachte Latinität für eine selbständige deutsche
Kultur kämpfte und Persönlichkeiten an Stelle von Vielwissern
erziehen wollte, und schließlich gleichzeitig, aber in wunderlichem
Gegensatz zu den beiden der erfolgreichste Philosoph der Aufklärung, Chr. Wolff.
Diese drei die Jugend begeisternden Persönlichkeiten
verhalfen der jungen Universität zu einem Rufe, der alle übrigen
deutschen Hochschulen weit hinter sich ließ. Ein Jahrhundert später
begründet Fr. A. Wolf hier die moderne
Altertumswissenschaft und Philologie im
klassisch-humanistischen Geiste, und viele Namen wären neben der
Theologie für die Chemie und Physik zu nennen. Überhaupt nehmen
die Naturwissenschaften gerade hier am Standort bedeutender Industrien einen
höheren Rang ein als anderswo und tragen dazu bei, daß die
Universität unmittelbar fördernden Anteil am Daseinskampf der Nation
nimmt. Für die naturwissenschaftliche Ausrichtung der Universität
gibt es aber kein tieferes Symbol, als daß nach langem Umherwandern im
Reich die älteste naturforschende Gesellschaft der Welt, die Kaiserl.
Leopoldisch-Carolinisch deutsche Akademie der Naturforscher hier ihre
endgültige Heimat fand, deren selten verliehene
Cothenius-Medaille nur den führenden Forschern der Nationen vorbehalten
ist.
Neben der Universität nimmt Halle durch die Schulstadt der Franckeschen
Stiftungen einen besonderen Rang in der Geschichte des deutschen
Bildungswesens ein. Wer heute durch die endlosen Gebäudereihen der
"Stiftungen" geht und in ihnen das überdauernde Werk eines einzelnen
Mannes sieht, das mit einer Gabe von 7 Gulden begonnen wurde, der kann
hier des Wunders inne werden, daß der Glaube Berge zu versetzen vermag.
Dabei war der fromme Waisenvater aber auch nüchtern genug, sein Werk
durch Angliederung erwerbender Anstalten für die Zukunft zu sichern: die
heute noch bestehende Buchhandlung, Buchdruckerei und Apotheke. Um aber
auch dem Ärmsten eine Bibel geben zu können, deren Erwerb ja
damals noch eine kostspielige Sache war, wurde 1710 die nach ihrem
freiherrlichen Stifter benannte von Cansteinsche Bibelanstalt als erste der
Welt gegründet. Mit der Pflege der Heidenmission verbunden hat sie
seither über acht Millionen Bibeln verbreitet.
Die besondere musikalische Begabung des mitteldeutschen Menschen hat Halles
größten Sohn, Händel, unsterblich gemacht. Aber auch vor und
nach ihm stehen klingende Namen, die zur Stadt in engerer Beziehung gestanden
[525] haben.
Liedersänger sind es vor allem, wie Robert Franz. Als bester Vertoner
[462]
Halle (Saale). Der Giebichenstein.
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Goethescher Gedichte galt Friedr. Reichardt, der Herbergsvater der Romantiker,
die sich in seinem gastlichen Hause am Giebichenstein um ihn und seine
schöne Frau mit den geistvollen Töchtern sammelten. Nie wieder hat
die Ruine der alten Reichsburg auf dem schroffen Felsen über der Saale so
selig durchschwärmte Nächte gesehen wie in jenen Jahren um 1800,
wo Tieck, Wackenroder, Novalis, Fr. Schlegel, Arnim, Brentano, Bettina,
Eichendorff, W. Grimm,
Steffens und Schleiermacher dort ein und aus
gingen. Wie sie die Landschaft geliebt haben, muß man in ihren Briefen und
Tagebüchern nachlesen, und unvergeßlich prägen sich
Eichendorffs Verse ein:
"Da steht eine Burg überm Tale
Und schaut in den Strom hinein,
Das ist die fröhliche Saale,
Das ist der Giebichenstein.
Da hab ich oft gestanden,
Es blühten Täler und Höhn,
Und seitdem in allen Landen
Sah ich nimmer die Welt so schön."
Oft war Goethe hier, von Lauchstädt herüberkommend, wo
er im Sommertheater strenge Regie führte. Am besten hat Eichendorff auch
hier wieder das Wort: "War ein Stück von Goethe oder Schiller
angekündigt, so begann sofort eine wahre Völkerwanderung zu
Pferde, zu Fuß oder in einspännigen Kabrioletts...., niemand wollte
zurückbleiben, die Reicheren griffen den Unbemittelten mit Entree und
sonstiger Ausrüstung willig unter die Arme, denn die Sache wurde ganz
richtig als eine Nationalangelegenheit betrachtet." Das im 18. Jahrhundert
so berühmte kursächsische Modebad, in dem sich bei den
Brunnenkuren der Dresdner Hofadel à la nature
vergnügte, ist längst wieder zu einem Landstädtchen
eingeschlafen und zehrt von Erinnerungen, die in den
Rokoko-Pavillons und unter den hohen Bäumen des Parkes wach werden,
wenn zur Festspielzeit mit Goethe an der Spitze die Klassiker über die alte
gemütvolle Bühne gehen. Dann herrscht hier für ein paar
verklärte Sommertage ein buntes, hochgestimmtes Leben.
Sind auch die Waldhornklänge der Romantiker längst verweht, so hat
das Saaleufer von der inmitten der Großstadt drohenden Moritzburg bis hin
zum Giebichenstein sich seinen berückenden Reiz von einst bewahrt. Hier
muß man die Stadt liebhaben und sich nach ihr immer wieder
zurücksehnen. Und wenn dann zum Laternenfest auf Hunderten von Booten
die bunten Lichter gaukeln und überm Giebichenstein die riesigen
Wunderblumen des Feuerwerks in den Himmel wachsen, dann erleben auch die
Hunderttausend hier wieder den Zauber des Märchens.
Wo nach Norden hin die Hügellandschaft des östlichen Harzvorlandes in
immer flacheren Wellen verebbt, um dann in die weiten Ebenen des Elbtales
einzugehen, baut sich als natürliche Warte das Porphyrmassiv des
sagenumwobenen [526] Petersberges
(250 Meter) auf. Sein Gipfel mit einer romanischen Peterskirche auf
germanischer Kultstätte bietet die umfassendste Überschau. Ein
herrlich buntes Schachbrett fruchtbarer Felderbreiten, dazwischengestreut
friedliche Siedlungen um ehrwürdige Dorfkirchen geschart. Uraltes
Bauernland, soweit der Blick reicht, und nur die Nadeln der Schornsteine am
Rund des Horizontes künden davon, daß mit der Industrie eine neue
Zeit angebrochen ist.
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