[167]
Thüringen
Waldemar Mühlner
In Luthers
Tischreden wird uns erzählt, daß Graf Bodo der
Glückselige von Stolberg einmal aus tiefstem Empfinden heraus bekannte:
"Geht mir mit dem Gelobten Lande! Ich lasse es jedem gerne. Ich lobe mir
dafür meine Goldene Aue."
Die Goldene Aue, eine der fruchtbarsten Gegenden Deutschlands und eine
Kornkammer des Mittelalters, zieht sich um den Kyffhäuser herum.
Thüringen verläuft in ihr nach Norden zu. Die Aue scheidet
Thüringens Berge von den Harzhöhen. Graf Bodos Ausruf
drückt den Stolz des Stolbergers auf seine Thüringer Heimat aus. Der
Stolz glüht heute noch in jedem Thüringer, ja in jedem Deutschen,
der einmal Thüringer Gastfreundschaft genossen hat. Man nennt
Thüringen das grüne Herz Deutschlands. Es liegt gar nicht
so unbedingt in der Mitte unseres Vaterlandes. Und doch ist der Vergleich eine
Ehrenbezeichnung für das Land. Thüringen, das ist für uns:
Waldesrauschen und Vogelsang, sanftgeschwungene Berge und liebliche
Täler, Frohsinn und Gastfreundschaft; das ist Kulturmittelpunkt, ist
Kultursonne und ist mehr als einmal Mittelpunkt deutschen und
weltgeschichtlichen Geschehens gewesen.
Freilich, wenn man draußen im Reiche nach Thüringen fragt, so
muß man erfahren, daß der Begriff nicht eindeutig feststeht. Die
Grenzen fließen. Man faßt Thüringen gern als
Mitteldeutschland auf und läßt Orte in ihm liegen, die erdkundlich
und stammeskundlich einer andern Landschaft zugerechnet werden müssen.
Das kommt wohl daher, daß Thüringen niemals politisch eine Einheit
gewesen ist und seine bis heute noch nicht aufgehellten Anfänge im Dunkel
der Vorgeschichte ruhen.
Das alte Thüringer Königreich, das bis zum Jahre 531 bestand,
reichte im Norden bis an die Elbe, bis ans heutige Mecklenburg, und im
Süden bis zur Donau. Im Gegensatz dazu war das neuzeitliche
Staatengebilde Thüringen in den vergangenen Jahrhunderten das Urbild
deutscher Kleinstaaterei. Es war dermaßen zerrüttet und
zerstückelt, daß man im Reiche spöttisch von den
thüringischen "Raubstaaten" redete. Thüringens Ruhm hat das in
keiner Weise zu schmälern vermocht; denn Thüringen ist für
uns Deutsche ein Landschaftsbegriff, dessen Mittelpunkt der Thüringer
Wald bildet, ist ein Stammesbegriff, dessen Grenzen durch die
Stammes- und Mundart der Bewohner festgelegt sind.
Die Grenze liegt auf einer Linie, die um folgende Orte herumläuft:
Altenburg, Greiz, Hirschberg, Koburg, Mellrichstadt, Tann, Berka, Treffurt,
Bleicherode, Helmetal, Unstruttal, Naumburg, Zeitz. Erdkundlich gehören
zu dem Gebiete der Thüringer Wald, das Thüringer Hügelland
mit dem Kyffhäuser, das Saaletal und das Thüringer Vogtland um
Greiz. Politisch umschließt es das gesamte
Groß-Thüringen, Teile der Provinz Sachsen und kleine Gebiete von
Bayern und Hessen. Es wird im Osten begrenzt vom Freistaat [168] Sachsen, im
Süden vom bayerischen Franken, im Westen von der Provinz Hessen und
im Norden von den Harzlanden.
[169]
Blick von der Rudelsburg ins Saaletal.
|
Und es ist doch Deutschlands Herz! Nach drei deutschen Strömen schickt
das Land seine Abflüsse, zur Elbe, zur Weser und zum Rhein. Sein
Hauptfluß ist die burgenreiche, vielbesungene Saale.
Die Kultur des Landes bekommt ihren Charakter von der Eigenart der Bewohner,
und die Bewohner sind wiederum geformt worden von der Landschaft und ihren
Erscheinungen.
Über die Herkunft der Thüringer hat die Wissenschaft noch
nichts Sicheres feststellen können, da die Quellen aus der
Frühgeschichte der Thüringer nur sehr, sehr spärlich
fließen. Auch über die Deutung des Namens Thüringen gehen
die Meinungen weit auseinander. Nur soviel ist gewiß, daß der Kern
des Stammes ein am Thüringer Walde sitzendes Volk bildete. Die Mehrzahl
der Forscher vertritt die Ansicht, daß dieser ansässige
Stamm die Hermunduren waren. Aus dem letzten Teil dieses Wortes sein der
Name Thüringer (Düringer) hervorgegangen. Die Hermunduren
vermischten sich später mit den von Norden einwandernden Angeln und
Warnen, und alle drei verschmolzen zum Stamme der Thüringer, der im
6. Jahrhundert das Königreich innehatte. Das Reich wurde von den Franken
und Sachsen zerstört. Beide setzten sich im thüringischen Gebiete
fest. Die Sachsen drangen von Norden, die Franken von Westen ein. Die
Thüringer sogen die eingedrungenen Elemente auf. Noch ein anderer
Einfluß machte sich im Lande geltend. Von Osten kamen Slawen und
besiedelten die Landschaft bis zur Saale und darüber hinaus.
Die Thüringer wurden durch diese Einflüsse zum Mischvolke. Sie
wuchsen aus germanischen Herrengeschlechtern hervor und nahmen in sich einen
Einschlag slawischen Blutes auf. Sie zeigen heute noch alle Vorzüge
solcher Blutmischung: geistige Begabung, Beweglichkeit, schnelle
Auffassungsgabe, Herrenstolz, wenn auch nicht verkannt werden darf, daß
der Thüringer mit den Vorzügen auch gewisse Nachteile der
Mischung geerbt hat. Er ist weich, nicht allein im Gefühlsleben, sondern
auch im Willen. Zähigkeit ist nicht immer seine Stärke, und das
trägt ihm manchmal den Vorwurf, wankelmütig zu sein, ein.
Seinen Grundcharakter empfing der Stamm von der Natur der
Landschaft. Das Land vermittelt zwischen der weiten Ebene
Norddeutschlands, die bis zum Gestade der
Nord- und Ostsee reicht, und den Hochebenen und dem Hochgebirge
Süddeutschlands, die den Alpen wie Vorposten vorgelagert sind.
Zwischen beiden Gegensätzen steht Thüringen. Ihm fehlt die
Eintönigkeit der flachen Weite, aber auch die Geschlossenheit der
Bergenge. Das Land baut sich aus Berg und Tal auf. Doch die Berge sind
mäßig, keiner geht über die
1000-Meter-Grenze hinaus. Sie sind in ihrer Form sanft gewölbt und bieten
einer Besteigung keine Schwierigkeiten. Wald bedeckt sie bis oben hin und macht
eine Wanderung über ihre Höhen zu einem unvergeßlichen
Genusse. Steht man auf einem von ihnen, dann schweift der Blick über eine
endlose Zahl von Kuppen, und auf allen wogt es und rauscht es wie ein
grünes Meer, dessen Anblick einen sinnigen Menschen trunken stimmen
kann. Ebenso mild sind die Täler. Schluchtartig sind nur wenige, und wo sie
es sind wie im Oberlaufe der Saale und anderer Gewässer oder am
Fuße des Wartburgfelsens, da werden sie seit alters als etwas Besonderes
besonders gepriesen. Die meisten haben eine breite Talsohle, ihre Ränder
sind sanft [169=Foto] [170] geneigt und
steigen allmählich zu den begrenzenden Höhen hinauf. Der Talgrund
läßt Raum für Besiedlung, läßt Raum für
Bodenbewirtschaftung und hindert nicht den Verkehr. So kommt's, daß die
Städte und Dörfer überall Platz finden und bis auf die
Höhen hinaufkriechen. Ruhla, eine Stadt von 8300 Einwohnern, mitten drin
in den Bergen, zieht sich über vier Kilometer weit im Tale des Erbstromes
hin, ist nirgends unterbrochen und weckt überall den Eindruck der
zusammenhängenden Geschlossenheit. Landstraßen und Eisenbahnen
finden zwischen den Bergen ihren Weg, ja die Täler locken sogar und
ziehen den Verkehr an. Sie sind, soweit wir in der Geschichte nachweisen
können, immer Einfallstore für einbrechende Heere und
Durchgangswege für wandernde Völker gewesen. Entscheidungen
haben die Berge nie aufgehalten oder verzögert. Öfter sind zwischen
ihnen die Würfel über die deutsche Zukunft gefallen.
Der Grundzug im Wesen der Thüringer Landschaft ist Milde. Das
Landschaftsbild wird von der geschwungenen Linie beherrscht. Alles in ihm ist
Bewegung, ist Leben. Und das hat seine Spuren tief in das Thüringer
Volkstum eingedrückt. Der Thüringer wurde bei seiner
Grundveranlagung in der Umgebung seiner Berge der Lebensbejaher, dem das
Leben Freude macht. Er ist heiter, gesellig, frohgemut, liebenswürdig und
vor allem gesangsfreudig und gesangskundig. Seine Berge liebt er mit der ganzen
Inbrunst seiner Seele. Mit der Vogelwelt seiner Wälder verbindet ihn ein
inniges Band. In vielen Orten trifft man in jedem Hause einen kleinen
Sänger im Käfig, und der Besitzer ist glücklich, wenn sein
gefiederter Freund in seiner Kunst vollendeter als der des Nachbarn
ist. - Mit der Lebensfreude verbindet sich im Thüringer freilich auch
die Abhängigkeit von Stimmungen. Himmelhoch jauchzend, zu Tode
betrübt: Das könnte der Dichter den Thüringern ins
Lebensbuch geschrieben haben.
Aus solchem Holze werden Künstler und werden vor allem Kunstfreunde,
die mit feinem Gefühl Kunstregungen verstehen und sich für sie
begeistern, geschaffen. Thüringen ist die Heimat ganzer
Künstlergeschlechter. Es sei nur die Familie Bach erwähnt. Und
Thüringen hat immer als Kunstmittelpunkt große Anziehungskraft
auf schaffende Künstler ausgeübt. Im Mittelalter war die Wartburg
eine Freistatt für Dichter und Sänger, und für uns ist Weimar
zu einem Programm deutscher Kultur geworden. Man könnte einen
Vergleich zwischen Thüringen und dem ebenso kunstfrohen, leichten Wien
ziehen.
Im frühen Mittelalter hat Thüringen einmal in unserm Vaterlande
eine ausschlaggebende Rolle gespielt. Im 5. und 6. Jahrhundert n. Ch. war
es Königreich. Unter König Irminfried umfaßte es
mit seiner Macht ganz Mitteldeutschland von der Donau bis zur Unterelbe. Die
Franken und Sachsen zerstörten das Reich durch ihren Sieg über die
Thüringer bei Burgscheidungen im Jahre 531.
Im zerschlagenen Thüringen wurden die Sachsen Herren. Wie stark sie mit
dem Lande verwurzelten, das offenbarte sich, als die sächsischen
Herzöge deutsche Könige wurden. Die Sage läßt sich's
nicht nehmen, den Finkenherd, an dem Heinrich der Finkler die
Nachricht von seiner Wahl zum deutschen Könige erhielt, nach
Thüringen zu verlegen. An der Unstrut bei
Zingst-Vitzenburg soll er gelegen haben. Heinrich liebte die Unstrutwälder,
er jagte gern in ihnen. Noch vertrauter wurde ihm das Land, als er hier die
Reichsfeinde, die Ungarn, aufs Haupt schlug und dadurch sein Deutschland
befreite. Die [171] Königspfalz
Memleben an der Unstrut war eine seiner Lieblingsaufenthalte. Sie wurde sein
Schicksal. Auf einer Reise von Merseburg nach Quedlinburg starb er 936 in ihr.
Sein Sohn Otto der Große erbte die Liebe zu Thüringens
grünen Wäldern und zur Pfalz Memleben. Der Königssitz sah
auch seinen Tod, und er hielt den Sohn noch fester als den Vater. In der
Klosterkirche neben der Pfalz wurde Ottos Herz beigesetzt. Die Ruine der Kirche,
von Friedrich
Wilhelm IV. vor dem Verfall gerettet, ist ein geschichtliches
Schmuckstück im Unstruttale. Ihre vollständig erhaltene Krypta
gehört zu den schönsten ihrer Art.
Jahre und Jahrzehnte kamen und gingen. Thüringen wurde wieder
selbständiges Fürstentum, und neuer Glanz brach über das
Land herein, als das hochbegabte Geschlecht der Ludowinger in ihm zur
Macht gelangte. Ihr Ahn war Ludwig der Bärtige. Seine Nachfolger bilden
eine Reihe, in der jedes Glied eine Persönlichkeit mit besonderer
Prägung war. Jeder von ihnen war eine Verkörperung seiner Zeit und
der in ihr herrschenden Ideen in höchster Vollendung. Das fühlten
ihre Zeitgenossen. Die Sage behandelte sie alle wie Lieblinge in einer Fülle
von Geschichten und Geschichtchen.
Die Reihe der Fürsten eröffnet Ludwig der Springer. Was
kümmert's das Volk, daß er noch nicht Landgraf war, es macht ihn
dazu. Heiße Liebe und ein Mord spielen in den Jugendjahren des
Fürsten eine bedeutende Rolle. Der Mord am Pfalzgrafen Friedrich von
Sachsen im Walde bei der Neuenburg hat ihm nie nachgewiesen werden
können. [172] Aber heiß strahlt
in der Überlieferung seine Liebe zur schönen Adelheid, der
Gemahlin jenes Pfalzgrafen, die er nach dem Tode ihres Gatten heiratete. Um
ihretwillen ging er nach der Sage als Gefangener des Kaisers auf den
Giebichenstein. Um ihretwillen wagte er von der Höhe der Burg den
Sprung in die Saale, der ihm seinen Beinahmen eintrug. Er war der Erbauer der
Neuenburg bei Freyburg a. U., der Erbauer der Wartburg bei
Eisenach, der Gründer des Klosters Reinhardtsbrunn bei Friedrichroda. In
das Kloster trat er im Alter als Mönch ein. Dort wurde er begraben, und
nach ihm fanden alle Thüringer Landgrafen an dem heiligen Orte ihre letzte
Ruhestätte.
Ludwigs des Springers Sohn, Ludwig I., erhielt vom Kaiser als Auszeichnung den
Landgrafentitel.
Dessen Sohn Ludwig II. war der Landgraf, dem in der Schmiede von
Ruhla der Meister die Augen öffnete, daß er hart gegen seine Adligen
wurde. Er spannte sie auf dem Edelacker bei der Neuenburg vor den Pflug und
pflügte mit ihnen das Feld, um ihnen zu zeigen, was Fronarbeit heißt.
Weil er unter dem Kleide zum Schutze gegen die Rache der Adligen stets ein
eisernes Hemd trug, nannte ihn das Volk den "Eisernen". Die Adligen
im Land fürchteten ihn bis über seinen Tod hinaus. Sie trugen seinen
Leichnam auf ihren Schultern von der Neuenburg bis Reinhardtsbrunn, wie er's im
Testament bestimmt hatte, aus Furcht, er könnte aufstehen und sie
züchtigen, wenn sie seinen Willen nicht erfüllten.
Sein Sohn Ludwig der Fromme zog mit Friedrich Barbarossa ins Gelobte Land. Er
starb auf der Rückfahrt von dort auf der Insel Cypern.
Ihm folgte sein Bruder Hermann I. Der erwarb für die Treue
seines Geschlechts zu den Hohenstaufen zur Landgrafschaft die Würde
eines Pfalzgrafen von Sachsen. Die Neuenburg gab er als Herrschersitz auf. Er
verlegte seinen Hof auf die Wartburg und begann auf dieser den Bau des
Landgrafenhauses, den sein Sohn Ludwig vollendete. Hermann war der Freund
der Minnesänger. Unter ihm hat der berühmte sagenhafte
Sängerkrieg stattgefunden, an dem alle bedeutenden Sänger
jener Zeit beteiligt gewesen sein sollen.
In der Regierung seines Sohnes Ludwigs IV. erreichte die Idee der
werktätigen Frömmigkeit im deutschen Volke ihren
Höhepunkt. Ein Idealbild dieser werktätigen Liebe war die heilige
Elisabeth, die Gemahlin Ludwigs, der selbst unter dem Namen
des "Heiligen" in der Geschichte weiterlebt. Geradezu rührend ist es, wie
Elisabeth in der Ausübung der Frömmigkeit und der
Nächstenliebe aufging. Das Volk konnte sich nicht genug tun, das
Schicksal der glücklichen unglücklichen Fürstin mit einem
Kranze von Legenden auszuschmücken. Es blüht in ihnen von Rosen
und Sonne und Sternen und Engeln und Wundern. Auf der Wartburg zeugt jeder
Stein von ihr.
Elisabeths Sohn Hermann starb ganz jung kurz nach der Übernahme der
Regierung. Sein Nachfolger wurde sein Oheim Heinrich Raspe, der
Bruder seines Vaters Ludwigs des Heiligen. In der deutschen Geschichte kennt
man Heinrich Raspe als Gegenkönig des Staufen Friedrichs II. Im
Kampfe gegen diesen büßte er bei Ulm sein Leben ein. Da er keine
Kinder hatte, starb mit ihm das ludowingische Landgrafengeschlecht aus. Eine
böse Zeit brach für Thüringen an. Nur durch Krieg konnte die
Herrschaftsnachfolge im [173] Lande geregelt werden.
Im Erbschaftskriege blieb 1263 der Markgraf von Meißen, Heinrich der
Erlauchte, ein Fürst aus dem Hause der Wettiner, ein Enkel des Landgrafen
Hermanns I., Sieger. Mit ihm ergriffen die Wettiner die
Regierung in Thüringen, und sie haben sie bis zur Neuordnung 1918
innegehabt.
Das Geschlecht erwarb manchen Neubesitz, u. a. im 17. Jahrhundert die "Pflege
Koburg", aber Ruhe hat es infolge immer neuer Teilungen durch zwei
Jahrhunderte hindurch nicht immer gehalten. Nach dem Erbfolgekrieg tobten im
14. Jahrhunderte der Thüriuger Grafenkrieg und im 15. Jahrhundert der
Sächsische Bruderkrieg. Die Landesteilung vom 26. August 1485 brachte
endlich Klarheit. Zwei Brüder setzten sich in dem Vertrage auseinander.
Albert erhielt Meißen-Sachsen, Ernst die thüringischen Ämter.
[174] Revidiert wurde der
Vertrag nach dem unglücklichen Ausgange des Schmalkaldischen Krieges
1547. Die ernestinische Linie mußte damals die Kurwürde an die
albertinische Linie abtreten.
Die vielen Teilungen trugen den Kern der kleinstaatlichen Entwicklung
Thüringens in sich. Das eigentliche Thüringen, das Gebiet des
Thüringer Waldes, der Besitz der ernestinischen Linie teilte in der
nächsten Zeit so oft, daß im Raume des einstigen Landgrafenbesitzes
ein Großherzogtum, drei Herzogtümer und vier
Fürstentümer entstanden. Erst nach dem Weltkriege schlossen sich
alle 1920 zum Freistaat Thüringen zusammen, in dem Weimar der Sitz der
Regierung wurde.
Mit dem Aussterben der Ludowinger erlosch keineswegs die Sagenfreude des
Thüringer Volkes. Auch aus der Zeit der Erbkämpfe wird manche
Sage erzählt, besonders von Friedrich mit der gebissenen Wange,
der ein Volksliebling wie Ludwig der Springer, Ludwig der Eiserne u. a.
war. Der Thüringer fühlte sich zu allen Zeiten mit seinem
Fürstenhause verbunden. Wir wissen, daß auch unter den
neuzeitlichen Fürsten manche Kerngestalt war und daß es dem
Thüringer Freude macht, auch von diesen Geschichten und Schnurren zu
erzählen. Es sei nur an den Großherzog
Karl August, den Freund Goethes, erinnert.
Doch nicht nur die thüringische Stammessagenwelt ist reich und
blühend, eben so groß und von gleicher verschwenderischer
Fülle sind die Ortssagen der Landschaft. Um die Burgen flattern
die Geister der einstigen Bewohner. In den Dörfern gehen Kobolde und
Drachen um. Der Glaube an sie ist nicht so düster und schwer und
dämonisch wie im Moor, in der Heide, am Meer. Die Geisterwelt der
Thüringer ist in vieler Beziehung hoffnungsfreudiger, lichter.
Die Drei Gleichen bei Arnstadt sind der Schauplatz der innigen Erzählung
vom Grafen mit den beiden Frauen. - Im Hörselberge bei Eisenach
wohnt die berückend schöne Frau Venus. Zu ihr steigt
Tannhäuser, der Sänger, hinab, das erstemal, um am Liebeshofe der
Frau Venus Schönheit zu trinken, und das zweitemal aus Verzweiflung,
daß der heilige Vater in Rom ihm die Lossprechung von der Sünde
der Weltlust versagte. Nach drei Tagen sandte ihm der Papst eine Botschaft nach,
daß sein dürrer Hirtenstab grüne, Gott dem Sänger also
verzeihe. Die Botschaft erreicht Tannhäuser nicht mehr, nun muß er
ewig drinnen im Berge bleiben. - Und in einer Sage wächst die
Thüringer Landschaft in Himmelshöhen. Sie wird zum Symbol des
deutschen Schicksals in der Sage von der Wiederkunft Barbarossas. Der
Barbarossaberg ist der Kyffhäuser. Tief drinnen im Berge schläft der
Kaiser, er wartet auf die neue Herrlichkeit des Deutschen Reiches, die erst
kommen wird, wenn die deutschen Stämme den Geist der
Zwietracht überwunden haben werden.
Was die thüringische Landschaft dem Menschen sein kann, hat
niemand tiefer empfunden als Goethe, der von Weimar aus in die Berge floh,
sobald die Unrast unter Welt und Menschen ihn zu grauen anfing und er Ruhe
für seine Innenwelt brauchte und suchte. In den Bergen Thüringens
fand er sie. Er liebte besonders den Kickelhahn bei Ilmenau. In den Abendstunden
des 7. September 1783 fand er dort im Angesichte der dunklen Wälder und
der hinter den Bäumen verschwindenden Sonne die [175=Foto] [176] Worte zu
seinem Nachtliede: "Über allen Wipfeln ist Ruh!" Er schrieb das Gedicht
auf die Holzwand im oberen Raume des Jagdhäuschens, das er bei seinen
Aufenthalten auf dem Berge bewohnte. Leider ist das Haus abgebrannt. Doch hat
man ein gleiches an seine Stelle gesetzt und in ihm eine getreue Nachbildung der
Handschrift Goethes an die gleiche Stelle der eigenhändigen Eintragung des
Dichters gesetzt.
Große durchgehende Eisenbahnlinien führen von allen Seiten nach
Thüringen hinein und ermöglichen dem Reisenden ein bequemes
Herankommen an alle landschaftlichen Schönheiten. Schon im Vorlande
des Thüringer Waldes im Norden, im Thüringer Hügellande
gibt es eine große Anzahl reizvoller Anziehungspunkte. Der
Kyffhäuser steht wie ein Wegweiser vor ihnen. Schon von weitem
grüßt seine charakteristische Silhouette den Reisenden, der aus der
Norddeutschen Tiefebene kommt und die
Halle-Kasseler Bahn bei seiner Fahrt nach Thüringen benutzt. Auf der
Höhe des Berges steht das wuchtige Barbarossadenkmal. Das Mal
wächst aus dem Bergfelsen unmittelbar heraus, und im Verwachsensein
von Natur und Kunst liegt seine besondere Schönheit. Die Gestalten der
Barbarossasage im Unterbau des gewaltigen Baues sind vom Künstler in
den natürlichen, anstehenden Stein gehauen. Herrlich ist der Blick von den
breiten Terrassen des Denkmals auf die liebliche Goldene Aue, und man versteht,
daß deutsche Kaiser des Mittelalters gern hier weilten, die Kuppen mit
Burgen besetzten und in die fruchtbare Ebene ihre Pfalzen
bauten. - Südlich vom Kyffhäuser durchfließt die
Unstrut das Hügelland. Der einst wild, jetzt gebändigte
Fluß sah ein großes Stück der deutschen Geschichte und hat die
Erinnerungen alle festgehalten. Eine Wanderung in seinem Tale zur Zeiten der
Baumblüte ist höchster Genuß. Etwas Besonderes bietet das
Mündungsgebiet des Flusses von Freyburg, der Stadt des Turnvaters Jahn,
bis zu Naumburg, der türmereichen. Auf den
Höhen dort wächst und gedeiht Wein. Es ist viel über ihn
gespottet. Am bekanntesten sind Claudius' und Trojans Verse geworden. Der
Wein verdient den Spott nicht, vor allem heute nicht mehr, seit der Staat
angefangen hat, Qualitätsweine zu ziehen. Es dürfte auch nicht
allgemein bekannt sein, daß gute Jahrgänge des Saaleweines
früher schon in die berühmten Gegenden Westdeutschlands gingen
und dort zur Verbesserung ausgefallener Gewächse dienten.
Im Mittellaufe der Unstrut schieben sich bei Heldrungen zwei Bergzüge an
den Fluß heran, als wollten sie ihm den Weg sperren: im Westen die
Hainleite, im Osten die Schmücke-Finne. Die Unstrut hat sich zwischen
ihnen hindurchgedrängt. Aber ihr Durchbruch sieht wie ein Tor aus und
heißt bezeichnenderweise: Thüringer Pforte. Auf dem
Torpfeiler der Hainleite erheben sich trotzig die beiden Sachsenburgen.
Hinter der Pforte treten wir in das Kernstück des eigentlichen
Thüringens ein. Der Ettersberg bei Weimar, der Steiger bei Erfurt, die Drei
Gleichen zwischen Arnstadt und Gotha, der Hörselberg bei Eisenach: das
sind die grünen Inseln zwischen den Bergwellen des Thüringer
Hügellandes.
Ebenso reizvoll ist es, im Tale der Saale von Naumburg aus ins grüne
Thüringen zu wandern, Auch da verschmelzen Natur, Geschichte und
Erinnerung zu einer harmonischen Einheit. In Naumburg lassen wir den
einzigen Dom mit seinen kostbaren Stifter- [177] gestalten auf uns
wirken. Dann fahren wir vorüber an malerischen Burgruinen,
erinnerungsreichen Schlössern und Städten, betriebsreichen Flecken
und Dörfern: vorüber am berühmten Schulpforta, an
Kösen mit der Rudelsburg, an dem durch Goethe geheiligten
Dornburg, an der Kunitzburg, an der Musenstadt Jena
mit dem Fuchsturm, an Kahla mit der Leuchtenburg,
an Rudolfstadt.
Und dann stehen wir vor den Höhen des
Thüringer Waldes.
Von Eisenach steigen wir vorbei an Fr. Reuters Villa hinauf zur
Wartburg. Großherzog Karl Alexander von Weimar hat sich ein
unsterbliches Verdienst erworben, daß er die Burg erneuern ließ und
dadurch die Stätten vor dem Verfall bewahrte, die durch die Geschichte
geweiht sind. In der Vorburg liegt die Wohnung des Schloßhauptmanns,
liegt das Stübchen, das Martin Luther während seines
Wartburg-Aufenthaltes bewohnte, und liegt der Margaretengang, von dem aus die
unglückliche Landgräfin Margarete sich herabließ und vor
ihrem Gemahl Albrecht dem Unartigen floh. In der Dirnitz zwischen Vorburg und
Hofburg ist die Rüstkammer untergebracht, in der Waffen und
Rüstungen aus vergangenen Jahrhunderten, darunter viele geschichtlich
bedeutende, aufbewahrt werden. Das stolzeste Gebäude der Burg, eine
baukunstliche Kostbarkeit seltenster Art, ist das Landgrafenhaus in der Hofburg
mit der Elisabeth-Kemenate, dem Speisesaal und der Küche im
Erdgeschoß, dem Landgrafenzimmer, dem Sängersaal, der
Elisabethengalerie und der Kapelle im ersten Stock, und dem Festsaal im obersten
Stock. Meister Schwind
und andere Künstler schmückten durch
Bilder und Architekturen die [178] Räume und
Gänge. Von den Fenstern des Palas, vom Lutherstübchen, vom
Pulverturm und von der Mauer der Hofburg schweift der Blick weit hinaus
über das Gebirge. Wer die Bergwelt kennen lernen will, wandert von der
Wartburg hinunter ins Annatal, windet sich durch die
Drachenschlucht und geht über das Gasthaus "Hohe
Sonne", über Ruhla zum Inselsberge. Von der
"Hohen Sonne" blickt er noch einmal zurück zur Wartburg und
genießt den berühmten Wartburg-Blick. In der Sonne glänzt
und gleißt das vergoldete Kreuz auf dem Bergfried der Feste.
Der Inselsberg! Er gehört mit seinen 916 m nicht zu den Riesen
Deutschlands. Die beiden Gasthöfe auf ihm, der preußische und der
gothaische, liegen inmitten von Bäumen, und Gartenpflanzen der Tiefe
kommen in ihrer Umgebung fort, trotzdem das Klima im Jahresdurchschnitt
verhältnismäßig rauh ist. Wolken lagern oft über dem
Berge, und der Winter bringt zeitig Schnee. Aber die Aussicht von oben
gehört zu den umfassendsten in Mitteldeutschland. Bei günstiger
Sicht erscheint im Norden der Harz mit dem Brocken im Fernrohr. Im
Süden winken Hessen und die Rhön.
Dann das untere Schwarzatal von Schwarzburg bis
Blankenburg und Unter-Oberhof mit dem
Rennstieg.
Die Einwohner Thüringens sind ein betriebsames
Völkchen. Es gibt wohl kaum eine zweite Waldgegend in unserem
Vaterlande, in der so viele Industrien nebeneinander getrieben werden wie in
Thüringen. Und die Thüringer haben durch ihren Fleiß und
ihre Genügsamkeit sich in der Welt Geltung zu verschaffen gewußt.
Tabakpfeifen, Puppen und Spielwaren, Schiefertafeln
und -griffel, Porzellane, Handwebereien, Erzeugnisse der
Glasbläserei, Christbaumschmuck, künstliche
Menschen- und Tieraugen, Korbmacherwaren, Holzschnitzereien, Masken,
Streichhölzer, billige und teure Uhren, Musikinstrumente, Waffen,
Gewehre, Schreibmaschinen, Fahrräder, Automobile gingen von
Thüringen ins Land, über See hinaus und trugen den Namen
Thüringens in die entlegensten Weltwinkel. Freilich, unter der Not der
Gegenwart leidet Thüringen sehr. Der Absatz stockt, und die Not ist im
Thüringer Arbeiterhause eingekehrt.
Eine sinnige Form, Geselligkeit zu pflegen, schuf sich der gesellige
Thüringer in den Berg- und Waldgemeinden. Die erste, die
gegründet wurde, war die Gabelbachgemeinde auf dem Großen
Gabelbach bei Ilmenau. Sie ging aus einem Sonnabendstammtisch hervor. Ihr
Gemeindepoet war Viktor von Scheffel. Der ersten sind viele andere gefolgt, eine
Baumbachgemeinde, eine Triniusgemeinde usw. Sie haben heute alle eine feste
Form. Ihr Vorbild ist die alte Thüringer Gemeindeordnung mit
Gemeindevorsteher, Gemeindeschöffen, Heimbürgen usw. Ihre
Sitzungszimmer, gemütliche Heime in Jagdhäusern, historischen
Gasthöfen, sind kleine Museen mit vielen persönlichen Erinnerungen
an Dichter, Künstler, Staatsmänner, Wissenschaftler oder Helden
des Tages. [179] Denn die Gemeinden
sehen ihre ideale Aufgabe darin, die Beziehungen zur deutschen Geisteswelt zu
pflegen. Man nimmt aus ihren Sitzungen immer Anregungen mit, wenn man als
Gast daran teilnehmen durfte.
Die Vorliebe der Waldgemeinden für Kulturerscheinungen des
öffentlichen Lebens beruht im Grunde genommen auch auf Erlebnissen und
Beziehungen der gesamten Thüringer Heimat und ihres Volksstammes.
Für die deutsche Geschichte und die deutsche Kultur ist
Thüringen ebenso Zentrum, wie es das für die
landschaftliche deutsche Heimat ist. Wir sind bei unsern Ausblicken oben schon
so manchem Namen, so manchem Ereignis begegnet. Beim Weiterschauen
stoßen wir überall auf neue Sterne. Thüringen sah den
Aufmarsch des Großen Fritz vor dem vernichtenden Schlag gegen die
Franzosen. Bei Roßbach an der Grenze Thüringens erfocht er seinen
glänzendsten Sieg am 5. November 1757. Thüringen erlebte aber
auch Preußens tiefsten Sturz auf dem Schlachtfelde von Jena am
14. Oktober 1806. Thüringen schenkte uns die Familie Luther und erzog Martin
Luther in Eisenbach und Erfurt. Auf der Wartburg wurde der Reformator
behütet vor der Tücke des Schicksals. In seinem Patmos hoch oben
über den Wäldern entstand seine wundervolle Übersetzung des
Neuen Testaments. Luthers kräftige, erdhafte Sprachge strömt herbe
Bergluft aus. Auf der Feste Koburg erlebte der Reformator (1530) den Kampf
seiner Freunde in Augsburg. Der Musikus der Reformation wurde Johann
Sebastian Bach mit den Seinen. Schulpforta und Jena wurden Pflegstätten
der Wissenschaft und schickten bedeutende Jünger in die Welt. Salzmann
gründete in Schnepfenthal bei Friedrichroda eine Erziehungsanstalt.
Guts-Muths führte in ihr früher, als der Turnvater Jahn zu seinen
Gründungen kam, das Turnen ein. Einer der berühmtesten
Schüler Schnepfenthals war der Geograph Karl Ritter. In
Ober-Weißbach wurde Friedrich Froebel geboren. Seine erste Schule baute
er in Blankenburg. Franz Liszt
wohnte von 1847 bis 1861 und von 1869 bis 1886
in Weimar. Die Stadt war in dieser Zeit eine Gralsburg der Tonkunst. Der Dichter
Thüringens wurde Otto Ludwig aus Eisfeld, der uns in der "Heitereitei""
und in "Zwischen Himmel und Erde" zwei vollendete thüringische
Heimatromane geschenkt hat. Viktor von Scheffel, Rudolf Baumbach, Fritz
Reuter, Gustav Freytag,
Ernst von Wildenbruch, Friedrich Lienhard, Johannes
Schlaf und viele andere waren und sind Gäste im Lande. August Trinius
warb heiß in seinen Schriften für die Schönheit
Thüringens. Die ausgesprochen thüringischen Erzähler sind
Renate Fischer, die 1926 in Erfurt starb, und der noch unter uns weilende Gustav
Schröer in Weimar.
[173]
Erfurt. Dom und Severikirche.
|
Zu einem Wallfahrtsziele für Deutschland und die Welt wurde
Thüringen durch Weimar und die Großen, die in der Stadt
um die Wende des 19. Jahrhunderts lebten und wirkten. Goethe, Schiller, Wieland, Herder und ihre Welt machten Weimar zur klassischen Stadt und
schufen aus ihm Ilm-Athen. Wie es dazu kam, erscheint wie ein Wunder der
Geisteswelt. Nicht Thüringer wurden die Sonnenmittelpunkte des
klassischen Weimar. Die ganze Nation schickte ihre Genien und befruchtete den
Weimarer Kreis: Goethe war Frankfurter, Schiller Schwabe, Herder
Ostpreuße, und Wieland brachte nach Weimar das Erbe
Süd-, West- und Mitteldeutschlands mit. [180] Vielleicht liegt in dem
Umstande eins der unerklärlichen Geheimnisse der Natur, die ihre
Söhne und Töchter unerforschliche Wege führt. Vielleicht
aber ist die Lösung des Geheimnisses gar nicht so weit zu suchen. Sollte
das Emporwachsen der Kultur in Weimar nicht gerade auf den Charakter
Thüringens zurückzuführen sein? Ein junger
begeisterungsfähiger Fürst mit offenem Blicke für die
Wirklichkeiten und Schönheiten der Welt, der von einer feinsinnigen,
natürlich empfindenden Mutter erzogen wurde, ergreift die Regierung mit
dem bewußten Willen, glücklich zu sein und glücklich zu
machen, und wird zum Magneten einer schönheitsdurstigen, sinnenfrohen
und sehnsuchtstiefen Welt: Das war der Thüringer Karl August.
Es war nicht Zufall, daß er als erster deutscher Fürst seinem Lande
eine Verfassung gab, und es war ebensowenig Zufall, daß die deutschen
Heroen aus Kunst und Wissenschaft seine Freunde wurden und er in
harmonischem Einssein mit ihnen Himmelshöhen erklomm.
[181]
Der schöngeistige Salon der Herzogin Anna Amalie
mit Goethe, Herder und Knebel.
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Noch spürt man in Weimar den Geist der Goethe-Schiller-Zeit. Die Stadt
hat in vielen Teilen ein neuzeitliches Gesicht erhalten. Aber neben dem Neuen
stehen unberührt und behütet die Zeugen aus Karl Augusts Zeit: das
Goethehaus, das Schillerhaus, das Schloß, das Wittumspalais, Goethes
Gartenhaus, die Landesbibliothek, das Haus der Frau von Stein, Herders
Wohnhaus und die vielen Sammlungen alter und neuer Meister, unter ihnen
besonders das Goethe-Schiller-Archiv.
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Das Goethehaus am Frauenplan in Weimar.
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Wir betreten mit heiligem Schauer die Räume, in denen sich das Leben
unserer Klassiker abspielte. Wohl sind Staatsräume dabei. Doch das, was
jene Großen für ihre persönlichen Bedürfnisse
benutzten, ist eng und beschränkt und von spartanischer Einfachheit. Und
gerade dorthin zogen sie sich zurück, wenn sie an ihrem Geisteswerke
bauten. Dabei liebten sie das Leben so heiß, wie nur ein Weltkind lieben
kann.
In der Fürstengruft in Weimar ruhen die beiden Größten jener
Großen: Goethe und Schiller.
Vor dem Nationaltheater erhebt sich das
Denkmal für beide. Auf ihm halten die Freunde einen Lorbeerkranz in den
Händen. Ob einer ihn dem andern reicht, ob sich beide in ihn teilen, das hat
der Schöpfer des Denkmals nicht entschieden. Er hat dadurch den tiefsten
Ausdruck gefunden für die Verehrung, die Deutschland beiden
Großen entgegenbringt.
Weimar wirkt mit seinem Zauber bis in unsere Tage. Nach den Befreiungskriegen
suchte die Jugend die Verbindung zum deutschen Kulturkreise der
thüringischen Hauptstadt. Jena und die Wartburg wurden die Wiege der
deutschen Freiheits- und Einheitsbestrebungen. 1919 tagte die verfassunggebende
Deutsche Nationalversammlung mit Absicht im Nationaltheater in Weimar.
Groß ist die Zahl der Künstler, die im Laufe des vergangenen
Jahrhunderts in der Stadt einkehrten. Die Feier des hundertsten Geburtstages
Goethes am 22. März 1932 wurde zu einem Festtage für ganz
Deutschland. Wer Weimar sucht, findet Thüringen. Und daß dem
suchenden Menschen hierbei die Augen geöffnet werden für die
Seele der deutschen Heimat, das ist das tiefste Erleben bei diesem Suchen und
Finden. Thüringen ist Saatland und ist deshalb heiliges Segensland. So wird
denn auch das Reichsehrenmal, das künftigen Geschlechtern von unseren
Helden aus dem schweren deutschen Schicksalskriege Kunde geben soll, bei
Berka [181] in Thüringens
Bergen und Wäldern seine Stätte finden. Der Kyffhäuser, das
Sinnbild des Traumes von der deutschen Einheit, im
Norden - und das Reichsehrenmal, die Verkörperung der Ehrfurcht
vor dem Opferwillen des deutschen Volks, in der Mitte des Waldlandes, sie
zeugen davon:
Thüringen - es ist das grüne Herz
unseres deutschen Vaterlandes!
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