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Die Frauenkirche zu Dresden.
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Sachsen
Rudolf Glaser
Auf dem Turm eines Hügels stehe ich, fast im Herzen des Landes, und
schaue weit über Wälder und Ebenen bis hinüber zum
Gebirge. Der Blick streift die Zinnen der Schlösser unter mir und schweift
über die Windungen des im Sonnenglanz schimmernden Elbstroms,
über die Silhouette der Hauptstadt, die wie mit gefälliger
Gebärde ihre verbindenden Brücken über das Wasser wirft,
vorüber an den Palästen der Ministerien und hinüber zu den
Türmen der Altstadt. Die Kuppel der Frauenkirche Georg Bärs, der
massige Rathausturm und die spielerisch leichte Spitze der Schloßkirche
beherrschen das Bild. Und wie mich so von ferne der Geist des Barocks anweht,
taucht vor meinem inneren Auge der architektonische Traum des Zwingers auf. In
mir aber jubelt es: Dies ist Sachsen. Und es ist mir plötzlich, als werde ich
in einem Flugzeug emporgehoben, damit ich das ganze Dreieck des
Sachsenlandes überschaue. Ich sehe über die Hügel der
Lößnitz hinweg nach dem alten Meißen mit Burg und Dom und
über die weit daliegende Niederung mit ihren Industrieanlagen, die sich von
Leipzig [154] bis zum
östlichen Bautzen dehnt. Über die weichwellige
Hügellandschaft der Lausitz gleitet der Blick, über Städte und
Städtchen, Dörfer und Gutshöfe mit ihren alten
Schlössern, bis zum Oybinfelsen im Südosten. Und langsam
öffnet die Geschichte ihr Buch, erzählt von Raubrittern und
Mönchen, die dort oben hausten, und von der Feuersbrunst, die aller
Herrlichkeit ein Ende machte. Das Elbsandsteingebirge erhebt seine seltsamen
Schroffen, zerrissen und ausgespült von schweren Unwettern, die den
Sandstein lösten und zu Tale trugen, oft den Föhren kaum Boden
lassend, wo sie sich mit der Wurzel festklammern können. Dazwischen der
Smaragd grüner Moosteppiche, das Schwefelgelb winziger Flechten an den
Felsen und dann das geheimnisvolle Raunen ewig tropfenden Wassers, das zum
Strome will. Wie schieben sich hier die felsigen Ufer zusammen, als sei das
Flußbett verschlossen; und dennoch bahnt sich der Strom seinen Weg und
bietet dem entzückten Auge neue malerische Bilder, und dem
überrascht Schauenden ist es, als höre er das leise Kichern eines
Kobolds. - Wo die Elben ihr Wesen treiben, ist Romantik und Abenteuer
zuhause, ist alter Boden für Flüchtlinge und Schmuggler. Im
Süden aber streckt der Grenzwall des Erzgebirges gegen Böhmen
seinen Rücken, der alte Miriquidiwald, der seinen neuen Namen dem
Reichtum an edlen Metallen dankt. Der Turm des Geising zeichnet sich scharf
vom Himmel, und ich träume hinüber in diese endlosen
Wälder mit ihren wasserreichen Tälern, sehe ein arbeitsames Volk
dem spröden Boden seine Nahrung abgewinnen, aus der Tiefe der Berge
wertvolles Mineral ans Licht der Sonne fördern oder durch Hausgewerbe
einen kargen Lebensunterhalt finden. In den Tälern aber an den
Flüssen liegen oft Drachenleiber großer Werke und hauchen ihren
schwarzen Atem in die Lüfte. - So schön ist dies Gebirge,
daß es den Vergleich mit den berühmteren Deutschlands, dem
Schwarzwald und dem Harz, nicht zu scheuen braucht; und der Erzgebirgler liebt
seine Heimat und hängt an ihr, selbst wenn sie ihn arm läßt.
Die Großzügigkeit der Kammlinien, der Blick in die weite
Landschaft oder nachts empor zu einem näheren, sternklar
glänzenden Himmel wecken hier oben andere Gedanken und
Empfindungen als in der Niederung des Flachlandes. Hier säumt der
Vogelbeerbaum die Straßen, er, der im Frühling in weißen
Dolden und im Herbst in roten Büscheln leuchtet. Von seinem reichen
Früchtetragen schließt der Erzgebirgler auf einen harten langen
Winter; denn der gute Herrgott sorgt, daß seine Vögel nicht
verhungern. Und vielleicht deshalb, weil er die geliebten gefiederten Sänger
erhält, hat ihn der Volksdichter besingen müssen. Und dann drinnen
in der Stube die Ofenbank! Sie ist des Liedes wert, da es sich auf ihr an langen
Winterabenden so gemütlich sitzen läßt, wenn das Feuer im
Ofen knistert und das Tabakspfeifchen brennt. Und wieder tändeln die
Gedanken weiter, zum Vogtland im Westen und dann zur trotzigen Feste der
Augustusburg in den nördlichen Ausläufern des Gebirges, die
weithin das tiefergelegene Land beherrscht, das Sachsen nach Thüringen zu
abgrenzt. Du schönes Land! Einst kleinstes Königreich unter den
deutschen Bundesstaaten, nicht immer waren deine Grenzen so eng gezogen. Wie
oft wurdest du zerstückelt, neu zusammengefügt und wieder
zerrissen durch die Zwistigkeiten deiner Herrscher. Und wie hast du endlich
kämpfen müssen um deinen Bestand!
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Die Bastei. Im Hintergrunde der Lilienstein.
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Urdeutsche suevische Stämme bewohnten ursprünglich das Land,
rechts der Elbe die Sermonen, links die Hermunduren, deren Gebiet sich von der
Elbe bis zur Werra und vom [155] Harz bis zur Donau
ausdehnte. Unselige Bruderkriege zerstörten frühzeitig das
große Reich. Die Germanen östlich der Saale, durch die
Kämpfe zerrissen und innerlich zermürbt, verließen in der
Mehrzahl ihre Siedlungen, um sich andere, günstigere Lebensbedingungen
zu suchen. In das entleerte Gebiet aber drangen im sechsten Jahrhundert slawische
Völker ein und ließen sich an den Wasserläufen nieder.
Wenden oder Polaben nannte man sie, denen das Land vom Erzgebirge bis zur
Ostsee, von der Oder bis zur Saale offenstand. Der Stamm der Sorben besetzte das
Gebiet zwischen Bober und Saale, und sie sind es, die in der Entwicklung des
heutigen Sachsen eine Rolle spielten. Sie gaben ihren Dörfern ein
charakteristisches Gepräge, indem sie ihre Höfe um einen freien
Platz als Rundlinge oder als breite, geschlossene Gasse anlegten. Beide Formen,
leicht verschließbar, boten die Möglichkeit der Verteidigung gegen
Feinde. Hier trieben sie Ackerbau, Viehzucht, Jagd und Fischerei, brannten sich
ihre Töpfe, schmiedeten oder schnitzten ihre Geräte und webten sich
ihre Stoffe. Der erbliche Stammesfürst beherrschte von einer Burg aus das
kulturelle und politische Leben. Eine staatliche Einheit aber schufen sich die
Slawen hier nicht und konnten deshalb einer germanischen Wiedereroberung des
Landes auch keinen dauernden Widerstand entgegensetzen. Karl der Große
unterwarf und verpflichtete sie zu Heeresfolge und Tribut, von welchen Lasten sie
sich unter seinen Nachfolgern zu befreien wußten, bis Heinrich der Erste
wieder gegen sie vorging. Siegreich errichtete er die Burg Meißen, als
Hauptstützpunkt für seine weiteren Unternehmungen. Die Marken
entstanden als Grenzschutzgebiete gegen das Slawentum. [156] Mit der
Einführung der christlichen Religion wurden die Marken Zeitz, Merseburg
und Meißen zugleich Bistümer, und nun kamen wieder deutsche
Vasallen und Dienstmannen als Siedler in das Land und bildeten mit dem Klerus
zusammen den Herrenstand. Die bis dahin freien Slawen wurden
unterdrückt und, außer ihren Fürsten, Leibeigene. Von der
Burg Wettin im Nordschwabengau, zwischen Saale und Bode, ging mit Heinrich
von Eilenburg im Jahre 1089 aber jenes Geschlecht aus, das die Geschichte des
Landes zukünftig lenken sollte, und dessen Macht etwa 50 Jahre
später durch Konrad den Großen begründet wurde. Seine
Herrschaft umfaßte, außer dem Wettinischen Hausgebiet, die Mark
Meißen von der Zschopau und Mulde bis zur Pulsnitz und Elster, ferner das
östlich von Thüringen gelegene Osterland und die Lausitz um Spree
und Neiße. Vor seinem Tode verteilte er jedoch sein Land an seine
fünf Söhne, wobei die Mark Meißen an Otto den Reichen kam.
In dessen Regierungszeit fällt die Entdeckung der Freiberger Silbererze,
eine Quelle des künftigen Wohlstandes des ganzen so stark verkleinerten
Reiches. Harzer Bergleute wanderten zu, erhielten gewisse Freiheiten und
begründeten das heutige Freiberg mit dem Namen "Sächsstadt", die
Stadt der Sachsen. Der Enkel Ottos, Heinrich der Erlauchte, verstand es, die
enggewordenen Grenzen seiner Herrschaft wieder so zu erweitern, daß sie
von der Werra bis zur Oder und vom Erzgebirge bis zum Harz reichten, denn das
Pleißnerland und Thüringen war ihm zugekommen. Als reicher
Fürst konnte er einen glänzenden Hof halten und die Künste
pflegen. Er selber dichtete Minnelieder, in denen er die züchtige deutsche
Frau besang, und schuf geistliche Musik für seine Hauskapelle. Dieser
kluge und vielseitige Herrscher aber teilte sich mit seinen Söhnen in den
Besitz seiner Länder. Wieder wurde zerrissen, was er zusammenbrachte,
und eine Quelle des Zwistes angeschlagen, die er bis zu seinem Tode nicht zum
Versiegen bringen konnte.
Nicht nur ein deutsches Fürstengeschlecht faßte auf dem
urgermanischen, von den Sorben besetzten Boden festen Fuß, auch das
deutsche Volk besann sich seines einstigen Besitzes und begann mit Anfang des
12. Jahrhundert, das Land für das Germanentum auch innerlich,
blutmäßig, zurückzugewinnen.
Als die Landesfürsten die Marken durch Ansiedlung von Vasallen und
Dienstmannen sicherten, zogen diese, um ihre Lehen auszuwerten, Deutsche aus
Thüringen, Franken, Bayern und Flandern ins Land. Damit setzte die
Durchdringung der Mark durch den deutschen Bauern ein. In großen
Scharen erschienen die Siedler, geleitet von einem Beauftragten, und konnten, auf
Grund eines Vertrages mit ihren Herren, den Rittern, von sorbischen
Dörfern kurzerhand Besitz nehmen oder sich neben ihnen anbauen. Sie
waren tatkräftiger und unternehmungslustiger als die Sorben; denn sie
trockneten bald Sumpfgebiete aus oder rodeten Urwald, um auch dort ihre
Wohnsitze anzulegen. Ja, als der Erzreichtum des Miriquidiwaldes erkannt wurde,
zögerten sie nicht, auch in höhere, rauhere Gebirgslagen mit ihren
gewaltigen Fichtenwäldern und Talschluchten vorzudringen und dort ihre
Wohnstätten zu erbauen. Hier entstand nun, aus deutschen Stämmen
gemischt, eine reindeutsche Bevölkerung im Gegensatz zu der
deutsch-slawischen an den Flußläufen und Handelsstraßen, die
bald mit der Landschaft aufs innigste verwuchs. Die [157] Siedler formten sie
nach ihren Bedürfnissen und wurden wieder von ihr im Charakter und der
Lebensweise geformt.
Das zu besiedelnde Land wurde immer an einem Bach oder einer Straße
gewählt und in Hufen - etwa 30 Morgen
Landes - einem Siedler zugeteilt. Die Höfe erstanden am Wasser
oder Weg und zogen sich dort entlang, bis der Wald der Dorfflur eine Grenze
setzte. Damals erhielten also diese Dörfer bereits den Charakter, den sie bis
heute noch vielfach aufweisen. Damit unterschieden sie sich auch wesentlich von
der sorbischen Siedlung. Der Hausbau zeigte, trotz der Stammesunterschiede
seiner Bewohner, viel übereinstimmende Züge. Bei den Franken und
Thüringern zogen sich die Gebäude, Wohnhaus, Ställe und
Scheuern, um die Düngerstätte im Viereck, eine Anordnung, die
man auch heute noch antrifft. Daneben hat sich eine andere Bauart erhalten, bei
der unter dem Satteldach des rechteckigen Hauses auch der Stall, wie in
Niedersachsen, angebracht ist. Der Führer der Siedler wurde Erbschulze
und übte als solcher die niedere Gerichtsbarkeit aus und besaß
Schank- und Schlachtgerechtigkeit. Daraus hat sich bis zur Gegenwart die
Bezeichnung "Erblehngericht" bei vielen Schankstätten der Dörfer
erhalten. Die Bauern galten als freie Leute, die aber an den Grundherrn und die
Kirche Abgaben zu entrichten hatten.
Sehr bald entwickelten sich aus solchen Siedlungen oder auch aus
Neugründungen deutsche [158] Städte mit der
Burg, der Kirche oder dem Kloster als Mittelpunkt. Dann erhielten sie Mauer,
Markt und Gerichtsbarkeit nebst eigener Gemeindeverfassung. Die Ortsnamen
lassen nach neuerer Forschung auf die Stammeszugehörigkeit der Siedler
schließen. Dieses Emporblühen wurde durch den Schutz der
Fürsten begünstigt, der, obwohl dem Kaiser gegenüber
Lehensmann, doch in seinem Lande selbständig herrschte. Ritter und
Dienstmannen, letztere auch Ministerialen genannt, betreuten Hofämter und
unterstützten den Fürsten als heimliche Räte und Secretarii in
der Rechtsprechung und Verwaltung des Landes. Das geistige Leben aber lag in
den Händen der Kirche. Mönche schrieben die Annalen und
unterrichteten in Klosterschulen. So ist St. Afra in Meißen und die
Thomasschule in Leipzig entstanden. Aber auch die Baukunst förderte der
Klerus. Seinem künstlerischen Sinn verdankt Sachsen die berühmte
"Goldene Pforte" zu Freiberg und den Dom zu Meißen.
So also durchdrang deutsches Blut eine fremde Bevölkerung, die sich in
einem alten deutschen Lande eingenistet hatte, und deutscher Geist gab der
Landschaft ihre Prägung. Die Sorben wurden allmählich so
vollständig aufgesogen, daß heute das Slawentum in Sachsen, bis auf
kleine Reste in der Oberlausitz, die Wenden in der Umgebung von Bautzen,
vollständig ausgestorben ist. Als Überbleibsel aus der Sorbenzeit
findet man indessen noch häufig in der Ebene die Spuren von
Rundlingsanlagen. Und dann sind es Namen, die ihren slawischen Ursprung nicht
verleugnen. Czorneboh und Bileboh, die beiden Berge in der Lausitz, gemahnen,
daß auf ihren Höhen in abgelebten Zeiten einst ein untergegangenes
Volk einem schwarzen bösen und einem weißen guten Gotte seine
Opfer darbrachte.
Von Bruderkriegen war in Zukunft Sachsen nicht verschont. Das ewige
unglückliche Teilen des Landes unter die Abkömmlinge der
Fürsten mußte das Gefühl der Zusammengehörigkeit
erschüttern. Die Herrscher hatten Händel untereinander oder mit dem
Kaiser, sie verloren oder gewannen ihren Besitz zurück oder verkauften
davon an Nachbarländer. Prinz Ernst und Albert, die Söhne
Friedrichs des Streitbaren, herrschten später einträchtig und mit
Erfolg. Neue Silberlager schütteten ihren Segen über das Land und
ließen Schneeberg entstehen. In Altenberg aber hatte seit Mitte des
15. Jahrhunderts eine ergiebige Zinnförderung eingesetzt. Noch heute sind die
alten Gewölbe vom Ruß geschwärzt, deren Feuer vor 500
Jahren den Granit brüchig und damit den Abbau möglich machten. In
diesen unterirdischen feuchten Hallen ist es, als raunten unheimliche Geister der
Vergangenheit, die plötzlich dem entzückten Blick ein
Märchenwunder bieten, wenn das Licht verborgener Lampen eine Grotte
erhellt, deren rote, von Kupferarsenit blau und grün überzogene
Felsen mit Nadeln giftgrüner Stalaktiten sich im klaren Wasser eines Sees
spiegeln. Die Läden des Städtchens aber zeigen die Früchte
fleißiger, mühevoller Arbeit. Zinngeräte sind es, nach alten
Mustern gegossen, Krüge, Becher und Dosen und Leuchter, die von
Bergleuten in alten Trachten drollig gehalten werden.
Ernst und Albert erweiterten wieder die Grenzen ihres Landes. Plauen konnten sie
er- [159] werben, und
schließlich fiel Thüringen an sie zurück. Jetzt teilte man
abermals den gemeinschaftlichen Besitz. Ernst erhielt Thüringen und die
Kur, Albert Meißen. Damit trennte sich das Geschlecht der Wettiner
für immer in die beiden Linien. Albert, vom Kaiser für treue Dienste
[164]
Erzgebirgische Spitzenklöpplerin.
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mit neuen Ländern belohnt und des ewigen Teilens der sächsischen
Lande müde, führte das Erstgeburtsrecht ein. Wiederum wurden neue
Silberlager im Erzgebirge entdeckt. Annaberg entstand, wo bald die
Spitzenklöppelei dem Volke neue Erwerbsmöglichkeiten
erschloß.
Der Wohlstand Sachsens war gewachsen und mit ihm die Zahl der Bewohner.
Gleichzeitig entfaltete sich der heitere, gastfreie Sinn der Bevölkerung zu
Üppigkeit und Verschwendung, die über so häufige Klagen
über lockere Lebensweise und Sittenverderbnis führten, daß
die sächsischen Fürsten sich endlich entschlossen, eine
"Reformation" in diesen Gewohnheiten einzuführen. Sie enthielt
u. a. Bestimmungen "über Gastereien, Taufen,
Bier- und Weinschenken, Zutrinken und andere Zechen und Gelage, über
die Kleidung von Mannes- und Weibspersonen, Bürgern und Bauern,
daß darin alle übermäßige Pracht und unnütze
Unkosten vermieden würden".
Auf baukünstlerischem Gebiete wurden jetzt allenthalben hohe Werte
geschaffen. Kulturdenkmäler entstanden, wie die Marienkirche zu Zwickau,
die Kunigundenkirche zu Rochlitz, die Annenkirche zu Annaberg sowie die
Albrechtsburg in Meißen. Auch Armen- und Krankenhäuser wurden
als fürstliche Stiftungen erbaut. Das Städtebild erhielt also
jetzt [160] durch die Architektur
jenes Gepräge, da nicht nur charakteristisch für das deutsche
Gottesempfinden, sondern für das Gefühlsleben der Deutschen
schlechthin ist.
[159]
Wittenberg. Marktplatz mit Luther- u.
Melanchthondenkmal und Stadtkirche.
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Im Zeitalter der Reformation und der Religionskriege spielte Sachsen bekanntlich
eine führende Rolle. Wittenberg wurde
Ausgangs- und Mittelpunkt dieser weit über die Grenzen Deutschlands
bedeutsamen geistigen Bewegung. Die sächsische Kanzleisprache machte Luther
maßgebend für das deutsche Schrifttum und schlang damit ein
einigendes geistiges Band um alle deutschen Stämme. Damals bot man Friedrich
dem Weisen die deutsche Kaiserkrone an. Bezeichnend für ihn
sind die Gründe, das Anerbieten abzulehnen, bezeichnend die
freimütige Art, wie Graf Philipp von Solms, sein Berater, sich auf des
Fürsten Anfrage äußerte. Friedrich mangele es zwar nicht an
Weisheit, wohl aber an Ernst und Nachdruck, um Strafen durchzusetzen, die bei
den Unruhen und der Uneinigkeit des Reiches notwendig seien. Friedrich, in
weiser Selbsterkenntnis, hat dieses Urteil gnädig aufgenommen.
Infolge des Schmalkaldischen Krieges verlor die ernestinische Linie die
Kurwürde an die Albertiner. Der im Feldlager ausgerufene neue
Kurfürst Moritz, ein bedeutender Organisator, gab seinem erweiterten Land
eine Kreiseinteilung und suchte das geistige Leben zu fördern. Sein
Interesse galt der Universität Leipzig und seinen Stiftungen, den
Fürstenschulen zu Pforta, Meißen und Grimma.
Die Geschichte der Fürsten ist zugleich die Geschichte des Volkes.
Daß sich beide wie eine große Familie empfinden können, auf
Gedeih und Verderb miteinander verbunden, beweist Sachsen unter
Kurfürst August. Nicht nur, daß er religiöse Streitigkeiten, als
beunruhigend für sein Volk, energisch zu unterbinden wußte, er
leistete auch als Staatswirt, unterstützt von seiner Gemahlin Anna,
Mustergültiges und verlor niemals über der Sorge ums Ganze das
Einzelne aus dem Auge. Land- und Forstwirtschaft, Industrie und Bergbau wurden
durch das fürstliche Paar aufs lebhafteste geför- [161] dert, und noch heute
tragen Medikamente den Namen der Kurfürstin, mit denen sie ihren
Untertanen zu helfen beflissen war. August, als Begründer der
berühmten Dresdner Sammlungen, schuf damit den Boden, auf dem sich
der Ruf der Residenz als Kunstzentrum entwickeln sollte, und umsichtig
vergrößerte er sein Gebiet, indem er das Vogtland
zurückerwarb, als fünften Kreis seines Besitzes. So ist es nicht
erstaunlich, daß das sächsische Volk dem Herrscherpaar seine volle
Neigung schenkte. Als Vater August und Mutter Anna leben heute beide noch im
Munde des dankbaren Volkes.
Mit dem Emporblühen des Bergbaus regte auch die Volksdichtung ihre
Schwingen und schuf sich Lieder zum Preise eines Berufes, der immer inniger mit
dem völkischen Leben im Gebirge verwuchs, je mehr Erzlager entdeckt und
zur Brotquelle der Bevölkerung wurden. Aber auch die deutsche
Kunstdichtung wurde von dem Sachsen Paul Fleming bereichert, ein Lyriker von
echtem Gefühl, eine lebensfrohe, gottvertrauende Natur. Er sang seine
Lieder, als sein Vaterland schwer unter Läuften des
Dreißigjährigen Krieges zu leiden hatte, da die größten
Schlachten auf seinem Boden ausgetragen und sogar der Bestand des
Kurfürstentums bedroht wurde. Aber wieder ging Sachsen aus diesen
Wirren größer hervor. Die Lausitzen erwarb es zurück, die ein
früherer Herrscher verkauft hatte. Standen auch in diesem Kriege Deutsche
gegen Deutsche, so empfand man sich dem Ausland gegenüber doch als
eins. Der sächsische Philosoph Leibnitz wirkte, leider vergeblich, einige
Jahrzehnte später am Hofe Ludwigs XIV. zu Paris, um die
Eroberungsgelüste des Sonnenkönigs von Westdeutschland
abzulenken.
Das schöne Gefühl einer Zusammengehörigkeit von Volk und
Fürstenhaus wurde erschüttert, als etwa ein Jahrhundert nach dem
Heimgang Vater Augusts der jugendliche [162] Friedrich
August I. zur Herrschaft kam. Der geniale Fürst, dem als August
dem Starken ein Gedächtnis im Volke bewahrt wird, hatte auf seiner
Kavalierstour die prunkvollsten Höfe Europas kennengelernt und trachtete
danach, in seinem Kurfürstentum einen gleichen Glanz zu entfalten. Es
fehlte ihm die Königskrone, die er 1697 in Krakau als König von
Polen erwarb, aber mit dem Übertritt zum Katholizismus erkaufen
mußte. Das protestantische Volk, zwar seiner Gewissensfreiheit versichert,
aber stolz auf die Bedeutung Sachsens als Stütze und Ausgang der
Reformation und überzeugt von der sittlichen Bedeutung der ganzen
Bewegung, konnte einen solchen Schritt seines Fürstens und Führers
nicht verstehen, der aus Eitelkeit geschah. Dazu kam, daß die Folgen dieser
Erwerbung zum Nachteil des Landes ausschlugen. Dresden erhielt zwar die
Bauten, die bis zur Gegenwart zu seiner Berühmtheit beitragen;
Schloß Pillnitz und Groß-Sedlitz entstanden, mit ihren
prächtigen Gartenanlagen, als Träume fürstlicher
Bauleidenschaft. Das Volk aber seufzte unter dem Drucke unerträglicher
Besteuerung durch einen abtrünnigen König, der sich endlich sogar
entschließen mußte, ansehnliche Landesteile zu
veräußern, nur um seiner Prachtliebe frönen zu können.
Die Geldverlegenheiten des Kurfürsten veranlaßten die
Goldmacherversuche des Alchimisten Bötiger, die schließlich in
Meißen zur Entdeckung des Porzellans führten. Sie sollte zur
hochbedeutsamen Einnahmequelle des sächsischen Staates werden.
[165]
Wiederbelebung alter Werkkunst. Keramische Werkstätte
in Burg Giebichenstein bei Halle.
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Aber auch auf dem Gebiete der Musik hatte Sachsen längst begonnen,
seinen Anteil zu heischen. Johann Sebastian Bach, der seit 1723 Kantor an der
Thomaskirche zu Leipzig war, weilte als gern gesehener Gast an dem prunkvollen
Hofe Augusts des Starken
und erprobte gelegentlich die neue, noch heute
berühmte Orgel in der Hofkirche, die Johann Gottfried Silbermann, aus der
Frauensteinergegend im Erzgebirge, erbaut hatte. Silbermann hat auch seine
unvergänglichen Verdienste um die Hammermechanik des Klaviers. Auf
dem Gebiete der Mission aber entfaltete Nikolaus Graf Zinzendorf seine
segensreiche Tätigkeit und begründete 1722 Herrnhut mit seiner
Brüdergemeinde.
Eine Folge des Übertritts des Fürstenhauses zum Katholizismus war
das Absinken der Vormachtstellung Sachsens im Reiche, dem protestantischen
Preußen gegenüber, das nunmehr die Interessen der evangelischen
Deutschen vertrat. Dazu kam, daß das Kurfürstentum unter den
Nachfolgern Augusts des Starken durch die Mißwirtschaft des
gewissenlosen Ministers Brühl innerlich zerrüttet wurde. Zum
größten Unglück des Landes gestaltete sich endlich der
Siebenjährige Krieg, der sich zum größten Teil wiederum auf
sächsischem Boden abspielte und seinen Bewohnern schwere Schulden
aufbürdete. Indessen vermochte der Kurfürst jetzt Dresden eine
führende Stellung im Kunstleben Deutschlands zu sichern, indem er
für seine Gemäldesammlung hundert wertvollster Werke, unter ihnen
Raffaels Sixtinische Madonna, erwarb. Die katholische Hofkirche wurde erbaut
und das musikalische Leben durch Pflege von Oper und Kirchengesang
gefördert. Leipzig dagegen entwickelte sich weiter als
Universitäts- und Handelsstadt und als solche zur Zentrale des deutschen
Buchhandels. Hier bereitete sich dann auch die Erneuerung der deutschen Literatur
vor, bei der, neben dem Ostpreußen Gottsched, Gellert aus Hainichen im
Erzgebirge und die Neuberin aus Reichenbach im Vogtland eine wichtige Rolle
spielten und die schließlich durch den Kamenzer Lessing
durchgeführt wurde.
[163] Die folgenden
Kurfürsten suchten durch Errichtung großer Schäfereien,
Kattunfabriken und der Bergakademie zu Freiberg die Wunden, die der Krieg
geschlagen hatte, zu heilen. Der tiefe romantische Dichter Novalis und
später Theodor Körner, in dessen Einsatz für die große
vaterländische Idee sich der Charakterzug des deutschen Wesens spiegelt,
die Sache über die eigene Person zu stellen, waren Schüler der
Akademie. Ihre Dichtung hat reiche Anregung durch ihr Studium zu Freiberg
erhalten. - Mit Begründung der Kunstakademie zu Dresden und der
Zeichenakademie zu Leipzig erhielt das künstlerische Leben Sachsens
einen bedeutsamen Aufschwung. In Chemnitz dagegen entstanden
Maschinenspinnereien, und im Erzgebirge war es die Holzdrechselei, die dem
Volke neue Einnahmequellen erschloß, die in der Zukunft dem
sächsischen Weihnachtsfest einen charakteristischen Stempel geben sollte.
In ihm spiegelt sich die gutmütige Art, der heitere Sinn des Volkes und sein
weiches Gemüt am reinsten wieder. Zur Weihnacht wird der erwachsene
Sachse zum Kind. Der arme Erzgebirgler hat sich in seiner Not an die
Erlösungsverheißung des Evangeliums geklammert, er hat sich
Figuren geschnitzt, um sich die Geburt des Heilands eindringlich bildhaft vor
Augen zu stellen. Schöpferisch, wie er ist, wurde er nicht müde,
seine Krippe mit immer neuen Gestalten zu bevölkern, immer
schöner und abwechslungsreicher mußte das Fest mit "Pyramiden",
"Spinnen", Leuchtern und Räuchermännern gefeiert werden, bei
denen Engel, Volksgestalten und Türken ihre Rolle spielten. Dazu gesellten
sich Nußknacker, Weihnachtsmänner und endlich Pflaumentoffel.
Der sächsische Kuchen, der Stollen, aber erhielt seine Gestaltung von dem
in [164] Windeln gewickelten
Kindlein. Bestimmte weihnachtliche Gebräuche fanden ihre Ausbildung,
die zum Teil auf uralten Aberglauben der deutschen Stämme
zurückgehen. Schlichte, innige Weihnachtslieder entstanden und
Krippenspiele in der Kirche, die bis zur Gegenwart das Band der Gemeinschaft
um die Gläubigen schlingen. Dies alles fand und findet seinen Weg in die
Stadt bis zum Herzen des ruhelosen Großstädters, und in den
überfüllten Stadtkirchen singt man zur Christmesse beim
leuchtenden Weihnachtsbaum die alten, lieben Weisen des Volkes.
In diesen für das Christfest geschaffenen Figuren verrät sich oft ein
naiver Humor, der wieder kennzeichnend für die Sachsen ist. Vorwiegend
intellektuell, verfügen sie oft über einen treffenden Witz. Ihr
völkischer Humor indessen spiegelt meist den ängstlichen
Kleinbürger, dem es am wohlsten in seinen vier Wänden ist, der den
Schwatz und Spott liebt und gerne mehr aus sich macht als hinter ihm steckt. Da
er sich leicht der Lächerlichkeit aussetzt, hat er auch die Fähigkeit
erworben, sich über sich selbst zu belustigen. Über dieser engen
Einstellung darf nicht vergessen werden, daß die Entwicklungsgeschichte
des Sachsenvolkes von Anbeginn den Kampf eines Kolonialvolkes darstellt, das
immer mit Nackenschlägen zu rechnen hatte und durch die Zwiste seiner
Fürsten auch innerlich nicht zur Ruhe kam. Dazu gesellten sich in den
Kriegen, von denen Sachsen besonders heimgesucht wurde, [165] Plünderungen,
Abgaben und Einquartierungen.
[163]
Die gesprengte Dresdner Elbbrücke 1813. Ankunft
eines russischen Parlamentärs.
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Das Volk aber mußte durch diese
Erlebnisse anpassungsfähig, elastisch und zuvorkommend werden. Es
mußte lernen, Fremdes aufzunehmen, ohne sich selbst zu verlieren,
für eine im Augenblick aufrichtige Zusage leicht bereit zu sein, die aber
[166]
Leipzig, Völkerschlachtdenkmal.
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ebenso leicht vergessen werden konnte. Eine unglückliche Politik
ließ die Regierung im Siebenjährigen und napoleonischen Krieg auf
die falsche Karte setzen. Da war es der Lausitzer Fichte, der mit seinen
hinreißenden Reden das ganze deutsche Volk gegen den Korsen aufrief.
Sachsen hatte zwar den Namen eines Königreichs gewonnen, verlor aber
zugleich die Hälfte seines Gebietes. Später erweckte Richard Wagner
aus Leipzig in dem Bewußtsein der Deutschen die germanische Sagenwelt
zu neuem Leben. Inzwischen nahm das stark verkleinerte Land einen
wirtschaftlichen Aufschwung, die Industrie hatte die Landwirtschaft
zurückgedrängt. Nun blühten wieder Künste und
Wissenschaften auf, und Sachsen konnte der Menschheit von neuem
unvergängliche Güter schenken.
Noch einmal vergriff sich die sächsische Politik im
preußisch-österreichischen Bruderkrieg, und fast wäre das
Königreich von der Landkarte verschwunden. Ein glimpflicher Friede
sicherte ihm jedoch den Bestand und gab ihm den Anschluß an die
großdeutschen Interessen. Sachsen hatte diesen Schritt nicht zu bereuen. In
den beiden Kriegen, die später über Deutschland hereinbrachen,
setzte es die Worte seines Königs Johann, die er beim [166] Friedensschluß
mit Preußen gesprochen, in die Tat um: "Mit derselben Treue, mit der ich
zum alten Bunde gestanden habe, werde ich zu der neuen Verbindung halten."
So zog das Schicksal Sachsens an mir vorüber, und noch stehe ich auf dem
Turm hoch über der Elbe. Nebel verhüllen jetzt Landschaft und
Sonne, und fröstelnd steige ich wieder hinab durch die Wälder zu
Tal. —
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