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[Bd. 1 S. 124]
Kaiser Friedrich II., 1194 - 1250, von Herbert Grundmann

Friedrich II.
Friedrich II.
Marmorbüste von unbekanntem
süditalienischem Künstler.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 35.]
Der letzte Staufenkaiser Friedrich II. hat seinen Zeitgenossen und der Nachwelt immer als eine Erscheinung von außergewöhnlichem, fast übermenschlichem Ausmaß gegolten. Als Wunder der Welt, als Umgestalter und Erretter der Welt ist er gepriesen, als der leibhaftige Widerchrist und das Untier der Apokalypse ist er geschmäht und gehaßt worden. Als einer, der nicht sterben wird, sondern sich nur verborgen hält, bis er wiederkommt, um das Reich zu erneuern, lebte er in Hoffnungen und Verheißungen nach seinem Tode fort. Als Völkergeißel, Tyrannen und Ketzer, als Hammer der Welt, wie man einst Attila nannte, hat ihn die Papstkirche über das Grab hinaus verrufen und verfolgt. Die Neuzeit aber hat ihn, den vermeintlichen Aufklärer, den "ersten modernen Menschen auf dem Thron", zu den ihren gerechnet oder ihn wenigstens als einen Menschen zwischen den Zeiten bewundert. Vergöttert und verlästert wie kaum ein anderer Herrscher, gerühmt als schöpferischer politischer Geist aus einer neuen Staatsgesinnung und zugleich angeprangert als Verderber des Reichs – so widerspruchsvoll und umstritten hat sich sein Bild dem Gedächtnis der Geschichte erhalten. Niemals aber, wie man ihn auch beurteilen mochte, hat man im Guten oder im Bösen seine geschichtliche Größe und Bedeutung und das Einzigartige seiner Persönlichkeit verkannt.

Ist aber dieser gewaltige, unvergleichliche Herrscher eine Gestalt der deutschen Geschichte? Ist er ein Deutscher? In dem italienischen Städtchen Jesi bei Ancona nahe der adriatischen Küste ist er am 26. Dezember 1194 geboren; in Fiorentino in Apulien ist er am 13. Dezember 1250 gestorben. Am sizilischen Hof in Palermo ist er aufgewachsen, früh verwaist, päpstlicher Vormundschaft unterstellt, allen Einflüssen eines fremdartigen Geisteslebens von verwirrender Fülle ausgesetzt, in dem sich die Grenzen der Kulturen und Religionen, die das Mittelmeer umsäumen, zu verwischen und aufzulösen scheinen, so daß christlicher, jüdischer, mohammedanischer Glaube, die französische Bildung des Westens, die griechische des Ostens und die arabische des Südens nebeneinander bestehen, sich überschneiden und durchdringen können. Italienisch ist seine Muttersprache, in der er selbst als einer der ersten zu dichten versteht, so daß ihn Dante als Vater der italienischen Poesie rühmen kann. Lateinisch ist sein Staats- und Bildungssprache, in der er kunstreich und klangvoll seine politischen Erlasse verkünden läßt, auch selbst die wissenschaftlichen Beobachtungen seiner Mußestunden nieder- [125] schreibt. Daneben beherrscht er mit einer viel bestaunten Sprachbegabung Griechisch und Arabisch, Französisch und Provenzalisch; ob er aber auch Deutsch verstanden und gesprochen hat, ist uns nicht einmal sicher bezeugt. Das sizilische Königreich in Süditalien ist sein Erbe. Als sein wahres Herrscheramt aber gilt ihm das römische Kaisertum der Cäsaren, und wenn die Gegner ihn als neuen Nero verunglimpften, so sah er selbst kein höheres Ziel als ein neuer Cäsar, Augustus oder Justinian zu sein. Gewiß war er auch deutscher König, dreimal gewählt von den Fürsten des Reichs. Aber in den achtunddreißig Jahren, in denen er die deutsche Krone trug, in den sechsundfünfzig Jahren seines Lebens hat er nur dreimal deutschen Boden betreten; nur das erste Mal, in den Anfängen seiner Herrschaft, als er sich die Anerkennung seines Königtums erst erkämpfen mußte gegen den welfischen Kaiser Otto IV., zu längerem, achtjährigen Aufenthalt (1212–1220); erst fünfzehn Jahre später kehrte er noch einmal nach Deutschland zurück, unterbricht selbst diesen zweijährigen Aufenthalt durch einen Kriegszug nach Italien und sieht dann in den letzten dreizehn Jahren seines Lebens sein deutsches Königreich niemals wieder. In Norddeutschland, in Niedersachsen und Thüringen, den weiten Ländern nördlich des Mains und östlich des Rheins ist er nach einigen kurzen Heerfahrten im Kampf gegen Otto IV. und zwei flüchtigen politischen Besuchen seit 1219 nie mehr erschienen. Das zukunftsreiche Neuland östlich der Elbe, das deutsche Bauern und Bürger, Ritter und Mönche eben damals dem Deutschtum gewannen, hat er nie betreten.

War er also der Heimat seiner Ahnen entfremdet? Aber auch seine Ahnen sind nur zum kleinen Teil Deutsche. Seine Mutter Konstanze, die dem elf Jahre jüngeren Kaiser Heinrich VI. in ihrem vierzigsten Jahr diesen einzigen Sohn gebar, ist eine Tochter des normannischen Königs Roger II. von Sizilien, und keiner ihrer Vorfahren war ein Deutscher. Und auch von seinem Vater her hat Friedrich nicht nur deutsches Blut in den Adern. Denn dessen Mutter, Barbarossas Gemahlin Beatrix, stammt aus burgundischem Grafengeschlecht und mütterlicherseits aus dem Herzogshaus von Lothringen, das nur noch locker mit dem Reich verbunden, in Sprache und Kultur französisch geworden war. Nur durch seinen Großvater Barbarossa ist Friedrich II. also blutsmäßig mit Deutschland verknüpft; ihm glich er auch äußerlich in seiner mittelgroßen Gestalt mit dem rotblonden Lockenhaar der Staufer. Aber selbst Barbarossa hatte durch seine Mutter, die Welfin Judith, und seine Großmutter Agnes, die Tochter Kaiser Heinrichs IV. und der Markgräfin Berta von Turin, bereits einen Einschlag außerdeutschen, norditalienischen Adelsblutes. Im Stammbaum Friedrichs II. ist also das staufisch-deutsche Erbe nur noch gering gegenüber dem Anteil auswärtiger Adels- und Herrschergeschlechter. Kein Wunder, wenn den Deutschen, den Norddeutschen zumal dieser Herrscher fremd blieb, der zuerst als das "Kind von Apulien" wie ein Märchenprinz aus der Ferne zu ihnen kam und später als Kaiser noch einmal zu ihnen zurückkehrte, begleitet von dem seltsam exotischen [126] Gepränge seines Hofstaats von Sarazenen, Äthiopiern, maurischen Tänzerinnen und Eunuchen, und von dem fremdartigen Getier, das man in Deutschland noch nie gesehen hatte, Elefanten und Kamelen, Löwen, Leoparden und Affen. Nach Blut und Heimat, nach Wesensart und Gesinnung und nach seinem eigenen Empfinden gehörte dieser Kaiser nicht zum deutschen Volk.

Castel del Monte
[137]      Castel del Monte, Jagdschloß Friedrichs II. bei Andria in Apulien,
1240 erbaut nach dem persönlichen Geschmack des Kaisers.

[Bildquelle: Margarete Schmedes, Berlin.]

Darf also ein anderes Volk ihn mit besserem Recht für sich in Anspruch nehmen als die Deutschen? Er war Italiener, Sizilianer, man hat es oft gesagt, und gewiß gibt die Eigenart des italienischen Südens, wo damals das mittelmeerische Gemisch verschiedenster Völker, Rassen und Sprachen, Kulturen und Religionen am buntesten war, die Erklärung für viele Züge seines Wesens, für seine den Deutschen befremdlichen Neigungen und seine den Zeitgenossen unbegreifliche, oft unheimliche Geisteshaltung und Gesinnung. Er hat dieses Land seiner Kindheit und Jugend als seine wahre Heimat geliebt, er hat ihm auch die besten Kräfte seiner Herrscherbegabung zugewandt. Aber wie sich sein Herrschaftswille nicht auf sein sizilisches Erbreich beschränkt, so wirkt in seinem Wesen und in seinen Taten überhaupt noch etwas ganz anderes als die Jugendeinflüsse seiner heimatlichen Umgebung.

Will man die Herkunft seiner Vorfahren nennen, so muß man gewiß viele Länder Europas aufzählen. Aber eines ist allen gemeinsam: sie alle sind Abkömmlinge des germanischen Erobereradels aus der Zeit jener Völkerwanderung, die in ihren letzten Ausläufern mit der Ankunft normannischer Ritter in Süditalien und England bis ins elfte Jahrhundert hinabreicht. Dieser germanische Erobereradel hatte sich zwar im Laufe der Zeiten der älteren Bevölkerung der europäischen Länder in Sprache, Bildung und Kultur vielfach angeglichen. Überall aber bildet er fast unvermischt die herrschende Adelsschicht, die sich über die Länder-, Völker- und Sprachgrenzen hinweg allein als ebenbürtig anerkennt und in immer neuen Verbindungen ihre Blutsgemeinschaft stetig erneuert. Deutsch sind wenige von Friedrichs Ahnen; germanisch sind sie wohl alle.

Eine germanische Schöpfung ist aber auch das Reich, das er beherrschen sollte. Es heißt zwar das römische Reich, seitdem ein Papst dem größten Herrscher des Frankenreiches den Kronreif der römischen Cäsaren auf die Stirn gedrückt hat. Aber geschaffen, getragen, erhalten und immer wieder erneuert hat es die Kraft germanischen Adels. Frankreich, Burgund, Lombardei – die Namen sagen schon, daß es Germanenländer sind, die mit Deutschland unter der gemeinsamen Führung fränkischer Herrscher zu einem Reich vereinigt wurden. Nur in Deutschland ruht allerdings die Herrschaft der germanischen Adelsschicht auf einem Volkstum gleichen Bluts und gleicher Sprache; nur die Deutschen sind in diesem Reich von Anfang an im wahren Sinn ein Volk – "deutsch" heißt: volkhaft. Eben diese völkische Geschlossenheit gab den Deutschen im zehnten Jahrhundert vor anderen die Kraft, den völligen Zerfall der karolingischen Reichseinheit in willkürlich-zufällige Herrschaftsgebilde zu verhindern durch eine Erneuerung des [127] Reichs. Aber dabei blieb Frankreich ausgeschlossen und wurde zu einem Staat neben dem Reich, von dem alle Gegnerschaft gegen die abendländische Führerstellung des Reichs ihren Ausgang nehmen konnte. Von französischem Boden greift jene kirchliche Unabhängigkeitsbewegung auf das römische Papsttum über, die im Investiturkampf die Kirche aus der Reichseinheit herauslöst, um sie unter eigener päpstlicher Führung gegen und über das Reich zu erheben. Papsttum und französisches Königtum haben sich bald genug als Bundesgenossen im Kampf gegen das Reich gefunden – aber gerade diesem Bund verdankt Friedrich II. die deutsche Krone! Der Papst als Herr der Kirche und die französische Ritterschaft als ihr Waffenträger entwinden in den ersten Kreuzzügen dem deutschen Kaisertum die Führung der abendländischen Christenheit – aber die großen Staufenkaiser drohen dann eben dadurch dem Papsttum so gefährlich und überlegen zu werden, daß sie im Kampf gegen die Ungläubigen die Führung des christlichen Abendlandes wieder an sich reißen! Von Frankreich aus hat auch die letzte Welle germanischer Eroberer staatengründend die Randländer Europas, England und Sizilien erreicht, und das Papsttum versucht sie in seinen Dienst zu stellen – aber gerade in diesen Normannenstaaten findet das Reich die Grundlage und den Rückhalt zu neuer Machtentfaltung über die Papstkirche und ihre Verbündeten. Die Aussicht auf eine Vereinigung mit England, die schon der letzte Salier, Kaiser Heinrich V., dem Reich durch seine Ehe mit der englischen Thronerbin eröffnete, zerschlug sich zwar, weil dieser Kaiser ohne Erben starb. Aber die Welfen haben aufs neue enge verwandtschaftliche Beziehungen zur englischen Krone geknüpft; und den Staufern glückt die Verbindung des Reichs mit dem süditalienischen Normannenstaat: Barbarossa vermählt seinen Sohn Heinrich VI. mit der Erbin von Sizilien. Wenn es gelingt, den Nachkommen dieser Ehe mit dem erblichen Königreich Sizilien auch den Thron des deutschen Wahlreiches zu sichern oder – wie Heinrich es plante – auch die deutsche Krone dem staufischen Hause erblich zu machen, dann werden sie ein Reich beherrschen von der Nordsee bis zur Südspitze Italiens, das den Papst in Rom und seinen Kirchenstaat umklammert und dem Willen des Kaisers gefügig machen kann, das die ganze Mitte Europas, das Mittelmeer und die Aufmarschwege nach dem Osten beherrscht, und keine Macht wird ihnen die Führung im Kampf des Abendlandes zur Befreiung Jerusalems von den Ungläubigen mehr streitig machen können.

Das Reich schritt also einer neuen Gipfelhöhe seiner Macht entgegen, als Kaiser Heinrich VI. am Weihnachtstag 1196 seinen zweijährigen Sohn Friedrich, den künftigen Erben Siziliens, von den deutschen Fürsten zu seinem Nachfolger im deutschen Königtum wählen läßt. Als man sich aber neun Monate später anschickte, das Kind zur Krönung nach Deutschland zu holen, hat ein entsetzlicher Schicksalsschlag die Grundfesten dieses Reiches erschüttert und alle Berechnungen der staufischen Reichspolitik durchkreuzt. Während die deutschen Ritterscharen auf dem Weg ins Heilige Land waren, um dem Kaiser durch einen Sieg über den [128] großen Sultan Saladin zugleich die unbestreitbare Führerschaft in der abendländischen Christenheit zu verschaffen, ist Heinrich VI. am 28. September 1197 in Messina plötzlich mit zweiunddreißig Jahren gestorben. Das kühn gewölbte, straff gespannte, aber unvollendete Gefüge seiner Herrschaft brach sofort klaffend auseinander, und niemand, auch nicht der sterbende Kaiser selbst, konnte hoffen, daß sein Sohn und Erbe es jemals wieder aufzurichten vermöchte. Denn nun trat deutlich zutage, wie stark die Herrschaftseinheit dieses Reiches bereits durchwachsen war mit eigenständigen Kräften, die sich nicht mehr von einer germanischen Herrenschicht zusammenhalten, formen und führen lassen wollten, die nach Selbständigkeit, Entfaltung ihrer Eigenart, politischer Unabhängigkeit drängten und die Stunde wahrnahmen, um das Reich, dem der Führer fehlte, zu sprengen. Diese Gegenbewegungen gegen die staufische Reichsgewalt, die bei Heinrichs Tod in ganz Italien von Sizilien bis zur Lombardei und selbst in Deutschland hervorbrechen, werden vollends gefährlich und unbezwingbar, weil sofort das Papsttum bereitsteht, sie zu schüren und zu nutzen, um nicht nur Rom und den Kirchenstaat von der bedrohlichen Umklammerung zu befreien, sondern sich selbst zur Vormacht in Italien und darüber hinaus in Europa zu erheben.

Die Zeit der erzwungenen Nachgiebigkeit päpstlicher Greise gegen ein übermächtiges Kaisertum ist zu Ende, als ein Vierteljahr nach Heinrichs Tod mit Innozenz III. der jüngste Kardinal den päpstlichen Stuhl besteigt, vielleicht der begabteste und gewandteste Politiker unter allen Päpsten, gewiß einer der bedeutendsten und entschiedensten Vorkämpfer päpstlicher Allmacht. Mit politischen Zugeständnissen an päpstliche Wünsche, wie sie Heinrich VI. selbst auf seinem Sterbebett empfahl, um seinem Sohn die Krone zu retten, konnte Innozenz sich nicht zufrieden geben, als ihm die Gunst des Schicksals die Hand bot, um die päpstliche Gewalt allen irdischen Mächten überzuordnen und die Zügel der Weltherrschaft zu ergreifen. Mühelos kann er mit der vollen Herrschaft über Rom und den Kirchenstaat auch die angrenzenden Gebiete des Herzogtums Spoleto und der Mark Ancona in seine Gewalt bringen, so daß sich der unmittelbare päpstliche Machtbereich nun quer über die Halbinsel von einer Küste zur anderen als breite Schranke zwischen Reichsitalien und Sizilien lagerte. Mit den stauferfeindlichen, nach Unabhängigkeit ringenden Städten in Toskana und der Lombardei verständigte er sich, daß sie ohne päpstliche Zustimmung keinen künftigen Kaiser als Herrn anerkennen werden. Im sizilischen Königreich kommt gleich nach Heinrichs Tod die Partei ans Ruder, die jede Verbindung mit dem Reich bekämpft. Die Kaiserwitwe Konstanze selbst schließt sich ihr rückhaltlos an. Unter Preisgabe seiner Rechte auf die deutsche Krone läßt sie ihren Sohn Friedrich durch einen päpstlichen Legaten zum sizilischen König krönen, erkennt für ihn die Lehnshoheit des Papstes über das sizilische Erbreich an und verzichtet noch obendrein auf die kirchlichen Vorrechte früherer sizilischer Könige. Und als sie ein Jahr nach ihrem Gatten gleichfalls stirbt, setzt sie den Papst Innozenz III. zum [129] Vormund ihres Sohnes ein – der staufische Erbe der deutschen Kaiser ist zum Mündel des Papstes geworden!

Wohl haben die deutschen Getreuen Heinrichs VI., obgleich Konstanze sie aus Sizilien ausweisen ließ, zäh und verzweifelt für die Aufrechterhaltung der deutschen Herrschaft im Süden gekämpft. Aber ihre Sache schien verloren; denn auch das Reich, die deutschen Fürsten selbst hielten sich nicht an ihre Zusage gebunden, den jungen Friedrich als deutschen Thronfolger anzuerkennen. Ein unmündiges Kind in der Hand reichsfeindlicher Mächte schien nicht tauglich, in dieser gefährdeten Lage das Reich zu erhalten. Als vollends die Welfen und ihr norddeutscher Anhang das staufische Mißgeschick zu einer Vergeltung für den Sturz Heinrichs des Löwen auszunutzen suchten und die Königswahl seines Sohnes Otto betrieben, da konnten auch die treuesten Stauferfreunde nichts mehr von einem Festhalten an dem Thronanspruch des Kaiserkindes in Palermo erwarten. Um wenigstens seinem Geschlecht die Krone zu erhalten, ließ sich Heinrichs VI. jüngster Bruder Philipp am 8. März 1198 in Nordhausen zum Kaiser wählen. Die norddeutschen Fürsten aber mit dem Kölner Erzbischof an der Spitze versagten ihm ihre Zustimmung und wählten drei Monate später in Köln den Welfen Otto. Diese unselige Doppelwahl hat Deutschland, während seine Weltgeltung auf dem Spiele stand, während als reiche Ernte der staufischen Glanzzeiten deutscher Minnesang, höfische Ritterdichtung und die Erneuerung der Heldenlieder aus germanischer Vorzeit zu höchster Reife gedieh, zwei Jahrzehnte lang zum Schauplatz innerer Kriege gemacht, die der Macht des deutschen Königtums für immer das Grab schaufelten, und schlimmer noch: zum Spielball auswärtiger Mächte. Denn mit englischem Geld hat der Welfe Otto, der Neffe des englischen Königs Richard Löwenherz, den Kampf gegen die Staufer und die deutsche Krone geführt. Weil aber England damals Frankreichs schlimmster Feind war, verbündete sich der französische König mit dem staufischen Gegner des Welfen, um Englands Verbündeten nicht Kaiser werden zu lassen. So verquickte sich der deutsche Thronstreit unheilvoll mit dem Kampf der Westmächte, das Schicksal des Reiches wurde abhängig vom Ausgang des englisch-französischen Krieges.

Der stärkste Gewinn aber aus diesem verhängnisvollen Spiel der Mächte fiel dem Papsttum zu. Innozenz war Vormund des staufischen Erben Siziliens geworden; jetzt konnte er Schiedsrichter über die Anwärter auf die deutsche Krone, Schiedsrichter im Kampf der europäischen Staaten werden, und auch da schien ihm das Schicksal in die Hand zu spielen. Zwar blieb sein Eintreten für den Welfen, sein Bann über Philipp unwirksam und konnte das siegreiche Vordringen des Staufers nicht aufhalten. Schon mußte sich Innozenz bereit finden, den staufischen Erfolgen Rechnung zu tragen und seinen welfischen Schützling fallen zu lassen: da wurde König Philipp am 21. Juni 1208 in Bamberg ermordet, und die Fürsten des Reiches erklärten sich einmütig für Otto, um dem Streit ein Ende zu machen. Was konnte dem Papst erwünschter sein als dieser [130] unverdiente Erfolg des Welfen, der ihm in den Jahren des Thronkampfes als Preis für die päpstliche Unterstützung gegen den Staufer so bereitwillig zugesichert hatte, daß er als Kaiser die Unabhängigkeit Siziliens vom Reich und die Erweiterung des Kirchenstaates anerkennen, auch auf die Kronrechte in der Reichskirche weitgehend verzichten werde, und der diese Zugeständnisse wiederholte, ehe er am 4. Oktober 1209 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde? Von diesem Herrscher glaubte Innozenz für die päpstliche Macht nichts fürchten zu müssen. Aber an ihm hat er seine schwerste Enttäuschung erlebt. Denn kaum war Otto IV. Kaiser, erwachte in ihm der Herrschaftsdrang seiner staufischen Vorgänger. Als ihn eine Botschaft aus Sizilien aufforderte, die deutschen Rechte über das süditalienische Königreich wahrzunehmen, rüstete er zum Angriff. Im Herbst 1210 begann der Vormarsch, der bald bis Messina vordrang und dem jungen staufischen König von Sizilien, der einst zum deutschen König und künftigen Kaiser bestimmt war, auch sein eigenes Erbland zu entreißen drohte. Der Papst vollends sah alle Erfolge seiner Politik vernichtet, wenn Otto IV. unter Mißachtung seiner Zusagen und ohne Rücksicht auf die päpstliche Lehnshoheit die Machtstellung Heinrichs VI. auf der italienischen Halbinsel erneuerte. Sofort hat er den Bann über den Kaiser verhängt und auf Mittel zu seinem Sturz gesonnen. Es war ein fast verzweifeltes Wagnis, zu dem sich der vielgewandte Politiker Innozenz III. in dieser schwierigen Lage entschloß. Er, dem soviel daran liegen mußte, die sizilische und die deutsche Krone nicht wieder auf einem Haupt vereinigt zu sehen, empfahl jetzt den deutschen Fürsten die Absetzung des Welfenkaisers und die Erhebung des staufischen Königs Friedrich von Sizilien zum deutschen König! Ausgegangen ist dieser überraschende Vorschlag vom französischen König, dem die kaiserliche Machtentfaltung Ottos IV. nicht weniger gefährlich schien als dem Papst. Der Entschluß zu diesem Schritt mag Innozenz schwer genug gefallen sein. Aber er sah keinen anderen Ausweg. Denn wer sonst hätte gegen Otto IV. in Deutschland auftreten und sich durchsetzen können wenn nicht der einzige Erbe des staufischen Namens, den die Fürsten schon einmal zum König gewählt hatten? Nur ihn konnte man gegen den gefährlichen Kaiser ausspielen, in der Hoffnung, der juge Staufer werde leichter lenkbar, dem päpstlichen Willen gefügiger sein als der wortbrüchige Welfe. Wirklich fanden sich deutsche Fürsten bereit, den französischen und päpstlichen Wünschen entsprechend, ihrem gebannten Kaiser, der sich ohnehin durch sein schroffes, ungelenkes Wesen zumal in Süddeutschland wenig beliebt gemacht hatte, den Gehorsam aufzukündigen. Im September 1211 wurde in Nürnberg Friedrich von Sizilien zum deutschen König erkoren.

Damals war Friedrich siebzehn Jahre alt, nach dem Willen seines päpstlichen Vormunds mit einer zehn Jahre älteren aragonesischen Prinzessin verheiratet und bereits Vater eines einjährigen Knaben. Aufgewachsen ohne Eltern, Verwandte und Freunde inmitten der Wirrnisse seines völlig zerrütteten Königreichs, den Ränken, Gewalttaten und Schmeicheleien eines selbstsüchtigen Adels [131] ausgesetzt, war er ganz auf sich allein gestellt und früh gereift, durch trübe Erfahrungen zu Mißtrauen und Menschenverachtung erzogen, um so leidenschaftlicher aber erfüllt von dem Drang nach unbedingter Überlegenheit und Selbstherrlichkeit und dem Willen, geistig und körperlich den höchsten Anforderungen gewachsen zu sein. Die Ereignisse in Deutschland, die für sein weiteres Schicksal so bedeutungsschwer wurden, hatten ihn bis dahin kaum berührt. Jetzt trat die erste große Entscheidung seines Lebens an ihn heran. Der Papst, der Franzosenkönig und die deutschen Fürsten, die ihren Kaiser verrieten, forderten ihn zu einem Zug ins Ungewisse auf. Seine sizilischen Berater warnten ihn dringend davor. Friedrich hat kaum geschwankt. Der Zugriff Ottos IV. auf Sizilien zeigte klar genug, daß er nur die Wahl hatte, alles zu verlieren oder alles zu gewinnen. Er war seines sizilischen Erblandes nie sicher, wenn ein anderer deutscher König und Kaiser war. Denn jeder Kaiser würde versucht sein, in die Fußtapfen der großen Staufer zu treten und seine Macht über ganz Italien wiederherzustellen.

Friedrich mußte deutscher König werden, wollte er König von Sizilien bleiben. Die stolze Erinnerung an seine Vorfahren, das hohe Ziel des Kaisertums lockte ihn über alle Bedenken und Schwierigkeiten hinweg. Im März 1212 brach er nach Deutschland auf. In Rom traf er, vom Volk als künftiger römischer Kaiser begrüßt, mit seinem einstigen Vormund Innozenz zusammen, leistete ihm noch einmal die Lehnshuldigung für Sizilien und wurde von ihm für die Reise nach Norden ausgerüstet. Auf einer abenteuerlichen Fahrt, mit wenigen Begleitern, unter stetigen Gefahren, erreichte er im September Konstanz, wo ihn Otto IV., den die Nachricht vom Abfall der deutschen Fürsten eilends aus Italien zurückgerufen hatte, beinahe abgefangen hätte. Aber Friedrich kam ihm zuvor, und als er erst einmal in Süddeutschland Fuß gefaßt hatte, fand er unter den alten Stauferfreunden im Elsaß und in Schwaben und bis nach Mitteldeutschland rasch Anhang. Schon im Dezember konnte er sich in Frankfurt noch einmal wählen und in Mainz krönen lassen. Für ihn warben ja nicht nur der Glanz seines Namens und der gewinnende Zauber seiner Persönlichkeit, sondern nachdrücklicher noch die päpstlichen Bullen und das französische Geld. Denn noch war er nur ein Stein im politischen Spiel fremder Mächte, ein gefügiges Werkzeug, um Frankreich und das Papsttum vom Druck der kaiserlichen Übermacht des Welfen zu erlösen. Auf einem Schlachtfeld in Nordfrankreich ist durch einen französischen Sieg auch der deutsche Thronstreit zu Friedrichs Gunsten entschieden worden. Denn als Otto IV. zur Unterstützung seines englischen Verbündeten 1214 in Frankreich einrückte, ist er am 27. Juli bei Bouvines (in der Nähe von Lille) von König Philipp II. von Frankreich geschlagen worden, und der Sieger schickte den erbeuteten Reichsadler der Kaiserstandarte als Geschenk an seinen Verbündeten Friedrich II. Sinnfällig kam damit zum Ausdruck, daß diese Schlacht, die Otto IV. für England verlor, und die doch Friedrich II. nicht selbst gewann, gleichwohl den Ausschlag darüber gab, wer in Deutschland herrschen sollte. Denn Ottos [132] Macht war seitdem gebrochen. Er hat sich zwar bis zu seinem Tode (1218) in seinen braunschweigischen Ländern noch gegen Friedrich halten, ihm die Herrschaft aber nicht mehr streitig machen können. Ein Jahr nach der Entscheidung von Bouvines, als auch Aachen dem jungen Staufer die Tore öffnete, hat er sich an der Stätte, wo Kaiser Karls Thron stand, "der Hauptstadt und dem Sitz des deutschen Königtums", wie Friedrich Aachen nannte, noch einmal krönen lassen. Dadurch erst gewann nach den Anschauungen der Zeit der deutsche Herrscher erst die volle Rechtmäßigkeit und den Anspruch auf die römische Kaiserkrone.

Friedrich II.
[128a]      Friedrich II.
Miniatur aus dem Falkenbuch des Kaisers.
Rom, Vatikanische Bibliothek.

[Bildquelle: Sansaini, Rom.]
Als sei an diesem Aachener Krönungstage im Juli 1215 das eigene Herrscherbewußtsein in Friedrich erwacht und das Leitseil gerissen, an dem ihn bislang fremde Mächte gegängelt hatten, überraschte der junge König die Welt damals zuerst durch einen eigenmächtigen Entschluß: er nahm das Kreuz, er verpflichtete sich zur Heerfahrt ins Heilige Land. Gewiß konnte es dem Papst erwünscht sein, in Friedrich einen neuen Streiter für die Kirche gegen die Ungläubigen zu gewinnen. Hatte doch Innozenz III. in den Jahren des deutschen Thronstreites selbst einen Kreuzzug aufgeboten, der sein Ziel aber nicht erreichte. Aber den Papst mußte der erste selbständige Schritt seines Schützling auch daran erinnern, daß die Staufenkaiser den Kreuzzug nicht nur im Dienst der Kirche, sondern immer auch zur Steigerung ihrer eigenen Macht unternommen hatten, um als Führer der Christenheit im Kampf gegen die Glaubensfeinde auch über die Papstmacht selbst emporzuwachsen. Barbarossa und Heinrich VI. waren vom Tod ereilt worden, als sie sich diesem Ziel näherten. Lebte in ihrem Erben der gleiche Geist wieder auf, als er mit der deutschen Krone zugleich das Kreuz nahm? Innozenz III. war Politiker genug, um argwöhnisch zu sein gegen die erste Regung staufischen Machtstrebens in dem jungen König, der sein Geschöpf, sein Mündel und Lehnsmann war und bleiben sollte. Als sich drei Monate nach der Aachener Krönung das große Konzil der abendländischen Kirche zur geistlichen Heerschau vor dem Papst im Lateran versammelte, hat er die Absetzung des welfischen Kaisers Otto IV. noch einmal feierlich vor aller Welt verkündet – für das Reich ein höchst bedenklicher Vorgang, der sich dreißig Jahre später gegen Friedrich II. selbst wiederholen sollte! Über des neuen Königs Entschluß zur Kreuzfahrt aber ist Innozenz damals mit Stillschweigen hinweggegangen. Denn ehe Friedrich zur Kaiserkrönung nach Rom kommen und an der Spitze eines Kreuzheeres nach dem Osten ziehen sollte, wollte Innozenz alles versuchen, um diesem künftigen Kaiser und Führer des Abendlandes den Weg zu einer Erneuerung jener Machtstellung in Italien zu versperren, durch die Heinrich VI. und Otto IV. für Rom so gefährlich geworden waren. Am 1. Juli 1216 hat er sich von Friedrich versprechen lassen, daß er, sobald er Kaiser werde, für sich selbst auf die Herrschaft in Sizilien verzichten wolle. Sein Sohn Heinrich, der auf päpstlichen Wunsch schon bei Friedrichs Aufbruch nach Deutschland zum König von Sizilien gekrönt worden war, sollte dann aus der väterlichen Gewalt entlassen und bis zu seiner Mündigkeit einem Vormund [133] unterstellt werden, der mit Zustimmung des Papstes und unter voller Anerkennung der päpstlichen Lehnshoheit Sizilien zu verwalten hätte. Das war der letzte Zug des Papstes Innozenz auf dem Schachbrett der Reichspolitik, durch den er sein Spiel doch noch zu gewinnen, Sizilien vom Reich zu trennen hoffte. Zwei Wochen später ist er gestorben, und sogleich folgte Friedrichs klug berechneter Gegenzug. Noch im Herbst 1216 ließ er seinen Sohn nach Deutschland bringen, belehnte ihn noch im folgenden Jahr mit dem Herzogtum Schwaben, übertrug ihm 1219 die Würde des Rektors über das Nebenreich Burgund und arbeitete eifrig und geschickt darauf hin, die deutschen Fürsten für die Königswahl seines Sohnes zu gewinnen, noch ehe er selbst zum Kaiser gekrönt war. Denn wenn sein Nachfolger, der nach dem Willen des Papstes Sizilien übernehmen sollte, durch die Wahl der Fürsten zugleich deutscher König wurde, dann wurde Friedrichs eigener Verzicht auf die Herrschaft in Süditalien wertlos. Da die Wiedervereinigung Siziliens mit dem Reich dann für die Zukunft doch gesichert war, hatte es wenig Sinn, Friedrich selbst an seine frühere Zusage zu binden. Er hat jenes Versprechen zwar am 10. Februar 1220 dem neuen Papst Honorius III. wiederholt, zugleich aber die Hoffnung ausgesprochen, der Papst werde ihn trotzdem auch in Sizilien herrschen lassen. Und bald darauf mußte man in Rom zur größten Bestürzung erfahren, daß die deutschen Fürsten im April 1220 in Frankfurt Friedrichs Sohn Heinrich zum deutschen König gewählt hatten. Honorius III., der seinem Vorgänger an politischer Begabung nicht ebenbürtig war, hat seinen Widerspruch bald fallen lassen. Friedrichs erneutes Versprechen des baldigen Aufbruchs zum Kreuzzug und andere Zugeständnisse an päpstliche Wünsche schienen ihm wertvoll genug, um die Bedingung preiszugeben, an die Innozenz die Kaiserkrönung knüpfen wollte: die Trennung Siziliens vom Reich. Schon im Herbst 1220 konnte Friedrich nach Rom ziehen, wo er am 22. November gekrönt wurde. Erst fünfzehn Jahre später hat er Deutschland wiedergesehen.

Während seines ersten Aufenthalts in Deutschland hat also Friedrich II. die päpstliche Politik völlig durchkreuzt und eine Lage geschaffen, die die Pläne Innozenz' III. in ihr Gegenteil verkehrte. Statt seinem Sohn Sizilien zu überlassen, machte er ihn zum deutschen König; statt sich selbst auf Deutschland und Reichsitalien zu beschränken, nahm er sofort nach der Kaiserkrönung sein sizilisches Erbreich in Besitz und schuf sich dort die feste Grundlage seiner Herrschaft. Er hat es sich allerdings sehr viel kosten lassen, dieses Ziel zu erreichen. Um seinem Sohn die deutsche Krone zu sichern und sich selbst dadurch den Weg nach Sizilien freizumachen, hat er den deutschen Fürsten gefährlich hohe Zugeständnisse gemacht. Von Anfang an unterließ er jeden Versuch, die Fürstenmacht in Deutschland einzudämmen und die Reichsgewalt gegen sie wieder zur Geltung zu bringen. Freilich ist schwer zu sagen, ob ein solcher Versuch damals noch Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Denn seit den Zeiten des Investiturkampfes war die Eigenmacht und die politische Selbständigkeit der geistlichen und weltlichen Reichsfürsten so unheilvoll [134] gewachsen, daß selbst ein Barbarossa nur mit den Fürsten, nicht gegen sie herrschen und die Reichsgewalt nur durch auswärtige Unternehmungen, nicht durch innere Maßnahmen stärken konnte. Der zwanzigjährige Kampf um die Krone nach dem Tod Heinrichs VI. hatte vollends die Königsmacht zugunsten der Fürsten tödlich geschwächt. Der große Hausbesitz der Staufer in Südwestdeutschland war versplittert und großenteils entfremdet. Um den Papst und die Kirchenfürsten auf seine Seite zu ziehen, hatte Otto IV. fast alle Rechte preisgegeben, die dem Königtum in der Reichskirche noch geblieben waren: die Mitwirkung bei den Bischofswahlen, den Anspruch auf den Nachlaß der Bischöfe und auf die Einkünfte der Bischofsstädte, in denen der König sich aufhielt. Diese Zugeständnisse hatte dann Friedrich bestätigen und noch übertrumpfen müssen, um seinem welfischen Gegner den Rang abzulaufen. Von allen früheren Machtmitteln der Krone war daher dem deutschen Königtum fast nichts mehr geblieben, und was es verloren hatte, das hatte das Fürstentum gewonnen. Nur einen Weg hätte es vielleicht gegeben, dem Königtum wieder Macht und Geltung im Reich gegenüber den Fürsten zu verschaffen. Seit Heinrich IV. und besonders unter den Staufern war ein neuer Stand ritterlicher Dienstmannen auf dem Schauplatz der Reichspolitik erschienen, meist aus unfreien Schichten aufgestiegen und großenteils von ausgeprägtem Reichsbewußtsein erfüllt, staufisch gesinnt, politisch und kriegerisch geschult: bei ihnen hätte ein deutscher König auf Gefolgschaft rechnen können, wenn er die Reichsgewalt zu neuer Kraft über das Fürstentum hätte erhöhen wollen. Ebenso wuchs in den jungen Städten am Rhein und in Süddeutschland ein Bürgertum zu wirtschaftlicher Bedeutung und politischem Selbstbewußtsein heran, das gleichfalls zum Bundesgenossen des Königtums gegen bischöfliche und fürstliche Landesherren hätte werden können. Es wäre freilich ein langer, mühsamer und ungewisser Weg gewesen, diese ritterlichen und bürgerlichen Kräfte zur Stärkung der Reichsgewalt gegen die überhand nehmende Fürstenmacht aufzubieten, nur gangbar für einen Herrscher, der seine ganze Kraft an die Aufgabe setzen konnte und wollte, eine Umkehr der verderblichen Entwicklung zu erzwingen, die das deutsche Königtum nahezu in Fürstentümer aufgelöst hatte.

Friedrich II. hat diesen Weg nicht beschritten. Als römischer Kaiser und unbeschränkter Herr über die reichen Länder Süditaliens glaubte er höhere Ziele erreichen zu können, als in einem mühsamen Ringen mit den Reichsfürsten um die Macht in Deutschland. Ihm genügte es, wenn Deutschland ihn als seinen König und als Kaiser anerkannte und ihm Truppen stellte für seinen Kampf um Italien. Um das bei den Reichsfürsten zu erreichen, hat er ihnen bereitwillig die Ansätze geopfert, die ihm ein Gegengewicht gegen die Fürstenmacht hätten bieten können. Unmittelbar nach der Königswahl seines Sohnes, am 26. April 1220, hat er den geistlichen Fürsten, die sich aus Rücksicht auf das Papsttum am schwersten zu diesem Schritt verstehen konnten, als Preis für ihre Willfährigkeit [135] jenes berühmte Privileg ausgestellt, das sie zu unbeschränkten Herren ihres Gebietes machte, ihnen die Hoheitsrechte über Zoll, Münze, Markt und Burgenbau überließ und ihnen zugleich die Mittel in die Hand gab, um der städtischen Entwicklung zu wirtschaftlicher und politischer Selbständigkeit entgegenzuwirken. Das Reichskirchengut, einst die stärkste Grundlage des deutschen Königtums, wurde dadurch der Reichsgewalt endgültig entzogen; und die Städte, die dem Königtum einen neuen politischen Rückhalt, neue Einkünfte und Streitkräfte hätten geben können, wurden den bischöflichen Stadtherren preisgegeben. Das konnte nur ein Herrscher tun, der gar nicht ernsthaft in Deutschland regieren wollte, der aber alles daran setzte, von den Reichsfürsten in seiner außerdeutschen Politik unterstützt zu werden. In den Jahren nach Friedrichs Aufbruch nach Italien, als fürstliche Reichsverweser in Deutschland für den Kaisersohn die Herrschaft führten, stand dem Landesfürstentum überhaupt keine höhere Staatsgewalt mehr hemmend im Wege. Der junge König Heinrich versuchte zwar, als er mündig wurde und selbständig zu regieren begann, sich dieser Entwicklung entgegenzustemmen. Trotz seiner sizilischen Herkunft wuchs er viel stärker als sein Vater in die Aufgaben seines deutschen Königtums hinein. Auf die Städte und den ritterlichen Dienstadel gestützt, glaubte er sich gegen das Fürstentum durchsetzen zu können. Da sich aber der Kaiser auch seinem Sohn gegenüber unbedingt hinter die Fürsten stellte, mußte Heinrich dieses eigenmächtige Streben teuer bezahlen. Auch den Laienfürsten mußte er 1231 alle jene landesherrlichen Rechte verbriefen, die Friedrich früher den Kirchenfürsten eingeräumt hatte, dazu die volle Gerichtshoheit und das unbeschränkte Geleitsrecht in ihrem Gebiet, den Verzicht auf die Anlage neuer, ihnen unerwünschter Städte, Märkte, Burgen; und zugleich wurde den Städten, die zu einer neuen Kraftquelle der Reichsgewalt hätten werden können, jede politische Verbindung untereinander verboten. Damit lieferte das Königtum alle Mittel einer selbständigen Politik in Deutschland an die Landesfürsten aus. Als sich aber Heinrichs junger Herrscherwille gegen diese Verzichtspolitik seines Vaters aufbäumte, als er ihm den Gehorsam aufsagte und mit den kaiserfreundlichen Städten der Lombardei in Verbindung trat, da ist Friedrich nach fünfzehnjähriger Abwesenheit notgedrungen noch einmal nach Deutschland zurückgekehrt, ohne Heer, aber in der ganzen Pracht seiner Kaiserherrlichkeit, und mühelos hat er den aufsässigen Sohn überwältigt und gefangen nach Italien führen lassen, wo Heinrich nach einigen Jahren selbst seinem Leben ein Ende machte. An seiner Stelle wurde im Februar 1237 in Wien Friedrichs zweiter Sohn Konrad zum König gewählt, der damals erst neun Jahre zählte; wieder führte für ihn ein fürstliches Reichsregiment in Deutschland die Herrschaft.

Zwar hat Friedrich II. noch einmal versucht, sich und seinem Hause auch auf deutschem Boden eine neue Machtstellung zu schaffen. 1236 empörte sich der Herzog Friedrich der Streitbare von Österreich gegen den Kaiser; zehn Jahre später erlosch mit seinem Tode das Babenberger Herzogshaus. Beide Male [136] wollte der Kaiser die Herzogtümer Österreich und Steiermark als erledigtes Reichslehen einziehen und nicht wieder ausgeben, sondern als kaiserliches Hausgut beim Reich behalten und unmittelbar durch Reichsbeamte verwalten lassen. Aber der Widerstand der deutschen Fürsten gegen eine solche Stärkung der staufischen Kaisermacht im Reich und die Beanspruchung aller Kräfte des Kaisers im Kampf um Italien und im Ringen mit dem Papsttum haben auch diesen letzten Versuch Friedrichs II., nördlich der Alpen wieder Fuß zu fassen, mißlingen lassen. Das Kaisertum gab seine Macht in Deutschland auf, um Italien zu gewinnen.

Münze mit dem Bildnis Friedrichs II.
[142]      Münze mit dem Bildnis Friedrichs II.
[Bildquelle: Georg Massias, Berlin.]
Früher hatten deutsche Könige Italienzüge unternommen, um sich die Kaiserkrone zu holen und durch die Beherrschung Roms und Norditaliens die kaiserliche Machtstellung und Weltgeltung des deutschen Königtums zu sichern. Das Herrschaftsstreben Friedrichs II. geht von Anfang an in umgekehrter Richtung. Von seinem sizilischen Erbreich aus hat er seine Züge nach Deutschland unternommen, um mit der deutschen Königskrone den Anspruch auf die Kaiserkrone zu erwerben und sich die Waffenhilfe der Reichsfürsten für den Kampf um Italien zu sichern. Die deutschen Fürsten hat er manchmal als die tragenden Säulen seiner Kaiserherrschaft bezeichnet; das feste Fundament aber, die Machtgrundlage seiner Kaiserherrschaft ruhte nicht mehr in Deutschland, sondern in Süditalien. Nur hier hat er wirklich als Herrscher und Staatsmann gewaltet, in Deutschland hat er nur als Politiker und Diplomat für seine außerdeutschen Ziele gewirkt und geworben. Alle staatlichen Machtmittel, die er als deutscher König allzu bereitwillig aus der Hand gab, um sich die Reichsfürsten zu verpflichten, hat er als König von Sizilien straff und unnachsichtig für die Stärkung seiner monarchischen Gewalt eingesetzt. Dieser Unterschied seines Verhaltens in Deutschland und Sizilien tritt um so schroffer in Erscheinung, weil die entscheidenden Maßnahmen hier und dort in merkwürdiger Gleichzeitigkeit erfolgen. Im selben Jahr 1220, in dem Friedrich durch die Preisgabe staatlicher Hoheitsrechte an die deutschen Kirchenfürsten die Königswahl seines Sohnes und damit sich selbst die Möglichkeit zur Rückkehr in sein Erbreich erkaufte, hat er in Sizilien durch die "Assisen von Capua" alle Güter, Rechte und Einkünfte, die der Krone seit einem Menschenalter entfremdet worden waren, bedingungslos zurückgefordert, alle Neuerungen, die seine Herrschergewalt beschränken konnten, beseitigt und die Macht des Königtums gegen alle inneren Widerstände durchgesetzt und neu gesichert. Und im gleichen Jahre 1231, als sein Sohn auch den Laienfürsten die volle landesherrliche Gewalt in ihren Gebieten einräumen mußte, hat Friedrich das große sizilische Gesetzbuch der Konstitutionen von Melfi veröffentlicht, das seinem Staat eine straff gegliederte, einheitliche, in die Zukunft weisende Verfassung gab. Alles, was dem Königtum in Deutschland an echter Staatsgewalt fehlte und seit Heinrich VI. vollends verloren gegangen war, hat sich Friedrich in seinem sizilischen Staat mit starker Hand geschaffen. Dabei konnte er gewiß an das politische Vermächtnis seiner normannischen Vorfahren anknüpfen; er konnte sich das römische Rechtsbuch [137] Justinians zum Vorbild nehmen; er konnte auch von der hierarchischen Ordnung, die sein einstiger Vormund Innozenz III. der päpstlichen Verwaltung gegeben hatte, vieles lernen. Aber im wesentlichen hat er doch aus eigener Kraft und aus klarer Einsicht in die Natur und in die Notwendigkeiten staatlichen Lebens und politischer Macht das Recht und die Verfassung seines sizilischen Staates schöpferisch, großzügig und einheitlich gestaltet. Derselbe Herrscher, der in Deutschland die Machtmittel der Staatsgewalt dem fürstlichen Lehnsadel, geistlichen und weltlichen Landesherren überließ, schuf sich in seinem Erbreich eine straff geordnete Staatsverwaltung, die jede Selbständigkeit feudaler Sondergewalten ausschloß, mit einer nur vom König abhängigen, großenteils aus nichtadligen, einheimischen Männern bestehenden, besoldeten und absetzbaren Beamtenschaft, die auf der von Friedrich gegründeten Staatsuniversität in Neapel juristisch ausgebildet wurde; mit einem zuverlässigen, schlagfertigen Söldnerheer und einer Kriegsflotte; mit sicheren und bedeutenden Staatseinkünften aus Verkehrsabgaben, Steuern und staatlichen Betrieben; und alle wirtschaftlichen, finanziellen und kriegerischen Kräfte seines Landes ließ er so streng überwachen und so einheitlich regeln, wie es kein mittelalterlicher Herrscher vor ihm vermocht hatte. Diese staatliche Neuordnung Siziliens ist weitaus seine bedeutendste Leistung. Sie hat ihm den Ruhm des Staatsschöpfers und des ersten modernen Monarchen eingetragen. Aber sie liegt weitab von den Wegen deutscher Geschichte. Schwerlich hat Friedrich [138] daran denken können, diesen schöpferischen und tatkräftigen Willen zur Staatsgestaltung jemals auch auf das deutsche Reichsgebiet auszudehnen, nachdem er selbst dort die fürstlichen Gegner jeder einheitlichen, durchgreifenden Staatsgewalt so sehr gefördert hatte. Die schwachen Ansätze zu einer Übertragung der in Sizilien gültigen Staatsordnung auf deutsche Verhältnisse, die sich in Friedrichs Mainzer Landfrieden von 1235 und später in der unmittelbaren Reichsverwaltung des Herzogtums Österreich zeigen, mußten hier unwirksam bleiben und verkümmern. Nur ein entschlossener Herrscherwille, der seine ganze Kraft auf Deutschland richtete, hätte solche staatliche Reformen vielleicht auch gegen die fürstlichen Widerstände durchführen können. Kaiser Friedrich aber wurde durch seinen Machtkampf mit dem Papsttum um Italien immer mehr von Deutschland abgelenkt.

Auch sein gewaltiges Ringen mit der Papstkirche ging nicht, wie einst der Investiturkampf, um Deutschland und die deutsche Reichskirche, sondern ausschließlich um die Beherrschung Italiens. In kirchlichen Fragen ist Friedrich den Päpsten, um sie seinen politischen Wünschen gefügig zu machen, weiter entgegengekommen als irgendeiner seiner Vorgänger. Die Mitwirkung des Königs bei den deutschen Bischofswahlen, die das Reich seit anderthalb Jahrhunderten so zäh gegen päpstliche Einsprüche verteidigt hatte, hat er nicht mehr beansprucht. Bei seiner Kaiserkrönung räumte er der Kirche und den Geistlichen weitgehende Freiheiten von weltlichen Gerichten und Steuerpflichten ein und stellte andererseits der Kirche die Machtmittel des Staates gegen Ketzer und Gebannte zur Verfügung, verhalf dem Papst zur Herstellung der Ordnung in Rom und im Kirchenstaat und wiederholte noch einmal sein Kreuzzugsgelübde; und Honorius III. hielt diese Zugeständnisse für wertvoll genug, um an Friedrich die Kaiserkrönung zu vollziehen, ohne auf seinem Verzicht auf die Herrschaft in Sizilien zu bestehen. Die lange Verzögerung des Aufbruchs zum Kreuzzug gab dann zwar dem neuen Papst Gregor IX. im Jahre 1227 den Vorwand, um den Kampf gegen Friedrich zu eröffnen und den Bann über ihn zu verhängen. Aber die wahren Gründe lagen tiefer. Gregor IX., mit Innozenz III. blutsverwandt und ihm auch an politischer Begabung ebenbürtiger als sein Vorgänger, ließ sich von Friedrichs Entgegenkommen in kirchlichen Fragen nicht blenden. Er erkannte klar, wie gefährlich dieser Kaiser der päpstlichen Macht werden mußte, wenn er von Sizilien aus Italien seiner Herrschaft unterwerfen und das päpstliche Rom von neuem umklammern würde. Er sah, daß auch der Kreuzzugsplan dem Kaiser als Handhabe und Vorwand diente, um seine Macht in Italien als der Ausgangsstellung des großen Unternehmens immer mehr zu festigen und auszubauen. Schon 1226 hatte Friedrich, um die Verbindung zwischen Süditalien und Deutschland zu sichern, die kaiserlichen Rechte in der Lombardei wieder zur Geltung zu bringen versucht. Sofort hatten sich aber die lombardischen Städte von neuem feindlich gegen den Kaiser zusammengeschlossen, und nur durch päpstliche Vermittlung war mit Rücksicht auf den bestehenden Kreuzzug die Machtprobe zwischen dem Kaiser und [139] dem Lombardenbund aufgeschoben worden. Aber Friedrichs Absicht war klar zutage getreten, und je länger er seinen Aufbruch nach dem Heiligen Land verzögerte, um so bedrohlicher steigerte sich seine Macht in Italien. Um das zu verhindern, ging Gregor zum offenen Angriff gegen den Kaiser über. Er setzte ihm unter Androhung des Kirchenbanns eine letzte Frist für die Kreuzfahrt, und als Friedrich sie nicht einhalten konnte, sprach der Papst den Bannfluch über ihn aus.

Der gebannte Kaiser ist trotzdem im Juni 1228 nach Palästina aufgebrochen. Durch kluge Unterhandlungen mit dem ägyptischen Sultan erreichte er die gütliche Überlassung der heiligen Stätten an die Christen, und in der befreiten Grabeskirche konnte er sich mit eigener Hand zum König von Jerusalem krönen. Währenddessen ließ aber Gregor IX. ein Heer in Friedrichs sizilisches Erbreich einmarschieren, um ihn an der Wurzel seiner Macht zu treffen und zu vernichten. Doch dieser Schlag ging fehl. Eilends kehrte der Kaiser zurück, brachte den Vormarsch der päpstlichen Truppen zum Stehen und nötigte Gregor nach langwierigen Verhandlungen zu einem Friedensvertrag, der zwar einzelnen päpstlichen Forderungen weit entgegenkam, im ganzen aber als eine Niederlage der päpstlichen Politik erscheinen mußte: Friedrich wurde vom Bann gelöst; die Erfolge seines Kreuzzuges, den Gregor als Piratenzug eines Gebannten verlästert hatte, wurden von der Kirche anerkannt; der Kaiser blieb, von Zugeständnissen in kirchlichen Fragen abgesehen, unbeschränkter Herr in Sizilien und konnte von dort aus seine Machtpolitik fortsetzen. Der erste große Angriff des Papsttums war gescheitert.

Aber damit war der Kampf nur vertagt, nicht geschlichtet. Je mehr sich Friedrichs Herrschaft in Süditalien festigte, je mehr er sich die deutschen Fürsten zur Gefolgschaft verpflichtete, um so entschiedener mußte sich seine Politik auf das Ziel richten, die Brücke zwischen diesen beiden Pfeilern seines Kaisertums zu schlagen, die Reichsgewalt in Nord- und Mittelitalien wiederherzustellen. Diese Politik aber führte unvermeidlich zur Todfeindschaft mit dem Papsttum – nicht aus religiösen und kirchlichen, sondern aus machtpolitischen Gründen. Gregor IX. hat sich lange bemüht, zwischen den reichsfeindlichen Städten des Lombardenbundes und dem Kaiser den Vermittler zu spielen, um zu verhüten, daß Friedrich gewaltsam das volle Übergewicht in Norditalien erlangen könnte. Als aber 1235 die lombardischen Städte in hochverräterischer Verbindung mit Friedrichs aufständischem Sohn Heinrich traten, ließ sich der Kaiser auf päpstliche Vermittlung nicht mehr ein. Mit einmütiger Zustimmung der Reichsfürsten eröffnete er den Reichskrieg gegen den Lombardenbund, und nach einem glanzvollen Sieg bei Cortenuova am 27. November 1237 glaubte er die bedingungslose Unterwerfung der Städte unter seine kaiserliche Gewalt fordern zu dürfen und auch in Norditalien wie in Sizilien ein straffes monarchisches Beamtenregiment unter Ausschaltung der städtischen Selbstverwaltung errichten zu können. Angesichts dieser kaiserlichen Erfolge und Absichten blieb dem Papsttum, wollte es sich als politische Macht in Italien behaupten und dadurch seine Unabhängigkeit retten, nichts [140] andres übrig als der Kampf gegen diesen Kaiser auf Leben und Tod. Friedrich selbst hat durch unbedachte Rücksichtslosigkeiten im Vollgefühl seiner Übermacht den Bruch vollends unvermeidlich gemacht. Nach gereizten Verhandlungen, in denen die Kurie die politischen Gründe ihrer Feindschaft durch religiöse Anklagen gegen der Kaiser zu bemänteln suchte, kam es zur offenen Kampfansage: am 20. März 1239 verhängte Gregor IX. zum zweitenmal über Friedrich den Kirchenbann.

Den Existenzkampf, der damit zwischen Kaisertum und Papsttum ausbrach, hat erst Friedrichs Tod gegen ihn entschieden. Unter Anspannung aller Kräfte hielt er während des letzten Jahrzehnts seines Lebens allen päpstlichen Angriffen und Machenschaften zäh und unüberwindlich stand. Aber mit allen Reichtümern Siziliens und den kriegerischen Kräften Deutschlands, trotz allen Machtgewinns und immer höher gesteigerter Herrscherkraft konnte er doch seinen päpstlichen Gegner nicht niederzwingen. Denn jeder Versuch, unter dem Eindruck seiner politischen und militärischen Erfolge und selbst durch das Angebot bedeutender Zugeständnisse zu einer friedlichen Verständigung mit dem Papsttum zu kommen, scheiterte an der unversöhnlichen Entschlossenheit Gregors IX. und seines Nachfolgers Innozenz IV., den Kampf gegen den Staufer bis zur Vernichtung durchzuführen. Mochte Friedrich den Kirchenstaat besetzen und den Papst selbst in Rom bedrohen, mochte er die Kardinäle und Prälaten, die Gregor 1240 zu einem Konzil nach Rom berief, unterwegs auf hoher See abfangen und in seine Gewalt bringen lassen, mochte er mit Gregors geschmeidigerem Nachfolger Verhandlungen anknüpfen und sich zu großen Opfern bereit erklären: je mächtiger er wurde, um so weniger glaubten sich die Päpste mit ihm auf eine Verständigung einlassen zu dürfen. An ihrer zähen Unversöhnlichkeit mußte alle Hoffnung auf Frieden oder Sieg scheitern. Innozenz IV. entwich aus Rom. In Lyon versammelte er 1245 ein Konzil und verkündete die Absetzung des Kaisers. Das Schicksal Ottos IV., den dreißig Jahre zuvor das Laterankonzil für abgesetzt erklärt hatte, sollte sich an Friedrich II. wiederholen. Nur fehlte diesmal ein bedeutender Gegenspieler, der den Kaiser verdrängen und ersetzen konnte wie einst der junge Staufer den Welfen. Erst nach langem Suchen fand sich der Thüringer Landgraf Heinrich Raspe bereit, die Rolle des Gegenkönigs zu übernehmen. Aber so sehr der Papst seine Einflüsse spielen ließ und sein Geld verschwendete, so heftig seine Legaten gegen den abgesetzten Kaiser wie gegen einen Ungläubigen den Kreuzzug predigten, der "Pfaffenkönig" fand unter den weltlichen Reichsfürsten doch nur geringen Anhang, und als er 1247 bereits starb, hatte der Graf Wilhelm von Holland als sein Nachfolger keinen besseren Erfolg. Da die Waffen keine klare Entscheidung brachten, steigerte sich der Kampf der Worte um so maßloser zu unerhörter Schärfe und Gehässigkeit, Verleumdung und Verhetzung. In grausigen Farben entwarf die päpstliche Partei ein Schreckensbild des Kaisers als eines Gottesleugners, Lästerers und Frevlers gegen alle heilige Scheu, eines Unmenschen voll satanischer [141] Verderbnis. Friedrich hat kaum weniger leidenschaftlich mit Anklagen gegen die Verweltlichung und die unchristliche Entartung der Papstkirche geantwortet, die religiöse Entrüstung gegen die unwürdigen, habgierigen, hochmütigen Vertreter der Kirche Christi zu wecken gesucht und die politische Anmaßung der Hierarchie als eine gemeinsame Gefahr der europäischen Staaten gebrandmarkt. Sich selbst aber hat er in feierlichen Manifesten als gottgesandten Weltenherrscher, als Friedensfürst und Kaiser der Gerechtigkeit dargestellt. Die beiden höchsten Gewalten der abendländischen Christenheit, deren Eintracht den Menschen dieser Zeit als Bürgschaft für das Heil, den Frieden, die Ordnung auf Erden galt, suchten einander in diesem entfesselten Kampf der Geister mit Verdächtigungen und Beschuldigungen zu überbieten. Keine vermochte die andere zu überwinden; beide aber erschütterten und zerstörten für alle Zeiten den Glaubensgrund in den Herzen der Völker, auf dem ihre Geltung, ihr geschichtlicher Anspruch verankert war.

Grabmal Friedrichs II.
[128b]      Grabmal Friedrichs II.
im Dom zu Palermo.

[Bildquelle: Anderson, Rom.]
Ein erreichbares Ziel, ein politisches Ergebnis dieses gewaltigen Ringens war für Friedrich kaum mehr abzusehen. Auch wenn er ganz Italien seiner Herrschaft unterworfen hätte – und daran schien nicht mehr viel zu fehlen, als er plötzlich mit sechsundfünfzig Jahren starb –, hätte das Papsttum sich gewiß nicht besiegt gegeben, sondern nur um so unerbittlicher nach der Vernichtung dieses Kaisers und seines ganzen Geschlechtes und seines übermächtigen Reiches trachten müssen, damit die päpstliche Macht in Rom wiederhergestellt und nicht mehr bedroht werde. Mit Friedrichs Tod aber brach unvermeidlich das ganze politische Gefüge auseinander, für das er gewirkt und gekämpft hatte. Denn nur seine gewaltige Herrscherkraft vermochte das ganze weite Reich, das Deutschland mit Burgund, der Lombardei und dem sizilischen Normannenstaat zur abendländischen Vormacht vereinigt hatte, noch einmal einem Willen gefügig und einem politischen Ziel dienstbar zu machen. Auch er aber hat diese Länder einstiger Germanenherrschaft, die völkisch, politisch, kulturell und wirtschaftlich so weit auseinandergewachsen waren, nicht mehr zu einer staatlichen Einheit verschmelzen und zusammenfügen können, die ihn überdauert hätte. Nur in Süditalien blieb seine Leistung als Staatsschöpfer von langer, nachhaltiger Wirkung. Den Deutschen dagegen blieb nicht sein Werk, sondern nur seine Gestalt gegenwärtig und bedeutsam, das Gedächtnis an den letzten großen Kaiser, der einst wiederkehren würde zur Erneuerung des Reiches. Er selbst aber hatte die Macht dieses Reiches für seinen Kampf mit dem Papsttum um Italien aufs Spiel gesetzt und verloren, er selbst hat auch um dieses Kampfes willen die Kräfte der Auflösung gestärkt, die den deutschen Staat mit fürstlicher Eigenmacht überwucherten. An der verheißungsvollen, in die Zukunft weisenden Bewegung aber, die das deutsche Volk damals über seine alten Grenzen hinaus in das Neuland östlich der Elbe führte, von wo dereinst der Neubau des deutschen Staates und die Wiederherstellung des Reiches ausgehen sollte, hat Friedrich II. kaum Anteil genommen. Nur symbolhaft verbindet sich der Name dieses letzten großen Kaisers des mittelalterlichen Reiches mit einer künftigen [142] Reichserneuerung. Als Friedrich im Jahre 1226 in Rimini den Hochmeister des Deutschritterordens, Hermann von Salza, die Goldbulle ausstellte, die dem Orden alle künftigen Erwerbungen und Eroberungen im heidnischen Preußenland als freien, reichsunmittelbaren Besitz übertrug und dem Ordensmeister eine reichsfürstliche Stellung zuerkannte, da konnte er gewiß nicht ahnen, daß er damit den Grundstein legte zu einem neuen Staatsgebilde, das nach Jahrhunderten neu schaffen konnte, was unter dem letzten Staufenkaiser verloren ging: die staatliche Einheit des deutschen Volkes in einem Reich. Der schwarze Adler auf Preußens Fahnen und im Wappen des neuen Deutschen Reiches stammt aus dem Reichswappen Kaiser Friedrichs II.




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