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Bd. 2: Teil 2: Die politischen
Folgen des Versailler Vertrages
C. Die deutschen Kolonien
Dr. Theodor Seitz
Gouverneur a. D., Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft
I. Erwerbung der deutschen
Kolonien
Ein starker Drang nach kolonisatorischer Tätigkeit war dem deutschen Volk
von jeher eigen. Im Mittelalter haben die Deutschen von allen Völkern des
Abendlandes die größte kolonisatorische Leistung aufzuweisen, die
Germanisierung und Christianisierung des im Laufe der Völkerwanderung
dem Germanentum verlorengegangenen deutschen Ostens. Als mit der Entdeckung
Amerikas, der Auffindung des Seeweges nach Ostindien für die
Völker des Abendlandes eine neue Ära überseeischer
kolonialer Unternehmungen eintrat, suchten sich zunächst auch die
Deutschen, wenigstens wirtschaftlich, einen Anteil an der neuen, die politischen
und wirtschaftlichen Verhältnisse des Abendlandes gänzlich
umgestaltenden Entwicklung zu sichern. Daß das nicht gelungen ist,
daß die überseeischen Unternehmungen der oberdeutschen
Großkaufleute, der Fugger, Welser u. a., sehr bald zugrunde gingen,
lag wesentlich an den damaligen innerpolitischen Verhältnissen
Deutschlands, die schließlich unter dauernden sozialen und religiösen
Kämpfen im Dreißigjährigen Krieg beinahe zur
gänzlichen politischen und wirtschaftlichen Vernichtung Deutschlands
führten. Der Versuch des
Großen Kurfürsten, sich an der
Westküste Afrikas festzusetzen, scheiterte unter seinen Nachfolgern
mindestens ebenso sehr an dem Mangel einer über den Gesichtskreis eines
deutschen Territorialfürsten hinausgehenden politischen und
wirtschaftlichen Einsicht, wie an dem Mangel an politischen Machtmitteln.
Jahrhundertelang haben sich die Deutschen damit begnügt, für den
Aufbau fremder Kolonialvölker Blutunterlagen und Kulturdünger
abzugeben. Sie waren bei der Leichtigkeit, mit der sie ihre eigne Nationalität
aufgaben, besonders beliebt als Zuchtmaterial für die Aufkreuzung
angelsächsischer
Kolonialvölker, die, wie die Verbrecherkolonien der
Engländer in Australien, einen Zuschuß besseren Blutes sehr wohl
brauchen konnten. Kein Wunder, daß man es in der ganzen Welt als eine
Anmaßung betrachtete, als diese für fremde Zwecke so brauchbaren
Deutschen, nachdem sie ihre politische Einigung erreicht hatten, auf einmal mit
dem Anspruch hervortraten, in [48] eigenen Kolonien selbständig kolonisieren
zu wollen. Natürlich stieß dieses Streben, der ganzen Veranlagung der
Deutschen entsprechend, im Innern auf ebenso großen Widerstand wie im
Ausland, zumal in der kritischen Zeit wirtschaftspolitisch die
Gedankengänge des Manchestertums herrschend waren. Wenn es der
damals nach Gründung des deutschen Reiches einsetzenden
kolonialpolitischen Bewegung gelungen ist, sich trotz alledem durchzusetzen, so
liegt das lediglich daran, daß sich Fürst Bismarck, dem
ursprünglich kolonialpolitische Gedankengänge durchaus fern lagen,
schließlich selbst überzeugen mußte, daß es, vor allen
Dingen aus wirtschaftlichen Gründen, an der Zeit sei, auch dem deutschen
Volke eine eigene kolonisatorische Tätigkeit zu ermöglichen. Aber
soviel steht ganz einwandfrei fest: der Ausgangspunkt für die neue deutsche
Kolonialpolitik lag nicht bei der Regierung, er war auch in seiner weiteren
Entwicklung frei von machtpolitischen Bestrebungen. Momente
bevölkerungspolitischer, wirtschaftlicher und kultureller Art waren die
Grundlage für die aus privaten Kreisen hervorgegangene koloniale
Agitation. Daß für die Regierung, das heißt den Fürsten
Bismarck in erster Reihe wirtschaftliche Erwägungen maßgebend
waren, beweist der erste Schritt auf dem Gebiete einer staatlichen Kolonialpolitik,
die sogenannte Samoa-Vorlage. Wie sich Fürst Bismarck ursprünglich die koloniale
Politik Deutschlands gedacht hatte, zeigt am besten seine Haltung bei
Gründung des Kongostaates. Bismarck wollte, wenn möglich unter
Vermeidung des Erwerbs eigenen Kolonialbesitzes für Deutschland, die
bisher von keiner fremden Macht mit Beschlag belegten Gebiete Afrikas und der
Südsee durch internationale Vereinbarungen dem freien Wettbewerb aller
Kulturvölker auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet vorbehalten. Erst
als er sah, daß derartige Pläne, die mit den beim heutigen
Mandatssystem in der Theorie - nicht in der Praxis der
Mandatsmächte - zugrunde liegenden Gedanken Verwandtes hatten,
angesichts der französischen und englischen Expansionsbestrebungen keine
Aussicht auf Erfolg hatten, entschloß er sich zum Erwerb eigner Kolonien.
Nur der überlegenen Politik des Fürsten Bismarck, seiner
meisterhaften Ausnützung aller Möglichkeiten konnte es gelingen, in
den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als Franzosen und Engländer
in nervösem Wettrennen die letzten noch freien Teile dieser Erde ihrem
Kolonialbesitz einzuverleiben suchten, dem Deutschen Reiche Kolonien im
Umfang von mehr als 2 900 000 qkm mit etwa 13 Millionen farbiger Bewohner zu
sichern. Natürlich wurden gegen den Wert dieses neuen deutschen
Kolonialreichs, dessen einzelne Teile über ganz Afrika und die
Südsee zerstreut lagen, Bedenken der verschiedensten Art erhoben. Den
alten Einwand, daß alle diese Gebiete als Sandwüsten oder
Sumpfnester wirtschaftlich gänzlich wertlos seien, glaubt heute angesichts
der [49] hohen Einschätzung, die sich unsre
Kolonien seitens unsrer Feinde erfreuen, wohl kein vernünftiger Mensch
mehr. Dagegen wird auch heute noch von manchen Seiten geltend gemacht,
daß alle diese Kolonien dem Bedürfnis Deutschlands in
bevölkerungspolitischer Hinsicht nicht genügen könnten. Das
ist insofern richtig, als nach dem heutigen Stande der Hygiene für die
Besiedlung mit Weißen, abgesehen von Südwestafrika, nur die
Hochländer Ostafrikas und in geringerem Umfang auch diejenigen
Kameruns in
Frage kommen können. Es darf aber nicht übersehen
werden, daß auch rein tropische Kolonien, selbst wenn sie zur Besiedlung
mit Weißen nicht geeignet sind, das Mutterland bevölkerungspolitisch
erheblich entlasten. Für Staaten, deren Gebiet in der gemäßigten
Zone gelegen ist, bedeutet die Hereinziehung rein tropischer Gebiete in ihren
Wirtschaftskörper als Rohstofflieferanten und Abnehmer von
Industrieerzeugnissen die Möglichkeit, die eigne Industrie zu erweitern und
so für eine größere Bevölkerungszahl Arbeit und
Unterhalt zu schaffen. Das heutige Deutschland ist immer noch trotz des
Geburtenrückganges in der Notlage, die einst der Reichskanzler von Caprivi
mit den Worten charakterisierte: wir müssen entweder Menschen
exportieren oder Waren. Für beides hatte unser Kolonialbesitz die
Möglichkeit geboten.
Der einzige Punkt, an dem die Kritik gegenüber dem Bismarckschen
Kolonialreich mit Recht einsetzen könnte, ist der, daß es
räumlich zu zerstreut war, dadurch die Verwaltung und Entwicklung
erschwerte und unnötig viele Reibungsflächen nach außenhin
bot. Darin konnte aber ein Vorwurf gegen die Politik des Fürsten Bismarck
nicht gefunden werden: er mußte nehmen, was ohne allzu großen
Widerstand seitens der Engländer und der Franzosen zu haben war und die
Abrundung und Ausgestaltung dieses Kolonialreichs späteren
Verhandlungen vorbehalten. Wenn die wenigen Ansätze, die in
späterer Zeit zur Abrundung unsres Kolonialreichs gemacht worden sind,
nicht zu nennenswerten Ergebnissen führten, wie z. B. der
Marokkovertrag vom Jahre 1911, so lag das nicht nur daran, daß es den
maßgebenden Regierungsstellen an Interesse für die Kolonialpolitik
überhaupt fehlte, sondern zum guten Teil auch daran, daß seitens der
kolonialpolitisch interessierten Kreise die Kolonialpolitik mehr mit dem
Gefühl als mit dem kalten Verstande geführt und jedem Versuch,
Teile des Kolonialreichs zu Umtauschzwecken zu benützen, ein
temperamentvoller Widerstand entgegengesetzt wurde. Was unter diesen
Umständen in nachbismarckischer Zeit zu unserm Kolonialreich
hinzugekommen ist, wie Samoa und die Karolinen, spielte keine Rolle. Die
Erwerbung des Pachtgebietes
von Kiautschou fällt aus dem Rahmen der
eigentlichen Kolonialpolitik heraus. Hier handelte es sich lediglich um Schaffung
eines [50] handelspolitischen Stützpunktes in China,
an eine kolonisatorische Tätigkeit, wie sie die Gebiete mit primitiver
Bevölkerung in Afrika und der Südsee erforderten, hat bei dem
uralten Kulturvolk der Chinesen sicherlich kein Mensch gedacht.
II. Entwicklung der Schutzgebiete unter deutscher
Verwaltung
Bei Betrachtung der deutschen Kolonialpolitik springt sofort eine Tatsache in die
Augen: abgesehen von der nur Verteidigungszwecken dienenden und auch
für diese gegen Angriffe einer modernen Militärmacht
ungenügenden Befestigung von Kiautschou ist in keinem der deutschen
Schutzgebiete, weder in Afrika noch in der Südsee, auch nur der Versuch
gemacht worden, militärische Stützpunkte zu schaffen und dadurch
den deutschen Kolonialbesitz machtpolitisch zu verwerten. Neben den kleinen,
kaum dem regelmäßigen Verwaltungsdienst genügenden
Polizeitruppen war eine militärische Macht überhaupt nur in drei
Schutzgebieten vorhanden. Bei Ausbruch des Weltkrieges waren vorhanden
in Kamerun eine
Schutztruppe von 175 Weißen und 1550 Farbigen, in
Ostafrika eine solche von 261 Weißen und 1900 Farbigen und in
Südwestafrika eine rein weiße Schutztruppe, die einschließlich
der Offiziere und Militärbeamten 1980 Mann stark war. Daß man mit
derartig kleinen Truppen keine Eroberungskriege führen, ja nicht einmal
Länder verteidigen kann, die wie Südwestafrika, Ostafrika und
Kamerun zusammen fünfmal so groß sind wie das Deutsche Reich vor
dem Weltkrieg, muß auch dem Blödesten einleuchten. Zahl,
Zusammensetzung und Ausrüstung der deutschen Schutztruppen waren
lediglich darauf zugeschnitten, um eventuellen Eingeborenenaufständen mit
Erfolg entgegentreten zu können. Mit Eingeborenenaufständen aber
mußten wir so gut rechnen, wie alle andern Kolonialstaaten. Wir
haben nicht mehr Kämpfe mit Eingeborenen zu führen gehabt wie die
andern Kolonialstaaten in ihren neuerworbenen Gebieten, wir haben diese
Kämpfe, wie ein Blick auf die Kolonialgeschichte der fremden Völker
zeigt, mit viel geringeren Verlusten für die Eingeborenen geführt als
Engländer und Franzosen. Man braucht nur gegenüber der
angeblichen Ausrottung der
Hereros, die heute noch, wie vor dem großen
Aufstande von 1904 neben den Ovambos der stärkste Stamm in
Südwestafrika sind, die Tatsache zu berücksichtigen, daß es der
britischen Zivilisation gelungen ist, in Südafrika die einst großen
Stämme der Hottentotten - von den Buschleuten gar nicht zu
reden - bis auf den letzten Mann zu vernichten.
Die deutsche Eingeborenenpolitik war, wie dies heute noch in viel höherem
Maße bei der englischen der Fall ist, in den einzelnen Schutzgebieten
verschieden und im Anfang unserer
Kolonialverwal- [51] tung aus Mangel an
Erfahrung auch schwankend. Aber nirgends haben im neunzehnten Jahrhundert die
christlichen
Missionen einen so großen Einfluß gehabt, wie von
Anfang an in den deutschen Schutzgebieten und in keinem Lande war die koloniale
Bewegung von Anfang an so stark mit humanitären Bestrebungen durchsetzt
wie in Deutschland. Der Kampf gegen die Sklaverei wurde in allen unsern
Schutzgebieten mit Erfolg geführt, Zwangsarbeit für private
Unternehmungen, wie sie heute noch in einzelnen fremden Kolonien besteht,
wurde nirgends zugelassen und es wäre in einem deutschen Schutzgebiet
unmöglich gewesen, daß ein entlaufener Sklave durch richterliches
Urteil zwangsweise seinem Herrn zugeführt wurde, wie es noch im Jahre
1927 in der ältesten englischen Kolonie Afrikas, in Sierra Leone, durch
Urteil eines englischen Richters geschehen ist.
Alle die Fragen, die heute theoretisch die kolonialen Kreise der Welt
beschäftigen, mit deren praktischer Lösung sich alle Kolonialstaaten
abmühen, sie haben auch in der deutschen Kolonialpolitik eine
hervorragende Rolle gespielt. Wie ist ein Ausgleich zu finden zwischen dem
primitiven Fühlen und Denken der Eingeborenen und der neuen
Gedankenwelt, die ihnen die plötzlich auf sie einstürmende westliche
Zivilisation aufdrängt? Wie ist in Verbindung damit die bisherige
Naturalwirtschaft der Eingeborenen überzuleiten in die moderne
Geldwirtschaft? Was hat an Stelle der dadurch bedingten Zersetzung der bisherigen
sozialen und staatlichen Einrichtungen zu treten, wenn ein moralisches und
soziales Chaos vermieden werden soll? Wir haben uns mit diesen Fragen gerade so
gut wie die englischen und französischen Kolonialpolitiker und neuerdings
die Theoretiker des Völkerbundes beschäftigt. Kulturell fiel der
schwierigste Teil der Aufgabe den christlichen Missionen zu. Ihre Tätigkeit
beschränkte sich nicht auf die religiöse Seite, sie haben durch
Errichtung ihrer Schulen die Grundlage für ein künftiges
Volksschulwesen unter den Eingeborenen gelegt. Daß gegenüber den
vielen Missionsschulen die staatlichen Regierungsschulen an Zahl erheblich
zurückblieben, hatte seinen guten Grund. Wenn, wie es bei den
Eingeborenen mit dem Hereinbrechen der westlichen Zivilisation der Fall war,
ungefähr alles, was bisher im Leben als fest und sicher galt, ins Wanken
gerät, kann nur eine Erziehung auf religiöser Grundlage das innere
Gleichgewicht wieder herstellen.
Aber auch die Regierung ließ es an dem Bemühen nicht fehlen, den
Eingeborenen unter den neuen Verhältnissen eine ihren Fähigkeiten
entsprechende Stellung zu scharfen. Überall wurden die Häuptlinge
und Ältesten, soweit sie irgendwie brauchbar waren, zur Verwaltung und
auch zur Rechtsprechung herangezogen. Die
Eingeborenen-Schiedsgerichte in Kamerun, mit deren Einrichtung schon der erste
Gouverneur, Freiherr von Soden, begann, waren gänzlich
unabhän- [52] gige Gerichte, deren
Rechtsprechung wohl geeignet war, das ganze Rechtsleben der Eingeborenen ohne
schroffen Bruch aus der alten in die neue Zeit hinüberzuleiten. Auch die
Franzosen haben dieser Einrichtung, die sie bei Übernahme der
Mandatsverwaltung vorfanden, ihre Anerkennung nicht versagen
können.
Im allgemeinen hat sich die deutsche Eingeborenenpolitik von Anfang an im
Gegensatz zu dem französischen System der Assimilation, das aus den
Eingeborenen lediglich farbige Franzosen machen will, an das englische System
angeschlossen, das eine Entwicklung der Eingeborenen nach ihren besonderen
Eigenschaften und Fähigkeiten nach einem höheren Typ des
Afrikaners anstrebt.
Die wirtschaftliche Entwicklung unsrer Schutzgebiete hat sich, was ja bei unsrer
damaligen Unerfahrenheit in kolonialer Verwaltung nicht zu verwundern war, in
den ersten zwei Jahrzehnten nur langsam vorwärtsbewegt. Weder die
Regierung, noch der Reichstag, noch die deutsche Wirtschaft wollten einsehen,
daß zur Entwicklung unerschlossener Gebiete zunächst viel Geld und
viel Arbeit erforderlich ist. Man wollte von allen Seiten zu rasch und ohne Risiko
Erfolge sehen. Dadurch wurde die Kolonialverwaltung zu Maßnahmen
gedrängt, die später nicht nur von ihr selbst als äußerst
hemmend empfunden, sondern auch von dritter Seite auf das Schärfste
kritisiert wurden.
Die deutschen Kolonien in Afrika waren, wie es übrigens bei fast allen
Gebieten Afrikas der Fall ist, bei dem Mangel an guten Häfen und
schiffbaren Flüssen, bei der durch Bodengestaltung, Urwald oder gar
Wüste erschwerten Zugänglichkeit des Binnenlandes einer modernen
Bedürfnissen entsprechenden wirtschaftlichen Ausnutzung nur
zuzuführen durch umfangreiche
Hafen- und Eisenbahnbauten. Weder Regierung noch Reichstag waren geneigt, die
erforderlichen Mittel zu bewilligen und so sah sich die Kolonialverwaltung
genötigt, auf das Privatkapital, zum Teil sogar auf englisches
zurückzugreifen, um auf diesem Wege gegen Gewährung von
Land- und Eisenbahnkonzessionen eine raschere Entwicklung
herbeizuführen.
Wenn die großen Konzessionsgesellschaften in den deutschen
Schutzgebieten den ursprünglich auf sie gesetzten Erwartungen nicht
entsprochen haben, so haben wir in dieser Beziehung lediglich die gleichen
Erfahrungen gemacht wie die Engländer, Franzosen und Belgier, deren
Konzessionsgesellschaften die unsern nachgebildet waren. Aber man hat bei uns
sehr bald die Folgerungen aus diesen Erfahrungen gezogen und mit dem Abbau der
großen Konzessionen begonnen. Bei Beginn des Weltkrieges war aus den
großen Landkonzessionen überall ein beschränkter Landbesitz
an unbewohntem und wirtschaftlich nicht ausgenützten Gelände
geworden. Jedenfalls ist durch diese Politik eine Beschränkung der
Ausdehnungsfähigkeit [53] der Eingeborenen vermieden worden und
niemand, der diese Fragen objektiv prüft, wird behaupten können,
daß durch die Landgesellschaften und Plantagen in den deutschen
Schutzgebieten der künftigen Entwicklung der Eingeborenen ein Riegel
vorgeschoben worden sei. Die Konzessionspolitik der Mandatsmächte geht
da, wo es ihnen gerade paßt, auch heute noch weit über die Grenzen
des deutschen Verfahrens hinaus und in der englischen Kolonie Kenya ist noch vor
kurzem, trotz der sogenannten "westafrikanischen" Theorie, die alles Land den
Eingeborenen vorbehalten wissen will, das den Eingeborenen reservierte Land
erheblich beschnitten worden. Die Wirtschaftspolitik der deutschen
Kolonialverwaltung war aber keineswegs einseitig auf Förderung
europäischer Unternehmungen eingestellt. Auch wir haben durch
Einrichtung von Versuchsgärten, Anstellung landwirtschaftlicher
Sachverständiger und andres mehr die wirtschaftliche Produktivität
der Eingeborenen nach Kräften zu fördern gesucht, aber gerade auf
diesem Gebiete kann man bei der Natur der afrikanischen Eingeborenen mit
plötzlichen Erfolgen nicht rechnen, hier ist Geduld und wieder Geduld und
intensive Arbeit erforderlich.
Auf einem Gebiet haben wir ganz zweifellos größere Erfolge erzielt
als irgendeine andre Kolonialmacht, auf dem Gebiet der Hygiene. Was die
deutsche
Wissenschaft und die deutschen Ärzte in der Bekämpfung
ansteckender Krankheiten, besonders der verderblichen
Schlafkrankheit geleistet
haben, ist unbestritten und wird heute in den unter Mandatsverwaltung stehenden
Schutzgebieten auch nicht entfernt erreicht.
Wenn in den ersten zwei Jahrzehnten unsrer Kolonialverwaltung der
wirtschaftliche Erfolg hinter den Anstrengungen zurückblieb, so lag das im
wesentlichen daran, daß Regierung und Reichstag sich nicht
entschließen konnten, für den Ausbau des Verkehrswesens die
nötigen Mittel zu bewilligen. Es ist das unbestreitbare Verdienst Dernburgs,
nicht nur das deutsche Privatkapital in höherem Maße für die
Entwicklung unsrer Schutzgebiete interessiert, sondern vor allen Dingen den Bann
gebrochen zu haben, mit dem bisher jeder Versuch einer Ausgestaltung des
Verkehrswesens durch den vom Reichsschatzamt zäh festgehaltenen
Grundsatz verhindert worden war, nach dem Verkehrsanstalten in den
Schutzgebieten nur aus Einnahmeüberschüssen gebaut, niemals aber
auf dem Wege der Anleihe finanziert werden dürften. Erst vom Jahre 1907
datiert infolgedessen die wirtschaftliche Entwicklung unsrer Schutzgebiete. Der
Wert des Gesamthandels der Schutzgebiete (Kiautschou ausgeschlossen, das als
Kolonie im eigentlichen Sinne nicht betrachtet werden kann) stieg von 58
Millionen Mark im Jahre 1900 auf 319 Millionen Mark im Jahre 1913. An
deutschem Kapital waren in den Schutzgebieten angelegt rund 500 Millionen
Goldmark. An Eisenbahnen waren bei
Be- [54] ginn des Weltkriegs im Betrieb oder unmittelbar
vor der Inbetriebstellung
in Togo |
330 km |
in Kamerun |
180 " |
in Südwestafrika |
2224 " |
in Ostafrika |
1627 " |
Der Bau weiterer Strecken war für Kamerun und Ostafrika bewilligt.
Für Südwestafrika war ein großzügiges Projekt zum
Ausbau des großen Fischflusses durch ein ganzes System von
Staudämmen und Untergrundschwellen grundsätzlich bewilligt, das
Millionen von Hektaren Land bewässert und damit kulturfähig
gemacht hätte. Bei den wichtigsten Handelsgewächsen wie
Baumwolle, Sisal, Kopra, Palmkernen, Palmöl, Kakao und Kaffee hatte sich
in wenigen Jahren der Ertrag der Ernten verdreifacht bis verzehnfacht. Dabei stand
alles im Anfang der Entwicklung. In keinem der Schutzgebiete hatten sich die
kaum fertig gestellten Eisenbahnen im Jahre 1913 voll auswirken
können.
Auch für die deutsche Währung war dieser Aufschwung der
Schutzgebiete von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Von den
Schutzgebieten, in denen die deutsche Währung eingeführt war,
nahmen Kamerun und Togo deutsches Silbergeld in steigendem Maße auf.
An der ganzen afrikanischen Westküste wurde infolge des regen Verkehrs,
der zwischen den Eingeborenen der verschiedenen Kolonien herrschte, das
Zwanzigmarkstück und die Mark ebenso willig aufgenommen wie das Pfund
Sterling und der englische Schilling. In den Tschadseeländern war das
Fünfmarkstück im Begriff, den beherrschenden Einfluß des
Maria-Theresia-Thalers mehr und mehr zu verdrängen. Ganz abgesehen von
dem Bargewinn, den das Reich bei Prägung der Silbermünzen
machte, war diese Ausdehnung des Geltungsgebiets der
Reichswährung - Ostafrika, das noch die zur Reichsmark in festem
Verhältnis stehende Rupienwährung hatte, gehörte wenigstens
indirekt zum deutschen
Währungsgebiet - wirtschaftspolitisch von stets wachsender
Bedeutung.
Ebenso war aber auch die deutsche Seeschiffahrt an der Entwicklung der
Schutzgebiete interessiert. Während im Jahre 1896 der Verkehr
Deutschlands mit seinen Schutzgebieten durch 95 Dampfer mit einer
Gesamttonnage von 92 000 Tonnen ermittelt wurde, waren es im Jahre 1913 140
Dampfer mit über 400 000 Tonnen. Natürlich versahen diese Dampfer
auch den Dienst in den benachbarten fremden Kolonien, aber erst der eigene
Kolonialbesitz hatte diese Entwicklung der kolonialen Handelsflotte
ermöglicht.
Diese ganze Entwicklung wurde durch den Weltkrieg erdrosselt.
[55]
III. Verlust der
Kolonien
Durch den unglücklichen Ausgang des Weltkriegs haben wir unsre Kolonien
zunächst verloren und zwar nicht nur politisch. Entgegen den seit
Jahrhunderten im Völkerrecht theoretisch vertretenen, durch die Haager
Konvention vom Jahre 1907 auch vertraglich festgelegten Grundsatz von der
Unverletzlichkeit des Privateigentums im Kriege wurden durch den Versailler
Vertrag in geradezu barbarischer
Weise - mit alleiniger Ausnahme von
Südwestafrika - sämtliche Deutsche aus den Schutzgebieten
vertrieben, ihr Privateigentum konfisziert, alle von Deutschen geschaffenen Werte
entweder roh vernichtet oder gewissenlos verschleudert. Es handelt sich hier um
einen Akt, der seit Jahrhunderten in der Weltgeschichte einzig dasteht und umso
ekelhafter wirkt, als er mit jener, der modernen westlichen Politik eignen
moralischen Heuchelei dadurch beschönigt werden sollte, daß man
dem verstümmelten, wirtschaftlich ruinierten Deutschen Reich die
Verpflichtung auferlegte, die Vertriebenen und Enteigneten zu entschädigen.
Was aus dieser Entschädigung in dem niedergebrochenen Deutschland
geworden, zeigt der seit Ende des Krieges geführte verzweifelte Kampf der
Geschädigten um den durch den Versailler Vertrag ihnen theoretisch und
heuchlerisch zugesprochenen Anspruch gegen das verarmte Deutsche Reich.
Dadurch kam zu dem materiellen Schaden die Vernichtung Tausender und aber
Tausender von Auslandsdeutschen, die in aussichtslosem Kampfe um eine neue
Existenz sich zermürbten.
Natürlich hat sich in Deutschland nach dem Kriege alsbald die Frage
erhoben: welchen materiellen Wert haben die verlorenen Kolonien? Von
verschiedenen Seiten wurden Schätzungen vorgenommen, deren
Höhe je nach der Art des Verfahrens verschiedene Resultate hatten. Die
zuverlässigsten Schätzungen bewegten sich um die Ziffern von 70 bis
100 Milliarden Goldmark. In Wirklichkeit läßt sich der materielle
Wert der deutschen Kolonien so wenig wie der irgendeines Neulandes mit
Bestimmtheit feststellen. Es handelt sich um Gebiete, die im Beginne ihrer
wirtschaftlichen Entwicklung stehen und jeden Tag neue Möglichkeiten
bieten, die geeignet sind, ihre Verwertung für die Wirtschaft erheblich zu
ändern. Schon auf landwirtschaftlichem Gebiete wurden und werden diese
Erfahrungen fast täglich gemacht. Man braucht nur an die erfolgreiche
Einfuhr einzelner fremder Kulturen, wie der Sisalagave in Ostafrika, des Kakaos in
Westafrika zu denken. Eine vollständige Umwälzung ist im Laufe der
Jahre in der Bewertung des Urwaldes eingetreten. Ursprünglich sah die
Kolonialwirtschaft in dem Urwald nichts als ein Hindernis für die
Urbarmachung des Landes. Nach und nach begann man mit der Verwertung
einzelner Holzarten und heute ist es bei der [56] fortschreitenden technischen Verwertung der
Holzfaser und dem Dahinschwinden der ausbeutungsfähigen Wälder
in den alten Kulturstaaten nur noch eine Frage der Zeit, wann die
europäische Industrie auf die Urwälder Afrikas zurückgreifen
muß. Damit gewinnt der afrikanische Urwald für die
europäische Industrie einen materiellen Wert, der sich heute noch gar nicht
abschätzen läßt.
Noch bedeutender aber wird für diese Industrie der Reichtum des
afrikanischen Bodens an nutzbaren Mineralien. Daß Afrika
außerordentlich reich an Mineralien ist, zeigt die Entwicklung der
letztverflossenen Jahre. Man braucht nur an das Auffinden massenhafter Diamanten in Transvaal und im Namaland, an die Platinfunde in Transvaal, an die
neuerdings festgestellten Kupfervorkommen in Rhodesien zu denken. Dabei ist das
britische Südafrika geologisch viel mehr erforscht als unsre Kolonien. Diese
weiten Gebiete sind lediglich an der Oberfläche angekratzt; daß aber
ihre Bodenschätze denen der übrigen afrikanischen Gebiete nicht
nachstehen, ist heute schon sicher. Das beweist allein schon
Südwestafrika mit
seinen Diamanten, Kupfer und Zinn. In den
übrigen deutschen Schutzgebieten waren bergbauliche Unternehmungen nur
in Ostafrika in kleinen Anfängen vorhanden, in Kamerun war die
Ausnützung der zweifellos vorhandenen Petroleumlager nach dem
Fehlschlagen eines ersten Versuches aufgegeben worden.
Ein besonderes Kapitel ist die Ausbeutung der großen Phosphatlager auf den
Südsee-Inseln Nauru und Angaur, aus denen schon in der Vorkriegszeit
jährlich Millionenwerte gewonnen wurden und deren Ertrag sich inzwischen
noch gesteigert hat.
Wenn man alle diese Momente in Rechnung stellt, so muß man zu dem
Ergebnis kommen, daß eine Einschätzung des Wertes unsrer
Schutzgebiete mit 100 Milliarden Goldmark nach unsrer jetzigen Kenntnis der
Verhältnisse sicher nicht zu hoch scheint.
Nun ist oft gesagt worden, es habe überhaupt keinen Sinn mit derartigen
unsicheren Ziffern zu operieren, wenn man den positiven Schaden feststellen
wolle, den Deutschland durch den Verlust seiner Kolonien erlitten hat, so
könne man
das - abgesehen von dem Wert der vernichteten deutschen Unternehmungen
in den Schutzgebieten - nur an Hand der Zahlen, welche die Statistik des Handels
zwischen Deutschland und seinen Kolonien ergibt und hier zeige es sich, daß
in der Gesamtwirtschaft Deutschlands die Kolonien eine minimale Rolle gespielt
härten. Dabei wird übersehen, daß die Produktions- und
Aufnahmefähigkeit unsrer Kolonien in rapidem Steigen begriffen war und
die Kolonien erst im Beginn ihrer Entwicklung standen. Das Anwachsen des
Wertes der Ein- und Ausfuhr unsrer Kolonien von 58 Millionen Mark im Jahre 1900 auf
319 Millionen Mark im Jahre 1913 spricht eine deutliche Sprache.
[57] Man kann aber auch an Hand der Jahresberichte,
die von den Mandatsmächten an die Mandatskommission des
Völkerbunds zu erstatten sind, obgleich die Statistik dieser Berichte weder
einheitlich noch klar gehalten ist, heute schon wenigstens für einige
Schutzgebiete feststellen, wie zerstörend die Losreißung der
Schutzgebiete auf unsre wirtschaftlichen Beziehungen zu Afrika gewirkt hat. Nur
ein Beispiel soll hier erwähnt werden; die Einfuhr in das Schutzgebiet
Kamerun hatte im Jahre 1913 einen Wert von 34,5 Millionen Mark. Davon kamen
Waren im Werte von 27,2 Millionen Mark, also etwa 80%, aus Deutschland. Im
Jahre 1927 wurden in den unter französischem Mandat stehenden Teil
Kameruns, dem gegenüber der kleine unter englischem Mandat stehende
Grenzstreifen wirtschaftlich ganz zurücktritt, Güter im Werte von
194,4 Millionen Franken eingeführt, davon stammten 9%, also etwa 17
Millionen Franken, aus Deutschland. Die deutsche Einfuhr ist von 80% auf 9%
gefallen. Ähnlich steht es in
Deutsch-Ostafrika, dem heute sogenannten Tanganyika, wo Deutschland an der
Einfuhr nur noch mit 11% beteiligt ist.
Umgekehrt aber ist Deutschland an der Ausfuhr der Schutzgebiete in viel
höherem Maße beteiligt. Während wir an der Einfuhr Kameruns
im Jahre 1927 nur mit 9%, d. h. 17 Millionen Franken, beteiligt waren,
betrug unser Anteil an der Ausfuhr dieses Schutzgebiets 29,6% der Gesamtausfuhr
von 160 Millionen Franken, d. h. über 47 Millionen Franken. Wir
hatten also im Jahre 1927 in unsrer Handelsbilanz mit Kamerun ein Passivum von
30 Millionen Franken. Ähnlich steht es bei den andern
Schutzgebieten, denn die deutsche Wirtschaft kann auf den Bezug tropischer
Produkte nicht mehr verzichten. Solange die Schutzgebiete unter deutscher
Verwaltung standen war es gleichgültig, ob die Handelsbilanz des Reichs
gegenüber den Schutzgebieten aktiv oder passiv war, denn der Austausch
vollzog sich innerhalb des deutschen Wirtschaftsgebiets. Heute steigert die
Passivität der Handelsbilanz gegenüber den Schutzgebieten unsre
Verschuldung an das Ausland. Man kann demgegenüber nicht geltend
machen, daß ja die Zuschüsse weggefallen sind, die das Reich vor
dem Krieg zur Verwaltung der Schutzgebiete beisteuern mußte. Diese
Zuschüsse, die übrigens im Sinken begriffen waren und sehr bald zum
größten Teil verschwunden wären, gingen der deutschen
Wirtschaft nicht verloren. Während die Schutzgebiete vor dem Kriege zur
Verbesserung der deutschen
Handels- und Zahlungsbilanz beigetragen haben, trägt ihr Verlust heute, da
wir einmal auf den Bezug tropischer Produkte angewiesen sind, dauernd zur
Steigerung unsrer Verschuldung an das Ausland bei.
Die in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg vielfach geäußerte, auch
heute noch manchmal vertretene Auffassung, der Verlust unsrer [58] Kolonien werde uns wirtschaftlichen Gewinn
bringen, weil er uns als der einzigen großen Macht, die keine
imperialistische Kolonialpolitik triebe, die Sympathien der farbigen Völker,
besonders der Eingeborenen Afrikas eingetragen habe, ist längst durch die
Tatsachen widerlegt. Primitive Völker haben im allgemeinen kein Mitleid
und noch weniger Sympathie mit dem Schwachen. Wo sich aber bei farbigen
Völkern, wie vielleicht den Chinesen, eine Sympathie gezeigt hat, da hat sie
sich nicht oder nur in verschwindendem Maße auf das wirtschaftliche Gebiet
übertragen. Den besten Beweis dafür liefert ein Vergleich der
Handelsbeziehungen Deutschlands mit denen Englands zu dem heutigen China.
Auch in Afrika haben unsre Handelsbeziehungen durch den Verlust unsrer
Kolonien und die damit angeblich erworbene allgemeine Sympathie der
Eingeborenen nichts gewonnen. Wenn manchmal behauptet wird, wir hätten
die wirtschaftliche Stellung, die wir vor dem Kriege in Afrika hatten, heute wieder
gewonnen, so ist das nicht richtig. Wir sind im Gegenteil in der Entwicklung
unsrer Handelsbeziehungen zu allen Teilen Afrikas hinter den übrigen
Kolonialmächten nicht nur absolut, sondern auch prozentual
zurückgeblieben. Der Anteil Deutschlands am Einfuhrhandel afrikanischer
Länder in Prozenten der Gesamteinfuhr stellt sich in den wichtigsten
afrikanischen Ländern in Vergleich zum Jahre 1913
folgendermaßen:
Ägypten |
1913: |
5,8%, |
1926: |
7,2%, |
1927: |
6,3% |
Algerien |
1913: |
1,1%, |
1925: |
0,3% |
|
|
Britisch-Südafrika |
1913: |
8,7%, |
1927: |
7,1% |
|
|
(Diese 7,1% aber ergeben sich nur, weil
Deutsch-Südwestafrika mit 21.5% eingerechnet
ist.) |
Goldküste |
1913: |
7,9%, |
1926: |
6,8% |
|
|
Marokko |
1913: |
7,3%, |
1926: |
0,6% |
|
|
Nigerien |
1913: |
11,3%, |
1926: |
8,4% |
|
|
Tunis |
1913: |
2,2%, |
1926: |
0,5% |
|
|
Kamerun |
1913: |
80 %, |
1927: |
9,9% |
|
|
Deutsch-Ostafrika |
1913: |
53 %, |
1927: |
11 % |
|
|
Leider ließ sich die Größe, oder besser gesagt die
Unbedeutendheit der deutschen Einfuhr in eines der wichtigsten afrikanischen
Kolonialgebiete, den belgischen Kongo, nicht feststellen. Einen Anhaltspunkt aber
gibt die Statistik über die weiße Bevölkerung des Kongostaats.
Unter den mehr als 20 000 Weißen, die im Kongostaat tätig sind,
befinden sich ganze 28 Deutsche. Nur eine einzige Kulturnation, die Türken,
sind in noch geringerer Zahl vertreten!
In ähnlicher Weise hat der Verlust unserer Kolonien zurückgewirkt
auf die deutsche Seeschiffahrt. Im Jahre 1912 wurden die Häfen
Deutsch-Ostafrikas angelaufen von insgesamt 558 Schiffen, darunter waren 530
deutsche. Im Jahre 1927 wurden die gleichen Häfen angelaufen von 400
Schiffen, darunter waren 36 deutsche.
[59] Ein Moment wird bei der Beurteilung des
Verlustes unserer Kolonien fast immer übersehen: das
währungspolitische. Je größer ein Wirtschaftsgebiet ist, je
besser sich seine einzelnen Teile durch ihren Vorrat an Nahrungsmitteln und
Rohstoffen auf der einen Seite, ihre Aufnahmefähigkeit an industriellen
Erzeugnissen auf der anderen Seite ergänzen, um so leichter wird es sein,
für einen solchen Wirtschaftskörper eine unabhängige, stabile
Währung zu erhalten. Daß es den Franzosen
verhältnismäßig leicht geworden ist, ihre so stark ins Wanken
geratene Währung in kurzer Zeit zu stabilisieren, verdanken sie zum Teil
ihren rohstoffreichen, aufnahmefähigen Kolonien.
Neben der wirtschaftlichen muß aber auch die kulturelle und politische Seite
der Frage berücksichtigt werden.
Kulturell haben wir in erster Linie die Möglichkeit verloren, an einer der
größten Aufgaben unserer Zeit, der Eingliederung der primitiven
Völker Afrikas und der Südsee in die moderne, sogenannte westliche
Zivilisation, als Volk mitzuarbeiten. Dieser Ausschluß Deutschlands hat aber
auch schwerwiegende Rückwirkungen auf unser ganzes Geistesleben. Wir
waren bisher nicht zum wenigsten durch die Arbeiten gelehrter deutscher
Missionare führend auf dem Gebiete der afrikanischen Sprachforschung; ob
wir uns diese Stellung trotz des Entgegenkommens einzelner vorurteilsloser Kreise
Englands noch lange erhalten können, erscheint sehr zweifelhaft. Auch die
geographische und geologische Forschung hat bereits schwer gelitten unter dem
Verlust unserer Kolonien. Am empfindlichsten aber macht sich der Verlust
fühlbar für die Forschung auf medizinischem und hygienischem
Gebiet. Wohl hat die deutsche Wissenschaft auf Grund der Vorkriegsarbeiten noch
schöne Resultate auf diesem Gebiete erzielt: es sei nur an das Germanin
erinnert. Aber gerade hier hat sich die kleinliche Eifersucht unserer einstigen
Kriegsgegner am schärfsten gezeigt. Deutsche Ärzte und Forscher
werden in die unter Mandatsverwaltung stehenden Schutzgebiete nicht
hereingelassen, obgleich Deutschland längst Mitglied des
Völkerbundes ist. Eine ganze Reihe von deutschen wissenschaftlichen
Untersuchungen, die beim Beginn des Weltkriegs abgebrochen werden
mußten, können nicht wieder aufgenommen werden. Ob darunter die
Wissenschaft als solche leidet, ob sich daraus die größten Nachteile
für die Eingeborenen ergeben, ist für die Mandatsinhaber ganz
einerlei. Es handelt sich für sie lediglich darum, den Deutschen die
Möglichkeit zu nehmen, auch jetzt noch durch selbständige Arbeit
den Beweis ihrer kolonisatorischen Fähigkeit zu erbringen. Getroffen wird
dadurch aber nicht nur die deutsche Wissenschaft, sondern die Wissenschaft als
solche.
Und nun zum letzten Moment, dem politischen. Es wäre töricht, zu
leugnen, daß der Verlust der Kolonien machtpolitisch für
Deutsch- [60] land ein schwerer Schlag
war. Aber das machtpolitische Moment ist nicht ausschlaggebend. Viel schwerer
fällt ins Gewicht, daß durch den Verlust der Kolonien den Deutschen
eine Möglichkeit politischer Schulung genommen wurde, die
Engländer und Franzosen durch die Tätigkeit in ihren Kolonien
gegeben wird. Keine Kolonie von irgendwelcher Bedeutung kann heute rein
bürokratisch verwaltet werden. Auch in den deutschen Kolonien war die
Bevölkerung - die weiße, und in beschränktem Umfang
auch die farbige - zu den Aufgaben der Verwaltung herangezogen. In fast allen
Schutzgebieten war eine mehr oder minder ausgestaltete Selbstverwaltung mit
Gemeinde- und Bezirksvertretungen sowie einem Gouvernementsrat vorhanden. In
Südwestafrika waren dem Landesrat gewisse Materien nicht nur zur
Beratung, sondern zur Beschlußfassung überwiesen, so daß die
Ansätze einer Selbstregierung gegeben waren. Hier war ein neues deutsches
Staatswesen in Bildung begriffen, in dem sich ein selbständiges politisches
Leben entwickelte. Ein neuer Zweig des deutschen Volkstums war im Entstehen
begriffen, dessen politische Entwicklung frei war von in der Vergangenheit
wurzelnden parteipolitischen Vorurteilen und Dogmen. Die Wechselwirkung der
geistigen und politischen Strömungen in Kolonie und Heimat macht sich auf
die Dauer auch in der Heimat geltend. Die englische Geschichte zeigt seit
Jahrhunderten eine Reihe bedeutender Politiker, die ihre Lehrzeit in den Kolonien
durchgemacht hatten und diesem Umstand ist es nicht zum geringsten zu
verdanken, daß England bisher alle politischen und sozialen
Umwälzungen verhältnismäßig leicht innerlich
verarbeitet hat, daß das innerpolitische Leben Englands so ungleich
elastischer ist als das deutsche. Diese Möglichkeit der politischen Schulung
unter neuen, von den heimatlichen ganz verschiedenen Verhältnissen, wurde
uns durch den Verlust unserer Kolonien genommen. Sie kam aber nicht nur den
Beamten, sondern allen an der Selbstverwaltung in den Kolonien beteiligten und
interessierten Deutschen zugute. Wie rasch sich in den Kolonien das
Verständnis und Interesse am politischen Leben entwickelt, zeigt der Kampf
der deutschen Südwestafrikaner um ihre nationale und kulturelle
Selbständigkeit.
Nur wer alle diese Momente berücksichtigt, wird den Verlust unsrer
Kolonien voll zu würdigen wissen und begreifen, daß ein großes
Volk mit innerer Notwendigkeit dahin getrieben wird, in irgendeiner Weise diesen
Verlust wieder gut zu machen. Die Politik ist die Kunst des Möglichen.
Wenn es auch angesichts der gewaltigen Umwälzungen, die uns das letzte
Jahrzehnt auf allen Gebieten, nicht nur dem eigentlich politischen gebracht hat,
schwer ist, die Grenze des Möglichen für eine größere
Zeitspanne zu ziehen, so muß doch die praktische Politik von den gegebenen
Tatsachen und Machtverhältnissen
aus- [61] gehen. Die Grundlage für unsre
Beziehungen zu unsern Kolonien ist heute das Mandatssystem. Es ist oben schon
erwähnt worden, daß dieses Mandatssystem wenigstens theoretisch
Anklänge hat an Gedankengänge, von denen einst Fürst
Bismarck ausgegangen ist. Und es gibt in der Tat nicht nur in Deutschland eine
Richtung, die in dem Mandatssystem nur den ersten Ansatz für die
Internationalisierung aller Kolonien, zunächst der afrikanischen, sieht. Die
praktische Politik der Mandatsmächte aber geht andere Wege. Sie hat von
Anfang an durch die sogenannten Mandatsstatute, d. h. die von den
Mandataren sich selbst für die Verwaltung unsrer Kolonien gegebenen
Instruktionen, den Charakter des Mandats wesentlich verwässert und den
Weg zur Annexion geebnet. Zerreißung der einzelnen Schutzgebiete, ihre
Verteilung an verschiedene Mandatsmächte, verwaltungstechnische und
wirtschaftliche Verschmelzung dieser Teile mit benachbarten fremden Gebieten
sollen die Einheitlichkeit der Schutzgebiete als staatliche Gebilde vernichten und
eine Wiederherstellung ihrer Selbständigkeit unmöglich machen, alles
unter angeblicher Wahrung des Mandatscharakters. Den entscheidenden Schritt
haben die Engländer mit dem sogenannten
Hilton-Young-Bericht getan, der
Deutsch-Ostafrika einem neuen englischen Staatgebilde einverleiben soll. Hier
liegt die nächste praktische Aufgabe der deutschen Politik. Wir stehen vor
einem Wendepunkt in der gesamten Kolonialpolitik. Nimmt der
Völkerbund, und mit ihm Deutschland, den von den Engländern
geplanten offensichtlichen Bruch des Art. 22 der
Völkerbundssatzung hin,
so ist das ganze Mandatssystem zu Grabe getragen, der Traum einer
Internationalisierung Afrikas ist wieder einmal zu Ende und gesiegt hat das die
englische Kolonialpolitik seit ihrer Geburt beherrschende Prinzip der brutalen
Macht.
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