[55] IV. Die wichtigsten Rohstoffe und ihre Quellen (Forts.) 2. Sonstige Faserstoffe Bildet die Baumwolle den unentbehrlichen Grundstoff für alle Zweige der Textilindustrie, die Garne oder Gewebe für Bekleidungsstoffe aller Art herstellen, so verbrauchen andere Zweige dieser Industrie für ihre Zwecke Hanf oder hanfartiges Rohmaterial. Dazu gehören vornehmlich die Bindegarnindustrie, die Seilerei, die Tauwerk- und Netzindustrie, die Jutespinnerei und ‑weberei, in gewissem Sinne auch die Papierindustrie und das Tapezierergewerbe. Die für diese Zwecke benötigten Faserstoffe sind fast ausschließlich ausländischen Ursprungs, und ihre Einfuhr ist, wie die nachstehende Übersicht zeigt, sehr beträchtlich. Wir stellen die Einfuhrzahlen des letzten Friedensjahres und der drei letzten Kalenderjahre einander gegenüber:
Es zeigt sich auch hier, daß die Einfuhr der Nachkriegszeit mengenmäßig in den Jahren 1923 und 1924 weit hinter der des letzten Friedensjahres zurückstand und auch 1925 noch nicht zwei Drittel des letzteren betrug, während ihr Wert den der Friedenseinfuhr erreichte. Auch hier also, wie bei Baumwolle, besteht eine ungenügende Versorgung bei gleichzeitiger Verteuerung. Weiter aber läßt sich erkennen, daß innerhalb der vom Ausland bezogenen Faserstoffe die überseeischen an Bedeutung ganz außerordentlich gewonnen haben, während die kontinentalen Ur- [56] sprungs, Flachs und Hanf, erheblich zurückgetreten sind. Faßt man die beiden Gruppen zusammen, so ergibt sich, wieder in 1000 t ausgedrückt, folgendes Bild der Einfuhr:
Während also 1913 erst rund 53 v. H. der eingeführten Faserstoffe, der Menge nach, aus überseeischen Gebieten stammten, waren 1924 rund 77 v. H., 1925 rund 81 v. H. kolonialen Ursprungs. Unter den letzteren hat die Jute, die fast ausschließlich aus Britisch-Indien kommt, die Hauptbedeutung erlangt; um ein Viertel höher als im Frieden ist die Einfuhr von Manilahanf, mehr als viermal so hoch die von Sisal. Der erstere wird nach wie vor bis auf wenige Tonnen von den Philippinen bezogen. Sisal kam 1913 zu mehr als zwei Dritteln der Gesamtmenge aus Deutsch-Ostafrika. Heute liefert mehr als die Hälfte der Sisaleinfuhr Niederländisch-Indien, ein weiteres Drittel Britisch-Ostafrika. Es entspricht unserer Rohstoffnot, daß eine Ausfuhr unbearbeiteter Faserstoffe im Gegensatz zum Frieden heute so gut wie gar nicht mehr stattfindet. Es wurden ausgeführt (in 1000 t):
Die steigende Bedeutung der kolonialen Faserstoffe und die Monopolstellung, die ihre wichtigsten Erzeugungsgebiete gegenüber Deutschland hatten, zeitigten Bemühungen, unsere überseeischen Besitzungen auch zu ihrer Erzeugung auszunutzen. Das ist vor allen Dingen in Deutsch-Ostafrika geschehen, und zwar durch die Kultur der Sisalagave. Schon 1893 wurden Versuche mit der Agavenkultur gemacht, und 1898 wurde der erste Sisalhanf dort geerntet. Die Kulturen machten gute Fortschritte und stellten schließlich die hoffnungsreichste Plantagenkultur dieses Schutzgebietes dar. Die Ausdehnung der Pflanzungen läßt sich aus folgenden Zahlen ablesen:
Es zeigte sich, daß der ostafrikanische Sisalbau nicht nur schnell steigende Erträge, sondern auch qualitativ ausgezeichnete Ergeb- [57] nisse lieferte, so daß sein Produkt in mancher Hinsicht dem teureren Manilahanf überlegen war. Seine Bruchfestigkeit und seine Elastizität waren höher, so daß Sisal für die Herstellung von Tauwerk und Bindegarn nicht nur von der deutschen, sondern auch von der ausländischen Industrie bevorzugt wurde. Es ist bereits früher erwähnt, daß zwei Drittel des deutschen Bedarfes aus Ostafrika gedeckt wurden, während der Yukatan-Sisalhanf, der früher der deutschen Industrie fast allein zur Verfügung stand, sein Feld verlor. Die Ausfuhr von Sisalhanf aus Deutsch-Ostafrika stieg schnell und betrug
Der Ausfuhrwert für 1913 stellt rund 30 v. H. der gesamten Ausfuhr des Schutzgebietes dar. Eine andere Faserpflanze, deren Anbau – wiederum in Ostafrika – mit Erfolg unternommen wurde, ist der Kapok, ein Baum, der in seinen Fruchtkapseln sehr weiche Fasern birgt, die als Kissenfüllung unter dem Namen "Pflanzendaunen" bekannt sind. Er hat die wertvolle Eigenschaft, sehr leicht und schwimmfähig zu sein, und über trifft in dieser Hinsicht den Kork. Man hat ihn daher in neuerer Zeit vielfach zur Herstellung von Schwimm- und Rettungsgürteln benutzt. Aus Ostafrika war zum erstenmal im Jahre 1909 ein Posten Kapok von 18 Tonnen ausgeführt worden. Die Beachtung, die ihm geschenkt wurde, hat zu einer plantagenmäßigen Kultur dieser Pflanze geführt. Bereits im Jahre 1911 waren 694 ha damit bebaut; 1913 war die Anbaufläche auf 2632 ha, davon 641 ha ertragsfähig, gestiegen. Zur Ausfuhr gelangten:
In Togo waren Ansätze zur Kultur von Sisal und Kapok in den letzten Vorkriegsjahren ebenfalls vorhanden. Zur Klärung der Sortenfrage, die auch hierbei vor allem wichtig ist, wurden von den Regierungslandwirten und den Stationen eingehende Untersuchungen vorgenommen, ebenso war die Saatgutverteilung [58] an die Eingeborenen bereits eingeleitet worden. Inwieweit diese Kulturen in Togo zu Ergebnissen hätten führen können, hat sich durch den Ausbruch des Krieges nicht mehr feststellen lassen. An den Faserbau in Ostafrika aber war die Erwartung zu knüpfen, auf dem Wege der Eigenproduktion zu einer Erleichterung der Versorgungsmöglichkeiten unserer Industrie zu gelangen. In sämtlichen deutschen Tropenkolonien waren im übrigen Faserstoffe, wie z. B. Kokosfaser (Coir), Piassave usw., die für die Industrie ebenfalls unentbehrlich sind, reichlich vorhanden.
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