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Bd. 10: Das Deutsche Reich
und die Vorgeschichte des Weltkrieges, Zweiter Teil


Hermann Oncken, ord. Professor an der Universität Berlin

Kapitel 1: Das Deutsche Reich
unter Kaiser Wilhelm II. (1890 - 1909)
  (Forts.)

1. Kaiser Wilhelm II. und die Anfänge des neuen Kurses.   (Forts.)

Die politische Atmosphäre Europas war durch den Rücktritt Bismarcks auf das tiefste bewegt. Man hat wohl gesagt, Bismarck habe tatsächlich die Politik aller Staaten gemacht. Der Dirigent im Orchester war verschwunden, das von allen gefühlte unsichtbare Übergewicht nicht mehr vorhanden. Insofern waren alle Kabinette, ob freundlich oder feindlich, von einem Gefühl der Erleichterung [385] berührt - irgendwie hatten sie die Überlegenheit seines Rates, seines Ja und Nein empfunden, und sie hätten nicht sie selber sein müssen, wenn sie die Befreiung ihrer politischen Autonomie von der Last des Genius in ihrer Mitte nicht begrüßt hätten. Auch die Männer des neuen Kurses selbst unterlagen wohl der Stimmung, daß sie die Epoche der genialen Aktion als abgeschlossen zu betrachten und die Nation in ein Alltagsdasein zurückzuführen hätten - als neue Leute hatten sie zunächst einmal Vertrauen zu erwerben, denn ihre Namen waren den europäischen Kabinetten fast unbekannt. Der neue Reichskanzler General von Caprivi war eine einfache, klare, willenskräftige Natur, einer der besten Männer des Heeres - Bismarck würde ihn als den besten Generalstabschef und Nachfolger Moltkes begrüßt haben. Aber er war ein Mann ohne jede außenpolitische Erfahrung und ohne die besonderen Fähigkeiten, die in den außenpolitischen Geschäften unerläßlich sind. In Caprivi war die spezifisch militärische Dienstauffassung eher noch stärker ausgebildet als in anderen Generalen. Auch in militärischen Kreisen galt er als ungewöhnlich eigenwillig; Moltke hatte von seinem Zusammenarbeiten mit dem Kaiser nur die Vorstellung von zwei Kieselsteinen, und Bismarck nahm sogleich an, daß sein Nachfolger keinen höheren Einfluß auf Wilhelm II. gewinnen würde. Im Besitze der besten Tugenden, die der militärische Dienst erzeugt, hatte er nicht das Charisma des Staatsmannes, ja er fand zunächst, wie seine erste Rede nach dem Amtsantritt im Bundesrat zeigt, mit Mühe den Ton. Wenn Bismarck ihm vorwarf, daß er nicht einmal das Bedürfnis zu einer Aussprache mit seinem Vorgänger gehabt habe, so waren es vielleicht gerade die Umstände, unter denen Bismarck aus dem Amte schied, die seiner militärischen Denkweise einen solchen Schritt verboten.

Die außenpolitische Dienstfremdheit Caprivis wog um so schwerer, als mit dem Ausscheiden Herbert Bismarcks, den der Kaiser vergeblich zu halten versuchte, die große Tradition im Auswärtigen Amte überhaupt abriß. Der neue Staatssekretär Freiherr von Marschall, bis dahin badischer Gesandter und Vertreter im Bundesrat, verfügte keineswegs über eine Erfahrung in der großen Politik; daß seine Laufbahn auch sein Talent eines Tages zur Reife bringen werde, war noch nicht vorauszusehen. Das Nebeneinander Caprivi - Marschall schuf also eine ungewöhnliche Situation, die zwangsläufig dazu führte, daß dem Kaiser keine verantwortliche, tiefere Sacherfahrung in der Außenpolitik lebendig gegenüberstand und daß infolgedessen ein Subalterner einen dominierenden Einfluß gewann.

Die Laufbahn des Barons von Holstein ist nur aus dieser Konstellation zu erklären. Er beherrschte seit Jahrzehnten die Geschäftsroutine in vollem Umfange, ein Mann von Arbeitskraft, Energie und Klugheit, der durchaus die Schule verriet, die ihn gezeugt hatte. Einen staatsmännischen Charakter im höheren Sinne hatte er nicht ausbilden können, weil er von den verantwortlichen Entschließungen immer entfernt blieb und ihnen lieber aus dem Wege ging; ja [386] er war ein Menschenalter so verwendet worden, daß er in den Niederungen der großen Politik eher zu Hause war, als auf ihren Höhen. In dem Krisenjahre Bismarcks bezeichnete Waldersee (den er im stillen mit Nachrichten versorgte) ihn als einen der ersten Fahnenflüchtigen: man hat doch den Eindruck, daß er in diesen Monaten im Auswärtigen Amte eine ähnliche Rolle gegen Bismarck spielte, wie einst im Dienste des Reichskanzlers gegen Arnim in der Pariser Botschaft. Zuerst gab er auf der ganzen Linie der außenpolitischen Willensbildung, die von ihm, dem Erfahrensten der Räte, bis zum Kaiser reichte, den Ton an.33 Daß er im weiteren Verlaufe auch gegenüber dem Kaiser, um die Einheitlichkeit des Außendienstes gegen persönliche Durchkreuzung zu sichern, die Sachlichkeit seiner Ziele mit allen Mitteln vertreten hat, soll schon hier zugegeben werden, aber auch diese Bestrebungen führten ihn wieder auf die Benutzung unterirdischer Wege, die immer mehr zu seiner Natur wurde. So war die Außenpolitik des Deutschen Reiches, bisher durch ein unvergleichliches Maß monarchischer Willenskonzentration geleitet, fortan eher gewissen Zufälligkeiten der Willensbildung auf einem längeren Dienstwege ausgesetzt. Und da nun Bismarck selbst, statt in der schweigenden Korrektheit des entlassenen Ministers zu verschwinden, bald begann, jede Rücksicht beiseite setzend, die einzelnen Schritte der Außenpolitik mit einer laufenden Kritik zu begleiten, so bildete sich ein Zustand heraus, der den neuen Männern die Sicherheit der Hand nicht erhöhte.

Fürst Bismarck nach der Entlassung in Friedrichsruh.
[400a]      Fürst Bismarck nach der Entlassung in Friedrichsruh.

Man begreift, daß Caprivi hohen Wert darauf legte, sich zu einer einfachen, klaren und loyalen Politik zu bekennen - womit er mehr die Bedürfnisse seiner eigenen Natur kennzeichnete, als den Schwierigkeiten der Lage gerecht wurde. Als wenn die Kompliziertheit, die man an der diplomatischen Technik Bismarcks tadelte, nicht auch - wie wir gesehen haben - in den Dingen selber gelegen hätte -, als wenn die einfache Linie jetzt leichter als vordem gewesen wäre. Sie war eher erschwert durch das Ausscheiden Bismarcks: in Wien, wo man unter Kálnokys Leitung so lange sich in engster Fühlung mit Berlin gehalten hatte, wurde man sich bald bewußt, daß man an Geltung im Dreibunde und in Europa gewonnen hatte; in Rom schien das Ansehen Crispis eher vermindert dadurch, daß die Gestalt Bismarcks nicht mehr hinter ihm stand; in den gegnerischen Lagern aber war das Selbstbewußtsein automatisch im Wachsen.

Nun sollte ein merkwürdiges Verhängnis den neuen Kurs in der Stunde seiner Geburt sogleich vor seine schwerwiegendste Entscheidung stellen. Mitten in der Kanzlerkrisis hatte Bismarck die Erneuerung des Rückversicherungsvertrages eingeleitet. In einer Besprechung mit Schuwalow am 10. Februar hatte er den [387] Botschafter dazu gebracht, die Erneuerung des Rückversicherungsvertrages in Petersburg zu empfehlen.34 Wir dürfen annehmen, daß Bismarck auch beim Kaiser eine förmliche Ermächtigung zur Verhandlung erwirkt hat.35 Am Tage vor der Entlassung des Kanzlers, am 17. März morgens, war Schuwalow endlich mit der Ermächtigung des Zaren zurückgekehrt, den russisch-deutschen Gehemivertrag - und zwar unter Wegfall des geheimen Zusatzprotokolls - auf sechs Jahre zu verlängern. Er hatte sofort den Reichskanzler von seinem Auftrage in Kenntnis gesetzt. Der Botschafter hatte von Bismarck - der vielleicht in dieser Stunde schon das kaiserliche Handbillett wegen der Kiewer Berichte in Händen hielt - die Klage vernommen, daß man ihn wegen seiner russophilen Politik angreife; jedenfalls fühlte er sich mitten in das Endstadium der Krisis hineingeraten und sah sich keiner verantwortlichen Instanz gegenüber, mit der er die Verhandlung zu Ende führen könne; somit hielt er es für richtig, in Petersburg eine ausdrückliche Entschließung für den Fall der Entlassung Bismarcks zu erbitten. Über diese Verzögerung verständigte er am 19. März auch den Grafen Herbert Bismarck; dieser war geneigt, noch mehr als ein nur formal geschäftliches Hindernis herauszuhören, und meldete dem Kaiser anderntags den Vorgang in der Form, als ob der Zar auf den Vertrag verzichtet hätte. Kaiser Wilhelm beeilte sich, auf diese Meldung sofort sein Einverständnis mit der Erneuerung des Vertrages auszusprechen und den Staatssekretär zur Mitteilung an Schuwalow zu ermächtigen.36 Ja, er ließ noch in der Nacht den Botschafter für den andern Morgen um 8 Uhr zu sich bitten, um ihm seine Bereitwilligkeit in aller Form zu eröffnen; im Eifer des Gefechts identifizierte er sich völlig mit dem Geheimvertrage, es sei ja nicht die Politik [388] Bismarcks, es sei die seines Großvaters und die seinige geblieben.37 Schuwalow bestätigte ihm, daß er nur wegen der Kanzlerkrisis die Verhandlung unterbrochen und um neue Instruktion gebeten habe. So erschien der Kaiser, vielleicht ohne sich der Tragweite seines Impulses ganz bewußt zu sein, als die Verkörperung der Kontinuität. Alles war gesichert: in den nächsten Tagen wiederholte der Zar erfreut sein Einverständnis und stellte am 25. März neue Instruktionen für den Vertrag (ohne das geheime Zusatzprotokoll) aus. Der Abschluß schien nur noch eine Sache der Form.

Aber inzwischen war im Auswärtigen Amt die Entscheidung gegen die Erneuerung des Rückversicherungsvertrages ausgefallen - gegen die Politik Bismarcks, aber auch gegen den Kaiser, der schon sein Wort für ihre Fortsetzung verpfändet hatte. Am 23. März fand bei dem Reichskanzler Caprivi eine Besprechung statt, an welcher der Unterstaatssekretär Graf Berchem und die Geheimräte von Holstein und Raschdau teilnahmen, und ihr Ergebnis stürzte das Begonnene über den Haufen.38

Die Argumente gegen die Erneuerung fielen keineswegs leicht ins Gewicht. Unter den Erlebnissen der letzten drei Jahre hatte Bismarck sich keinen Illusionen über die Wirksamkeit des Vertrages hingegeben; selbst ein Mann wie Schweinitz hatte es im November 1889 Bismarck gegenüber für fraglich erklärt, ob die Verlängerung vorteilhaft sein würde, da sich der Vertrag in den wirklich kritischen Momenten doch nicht geltend gemacht habe und fast in Vergessenheit geraten sei.39 Von diesem Zweifel an der Wirksamkeit des Vertrages ging Holstein, der schon länger der Wortführer der Kritik war, aus. Dazu gesellte sich eine noch ernstere Erwägung: Ob dieser Vertrag mit dem Wortlaut und Geist der übrigen Bündnisverträge vereinbar sei? Man muß zugeben, daß man darüber verschiedener Meinung sein konnte; wenn auch die heutige völkerrechtliche Fachkritik Punkte beanstandet, die damals keine Rolle spielten, und an Punkten vorbeigeht, die damals (Vereinbarkeit mit dem rumänischen Vertrage) den Ausschlag gaben. Die neuen Leute, zumal wohl die gradlinige und militärische Natur Caprivis, scheuten sich, mit einem zweideutigen Spiel ihre Geschäftsführung zu belasten und dadurch die Festigkeit des Dreibundes zu gefährden. Man unterlag der allgemeinen Empfindung, daß das komplizierte Spiel mit den fünf Kugeln nur von der überragenden Persönlichkeit des Fürsten Bismarck habe gespielt werden [389] können, aber von anderen Händen unmöglich mit einer Aussicht auf Erfolg fortzusetzen sei.40

Der politische Kern dieser Abneigung war: man wollte den zügelnden Druck auf die österreichische Orientpolitik, der ein wesentlicher Bestandteil der Gesamtpolitik Bismarcks gewesen war, nicht mehr ausüben - jedenfalls den Russen die Ausübung eines solchen Druckes nicht mehr vertraglich zusichern. Man fürchtete - und hier klingen die Erlebnisse der Jahre 1887 und 1888 erkennbar nach - auf diesem Wege äußerstenfalls zur Preisgabe Österreichs genötigt werden zu können.41 Caprivi wollte den Draht nach Petersburg darum nicht abreißen lassen, sondern suchte ihn insoweit zu erhalten, als er ihm nicht den Strom aus denjenigen Leitungen nehme, die seine Politik mit Österreich und Italien verbanden.42 Aber waren Zeit und Umstände für eine so kunstvolle Umleitung günstig?

Die Hauptsache des Rückversicherungsvertrages war - nach einem Worte Schuwalows - nicht der spezielle Vertragsinhalt, der vielleicht niemals praktisch wurde,43 sondern die Verstärkung der Gesamtbeziehungen beider Staaten gewesen. Ein Vertrag von einem solchen Charakter mußte den Russen sogar noch wertvoller erscheinen in einem Augenblick, wo in Berlin neue Männer die Erbschaft des Fürsten Bismarck übernahmen. Dieses gestiegene Bedürfnis nach Sicherheit und Vertrag wurde in Berlin nicht genügend gewürdigt. Man sagte sich nicht, daß nach der Zusage des Kaisers vom 21. März eine ihr fast auf dem Fuße folgende Desavouierung der Nichterneuerung des Vertrages eine ganz andere grundsätzliche Bedeutung geben und die entsprechenden Schlußfolgerungen in Petersburg nach sich ziehen würde: auf diese Stelle, möchte man sich vorstellen, würde Bismarck den Finger gelegt haben. Aber man sieht nirgends, daß in der Beratung die - auch für den Russen verwendbare - Tatsache der Zusage vom 21. März eine Rolle gespielt hätte. Gewiß war die Funktion des Vertrages nur allgemeiner und begrenzter Natur gewesen. Aber eine Leistung hatte er aufzuweisen, die Riegelstellung, die Rußland und Frankreich voneinander entfernt gehalten: wenn man jetzt in Berlin gegen die Schriftlichkeit soviel Bedenken hatte, mußte man sich doch sagen, daß das Schriftliche zwischen Berlin und [390] Petersburg bisher etwas Schriftliches zwischen Petersburg und Paris verhindert hatte. Wenn Caprivi es bei seinem Amtsantritt vermied, den Rat seines Vorgängers in Anspruch zu nehmen, so vermißt man am schmerzlichsten, bei seinem Mangel an zureichender Sachkenntnis, an dieser Stelle Aussprache und Fühlung. Ob man sich aber verstanden hätte? Je souveräner Bismarck Vater und Sohn im letzten Kampfstadium sich mit dem Rückversicherungsvertrage identifizierten, um sich in der Macht zu halten, desto eifriger versteiften sich die Erben der Macht auf den entgegengesetzten Standpunkt, und in ihre sachlichen Argumente mischte sich hier und da ein menschliches Motiv. Caprivi konnte allerdings für sich anführen, daß der in diesen Tagen eintreffende Botschafter von Schweinitz sich mit seiner großen Autorität den Bedenken des Auswärtigen Amtes anschloß: in seiner Gegenwart hielt er am 28. März den entscheidenden Vortrag vor dem Kaiser. Aber wir wissen auch von Schweinitz, daß er - bei aller kritischen Haltung gegenüber dem Vertrage - doch zugleich aus dem taktischen Grunde schwieg, weil er durch seinen Einspruch den neuen Reichskanzler bei der ersten Aktion gestürzt haben würde - also auch hier ein persönlicher, unsachlicher Unterton. So bleibt nur noch die Frage, weshalb der Kaiser seine am 21. März eingenommene Position so rasch preisgegeben hat. Er konnte tatsächlich nicht anders, als dem Drucke, um nicht zu sagen, Ultimatum seines neuen Beraters nachgeben: es sei unmöglich gewesen, so hat er selbst fünf Jahre später dem Grafen Schuwalow gestanden, innerhalb von 24 Stunden eine neue Ministerkrise heraufzubeschwören.44 Daß er immerhin mit gemischten Empfindungen am 29. März im Sinne Caprivis entschied, scheint doch aus seiner Wendung hervorzugehen: "Nun dann geht es nicht, so leid es mir tut." Erst später hat die erfolgte Entscheidung jede Erinnerung an die Vorstadien ausgelöscht, und die irrige Meinung in ihm vertieft, als ob er Bismarck um des Rückversicherungsvertrages willen entlassen habe.45

Wenn man es beklagt, daß eine so folgenreiche Entschließung nicht frei von einer unglückseligen Verkettung von Zufällen erfolgt sei, so muß man um so mehr Gewicht darauf legen, daß das Schicksal, was es sonst nicht zu tun pflegt, die Gewissensfrage den Männern des neuen Kurses noch zum zweiten Male gestellt hat. Schon als Schweinitz, in den nächsten Tagen nach Petersburg zurückgekehrt, dem Zaren und Herrn von Giers den negativen Ausfall der Entscheidung meldete, [391] hatte er den Eindruck, daß die Russen angesichts der unerwarteten Tatsache dieser plötzlichen Isolierung doch ihre Sehnsucht nach irgend etwas Geschriebenem kaum unterdrücken könnten; auch der Zar äußerte sich diesmal wärmer als sonst, wenn nur Rußland und Deutschland feste Freundschaft hielten, so sei Ruhe.46 Man fürchtete die Möglichkeit einer grundsätzlichen Wendung in Berlin und verfiel später, um sich den Umschwung zu erklären, sogar auf die unbegründete Vermutung, daß die Erneuerung auf Österreichs Bitte nicht zustande gekommen sei.47 Um dem auf den Grund zu gehen, entschloß man sich, dem deutschen Partner ein Stück weiter entgegenzukommen, als es sonst russischer Stil war. Am 14. Mai 1890 legte Giers dem Botschafter den Text von Schuwalows Telegramm vom 21. März vor, um auf diese Weise einen Rückweg zu erneuter Verhandlung zu finden. Er erklärte sich zufrieden, wenn das Vakuum, das mit dem Ablauf des Vertrages am 18. Juni bevorstand, auf irgendeine Weise, durch einen Notenaustausch oder vielleicht durch einen Briefwechsel der Monarchen ausgefüllt werde; um diesen Weg zu erleichtern, ließ er außer dem ganzen Zusatzprotokoll auch einzelne Verpflichtungen des Vertrages fallen. Mit Recht entnahm Schweinitz aus diesem Vorgehen, daß der Minister triftige Gründe haben müsse, um in so dringlicher Weise auf das Verlangen nach einer schriftlichen Abmachung zurückzukommen, "durch welche vor allem anderen der russischen Regierung die Möglichkeit genommen wird, sich mit Frankreich zu gemeinschaftlichem Vorgehen zu koalieren". Der Botschafter, der vermutlich seine Haltung Ende März bedauerte, betonte mit Ernst: "Ich darf hierbei nicht unterlassen, die unvorgreifliche persönliche Ansicht auszusprechen, daß, wenn wir die weit entgegenkommenden Anträge des russischen Ministers völlig abweisen, er oder sein Nachfolger gezwungen sein würde, die Anlehnung, die er bei uns nicht findet, anderweit zu suchen." Auch in einem Privatbrief an den Reichskanzler riet er dringlich, die Hand, die der Zar nochmals ausstrecke, nicht zurückzustoßen: bei den herabgeminderten russischen Ansprüchen scheine ihm eine schriftliche Vereinbarung wohl möglich, die das Bekanntwerden nicht zu scheuen habe und - man glaubt das nüchterne Urteil Bismarcks zu hören - "uns doch die Neutralität Rußlands mindestens für die ersten vier Wochen eines französischen Angriffskrieges sichern würde".

Trotz dieser Mahnung fielen die Voten des Auswärtigen Amtes am 20. Mai (Marschall; Holstein; Kiderlen; Raschdau) erneut gegen jedes Eingehen aus. Nach dem Vortrag Caprivis entschied der Kaiser am 23. Mai, daß die russischen Anerbietungen als definitiv erledigt anzusehen seien. In den Motiven der Ablehnung überwog das Gefühl, sich Vertrauen erwerben zu müssen, und die Angst vor russischen Indiskretionen. Bei aller Kritik im einzelnen ging man allzu leicht [392] darüber hinweg, daß die russischen Konzessionen, die der deutschen Gewissenhaftigkeit die Annahme erleichtert haben würden, zugleich die Ablehnung erschwerten, das Odium des Abbruchs erhöhten. Stieß man erneut die beeiferten russischen Bemühungen zurück, so wurde dadurch dem Kanzlerwechsel, was eigentlich nicht in seinem Sinne lag, der Anschein einer gewollten und grundsätzlichen Neuorientierung gegeben. Schon darum hätte es sich empfohlen, um mit Bismarck zu sprechen, das Gespinst des ablaufenden Bündnisses "weiterzuspinnen, solang noch ein Faden daran ist". Aber eben diese Tradition stand nicht mehr in höchster Geltung, wenigstens an dieser Stelle war eher die Gegensätzlichkeit zu dem alten Kurse schon zu einem wirksamen Argument gegen den Vertrag geworden.48 Vielleicht hätte man sogar in dem Einlenken ein Eingeständnis gesehen, lieber in den Schatten des Titanen zurückzukehren.

In den ressorttechnischen Erwägungen vom Mai 1890 vermißt man die beherrschende Gesamtansicht des Staatsmannes, der die letzten Konsequenzen zu Ende denkt. Die nunmehr offene Möglichkeit eines russisch-französischen Vertrages und die daraus fließenden Rückwirkungen auf den Dreibund selbst, vor allem aber auf die deutsch-englischen Beziehungen, weitergreifend das ganze Bündnissystem und das innerste Geheimnis seiner Elastizität oder seiner wahren Schwergewichtsverteilung: alles das ist in der entscheidenden Stunde nicht zur Sprache gekommen. Caprivi warf wohl die keineswegs unberechtigte Frage auf: was sind heute Bündnisse ohne öffentliche Meinung, aber Bismarck würde ihm geantwortet haben, daß er sich der Begrenztheit der Höfe und Kabinette stets bewußt gewesen sei, aber ihr reelles Gewicht, solange es bestehe, in der Dynamik der Mächte in Rechnung stelle. Man meint eine Kluft in der politischen Denkweise zu ahnen. Bismarck lebte in der unmittelbaren Anschauung einer Wirklichkeit, in der er sich ein Menschenalter bewegt hatte, während Caprivi nach einer begrifflichen Klarheit der Dinge strebte, um sich in der ihm fremden Welt zurechtzufinden. So geschah es, daß er und seine Berater sich zutrauten, den alten Kurs, mit Ausnahme eines allzu gewagten Außenstückes, weiterzusteuern, während sie mit diesem Außenstück (so wenig es, für sich allein genommen, das letzte Wort Bismarcks enthielt) zugleich den inneren Zusammenhang der bisherigen Politik verletzt hatten.49

[393] Als Schweinitz Herrn von Giers den negativen Bescheid am 4. Juni eröffnete, konnte er feststellen, daß dieser sogar jetzt noch seine Wünsche nicht ganz aufgebe, sondern die goldene Brücke eines identischen Notenaustausches in Erwägung ziehe. Der Zar entschied am 11. Juni, daß die Würde verbiete, die Dinge zu verfolgen, wenn die Deutschen nicht erneuern wollten: "Woran wir sind, werden wir ja sehen, wenn der Kaiser und Caprivi hierher kommen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß in der deutschen Politik eine Kursänderung eingetreten ist und wir müssen mit allen Möglichkeiten rechnen."

In denselben Wochen, in denen die deutsch-russischen Beziehungen in der Stille einer grundstürzenden Wendung entgegenreiften, vollzog sich eine Auseinandersetzung mit England, die wenigstens in der Welt den Eindruck einer bedeutsamen Wendung hervorrief. Sie knüpfte an eine Verhandlung des alten Kurses, an jenen Anlauf des Frühjahrs 1889 an, eine Reihe von Reibungen in der deutsch-englischen Kolonialehe durch einen umfassenden Ausgleich zu beheben; wir erinnern uns, daß dabei schon von englischer Seite auch die Austauschmöglichkeit Helgoland - Südwestafrika gestreift wurde. Bismarck hatte die Anregung, da er in England eigentlich auf "großes Wild" zu jagen versucht hatte, bis zu einem günstigen Augenblick hinausgeschoben. Gegen Ende des Jahres war Salisbury auf den Gedanken in der Form zurückgekommen, womöglich alle kolonialen Differenzen durch einen Schiedsspruch aus der Welt zu schaffen: darauf war Bismarck, der damals entschieden für Einschränkung weiterer Erwerbungen war, grundsätzlich eingegangen.50 Wohl infolge der Kanzlerkrisis verzögerte sich die Einleitung der Verhandlungen, und erst einige Wochen nach dem Rücktritt Bismarcks erschien der englische Kommissar in Berlin. Es stellte sich heraus, daß es den Engländern nicht nur, aus Handels- und Prestigegründen, auf das Protektorat über die Insel Sansibar ankam, sondern ebenso sehr im Zusammenhange ihrer Sudanpolitik auf die Erwerbung von Witu, dessen Übergang in deutsche Hände der eigentliche Keim des Anstoßes war. In den Verhandlungen, die unter Aufgabe der Schiedsspruchlösung seit Mitte Mai in London weitergeführt wurden, bot man englischerseits gegen Sansibar und Witu eine Teilung der Gebiete nordwestlich vom Nyassa-See und südwestlich des Tanganika-Sees, sowie die Insel Helgoland: nicht mehr in Deutsch-Südwest, sondern in der Begrenzung von Deutsch-Ostafrika lag die Gegengabe für die Nordseeinsel. Die Verhandlung über die Grenzlinien im Bereich der großen Seen wurde ohne allzu große Schwierigkeiten trotz der in England von Stanley [394] geschürten kolonialen Erregung bis zum 14. Juni zum Ende gebracht.51 Am Tage vor dem Jahrestage von Waterloo wurde der provisorische Vertrag veröffentlicht.

In der großen Literatur über den Vertrag sind die entgegengesetztesten Urteile ausgesprochen worden, und es ist kein Wunder, daß sie auch innerhalb der beiden Lager so weit auseinandergingen.52 Die Perspektiven reichen zu tief in allgemeine politische Zusammenhänge hinein - von den lokalen innerafrikanischen Grenzziehungen bis in die imperialistischen Entwürfe der Rhodes und Milner vom Kap nach Kairo, und von dem roten Sandsteinfelsen und der Zukunft des Nordostseekanals bis in die verhängnisvolle maritime Rivalität der beiden Völker, die in den Weltkrieg ausmündete. Wenn auch ein gewisser Abstand von den Dingen nötig ist, so gerät man leicht in Entwicklungen hinein, die damals auf keiner Seite geahnt wurden.

Daß auf englischer Seite die Kolonialen trotz ihres anfänglichen Lärms befriedigt waren, liegt auf der Hand: die weltpolitischen Interessen des Empire, für den Fall eines Vorgehens gegen den Mahdismus im Sudan auch von Süden her, ließen jedes Opfer für Witu und Uganda erträglich erscheinen. Bei der Preisgabe Helgolands53 empfand man die Abtretung von britischen Untertanen, ohne Plebiszit an eine fremde Macht, nicht angenehm; es war ein magerer Trost, wenn die vor dem Tage des Vertragsschlusses geborenen Helgoländer von der deutschen Militärpflicht befreit blieben. Schwerer wog für das englische Denken der mögliche marinepolitische Wert Helgolands. Theoretisch ließen sich wohl Stimmen vernehmen, daß ein zweites Gibraltar in der Nordsee sich hätte daraus machen lassen, aber da die Möglichkeit eines deutsch-englischen Krieges außerhalb jeder Berechnung lag, so hatte man keine Antwort auf die Frage: wozu? Darüber übersah man den marinepolitischen Wert einer Befestigung der Insel für den Nordostseekanal, oder man zog es vor, nicht davon zu sprechen.

Auf der deutschen Seite war die erregte Kritik der Kolonialen um so lauter, als ihr eine klare Einsicht der Marine von der anderen Seite nicht entgegentrat: diese Kritik, die zur Gründung des Alldeutschen Verbandes führte, schoß allerdings [395] weit über das Ziel hinaus und stellte dem politischen Augenmaß einer nationalistischen Agitationspartei von vornherein kein günstiges Prognostikon. Sie fand einen gewissen Widerhall, weil auch Bismarck, bei diesem ersten populären und umstrittenen Akte des neuen Kurses, sich unter die Kritiker begab. Es ist aber keine Frage, daß er den Wert von Sansibar überschätzte und den Zukunftswert von Helgoland unterschätzte. Mochte sich der Vertrag noch ein wenig günstiger schließen lassen, die Richtung der Vertragstendenz lag doch auf der Linie einer Politik, die auch unter Bismarck über kolonialpolitische Einzelinteressen leichten Herzens hinwegzuschreiten gewillt war.54 Die maritime Bedeutung Helgolands aber bedarf keiner Erörterung. Wenn die Erwerbung Schleswig-Holsteins ihr weltpolitisches Gesicht erst durch den Bau des Nordostseekanals erhielt, so hat der - von Bismarck im Jahre 1884 vorbereitete - Gewinn der Insel dieses Werk gekrönt: dieses "letzte Stück deutscher Erde" (wie man betont kleindeutsch damals sagte) für den Nationalstaat führt in neue Möglichkeiten des deutschen Schicksals hinüber, die auf dem Wasser lagen. Die ganze Lebensmöglichkeit einer deutschen Flotte, wie sie in den nächsten Jahrzehnten gebaut wurde, hing an dieser Verfügung über die Küstengewässer vor der eigenen Tür.

Wenn bei der Kritik Bismarcks ein gewisses Unbehagen mitspielte, daß der Vertrag mit der (von ihm nur vermuteten) Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages gleichzeitig ins Leben trat, so muß allerdings betont werden, daß irgendein gewollter oder auch nur bewußt empfundener Zusammenhang der beiden Aktionen, wie man ihn wohl lobend oder tadelnd festzustellen vermeint hat, tatsächlich nicht besteht. Es war gerade das Charakteristische dieser Staatskunst, daß dieser Zusammenhang nicht bestand, und in diesem Sinne mag man sagen, daß die Datierung des Vertrages auf den Waterlootag ihm ohne Grund ein zu anspruchsvolles Relief gab. Denn in Petersburg wurde man durch den Vertrag, so wenig er das Licht zu scheuen hatte, doch in der Empfindung des Mißtrauens bestärkt, die seit dem Abbruch der eigenen Verhandlung zurückgeblieben war: daß man jetzt wirklich in Berlin einen anderen Kurs verfolgen wolle.

Als im August 1890 Kaiser Wilhelm und Caprivi zum Besuch am russischen Hofe in Narva erschienen, konnten sie den beruhigenden Trost, den der andere hören wollte, nicht verabreichen; so sehr auch Caprivi betonte, daß man in Bulgarien und an den Meerengen sachlich dieselbe Linie wie bisher verfolgen wolle, er konnte mit mündlicher Erklärung das gestörte Vertrauensverhältnis nicht wiederherstellen. Selbst als Giers in einem letzten Nachklang der Besprechungen sich das Ergebnis schriftlich bestätigen lassen wollte, verharrte der Reichskanzler steif bei seinem Grundsatz: "ich bin fest entschlossen, nichts zu schreiben; aber ich [396] bin ein gewissenhafter Mensch, und Sie können sich auf meine Gewissenhaftigkeit verlassen."55 Am 23. September 1890 notierte Graf Lamsdorff in sein Tagebuch: "So ist also unser Geheimvertrag mit Deutschland endgültig abgelaufen." Der Welt aber blieb nicht unbekannt, daß die Kaiserzusammenkunft einen sehr kühlen Verlauf genommen habe.

Dieser Ausgang wirkt deswegen so überraschend und entgegen einer tieferen Vernunft, weil man seit dem Versinken des Rückversicherungsvertrages in Berlin eher friedlicher gegen die Russen gesinnt war, als es während des Vertragsverhältnisses manchmal den Anschein gehabt hatte. Wie hätte der Kaiser, der vor dem deutschen Volke die Entlassung Bismarcks zu tragen hatte, auch noch die Last einer Kriegsverantwortung auf sich nehmen können! Schon während der Kanzlerkrisis war die Stimme des Grafen Waldersee im Rate des Kaisers eher schwächer als starker geworden:56 fast zwangsmäßig mußte der neue Kurs, gerade weil er den Draht nach Petersburg fallen ließ, von einem General abrücken, dem nun einmal der Ruf der Russenfeindschaft anhaftete. Es waren zwar persönliche Konfliktsgründe, die den Kaiser im Winter 1890/91 zur Dienstenthebung des auch ihm gegenüber kritischer gewordenen Generalstabschefs führten, aber Wilhelm war sich doch wohl bewußt, daß er mit dem Opfer Waldersees zugleich eine Garantie seines Friedenswillens gab. So war das merkwürdige Ergebnis, daß der Präventiv-Kriegsgedanke von 1887/88, von dem aus Waldersee in die verhängnisvolle Opposition gegen die Bismarckische Außenpolitik geraten war, in demselben Augenblick wie der umkämpfte Geheimvertrag von der Tagesordnung verschwand.

Die Staatskunst, die nach Osten hin eine "Vereinfachung" ihrer Vertragsverpflichtungen hatte eintreten lassen, war schon dadurch darauf angewiesen, ein stärkeres Gewicht auf den Dreibundvertrag zu legen. Da die Verträge noch einige Zeit liefen, waren Deutschland und Österreich im Januar 1891 geneigt, gegenüber dem Drängen Crispis mit der Erneuerung zu warten. Erst der Sturz Crispis und die Nachfolge des Marchese di Rudini im Februar 1891 veränderte die Lage. Es hieß von Rudini, daß er sich noch vor kurzem nur kühl über die Bedeutung des Bündnisses mit den Mittelmächten ausgesprochen hätte; schon setzte Frankreich, das mit dem Vorschlage eines Mittelmeer-Status quo an Italien herangetreten war, alles daran, den Dreibund nach Möglichkeit aufzulockern. Doch stellte sich bald heraus, daß die italienische Regierung zur Erneuerung bereit war, und nur die Pariser Versuchung geschickt zum Anlaß nahm, um eine Erweiterung des Vertrages durchzusetzen. Schon Crispi hatte auf einen [397] Abschluß von Handelsverträgen als eine Lebensnotwendigkeit für den politischen Dreibund gedrängt. Als Rudini am 9. März 1891 seine Bereitschaft zur Vertragsschließung kundgetan hatte, erfuhr man bald, daß die Italiener auf dem schon 1887 mit Erfolg beschrittenen Wege der Erweiterung der Vertragsbasis von neuem vorrückten. Sie wünschten formell eine Vereinheitlichung der bisher separat geschlossenen Verträge, weil sie dem Wesen des Dreibundes einen prägnanteren Ausdruck gebe; sachlich aber wünschten sie die Einbeziehung der nordafrikanischen Interessensphäre Italiens in die vertragsmäßig gegen französische Angriffe zu schützenden Positionen; insbesondere verlangte man deutsche und österreichische Mitwirkung bei dem Abschluß eines italienisch-englischen Abkommens, das die begrenzteren älteren Abkommen auch über die von Italien betonten eigentlichen Mittelmeerfragen ausdehnte. Diese Erweiterung über den natürlichen Machtradius der Mittelmächte hinaus (man erinnere sich an die scharfe Abneigung Bismarcks gegen die ersten Anfänge),57 hatte allerdings eine aktive englische Mitwirkung zur Voraussetzung. Tatsächlich erleichterte Lord Salisbury - indem er ein besonderes Abkommen mit Italien über Nordafrika schloß - auch die Erneuerung des Dreibundes auf dieser breiteren Grundlage.58 So liegt die Erneuerung der Dreibundsverträge vom Mai 1891 immerhin auf der im Juni 1890 durch den deutsch-englischen Vertrag eingeleiteten Linie.

Der gewandteste Publizist, den der nachbismarckische "neue Kurs" gefunden hat, zieht aus diesen Hergängen den Schluß: "An die Seite der drei mitteleuropäischen Mächte ist Großbritannien getreten, indem es sich zur Mitverteidigung eines der drei Verbündeten verbindlich gemacht, diese Verbindlichkeit auf den Fall eines durch Bündnisverpflichtungen Italiens hervorgerufenen Krieges ausgedehnt und außerdem zum Zustandekommen des neuen Dreibundvertrages direkt mitgewirkt hat."59 So schien allerdings die Dreibundpolitik eine leichte Achsenverschiebung vorzunehmen: die Mittelmeerausdehnung und die verstärkte Fühlung mit England, die Entlastung Österreichs von dem geheimen Druck des unsichtbaren Rückversicherungsvertrages wirkten in einer Richtung zusammen.

Unter dem sichtbaren Zeichen einer engeren Verknüpfung Englands mit dem Dreibunde stand der Besuch des Kaisers in England, der vom 4. - 13. Juli 1891 unter großem Jubel verlief; auch das persönliche Verständnis zwischen dem Kaiser und Lord Salisbury schien sich gut anzulassen. Unmittelbar darauf fanden die neuen Mittelmeerabkommen in den Besuchen der britischen Flotte in Fiume [398] (in Gegenwart des Kaisers Franz Joseph) und in Venedig (in Gegenwart des Königs Humbert) einen festlich-symbolischen Ausdruck. Man stand im Honigmond des flirt anglo-triplicien, mit einem tiefen Gefühl der Befriedigung und zu allen Illusionen bereit.60

Auch wer die günstigen Aspekte dieses Augenblicks zu würdigen bereit ist, wird doch nicht verkennen, daß die elastische Gesamtstruktur des Bismarckischen Bündnissystems einer mehr starren Ordnung und einer leichten Verschiebung nach der einen Seite Platz zu machen beginnt. Inwieweit das auf die vom deutschen Interesse dem Dreibund vorbehaltene Funktion in der europäischen Staatengesellschaft zurückwirkte, wird sich erst dann herausstellen, wenn die durch diese Verschiebung ausgelösten neuen Gruppierungen erkennbar werden. Einstweilen suchte Caprivi die Standfestigkeit des erneuerten Dreibundes auch von innen her, vermöge einer Verankerung der Bündnisverträge in der öffentlichen Meinung und in den wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Länder, zu erhöhen. Gleichzeitig mit den Dreibundverhandlungen begannen im Mai 1891 Verhandlungen zwischen Deutschland und Österreich, dann auch mit Italien, Belgien und der Schweiz über den Abschluß von Handelsverträgen: im Dezember 1891 wurden sie im Reichstage angenommen.

Wirtschaftsgeschichtlich bedeuten die Handelsverträge von 1891 eine erste Auflockerung des von Bismarck geschaffenen Schutzzollbündnisses zwischen Großgrundbesitz und Großindustrie, sie enthalten die erste Keimzelle einer allgemeinen Entwicklung zu einer freieren Zollpolitik. Das Wort Caprivis: "Wir müssen exportieren, entweder wir exportieren Waren oder wir exportieren Menschen; mit dieser steigenden Bevölkerung, ohne Industrie, sind wir nicht in der Lage, weiter zu leben", enthielt für manchen eine bittere Wahrheit, aber sie ließ sich nicht bestreiten, so wenig wie das Überwiegen der nützlichen Folgen, die der deutschen Wirtschaft aus den Handelsverträgen erwuchsen.

Aber die Verträge wurden zugleich unter dem politischen Gesichtswinkel betrachtet. Nicht nur die freihändlerischen Vertragsfreunde bezeichneten die handelspolitische Verbindung als eine neue Klammer des Dreibundes. Auch Caprivi griff zu dem Argument, daß wir unsere Verbündeten, ihre militärische, moralische, wirtschaftliche Widerstandskraft stärken müßten; das galt vor allem für Italien, dessen innere Kräfte einer Großmachtspolitik noch nicht entsprachen.61 [399] Dagegen setzte von seiten Bismarcks, der hier die erste große Fehde gegen seinen Nachfolger eröffnete, eine vorwiegend politisch begründete Kritik ein. Zwar wogen nicht alle seine Argumente gleich schwer, wie z. B. seine Sorge, die Verquickung der wirtschaftlichen und politischen Fragen sei geradezu geeignet, die Volkstümlichkeit eines Bündnisses zu gefährden. Der Kern seiner Kritik lag überhaupt im rein Politischen: er bekämpfte die von ihm vermutete Neigung des neuen Kurses, unbedingte Anlehnung an Österreich und das Dreibundprinzip zu suchen und die bisherige neutrale Haltung in der Orientpolitik aufzugeben. Er befürchtete eben, was er in den letzten Jahren immer wieder vermieden hatte, eine unzulässige Verschiebung des Bündnisinhaltes, und sah in dem Handelsvertrage ein politisches Dokument, das die wandelbare strategische Position des Dreibundes als eine absolute Stellungnahme erstarren lasse: "Auf diesem Wege würde Deutschland allmählich in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Österreich gebracht, das seiner Machtstellung und seiner nationalen Würde wenig angemessen wäre; es würde schließlich Gut und Blut für die Wiener Balkanpolitik riskieren, und außerdem noch auf dem Wege der Handelsverträge Tribut zahlen müssen."62 Wenn einzelne Argumente auch weit über das Ziel hinausschossen, so lag doch die berechtigte Sorge zugrunde, seine Nachfolger möchten in der allgemeinen Haltung zur Wiener Politik sich allzu weit mitziehen lassen. So führte Bismarck den Kampf gegen die Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages, den er öffentlich nicht führen konnte,63 auf diesem handelspolitischen Nebenschauplatze, und seine Klage, Österreich glaube, daß die leitende Stellung im Bunde in seine Hände übergegangen sei, übertrieb vielleicht im Augenblick, kennzeichnete aber immerhin eine Gefahr, die am äußersten Ende des neuen Weges lag.

Das Bild der europäischen Staatengesellschaft, in dem Bismarck lebte, die unbedingte Autonomie des Politischen und die individuelle Entscheidung der leitenden Staatsmänner, die strenge Scheidung der politischen und wirtschaftlichen Sphäre stimmte nicht mehr ganz zu den Überzeugungen Caprivis, daß die Verflechtungen der internationalen Wirtschaft in wachsendem Umfang ein Stück der Verflechtung der internationalen Politik ausmachten. Wenn Caprivi die Position Italiens, das dauernd den handelspolitischen Lockungen Frankreichs ausgesetzt war, mit wirtschaftlichen Mitteln zu stärken suchte, so ließ sich manches dafür ins Feld führen; wenn er aber von den Handelsverträgen die Wirkung erwartete, daß die politischen Verträge sich nunmehr tiefer in die Seelen der Völker einleben würden, so war das eine Illusion, der zuliebe man den Wert der Bündniskonstruktionen verabsolutierte. Gewiß begann das populäre und das wirtschaftliche Motiv - davon hatte Caprivi eine lebendige Vorstellung - sich stärker in der Politik der Großmächte zur Geltung zu bringen; aber es blieb doch immer nur sekundär - hier traf Bismarcks Kritik das Richtige - gegenüber den [400] häufig nur instinktiv empfundenen Lebensnotwendigkeiten, von denen die Völker sich bei ihren großen Entscheidungen leiten lassen. Diese Verschiedenheit der grundsätzlichen Einstellung sollte noch deutlicher sichtbar werden, als die Handelsvertragspolitik von 1891 mit einer gewissen Unvermeidlichkeit zum rumänischen und zum russischen Handelsvertrag führte.

Einstweilen aber wenden wir uns von dem neukonsolidierten Mitteleuropa zu den lange vorbereiteten Entscheidungen, die nunmehr die Flügelmächte des Ostens und Westens aneinanderbinden werden.

Daß die russische Politik angesichts der Nichterneuerung des Rückversicherungsvertrages und der Umstände, unter denen er nicht erneuert wurde, eines Tages die Anlehnung an Frankreich suchen mußte, lag auf der Hand.64 Tatsächlich fanden auch schon im Sommer 1890 die ersten Besprechungen über ein Einvernehmen des russischen und des französischen Generalstabs statt. Selbst die deutschen Bemühungen um französische Freundschaft (Reise der Kaiserin Friedrich nach Paris, Februar 1891)65 trugen nur dazu bei, auch von russischer Seite den Franzosen Zeichen freundschaftlichen Entgegenkommens zu bewilligen, wie man sie bisher vermieden hatte. Dann wurde die Erneuerung der Dreibundverträge in Petersburg zu einem Anlaß genommen, in die formelle Vertragsverhandlung einzutreten. Wenn die Russen sich darauf beriefen, daß sie sich bedroht gefühlt hätten, daß erst die "sensationellen" Begleiterscheinungen der Dreibund-England-Entente im Juli 1891 sie veranlaßt hätten, einen Gegenbau zu errichten, so mag daran so viel richtig sein, daß der Zar unter dem Eindruck dieser Vorgänge die letzten Hemmungen überwand, die ihn bisher von einem vertraglichen Abschluß mit Frankreich zurückgehalten hatten.66 Man war ja in der glücklichen Lage, auf einen Partner zu stoßen, bei dem das Bündnis mit Rußland seit zwanzig Jahren ein Glaubenssatz der Regierungen und des Volkes war; die Franzosen hatten seit langem ausgesprochen, daß eine auf tieferen Sympathien beruhende Verbindung keiner diplomatischen Ratifizierung bedürfe; der Russe hatte freie Hand, dieses ungeschriebene Bündnis in dem Augenblick, wo die europäische Lage es ihm angezeigt erscheinen ließ, und in den Stufen, in denen er es für wünschenswert hielt, in ein geschriebenes zu verwandeln.

Am 23. Juli lief eine französische Flotte in Kronstadt ein, und an demselben Tage begannen in Petersburg (durch Giers und Laboulaye) und in Paris (durch [401] Ribot und Mohrenheim) Verhandlungen, die bald zum Abschluß einer Entente führten. Der Austausch der Noten zwischen Giers und Ribot am 21. bis 27. August 1891 begründete eine so formelle Verpflichtung, daß sie praktisch einem Vertrage gleichkam.67 In diesem Sinne faßte auch der Zar die Tragweite des Notenaustausches auf: wenn der Krieg ausbreche, würde er sich als verpflichtet betrachten, seine Truppen mit den französischen Truppen zu gemeinschaftlichem Handeln zu vereinen. So viel Stufen auch noch durchlaufen werden mußten, um den Notenaustausch durch eine Militärkonvention zu ergänzen und dem Ganzen durch eine Ratifizierung der Staatshäupter eine feierliche Bestätigung zu geben, der Schritt zur vertragsmäßigen Bindung war geschehen, der nunmehr von den europäischen Mächten als ein sicherer Faktor in ihre Rechnung gestellt wurde.

So waren die Tage von Kronstadt der Auftakt eines weltgeschichtlichen Ereignisses. Der Eindruck der Massendemonstration eines begeisterten Volkes, das schon in diesem Augenblick das russisch-französische Bündnis als so gut wie vollzogen ansah, war überwältigend. Der russische Absolutismus fühlte sich in demselben Atemzuge seinem Volke innerlich verbunden und in Europa erhoben, an einer Wende der Zeiten angelangt. "Die Lage ist verändert. Von einer deutschen Hegemonie ist nicht mehr die Rede", glaubte Giers bereits urteilen zu dürfen, nachdem er während eines Jahrzehntes aus dem Schatten Bismarcks nicht herausgetreten war. Unter dem Eindruck dieser Wendung wird auch die deutsche Politik, soweit diese Darstellung sie zu verfolgen hat, wie unter einem Schicksal stehen. Aber ihre Wirkungen reichen weit darüber hinaus. Kluge Beobachter fühlten damals schon, daß diese russischen Massen von Kronstadt zum ersten Male sich des Schwergewichts bewußt wurden, das sie in dem Riesenreiche zur Geltung zu bringen vermochten,68 und in weiter Ferne sieht man den tragischen Ausgang des russisch-französischen Bündnisses für die Zarendynastie heraufziehen.

Der russisch-französische Notenaustausch vom 27. August 1891 sah eine vertrauliche Fühlung über gemeinsame Maßregeln vor, falls eine der beiden Mächte von einem Angriff bedroht würde. Der Anwendung dieser Verpflichtung, die Frankreich vergeblich auf Europa zu beschränken versucht hatte, wurde auf russisches Verlangen ein allgemeiner Charakter gegeben. Es lag in der Natur der Dinge, daß nach dem ersten Schritte die weiteren Schritte nicht lange ausbleiben. Der entscheidende Übergang zu formulierten militärischen Verbindlichkeiten erfolgte durch den Abschluß einer Militärkonvention am 17. August 1892. Der Hauptartikel lautete: "Beide Mächte verpflichten sich, falls eine von ihnen von einem Mitgliede des Dreibundes mit Unterstützung des Dreibundes an- [402] gegriffen werden sollte, ihre Hauptmacht gegen Deutschland zu werfen." Fast ebenso bedeutsam war der zweite Artikel: "Falls die Streitkräfte des Dreibundes oder einer der Mächte des Dreibundes mobilisiert werden sollten, werden Frankreich und Rußland auf die erste Nachricht dieses Vorganges und ohne daß es vorherigen Einvernehmens bedürfte,69 unverzüglich und gleichzeitig die Gesamtheit ihrer Streitkräfte mobilisieren und sie so nahe wie möglich an ihren Grenzen versammeln."

Die Verträge, für die Dauer des Dreibundes abgeschlossen, lehnten sich in gewisser Weise an seine Bestimmungen an, tatsächlich gingen sie, auf das Maß der ihnen innewohnenden Aktivität beurteilt, weit über seine militärische Schlagfertigkeit hinaus. Die Verpflichtung der Mobilisierung, die noch Bismarck in der Krisis von 1887/88 mit so viel Vorbehalten zu umgeben gesucht hatte,70 setzte hier automatisch und unbegrenzt ein, wurde auch grundsätzlich mit dem Kriegsausbruch gleichgesetzt. Es ist überhaupt bezeichnend, wie rasch nach dem diplomatischen Abkommen präzise militärische Vereinbarungen, insbesondere über Mobilisierung in Kraft getreten sind, während zwischen den beiden Zentralmächten trotz 35jährigen Bestehens ihres Bündnisses nichts derartiges erfolgte.71 Aber auch von den technischen Einzelheiten abgesehen, hatte das russisch-französische Abkommen einen viel eindeutigeren Offensivcharakter, als er der verwickelten Bündnismaschinerie Bismarcks eigen war. Vor allem die betonte Spitze gegen Deutschland, die sich mit der Zeit nur noch schärfer herausarbeitete, wurde durch die Natur des Zweifrontenkrieges, durch die gleichgerichteten Ziele der sich in die Hände arbeitenden Generalstäbe, von einem militärischen Angriffswillen kommandiert, wie er sich in den deutsch-österreichischen Kriegsbesprechungen kaum entwickeln konnte. Das entscheidende Wort über die größere oder geringere Friedensgefährlichkeit solcher militärischer Bestimmungen wird freilich nicht allein durch die technische Formulierung gesprochen, sondern von dem Geist der politischen Kräfte, die dahinterstehen und die Maschine in Bewegung setzen.

Das Frankreich von 1891, das sich dem ersehnten Abschluß mit Rußland näherte, hat nach außen gern betont, daß es nunmehr erst aus seiner Isolierung herausgetreten und in den Besitz der wahren Sicherheit gelangt sei. Das ist die Formel, die Dinge ausschließlich defensiv zu sehen: sie deckt einen politischen Machtinstinkt, der auch den offensiven Sinn der Dinge kennt und von dem Gedanken der Aktion lebt. Gewiß bemühte sich Herr von Giers, als er im November 1891 auf der Rückreise von Paris durch Berlin kam, beruhigend anzudeuten, das Wort "Alsace" sei nicht einmal ausgesprochen worden. Daß es, unausgesprochen, für die französische Seite den Sinn der Dinge enthielt, wußte auch er. Einige Wochen vor Kronstadt sagte der französische General Marquis de Gallifet [403] zum deutschen General von Loë: in beiden Nationen wünsche niemand den Krieg, aber alle vernünftigen Leute seien der Ansicht, daß er wegen Elsaß-Lothringen unvermeidlich sei - wenn Rußland den Krieg gegen Deutschland beginne, so sei gar keine Regierung imstande, Frankreich zurückzuhalten. Ja, der Franzose schreckte nicht vor der prophetischen Wendung zurück: es würde nur eines Zwischenfalles auf dem Balkan bedürfen, um den friedlichen Kaiser von Rußland zu zwingen, den Krieg gegen Österreich zu beginnen.72 Schon vor dem Notenaustausch machte man sich in Paris keine Illusion darüber, was es eines Tages bedeuten mußte, wenn der elsaß-lothringische Gegensatz mit irgendeinem Brandherd des Orients in einen Vertragszusammenhang gebracht wurde.

Aber auch die Freunde Deutschlands konnten aus dieser Feststellung gewisse Schlußfolgerungen ziehen. Die französische Flotte wurde auf ihrer Rückfahrt aus Kronstadt von der englischen Regierung, auf vorgängige Anfrage von Paris, nach Portsmouth eingeladen. Dieser Meisterzug Salisburys, der unmittelbar vorher die Höhe seiner Intimität mit dem Dreibunde erstiegen hatte, besagte nichts für die praktische Politik des Augenblicks, aber er deutete symbolisch und vor der Welt auf einen Weg hin, auf dem England in dem nunmehr in Dreibund und Zweibund geteilten Europa in die Hinterhand gelangen konnte. Salisbury erkannte diese Möglichkeit so früh, weil er im Grunde seines Herzens immer nach ihr ausgeschaut hatte. Er gestand einige Monate später dem österreichischen Botschafter: Bismarck habe mit Rußland, trotz der äußerlichen Gegnerschaft, doch immer geheime Beziehungen unterhalten, die ihm eine gewisse Stütze verliehen hätten - das sei heute zu Ende, dieser mögliche Rückhalt fehle dem deutschen Kabinett und dies sei der Grund, warum man jetzt in Berlin so unruhig und nervös bei jeder auftauchenden Frage sei, wenn sie auch Deutschland keineswegs direkt berühre.73 Damit rührte er an das tiefste und innerste Geheimnis des Rückversicherungsvertrages - mit dieser Politik, die dem englischen Konzept zuwiderlief, hatte Bismarck gerade England immer wieder auf seine Seite hinübernötigen können und in der Hinterhand das höchste Maß der Autonomie erreicht. Die Epigonen Bismarcks, die auf dieses Druckmittel verzichtet hatten, mußten sich daran gewöhnen, daß ein anderer auch Geschmack für Rückversicherungstendenzen zeigte, um damit eine freiere Hand zu gewinnen. Natürlich wäre es verfrüht, an dieser Stelle von einer eindeutigen Tatsache zu sprechen. Die russisch-französische Entente, zumal seit ihrer Vertiefung zum Bündnis, konnte zwar eines Tages auch der englischen Politik eine gewisse Erleichterung bringen, aber zunächst war sie eine ernste Bedrohung. Aus beiden Gründen ergab sich für die englische Politik das Bedürfnis, trotz ihrer engen Fühlung mit dem Dreibunde, sich gelegentlich an der Gabelung des Weges aufzuhalten, die zu den [404] beiden Mächtegruppen führten. Es sind zunächst nur leichte Schattierungen der Haltung, an denen das bemerkbar wird, aber die Politik setzt sich aus der Summe solcher Schattierungen zusammen, die bald sich wieder ausgleichen, bald aber sich häufen und zu einem neuen Farbenton steigern. Wenn die Russen und Franzosen mit tiefer Befriedigung empfanden, daß das in Kronstadt begründete Gleichgewicht Deutschland die hegemonische Stellung koste, und daß erst jetzt für sie das Zeitalter Bismarcks zu Ende gehe, so waren doch die Rückwirkungen bei beiden Völkern sehr unterschieden. Das neue Freundschaftsverhältnis bedeutete für die Franzosen einen starken Antrieb ihrer Revanchehoffnungen, und erlegte dadurch den Russen die Verpflichtung auf, den Franzosen immer wieder zu sagen, daß sie eine Erfüllung dieser Hoffnung von dem Wortlaut des Vertrages nicht zu erwarten hätten. Aber es kommt nicht nur darauf an, was ein Bündnisvertrag an positiven Zusagen enthält, sondern auch wesentlich darauf, was die Völker glauben, daß er ihnen früher oder später bescheren könne, was sie in einen solchen Vertrag hineinlegen und was sie aus ihm - ohne seinen Wortlaut zu kennen - als Richtschnur für die eigene Haltung entnehmen. So sah das französische Volk in dem Vertrag - um einen französischen Geschichtschreiber zu hören - "gleichsam das Vorspiel zur nationalen Rache, die es leidenschaftlich seit zwanzig Jahren herbeisehnte. Man glaubte nur zu leicht, der Zar habe damit, daß er die Marseillaise anhörte, gegen den Frankfurter Frieden Einspruch erhoben und seine Bereitwilligkeit zeigen wollen, ihn zu zerreißen".74 Der Abschluß der Militärkonventionen vom August 1892 steigerte diesen Glauben und verstärkte die Sprache. Zu Beginn des Jahres 1893 hielt ein aktiver französischer Generalstabsoffizier Molard es schon für angezeigt, in einem militärischen Werke auszuführen: "Die französische Politik hat stets nur einen Zweck gehabt, die Zurückeroberung der von der deutschen Rasse usurpierten Gebietsteile des linken Rheinufers. Der Rhein ist nicht ein deutscher Fluß - mögen es die deutschen Geschichtschreiber auch noch so oft sagen - sondern er bildet die Grenzbarriere. Er teilt in Wirklichkeit das westliche Europa in zwei große Gebiete, in das französische Gebiet, das vom Atlantischen Ozean bis zum Rhein reicht, und in das deutsche Gebiet vom Rhein bis zur Elbe. Auf jeder Seite dieser Grenzbarriere waren seit 2000 Jahren Gallier und Germanen Feinde, wie es Deutsche und Franzosen heutzutage noch sind. Wir waren es, wir sind es und wir werden es bleiben - bis zum Tage der endgültigen Entscheidung - Erbfeinde! - Das ist nicht eine Phrase, sondern die einfache Feststellung der historischen Wahrheit!"

Es ist nicht die Stimme eines einzelnen Säbelrasslers, die hier ertönt; man hört den Chor der Stimmen derer, die im 17. und 18. Jahrhundert in den könig- [405] lichen Heeren, und dann in den Armeen der Republik und unter Napoleon den deutschen Westen verheerten; man hört den gellenden Zuruf der Nation, der Napoleon III. bei der leichtfertigen Entfesselung des Krieges von 1870 vorwärtstrieb, dessen Urheberschaft mit einer niemals endenden Verantwortung belastet ist. Diese ganze geschlossene und in ihrer Art große Tradition, längst in dem Geiste der Revanche aufgenommen, hat nunmehr die Haltung des Bedrohten abgelegt und läßt wieder die Fanfaren zum Angriff, wie damals, als alles vom "grand Rhin" und vom "petit Rhin" träumte, herausfordernd erschallen.

Das russisch-französische Bündnis und seine Rückwirkung auf den kriegerischen Geist der Franzosen legten der deutschen Staatsleitung eine schwere Verantwortung auf. So wenig auch im Augenblick eine bedrohliche Spannung nach der einen oder anderen Seite bestand, so war schon die militärische Tatsache, der man sich fortan gegenübersah, derartig eindeutig, daß man ihr, nachdem die Diplomatie ihre Kunst erschöpft hatte, nur mit militärischen Tatsachen begegnen konnte. Die jetzt einsetzende und auf die deutsche Front gerichtete Zusammenarbeit der russischen und französischen Generalstäbe konnte nur durch eine höhere Anspannung der eigenen Wehrkraft ausgeglichen werden.

Nachdem der große Heeresreorganisationsplan Verdys während der Kanzlerkrisis zurückgestellt worden war,75 war eine Ergänzungsvorlage (Erhöhung der Präsenzstärke um etwa 18 000 Mann, in der Hauptsache Feldartillerie) zurückgeblieben; der Reichstag hatte jedoch ihre Annahme mit Resolutionen begleitet, die für die Zukunft eine grundsätzliche Schranke aufrichteten; sie sprachen sich gegen die volle Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht, gegen das Septennat und anderseits für die Einführung der zweijährigen Dienstzeit bei den Fußtruppen aus. Wenn Caprivi eine namhafte Verstärkung durchsetzen wollte, hatte er eine doppelte Aufgabe zu lösen: nach außen hin mußte er verhindern, daß die Vorlage als ein Anzeichen politischer Absichten aufgefaßt werde und statt zu einer Friedenssicherung zu ihrem geraden Gegenteil führe; nach innen hin mußte er, wenn er nicht in einen Konflikt hineintreiben wollte, die Erhöhung der Präsenzstärke und damit der Schlagfertigkeit durch den immerhin gewagten Schritt der Dienstverkürzung erkaufen. Im September 1892 - in den Wochen nach dem Abschluß der russisch-französischen Militärkonvention - war der Kaiser, wenn auch gegen starke Widerstände, für diesen Weg gewonnen, mit dem, unter dem gleichzeitigen Zwang der inneren wie der äußeren Situation, die seit dem Jahre 1860 festgehaltene Heerespraxis verlassen wurde.

Die deutsche Militärvorlage von 1892/93, in der eine Erhöhung der Präsenzstärke um ursprünglich 86 000 Mann vorgesehen war, stand durchaus unter dem unheimlichen Zeichen des Zweifrontenkrieges. Mit dieser bitteren Tatsache mußte jetzt mit dem Eintritt jedes Kriegsfalles unweigerlich gerechnet werden. Die [406] Motivierung des Reichskanzlers machte aus ihr kein Hehl: "Wir wollen weder Frankreich noch Rußland angreifen; wir wollen aber für den Fall, daß diese beiden Staaten sich noch mehr nähern sollten, alle Mittel aufbieten, die uns zur Verfügung stehen, um einen etwaigen Angriff zurückschlagen zu können. Wir stehen vor der Notwendigkeit, wenn wir an einen künftigen Krieg denken, uns den mit zwei Fronten zu denken, und zwar nicht als Ausnahme, sondern als den wahrscheinlichen Fall."76 Nirgends schlagen die Motive der Heeresverwaltung einen anderen Ton als den der Abwehr drohender Überlegenheit an. Ein präventiver Angriffsgeist, wie man ihn in den Jahren 1887 - 1889 in den Spitzen des Heeres beobachten konnte, scheint so gut wie ausgelöscht zu sein.77 Zumal dem Nachfolger Waldersees, dem Generalstabschef Grafen Schlieffen, der im scharfen Gegensatz zu seinem Vorgänger sich eine strenge Zurückhaltung von der Politik zur Pflicht machte, war der Präventivgedanke als Forderung fremd. Um so mehr war er, ein Kopf von wundervoller Schärfe des Urteils, sich darüber klar, daß ein machtpolitischer Druck auf beide deutsche Grenzen auch ohne Krieg eine gefährliche Sache war, wenn ihm nicht mit einem ebenbürtigen machtpolitischen Druck aus dem Inneren begegnet werden konnte. Wir haben aus seinem Munde damals das ebenso persönlich wie realistisch geformte Urteil über die Kosten der Heeresreorganisation: "Geld muß man für alles geben. Schlechte Behandlung, Fußtritte, Unterwürfigkeit, Elend muß man auch bezahlen, vielleicht sehr hoch. Hat man die Wahl, so ist es am billigsten und angenehmsten, sich die Macht zu kaufen."78 Der Machtgedanke des preußischen Generalstabs (wenn man diese vertrauliche Äußerung so bezeichnen will) verleugnet auch jetzt noch nicht seine Herkunft; noch zittert in ihm nach, auf wie langem und bitterm Wege des Erlebens den Deutschen der Sinn der Macht im Völkerleben aufgegangen ist. Denn dieser Machtgedanke war, den Lehren der Geschichte und der deutschen Mittellage gemäß, nichts anderes als der Sicherheitsgedanke, der ihn in dem internationalen Sprachgebrauch von heute abgelöst hat.

Trotz der starken Erleichterung, die in der Herabsetzung der Dienstzeit für die Fußtruppen lag, stieß die Heeresvorlage anfänglich auf ernste Schwierigkeiten im Reichstage. Caprivi ließ sich sogar herbei, einen Vermittlungsantrag des Abgeordneten von Huene, durch den die angeforderte Erhöhung der Präsenzstärke um 13 000 Mann gekürzt wurde, als annehmbar zu bezeichnen. Als aber auch dieser Kompromißvorschlag keine Mehrheit gewann, wurde der Reichstag [407] am 6. Mai 1893 aufgelöst. Während der Reichstagsberatungen hatte die gesamte Pariser Presse wie auf geheimen Befehl zurückgehalten, erst nach der Ablehnung des Antrages Huene brach der Jubel los. In der Patrie war schon zu lesen: "Eine Stunde, die vielleicht nicht fern ist, wird dieses anscheinende Gerüste von Macht und despotischer Tyrannei mit einem Stoße unerwartet umwerfen, unter dem Antrieb von Ereignissen, deren Gang niemand aufzuhalten oder aufzuschieben vermag." Solche Äußerungen sind in der Pariser Presse in der Zeit von 1871 bis 1914 eine nicht seltene und darum nicht zu tragisch zu nehmende Begleiterscheinung, nur ihre Temperaturhöhe ist von der jeweiligen Situation abhängig.

Einstweilen wurde, nachdem die Neuwahlen die Zusammensetzung des Reichstages im günstigen Sinne verändert hatten, die Caprivische Heeresvorlage, in der Beschränkung des Antrages Huene, am 15. Juli 1893 angenommen. Es war bezeichnend für die damalige Auffassung der europäischen Lage, daß die polnischen Reichstagsabgeordneten sich von vornherein in den Abstimmungen auf der Regierungsseite hielten: sie hatten damals alle ihre Hoffnungen in dem nahenden Weltkriege auf die Seite der Mittelmächte gesetzt.

Wenn die Franzosen in der Heeresvorlage eine Antwort auf den Zweifrontendruck durch das russisch-französische Bündnis sahen, so hatten sie jetzt das dringende Bedürfnis, ihrem Bündnis einen neuen glänzenden Ausdruck vor der Welt und nach innen die leidenschaftlich ersehnte völkerrechtliche Bestätigung zu geben: das erste geschah durch den Besuch, durch den das russische Geschwader den Kronstädter Besuch in Toulon erwiderte, und das zweite durch den Austausch der von den Staatshäuptern unterzeichneten Verträge am 27. Dezember 1893 bzw. 4. Januar 1894.

Der Besuch in Toulon hinterließ, nachdem der Rausch der nationalen Feststimmung verflogen war, in beiden Völkern die aufregende Empfindung, daß Rußland und Frankreich vereint, wie Chateaubriand es einst formuliert hatte, der ganzen Welt das Gesetz des Handelns vorschreiben könnten: und der Rhythmus der politischen Geschäftigkeit der Kabinette wurde allerdings von diesem Eindruck bestimmt. Zwar hatten auch die Feste von Toulon das tatsächliche Machtverhältnis noch nicht weiter verschoben, aber sie wirkten doch beunruhigend auf die Luft der Imponderabilien zurück, in der die reale Staatenordnung eingebettet ist. Es war, als wenn die verbündete russisch-französische Kraft durch jede neue Stufe ihrer Manifestation ihre offensive Tendenz verstärkte, und wenigstens der eine Partner begann diese "Vertiefung" des Bündnisses gründlich auszukosten.79 Sorgenvoll verzeichnete der belgische Gesandte in Paris, daß fast niemand mehr in Frankreich an der Verbindung der beiden Völker und Heere zum Zwecke einer gemeinsamen Unternehmung gegen Deutschland und seine Verbündeten zweifle:

      "Es ist zu fürchten, daß der Zar wider [408] Willen doch nur erreicht hat, in Frankreich Gefühle zu erhitzen, die bei dem Nervenzustande, in dem sich gegenwärtig diese leicht zu beeinflussende Nation befindet, keine Erregung mehr nötig hatten. Ihre Regierenden würden sie viel schwerer als noch vor einigen Wochen zur Bewahrung der Kaltblütigkeit veranlassen können, wenn ein Zwischenfall plötzlich auftauchte."80

Ein anderer objektiver Urteiler, der belgische Gesandte in Berlin, faßte seinen Eindruck in den Sätzen zusammen:

      "Gibt es einen Franzosen, der nicht die Revanche wünschte? Die einen, die Besessenen, wollen sie auf der Stelle. Das sind die weniger zahlreichen... Die andern, die Klugen, erwägen die Revanche für später, wenn die Konjunktur besser geworden ist. Dieses Gefühl... hat seinen Ausdruck in dem Taumel des Empfanges für die russischen Matrosen gefunden, der sich weder durch die Sympathie für die russischen Zustände noch durch gemeinsame Überlieferungen erklären läßt. Das einzig Gemeinsame ist der Haß gegen Deutschland, dem man es nicht verzeihen kann, die vorherrschende Macht in der Welt zu sein, wie es Frankreich gewesen ist und Rußland zu werden träumt. Im Munde der Pariser Bevölkerung hat der Ruf »Es lebe Rußland« die gleiche Bedeutung wie der Schrei »Nach Berlin«, den sie 1870 ausstieß."81

Das ist die eine Seite der sichtbaren Nachwirkungen von Toulon. Die andere Seite ist allgemeinerer Natur. Der Welt wurde zu Gemüte geführt, daß das politische Energiezentrum, die bewegende Kraft der Initiative sich in Europa zu verschieben begann. Diese Verschiebung wirkte auf alle Teile des Bismarckischen Systems zurück, auf den Dreibund und seine Glieder und auf das locker ihm angeschlossene England; ja nach Toulon überwog der Eindruck, daß die unmittelbare Spitze geradezu gegen die englische Machtstellung im Mittelmeere gerichtet sei. Aber selbst wenn das der Fall war, wurde der europäische Kredit der deutschen Politik nicht auch davon betroffen?

Das innere Selbstvertrauen der deutschen Außenpolitik wurde durch diese Umgruppierung um so weniger erhöht, als die scharfe Kritik Bismarcks jeden ihrer Schritte begleitete und ihr mit wachsendem Widerhall im Volke die Schuld daran zuschob. So wuchs die Neigung bei den leitenden Männern des neuen Kurses, nur dem Alten von Friedrichsruhe keine Blöße zu geben, nachdem das unglückliche Vorgehen Caprivis gegen die Reise Bismarcks nach Wien im Sommer 1892 eine so furchtbare Antwort ausgelöst hatte. Es scheint, daß man gerade in der Außenpolitik den Zweifel nicht los ward, ob die Staatsräson Bismarcks nicht sicherer orientiert gewesen sei, und es läßt sich schon seit dem Herbst 1892 beobachten, daß man auf den russischen Weg zurückzutasten suchte.

Diese Tendenz sollte bei dem Abschluß des deutsch-russischen Handelsvertrages bereits sichtbarer in die Erscheinung treten. Nachdem man von Ende 1891 bis zum Sommer 1893 nicht über akademische Erörterungen hinausgelangt [409] war, bedurfte es schließlich noch des Zwischenspieles eines deutsch-russischen Zollkrieges, um am 1. Oktober 1893 die Verhandlungen neu zu eröffnen. Aus diesen Verhandlungen, begonnen unter dem ungünstigen Gestirn von Toulon, ging der Handelsvertrag hervor, der am 10. März 1894 gegen eine starke agrarische und Bismarckische Opposition angenommen wurde.

Der Kampf um den deutsch-russischen Handelsvertrag geht nicht allein und in erster Linie um seinen wirtschaftspolitischen Inhalt - wenn auch schon in höherem Grade als bei den handelspolitischen Kämpfen des Jahres 1891. Der Vertrag hat im ganzen dazu beigetragen, die Handelsbeziehungen zwischen Rußland und Deutschland inniger und fester zu gestalten. Die Herabsetzung der Landwirtschaftszölle war eigentlich nur die notwendige Folge der früheren Verträge; aber sie trug dazu bei, die wirtschaftspolitische Schwenkung zu vertiefen und das Schwergewicht von der agrarischen auf die industrielle Seite zu verlagern; so wurde denn auch die Begründung des Bundes der Landwirte von dem damals entfesselten Interessenkampf ausgelöst.

Aber grundsätzlich noch bedeutsamer waren die Kämpfe, die auf einem andern Schauplatze um die Frage gingen: was bedeuten gute handelspolitische Beziehungen für Völker, die nicht durch Bündnisverträge miteinander verknüpft sind (darauf war die Argumentation von 1891 zugeschnitten), sondern sogar verschiedenen politischen Bündnisgruppen angehören? Caprivi erklärte in seiner Reichstagsrede vom 27. Februar 1894, daß er in dem Vertrage eine Brücke für den friedlichen Verkehr zweier großer Nationen sehe und die Wirkung von ihm erwarte, die Spannungen zwischen den Nationen zu vermindern; ja er wagte es, mit Anspielung auf den "zerrissenen" Draht nach Petersburg von einem "starken, kräftigen, neuen Draht" zu sprechen. Der Kaiser hatte sich im Kronrat vom 18. Februar 1894 sogar übertreibend zu der Auffassung bekannt, daß ein gutes politisches Verhältnis zwischen Staaten, deren wirtschaftliche Beziehungen schlechte seien, auf die Dauer nicht bestehen könne, und die Hoffnung ausgesprochen, daß der Vertrag zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland und zur Lockerung derjenigen zwischen Rußland und Frankreich führen könne.

Während Bismarck die beiden Gebiete Politik und Wirtschaft durchweg streng auseinandergehalten hatte, suchte Caprivi in dem neuen Zeitalter des wachsenden Einflusses der Wirtschaft auf die politischen Entscheidungen gerade der deutschen Politik eine führende Rolle dadurch zu verschaffen, daß sie diesen Umschwung entsprechend auswerte. Das war eine Illusion, sobald man glaubte, jemals den Primat der Außenpolitik, den Umkreis dessen was die Völker als ihre Macht, Sicherheit und Lebensnotwendigkeit begreifen, zugunsten überragender und richtig verstandener wirtschaftlicher Interessen zu durchbrechen. Wohl aber war es eine Erkenntnis, die in einem begrenzten Geltungsbereich eine sekundäre (und mit der Zeit wachsende) Bedeutung schon damals besaß. Und da [410] der Russe von Haus aus seinem Bündnis mit Frankreich keineswegs eine offensive Spitze gegen Deutschland geben wollte, konnte ein dauerndes und beide Teile befriedigendes deutsch-russisches Wirtschaftsverhältnis dazu beitragen, die von Paris aus genährte Gefahr politischer Spannungen zu verringern. Wie hoch der Wert der Karte in dem großen Spiel der europäischen Mächte einzuschätzen war, stand allerdings dahin.

Während die kontinentalen Bündnisgruppen sich versteiften, blieb die einzige großmächtliche Beziehung des Deutschen Reiches von labiler Natur, die Beziehung zu England. Sie war in ein neues Stadium getreten, weil seit dem August 1892 ein Ministerium Gladstone-Rosebery die Staatsleitung Salisburys ablöste. Das liberale Kabinett hatte zwar die Erbschaft seines konservativen Vorgängers in dem allgemeinen Verhältnis zu Deutschland angetreten und sich mit einer entsprechenden Erklärung bei den Dreibundsmächten eingeführt,82 aber es hatte es abgelehnt, die Dreier-Abkommen vom Februar bzw. November 1887 anzuerkennen.83 Es konnte also formell zur Politik der freien Hand übergehen und ließ die Stetigkeit um so stärker vermissen, als es mit Widerständen im eigenen Lager zu rechnen hatte; wenn Rosebery auch seiner Außenpolitik einen aktiveren Zug zu geben suchte, so verfügte seine sanguinische Sprunghaftigkeit weder über den Rückhalt der nötigen Machtmittel, noch über die Festigkeit einer großen Linie. So lagen die Dinge für die Frage Intimität und Bündnis zwischen Deutschland und England seit dem August 1892 eher ungünstiger als vorher. Was Bismarck auf der Höhe seiner Macht von Salisbury nicht hatte erlangen können, konnten seine Epigonen von Rosebery kaum erwarten.

Dazu kam, daß die Reibungen, die sich aus den mannigfachen kolonialen Berührungen in der Welt ergaben, sich in den nächsten Jahren unglücklich häuften; und es ließ sich nicht verkennen, daß auch die englischen Liberalen die Proteste und Klagen von dem nachbismarckischen Deutschland nicht so leicht ertrugen, wie von dem bismarckischen Deutschland in der Periode von 1884/85; sie legten sich schon die Frage vor, ob man sie von einem zwischen Rußland und Frankreich eingerahmten Deutschland überhaupt schweigend hinnehmen müsse. Gleich in den ersten Monaten zeigte ein Zwischenfall, daß man in London empfindlicher wurde. Als Anfang Januar 1893 der englische Botschafter in Konstantinopel in der anatolischen Eisenbahnfrage zum Nachteile Deutschlands für die französischen Interessen eintrat, wies Herr von Marschall den deutschen Vertreter in Kairo am 7. Januar an, die deutsche Zustimmung zu einer englischen Truppenvermehrung in Ägypten zurückzuhalten; eine Weisung, die übrigens nicht praktisch wurde, da die Zustimmung bereits ausgesprochen war; die Episode [411] lief so rasch ab, daß schon in den nächsten Wochen der Beistand des Dreibundes Rosebery ermöglichte, die französische Aktion in Ägypten zu überwinden und sich zu einer dankbaren Verpflichtung gegenüber dem Dreibunde zu bekennen.

Die Episode ist nur wegen einer psychologischen Nachwirkung bemerkenswert. Denn der junge parlamentarische Unterstaatssekretär im Foreign Office, Sir Edward Grey, will, wie er in seinen Memoiren erzählt, damals von dem deutschen "Ultimatum", das in der ägyptischen Frage die Schlinge um den englischen Hals mit einem groben Ruck zusammengezogen habe, einen bitteren Nachgeschmack zurückbehalten haben. In Wirklichkeit scheint die Aufbauschung des Vorganges, der in den Erinnerungen Greys zum bestimmenden Auftakt des Erlebens gemacht wird, den Rückschluß auf eine bereits vorhandene antideutsche Voreingenommenheit zuzulassen.84 Immerhin bemerkt man, daß Grey amtlich auch schon vor dem Weltkrieg auf seine in der kurzen Episode von 1892 - 1895 mit den Deutschen gemachten Erfahrungen kritisch zurückkommt, und eine längere Liste von unangenehmen Streitfragen anführt.85 Man hat doch die Vorstellung, daß in dem dreibundfreundlichen Ministerium Roseberys einflußreiche Elemente überhaupt nur zögernd mitgingen.

Jedenfalls kam in die deutsch-englischen Beziehungen ein merkwürdiges Element springender Unruhe. Sobald es sich um ägyptische Angelegenheiten handelte, war Rosebery zu dem Geständnis bereit: Was sollte ich wohl ohne den Dreibund machen? Als der Siamkonflikt zwischen England und Frankreich einen Augenblick sich kriegerisch anließ, wollte man hastig an Deutschland heranrücken. In afrikanischen und Südseefragen verschwanden kleine Konflikte niemals von der Tagesordnung, und bis in untergeordnete Fragen hinein, wie Geschützlandungen in der Walfischbai oder Kulitransporte in Singapore tauschte man gereizte Noten aus. Am 14. September 1893 mußte wieder einmal - nach alten bismarckischen Rezepten von 1884/85 - ein scharfer Erlaß nach London zur Erinnerung bringen, Deutschland könnte gezwungen sein, "künftig sein Entgegenkommen gegenüber englischen politischen Wünschen nach dem Grade englischen Entgegenkommens auf kolonialem Gebiete abzuwägen". So bewegte man sich in einem steten Kreislauf von freundschaftlichen Versicherungen für die Zukunft und ärgerlichen Vorstellungen für die Gegenwart. Und es ließ sich auf keiner Seite ein führender Wille erkennen, aus diesem Zustande der Unsicherheit in eine klarere und festere Stellung gegenüber den umgebenden Gefahren zurückzukehren.

[412] So war es denn bezeichnend für die Konstellation, die sich seit Toulon in Europa ergeben hatte, daß die einzige weitausschauende diplomatische Gegenaktion aus dem Lager des Dreibundes nicht von Berlin und der führenden Dreibundmacht ausging, sondern von Wien, von dem Grafen Kálnoky, der ein Jahrzehnt lang neben dem deutschen Reichskanzler eher die zweite Geige im Bunde gespielt, aber immerhin eine so starke Erfahrung in dieser Gemeinschaft angesammelt hatte, daß sich seit dem Frühjahr 1893, nach dem Urteil von Feind und Freund, sogar das Schwergewicht des Dreibundes von Berlin nach Wien verschoben haben sollte.

Kálnoky kam gegen Ende des Jahres 1893 zu dem Entschluß, die neue Weltlage dazu zu benutzen, um die Identität der Interessen des Dreibundes und Englands, die im letzten Jahre ziemlich unverbunden nebeneinander hergelaufen waren, in einer neuen Vertragsform zu verknüpfen, - und zwar auf der Grundlage der Meerengenpolitik. Die deutsche Politik hatte seit Beginn der Handelsvertragsverhandlungen sich bemüht, die Russen über die Fortdauer ihrer Meerengenpolitik zu beruhigen und auch in Wien keinen Zweifel über ihre Haltung aufkommen lassen. Kaiser Wilhelm hatte schon die Manöver in Güns (September 1893) zu solcher Mitteilung benutzt;86 und Ende November 1893 sah sich der Generalstabschef Graf Schlieffen zu der Mitteilung an den österreichischen Militärattaché veranlaßt, Deutschland würde im Falle einer Besetzung Konstantinopels durch die Russen keinen casus belli darin erblicken, da außer England niemand in dieser Frage interessiert sei. Der österreichische Generalstabschef glaubte ein Wiederauftauchen der Bismarckpolitik zu bemerken und erinnerte an die feierlichen Versprechungen vom August 1889 - aber augenscheinlich war die damalige Haltung von der deutschen Politik gründlichst aufgegeben worden.87

In dieser Lage setzte Kálnoky sich die Aktivierung des Dreibundes zur Aufgabe. Sie verfolgte im einzelnen das Ziel, Italiens Abspringen zu verhindern und seine Bundestreue durch englischen Kitt zu befestigen, England zu bestimmter Stellungnahme im Orient und Mittelmeer zu veranlassen und Deutschland aus seiner Rolle der Entsagung in Konstantinopel herauszuholen. Er operierte gleichsam als Fortsetzer der Aktionen Bismarcks von 1887, aber wenn das Ganze gelang, so wäre der Zentralnerv der neuen Gruppierung allerdings von London nach Wien verlaufen.

[413] Am 25. Januar 1894 regte Kálnoky in mehreren Depeschen nach London an, die Stellungnahme Englands für den Fall einer ernsten Erwägung zu unterwerfen, daß Rußland an den Meerengen rütteln werde - ohne England werde Österreich die Wacht am Bosporus aufgeben müssen. Daraufhin gab Rosebery am 31. Januar/26. Februar die positive Versicherung ab, er werde es um der Erhaltung des status quo willen an den Meerengen nötigenfalls auf Krieg mit Rußland ankommen lassen, vorausgesetzt daß "Österreich und seine Freunde", also der Dreibund, "Frankreich in Schach halten", d. h. zur Neutralität zwingen würden. Das Ergebnis war formell eine an eine Voraussetzung geknüpfte verbindliche Erklärung, zugleich mit der verschleierten Anfrage, ob die formulierte Voraussetzung zutreffe.88 Es kam also darauf an, diese "Anfrage", mit welchen Vorbehalten immer sie umgeben war, so zu beantworten, daß eine Brücke der Verhandlung und womöglich aus den beiden Gliedern der Erklärung eine feste, bis nach Berlin reichende Kette hergestellt werden konnte.

Die deutsche Reichsregierung hatte in diesem Augenblick gerade den russischen Handelsvertrag abgeschlossen, in dem sie eine wesentliche Garantie des Friedens auf der realen Grundlage der Wirtschaftsinteressen erblickte, und war daher nur wenig geneigt, die soeben beruhigte Atmosphäre durch gewagte Experimente nach der anderen Seite wieder zu stören. So ließ sich Caprivi wohl zu der platonischen Erklärung herbei, "daß ein Appell Englands an die Unterstützung der Tripleallianz a priori nicht wohl abgelehnt werden könne", aber seine amtliche Antwort vom 8. März 1894 brachte eine glatte Ablehnung; er zog aus einer berechtigten Kritik der englischen Unklarheit (die sich ihre Initiative am Bosporus in einem besser zu lokalisierenden Kriege vorbehielt und daraufhin schon die Verpflichtung Deutschlands zur Pression auf Frankreich erwerben wollte) den Schluß, daß für Deutschland ein Zweifrontenkrieg eine zu ernste Sache sei, um ihn wegen der Meerengen zu provozieren. Kálnoky unternahm dann am 20. April noch einen zweiten Anlauf in Berlin, um sich dem für ihn so wünschenswerten Ziel zu nähern; er glaubte jetzt einer gewissen Bereitschaft Roseberys zu Äquivalenten sicher zu sein89 und auch auf eine günstige Aufnahme bei Kaiser Wilhelm rechnen zu dürfen. Noch einmal empfahl er auf das dringlichste, eine entgegenkommende Antwort zu geben, die unverbindlich in der Form und an Bedingungen geknüpft sein könne. Aber schon am 23. April lehnte Caprivi den österreichischen Vorschlag auch in dieser Form ab - so unbedingt, man darf sagen, aus der gleichen Menta- [414] lität heraus, wie er im Frühjahr 1890 seine Absage an Rußland gegeben hatte. Er blieb dabei, daß England in diese Politik sehr wenig, Deutschland aber den letzten Mann und den letzten Groschen einzusetzen habe.

Man kann seine Entscheidung an sich nicht tadeln, denn die Gegengründe gegen das mehr von Wien als von London aus betriebene Unternehmen wogen zu schwer, und die Annahme, als wenn damals wirklich das erste der sibyllinischen Bücher von England an Deutschland herangetragen und verbrannt worden sei,90 läßt sich nach allem, was wir von Roseberys Politik wissen,91 kaum aufrechterhalten. Man könnte höchstens zur Erwägung geben, ob es sich nicht trotzdem gelohnt hätte, den dünnen Verhandlungsfaden aufzuheben und für irgendein Gespinst zu nützen; aber ein solches Vorgehen würde, wenn es versucht worden wäre, schon im nächsten Augenblick sich als vergeblich erwiesen haben.

Denn einige Wochen später kam es zu einem ganz unvorhergesehenem Anlaß, zu einem diplomatischen Konflikt zwischen Deutschland und England, dessen Verlauf die Illusion über einen ernsten Bündniswillen Roseberys völlig zerstörte. Ein am 12. Mai 1894 zwischen England und dem Kongostaat geschlossener Vertrag führte fast gleichzeitig zu einem deutschen und zu einem französischen Protest - es war eine Situation wie vor zehn Jahren, die auch die Möglichkeit eines gemeinsamen deutsch-französischen Vorgehens auftauchen ließ. Daß dieser der Kongoakte widersprechende Vertrag einwandfreie deutsche Rechtsansprüche verletzte, und zwar mehr aus Vergeßlichkeit als aus Illoyalität, steht außer jeder Frage.92 Der scharfe Ton der deutschen Note, der bei der Unanfechtbarkeit der Rechtslage nicht einmal erforderlich gewesen wäre, erklärt sich wohl aus der Absicht, bei dieser Gelegenheit den unbefriedigenden Tatbestand der kolonialen Differenzen überhaupt einmal aufzurechnen.

Aber welchen turbulenten Umschwung der englischen Politik löste eine Sache aus, in der sie völlig im Unrecht war! Schon am 13. Juni kündigte Rosebery dem österreichischen Botschafter an, daß er durch Deutschlands Vorgehen in der Kongofrage genötigt sei, in der Frage der Zusicherung hinsichtlich der Meerengen und Konstantinopels eine Revision der englischen Politik vorzunehmen. Als der Kaiser dann in entsprechendem Tone Klage führte, daß der Schritt in Afrika möglicherweise unberechenbare Komplikationen in Europa schaffen würde, ließ Rosebery andern Tages die Österreicher wissen, daß die Umstellung seiner Politik auch Italien und den ganzen Dreibund betreffen würde; das deutsch-französische [415] Zusammengehen erinnere ihn daran, daß es auch Punkte in der Welt gebe, wo England und Frankreich sich verständigen könnten.93

Das alles war um so schwerer verständlich, als England und Deutschland schon nach wenigen Wochen, nach Aufhebung des "Korridorparagraphen" im Kongovertrag, die ganze Streitfrage aus der Welt schafften, und Rosebery sich bemühte, den Weg zum Dreibund, zunächst zu Österreich, zurückzufinden. Aber der Ablauf des Kongostreites, einer zeitlich in sich abgegrenzten Episode, hat immerhin die Bedeutung, daß vorübergehend der englische Partner in schärferer Beleuchtung erscheint; danach aber behält man den Eindruck, daß der innere Wert der Bereitwilligkeit Roseberys, auf die Pläne Kálnokys einzugehen, nicht allzu hoch bemessen werden dürfte. Der Kongostreit war zugleich eine neue Stufe in den deutsch-englischen Kolonialreibungen; schon wiederholt hatte Deutschland sein sachliches Recht mit einer gewissen Schärfe in der Form ausgedrückt und damit dazu beigetragen, die laufende Bündnisunterhaltung mit peinlichen Vorhaltungen zu durchsetzen. Ein Erlaß Marschalls vom 16. November 1894 stellte fest, daß das Kabinett Rosebery nach und nach das Wohlwollen Deutschlands durch Rücksichtslosigkeiten in Fragen von untergeordneter Bedeutung verscherze. Er hatte recht, daß er die Anlässe tadelte, aber die Schlußfolgerungen, die er zog, waren eine Sache der großen Politik. Zwar ließ Rosebery im November 1894 amtlich erklären, daß er die bestehenden guten und nahen Beziehungen zum Dreibunde fortsetzen wolle, aber er schien jetzt doch sehr abgekühlt, und von einem Abkommen war nicht mehr die Rede. Wenn er einmal klagte, daß man in Berlin mit allen auf dem besten Fuße stehen wolle und schließlich die wirklich befreundeten Mächte verstimmen würde, so ist darauf zu erwidern, daß er selbst von solcher Gabe mindestens den gleichen Gebrauch machte.

Denn seine Staatskunst der freien Hand, die seit Monaten nach engerer Fühlung mit Petersburg und Paris Ausschau hielt, ging gegen Ende des Jahres 1894 dazu über, nach dem Scheitern einer Orientpolitik mit dem Dreibunde, eine Orientpolitik ohne den Dreibund einzuleiten. Unleugbare Mißstände der türkischen Verwaltung in Armenien, armenische "Greuel", hatten der englischen öffentlichen Meinung einen Anstoß zu einem Entrüstungsfeldzuge gegeben. Entscheidend war, daß die englische Regierung diese Agitationen jetzt aufgriff, um entgegen ihrer früheren Überlieferung von dieser gefährlichen Stelle aus die große türkische Reformfrage in Fluß zu bringen. Im Dezember 1894 lud sie die russische und die französische Regierung zu gemeinsamen Schritten zur Klärung der armenischen Angelegenheiten ein. Unter [416] solchen Vorzeichen trat ein ganz neues Element in die Beziehungen der Großmächte, und es ist begreiflich, daß man in Berlin eine weltgeschichtliche Wendung darin zu sehen meinte, "wenn gerade England die türkische Erbschaft für eröffnet erkläre".94

Von der deutschen Politik gegenüber England im Jahre 1893/94 scheidet man nicht mit dem Eindruck, daß sie etwas gestört oder versäumt habe, was ihr im Gegenspiel gegen die Weltlage seit Toulon wertvolle Aussichten geboten haben würde: für die Pläne Kálnokys, so richtig sie von Wien aus gesehen waren, erwiesen sich Männer und Umstände in London doch nicht als bündnisreif. Ein besonderes Schuldkonto der deutschen Seite ist nicht festzustellen, und nur die große Suche nach verpaßten Gelegenheiten, die sich retrospektiv eine Zeitlang der Durchforschung der deutsch-englischen Beziehungen bemächtigte, hat diese Vorgänge zeitweise in einem überscharfen und künstlichen Lichte erscheinen lassen. Ob man auf der deutschen Seite gut daran tat, gleichzeitig mit der im Orient geübten Zurückhaltung die kolonialen Schwierigkeiten so scharf zu unterstreichen, läßt sich verschieden beurteilen. Wenn der Spannung damals trotz allem nur ein episodenhafter Charakter innewohnte, so liegt der Grund darin, daß die Geschäftsführung Roseberys, dessen Nervosität selbst das sprunghafte Temperament des Kaisers überbot, schon im Juni 1895 wieder von Salisbury abgelöst und damit für die deutsch-englischen Beziehungen, so viel Reibungsballast sie auch schon mit sich schleppten, noch einmal die Möglichkeit eines neuen Ansatzes eröffnet wurde.

Die österreichisch-englischen Entwürfe von 1894 hatten die Politik Caprivis in dem ungünstigen Augenblick berührt, als er sich gegenüber dem russisch-französischen Bündnis vor die Aufgabe gestellt sah, das Wachstum der (ihm nicht genau bekannten) Intimität und seines Druckes auf die beiden deutschen Fronten zu verhindern; wenn er auch kaum Erfolg in dem Bestreben haben konnte, Rußland von Frankreich wieder zu entfernen, so konnte er doch die unmittelbare Gefahr der verbundenen Fronten von Mitteleuropa ablenken. Ein Eingehen auf Roseberys Pressionsvorschlag würde dieses Ziel gefährdet haben. So bereitete Caprivi tatsächlich eine Situation vor, in der auch der neue Zar zu einem relativ freundlichen Verhalten gegenüber Deutschland veranlaßt werden konnte.

Auch wer die politischen Gedankengänge Caprivis billigt, wird dies bemerken: daß er unter dem Verhältnis zu der Ära Bismarck litt. Schon bei den letzten Bemühungen Kálnokys fällt es auf, wie lehrhaft der Österreicher, eigentlich schon seine Grenze überschreitend, den richtigen gegen den mißverstandenen Bismarck auszuspielen wagte: denn allerdings hatte auch er zu kämpfen mit dem Schatten dessen, der - ob richtig oder falsch verstanden - längst wieder unsichtbar in den Entscheidungen der Wilhelmstraße zu spüren war. Als Caprivi dem [417] österreichischen Botschafter am 23. April 1894 seine Absage begründete, klagte er darüber: der Autorität Bismarcks würde die öffentliche Meinung es leicht verziehen haben, wenn er sich in Fragen der großen Politik auch in diametralen Gegensatz zu seinen früheren Aussprüchen gesetzt hätte; er aber sei in einer schwierigeren Lage und könne die von seinem Vorgänger geerbten Rezepte nicht unberücksichtigt lassen; aber gewiß werde er auch seine eigenen abweichenden Anschauungen nach Tunlichkeit zur Geltung bringen und dabei nicht bloß die Interessen Deutschlands, sondern auch die der verbündeten Mächte sich stets vor Augen halten. Der Botschafter gewann aus diesem Geständnis innerer Unsicherheit den Eindruck: "Augenscheinlich kämpft Graf Caprivi - der sonst ein klarer Kopf ist - mit Bismarckschen Traditionen und eigenen Ansichten und kann zu keinem Entschluß gelangen. Er traut sich selbst und seinem Urteil nicht, und demzufolge sind seine Aussprüche nebulos." Die Erfahrungen seit 1890 waren für die deutschen Staatsmänner doch so stark gewesen, daß sie innerlich zu manchen Positionen der Bismarckzeit zurückstrebten - als wenn man einfach, bei veränderter Weltlage, in den Strom wieder hätte steigen können, da wo man ihn im März 1890 verlassen hatte! Ja, man rechtfertigte sich schon vor sich selber dadurch, daß der neue Kurs nur den alten Kurs fortsetze95 - als wenn nicht eine der Voraussetzungen des alten Kurses unwiederbringlich entglitten wäre! In diesem Kampfe der zwei Seelen in einer Brust - der sich von der unbedingten Herrschaft einer leitenden politischen Idee im Geiste Bismarcks tief unterscheidet - mochte dann die Gefühlsseite einen allzu großen Raum in kritischen Stunden einnehmen. In den Entscheidungen, die nun einmal der deutschen Politik in ihrer Mittelstellung zwischen Rußland und England auferlegt waren, bestimmte sie schon die Akzente. Man war so ausgesprochen zu der russischen Tendenz zurückgekehrt - die äußere Versöhnung des Kaisers mit Bismarck war gleichsam auf diesem Hintergrunde vor sich gegangen! - daß man in den Reibungen mit England die schärfere Tonart vielleicht allzu sorglos walten ließ.

Der neue Kurs besaß längst nicht mehr den ursprünglichen Glauben an seinen Weg, als er im Oktober 1894, aus einem plötzlichen Anlaß der Innenpolitik, durch den gleichzeitigen Rücktritt des Reichskanzlers Grafen Caprivi und des preußischen Ministerpräsidenten Grafen Eulenburg, sein erstes Stadium beschloß. Die Außenpolitik spielte dabei nicht mit, aber doch gewisse, in demselben Augenblicke sich einstellende außenpolitische Möglichkeiten: der Tod des Zaren und die Thronbesteigung Nikolaus' II. boten der längst in einer gewissen Rückbiegung begriffenen Außenpolitik des neuen Kurses zusammen mit einer allgemeinen Änderung der Weltlage ganz neue Aussichten.


33 [1/386]Graf Philipp Eulenburg schrieb am 14. Februar 1896 an Holstein: "Nachdem durch den Rücktritt Bismarcks die Leitung der deutschen Politik in Ihre Hände überging, fanden Sie, der Sie eine Herrschernatur sind, in Ihren Zirkeln seinen Machtfaktor, der sich selbständig und nicht in dem Rahmen entwickelte, wie Sie es erwartet oder gewünscht haben. Das mußte zu Gegensätzen führen." (Eulenburg zielt auf den Kaiser.) Haller, a. a. O., S. 194. ...zurück...

34 [1/387]S. Goriainow, The End of the Alliances of the Emperors... a. a. O., S. 340 ff. (mit dem falschen Datum: 12. Februar). ...zurück...

35 [2/387]Auf eine solche Ermächtigung nimmt der zweite geheime Bericht des Grafen Herbert Bismarck an den Kaiser vom 20. März - ohne daß der Kaiser diese Erwähnung irgendwie beanstandet hätte - ausdrücklich Bezug (Gr. Pol. 7, 4). ...zurück...

36 [3/387]Auch aus dieser bündigen Verfügung geht hervor, daß der Kaiser mit dem Inhalt des Vertrages vertraut war. Neuerdings ist von K. Fr. Nowak, Das dritte deutsche Kaiserreich (1930), S. 234, mit Berufung auf Kaiser Wilhelm die Behauptung aufgestellt worden, dieser habe bis zum 20. März 1890 von dem Bestehen des Geheimvertrages nicht gewußt und erst von Caprivi davon erfahren. Diese Behauptung ist von Siegfried v. Kardorff in seiner Polemik mit Nowak restlos widerlegt worden. Schon der Kronprinz Wilhelm war unterrichtet (vgl. Bismarcks Schreiben vom 9. Mai 1888: "Die geheimen Verträge, welche wir mit Rußland haben, sind Ew. Kaiserlichen Hoheit bekannt.") Daß Kaiser Wilhelm II. vor dem Antritt seiner ersten Reise nach Petersburg völlig ins Bild gesetzt worden ist, ergibt sich aus dem Immediatberichte Bismarcks an den Kaiser vom 2. August und 19. August 1888 (Gr. Pol. 6, 341). Ebenso ergibt sich auch aus Goriainow und dem Bericht Herbert Bismarcks, daß die formelle Ermächtigung zur Erneuerung im Februar erteilt worden ist - wie wäre sonst die Verfügung des Kaisers vom 20. März (ohne Rückfrage) und sein Verhalten zu Schuwalow zu erklären? Die Behauptung des Grafen Hutten-Czapski, Bismarck habe am 18. März die falsche Meldung erstattet, Rußland würde bei seinem Rücktritt seine deutschen Vertragsbeziehungen lösen (Hohenlohe 3, 276), entstellt den wahren Hergang. ...zurück...

37 [1/388]Telegramm Schuwalows vom 21. März (Gr. Pol. 7, 20 f.). Vollständiger Text nach dem Tagebuch des Grafen Lamsdorff (Berliner Monatshefte, Februar 1931, S. 163 f.); vgl. Goriainow a. a. O., S. 343 f. Wenn der Kaiser am Abend des 21. März in der Begrüßungsrede für den Prinzen von Wales von der Gemeinschaft der britischen Flotte und der deutschen Streitkräfte für die Sache des Friedens sprach, glaubte er nicht von dem Programm des Morgens abzuweichen! ...zurück...

38 [2/388]Aufzeichnung des Grafen Berchem vom 25. März 1890, Gr. Pol. 7, 4 - 10. ...zurück...

39 [3/388]Denkwürdigkeiten II, S. 392. ...zurück...

40 [1/389]So glaubt auch Uebersberger, a. a. O., S. 963, die Frage, ob die Nachfolger in der Lage gewesen wären, den Nutzen einer wirksamen Garantie gegen den "Cauchemar des coalitions" aus dem Geheimvertrage zu ziehen, ruhig mit einem Nein beantworten zu sollen. ...zurück...

41 [2/389]In zugespitzter Form drückte der Kaiser den Generalen es so aus, als habe Bismarck die Österreicher im Stiche lassen wollen; er bezog sich dabei auf den im vorigen Jahre dem Kaiser Franz Joseph gelobten Treueschwur (s. S. 364 f.). Zu diesem Vorwurf vgl. Hatzfeldt an Holstein: 18. Juni 1895, über das letzte Mittel Bismarcks. (Gr. Pol. 9, S. 353.) ...zurück...

42 [3/389]So Caprivi im Reichstage am 23. November 1892. ...zurück...

43 [4/389]Die russische Diplomatie erklärte den Franzosen im Jahre 1891, sie denke nicht daran, Konstantinopel oder Bulgarien zu besetzen: sie wolle nur den bestehenden Zustand aufrechterhalten und die Türkei von feindlichen Schritten abhalten. ...zurück...

44 [1/390]Schuwalow an Giers, 5./17. Januar 1895. Berliner Monatshefte, April 1932, S. 348. ...zurück...

45 [2/390]So teilte er dem Kaiser Franz Joseph schon bei der ersten Begegnung nach der Entlassung mit; vgl. Caprivi zu Holstein 12. Dezember 1891: "Der Kaiser hat selbst dem Grafen Kálnoky mitgeteilt, daß Bismarck ihn zu einem Vertrag mit Rußland in letzter Stunde habe veranlassen wollen, durch welchen die von uns Österreich gegenüber übernommenen Verbindlichkeiten neutralisiert worden wären; das sei ein Hauptgrund der Trennung zwischen ihm und dem Fürsten gewesen" (Haller, Eulenburg, S. 100 ff). Eulenburg tadelte den Schritt: "E. M. begeben sich damit de corps et âme und mit gebundenen Händen in den Dreibund." Der Kaiser antwortete: "Das sei auch notwendig" (vgl. das Telegramm Wilhelms II. an Franz Joseph vom 28. Oktober 1896). ...zurück...

46 [1/391]Gr. Pol. 7, 17. ...zurück...

47 [2/391]Randbemerkung des Zaren zu Giers vom 16./28. März (Goriainow, a. a. O. S. 344). Fürst Lobanow an Giers: 17. Juli 1890 (in Graf Lamsdorffs Tagebuch: Berliner Monatshefte, Februar 1931, S. 175). ...zurück...

48 [1/392]Holstein machte geltend, alles, was Mißtrauen gegen die deutsche Politik erwecken könne, würde im gegenwärtigen Augenblick wirksam sein, da manche neuere Äußerungen Bismarcks schon an sich geeignet seien, die Verbündeten unsicher zu machen. ...zurück...

49 [2/392]Charakteristisch Kiderlen zu Radowitz (3. Mai 1890): "Die große Politik wird genau nach den bewährten Prinzipien unseres großen Reichskanzlers fortgeführt. Einige nebensächliche Absonderlichkeiten, die der Schluß des vergangenen Regimes gezeitigt, werden nicht mehr sprungweise, aber vorsichtig und langsam beseitigt." Wie unbismarckisch klingt die Argumentation Caprivis: "Eine Annäherung Deutschlands an Rußland würde unsere Verbündeten uns entfremden, England schädigen und unserer eigenen Bevölkerung, die sich in den Gedanken des Dreibundes immer mehr eingelebt hat, unverständlich und unsympathisch sein." ...zurück...

50 [1/393]Erlaß an Hatzfeldt vom 19. Januar 1890 (Gr. Pol. VIII, 8). Bismarck betrachtete Witu nur noch als Kompensationsobjekt (M. v. Hagen, Helgolandvertrag S. 18) und hatte am 19. August 1889 in London erklären lassen, daß eine deutsche Besitzergreifung von Uganda ausgeschlossen sei. Darmstätter, II, 87. Er lehnte jede Unterstützung zur Befreiung von Emin Pascha ab: "Die bestehende Freundschaft mit England ist für uns von größerem Wert als alles, was die Expedition am oberen Nil im günstigsten Fall erreichen könnte." ...zurück...

51 [1/394]Die "Enthüllung" des Frhrn. v. Eckardstein, Lebenserinnerungen I, 309 (1920), daß die ursprünglich allein auf der Basis Sansibar-Helgoland begonnene Verhandlung durch mehrmaliges Eingreifen des Kaisers ohne Not auf weitere ostafrikanischen Konzessionen ausgedehnt und übereilt zum Abschluß gebracht worden sei, wird durch die Akten völlig widerlegt. Graf Hatzfeldt hielt es zwar am 30. Mai für angezeigt, in Berlin zu warnen, die Bedeutung Helgolands für den Nordostseekanal sichtbar werden zu lassen, da Salisbury "bis jetzt" die Insel als ein in Wirklichkeit ziemlich wertloses Objekt "für uns" betrachte, aber der Kaiser war durchaus mit dieser Taktik einverstanden (Gr. Pol. VIII, 19). ...zurück...

52 [2/394]Zuletzt M. v. Hagen, Geschichte und Bedeutung des Helgolandvertrages (1916). A. Hasenclever, "Zur Geschichte des Helgolandvertrages vom 1. Juli 1890 (Arch. f. Pol. u. Gesch. 3, 507 - 524, 1925). ...zurück...

53 [3/394]Königin Victoria an Lord Salisbury, Ende Mai 1890: "Etwas aufzugeben, was man besitzt, ist immer ein übles Ding" (Sidney Lee, King Edward VII., I, 664 [1925]). ...zurück...

54 [1/395]Caprivi suchte das, in der Form nicht immer glücklich, am 5. Februar 1891 im Reichstag aktenmäßig zu erweisen. ...zurück...

55 [1/396]Graf Murawiew an Giers: 12. September 1880. Ebenda, S. 176. ...zurück...

56 [2/396]An demselben Tage, an dem der Kaiser durch wiederholte Boten dem Kanzler das Entlassungsgesuch abzunötigen suchte, löste er sich in einem militärischen Kreise von der Autorität des Generalstabschefs in auffallender Weise ab. Es war für diesen auch die erste Andeutung, daß er nicht zum Nachfolger Bismarcks bestimmt war. ...zurück...

57 [1/397]Siehe oben, S. 243. ...zurück...

58 [2/397]Vgl. Reichskanzler Fürst Hohenlohe an Graf Philipp Eulenburg (13. Dezember 1894): "...haben wir es in dankbarer Erinnerung, daß, als im Jahre 1890 die Tripolisfrage plötzlich akut wurde... es die stille, aber wirkungsvolle Tätigkeit Lord Salisburys war, welche die Gefahr einer Sprengung des Dreibundes beseitigte" (Gr. Pol. 9, S. 176 f.). ...zurück...

59 [3/397]J. v. Eckardt, Berlin - Wien - Rom (Leipzig 1892), S. 131, 136, sagt, Salisbury habe die von ihm erbetene englische Beschützung der italienischen Küste von einer Bedingung abhängig gemacht: von der vorgängigen Erneuerung des Dreibundes. ...zurück...

60 [1/398]Man lese die Sätze v. Eckardts a. a. O., S. 137, über die Umgestaltung der Weltlage, deren Grenzen jeder Voraussicht spotteten. Er bleibt doch der Balte, der "die Linie nach dem Osten schärfer zieht" und sich an der "Solidarität westeuropäischer Kulturinteressen" erbaut. ...zurück...

61 [2/398]Der Militärattaché in Rom, Oberstleutnant v. Engelbrecht, malte am 7. Februar 1891 die Lage sehr dunkel: "Italien steht an einem bedeutenden Wendepunkt; das schreiende Mißverhältnis zwischen dem Wollen Crispis und dem Können des Landes hat zur Erschöpfung des letzteren geführt und treibt dasselbe fatalerweise in Frankreichs Arme, da Deutschland nicht zu helfen vermag. Dies ist das Resultat der Regierung Crispis, an dem ein wahrlich nicht beneidenswerter Anteil den Leitern unserer Politik zufällt." ...zurück...

62 [1/399]Hamburger Nachrichten vom 5. Januar 1892. ...zurück...

63 [2/399]Anspielungen darauf schon in den Hamburger Nachrichten vom 28. Januar und 3. Juni 1891. ...zurück...

64 [1/400]So urteilt Schweinitz schon am 17. April 1891 (Gr. Pol. 7, S. 203 f.): "Hierzu war es nicht nur berechtigt, sondern sogar gezwungen." ...zurück...

65 [2/400]Troisième livre jaune français. L'Alliance Franco-Russe (1918), p. 63. ...zurück...

66 [3/400]Die Äußerung Holsteins zu Chirol (1901), der Zar habe sich zu dem Bündnis erst entschlossen, nachdem bei ihm durch mancherlei Insinuationen, so auch durch tendenziöse Auslegung einer nach Verlängerung des Dreibundvertrages gehaltenen Schiffsrede Wilhelms II. die Besorgnis erweckt worden sei, daß der Kaiser wirklich etwas Ernsthaftes gegen Rußland zulassen könne, möchte ich mir trotz der Randbemerkung Wilhelms II. "richtig" nicht aneignen (Gr. Pol. 17, S. 104). Holstein täuscht sich damit selbst über die letzte Ursache hinweg. ...zurück...

67 [1/401]So der französische Botschafter Graf Montebello am 16. Juli 1892. ...zurück...

68 [2/401]Schweinitz, 5. August 1891. ...zurück...

69 [1/402]Dieser Passus ist seit 1906 verändert worden. ...zurück...

70 [2/402]Vgl. oben, S. 342. ...zurück...

71 [3/402]Graf Max Montgelas, Berliner Monatshefte 1928, S. 674. ...zurück...

72 [1/403]L. v. Schlözer, Loë (1914), S. 26 ff., 209. ...zurück...

73 [2/403]Salisbury zu Graf Deym: 2. Dezember 1891, bei W. Herrmann, Dreibund, Zweibund, England 1890 - 1895 (1929), S. 38. ...zurück...

74 [1/404]Debidour, Histoire diplomatique 1, p. 178. Vgl. ergänzend den Bericht Schwartzkoppens vom 30. Oktober 1896 über die 1894 auf der französischen Kriegsakademie gehaltenen Vorträge (Gr. Pol. 11, S. 378). ...zurück...

75 [1/405]Siehe oben, S. 379. ...zurück...

76 [1/406]Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft, S. 39. ...zurück...

77 [2/406]In der Begründung der Heeresvorlage hieß es: "Der Vorlage liegen kriegerische Motive vollständig fern. Wer eine kriegerische Politik führt, hat den Vorteil, den günstigsten Zeitpunkt für das Losschlagen bestimmen zu können. Unsere friedliche Politik zwingt uns, auf diesen Vorteil zu verzichten. Desto mehr sind wir aber veranlaßt, uns stets stark und kriegsbereit zu halten, um jederzeit einen Angriff abwehren zu können." ...zurück...

78 [3/406]Graf Schlieffen an seine Schwester: 13. November 1892, Kriegsrüstung, S. 44. ...zurück...

79 [1/407]Über die französischen Hoffnungen nach Toulun: Marquis of Dufferin an Rosebery 3. November 1893. Brit. Dokumente 2, 2, S. 459 ff. ...zurück...

80 [1/408]Baron Beyens: 30. Oktober 1893. Schwertfeger a. a. O. 1, 394. ...zurück...

81 [2/408]Baron Greindl: 25. Oktober 1893. Schwertfeger a. a. O. 1, 386. ...zurück...

82 [1/410]Lord Edward Grey, Twenty-five years I, p. 4 (1925). ...zurück...

83 [2/140]Die britischen amtlichen Dokumente über den Ursprung des Weltkrieges, Bd. 2, S. 124 f. ...zurück...

84 [1/411]Lord Grey, Twenty-five years 1, 10. H. Lutz, "Lord Grey und der Weltkrieg." Gr. Pol. 8, S. 185 ff.; 14, S. 452 ff.; K. Helfferich, Georg von Siemens, 3, S. 66 ff.; Harold Nicolson, Sir Arthur Nicolson (1930), S. 94 f. Nicolson, damals Sekretär der Botschaft in Konstantinopel, tadelt das kurzsichtige Verhalten seines Chefs, aber auch von ihm sagt der Sohn, daß er seit dieser Episode die Wilhelmstraße mit wachsamem Auge verfolgte. ...zurück...

85 [2/411]Grey an Goschen: 10. Oktober 1910. Brit. Dok. 6, S. 538 f., Nr. 407. ...zurück...

86 [1/412]v. Glaise-Horstenau, S. 350 f. Zu dem Erlaß Marschalls vom 6. November 1893: "daß wir ein Festsetzen Rußlands an den Meerengen mit Ruhe ertragen können", die Randbemerkung des Kaisers: "das habe ich wörtlich in Güns an Kálnoky gesagt" (Gr. Pol. 9, S. 102); vgl. auch die späteren Randbemerkungen des Kaisers über die "Vorlesung in Güns" (Gr. Pol. 9, S. 109, 126). ...zurück...

87 [2/412]v. Glaise-Horstenau, S. 350 f. Graf Schlieffen hielt es auch für angezeigt, zu betonen, er sei nicht mehr so mitteilsam wie Waldersee, da er nur im Einvernehmen mit Caprivi handeln könne. Vgl. oben S. 364 f. ...zurück...

88 [1/413]Gegen O. Becker, Bismarck und die Einkreisung Deutschlands, und seine weitergehende Auslegung scheint mir die Kritik von H. Herzfeld, D. L. Z. 1926, Sp. 2094 ff., W. Herrmann, Dreibund, Zweibund, England (Stuttgart 1929), im Recht zu sein. A. Mendelssohn-Bartholdy (Europäische Gespräche, 1928, Bd. 6, 257) hält sogar Roseberys Anfrage für den entscheidendsten Bündnisantrag eines englischen Fachministers! ...zurück...

89 [2/413]Roseberys einige Tage vor dem 20. April unternommenen Versuche, bei dem russischen Botschafter Staal auf ein Aufgreifen der Abrüstungsideen durch den Zaren zu dringen, erwecken wenig Vertrauen zu dem Ernst seines Anschlusses an den Dreibund. ...zurück...

90 [1/414]Fr. Meinecke: Geschichte des deutsch-englischen Bündnisproblems 1890 - 1901 (1927) S. 21. ...zurück...

91 [2/414]Hatzfeldt glaubte nicht einmal an seinen guten Willen in Kolonialfragen und betonte, daß er an dem deutsch-englischen Vertrage von 1890 die allzu große Nachgiebigkeit Salisburys tadele. ...zurück...

92 [3/414]Rosebery bezeichnete selbst nachher das englische Vorgehen als eine "Dummheit". Statt jeden anderen Zeugnisses das Urteil von Lord Grey, Twenty-five years 1, p. 21: "Investigation in the foreign office showed that this German protest was well founded, there was such an agreement and it had been overlooked." ...zurück...

93 [1/415]Schon am 6. Juni hatte Rosebery den Gedanken einer europäischen Abrüstungskonferenz unter Führung des Zaren (siehe oben, S. 413) wieder aufgenommen. Der permanente Unterstaatssekretär Sir Th. Sanderson gestand noch am 31. August 1895 dem Grafen Hatzfeldt, "daß es während des Ministeriums Rosebery eine Zeit gegeben habe, wo man hier wegen unseres »unfreundlichen« Auftretens in der Kongofrage sehr gereizt auf Deutschland gewesen sei" (Gr. Pol. 6, S. 34). ...zurück...

94 [1/416]Marschall an Hatzfeldt, 23. Dezember 1894. Gr. Pol. 9, S. 221. ...zurück...

95 [1/417]Frhr. v. Marschall machte am 23. Dezember 1895 zu einem Zeitungsartikel, der von einem Zurückgehen auf den Weg der Bismarckschen Staatskunst in den russischen Beziehungen sprach, die Bemerkung: "Richtiger wäre es, zu sagen, daß Deutschland sich von jenem Prinzip niemals entfernt hat" (Gr. Pol. 10, S. 242). ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte