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Wie Deutschland Kolonialmacht wurde
[28]
Kolonialer
Früherwerb
Dr. Alex Haenicke
Deutschland ist spät in die Weltpolitik eingeschwenkt. Die
seefahrenden europäischen Westmächte waren ihm darin weit
vorausgeeilt. Es fehlte gewiß nicht an Schwungkraft und
Unternehmungsgeist, die bodenbereitend Neuland schaffen.
Wikinger- und Hanseatenblut rollte dem Deutschen durch die Adern als
machtvolle Triebkraft und machte ihn von altersher zum begehrten
Zuwanderer. Aber die mangelnde staatliche Einheit verschloß ihm
lange den Zugang zu kolonialem Besitz. Nur ein mächtiges
Heimatland gibt dem Siedler und Kaufmann im Ausland die starke
Rückenstütze, die ihn sich draußen behaupten
läßt und ihm das stolze Vertrauen auf den in aller Welt
geachteten Schutz der Heimat verleiht. Verliert er diese Bindung, geht der
feste Zusammenschluß mit dem Vaterland verloren, gilt für ihn
nur das böse Wort vom
Kultur- und Völkerdünger. Nur überschüssige
Macht kann die Belange heimatverbundener Siedler auf die Dauer
sicherstellen. Weil es daran fehlte und fehlen mußte, solange es kein
einiges deutsches Reich gab, weil es dauernd in innerer und
äußerer Bedrängnis stand, mußten auch vereinzelte
Vorstöße großzügiger und weitschauender
Deutscher zunächst erfolglos bleiben.
Das gilt sowohl von den kolonialen Unternehmungen der Welser als
auch des Großen Kurfürsten.
Das Augsburgische Kaufmannsgeschlecht der Welser erwarb
Anfang des 16. Jahrhunderts, als die überseeischen Gebiete noch in
Bausch und Bogen himmelstrichweise vom Papst an die damaligen
Seemächte Portugal und Spanien verteilt worden waren, von Kaiser
Karl V. ein Privileg auf Venezuela. Die Hoffnung stand auf
Goldfunde. Doch die schwer bewaffneten Landsknechte fielen dem Klima
zum Opfer und ihre Führer spanischer Treulosigkeit. Die
Unternehmungen verkamen im Urwald und wurden vergessen. Nur elf Jahre
vermochten sich die Beauftragten der Welser im Lande zu halten.
Die Zeit der auf die Reformation folgenden religiösen Kämpfe
waren der kolonialen Betätigung nicht günstig. Krieg und Pest
fraßen die Menschen und legten sich beklemmend auf die
Gemüter. Blühendes Leben und wachsender Reichtum sanken
ins Grab. Holland, Frankreich und England drängten Portugal und
Spanien aus ihrer Seemachtstellung. Deutschland mußte es damals
versagt bleiben, ihnen ebenbürtig zur Seite zu treten.
Am niederländischen Hofe hatte Friedrich Wilhelm, der
Große Kurfürst, gesehen, welche Reichtümer einem
kleinen Staate, wie es der brandenburgische auch war, von Übersee
her auf dem Handelswege zufließen könnten. Noch ehe er seinem
Lande den freien Zugang zum Meere verschaffen konnte, gründete er
im Vertrauen auf seine stolze Überzeugung, daß "Schiffahrt und
Handel die [29] vornehmsten
Säulen eines Staates" seien, 1647, noch vor dem Ende des
Dreißigjährigen Krieges eine
"brandenburgisch-ostindische Handelskompagnie". Sie konnte sich
zwar nicht halten gegen holländische Mißgunst, doch gab er
deswegen seine Kolonialpläne nicht auf. Als sein
Kolonialbevollmächtigter, der Holländer Benjamin
Raule, 1680 in Westafrika mit 3 Negerfürsten
Verträge abgeschlossen hatte, genehmigte er 1682 die
Gründung einer "Afrikanischen Kompagnie", die aus
kurfürstlichen Mitteln unterstützt, Handelsbeziehungen
zwischen Brandenburg und Westafrika knüpfen und ausbauen sollte.
Er schickte später seinen Kammerjunker Otto Friedrich von der
Gröben mit einer stattlichen Flotte. Die Neger kamen
[53]
Feste Groß-Friedrichsburg, die erste Kolonialgründung
des Großen Kurfürsten an der Goldküste am Golf von Guinea,
Westafrika.
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"haufenweise mit Zähnen (Elfenbein) an Bord, davon unsre beiden
Schiffe 4000 Pfund vor 30 Fäßchen Armringen einhandelten".
Am Neujahrstag 1683 hißte von der Gröben an der
Goldküste die kurbrandenburgische Flagge, den roten Adler im
weißen Felde, auf der Feste
Groß-Friedrichsburg. Im folgenden Jahre wurden zwar noch
die Arduin-Inseln besetzt, aber gegen die weit stärkere Seemacht der
Holländer ließen sich die Besitzungen nicht halten. Die
Holländer fürchteten die kurbrandenburgische Nachbarschaft
und bedrängten die Neger
Groß-Friedrichsburgs. Französische Seeräuber
unterstützten sie. Der Handel hielt nicht, was er versprochen hatte.
Die Vermögensverhältnisse der afrikanischen Kompagnie
verschlechterten sich derart, daß ihre Schulden 1691 auf
900 000 Taler angewachsen waren. Das preußische Schatzamt
konnte solche Verluste nicht tragen. So verkaufte Friedrich
Wilhelm I. die gesamten brandenburgischen Besitzungen 1720 an die
Holländisch-westindische Kompagnie gegen die geringe
Entschädigung von 7200 Gulden und die jährliche Lieferung
von 12 Schwarzen. Jahrelang kämpften die Holländer unter
großen Verlusten gegen die Neger von
Gr.-Friedrichsburg. Die förmliche Abtretungsurkunde, die auf
Verlangen der Holländer 1728 eine preußische Abordnung dem
verteidigenden Negerhäuptling Cuny vorwies, erkannte dieser nicht
an. Er habe dem früheren Gouverneur sein Wort gegeben, Flagge und
Fort nur ihm zu übergeben, der papierene Befehl
könne ihn davon nicht entbinden, erklärte er stolz. Als die
Festung nicht mehr zu halten war, vergrub er die 6 Geschütze und
entfloh unter dem Schutze eines tropischen Gewitters unter Mitnahme der
ihm anvertrauten Flagge nachts in den Urwald. So hielten schon vor
Jahrhunderten Neger den Deutschen die Treue wie im Weltkrieg die
ostafrikanischen Askaris, gewiß ein Zeichen für das gute
menschliche Verhältnis zwischen beiden. Als Wahrzeichen
zielbewußten kolonialen Strebens und als Vermächtnis an
kommende Geschlechter ist eines der 200 Jahre später von der
Mannschaft der "Sophie" ausgegrabenen Geschütze in der
Ruhmeshalle in Berlin aufgestellt worden.
Auch in Asien hatte der Große Kurfürst sich
festzusetzen versucht und mit dem Schah von Persien einen Vertrag
abgeschlossen, der den Austausch von Rohseide und Ambra bezweckte. Noch
kurz vor seinem Tode sicherte er sich auf den Kleinen Antillen
einen Anteil an St. Thomas. Sein Nachfolger kaufte 1691
noch einen Anteil von Tobago dazu, doch ließ sich auch dieser
Besitz nicht halten.
[30] Durch den geringen
Umfang des Überseehandels flossen
Brandenburg-Preußen nicht die Mittel zu wie einst der Hansa. Der
Staat war durch seine innenpolitischen Aufgaben festgelegt, und die privaten
Mittel, die all die gegründeten Kompagnien hätten halten
können, waren zu gering, um Rückschläge
überdauern zu können.
Friedrich
der Große gründete 1772 die Seehandlung
und versuchte noch einmal die Traditionen des Gr. Kurfürsten
aufzunehmen, konnte aber der Asiatischen Kompagnie nicht mehr
aufhelfen. Das Erbe, das der Gr. Kurfürst hinterließ, war der
Gedanke einer staatlichen Kolonialpolitik, die
kaufmännische Unternehmungen in den Schutz und Schatten
staatlicher Macht stellt. Dazu bedurfte es einer starken Flotte, der
Seegeltung eines innerlich und äußerlich einigen Staates und
überschüssiger privater Kapitalien. Auf diesen Grundlagen
mußte der Kolonialwille der Zukunft erwachsen. Denn an
Auswanderungslustigen kann es einem von fremden Nationen umzingelten
Staat mit Raumnot wie Deutschland nie mangeln, wenn es nicht an Mitteln
fehlt, ihrem Siedlungsbedürfnis Ziel und Sicherheit zu bieten.
So gab das junge Preußen alle Kolonialwünsche auf. Aber der
koloniale Gedanke lebte weiter, auch wenn Nettelbecks Traum der
Wiederherstellung der afrikanischen Kolonie des Gr. Kurfürsten und
der Einrichtung von Plantagenbetrieben in Südamerika, die
Kaffee, Zucker, Gewürze und andere Kolonialwaren liefern
könnten, unerfüllt blieb. Was das Heilige Römische
Reich zur Zeit der Hansa versäumt hatte, nationale Kraft
herauszustellen, war dem kommenden Deutschen Reich vorbehalten.
Wegbereiter
Der koloniale Gedanke kam nicht mehr zur Ruhe. Während die
westlichen Großmächte jahrzehntelang sich davon abwandten,
als nämlich ihre Kolonien langsam geringere Erträge brachten
und pflegebedürftig wurden, also Opfer des Mutterlandes verlangten,
keimte dieser Gedanke in Deutschland auf.
Vorläufig lähmte die deutsche Kleinstaaterei jede
Kraftentfaltung nach außen. Um so lebhafter drängte die
wirtschaftliche Entwicklung zum Kolonialerwerb. Die
heranwachsende Industrie verlangte nach Rohstoffen, die, unverteuert auf
den Markt geworfen, den wachsenden arbeitenden Massen Arbeit und Brot
zu schaffen vermochten. Wirtschaftler, Reeder, Missionare, Gelehrte
wetteiferten, die Notwendigkeit des Kolonialerwerbs in Wort und Schrift zu
beweisen. Überbevölkerung und Handel verlangten sicheren
Kolonialbesitz, der auch für die Aufnahme der
Warenüberschüsse der Heimat in Frage käme. Friedrich List
riet energisch, Kolonialpolitik zu betreiben.
"Ein umsichtiger deutscher
Konsular- und diplomatischer Dienst müsse eingerichtet werden...
junge Forscher müßten dazu ermutigt werden, diese Gebiete zu
bereisen und unparteiische Berichte zu erstatten. Junge Kaufleute
müßten aufgefordert werden, sie auf ihre
Handelsmöglichkeiten hin zu untersuchen... Unternehmungen sollten
gegründet, von Aktiengesellschaften unterstützt und unter den
Schutz der Regierung gestellt werden. In deutschen Hafenstädten
sollten sich Körperschaften bilden, die überseeische
Ländereien aufkaufen und mit deutschen [31] Kolonisten besiedeln... Auch
Handels- und Schiffahrtsgesellschaften, deren Ziel die Eröffnung
neuer Absatzgebiete für die deutschen Fabriken und die
Aufrechterhaltung von Dampferverbindungen
wäre... - Kolonien sind das beste Mittel zur Entwicklung der
Produktion, des Ausfuhr- und Einfuhrhandels und einer ansehnlichen
Flotte."
Als in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Sehnsucht nach
einem größeren Deutschland keine Gestalt annahm, nahm die
Zahl der Auswanderer stark zu, die in Übersee Eigenes zu
schaffen gedachten. Deutsche Kaufleute aus allen Teilen der Welt traten vor
und nach den kriegerischen Erfolgen von 1864 und 1866 an den
Norddeutschen Bund mit Vorschlägen für kolonialen
Landerwerb heran. Die Tageszeitungen setzten sich lebhaft
dafür ein. Der Zeitpunkt sei günstig, an Auswanderungslustigen
und an Kapitalien fehle es nicht. Der Artikel 6 der Bundesverfassung,
des künftigen politischen Programms Preußens, unterstellte
bereits das gesamte Kolonialwesen der Oberaufsicht des Bundes in Gestalt
eines Kolonialamts. Politische Persönlichkeiten rieten zu
schnellem Zugreifen. Der Zeitpunkt dürfe nicht verpaßt werden.
Staats- und völkerrechtlich beständen keine Bedenken.
Zögern hieße, Deutschland an seiner Auswanderung verbluten
lassen. Außerdem könne man sich gegen nachteilige Tarife
ausländischer Kolonien nur durch eigene Herrschaftsgebiete wehren.
Bismarck
lehnte vor der Reichsgründung alle
Kolonialvorschläge ab. Es fehlte an der starken Reichsmarine, um den
aufblühenden Handelskolonien in Afrika und der Südsee den
wirksamen Schutz angedeihen zu lassen. Auch schien ihm der Augenblick,
der Verwicklungen mit England wahrscheinlich sein ließ, nicht
geeignet. Erst als das Interesse der fremden Mächte am
Kolonialerwerb wieder erwachte, als durch die Reisen deutscher Forscher in
Afrika die Kolonialbewegung in Deutschland wuchs, als der unter dem
Vorsitz des Fürsten Hermann zu
Hohenlohe-Langenburg am 6. Dezember 1882 in
Frankfurt a. M. gegründete
"Deutsche Kolonialverein" die Kolonialfrage volkstümlich
machte, als England und Frankreich in Ägypten ernstlich
aneinandergerieten und England verschiedentlich bezüglich der
Verwirklichung seiner Kolonialwünsche politisch festgelegt war, hielt
er den Zeitpunkt für gekommen, zuzugreifen.
1880 brachte er die Samoavorlage ein. Das angesehene Hamburger
Südseehaus J. C. Godeffroy, das auf Samoa
vorbildliche Kokospalmenpflanzungen angelegt hatte, war durch Verluste in
Schwierigkeiten gekommen. Der alte, fast erblindete Chef der Firma
vermochte das Unternehmen nicht zu halten, da es ihm nicht gelang, in
Hamburg die erforderlichen Mittel aufzunehmen. Auch die
Handels- und Pflanzungsgesellschaft, der er seinen Besitz abtrat, erwies sich
als zahlungsunfähig, und so wurde der Besitz einem englischen
Handelshause verpfändet. Bismarck sah darin eine Gefahr für
das Ansehen Deutschlands in Samoa, das gleichzeitig unter englischer und
amerikanischer Schutzherrschaft stand. Deshalb schlug er der Regierung
vor, der Firma Godeffroy einen jährlichen Beitrag zur
Förderung ihres Handelsverkehrs in der Südsee zu bewilligen.
"Die Samoavorlage", erklärte der die Vorlage befürwortende
Referent vom Auswärtigen Amt [32] von Kusserow, "ist keine
Parteifrage, keine Frage des Freihandels oder der Begünstigung von
Kolonisationsbestrebungen, sondern eine Frage des Ruhmes und der
Ehre Deutschlands". Der Reichstag lehnte trotzdem ab. Der
Wortführer des Freihandels Ludwig Bamberger brachte die
Vorlage zu Fall. Trotzdem flossen dem bedrängten Hause Godeffroy
danach soviel Gelder zu, daß es seine Pflanzungen in Samoa weiter
betreiben konnte. Bismarck aber faßte die Samoavorlage als das
Vorspiel zur deutschen Kolonialpolitik auf. Er war fest
entschlossen, bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit
zuzufassen.
[55]
So entwickelte sich der deutsche Kolonialbesitz.
Aus: "Deutsche kolonisieren." Verlag F. Hirt, Breslau.
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Südwest wird erste deutsche
Überseekolonie
Über den Umfang der kaufmännischen Unternehmungen in
Übersee waren trotz des wachsenden Interesses breiter Schichten des
deutschen Volkes und trotz der Tätigkeit des Kolonialvereins selbst
die Reichsbehörden nicht genau im Bilde. Die hanseatischen Kaufleute
hatten allerdings auch nicht viel Aufhebens von ihrer Tätigkeit
gemacht. Erst als die englische Regierung verschiedentlich störend
eingriff, stürmten von allen Enden der Welt auf das Auswärtige
Amt Vorschläge zur Beschlagnahme bedrohter Gebiete ein, die vom
Reich nicht abgelehnt werden konnten. Die Volksstimmung drängte
zu "nationaler Expansion". Der Reichstag verhielt sich freilich immer noch
ablehnend. Eine Denkschrift über die Möglichkeit, staatlich
unterstützte Dampferlinien nach Australien und Ostasien
einzurichten, wurde nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt. Bismarck
hatte recht: "Zu Kolonien gehört ein Mutterland, in dem das
Nationalgefühl stärker ist als der Parteigeist" (1883).
Inzwischen eilten die Ereignisse den Erwägungen voraus. Schon 1868
hatte der Inspektor der Barmer Mission Dr. Fabri, der für
Kolonialerwerb lebhaft eingetreten war, gebeten, die seit Jahren im
Herero- und Groß-Namalande eingesetzten Unternehmungen
von Staats wegen zu schützen. Er empfahl gleichzeitig den Ankauf der
Delagobai zur Anlage einer Flottenstation, als Portugal nach
Käufern für seine Kolonie Mozambique Ausschau hielt. Im
Jahre 1881 arbeiteten in Afrika 45 Forschungsunternehmungen, die die
Blicke der ganzen Welt auf Afrika lenkten und "das
großafrikanische Wettrennen" einleiteten.
Der wagemutige Bremer Handelsherr F. A. E. Lüderitz
(1834-1886) war durch den Vertreter der Firma
F. M. Viëtor in Westafrika, Heinrich
Vogelsang, und den Kapitän Timpe auf
Südwest aufmerksam gemacht worden. Fabri hatte den rheinischen
Kaufmann Hasenclever angeregt, angeblich reiche Minen im Gebiet
des Namalandes zu erwerben. Lüderitz trat 1882 an das
Auswärtige Amt mit der Mitteilung heran, daß er ein Schiff mit
vorwiegend deutschen Waren nach einem Küstenort
Südwestafrikas zwischen 22° und 28° n. Br. zu
schicken beabsichtige, also in ein Gebiet, das noch in den Händen
eingeborener Machthaber sei. Sein Warenverwalter solle mit denen
Verträge abschließen, die ihm gegen jährliche
Tributzahlungen Alleinhandel und Besitzrechte zur Anlage von Faktoreien,
[33] Pflanzungen, Straußenfarmen und
Ländereien überließen. Um ungestört durch
fremde Mächte arbeiten zu können, wünschte er, gleich
bei Abschluß der Verträge unter den Schutz der Reichsflagge
gestellt zu werden und fragte an, ob und unter welchen Bedingungen ihm
dieser Schutz gewährt werden könne. Das Auswärtige
Amt trat seinem Gesuch näher und nahm mit London deswegen
Fühlung. Bismarck ließ im Februar 1883 den Botschafter
mündlich höflich anfragen, ob England
Hoheitsrechte über die Gegend von Angra Pequena
ausübe, um sich über die Auffassung der englischen Regierung
zu informieren. "Wenn nicht, hat Deutschland die Absicht, seinen
Untertanen in dieser Region den notwendigen Schutz angedeihen zu lassen."
Granville erwiderte ausweichend, daß "die Regierung der
Kapkolonie gewisse Niederlassungen längs der Küste
besäße, daß es aber der britischen Regierung ohne
nähere Mitteilungen über die genaue Lage der
Lüderitzschen Faktorei unmöglich sei zu sagen, ob sie in der
Lage sei, im Notfall den 'gewünschten' Schutz zu gewähren."
Drei Jahre vorher hatte sie den Schutz deutscher Missionare im Falle eines
Eingeborenenaufstandes in der gleichen Gegend abgelehnt und
erklärt, daß England keine Verantwortung für
Geschehnisse außerhalb seines Hoheitsgebiets übernehmen
könne, das nur die Walfischbai und ihr Hinterland umfasse.
Bismarck hätte also auf die grundsätzliche Zustimmung
Englands rechnen können, umso mehr als er eben erst England einen
großen Dienst in Ägypten dadurch erwiesen hatte, daß er
ihm die erforderlichen Gelder zur Kriegführung vermittelt hatte.
[125]
Lüderitzbucht, die deutsche Stadt im Schwarzen Erdteil.
1883 kaufte der Bremer Großkaufmann Adolf Lüderitz den Hafen
Angra-Pequena, der drei Jahre später Lüderitzbucht genannt
wurde.
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Inzwischen führte Lüderitz sein Vorhaben aus. Heinrich
Vogelsang erwarb von einem Hottentottenhäuptling ein
ungefähr 1400 qkm. (150 [Scriptorium
merkt an: richtig 540] englische Quadratmeilen) großes Gebiet an
der Bucht von Angra Pequena für 2000 M., für
das Lüderitz noch einmal selbst in Berlin im Auswärtigen Amt
um Schutz bat. Jetzt wurde der deutsche Konsul in Kapstadt angewiesen,
Lüderitz Rat und Schutz angedeihen zu lassen, soweit sich das
Unternehmen auf "wohlerwogene" Rechte stütze und nicht mit
früheren Rechtsansprüchen, sei es der einheimischen
Bevölkerung, sei es Englands, zusammenstoße.
Jetzt traf die verzögerte englische amtliche Antwort ein, daß
England jeden Anspruch seitens einer fremden Macht auf
Hoheits- oder Verwaltungsrechte über das Gebiet zwischen Angola
und der Kapkolonie als einen Eingriff in seine rechtmäßigen
Ansprüche betrachten würde. Bismarck fragte darauf im
Dezember 1883 in London an, auf welche Rechtstitel sich Englands
Ansprüche stützten. Eine Landung, die vor 90 Jahren dort
stattgefunden hatte, konnte unmöglich noch als solche anerkannt
werden.
Der englische Staatssekretär des Kolonialamts, Lord Derby,
suchte unterdessen die Kapkolonie zu veranlassen, das von Deutschland ins
Auge gefaßte Gebiet durch einen Handstreich an sich zu bringen. Im
Juni 1884 telegraphierte der deutsche Konsul aus Kapstadt, daß die
Kapkolonie im Begriff sei, die Küstenstriche bis Angra Pequena zu
beschlagnahmen. Bismarck erklärte: "Jetzt wollen wir handeln!"
(April 1884.) Granville ließ er wissen, daß er das
Gefühl habe, daß wir von England "nicht auf dem Fuße
der Gleichberechtigung behandelt wor- [34] den" seien. Das Reich werde trotzdem
seinen Schutz, soweit seine Kräfte reichten, auch auf
Handlungsunternehmungen, die mit Landerwerb verbunden seien,
erstrecken. Er machte den Botschafter in London, Graf
Münster, darauf aufmerksam, daß er nicht vergessen
möge, daß unser Verhalten immer darauf gerichtet sein
müsse, in Deutschland den Eindruck zu verhüten, "als ob wir
dem in der Tat aufrichtig vorhandenen Wunsche des guten
Einvernehmens mit England Lebensinteressen... opfern
könnten". Er schickte seinen eigenen Sohn Herbert nach London zur
Verhandlung, der wenigstens eine Entschuldigung Granvilles wegen des
ungerechtfertigten Verhaltens der Regierung erreichte. Bismarck betonte,
daß wir das Recht in Anspruch nähmen, "in Gebieten, wo
ausreichender Rechtsschutz durch anerkannte staatliche Organisationen
nicht verbürgt sei, den dort verkehrenden Staatsangehörigen
Schutz und Förderung selbst zuteil werden zu lassen". Lord
Granville nahm das zur Kenntnis und beanspruchte nur die Wahrung der
Interesse englischer Untertanen in diesem Gebiet, die ihm zugesichert wurde.
Der Kapkolonie untersagte er jedes weitere Vorgehen.
Trotzdem wollten die Gerüchte von einer Annexion des Gebietes nicht
zum Schweigen kommen. Bismarck war über die unehrliche
Behandlung der diplomatischen Angelegenheit empört. Sie trieb ihn
zu eiligem Handeln. Er schickte die kleinen Kriegsschiffe "Elisabeth" und
"Leipzig" zur Klärung der Angelegenheit nach Angra Pequena. Sie
liefen die Küste an und stellten sie vom Oranjefluß bis zum 26.
Breitengrad durch feierliche Flaggenhissung am 7. August
1884 unter deutschen Schutz.
[53]
Die Fregatte "Elisabeth",
die zur Zeit der Kolonialgründungen
große Kriegsschiffreisen nach Übersee
unternahm.
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Einen lebendigen Bericht über die Besitzergreifung
Südwest-Afrikas gibt Harry Koenig (Heiß
Flagge) als Augenzeuge:
"Am 24. Juni verließen wir
Freetown, um nach Angra Pequena zu fahren, wo wir am 18. Juli mit
S. M. S. 'Leipzig' zusammentreffen
sollten. - Endlich am 5. August lag in der Ferne, von Wolken noch
leicht verhüllt, das gelobte Land vor uns. Wir hofften, noch am selben
Tage vor Angra Pequena vor Anker gehen zu können. Aber mit der
Dunkelheit wurde das Wetter so stürmisch, daß wir uns dem
Lande nicht weiter nähern durften.
Während wir am 6. August beim
Frühstück saßen, wurde S. M. S. 'Leipzig'
in Sicht gemeldet. - Gegen Mittag endlich grüßten sich
S. M. S. 'Elisabeth' und S. M. S.
'Leipzig' gegenseitig mit drei kräftigen Hurras. Unter den
Klängen des Preußenmarschs lief die 'Elisabeth' in den
natürlichen Hafen von Angra Pequena ein und ging ganz in der
Nähe der 'Leipzig' vor Anker. Die Reede zeichnet sich durch
geschützte Lage aus. Die zahlreichen Inseln und der weit in die See
hinausgeschobene Angra Point bildeten einen natürlichen Schutz, eine
Mole, die der Bucht ruhige See sicherte. Dabei war das Wasser tief genug,
um auch Schiffen von der Größe der deutschen gedeckten
Fregatten einen dem Ufer nahen Ankerplatz zu bieten.
Seit dem 18. Juli, also bereits 19 Tage, lag die
'Leipzig' uns erwartend vor Angra zu Anker. Ihre Offiziere kamen sofort zu
uns an Bord, und die beiderseitige Freude war natürlich entsprechend
groß. -
Am 7. August 1884 wurde es in der
deutschen Niederlassung auf Angra und auf beiden deutschen Kriegsschiffen
sehr früh lebendig. Schon um 6 Uhr wurde Kaffee getrunken,
und um 7 Uhr fuhren in etwa 12 großen Booten Offiziere und
Mannschaften von beiden Schiffen an Land.
Das Wasser stand leider so niedrig, daß die
Boote nicht am Ufer anlegen konnten. So wurden die kräftigsten
Bootsruderer ausgesucht, die ohne Strümpfe und Schuhe ins Wasser
[35-36=Fotos] [37] sprangen, um die Offiziere an
Land zu tragen - ein Anblick, der geeignet war, die feierliche
Stimmung in eine recht fröhliche umzuwandeln.
Die Küste machte mit ihrem nackten, felsigen
Boden, den kein Baum, kein Strauch zierte, zunächst keinen
günstigen Eindruck. Dagegen war der Blick von der Küste aus
über die blaue See und die von unzähligen Vögeln
umflogenen Inseln sehr freundlich, ja geradezu schön, wenn Schiffe
die Bucht belebten, zahlreiche Boote Land und Schiffe verbanden und
über dem Ganzen der wolkenlose Himmel lachte, der uns in diesen
Tagen beschieden war.
Am Landungsplatz war es jedoch möglichst
öde. Eine dicke Staubschicht bedeckte den felsigen Boden, und auf
weite Ferne war kein grünes Blättchen zu sehen.
Vorläufig standen dort nur 3
hölzerne Blockhäuser, die den 5 Beamten der Firma
Lüderitz Wohnung und ihren Waren, Straußenfedern, Fellen
usw. Schutz gewährten.
Mit voller Musik zogen wir den Abhang hinauf, in
dessen Mitte eine hohe Flaggenstange errichtet worden war. Zu beiden Seiten
nahmen die Matrosen Aufstellung, während hinter ihr, mit Front zur
See, der Kommandant S. M. S. 'Leipzig' seinen Platz
wählte. In Vertretung unseres leider plötzlich erkrankten
Kommandanten, Kapitän zur See Schering (von S. M. S.
'Elisabeth'), hatte er dessen hohen Auftrag übernommen und leitete
die Feier. Hinter ihm standen wir Offiziere, alle in Hut und großer
Uniform, dann die Seekadetten, unter ihnen Franz Hipper, der später
in der Skagerrakschlacht als Admiral und Führer des
Schlachtkreuzer-Geschwaders Ruhmreiches leistete.
Die Mannschaft präsentierte das Gewehr, und
unter lautloser Stille verlas Kapitän zur See Hergig das
folgende Dokument, von dem Herr Lüderitz später eine
Abschrift erhielt:
Angra Pequena, 7. August
1884.
Seine Majestät der Deutsche Kaiser, Wilhelm I.,
König von Preußen, haben mir befohlen, mit
Allerhöchster gedeckten Korvette 'Elisabeth' nach Angra Pequena zu
gehen, um das dem Herrn A. Lüderitz gehörige Territorium an
der Westküste Afrikas unter den direkten Schutz
Sr. Majestät zu stellen. Das Territorium des Herrn
A. Lüderitz wird nach der amtlichen Mitteilung als sich
erstreckend von dem Nordufer des Oranjeflusses zu 26 Grad
Südbreite, zwanzig geographische Meilen landeinwärts
angenommen, einschließlich der nach dem Völkerrecht
dazugehörigen Inseln.
Indem ich diesen allerhöchsten Auftrag zur
Ausführung bringe, heiße ich hiermit als
äußeres Zeichen die Kaiserliche Deutsche Flagge, stelle somit das
oben erwähnte Territorium unter den Schutz und die
Oberherrlichkeit Sr. Majestät des Kaisers Wilhelm und fordere
die Anwesenden auf, mit mir einzustimmen in ein dreifaches
Hoch - Sr. Majestät Kaiser Wilhelm I. lebe
hoch!
Schering,
Kapt. z. S., Kommandant S. M. S.
'Elisabeth'.
Die Kriegsflagge stieg am Mast empor, und in das
dreifache, donnernde Hoch mischte sich dumpf der Kanonenschall von den
beiden Fregatten, die der Flagge den Salut von je 21 Schüssen
brachten. Die Musik spielte 'Heil dir im Siegerkranz' und 'Ich bin ein
Preuße'. Und so war in kaum 20 Minuten eine Tat geschehen, die
zunächst freilich nur Herrn Lüderitz zugute kam, die aber doch
für unsere ganze Kolonialpolitik von größter Bedeutung
werden sollte. —
Als wir nach einigen Stunden zur lustig wehenden
Flagge zurückkehrten, fanden wir einen Wächter davor, einen
schwarz-weiß-roten Pfosten, der eine Tafel trug, auf der wir lasen:
[38] 'Territorium
Lüderitz
Nördl. vom Oranjefluß bis 26 Grad S. B.
unter Protektorat des Kaiserl.
Deutschen Reiches. 7. August 1884.'
Über dieser Inschrift prangte der deutsche
Reichsadler.
Im Gespräch mit den Beamten des Hauses
Lüderitz, den Herren Vogelsang, Franke, Wegener und Falkenthal,
erschien uns die Großartigkeit dieser kolonialen Unternehmung, in der
bereits über 1 Million Mark steckte, erst in ihrem vollen
Lichte."
Deutsch-Südwest! Nur die Walfischbai blieb
englisch. Da Englands Haltung immer noch unklar blieb, nahm das
Kanonenboot "Wolf" auch noch Besitz von dem Gebiet bis Kap Frio. Nun
endlich gab England seinen Widerstand auf. Die englische Regierung fragte
noch an, ob sich das deutsche Protektorat nur auf deutsche
Angehörige und Stützpunkte beschränke, worauf ihr
geantwortet wurde, daß es sich über das ganze Gebiet
erstrecke und die englischen Staatsangehörigen mit in seinen Schutz
nähme, die den gleichen Schutz wie Deutsche in englischen
Afrikakolonien genießen würden.
Lüderitz
faßte unterdessen festen Fuß auf dem
Gebiet. Ein Brief an Richard Lesser, den ersten Redakteur der Deutschen
Kolonialzeitung, vom 11. Oktober 1884 schildert Art und Leistung des
Kolonialpioniers:
"Empfangen Sie folgende Daten
über meinen bisherigen Lebensgang (der nachfolgende ist
hoffentlich auch von Nutzen für Deutschland):
Ich heiße also Franz Adolf Eduard
Lüderitz, bin geboren am 16. Juli 1834, als ältester Sohn des
hiesigen Kaufmanns F. A. E. Lüderitz (aus Hannover
stammend) und seiner Frau Henriette Wilhelmine Schüßler (aus
Oldenburg stammend). Beide waren lutherisch, und so wurde ich auch am 3.
September 1834 getauft. Ich besuchte die hiesigen Schulen und trat, nachdem
ich die Prima der Handelsschule absolviert hatte, Ostern 1851 als Lehrling in
das Geschäft meines Vaters, welcher ein seit 1824 bestehendes
Tabakgroßgeschäft hatte.
Nachdem ich meine dreijährige Lehrlingszeit
bestanden hatte, reiste ich April 1854 nach Neuyork, machte von
dort einige kleine Abstecher, um Land und Leute kennenzulernen, und ging
dann via Vera Cruz nach Colima, an der Westküste Mexikos, wo ich
festes Engagement als Kommis im Geschäft der Herren Rücker,
Motz & Co. angenommen hatte. Als dies Geschäft liquidierte, pachtete
ich einen sogenannten Rancho, wo ich
Pferde-, Maultier- und Viehzucht usw. betrieb, aber keine Seide spann. In
den damaligen Revolutionen wurde ich total ausgeplündert
(Schutz für Deutsche gab es noch nicht), und so kam ich via
Panama und Neuyork nach Bremen zurück, wo ich am 6. August 1859
anlangte und bei meinem Vater ins Geschäft trat. In den
nächsten Jahren machte ich dann für dieses Geschäft
Reisen und besuchte hauptsächlich Holland, Westfalen, Rheinprovinz
und Ostfriesland.
Am 9. Mai 1866 verheiratet ich mich mit meiner
Frau, Emilie Elise von Lingen, geb. am 23. Juni 1836, Tochter von
Dr. jur. Carl von Lingen und seiner Frau Meta Henriette Luise geb.
Schumacher. Ich habe drei Söhne: Franz Adolf Eduard, geb. 19.
Januar 1868, George, geb. 2. Februar 1869, Carl August, geb. 18. Mai
1874. (Gottdank stramme Jungens, und mit Töchtern, welche mir so
quarig sind, wie Fritz Reuter sagt, habe ich mich nicht befaßt.) Nach
dem Tode meines Vaters, im Februar 1878, übernahm ich das
Tabakgeschäft desselben und fing, nachdem die Tabakmonopolfrage
aufkam, Handelsverbindungen mit Afrika an, wo ich 1881 eine Faktorei
in Lagos begründete.
[39] Hieraus
entwickelte sich dann der Plan zur Gründung einer Faktorei im
sogenannten Namalande, mit dessen Ausführung ich Herrn
Vogelsang von hier betraute.
Dieser ging vorerst per Steamer via England nach
Kapstadt, um Erkundigungen über das 'Wo' einzuziehen, und meine
Brigg 'Tilly', mit Ladung passender Waren und hier in Deutschland
angefertigter und zerlegter Wohn- und Lagerhäuser, sowie einigen
Kommis an Bord, folgte bald darnach. In Kapstadt gingen Herr Vogelsang
und noch einige, von ihm in Kapstadt engagierte Leute dann an Bord der
'Tilly', fuhren nach Angra Pequena, als besten Hafen, und reisten
vorab nach Bethanien, um nötige Kaufkontrakte abzuschließen.
Die weitere Entwicklung ist ja bekannt."
Lüderitz schickte auch Forscher und Ingenieure, die von dem
Hererooberhäuptling Bergbaurechte erwarben, doch erfüllten
sich die daran geknüpften Erwartungen zunächst nicht.
Englische Abenteurer erschwerten den Abschluß von Verträgen
durch Beunruhigung der Hereros. Anfang Oktober erschien dann Dr. Nachtigal
als Reichskommissar auf der "Möve" in Angra Pequena
und schloß im Namen des Reichs den feierlichen Schutzvertrag mit
dem Kapitän Josef von Bethanien, prüfte und bestätigte
die abgeschlossenen Verträge und bevollmächtigte den
Angestellten der Firma Lüderitz zu Verhandlungen. Eine
englisch-deutsche Kommission schaffte 1885 strittige Ansprüche aus
der Welt.
Noch war Südwest enttäuschend unfruchtbar scheinendes
Land, zu dessen Nutzbarmachung die Mittel des Hauses Lüderitz
ebensowenig ausreichten wie die der 1885 gegründeten
"Deutschen Kolonialgesellschaft für
Deutsch-Südwest-Afrika". Ein Brief vom 8. Nov. 1884 beweist
Lüderitz' Sorgen, doch auch zuversichtliche Hoffnung auf die Hilfe
des Reichs:
"Ihr freundliches Anerbieten
wegen Anlegung einer Bibliothek in Angra Pequena nehme ich mit Dank
an.
Neulich sandte ich für ca. 400 Mark
Bücher hinaus, und sind besonders Jahrgänge illustrierter
Zeitungen in Bänden dort willkommen, da diese den Händlern
und Hottentotten gezeigt werden, wenn sie zur Bay kommen. Deutsch lesen
können diese Leute ja nicht, aber von den Bildern sind sie stets
entzückt. Die bekommen dadurch einen Einblick in deutsches Leben
und Treiben und einen Begriff von Deutschlands Macht.
Missionar Bam hatte in meinem Namen dem
Häuptling Josef Fredericks von Bethanien
1 Gardeulanenuniform und 12 Kartons mit Soldaten,
Garde-Kürassiere, Husaren, Ulanen, Dragoner, Infanterie,
Jäger, 1 Batterie, 1 Train, 1 Ponton, 1 Lager mit aufstellbaren Zelten,
Kaiser Wilhelm und seine Helden und Kaiser Wilhelm in seinem Wagen, in
plastischen Figuren übergeben. Er schreibt, der König
wäre ganz entzückt gewesen und hätte
geäußert: Dit zyn toch ryke menschen. Die Uniform hätte
ihm gut gepaßt und er sehr stattlich darin ausgesehen. Am Sonntag
habe er sie in der Kirche angehabt. - In unsern Augen sind derartige
Geschenke ja für Kinder bestimmt. Bei den Hottentotten, die aber
keine Ahnung von solchen Dingen haben, ist es etwas
Außerordentliches und bringt uns hoffentlich Nutzen, und das ist mein
Streben. Deutschland muß über alle anderen Nationen in
ihren Augen gestellt werden. - Höpfner überbringt
dem Oberhäuptling Kamaherero in Okahandja in meinem Namen
eine Dragoneruniform, andere Häuptlinge bekommen
Kürassieruniformen, natürlich ohne Küraß. Das
macht auf diese Menschen, die derartige Uniformen noch nie gesehen haben,
einen großen Eindruck.
Die Reklamationen der Engländer, welche sie
an meinem Gebiet haben wollen (?), werden vom Generalkonsul Dr.
Bieber jetzt kommissarisch geprüft, und habe ich deshalb
fortwährend Fühlung mit dem Auswärtigen Amt.
[40] Ich denke,
daß in diesem Jahr alles geordnet ist, und daß ich dann eine
sogenannte Charter bekomme, um endlich mal Geld herauszuholen. Bis jetzt
habe ich über 500 000 Mark in Angra Pequena stecken, da
alles, was einkam, sofort wieder hineingesteckt wurde. Die Expeditionen
verschlingen große Summen, und kein Mensch unterstützt mich
dabei. Bankiers haben sich noch nicht gefunden, welche mir, auf Sicherheit
auf das Gebiet hin, auch nur einen Pfennig geliehen hätten. Und da die
jetzige Ladung der 'Tilly' wieder gegen bar gekauft wurde, so sind
vorläufig meine Mittel erschöpft, und kann ich nur das
Allernotwendigste beschaffen. Ich würde, wenn ich mein Geld nicht in
Angra festliegen hätte, sonst Anlegebrücken mit Pontons,
Kohlenschuppen, einen kleinen Dampfer für regelmäßige
Verbindung zwischen meinem Hafen und Kapstadt, eiserne
Faktoreigebäude für Sandwichhafen usw. anschaffen. Dazu
habe ich aber ca. 4-500 000 Mark nötig, und die sehe ich
nicht zu beschaffen. Ich würde diese Summe eventuell auf mein
Gebiet, welches jetzt laut Kontrakt so groß ist wie Holland, Belgien,
Hannover und Oldenburg (von 22° bis Oranjefluß nebst 20
geographischen Meilen im Land von der Küste ab gerechnet)
eintragen lassen und zurückzahlen, nebst 4% p. a.
Zinsen, sowie ich durch Aufdeckung von konstatiert abbaufähigen
Erzlagern usw. dazu imstande bin.
Interesse zeigen die Leute für mein
Unternehmen, aber durch Geldmittel unterstützen fällt keinem
ein, obwohl die Sicherheit doch im Lande selbst geboten werden
kann.
Ich muß also Geduld haben und kann nicht
vorwärts kommen, wie ich sonst würde, wenn ich disponible
Mittel zu Gebote hätte."
Bismarck
hatte nicht die Absicht gehabt, staatliche Mittel zur
Verfügung zu stellen. Er wollte nur Rechte schützen. Die
Erschließung und Entwicklung der Kolonie war nach seiner Meinung
Sache der handeltreibenden Kaufleute. Er wollte nur Freibriefe
gewähren nach Art der englischen Royal Charters. Das Regieren
wollte er den Nutznießern der Kolonie überlassen, sie nur nach
außen hin vertreten und ihnen Schutz und Recht gewähren.
"Unsere Absicht ist - daher - nicht, Provinzen zu
gründen, sondern kaufmännische Unternehmungen, aber in der
höchsten Entwicklung." "Wenn wir sehen, daß der Baum
Wurzeln schlägt, anwächst und gedeiht, und den Schutz des
Reichs anruft, so stehen wir bei ihm." Da aber die Menschenleere und der
Mangel an europäischen Unternehmungen in dem weiten Gebiet es
zunächst unmöglich machten, Eingeborenenfehden zu
verhindern, erkannte Bismarck 1885 einen Reichskommissar
[36]
Der erste Reichskommissar Dr. Göring (rechts auf dem
Korbstuhl) und seine Mitarbeiter. Dr. Göring ist der Vater des
Ministerpräsidenten Göring.
|
für die Kolonie mit dem Sitz in Rehoboth. Es war Amtsgerichtsrat
Dr. Göring aus Metz, der Vater des preußischen
Ministerpräsidenten Hermann Göring; ein Referendar und ein
Unteroffizier wurden ihm beigegeben. Gleichzeitig wurde der Missionar
Büttner gebeten, die verschiedenen Stämme zu
friedlicher Unterordnung und Einhaltung der Schutzverträge zu
bewegen, worin er auch Erfolg hatte.
Die Verhandlungen mit Maharero unterbrach ein kriegerischer
Zwischenfall, der Gelegenheit bot, den wilden Haß, mit dem sich die
Hereros und Namas seit Jahren befehdeten, kennenzulernen. Ein Bericht aus
der Deutschen Kolonialzeitung aus dem Jahre 1886 zeigt am besten, wie die
Verhältnisse zur Zeit der Ankunft des Kaiserlichen Kommissars
Dr. H. E. Göring lagen:
"Auf Osona bei Okahandja, der
Residenz Mahareros, waren die Hereros zu ungefähr 1500 Mann in
Waffen gelagert, als die auf dem Kriegspfade begriffenen Namas
heranrückten, ungefähr 5 - 6000 Mann stark und
ihre Posten ausschickten, um sich mit Wasser aus der [41] Quelle zu versorgen, welche in dem Besitz
der Hereros war. Infolge der Verweigerung dieses Verlangens griffen die
Namas sofort mit dem ihnen eigenen Mute, trotz ihrer weit geringeren Zahl,
die Hereros an, und so wurden denn am 15. Oktober die zur Zeit auf
Okahandja weilenden Deutschen, der Reichskommissar Dr.
Göring, Referendar Neels, von Goldammer,
Reichsspezialkommissar Pastor Büttner, Kleinschmidt, Scheidweiler,
Wiesel und Missionar Diehl unfreiwillige Zeugen eines erbitterten Kampfes,
der von morgens ½ 12 Uhr bis abends 9 Uhr dauerte, als die
Namas, welche während des Tages von den Hereros vollständig
eingeschlossen waren, sich mit Hinterlassung von 2 Wagen, 5 Karren und
einem Verlust von 1000 Pferden zurückzogen. Die Zahl der
Verwundeten bei den Hottentotten (Namas) blieb unbekannt, da sie
dieselben sämtlich mitnahmen; 35 Tote ließen sie auf dem
Kampfplatze zurück. Die Damaras (Hereros) hatten einen Verlust von
30 Toten und über 70 teils sehr schwer
Verwundeten, - beide Teile waren mit englischen Repetiergewehren
bewaffnet. Während des Kampfes hielt sich der kleine deutsche Trupp
in einiger Entfernung auf einem Hügel auf, aber nicht in
müßiger Beobachtung, sondern alsbald entwickelten unsere
Landsleute die Liebestätigkeit, welche die Menschlichkeit verlangt.
Dorthin wurden die Verwundeten in Schutz gebracht und aus ihrem
mitgebrachten kleinen Vorrat an Medikamenten und Verbandszeug so gut
als möglich versorgt. Alle Deutschen wetteiferten darin, und
zumal Dr. Göring war nicht müde, selbst Kugeln
herauszuschneiden und Wunden
zuzunähen. - Jedenfalls hat diese humane
Werktätigkeit den Deutschen bei dem Kampfe am 15. Oktober den
Abschluß der Verhandlungen zwischen ihnen und Maharero
gefördert. - Bei Unterzeichnung des Vertrages wurde auf dem
Gebäude des Herrschers die deutsche Flagge feierlich gehißt,
einige Ochsen wurden zur Feier des Tages abgeschlachtet, sowie
Lebensmittel an die Eingeborenen verabreicht. Festspiele und großes
Feuerwerk beschlossen den Abend."
Der große amtliche Bericht des Kaiserlichen Kommissars Dr.
Göring, den er aus Angra Pequena am 22. April 1886 dem
Reichskanzler Fürst Bismarck erstattet hat, zeichnete sich durch
Klarheit aus und war richtunggebend für die Kolonialarbeit der
ersten 20 Jahre im Lüderitzland. Noch heute ist dieser Bericht,
abgedruckt in der Deutschen Kolonialzeitung 1886, lesenswert.
Damit war die erste deutsche Kolonie in Übersee als Schutzgebiet
vom Reiche übernommen.
Den Mann, dessen Weitblick wir das deutsche Schutzgebiet
"Lüderitzland" verdanken, traf bereits 2 Jahre später ein
tragischer Tod.
Sein Sohn Carl August Lüderitz gab für dieses Buch
folgenden Bericht über den Tod seines Vaters:
"Das letzte Lebenszeichen von
meinem Vater war jener Brief vom 19. Oktober 1886 von Quies Drift an
meine Mutter, den er durch Boten nach Port Nollott, von dort nach Kapstadt
sandte, gleichzeitig mit Brief an seine dortigen Geschäftsfreunde
Poppe, Rassenau & Co., in dem er ebenfalls von seiner Absicht
schrieb, den Oranjefluß per Boot hinunterzufahren und weiter die
Küste entlang nach Angra Pequena zurück.
In der Nacht vom 21./22. Oktober
übernachtete er mit seinem Gefährten Steingröver auf
einer Farm, und hat der betr. Farmer später ausgesagt, daß das
Wetter am Tage der Abfahrt und den darauf folgenden Tagen gut gewesen
sei, daß dann aber Sturm und hoher Seegang eingesetzt habe. Wenn
also mein Vater und Steingröver Opfer dieses Sturmes geworden sind,
so wäre wohl der 24. Oktober 1886 als Todestag anzunehmen.
Merkwürdigerweise waren noch viele Jahre
später unter den Eingeborenen Gerüchte im Umlauf, daß
2 weiße Männer gelandet und von den herumstreifenden
Buschleuten ermordet worden seien. Näheres hat sich trotz aller
Nachforschungen nie feststellen lassen."
[42]
Togo und Kamerun
An Orten der Guineaküste bis zum Kongo hinunter
waren seit 1835 durch deutsche Missionare und Kaufleute Niederlassungen
gegründet. Woermann, Hamburg, besaß schon 1868 in
Kamerun einige Stationen, die von der Hamburger Firma Jantzen &
Thormählen noch vermehrt wurden. In Togo hatten sich
Broehm & Wölber, Hamburg, und die beiden Bremer
Firmen C. Goedelt und F. M. Viëtor
Söhne festgelegt. Seit Anfang der achtziger Jahre betrieb
Woermann eine regelmäßige Dampferlinie nach Kamerun und
Westafrika. Bereits um 1880 lag die Hälfte des gesamten
Küstenhandels in den Händen deutscher Kaufleute. Auf
Anregung Woermanns beauftragte Bismarck Dr. Nachtigal
als deutschen Konsul, sämtliche Küstenorte zu besuchen, die
Besitzverhältnisse zu klären und die Klagen der deutschen
Kaufleute über Belästigungen durch eifersüchtige
englische und französische Kaufleute, über unterschiedliche
Behandlung, hohe Zölle und Schikanen aller Art zu prüfen. Vor
allem seien die Verträge, die deutsche Handelsfirmen mit
eingeborenen Häuptlingen abgeschlossen hätten, zu
bestätigen und in der Biafrabai das deutsche Protektorat
einzurichten.
Im Gebiet der Loosinseln, wo der Stuttgarter Kaufmann
Colin eine Niederlassung besaß, sowie im
Dubrekagebiet lagen bereits feste englische, bzw.
französische Anrechte vor. Aber in Togo hißte die
Besatzung der "Möve" am 5. und 6. Juli 1884 die nach
erfolgreichen Verhandlungen mit den Häuptlingen von Lome und
Bagida die deutsche Flagge. Die Häuptlinge versprachen, ihr Land an
keine fremde Nation abzutreten, sowie ohne deutsche Genehmigung mit
keiner fremden Macht Handelsverträge zu schließen. Dasselbe
geschah am 17. Juli in Kamerun. Der englische Konsul, der 5 Tage
später mit Vertragsvollmachten eintraf, fand vollendete Tatsachen.
Sein Protest half nichts mehr, da die englische Regierung keine
festgeschlossenen Verträge nachweisen konnte. Englische Vertreter
brachten zwar die Eingeborenen durch ihre Umtriebe in Erregung, doch
warfen 100 Mann der Besatzung des nach Kamerun geschickten
Geschwaders von 4 Kriegsschiffen Mitte Dezember 1884 den Aufstand nieder
und stellten weitere Plätze im Innern des Gebiets unter deutsche
Oberhoheit. Der Reichstag hatte unterdessen ein Vorgehen der Regierung
bewilligt und die Ernennung eines Reichsgouverneurs und einer Verwaltung
zugebilligt. Bismarcks Sohn Herbert brachte in London die
Verständigung mit dem Außenministerium zuwege. Durch eine
Vereinbarung vom 29. April 1885 wurde die deutsche
Schutzherrschaft in den fraglichen Gebieten anerkannt und
ihre vorläufigen Grenzen festgesetzt, die dann in den Jahren 1890 bis
1911 erweitert und endgültig geregelt wurden.
Gouverneur in Kamerun wurde der Petersburger Gesandte Freiherr von
Soden, der zur Aufrechterhaltung der Ordnung eine kleine
Eingeborenenpolizeitruppe einrichtete. In Togo, das keine
Eingeborenenaufstände erlebt hat, nahm der eingesetzte Kaiserliche
Kommissar, Reg.-Ass.. Falkenthal, seinen Sitz in Bagida. Ein
allgemeines Kolonialabkommen bewirkte 1885 die
Ver- [43] ständigung
bezüglich aller kolonialen Fragen längs der westafrikanischen
Küste zwischen Deutschland, England und Frankreich.
Der Zugriff in Ostafrika
Ostafrika war seit Jahrhunderten Ausgangsgebiet des arabischen
Sklavenhandels, der gewissenlos die Bevölkerung dezimierte. Die
Basler Mission, die seit den vierziger Jahren dem entgegenwirkte, hatte nicht
nur Niederlassungen an der Küste angelegt, sondern war weit ins
Innere vorgestoßen. Seit 1846 bestand die Station Mombassa,
von der aus die deutschen Missionare Ludwig Krapf und
Johann Rebmann bis in das Gebiet des Kilimandscharo
vordrangen, dessen Schneehaupt Rebmann als erster
Europäer erblickte. Die fesselnden Berichte über seine
Erlebnisse zogen deutsche Gelehrte mächtig an. 1856 bereiste Ed.
Vogel das Wadailand, 1860-1865 Klaus von der Decken, der
den Wert des Landes bereits übersah, Ostafrika. Nach seiner
Ermordung versuchten seine Mitarbeiter Dr. R. Bremer und
Dr. O. Kersten in Deutschland für seine weitschauenden
Pläne Stimmung zu machen. Auf Kerstens Veranlassung gingen die
Gebr. Clemens und Gustav Denhardt, denen sich als Arzt
Dr. Fischer anschloß, 1879 in das Gebiet von Witu
und befuhren den Tanafluß. Im "Zentralverein für
Handelsgeographie" in Berlin hoffte Denhardts Freund v.
Weber vergeblich, kaufmännischen Unternehmungsgeist zu
wecken, indem er mit zündenden Worten für den Erwerb des
bereisten Gebietes eintrat. Da sowohl England als auch König
Leopold, der Belgier, ein Auge auf das Gebiet warfen, bat Denhardt das
Auswärtige Amt, wenigstens eine wissenschaftliche Station in Witu
anzulegen. Das erklärte sich aber für derartige Aufgaben als
nicht zuständig, und ehe ihm das Ministerium des Innern helfen
konnte, hatten die Engländer bereits in Witu zugegriffen.
Mit dem Sultan von Sansibar war 1859 ein Handelsvertrag geschlossen
worden. Als die Hamburger Kaufleute 1880 darüber Klage
führten, daß der Sultan die deutschen Interessen nicht
genügend wahre, regte das Auswärtige Amt die Erneuerung des
Vertrages an und erwog die Errichtung eines Konsulats zum Schutze der
deutschen Handelsrechte. Der Sultan ging darauf nicht ein, da ihm schon
1862 ein zwischen England und Frankreich geschlossenes Abkommen, von
dem man in Deutschland nichts wußte, seine Unabhängigkeit
gewährleistet hatte. Lord Derby hatte freilich 1875 erklärt,
daß England in Sansibar keine Vorrechte besäße,
gleichzeitig erhielt der Sultan aber als Entschädigung für die
Aufhebung des Sklavenhandels seit 1875 jährlich 20 000
Kronen aus den indischen Kassen, die ihn England verpflichteten, da er
ständig verschuldet war. Dennoch spannen sich Fäden zu
Deutschland. Da einer deutschen Staatsangehörigen vom Sultan ihr
Erbe vorenthalten wurde, beschloß man die Errichtung eines
Konsulates in Sansibar, für das der durch verschiedene Reisen in
Nordafrika bekanntgewordene Forschungsreisende Gerhard Rohlfs
ausersehen wurde. Seine [44] vorzeitig in England bekanntgewordene
Ernennung zum Konsul erweckte dort heftiges Mißtrauen. Bismarck
erklärte jedoch auf Anfrage, daß keine Annektion beabsichtigt
sei. Darauf konnte sich Rohlfs auf der "Gneisenau" einschiffen und traf
Januar 1885 in Sansibar ein.
Auf dem Festlande gegenüber Sansibar hatte sich inzwischen
mancherlei begeben, was die Anwesenheit eines deutschen Konsuls
erforderte. Nicht nur hatte Lüderitz in der Luciabai
Fuß zu fassen versucht und der Photograph
A. Einwald Anfang 1884 das Auswärtige Amt
telegraphisch zu eiligem Zufassen aufgefordert. Er hatte auch schon einen
Vertrag mit einem Häuptling Dinizulu gemacht, aber ehe seine
Verträge in Berlin eingetroffen waren, hatten in dem gemeldeten
Gebiet die Engländer ihre Flagge gehißt. Greifbar wurden erst
deutsche Kolonialpläne, als Carl Peters am 3. März
1884 eine "Gesellschaft für deutsche Kolonisation" mit dem
Zwecke der Kapitalbeschaffung gegründet hatte, die seinen
Vorschlag, ostafrikanisches Gebiet gegenüber der
Sansibarküste in Besitz zu nehmen, aufgriff und zu dem Zwecke
Carl Peters, dessen Freund Dr. Jühlke und den
Grafen Joachim Pfeil, der als einziger von den dreien Afrika
kannte, dorthin schickte.
Peters hatte in England die Akten der britischen Kolonisation in Amerika in
Indien studiert und von dort aus mit einem Amerikaner zusammen ein
gemeinsames Unternehmen im Maschonaland geplant. Nach der Art der
alten englischen Abenteurer verfahrend, wollte er dem Amerikaner die
Ausbeutung des Goldes überlassen, während er das Land
für das Deutsche Reich in Besitz nehmen wollte. Darauf wollte sich der
stolze Amerikaner aber nicht einlassen, und so scheiterte dieser Plan. Nach
Berlin zurückgekehrt, trat er an den Kolonialverein heran, um mit
seiner Unterstützung die Gründung einer deutschen
Kolonie in Ostafrika durchzusetzen. Der Vorsitzende des Vereins,
Fürst zu Hohenlohe-Langenburg, machte ihm klar, daß seine
Ziele zunächst nur Vorstudien und vorsichtige Propaganda für
den Kolonialgedanken umfaßten. Der Kolonialverein zählte im
Dezember 1883 erst 3260 Mitglieder, hatte aber schon 492 Zweistellen in
Deutschland, 43 im Ausland, davon bereits 19 außerhalb Europas.
1885 war die Zahl der Mitglieder auf 10 275 gestiegen.
Peters ließ sich durch die Ablehnung nicht abschrecken, sondern rief
die bereits erwähnte "Gesellschaft für deutsche
Kolonisation" ins Leben, die ihm die Verwirklichung seiner Pläne
gestattete. Trotz Hungersnot und Abratens durchzogen die drei
Ostafrikabegeisterten das Küstenland, in dem der Sultan von Sansibar
Zollbeamte unterhielt, und schlossen mit einer Anzahl
Dorfhäuptlingen Verträge, in denen sie ihr Gebiet an die von
Peters vertretene Gesellschaft abtraten. Am 5. Februar 1885 war er schon
wieder in Berlin und erbat von Bismarck die Anerkennung der
Verträge. Bismarck gewährte ihm darauf am 27. Februar 1885
einen kaiserlichen Schutzbrief. Die Gesellschaft beabsichtigte, in
der Art der Ostindischen Kompagnie aus eigener Kraft in Ostafrika ein
Staatswesen aufzurichten. Der Schutzbrief verlieh der zu diesem Zwecke von
Peters ins Leben gerufenen [45] Deutsch-Ostafrikanischen
Gesellschaft als der unter Reichsschutz stehenden Rechtsnachfolgerin
staatliche Aufsichtsbefugnisse. Peters gelang es auch, Mittel flüssig zu
machen, doch fehlte die Kapitalkraft des Großunternehmertums.
Peters ging zunächst nach Ostafrika zurück, um durch weitere
Verträge ein möglichst großes Gebiet in die Hände
zu bekommen und vor dem Zugriff Englands zu sichern. Er griff dabei weit
über die später durch Vereinbarung mit England gezogenen
Grenzen hinweg, schwebte ihm doch ein bis an die Grenzen Transvaals,
Südwests und Ägyptens reichendes, das Kongobecken
umschließendes Kolonialreich quer durch ganz Afrika vor, das einen
gesicherten und verteidigungsfähigen Großbesitz vorstellte und
wirtschaftliche Ausbaufähigkeit besäße, die durch nichts
zu erschüttern gewesen wäre. Zur Verwirklichung seines Zieles
wäre ein hohes koloniales Verständnis und der geschlossene
Wille der Heimat erforderlich gewesen, woran es trotz der Arbeit der
Kolonialvereine noch weithin mangelte, vor allem hätte es der
Opferwilligkeit des Großkapitals bedurft, das jedoch fast alles zu
wünschen übrig ließ.
Der Sultan von Sansibar sah durch das Vorgehen von Peters den Nachschub
an schwarzen Arbeitskräften aus Ostafrika für seine
Nelken- und Zuckerrohranbauten auf den Inseln gefährdet. Es lag
ihm nichts an preußischer Ordnung. Leicht ließ er sich daher von
dem englischen Konsul Sir John Kirk dazu veranlassen,
Einspruch gegen das deutsche Unternehmen zu erheben und seine Leute
unter die Waffen zu rufen. Aber da England 1875 erklärt hatte, dort
keine Vorrechte zu besitzen oder zu erstreben, konnte Deutschland nicht
verwehrt werden, Handelsverträge abzuschließen. Die
Gebrüder Denhardt hatten inzwischen am Tana
ihre Station erreicht und das Schutzgesuch des Sultans von Witu,
der ein erbitterter Feind des Sultans von Sansibar war, an das Reich durch
Vermittlung von G. Rohlfs weitergegeben.
Zur Klärung all dieser Angelegenheiten schickte Bismarck den
Admiral Paschen mit 5 Kriegsschiffen nach Sansibar, der den
Sultan von Sansibar durch ein Ultimatum zur Anerkennung der deutschen
Schutzherrschaften und zur Zurückziehung seiner Truppen zwang.
Am 13. August 1885 wurde ein Vertrag mit ihm geschlossen, nach dem er alle
Ansprüche des Reichs zu erfüllen versprach. Bismarck nahm
nicht Sansibar bei dieser Gelegenheit, wie man in England
gefürchtet hatte. Die Grenzfestsetzung in Ostafrika wurde einer
Kommission übertragen, zu der deutscherseits Dr. Schmidt,
von seiten Englands Lord Kitchener und französischerseits der
Generalkonsul Patrimonia ernannt wurden.
Durch elf weitere Verträge war die Zahl der Rechtsansprüche
der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft beträchtlich vermehrt
worden. Auch hatten sich die einzelnen Gruppen an der Küste und im
Witugebiet über ihren Einfluß geeignet. Die von den Arabern
und ihren Stammeshäuptlingen eingeschüchterten und
aufgestachelten Schwarzen machten jedoch der Gesellschaft erhebliche
Schwierigkeiten. Es fehlte zudem durchaus an Geld. Zollstationen, die 1886
eingerichtet wurden, vermochten die erforderlichen Einnahmen nicht
herbeizuschaffen. Um den Zusammenbruch des Unternehmens zu
verhindern, mußte das Reich einspringen. Die [46] Seehandlung beteiligte sich mit einer Reihe
von Geldgebern. Im November 1886 kam ein Vertrag zustande, der die
Besitzrechte der einzelnen Staaten regelte, allerdings für Deutschland
nicht so viel Gebiet rettete als Peters ersehnt hatte und erwünscht
gewesen wäre. Der Sultan von Sansibar mußte auf seine
Küstenstationen verzichten, die allerdings nur
Sklavenhandelsplätze darstellten. 1888 pachtete Deutschland dann
den ganzen Küstenstreifen einschließlich der Hafenanlagen und
Zölle, 1890 kaufte es ihm alle Anrechte für 4 Millionen ab.
Dadurch wurde der Küstenhandel gesichert, wodurch der Besitz erst
Bedeutung gewann.
Die arabischen Sklavenhändler setzten unbekümmert um
fremde Rechte ihren Menschenhandel fort. Die Streitigkeiten um die
Einsetzung deutscher Zollbeamten an Stelle der indischen, denen der Sultan
verschuldet war, verlangten die Hilfe des Sultans. Ein deutsches Kriegsschiff
wurde in Tanga mit Schüssen empfangen. Weder die
Gesellschaft, noch der Sultan konnten der Unruhen Herr werden, deren
Haupt der Halbaraber Buschiri war. In Bagamoyo fielen
in einem Gefecht an hundert Eingeborene. In Kilwa wurde ein
Angestellter der Gesellschaft getötet. Aus anderen Orten mußten
die Deutschen flüchten. Die Gesellschaft sah sich plötzlich in
ernste Schwierigkeiten verwickelt, deren sie nicht Herr zu werden
vermochte. Sie war im Begriff, eine Truppe von einigen hundert Mann
zusammenzustellen, als deren Leiter der Generalkonsul den früheren
Leutnant und Afrikadurchquerer Hermann Wissmann in
Vorschlag brachte.
Die Unterdrückung des Sklavenhandels fand umso mehr
Fürsprache in Europa, als bei den Aufständen auch Mitglieder
der katholischen Mission umgekommen waren und der Papst sich für
kraftvolle Maßnahmen einsetzte. Selbst der völlig
binnenländisch denkende Reichstag, dem es an kolonialerfahrenen
Mitgliedern noch fehlte, und der sich nicht von der Meinung freimachen
konnte, daß nicht alle Kolonien Indien seien und daher nicht von
vornherein reiche Erträge bringen könnten, ließ sich
durch den Gedanken der Bekämpfung des Sklavenhandels für
eine energische Reichshilfe gewinnen. Am 8. Februar 1889 erhielt
Wissmann den Auftrag, als Reichskommissar zur
"Herstellung von Ruhe und Ordnung in dem vom Sultan gepachteten und
dem benachbarten, unter deutschem Schutze stehenden Gebiete" alle
erforderlichen Maßnahmen zu treffen, nachdem im Dezember des
Jahres 1888 englische und deutsche Kriegsschiffe die Küste blockiert
und teilweise die Ruhe wiederhergestellt hatten.
Mit deutschen Soldaten, die tropenungewohnt waren, konnte Wissmann
nichts anfangen. Statt ihrer ließ er in Ägypten 600
krieggewohnte Sudanesen anwerben, die er der Führung ehemaliger
deutscher Offiziere und Unteroffiziere unterstellte, die wenigstens
z. T. afrikaerfahren waren. Anfang März traf er mit vier
kleinen Küstendampfern, die er in Hamburg erworben hatte, in
Sansibar ein. In Mozambique ergänzte er seine kleine
"Wissmanntruppe", die erste deutsche Schutztruppe, noch durch
hundert Suluneger.
Den ersten Schlag führte er gegen Buschiri. Bismarck hatte ihn mit
dem Befehl entlassen: "Stehen Sie auf eigenen Füßen. Ich gebe
Ihnen immer wieder den [47] einen Auftrag: Siegen Sie!" Seine
Hauptaufgabe mußte er daher zunächst darin sehen, dem
Schürer und Führer des Aufstands eine empfindliche
Niederlage beizubringen. Buschiri hatte sich mit seinen verwegenen und gut
bewaffneten Leuten in einem befestigten Lager bei Bagamoyo
verschanzt. Die in aller Eile notdürftig gedrillte "Askari"truppe
Wissmanns sollte auf Wunsch des Admirals Deinhardt, des Chefs
des Blockadegeschwaders, mit einem Marinekorps zusammenarbeiten.
Rochus Schmidt berichtet darüber:
"Mit Sonnenaufgang traten die
Truppen den Vormarsch an. Auf 400 Meter Entfernung wurde von
Schutztruppe und Marine das Feuer auf das Lager eröffnet, das, wie
sich später zeigte, stark verpalisadiert und mit Erddeckungen
wohlversehen war. Die Besatzung des Lagers erwiderte das Feuer
kräftig. Auf deutscher Seite traten auch die leichten Geschütze
in Tätigkeit. Die tapferen deutschen Angreifer hielten sich aber nicht
lange bei der Vorrede auf; vielmehr wurde schon nach kurzer
Feuervorbereitung der Sturm auf das Lager unternommen, in das
gleichzeitig Teile der Schutztruppe und der Marine
eindrangen, so daß die sich in solchen Fällen erhebende
Streitfrage, wer der erste im Lager gewesen, welcher Truppenteil dasselbe
zuerst erreichte, nicht zugunsten des einen oder andern zu entscheiden ist,
vielmehr beiden die gleiche Ehre zugesprochen werden muß. Der
Sturm ging natürlich nicht ohne Verluste auch auf seiten der
Wissmanntruppe und der Marine vor sich. So fiel von der Marine beim
Eindringen in das Lager Oberleutnant z. See Schelle. Die
große Tapferkeit der Verteidiger, die 106
Tote - fast durchweg Araber und
Belutschen - verloren, war in hohem Maße anzuerkennen. Die
Wissmannsche Schutztruppe - sie hatte ja gegen Buschiri, bis
auf die eine nach Daressalam gesandte Sudanesenkompanie, die sich dort
ebenfalls bewährte und Erfolge zu buchen hatte, in allen ihren Teilen
im Gefecht gestanden - berechtigte zu den besten Hoffnungen. Sie
hatte ihre Feuertaufe unter der Führung ihr bis dahin völlig
fremder Offiziere und Unteroffiziere erhalten und glänzend
bestanden. Daß die Marine tapfer aushalten und ihren Mann
stehen würde, hatte natürlich von vornherein nicht dem
geringsten Zweifel unterliegen können. Diese geschlossene weiße,
an das Marschieren und Kämpfen in einem ungünstigen Klima
nicht gewöhnte Truppe hatte von allen die meisten Leiden zu ertragen.
Das brachte die beim Rückmarsch mit tropischer Glut
herniederbrennende Sonne Zentralafrikas mit sich. Gegenüber der
Einwirkung dieser Sonnenstrahlen half alle Energie nichts, und es durfte
nicht wundernehmen, daß der Rückmarsch der Marine jetzt ein
Bild der Erschöpfung zeigte, nachdem sie vorher glänzend ihre
Pflicht erfüllt hatte. Es war ein Glück, daß es bei den
Mannschaften der Marine und den natürlich auch arg
mitgenommenen deutschen Offizieren und Unteroffizieren der Schutztruppe,
die in der weit überwiegenden Zahl doch afrikanische Neulinge waren,
ohne größere Verluste an Sonnenstich und Hitzschlag
abging."
Leider entkam der buschgewohnte Buschiri mit einem Teil seiner Leute, und
es bedurfte noch mehrerer Unternehmungen, bis man seiner habhaft wurde.
Nachdem Wissmann
den Aufstand in Bagamoyo und
Daressalam niedergezwungen hatte, ging er mit gleichem Erfolg
gegen die Aufrührer in Pangani, Tanga und Sadani vor.
Dabei unterstützten ihn die Kriegsschiffe und seine kleine Flotille auf
das wirksamste. Der verhetzte eingeborene Führer hier, Bana
Heri, dehnte seinen Einfluß auch auf das Innere aus, wodurch er
weit gefürchteter war als Buschiri. Wissmann ging gegen ihn mit aller
Macht vor, dennoch ergab er sich erst nach einer Reihe schwerer
Niederlagen. Als er sich überwältigt sah, überreichte er
Wissmann sein Schwert. Klug den großen Einfluß des
eingeborenen Führers wertend, übernahm ihn Wissmann
darauf in deutsche Dienste. [48] Er hat das in ihn gesetzte Vertrauen auch
nie getäuscht. Wissmanns Ziel war die innere Befriedung des
Landes und die Wiederherstellung der Ordnung in Handel und
Wandel, worin er mit der Unterstützung der Eingeborenen, die
nur verhetzt waren, rechnen mußte. Wissmann war ein Meister im
Verhandeln mit Eingeborenen und verstand es, sehr bald auch das
Vertrauen der Stämme im Innern zu gewinnen, so daß der
Karawanenverkehr mit dem Innern wieder aufgenommen werden
konnte.
Während seiner Abwesenheit in Mwapmwa gelang es Buschiri noch
einmal, die Mafiti aufzuwiegeln und zum Angriff auf
Küstenstationen zu verleiten. Sie wurden aber durch die Wachsamkeit
der Truppe unter von Gravenreuth zurückgeschlagen.
Buschiri war damit völlig ausgeschaltet und geriet bald darauf in die
Hände Wissmanns, der ihn seinem Schicksal, dem Tode durch den
Strang, überlieferte. Wissmann hielt streng darauf, daß die
Eingeborenen gut und gerecht behandelt wurden. Er selbst genoß den
Ruf lauterster Gesinnung und Rechtlichkeit. Aber gegen den arabischen
Verräter ließ er keine Milde walten.
Im Mai 1890 trat der Afrikaforscher Emin Pascha in deutsche
Dienste und wurde von Wissmann an den Viktoriasee geschickt, um
den Sklavenhandel im Innern zu unterbinden und Ordnung zu schaffen.
Emin Pascha, der kurz vorher infolge seiner großen Kurzsichtigkeit
einen Unfall erlitten und eine Schädelverletzung davongetragen hatte,
unternahm leider ungeeignete Maßnahmen, so daß dieses
Unternehmen, das durch Emin Paschas Tod beendet wurde, keinen Erfolg
brachte.
Während Emin Pascha am Viktoriasee tätig war, unterwarf
Wissmann 1890 den Häuptling Machemba im Süden
Ostafrikas und besetzte einige Stützpunkte, was das deutsche Ansehen
weiter hob. Nach einer Erhloungsreise nach Deutschland, wo er mit
großen Ehren empfangen wurde, befriedete er im Januar 1891 die
Stämme im Kilimandscharogebiet und legte die Station
Moschi an. Bald darauf legte er sein Amt in die Hände des
inzwischen ernannten Gouverneurs. In seinem Bericht wies er mit Stolz
darauf hin, daß die deutsch-ostafrikanische Kolonie
zurückerobert und in Zukunft durch die angelegten
Befestigungen mit Hilfe der kleinen Truppe gegen Aufstände
behauptet werden könne, daß die Karawanenstraßen ins
Innere gesichert, die deutsche Macht bis an die äußersten
Grenzen des Gebiets getragen wäre und dem deutschen Namen
bis dahin Achtung gezollt würde. In Deutschland gelang es seinem
Ansehen, Mittel zum Bau eines Dampfers zusammenzubringen, der zerlegt
von ihm nach dem Nijassasee über den Sambesi und Schire
gebracht wurde. Während sein Kapitän Prager das
Schiff an Ort und Stelle montierte, marschierte er selbst mit seiner ergebenen
Askaritruppe gegen den unbotmäßigen Häuptling
Sunda der Wanjika am Tanganjikasee und zwang ihn zu Gehorsam
und Unterwerfung. Damit war endlich die Ruhe in Ostafrika hergestellt. Das
Reich einigte sich mit der Ostafrikanischen Gesellschaft und trat in ihre
Rechte ein, während die Gesellschaft nun allein die wirtschaftliche
Erschließung des Landes übernahm.
[49]
Der Erwerb von Kolonien in der
Südsee
Das Haus Johann Cäsar Godeffroy in Hamburg hatte seit
dem ersten Landankauf auf Samoa 1857 viele Handelsstationen auf den
Südseeinseln angelegt. Für das Haus Robertson &
Hernsheim wurde 1875 die Insel Makada, ab 1878 die Insel
Matupi in Neubritannien Operationsbasis. Beide
Handelshäuser besaßen zahlreiche Faktoreien im Stillen Ozean
und beherrschten den Koprahandel wie den Handel mit Kakao, Zucker und
Kaffee. Robertson & Hernsheim übernahm auch die schwierige
Aufgabe der Arbeiterbeschaffung. Joh. Cäsar Godeffroy hieß
bei den Engländern "der König der Südsee".
Während 1868 noch 34 englische Schiffe und 24 deutsche samoanische
Gewässer befuhren, war das Verhältnis 1871 26 zu 36. Auch auf
den Fidschiinseln hatten andere Hamburger Häuser hohe
Kapitalien festgelegt und leisteten damit koloniale Pionierarbeit. Die
Arbeiteranwerbung in den melanesischen Inseln führte wiederholt zu
Zusammenstößen der Anwerberschiffe mit den Insulanern, auch
Streitigkeiten mit englischen und australischen Anwerbefirmen blieben nicht
aus. Beschwerden beim Reich wegen fremder Eingriffe in die Rechte der
Arbeiterbeschaffung machten 1880 die Errichtung eines Generalkonsulats
auf Samoa notwendig, wo seit 1879 eine dreifache Herrschaft
seitens Deutschlands, Englands und Amerikas bestand, die einander die auf
dem Wege zu dem künftigen Panamakanal liegenden Inseln
mißgönnten. 1883 wollte auch noch Neuseeland
zugreifen. Gleichzeitig begannen amerikanische Besitzer, ihre bis dahin
liegengelassenen Ländereien auf den Inseln auszunutzen. Die
verhetzten Eingeborenen, die durch Streitigkeiten wegen Ausübung
der königlichen Machtbefugnisse ihrer Häuptlinge in mehrere
Lager gespalten waren, gefährdeten die friedliche Arbeit der
deutschen Kaufleute. Es kam zu Übergriffen, die ein amerikanischer
Abenteurer so zu schüren verstand, daß alle
Bemühungen, wieder Ruhe herzustellen und straff geordnete
Rechtszustände herbeizuführen, 1884 dem deutschen Konsul
mißlangen. Die Eingeborenen stützten sich auf die
Eifersüchteleien der Konsuln der Vertragsländer und hielten
die deutschen Verträge nicht ein. Beschwerden über
Vertragsverletzungen liefen hin und her und wetterleuchteten am politischen
Himmel. Um Ordnung zu erzwingen, hißte der deutsche Konsul 1885
in Apia eigenmächtig die deutsche Flagge, was aber den
lebhaften Protest aller anderen hervorrief und Bismarcks Zustimmung nicht
fand. Die Lage wurde nicht klarer, die Unruhen immer ernster. Sie spitzten
sich 1888 zu blutigen Kämpfen zu, zu denen sich noch ein schweres
Orkanunglück gesellte, das Deutschland den Verlust der Schiffe
"Eber" und "Adler" einbrachte, aber auch die amerikanische und englische
Marine nicht verschonte. Noch einmal versuchte man, die verwickelte Lage
dadurch zu klären, daß man einen neutralen Schlichter
einsetzte. Die Unsicherheit auf den Inseln hatte derart zugenommen,
daß die vollständige Entwaffnung der Eingeborenen
unerläßlich erschien. Jede der Vertragsmächte wollte sich
dabei die Oberhoheit zuschanzen. Da die Kämpfe der Eingeborenen
kein Ende nahmen, wurde 1898 das samoanische Königtum
abgeschaffen. Die Eingeborenen wurden sämtlich [50] entwaffnet. Diplomatische Verhandlungen
des Fürsten Bülow brachten 1899 die Inseln Upolu
und Sawai in deutsche Hände, während Deutschland
gleichzeitig auf einen Teil der
Salomo-Inseln, sowie auf Tutuila, das an Amerika fiel, verzichtete. Den
anderen Mächten wurde Meistbegünstigung in Handel und
Schiffahrt zugesichert. Auf diese Weise erhielt Deutschland in
Samoa einen für sein politisches Gewicht wertvollen
Flottenstützpunkt. Die Deutsche
Handels- und Plantagen-Gesellschaft für die Südseeinseln
konnte sich von da ab unter dem Schutze des Reichs kräftig entfalten
und nutzte die Inseln in musterhafter Weise für den Anbau von
Kokospalmen und Kakaopflanzen aus.
Fast ebenso verwickelt lagen die Verhältnisse auf Neuguinea.
Adolph von Hansemann, der die deutsche Seehandelsgesellschaft zur
Unterstützung der Deutschen
Handels- und Plantagengesellschaft in der Südsee
gegründet hatte, die die Firma Godeffroy ablöste, hatte schon
1880 Niederlassungen auf Neuguinea geplant und Bismarck in einer
Denkschrift das Programm einer deutschen Kolonialpolitik in der
Südsee entwickelt. Der Forschungsreisende Dr. Finsch, der
1879-1882 die Südsee bereist hatte, beriet ihn bei den
Landerwerbungen und hatte auch gelegentlich eines Vortrags in
Deutschland die Besetzung Neuguineas empfohlen, dessen gute Häfen
er lobte. Das darüber erregte Queensland (Australien) war
darauf 1883 zur Annexion geschritten, doch stellte sich das Mutterland nicht
dahinter, weil es zuerst die Kostenfrage geregelt zu sehen wünschte.
Maßlosen Angriffen der australischen Presse begegnete
Bismarck 1884 in London mit dem Hinweis darauf, daß sich
Deutschland in der Südsee als gleichberechtigt betrachte. Um politisch
unerwünschte Reibungen zu vermeiden, suchte er zu glatter
Verständigung zu gelangen. Gladstone erklärte,
daß sich Englands Ansprüche nur auf die
Südküste Neuguineas richteten. Darauf wurde der
deutsche Generalkonsul in Sydney, von Oertzen, beauftragt, im
Norden Guineas überall da, wo deutsche Niederlassungen
beständen, die deutsche Flagge zu hissen. Ehe noch Antwort aus
London auf Bismarcks Vorstellungen eingetroffen war, erfuhr man
in Berlin, daß England sich plötzlich entschlossen habe,
ganz Neuguinea zu besetzen, soweit nicht holländischer
Besitz vorläge. Bismarck ließ darüber nur seine
Verwunderung aussprechen. Während Dr. Finsch im
Auftrage v. Hansemanns die Nordküste Neuguineas erkundete,
hißten Ende des Jahres 1884 die Kriegsschiffe "Elisabeth" und
"Hyäne" in Matupi,
Friedrich-Wilhelms-Hafen, Finschhafen und im Huongolf die deutsche
Flagge. In den Erinnerungen von Harry Koenig (Heiß
Flagge) ist dieser bedeutungsvolle Tag geschildert:
"Am 3. November 1884 wurde
morgens um 8 Uhr auf Matupi durch S. M. S.
'Elisabeth' feierlich die deutsche Flagge gehißt. Dabei verlas
Kapitän z. S. Schering folgende Proklamation:
»Seine
Majestät der Deutsche Kaiser, Wilhelm I., König von
Preußen, haben mich mit Allerhöchstdero gedeckten Korvette
'Elisabeth' nach Matupi gesandt, um daselbst die deutsche Flagge zu hissen,
als ein Zeichen, daß die deutschen Niederlassungen der Herren
Hernsheim & Co. sowie die Niederlassungen der deutschen
Handels- und Plantagengesellschaft der Südsee und [51] die derselben gehörigen
Grundbesitzungen unter den direkten Schutz des Kaiserlich Deutschen
Reichs gestellt werden sollen.
Indem ich diesen Befehl hiermit zur
Ausführung bringe, hisse ich auf Matupi die Kaiserliche Flagge und
fordere die Anwesenden auf, mit mir in ein dreifaches Hoch auf Seine
Majestät den Kaiser Wilhelm I. einzustimmen: Seine
Majestät der deutsche Kaiser lebe
hoch!«"
Am 2. April 1886 kam die Einigung zwischen Deutschland und England
zustande, die dahin ging, daß Deutschland der Norden
zwischen 141 Grad östlicher Länge und 8 Grad südlicher
Breite und dem Meere mit mehr als der Hälfte des Hinterlandes und
aller im Norden gelegenen Inseln zufiel. Beide Teile mußten sich
verpflichten, keine Sträflingskolonien anzulegen und gemeinsam die
Anwerbung von Arbeitern zu betreiben. Am 10. April 1886 wurde durch eine
gegenseitige Erklärung der beiden Regierungen die beiderseitige
Handels- und Verkehrsfreiheit in den deutschen und englischen Besitzungen
und Schutzgebieten im westlichen Stillen Ozean festgelegt.
Nachdem die Mittel der Neuguineagesellschaft erschöpft waren,
übernahm das Reich mit dem 1. April 1899 die Verwaltung. Der
erste Gouverneur war Rudolf von Bennigsen. Die Gesellschaft
beschränkte sich seitdem darauf, Pflanzungen anzulegen und die
Hilfsquellen des Landes erforschen zu lassen. Sie arbeitete unter
großen Schwierigkeiten. Schiffsverluste, Mißernten und Seuchen
unter den Eingeborenen fügten ihr viel Schaden zu. Die Regierung
übernahm die Erschließung des Landes durch Wegebauten und
bemühte sich, mit Hilfe der Missionare in freundschaftlich
erzieherische Beziehungen zu den Eingeborenen zu treten.
Die Übernahme der Karolinen und der
Marschallinseln, auf denen seit 1875 Händler aller
Länder ungestört ihren Geschäften nachgegangen waren,
durch das Reich auf Grund der Vereinbarungen mit England, blieb in
Spanien, dem der Papst Ende des 15. Jahrhunderts diesen Teil der
Welthälfte zugesprochen hatte, nicht unwidersprochen, obgleich es
schon 1877 seinen Anspruch auf die Karolinen unter dem Druck Englands
und Deutschlands aufgegeben hatte. In erwachender Kolonialbegeisterung
hatte es 1884 eine Verwaltung eingerichtet, gegen die Deutschland in Madrid
Verwahrung einlegte. Während Spanien seine nach Yap
geschickten Kriegsschiffe dort untätig liegen ließ, hißte das
deutsche Kanonenboot "Iltis" am 25. August 1885 auf Yap und bald darauf
auch an anderen Plätzen die deutsche Flagge und teilte Spanien seine
Besitzergreifung amtlich mit. Der auf den Protest Spaniens von Bismarck als
Schiedsrichter angerufene Papst entschied, daß Spanien eine
geordnete Verwaltung einzurichten habe und daß beide
Länder in gleicher Weise berechtigt seien, auf den Karolinen
Niederlassungen, Plantagen und Marinestationen einzurichten. Nach dem
für Spanien ungünstigen Ausgang des Krieges auf den
Philippinen erwarb Deutschland von ihm die Karolinen, die
Palauinseln und die Marianen käuflich. Sie wurden
dem Schutzgebiet von Neuguinea eingegliedert.
Auf den Marschallinseln hatte Deutschland bereits 1878 durch
Verträge mit Häuptlingen festen Fuß gefaßt. Der
Hafen von Jaluit wurde Kohlenstation. [52] Nach den Auseinandersetzungen mit
England hißte der "Nautilus" am 15. Oktober 1885 auf Jaluit die
deutsche Flagge, da die deutsche Firma Robertson & Hernsheim Bismarck
erklärt hatte, daß man ohne Geld, Schiffe und Militär im
19. Jahrhundert keine Kolonien mehr gründen könne und
Handelsfirmen außerstande seien, ihr Vaterland allein machtvoll zu
vertreten. Zunächst übernahm die
Jaluit-Gesellschaft 1888 die Kosten der Verwaltung durch einen
kaiserlichen Kommissar, sie richtete auch 1900 eine eigene
Dampferverbindung nach Sydney und Hongkong ein. Schließlich
mußte das Reich aber am 1. April 1906 wegen Handelsstreitigkeiten
mit Australien die Verwaltung übernehmen. Die Marschallinseln
wurden dem Schutzgebiete Neuguinea eingegliedert.
Kiautschou
Lange Zeit hatte Deutschland, abgesehen von einem bescheidenen
Tuchhandel, kein Interesse an China gezeigt, soweit es sich nicht um seine
Kultur handelte. Anfang des vorigen Jahrhunderts waren dort noch die
Engländer übermächtig. Erst als China nach dem
unglücklichen Ausgang des Opiumkrieges einige seiner Häfen
dem Handel aller Völker öffnen mußte, schickte Friedrich
Wilhelm IV. 1843 den Kommerzienrat
Grube nach China, um auf Anraten des deutschen Gesandten in
London, von Bunsen, regere Handelsbeziehungen anzubahnen.
Unglücklicherweise starb Grube vorzeitig, so daß seine Arbeit
erfolglos blieb. Als England 1848 als Freihandelsvertreter auf
Handelsbeschränkungen der anderen Länder verzichtete,
konnten die Handelsbeziehungen Deutschlands zu China lebhafter werden.
Je mehr sie es wurden, desto mehr machte sich der Mangel des Schutzes
durch Kriegsschiffe und Konsuln fühlbar.
1859-1861 besuchte ein preußisches Segelschiffgeschwader mit
Diplomaten, Forschern, Kaufleuten und Künstlern an Bord
zunächst Japan und dann auch China. Trotz der Gegenminen der
Engländer und Franzosen, die den deutschen Wettbewerb
fürchteten, kamen Verträge zustande, die den
Zollvereinsstaaten - das Deutsche Reich war noch nicht
geboren! - die gleichen Rechte wie England, Frankreich und
Rußland einräumten. Ein Zusatzvertrag vom Jahre 1880
brachte weitere Handelserleichterungen. Die Zahl der deutschen
Handelshäuser wuchs in rascher Folge. Kaufmännische und
Berufskonsulate wurden eingerichtet. Die Warenumsätze stiegen
schnell. Das fremdenscheue Land bewilligte Deutschland Ende des vorigen
Jahrhunderts eigene Wohnbezirke für seine Kaufleute an
verschiedenen Plätzen und trat ihm im März 1898 die
Ufer der Bucht von Kiautschou ab, die Deutschland auf die Dauer
von 99 Jahren in Pacht nahm. Es erhielt das Recht, das Pachtgebiet so zu
befestigen und zu verwalten, als ob es sein Eigentum wäre. Durch
Anschlußbahnen an die vorgesehenen chinesischen Bahnen zur
Erschließung der Shantungkohlenfelder erhielt das Gebiet hohe
wirtschaftliche Bedeutung.
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