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[Bd. 4 S. 228]
Carl Peters, 1856-1918, von Paul Baecker

Carl Peters.
[240a]    Carl Peters.    Photo, 1890.
[Bildquelle: Dr. Franz Stoedtner, Berlin.]
Das Deutsche Reich verdankte Carl Peters seine größte Kolonie, Deutschostafrika, das rund ein Drittel der Fläche und zwei Drittel der Bevölkerung des durch Versailles verlorenen Kolonialbesitzes ausmachte. Das deutsche Volk dankt ihm das Bild eines Mannes, in dem der Geist des germanischen Wikingertums noch einmal lebendig geworden war.

Carl Peters wurde am 27. September 1856 in Neuhaus im Bezirk Lüneburg als der dritte und jüngste Sohn des evangelischen Ortspastors geboren. Da die Eltern noch sechs Töchter aufzuziehen hatten, wuchsen die Kinder in aller Einfachheit heran. Der junge Carl besuchte zuerst die Dorfschule, dann die von seinem Vater gegründete "Honoratiorenschule", die auf die Untertertia einer Gymnasialanstalt vorbereitete. Auch außerhalb der Schule, deren Ziele er mühelos erreichte, übte er planmäßig Geist und Körper; namentlich das Gedächtnis durch schwierige Kopfrechnungen, den Körper durch Ringkämpfe, zu denen er bei jeder Gelegenheit

Carl Peters, 6 Jahre alt.
Carl Peters, 6 Jahre alt.
[Aus: Peters, "Lebenserinnerungen", 1918.]
größere Jungen herausforderte. Eifrig las er die Bücher der väterlichen Bibliothek. Die Lebensbeschreibungen der großen geschichtlichen Helden erweckten in ihm frühzeitig den Drang, selber einmal etwas Außerordentliches zu werden. Reiseberichte aus allen Weltteilen, so die Bücher Livingstones und Klaus von der Deckens, gaben seinen Knabenträumen besondere Nahrung und Richtung.

Mit dreizehn Jahren kam Carl Peters auf das Johanneum zu Lüneburg, wo sein schon von Hause aus kräftiger Nationalstolz im Geleucht der Siege von 1870/71 Glut und Härte gewann, ein Jahr später auf die Klosterschule Ilfeld am Harz, die vorwiegend von Söhnen des hohen Adels und Beamtentums besucht und nach dem Vorbilde der englischen Adelsschulen eingerichtet war. Hier entwickelte der junge Peters, der sich sein Taschengeld durch Stundengeben und durch literarische Arbeiten erwarb, seinen selbständigen Charakter und seine geistige Überlegenheit; das Schulleben bot ihm auch Gelegenheit zur Ausbildung der Beredtsamkeit, die dem Manne nicht zuletzt vor der Front seiner Askaris auf den kämpfereichen Zügen in Afrika zugute kommen sollte. Trotz schwerer Verstöße gegen die Schuldisziplin bewahrte der Hochbegabte sich das Wohlwollen der Lehrer. Sein Abgangszeugnis wies in allen Hauptfächern außer Französisch erste Noten auf, dazu die Anerkennung, daß er "durch größere selbständige Arbeiten wissenschaftliches Interesse bekundet" habe.

[229] Für das Studium stand Carl Peters nur ein Betrag von vierhundertundneunzig Reichsmark, die Stiftung seiner Paten, zur Verfügung. Geldsorgen hielten ihn nicht ab, in Göttingen, wo er die ersten beiden, wie in Tübingen, wo er das dritte Semester zubrachte, die akademische Freiheit in vollen Zügen zu genießen. Seine körperliche und geistige Fortbildung hat er darüber nicht vernachlässigt. In Göttingen errang er bei einem deutschen Schauturnen den zweiten Preis im Ringen. In Tübingen aber gewann er für eine Arbeit über den Kreuzzug von 1101 den ersten Preis, ein Stipendium von jährlich zwölfhundert Reichsmark, das ihm für vier Jahre bewilligt wurde. Bis dahin hatte er sich durch Privatstunden, Leitartikel und ein Zeller Stipendium die nötigen Mittel verschafft. In den Ferien setzte er auch seine dichterischen Versuche fort. Aber er war auch gegen sich selbst kritisch genug, um seine schriftstellerischen Neigungen bald der Arbeit für wissenschaftliche Zeitschriften zuzuwenden.

Carl Peters als Student.
Carl Peters als Student.
[Aus: Peters, "Lebenserinnerungen", 1918.]
In Berlin, wo damals eine lange Reihe der glänzendsten deutschen Gelehrten wirkte, hat Peters dann mit der Gründlichkeit eines wissensdurstigen und erkenntnishungrigen Deutschen studiert. Geschichte, Geographie, Staatswissenschaften und mit besonderem Ernst Philosophie. Neben Kant fesselte ihn vor allem Schopenhauer, auch durch seinen klaren und guten Stil. Schopenhauers Auffassung, daß jeder Mensch seiner besonderen Bestimmung folgen müsse, wurde auch seine entscheidende Lebensweisheit. Besonders stolz war Peters darauf, daß er für eine Arbeit über den Venediger Frieden zwischen Kaiser Barbarossa und Papst Alexander III. den ersten Preis, die goldene Medaille, erhielt, obwohl er sie, durch Kameraden herausgefordert, erst begonnen hatte, als schon über die Hälfte des für die Ablieferung festgesetzten halben Jahres verstrichen war. Seine selbständige Auffassung und weiteren Blickpunkte hatten für ihn den Ausschlag gegeben. Die Preisschrift benutzte er später als Doktorarbeit. Im November 1880 bestand Peters das Oberlehrer-Examen mit der Lehrbefähigung für Prima in Geschichte und Geographie.

Oberlehrer zu werden, war nicht seine Absicht. Er dachte an eine Hochschullaufbahn in Philosophie. Gegen Ende des Jahres aber folgte er der Einladung seines durch den Tod seiner Gattin vereinsamten Oheims Carl Engel zu längerem Besuche in England. Der dortige Aufenthalt brachte in sein Leben die entscheidende Wendung.

In London erschloß sich Carl Peters eine neue, zugleich die große Welt. Sein Oheim, Musikhistoriker von europäischem Ruf, verkehrte infolge seiner Heirat in der führenden englischen Gesellschaft, auch am Hofe der Königin Victoria, deren Augenarzt ein Schwager von ihm war. Eine Schwägerin war die Schwiegermutter des späteren Kolonialministers Joe Chamberlain, damals Handelsministers im Kabinett

Carl Peters in London 1882.
Carl Peters in London 1882.
[Aus: Peters, "Lebenserinnerungen", 1918.]

Carl Engel.
Carl Engel.
[Aus: Peters, "Lebenserinnerungen", 1918.]
Gladstone. So standen dem Neffen, der die englischen Altersgenossen durch seine vielseitige Bildung und schlagfertige Rede weit überragte, bald die Türen der besten englischen Häuser offen. Aber Carl Peters verlor sich nicht im englischen Gesellschaftsleben, soviel Reiz es auch gerade für ihn hatte. [230] Er studierte Land und Leute, englische Geschichte und vor allem Kolonialpolitik, in ernstem Gespräch mit kolonialen und wirtschaftlichen Praktikern wie im "Britischen Museum", in dem er manchen Tag mit geschichtlichen, oder auch philosophischen Studien zubrachte. Immer deutlicher erschien es ihm als Folge der großen englischen Kolonialgeschichte, daß der Engländer überall als geborener Herr über die Erde ging, während der Deutsche nur zu leicht sein Volkstum verleugnete. Mit dieser Erkenntnis verband sich bei seinem deutschen Empfinden ohne weiteres das Gefühl, daß es damit anders werden müsse.

Anfang 1882 überraschte Carl Engel den Neffen mit dem Vorschlage, dauernd bei ihm zu bleiben; in diesem Falle wollte er ihn an Kindes Statt annehmen und zum Erben seines großen Vermögens einsetzen. Vorbedingung war die Annahme der englischen Staatsangehörigkeit. In der sicheren Erwartung, der Vorschlag werde Annahme finden, hatte er bereits Schritte für die Aufnahme des Neffen in den indischen Kolonialdienst vorbereitet. Die Versuchung war um so größer, als Carl Peters zu einem voraussichtlich bescheidenen Gelehrtendasein doch der letzte Antrieb des Herzens fehlte. Auf dem Wechsel der Staatsangehörigkeit, den damals täglich ausgewanderte Deutsche, des öfteren gerade auch Mitglieder des deutschen Hochadels, vollzogen, lag nach dem Gefühl von vielen auch noch kaum der Schatten eines Tadels. Aber Carl Peters empfand es als seine persönliche Bestimmung, ein Deutscher zu sein und zu bleiben. Er lehnte ab.

Im April 1882 reiste er mit dem Oheim, der seine Verwandten in Deutschland besuchen wollte, nach der Heimat zurück. Carl Engel wollte sich nach seiner Rückkehr in England zum zweitenmal verheiraten. Aber am Vorabend des für die Trauung angesetzten Tages machte er seinem Leben durch Erhängen ein Ende. Den Neffen hatte er zum Testamentsvollstrecker eingesetzt. Peters fuhr schon am nächsten Tage wieder nach London, wo er den größten Teil eines Jahres zubrachte und nun auch das englische Geschäftsleben gründlich kennenlernte. Der Oheim hatte ihn mit einem Erbteil bedacht, das eine akademische Laufbahn erleichterte.

Aber in seiner Brust stritten jetzt noch mehr als früher die zwei grundverschiedenen Seelen: mit der des Philosophen, dem es um letzte Erkenntnisse geht, die des Wirklichkeitsmenschen, für den die Tat am Anfang und Ende steht. Überhaupt vereinigten sich in Carl Peters scheinbar entgegengesetzte Wesenszüge, woraus sich bis zu einem gewissen Grade auch die verschiedenartige Beurteilung seiner Persönlichkeit erklärt: Der angeborene und mit Bewußtsein gehärtete Wille band die widerstreitenden Elemente seiner Natur zu höherer Einheit zusammen und formte aus ihnen einen Mann aus einem und eigenstem Guß.

Carl Peters hielt sich wohl den Rückzug auf die akademische Laufbahn offen. Nach seiner Rückkehr aus London veröffentlichte er ein noch dort fertiggestelltes Buch Willenswelt und Weltwille, einen Versuch zur Fortsetzung der Philosophie Schopenhauers, das allerdings keinen Erfolg hatte. Auch seine Habilitationsarbeit über das Thema "Inwieweit ist Metaphysik als Wissenschaft [231] möglich?" hat er vollendet und im Sommer 1884 in Leipzig eingereicht. Aber die Bahn seines Lebens ging schon lange in anderer Richtung. Bereits während seines zweiten Londoner Aufenthalts faßte er den Plan, zusammen mit einem Amerikaner namens Stacy, der ihm aus eigener Anschauung von den Goldfunden in Maschonaland erzählte, ein Kolonialunternehmen in Südafrika zu begründen. Es kam nicht zustande, weil Peters es unter deutscher Flagge durchführen, Stacy Engländer zur Mitwirkung heranziehen wollte; aber der Gedanke wirkte in Peters weiter. In Berlin unterbreitete er ihn dem Auswärtigen Amt und dem einige Jahre vorher gegründeten "Deutschen Kolonialverein", der unter Leitung des Prinzen Hohenlohe-Langenburg eine Anzahl angesehenster Kolonialfreunde, wie die nationalliberalen Abgeordneten Bennigsen und Miquel und den Missionsinspektor Fabri, umfaßte. Das Auswärtige Amt antwortete überhaupt nicht. Prinz Hohenlohe lehnte den Plan ab, unter Berufung auf den programmatischen Standpunkt des Kolonialvereins: "Wirkliche Kolonien zu erwerben wird Sache des zwanzigsten Jahrhunderts sein, wir im neunzehnten müssen uns darauf beschränken, koloniale Agitation zu betreiben." Bei diesem Standpunkt befremdet fast noch mehr als sein völliger Mangel an politischem Sinn, daß er noch zu einem Zeitpunkt festgehalten werden konnte, da Bismarck bereits die Taten vorbereitete, mit denen er dem Reiche dann in zwei Jahren den größten Teil seines Kolonialbesitzes sicherte.

Die deutschen Verhältnisse drängten ja nach kolonialer Betätigung. Die Erzeugung des deutschen Bodens blieb bei allen Fortschritten des Landbaus noch in steigendem Maße hinter dem Wachstum der Bevölkerung zurück. Die Auswanderung, die das deutsche Volk im Laufe eines halben Jahrhunderts um mehr als 3 Millionen tatkräftiger Menschen geschwächt hatte, stieg von jährlich etwa 100 000 im ersten auf über 200 000 im Anfang des zweiten Jahrzehnts nach der Reichsgründung. Das Wachsen der deutschen Industrie rief einen steigenden Rohstoffbedarf, mangels eigener Rohstoffgebiete also wachsende Abhängigkeit von fremden Rohstoffmärkten hervor. Der deutsche Überseehandel, der nach der Schaffung des Zollvereins und dann des Reiches kräftigen Aufschwung genommen hatte, stieß vielfach auf Anfeindungen, die sich namentlich auf den Fidschi-Inseln zur Zerstörung deutscher Unternehmungen durch die Engländer gesteigert hatten. Frankreich, England, Belgien, Rußland entfalteten neue koloniale Aktivität, an der sich auch Nordamerika schon zu beteiligen begann, und die den Rest noch freier Kolonialgebiete rasch zur Aufteilung zu bringen drohte. Wollte das deutsche Volk die kolonialpolitischen Versäumnisse, die es in Jahrhunderten der Zerrissenheit und Ohnmacht begangen hatte, überhaupt noch einigermaßen ausgleichen, dann war schnelles entschlossenes Zugreifen nötig.

Vom "Deutschen Kolonialverein" also konnte Peters nur lernen, wie man es nicht anfangen durfte, wenn man kurz vor Toresschluß noch deutsche Kolonien schaffen wollte. An dem englischen Beispiel hatte er gesehen, wie es zu machen war. [232] Er ging ans Werk. Nachdem er einen kleineren Freundeskreis gesammelt hatte, darunter den Grafen Behr-Bandelin, der ihm ein nützlicher Helfer blieb, gründete er am 28. März 1884 die "Gesellschaft für deutsche Kolonisation", mit dem Ziel, "eine Kapitalistengruppe zur Annexion und später zur Verwaltung möglichst großer Kolonialländer unter deutscher Flagge" zu schaffen. Im Aufbau der Gesellschaft wurde schon das Führerprinzip sichtbar. Vereinsversammlungen mit langen Reden gab es nicht. Ein kleiner Ausschuß erhielt entscheidende Vollmacht, die nötigen Mittel wurden auf dem Wege persönlicher Verbindungen durch Anteile von je fünftausend Reichsmark aufgebracht. In wenigen Monaten war durch Zeichnung von dreiunddreißig Anteilen das Unternehmen finanziert. Die unfreundliche Haltung der "großen" deutschen Presse, die damit nur ihre eigene Kleinheit bestätigte, ließ Peters sehr kühl. Im September legte er dem Ausschuß den Antrag vor, "an der afrikanischen Ostküste, Sansibar gegenüber, in Usagara, falls dies nicht möglich, an einem anderen Punkt der Ostküste, die Landerwerbung der Gesellschaft für deutsche Kolonisation vorzunehmen". Durch einen zweiten, auch von ihm selbst verfaßten Antrag wurde Carl Peters, dem man den Grafen Joachim Pfeil und seinen alten Schulfreund Dr. Jühlke beigab, mit der Ausführung des Planes beauftragt. Der Antrag schloß mit dem Satz: "Der Ausschuß spricht die feste Erwartung aus, daß die Herren keinesfalls, ohne den Ankauf von geeignetem Land irgendwo vollzogen zu haben, nach Deutschland zurückkehren werden."

Der Würfel war geworfen. Wie aber steht das Unternehmen im Rahmen der Kolonialpolitik des Fürsten Bismarck?

Für den großen Kanzler hatte es zunächst gegolten, das Reich im Innern auszubauen und seine Stellung in Europa sturmfest zu machen. Darum wollte er, solange infolge der russischen Balkanpolitik und der persönlichen Mißgunst des Staatskanzlers Gortschakow Rußland unsicher war, nicht auch noch England verstimmen und verhielt sich gegen Kolonialwünsche hanseatischer Kreise, bei aller Anerkennung ihres Unternehmungsgeistes, ablehnend. Auch die Samoavorlage von 1880 bedeutete ja noch keine Kolonialpolitik. Als es Bismarck dann gelang, das gute Verhältnis zu Rußland wiederherzustellen, zugleich aber seit 1883 über den von kolonialem Ehrgeiz erfüllten Ministerpräsidenten Jules Ferry mit Frankreich zu einem Einvernehmen in überseeischen Fragen zu kommen, ließ er die Rücksicht auf England fallen. Und nun führte er in großem Wurf die Politik durch, die dem Reiche fast 98 Prozent seines Kolonialbesitzes gewann und Englands Absichten auf das Kongogebiet wie in Ägypten und Südafrika verhinderte. Als nach dem Sturz Ferrys 1885 in Frankreich wieder Revanchestimmung hochkam (Boulanger) und das Verhältnis zu Rußland die Trübung erfuhr, die ihn Ende 1887 zu der großen Septennatsvorlage veranlaßte, entschloß Bismarck sich zu dem neuen Entgegenkommen gegen England, das sein Sohn und Staatssekretär Herbert als "deutsch-englische Kolonialehe" bezeichnet hat.

[233] Diese Kolonialpolitik des Fürsten Bismarck hat das Schicksal der ostafrikanischen Unternehmungen von Dr. Carl Peters bestimmt, zuerst positiv, dann negativ. Dabei ist aber zweierlei festzuhalten: Bei der Begründung seiner Kolonialgesellschaft hat Peters von den kolonialen Absichten des Kanzlers noch weniger gewußt als die einflußreichen Kreise des "Kolonialvereins". Der Hauptunterschied zwischen der Erwerbung Deutschostafrikas und der anderen Kolonien aber besteht darin: Überall sonst hat das Reich nur Gebiete unter seinen Schutz gestellt, in denen "wohlerworbene" deutsche Rechte schon lange die Vorherrschaft hatten. In Ostafrika hat Carl Peters auf eigene Faust, überdies vom Reiche ausdrücklich im Stich gelassen, erst deutsche Rechtsansprüche geschaffen.

Anfang November 1884 trafen Peters, Jühlke und Pfeil in Sansibar, wo die Expedition auszurüsten war, zusammen; um keine Aufmerksamkeit zu erregen, waren sie auf verschiedenen Wegen gereist und hatten auf der Seefahrt das Zwischendeck benutzt. Am 7. November gab der deutsche Konsul Dr. Peters einen Erlaß des Auswärtigen Amtes bekannt, des Inhalts, daß "ein gewisser Peters", wenn er im Gebiet des Sultans von Sansibar eine Kolonie gründen wolle, weder Anspruch auf Reichsschutz für diese, noch auch nur Sicherheit für sein Leben habe. Peters beantwortete diesen seltsamen Gruß aus der Heimat mit einem Schreiben an den Reichskanzler als den verantwortlichen Leiter des Amtes: Er sei sich nicht bewußt, um Reichsschutz gebeten zu haben, und bitte, künftig mit dem Abschlagen einer Bitte zu warten, bis er sie wirklich ausgesprochen habe. Ob Fürst Bismarck diesen Vorgang erfahren hat, ist Peters nie bekannt geworden. Seine Hauptsorge war eine belgische Expedition, die sich bereits auf das beste für das gleiche Ziel ausgerüstet hatte, aber mit der Abreise zögerte, weil gerade größere Massai-Horden die begehrten Gebiete durchstreifen sollten. Um so mehr beeilte sich Peters. Schon am 10. November traf er an der Küste in Saadani ein, am 12. begann der Marsch ins Innere. Sein ganzer Zug bestand aus vier Weißen und zweiundvierzig Farbigen, darunter sechsunddreißig Träger, die nur mit Speeren, und sechs Diener, die auch nur mit Vorderladern bewaffnet waren.

Kartenskizze von Ostafrika.
[235]      Kartenskizze von Ostafrika.
Zum Verständnis der Reisen von Carl Peters und Georg Schweinfurth.      [Vergrößern]
Am zehnten Marschtage kam der Zug am ersten Ziele, dem Sitz des "Sultans" Mafungu von Nguru, an. Peters sandte dem nicht anwesenden Sultan Botschaft, ein weißer Herr erwarte ihn mit wertvollen Geschenken; inzwischen ließ er drei Reichsflaggen hissen und seine Leute mit den Waffen in der Hand Aufstellung nehmen. Als der Sultan endlich mit großem Gefolge erschien, überreichte Peters ihm feierlich seine Geschenke und bot ihm nach etwa halbstündigem Gespräch seine Freundschaft an. Der Sultan erwiderte mit dem Angebot der Blutsbrüderschaft, die sofort mit allen Formalitäten geschlossen wurde. Über eine Stunde wurde nun regelrecht über den von Peters vorgelegten Vertrag verhandelt; dann setzte der Sultan sein Handzeichen unter die Urkunde, die auch von dem Dolmetscher und verschiedenen Zeugen beider Parteien unterzeichnet wurde. In dem Vertrage trat der Sultan gegen das Versprechen weiterer Geschenke, der [234] Freundschaft und des Schutzes seiner Person wie seines Volkes und seines Privateigentums an Carl Peters, als den Vertreter seiner Gesellschaft, alle Rechte ab, die nach europäischen Begriffen die Staatshoheit wie zugleich das private Verfügungsrecht über das Land bedeuten, das den Häuptlingen in Afrika ja auch zusteht. Die gleichen Verträge erlangte Peters von den Sultanen in Usiguha, Usagara und Ukami, das er auf dem Rückwege durchzog.

Die Hauptschwierigkeit des abenteuerlichen Zuges lag in der Wirkung des Klimas auf die Weißen, die noch keine Tropenerfahrung besaßen. Nach wenigen Tagen schon ergriff sie das Fieber, zuletzt Dr. Peters, dem noch eine böse Fußwunde besondere Beschwerden machte. Den Vertrag in Usagara mußte er bereits von der Hängematte aus abschließen. Die Leiden verschlimmerten sich auf dem Rückwege, den Peters mit Jühlke am 7. Dezember antrat, während Graf Pfeil zur Anlegung einer Station in Usagara zurückblieb. Bald waren die beiden Weißen so erschöpft, daß die Träger meuterten und durch die Drohung mit dem Revolver zu weiterem Gehorsam genötigt werden mußten. In der Nacht zum 16. Dezember erwartete Peters bei hundertvierzig Pulsschlägen und schweren Beängstigungszuständen sein Ende; er beschwor Jühlke, sich nicht einmal mit dem Begräbnis aufzuhalten, sondern mit den Verträgen ungesäumt weiterzueilen. Am Abend des 17. wurde endlich bei Bagamojo die Küste erreicht. Die Verträge, die ein Gebiet von der Größe Süddeutschlands unter die deutsche Flagge stellten, waren gerettet.

Am 5. Februar 1885 traf Peters in Berlin ein. Am 28. Februar erhielt er den kaiserlichen Schutzbrief, der die erworbenen Gebiete, unter Anerkennung aller in den Verträgen festgesetzten Rechte der Gesellschaft für deutsche Kolonisation unter die Oberhoheit des Reiches stellte, mit dem für Bismarcks damalige Absichten bezeichnenden Zusatz: "Vorbehaltlich Unserer Entschließungen auf Grund weiterer Uns nachzuweisender vertragsmäßiger Erwerbungen der Gesellschaft in jener Gegend." Kurz darauf wurden Peters und Graf Behr vom alten Kaiser, dann auch vom Prinzen Wilhelm, dem nachmaligen Kaiser Wilhelm II., empfangen. Fürst Bismarck empfing Peters erst zur Beratung über den Einspruch des Sultans Said Bargasch, der die Hoheit Sansibars über die Häuptlinge der erworbenen Gebiete in Anspruch nahm. Es war Peters leicht, diese Behauptung völlig zu entkräften. Unter dem Einfluß des englischen Generalkonsuls hielt der Sultan den Einspruch aufrecht, bis am 14. August 1885 ein deutsches Geschwader seine Kanonen auf den Sultanspalast richtete. Ein aus Deutschen, Engländern und Franzosen zusammengesetzter Ausschuß hat ein Jahr später dem Sultan den ganzen Küstenstreifen zugesprochen, während Peters den Anspruch Sansibars nur an einzelnen Punkten der Küste für berechtigt hielt.

Inzwischen entfaltete Peters eine fieberhafte Tätigkeit. Schon im Februar hatte er die Umformung der Gesellschaft für deutsche Kolonisation in die "Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft" durchgeführt. Vor der Erteilung des kaiserlichen [235=Karte] [236] Schutzbriefes hatte er auch bereits zwei neue Expeditionen zur Erwerbung weiterer Gebiete nach Afrika hinausgesandt; andere folgten im Laufe des Sommers. In den Instruktionen hieß es: "Schnelles, kühnes, rücksichtsloses Handeln wird zur Pflicht gemacht." Bis Herbst 1886 waren Gebiete von mehr als der vierfachen Größe des Reiches mit Beschlag belegt, darunter der wertvollste Teil des Somalilandes, in dem leider Jühlke seinen Tod fand. An diesem am Eingang zum Indischen Ozean gelegenen Küstengebiet hat Bismarck stets festgehalten, erst Caprivi überließ es Italien.

Im Oktober 1886 begleitete Peters auf Bismarcks Anordnung den Geheimrat Dr. Krauel zu Verhandlungen über die Abgrenzung des beiderseitigen Einflußgebiets nach England. Peters sicherte Deutschland durch energisches Eingreifen das Gebiet des Kilimandscharo, über dessen Nordgrenze noch eine endgültige Auseinandersetzung folgen sollte. England erkannte das spätere Deutschostafrika als deutschen Besitz an, während Deutschland sich verpflichtete, nördlich der Linie Victoriasee–Tanamündung den Engländern nicht entgegenzutreten. Das Abkommen ließ immerhin nach Nordwesten, aber auch wieder nördlich des mit Deutschland befreundeten Sultanats Witu Raum für weitere deutsche Ausdehnung.

Im April 1887 konnte Peters endlich selber wieder nach Ostafrika hinausgehen. Da das zur Verwaltung der Kolonie nötige Kapital zur Hälfte durch Vermittlung des Fürsten Bismarck aufgebracht worden war, hatte die "Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft" amtliche Vertreter aufnehmen müssen. Für das Auswärtige Amt saß in ihr der Legationsrat Dr. Kayser, ein getaufter Jude, der innerlich gegen Peters eingestellt war. Das wußte dieser zunächst nicht. Nach Afrika nahm er den amtlichen Auftrag mit, in Sansibar über die Verpachtung der Zölle an wichtigen Küstenplätzen zu verhandeln. Peters, der mit dem fein gebildeten Said Bargasch nicht nur über den Koran und die philosophischen Systeme des Ostens, sondern auch über dessen Familie, das alte Herrschergeschlecht von Maskat, zu plaudern verstand, gewann den vorher deutschfeindlichen Sultan wie seinen ersten Minister bald zu persönlichen Freunden. Er erzielte ein Abkommen, das die gesamte Verwaltung der Küste auf fünfzig Jahre der Gesellschaft überließ, mit der einzigen Gegenleistung, die Überschüsse an Sansibar abzuliefern. Eine kluge Politik konnte aus diesem Vertrage alles machen, da die Kosten der Verwaltung beliebig auszudehnen waren, "Überschüsse" auch tatsächlich später nicht erzielt wurden. Das 1913 mit amtlicher Billigung erschienene Buch Deutschland als Kolonialmacht bezeichnet ihn als "über alles Erwarten hinausgehenden" Erfolg. 1887 aber verlangte der Direktionsrat der Gesellschaft für die Verwaltung die Festsetzung eines bestimmten Betrages aus den Zolleinnahmen; womit gerade der politische Kern des Vertrages, die Dehnbarkeit der "Verwaltungskosten", zerstört wurde. Nach verschiedenen vergeblichen Gegenvorstellungen ließ Peters sich leider darauf ein. Darüber kam es zur Trübung seiner Freundschaft mit dem Sultan, der nun [237] mißtrauisch wurde, zu einem viel schlechteren Vertrage, schließlich doch zum Bruch mit der Gesellschaft. Ende 1887 wurde Peters, mitten aus dringendster Verwaltungsarbeit heraus, zur "Berichterstattung" nach Berlin zurückberufen. Ein Rassegenosse des Dr. Kayser wurde für ihn nach Afrika hinausgesandt.

Das Schutzgebiet büßte die Entfernung von Dr. Peters mit dem großen Aufstande, dem besten Beweise dafür, wie nötig seine Autorität und gefürchtete Energie, ebenso aber seine Kenntnis der Bevölkerung und seine Kunst kluger Menschenbehandlung dort gewesen war – die Gesellschaft, die das Reich um Hilfe anrufen mußte, mit dem Verlust ihrer Hoheitsrechte.

Bei seiner Rückkehr nach Deutschland bot sich Peters eine neue Aufgabe: ein Zug zur Befreiung Emin-Paschas. Dieser gebürtige Schlesier, der seit langem als Beamter der ägyptischen Regierung die Äquatorialprovinz im südlichsten Sudan verwaltete, war durch den Mahdiaufstand schon zwei Jahre von jeder Verbindung mit Ägypten abgeschnitten, eine große Hilfsexpedition unter Stanley galt seit Monaten auch als verschollen. Ein am 27. Juni in Berlin begründeter Ausschuß beauftragte Peters mit der Führung einer Hilfsexpedition. Peters reizte die Aufgabe, die dem "weltberühmten" Stanley nicht zu gelingen schien, um so mehr, als sich bei ihm damit sogleich die Hoffnung verband, vom Sudan aus dem Reiche eine beherrschende Stellung im Ostraum des Schwarzen Erdteils zu gewinnen. Da Bismarck das Unternehmen gebilligt, der Kaiser das Protektorat angenommen hatte, hoffte Peters auf rückhaltlose Unterstützung durch das Reich.

Schon während der Ausreise hatte er gegenteilige Anzeichen festzustellen. Das im November 1888 mit England geschlossene Abkommen über eine gemeinsame Blockade Ostafrikas zur Niederwerfung der Aufstände – offiziell: zur Unterdrückung des Sklavenhandels – hatte die Stimmung in Berlin offenbar bald geändert. In Sansibar drohte der Nachfolger des Sultans Said Bargasch jedem Eingeborenen, der sich von Peters anwerben ließe, nach der Rückkehr die Köpfung an. Die englischen Wachtschiffe beschlagnahmten die für den Zug in Aden gekauften Waffen und gaben Peters nur seine Jagdgewehre heraus. Auf seine dringenden Drahtungen nach Berlin aber antwortete der Ausschuß: "Auswärtiges Amt verweigert jede Vermittlung und Unterstützung!" Tatsächlich ist damals den Engländern amtlich mitgeteilt worden, das Reich habe kein Interesse an dem Unternehmen. Auch der mit der Niederwerfung des Aufstandes beauftragte Hauptmann Wissmann riet Peters dringend, den Zug, der auch schon durch die vielen Verzögerungen fast aussichtslos geworden war, aufzugeben.

Peters blieb fest. In aller Eile raffte er an Leuten und Waffen zusammen, was sich auftreiben ließ, fuhr mit einem unter der Hand erworbenen indischen Dampfer, der "Neera", mit einem Kurse, der die Engländer völlig irreführte, von Sansibar ab, brachte ihn am 15. Juni 1889 in der Brandung der Kwaihubucht unter den Kanonen der englischen Schiffe, die Peters noch irgendwo im Indischen Ozean vermuteten, ohne Lotsen zur Landung und stand zwei Tage später in Schimbye [238] im Sultanat Witu marschfertig da. Zwar hatte er statt hundert Somalisoldaten und sechshundert Trägern nur zwanzig Somali und etwa siebzig Träger zur Verfügung, und an Stelle von sieben Weißen begleitete ihn nur der Leutnant von Tiedemann: aber Peters marschierte.

Durch das befreundete Witu ging es glatt, dann den Tana aufwärts unter unsäglichen Schwierigkeiten. In der öden Steppe fehlten Lebensmittel und Wasser. Zahlreiche Tragtiere fielen, Träger entliefen: ein Teil der Leute mußte des Nachts in Ketten gelegt werden, um nicht auch zu entlaufen. Neue Träger waren immer schwerer zu beschaffen, da der Zug bei weiterem Vordringen ins Innere bald auf offene Feindseligkeit der Eingeborenen stieß. Peters wollte Kämpfe möglichst vermeiden. Jeder verlorene Marschtag konnte ja das Ziel des Zuges hinfällig machen, jeder Kampf mit den zahlreichen und kriegerischen Stämmen, durch die der Weg ging, das Ende sein. Aber bei der häufigen Gewohnheit der Schwarzen, erst die angebotene Freundschaft anzunehmen, um dann meist schon in der nächsten Nacht den Zug zu überfallen, half nur Gewalt, die Peters, sobald er sie als nötig erkannte, auch so schnell und nachdrücklich wie möglich anwandte. Die ersten großen Kämpfe gab es bei den Galla. Peters, der in der Hoffnung, den Frieden zu erhalten, sich mit nur sieben Begleitern in ihre nach Tausenden zählende Versammlung wagte, entging nur wie durch ein Wunder dem Tode: Dann taten seine

Carl Peters und Leutnant von Tiedemann schließen mit den Massai Frieden.
[239]      Carl Peters und Leutnant von Tiedemann schließen mit den Massai Frieden, 25. Dezember 1889. Aus Peters' Buch "Die deutsche Emin-Pascha-Expedition".

Carl Peters liest den Brief Stanleys an die englische Regierungskommission.
[240b]      Carl Peters liest am 13. Februar 1890 den Brief Stanleys vom 4. September 1889 an die englische Regierungskommission, in dem dieser über die Auffindung Emin Paschas berichtet.

Zusammentreffen von Carl Peters mit Emin Pascha.
[240b]      Zusammentreffen von Carl Peters mit Emin Pascha in der deutschen Militärstation Mpapua in Deutsch-Ostafrika
am 19. Juni 1890.
Repetiergewehre so gute Arbeit, daß ein neuer Sultan sich ihm bedingungslos unterwarf. Den verräterischen Wanderobbo mußte Peters mehrere Dörfer niederbrennen. Zu den hartnäckigsten und gefährlichsten Kämpfen kam es um Weihnachten mit den Massai, denen Stanley trotz seiner tausend Gewehre Tribut gezahlt hatte, während Peters als Weißer Tribut grundsätzlich verweigerte. Auch diesen gefürchtetsten Kriegern des östlichen Afrika brachte er schließlich das Fürchten vor einem Stärkeren bei. Damit hatte Peters "militärisch" gewonnenes Spiel. Mit den Worten: "Weil du die Massai geschlagen hast" bewilligten seither des öfteren die Eingeborenen die verlangten Lebensmittel und Führer. Peters' Leute sangen Marschlieder auf ihren "Kupanda Scharo" (Städte-Stürmer). In Uganda erreichte der Besieger der Massai, ohne einen Schuß abzufeuern, die Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Sultans und einen Freundschafts- und Handelsvertrag für das Reich der "Wadutschi". Seine Taten gewannen zugleich dem bis dahin dort noch kaum bekannten deutschen Namen im Innern Afrikas Ruhm und Ehre.

In Uganda erfuhr Peters auch, daß Emin-Pascha bereits durch Stanley "gerettet", in Wirklichkeit unter deutlichem Zwange zur Abreise nach Deutsch-Ostafrika veranlaßt worden war. Dorthin nahm er selber nun schnellstens seinen Weg. Auf deutschem Gebiet brachte er noch den Wagogo, denen Stanley auch Tribut gezahlt hatte, Achtung vor der deutschen Herrschaft bei. In Mpapua traf er Emin, der ihm den Rücktritt des Fürsten Bismarck mitteilte. Am 16. Juni 1890, genau ein Jahr nach Beginn seines Zuges, erreichte Peters bei Bagamojo die [239] Küste; um hier zu erfahren, daß der Sansibarvertrag Caprivis seine Hoffnungen auf ein größeres Deutsch-Ostafrika vernichtet hatte. Seine Mühsale, Leiden und Kämpfe waren umsonst gewesen. Wohl hatte Peters durch den Emin-Pascha-Zug Weltruhm erlangt. Aber er sollte auch der Gipfelpunkt seines Lebens bleiben, dessen Bahn sich nun von steiler Höhe abwärts senkte.

In der Heimat fand Peters jetzt freilich willige Anerkennung. Wiederholt wurde er zum Kaiser befohlen, der ihm die Übernahme in den Reichsdienst ankündigte. Der Reichskanzler Caprivi sprach ihm von der Stellung des Zivilgouverneurs in Ostafrika, dessen Verwaltung das Reich jetzt in eigene Hand nahm. Dr. Kayser, der inzwischen zum Kolonialdirektor aufgerückt war, verstand daraus einen "Reichskommissar zur Verfügung des Gouverneurs von Ostafrika" zu machen, während zum Gouverneur bereits Herr von Soden ausersehen war. Trotz aller Bedenken nahm Peters schließlich auf dringendes Zureden des Gouverneurs von Soden die Stellung als Reichskommissar für das Kilimandscharogebiet an. Sein Ehrgeiz war nicht auf Rang und Würden gerichtet, und die Liebe zu seiner Schöpfung war stärker in ihm als die kühle Überlegung. Der Weg in den Reichsdienst sollte für ihn, dem selbständiges und unabhängiges Handeln längst mehr als nur "zweite Natur" war, zum Verhängnis werden.

Ostafrika war trotz der Niederwerfung des großen Aufstandes noch keineswegs völlig beruhigt. Der neun Tagereisen von der Küste gelegene Posten in Moschi, wo Peters mit einer Kompanie Schutztruppe seinen Sitz nahm, war besonders schwierig. Die kräftigen Stämme des Berglandes fühlten sich noch unabhängig; und die Engländer hatten die Hoffnung auf das wertvolle Kiliman- [240] dscharogebiet, dessen endgültige Abgrenzung ja noch ausstand, nicht aufgegeben und taten das ihre, um die Eingeborenen in der Abneigung gegen die deutsche Herrschaft zu bestärken. Als am 17. August 1891 Leutnant von Zelewski in Uhehe eine schwere Niederlage erlitt, die bei dem ausgezeichneten Nachrichtendienst der Eingeborenen bald im ganzen Schutzgebiet bekannt wurde, machten sich bei Leuten des Sultans Malamia, des nächsten Nachbarn von Moschi, deutliche Anzeichen von Aufsässigkeit bemerkbar. Peters, der noch die Hälfte seiner Kompanie wegen der in verschiedenen Teilen der Kolonie aufflackernden Unruhen abgeben mußte, sah sich deshalb veranlaßt, für seinen Bezirk den Kriegszustand zu erklären. Bald darauf verübte ein schwarzer Stationsdiener namens Mabruk einen Einbruch in die Weiberräume der Station. Obwohl das nach allen Begriffen der Eingeborenen ein todeswürdiges Verbrechen war, erklärte Peters, wenn der Einbrecher sich freiwillig melde, werde er Gnade üben; erst als das nicht geschah und der Schuldige durch eine Untersuchung festgestellt worden war, ließ Peters das Kriegsgericht zusammentreten, das Mabruk zum Strange verurteilte. Mehrere Monate später entliefen schwarze Dienerinnen der Station zum Sultan Malamia; dieser wies den weißen Abgesandten, der im Namen von Peters ihre Auslieferung verlangte, höhnisch ab und zerriß die deutsche Flagge. Natürlich griff Peters gegen den Sultan energisch durch und ließ die Entlaufenen zurückschaffen. Da ihr Zusammenspiel mit den Leuten Malamias klar zutage lag, wurde die erwiesene Rädelsführerin Jagodjo nach kriegsgerichtlichem Spruch gehängt. Obwohl die beiden Hinrichtungen nicht das geringste miteinander zu tun hatten, sandte die englische Mission in Moschi, die stets gegen die deutsche Herrschaft gewühlt hatte, an den Gouverneur von Soden einen Bericht mit der Behauptung, Peters habe den Mabruk und die Jagodjo wegen geschlechtlicher Beziehungen hängen lassen. Die von Peters sofort beantragte amtliche Untersuchung ergab die völlige Haltlosigkeit der Anschuldigung. Den bündigsten Beweis dafür, daß er die Lage in Moschi mit vollem Recht als ernst angesehen hatte, lieferte noch die Tatsache, daß sein dortiger Nachfolger, von Bülow, dem Peters von der Küste sogleich eine Kompanie zur Hilfe gesandt hatte, der also über die dreifache Macht verfügte, im Juni 1892 mit einem großen Teil seiner Truppe von den Wamoschi niedergemetzelt wurde. Peters selber war noch eine besondere Genugtuung durch den Auftrag zuteil geworden, die noch ausstehende Grenzregulierung mit den Engländern durchzuführen. Nach erfolgreicher Erledigung des Auftrages wurde er in Berlin zur Verfügung des Auswärtigen Amts gestellt und 1894 vom Kaiser in ungewöhnlich ehrenvoller Form zum etatsmäßigen Reichskommissar ernannt.

Inzwischen hatte sich Peters in die heimische Politik gestürzt. In dem von ihm begründeten "Alldeutschen Verbande", in der "Deutschen Kolonialgesellschaft" und bei der Bewerbung um ein Reichstagsmandat focht er mit der ihm eigenen Entschiedenheit für eine rückhaltlos nationale Politik. Dabei machte Peters sich, nach fast der gesamten Linken, auch das immer mächtiger gewordene Zentrum zum [241] Feinde. Der Sozialdemokrat von Vollmar wärmte im Wahlkampfe die Verleumdung der englischen Mission wieder auf. Peters verlangte eine neue Untersuchung, die zu erneuter völliger Rechtfertigung seines Verhaltens führte. Der Reichskanzler Hohenlohe bot ihm die Landeshauptmannschaft am Tanganjika mit erhöhtem Gehalt und zweifelsfreier Gerichtsbarkeit an. Peters lehnte ab und erbat, um sich volle Freiheit für seine politische Tätigkeit zu sichern, den Abschied, begnügte sich dann aber doch mit Stellung "zur Disposition", obwohl sich gerade der Kolonialdirektor Dr. Kayser mit verdächtigem Eifer dafür eingesetzt hatte.

Am 13. März 1896 wiederholte der Sozialdemokrat August Bebel im Reichstage die Verleumdungen gegen Peters mit der Behauptung, dieser habe in einem Briefe an den englischen Missionsbischof Tucker seine Schuld selber zugegeben. So unsinnig die Behauptung von vornherein erscheinen mußte, im Reichstage war schon damals alles möglich, und die Regierung erklärte, der "Tuckerbrief" sei eine "neue Tatsache", die eine neue Untersuchung begründe. Obwohl Tucker, der in Afrika nicht leicht aufzufinden war, sofort bezeugte, daß er nie einen Brief von dem ihm persönlich unbekannten Dr. Peters erhalten habe, hat dieser aufgelegte Schwindel schließlich doch zu einem Disziplinarverfahren gegen Peters geführt; und die Disziplinarkammer wie der Disziplinarhof, in denen kein Afrikakenner saß und die auch die einschlägigen Beweisanträge der Verteidigung als unnötig zur Beurteilung der damaligen Lage am Kilimandscharo ablehnten, haben es fertiggebracht, in ihren Urteilen vom Juni und November 1897 "festzustellen", diese sei nicht so gefährdet gewesen, daß sie so strenge Maßnahmen begründen könne! Durch beide Instanzen wurde Peters wegen "Mißbrauchs der Amtsgewalt" zur Entlassung aus dem Reichsdienst verurteilt. Die Verleumder hatten nun freie Bahn.

Die Haltung der deutschen Regierung vor seinen Afrikazügen hatte Peters verwunden. Wohl blieb er nach den Vorgängen bei dem Emin-Pascha-Zuge dem Hause Bismarck entfremdet; die Schuld gab er nur dem Staatssekretär Herbert, dem der von größeren Sorgen in Anspruch genommene Kanzler die Verhandlungen mit London in der Zeit der "Kolonialehe" völlig überließ, und der ein besonderer Gönner des Dr. Kayser, seines früheren "Einpaukers" zum juristischen Examen, war. Seine Erfolge trugen Peters über diese Enttäuschungen und Kränkungen hinweg, und sie ließen ja Raum zu weiteren Taten für sein Volk. Jetzt war es anders. Der Stolz auf sein Land zerbrach in ihm. Von dem Geschlecht jedenfalls, das für diese Dinge die Verantwortung trug, hoffte er nichts mehr. Schon 1896 verließ er Deutschland und nahm seinen dauernden Wohnsitz in London. In seinem einundvierzigsten Lebensjahre war die Kraft des Mannes, der dem Reiche seine größte Kolonie erworben und den deutschen Namen in weiten Bezirken des schwarzen Erdteils über alle anderen erhöht hatte, für das eigene Land brachgelegt.

Während seiner späteren Besuche in der Heimat hat Peters wiederholt und gern vor der deutschen Jugend gesprochen, die seine Hoffnung blieb. Seit 1906 [242] gab er auch dem langen Drängen seiner Freunde nach, gegen seine Verleumder deutsche Gerichte anzurufen. Diese Gerichte haben in umfangreichsten Verhandlungen die Beweise, die die Disziplinarhöfe für unnötig hielten, erhoben, und sie haben ausnahmslos bezeugt, daß auch nicht ein Stäubchen sittlichen oder auch nur rechtlichen Tadels an dem Namen Dr. Peters hafte. Der Kaiser hatte schon 1905 ihm den Titel eines Reichskommissars a. D. zuerkannt und gab Dr. Peters 1914 auch die Pension wieder. Da aber das deutsche Beamtenrecht ein Wiederaufnahmeverfahren nicht kennt, blieben die Fehlurteile formell in Kraft. Carl Peters trug den Haß und die Kleinheit seiner Feinde äußerlich mit gelassener Ruhe. Nur im vertrauten Freundeskreise konnte seine innere Bitterkeit zu offenem Ausdruck kommen, meist in schneidenden Ironien über deutschen Bürokratismus, deutsche Neidsucht und Philisterhaftigkeit. Die Wunde in seinem Herzen vernarbte nicht.

Ein guter Deutscher blieb Peters auch jetzt. In englische Dienste zu treten, lehnte er, trotz verlockender Angebote, ab. Seine Tätigkeit war durch lange Jahre einem Gedanken aus seiner kolonialen Frühzeit zugewandt: daß in Südafrika das alte Goldland Ophir zu suchen sei. Nach eingehenden Studien und mehrjährigen Untersuchungen in verschiedenen Gebieten Südafrikas wurde ihm der Gedanke persönliche Gewißheit. Er gründete eine Minengesellschaft, die eine Reihe von Jahren unter seiner Leitung arbeitete. Das Kapital der Gesellschaft war in der Mehrheit deutsch. Da der Erfolg gering war, verkaufte Peters 1911 seine Anteile. Außer Südafrika hat er die meisten anderen Länder des schwarzen Erdteils, die Vereinigten Staaten und Westeuropa gründlich bereist. Meist brachte er nur den Sommer in London, wo er viel in der politischen Gesellschaft verkehrte, oder in Seebädern am Kanal zu. Neben Studien beschäftigten ihn schriftstellerische Arbeiten.

Dr. Carl Peters mit seiner Frau Thea.
Dr. Carl Peters mit seiner Frau Thea.
[Aus: Carl Peters, "Lebenserinnerungen", 1918.]
Im Jahre 1909 vermählte Carl Peters sich mit Thea Herbers aus Iserlohn. Frauen hatten ihn während seiner Werde- und Kampfzeit höchstens flüchtig zu fesseln vermocht. Die Freundschaft mit Frieda von Bülow, der treuen und tapferen Helferin während seines zweiten Aufenthalts in Ostafrika, war gute Kameradschaft geblieben. Seiner Gattin hat er stets innige Zuneigung und ritterliche Hochachtung bewahrt. Als Hochzeitstag wählte er den 27. Februar, den Tag seiner beiden größten Erfolge: des kaiserlichen Schutzbriefes und seines politischen Triumphes am Sultanshofe in Uganda.

Carl Peters.
Carl Peters.
Gemälde von Herbert Sidney, 1912.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 441.]
Steigende Sorge machte Peters seit dem Burenkriege die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Deutschland und England. Nach der Agadir-Krise von 1911 hielt er bei Fortsetzung der deutschen Politik den Kampf zwischen den beiden Ländern nur noch für eine Frage der Zeit und Gelegenheit. Nach dem Ausbruch des Weltkrieges blieb er zunächst in London, in der Hoffnung, seinem Lande dort noch gute Dienste leisten zu können. Tatsächlich wurde ihm von hoher englischer Stelle bald die Übermittelung eines Friedensangebots nach Berlin nahegelegt. [243] Eine schriftliche Unterlage erlangte er nicht mehr, da der deutsche Rückzug von der Marne die Stimmung in den leitenden englischen Kreisen änderte. Immer stärker drängte es ihn, in dem Kriege, über dessen Schwere er nun nicht mehr im Zweifel war, seinem Volke nahe zu sein. Hinzu kamen die gegen die Deutschen in England verfügten Freiheitsbeschränkungen; ließ die englische Polizei auch seine Person wie seinen Schreibtisch unbehelligt, so mußte doch seine Gattin sich den üblichen Durchsuchungen unterwerfen. Ende September 1914 reiste er nach der Heimat zurück.

Hier hat sich Peters mit der Ausgestaltung früherer wie der Schaffung neuer nationalpolitischer Arbeiten, dann mit der Abfassung seiner Lebenserinnerungen beschäftigt. Die deutschen Heldentaten im Felde söhnten ihn wieder völlig mit seinem Volke aus. Den Gang der Kriegsereignisse verfolgte er, den Blick vor allem auf England gerichtet, mit leidenschaftlicher Anteilnahme, zuletzt mit schwerer Sorge. Auf den Unterseebootkrieg hoffte er nicht; auf Grund seiner Kenntnis des englischen Charakters blieb er überzeugt, daß England nur niederzuringen war, wenn es gelang, die Nervenstränge des Weltreichs um Suez herum zu zerschneiden. Die Folgen der Strapazen in den Tropen und Subtropen machten sich etwa seit der Mitte der Kriegszeit in Gesundheitsstörungen bemerkbar; längere Kuren in Berliner Sanatorien und im Harz halfen schließlich nur noch vorübergehend. Besonders litt Carl Peters an immer schwereren Anfällen einer Herzschwäche, die am 10. September 1918 in Harzburg seinem Leben ein Ende machte. Seine sterblichen Überreste ruhen auf dem Engesohder Friedhof in Hannover. Auf Helgoland haben seine Freunde ihm ein Standbild gesetzt, mit dem Blick auf das Meer, das die Wiege seines kolonialen Pioniertums war.

Carl Peters war ein Mann von eigenster, nach Geist und Charakter außerordentlicher Prägung. Wie wenige Deutsche seiner Zeit besaß er eingeborenen, von schöpferischer Phantasie befruchteten politischen Sinn und Willen. Fehler seines Temperaments haben seinen Gegnern ihr Spiel erleichtert; aber von dem dunklen Hintergrunde dieses unrühmlichen Spiels, in das sich Regierungen, hohe Gerichtshöfe und Reichstagsmehrheit verstricken ließen, heben sich seine weiten Horizonte und seine kühne Tatkraft nur um so leuchtender ab. Im Zweiten Reiche nimmt Carl Peters einen hervorragenden Platz ein: als ein Mann, der für Deutschland Großes getan und Größeres gewagt hat, und für den auch in tiefster Verbitterung die Ehre des deutschen Namens der Polarstern seines Lebens blieb.

Unsere großen Afrikaner: Carl Peters




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Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz