[Bd. 4 S. 289]
Afrika, der Erdteil, der heute in greifbarer Nähe, sozusagen vor unseren Toren, liegt, war noch vor achtzig Jahren so gut wie unbekannt. Möglich, daß eine Abneigung der weißen Rasse gegen die hamitischen Völker mitspielte: kein Marco Polo hatte Wunderdinge von Afrikas Reichtum berichtet. Was Vasco da Gama getan hatte, schien nutzlos, die Besitzungen der Portugiesen waren ebenso wie sein Herrenvolk in den Augen vieler im Zerfall begriffen. Wozu sich also um Afrika bemühen, das erfüllt war von wilden Negerbanden und Tieren, die man zur Not auf europäischen Jahrmärkten zeigen konnte? Vor fünfzig Jahren gab es kaum Schiffahrtslinien nach Afrika, die auf einige Regelmäßigkeit Anspruch machen konnten. Der überraschende Vorstoß gegen den "dunkelen Erdteil" ging von dem einzigen seit alters bekannten Kulturland Afrikas aus, von Ägypten. Der Nil, jener Strom, der schon im Altertum Forscher wie Herodot eingehend beschäftigt hatte, fast der einzige wirklich bekannte Fluß der alten Welt, schien sich für die Rolle des Führers in das Unbekannte geradezu anzubieten. Der Ehrgeiz der ersten Engländer und Italiener, die in der Mitte des vorigen Jahrhunderts auf afrikanische Entdeckungsfahrten ausgingen, richtete sich demgemäß auf die oberen Abschnitte des Nils. Hier, im Sudan, waren sie immer noch in Verbindung mit der Welt der Zivilisation. Es bedurfte weiteren Zeitablaufs, neuer Männer und neuer Kühnheit, um sich von der Vorstellung des rettenden Flusses zu befreien und den Eroberermarsch in das dunkle Zentrum Afrikas anzutreten. Es ist für uns eine Freude, festzustellen, daß gerade Deutsche sich hervorragend an dieser, ich möchte sagen zweiten Entdeckung Afrikas beteiligten. Männer wie Barth, Rohlfs und Georg Schweinfurth gelten heute als Vorkämpfer des Trupps von Pionieren, die von innen her das vollendeten, was [290] Vasco da Gama seinerzeit von außen her versucht hatte: die Aufschließung eines Erdteils zum Nutzen der europäischen Völker und damit der ganzen Welt.
Schweinfurth suchte nach Gebieten, auf denen man noch botanische Entdeckungsfahrten machen konnte, und er kam dabei auf die westlichen Ufer des Roten Meeres. Mit viel Mühe und unter starker Beanspruchung der Familienkasse gelang es ihm, hierhin eine Reise zu machen. Er fuhr mit einer einfachen Nilbarke das westliche Ufer des Roten Meeres hinauf. Der Suezkanal existierte damals noch nicht. So kam er botanisierend bis Suakin. Von dieser Stadt kehrte er auf dem Landweg nach Kairo, in die zivilisierten Gegenden, zurück. Die Tat Schweinfurths war ungewöhnlich und kühn, er reiste als einziger Weißer, nur von einigen arabischen und ägyptischen Dienern begleitet, durch das Gebiet des wilden Bischarin-Stammes. Schweinfurth brachte um der Botanik willen sein Leben unter diesem Kriegervolk, das selbst von den Türken, den damaligen Herren Ägyptens, gefürchtet wurde, öfter in Gefahr, verstand es aber infolge seiner geschickten Menschenbehandlung, sich immer wieder drohenden Situationen zu entziehen. Dies war Georg Schweinfurths erste Reise, und er zeigte hierbei schon alle die Eigenschaften, die ihn zur späteren großen Entdeckungsfahrt ins Innere Afrikas befähigten. Er war kühn, ohne verwegen zu sein, und trieb seine Unternehmungslust nie weiter, als es seine wissenschaftlichen Zwecke erforderten. In seiner ganzen Haltung zeigt sich eine vernünftige Beschränkung, mit der er seinen Untergebenen und den ihm begegnenden primitiven Völkern Vertrauen beizubringen versteht. Wenn Georg Schweinfurth nichts weiter gewesen wäre als Botaniker, so hätte sich der Chronist an dieser Stelle nicht mit ihm zu beschäftigen. Der Autor gesteht, daß er zu wenig botanisch gebildet ist, um die Ergebnisse Schweinfurths auf diesem Gebiet eingehend würdigen zu können. Was uns fesselt, ist die Tatsache, daß dieser Forscher einer der besten Repräsentanten des damaligen deutschen Geisteslebens war und daß er damit sich die Anerkennung der ganzen zivilisierten Welt erzwang. Schweinfurth ging von dem Spezialgebiet der Botanik aus, um dann [291] seine Interessen immer weiter und weiter zu stecken, er wurde schließlich, wie Alexander von Humboldt, wenn auch auf ganz andere Weise und in anderem Sinn, ein Polyhistor. Schweinfurth war insofern ein typischer Deutscher, als sein unablässiger Wissensdrang keine Grenzen kannte, er war ein Idealist, obwohl ganz Ausdruck einer rationalistischen Zeit. Mit Alexander von Humboldt war die Naturphilosophie zur Naturkunde fortgeschritten. In seiner Gestalt ist der Übergang zu dem Abschnitt der Empirie, die uns später so viel überraschende Erfolge gebracht hat, deutlich sichtbar. Was Schweinfurth bedeutend macht, ist die Tatsache, daß er die geistesgeschichtliche Linie der deutschen Naturerfassung fortsetzt, er ist nicht nur spezialistischer Sammler, er steht unserer Arbeitsmethode doch schon unendlich viel näher, indem er sich nicht wie Humboldt um eine Kosmologie, sondern um einen Erdteil, um Afrika, ja um ein besonderes Problem, um die Entdeckung der Nilquellen bemüht. Obwohl Schweinfurth bestrebt war, seine Allgemeininteressen dem botanischen Spezialismus unterzuordnen, wuchs er doch, je länger er lebte, um so deutlicher in die geistesgeschichtliche Atmosphäre hinein. Hier liegt einer der Hauptreize dieser Persönlichkeit, und wenn er, wie Besucher berichten, bei allem, was er sagte, vom Hundertsten ins Tausendste kam, so war das bei ihm keine Banalität, sondern pantheistische Inbrunst. Nach Beendigung der Reise am Roten Meer drängte es ihn, seine Reisetätigkeit fortzusetzen. Das neue Ziel stellte sich von selbst vor ihm auf. Die Berührung mit den primitiven Negerrassen des Sudans wurde für ihn entscheidend; hier unten lagen in mystischem Halbdunkel, noch fast unberührt von der Neugier Europas, zahllose ungehobene kulturelle Schätze. Wie immer bei der Leistung genialer Naturen, zeigte sich ein Zusammentreffen von glücklichen Umständen und besonderen Fähigkeiten. Wäre Schweinfurth damals nur ein weltfremder Gelehrter gewesen, hätte er seine Reise zu den Nilquellen nie machen können. Die Tatsache, daß sich die Humboldt-Gesellschaft auf Grund der Ergebnisse seiner ersten Studienfahrt zur Finanzierung einer zweiten bereit erklärte, nahm Schweinfurth die materiellen Sorgen, aber mit Geld allein war in diesem Fall nichts getan. Die Schwierigkeiten, Reisen in die Tropen zu unternehmen, und dazu in Gebiete nachgewiesen gefährlicher kannibalischer Völkerschaften, waren damals sehr groß. Um eine Expedition mit vielen Mitgliedern zusammenzustellen, reichten die Geldmittel nicht. Was einem geschehen konnte, wenn man allein reiste, zeigte das Schicksal des Italieners Giovanni Miani, der an Fieber und Hunger elend zugrunde gegangen war. Die lebenskünstlerische Art, die bei Schweinfurth so bewundernswert ist, ließ ihn gleich erkennen, wo der praktische Angriffspunkt seines Planes lag. Er hatte es bei seiner Aufgabe mit drei im Kampf liegenden Parteien zu tun: mit der ägyptischen Regierung, mit den arabischen Elfenbein- und Sklavenhändlern und mit den Häuptlingen der Negerstämme. [292] Da die Reise von Chartum, am oberen Nil, ausgehen sollte, mußte sich Schweinfurth mit den dort ansässigen Kaufleuten gut stellen, die damals von der Regierung in Kairo ziemlich unabhängig als Besitzer des Sudans schalteten und walteten. Mit Hilfe von Empfehlungen mannigfaltiger Art (auch der Konsul des Deutschen Bundes spielte dabei eine Rolle) gelang es Schweinfurth, bei den mächtigen Händlern Zutritt zu gewinnen und ihre Bedenken gegen sein Unternehmen zu zerstreuen. Da die ägyptisch-türkische Regierung ihn für einen Spion und die Chartumer Kaufleute ihn für einen angehenden Konkurrenten im Sklaven- und Elfenbeinhandel hielten, war die Erwerbung des allseitigen Vertrauens nicht leicht und bedurfte vieler diplomatischer Künste. Endlich gelang es, einen Kontrakt abzuschließen, der dem deutschen Forscher Georg Schweinfurth das ungehinderte Bereisen des Gebietes am Gazellenfluß (Nebenfluß des Weißen Nil) sicherte. Dieser Kontrakt wurde vom ägyptischen Generalgouverneur in Chartum und den angesehensten Kaufleuten unterschrieben. Mit dem Kopten Ghattas brachte Schweinfurth einen besonderen Vertrag zustande, der es ihm ermöglichte, sich den Leuten dieses Elfenbein- und Sklavengroßhändlers anzuschließen. Man versprach ihm jeden möglichen Schutz, die Lieferung von Nahrungsmitteln und im Notfall die Stellung von Bewaffneten. Diese Verträge sind exakt ausgeführt worden, und Schweinfurth hat später in seinem Hauptwerk Im Herzen von Afrika (der großen Beschreibung seiner Reise) öfter Gelegenheit genommen, sich für die Bemühungen aller Beteiligten zu bedanken. Es stand also jetzt dem Aufbruch nichts mehr entgegen, und am 5. Januar 1869 segelte Schweinfurth mit den Ghattasleuten den Nil hinauf, seiner Bestimmung entgegen.
Chartum liegt ungefähr auf dem fünfzehnten Grad nördlicher Breite, und nur wenig unterhalb der Stadt teilt sich der Nil in die beiden Arme, die man als Weißen und Blauen Nil bezeichnet. Der Blaue Nil fließt von den wilden Hochgebirgen Abessiniens herab und trifft in stumpfem Winkel in Chartum auf den sogenannten Weißen Nil, der den eigentlichen Hauptstrom bildet. Bis zum bekannten Ort Faschoda, der genau auf dem zehnten Grad nördlicher Breite liegt, fließt der Weiße Nil gerade, er ist schiffbar, wenn auch mit einiger Gefahr wegen zahlreicher Katarakte und schwimmender Grasinseln. Die Schilluk und Dinka, Negerstämme, um deren Unterwerfung die Ägypter damals noch vergeblich kämpften, bewohnen die Ufer dieses Flusses. Das eigentliche Herz Afrikas, wenn man so sagen darf, beginnt erst da, wo der Weiße Nil nach Westen abbiegt und sich unter dem Namen Gazellenfluß in viele kleinere Nebenflüsse aufteilt. Die mächtigsten davon, der Bahr el Arab und der [293] Bahr el Gebel, sind bekannt als die Hauptquellflüsse des Nils. Zwischen ihnen, also im Gebiet des fünften und zehnten Grades nördlicher Breite, nur noch einen Schritt vom Äquator entfernt, besuchte Schweinfurth die Bongo-Völkerschaften und die Niam-Niam, Wilde mit allen Eigenschaften der Wildheit, vor allem der Menschenfresserei.
Wenn man diese Berichte Schweinfurths liest, kommt einem die Schnelligkeit des Zeitablaufs seit der Erschließung Afrikas zum Bewußtsein. Die Stämme, die damals noch ihre Feinde beim Siegesmahl verspeisten, sind heute gesittete Untertanen englischer Kolonialresidenten – sechzig Jahre haben genügt, eine Welt zu verändern. Da, wo damals die Ghattasleute ihre Seriben (primitive, aus Pfahlwerk gebaute Stationen) hatten, stehen heute stattliche Steinhäuser, es gibt Autostraßen und sogar Postverbindung. Schweinfurth hat als der echte Rationalist, der er war, an einen Fortschritt der Kultur geglaubt. Er gesteht zu, daß ohne das Interesse am Elfenbein (das den herrlichen Elefanten heute fast der Ausrottung nahegebracht hat) und ohne den Sklavenhandel, den er haßt, die Erschließung Afrikas sich noch jahrzehntelang, vielleicht jahrhundertelang, hinausgezögert haben würde. Er traut zwar den Nubiern und Arabern, die damals aus rein geschäftlichem Egoismus an der "Erschließung" Afrikas arbeiteten, nicht viel zu, aber angesichts der Wilden sind sie doch zivilisationsbeleckte Menschen. Schweinfurth billigt die Art der Eroberung Afrikas nicht, aber daß sie stattfindet, hält er im Sinn des allgemeinen Fortschritts für einen notwendigen Prozeß. [294] Es äußert sich darin die Tragik aller menschlichen Unternehmungen. Der geschichtliche Ablauf der Ereignisse scheint mir unabhängig von den menschlichen Absichten zu sein. Im Gegensatz zu denen der Chartumer waren Schweinfurths Motive rein wissenschaftlich, moralisch gesprochen, gute, ja fast ästhetische, und der Erfolg aller Teile ist der gleiche: Beseitigung des Urzustands durch Zivilisation und Technik. Einer der Höhepunkte der Schweinfurthschen Reise ist der Besuch bei dem Kannibalenstamm der Monbuttus und ihrem Gewaltherrscher Munsa. Mohamed, der Leiter der Ghattasschen Abteilung, der schon früher bei Munsa gewesen war, erreichte für Schweinfurth eine Audienz bei Munsa. Um Schweinfurths schriftstellerische Technik zu zeigen, würden wir gern das ganze Kapitel über den Munsa-Besuch hierhersetzen. Leider fehlt dazu der Platz, aber die Beschreibung Munsas soll an dieser Stelle stehen. Sie ist bezeichnend für die fast fotografische Treue und Genauigkeit der Schweinfurthschen Berichte.
Wir sagten, daß die Akkas auf der Wasserscheide des Nil und des Kongo wohnen. Es war Schweinfurth, der dies erstmalig mit wissenschaftlicher Sicherheit sagen konnte, denn bis zu seiner Reise wußte man nicht genau, ob diese beiden größten Flüsse Afrikas nicht einem Stamm entsprängen. Es war eine der Hauptaufgaben seiner Reise, diese Frage zu klären, und er tat es, indem er zum erstenmal in wissenschaftlicher Form die Existenz des Uëlle nachwies, eines der Quellflüsse des Kongostroms. Hierdurch konnte man sich nun, karthographisch gesprochen, zum erstenmal ein richtiges Bild von Afrika machen, und seit der Bekanntwerdung des Uëlle hatte der dunkle Erdteil wirklich aufgehört, dunkel zu sein. Abschließend ist zu sagen, daß die Reise Schweinfurths nicht nur eine Anzahl wichtiger Entdeckungen auf botanischem, zoologischem, geographischem und vor allem ethnologischem Gebiet herbeiführte, sondern – und das ist vielleicht ein noch größerer Erfolg, weil daran die Dauer der Wirkung zu messen ist – eine Unzahl von heute noch diskutierten Fragen aufwarf. Als Schweinfurth in Kairo vom Vizekönig mit großen Ehren empfangen wurde, machte er sich weniger aus dem äußerlichen Triumph als aus dem Gefühl seiner eigenen Zufriedenheit. Das, was er erstrebt hatte, war wirklich gelungen. Wenn auch seine Bescheidenheit später die erreichten Erfolge fast nur auf dem botanischen Spezialgebiet zugeben wollte, so spricht doch das große Reisewerk Im Herzen von Afrika (es kam bald darauf in London heraus) auf jeder Seite dagegen. Schweinfurth hatte gezeigt, daß er ein großer Gelehrter, ein großer Künstler und ein Mensch von ungewöhnlichem Format war. [297] Die Forschungsmethode Schweinfurths, die, wie im Anfang angedeutet wurde, auf den Geist der deutschen Klassik zurückgeht, sollte zu dem wachsenden Erfolg nicht wenig beitragen, indem sie bald Schüler und Nachahmer fand. Wenn man ein Wort für sie gebrauchen will, das erst in jüngster Zeit unter Berufung auf die naturwissenschaftlichen Schriften Goethes bekannt geworden ist, so tut man dem Genius Schweinfurths kein Unrecht. Seine Methode ist eine kulturmorphologische. Das heißt, daß er die ihn umgebenden neuen Dinge so beschreibt, daß sie durch das Gesetz der Analogie (des Vergleichs) in ihrer Gesetzmäßigkeit deutlich werden. Die große innere Ausgeglichenheit dieses Gelehrten, die ihm jeden Gegenstand gleich wichtig erscheinen läßt, ist mit dem Begriff der Naturverbundenheit zu wenig gekennzeichnet. Schweinfurth hatte nicht mehr wie Alexander von Humboldt Dichtwerke über die Natur in der Tasche, er wurde von einem sehr modern anmutenden Willen zur Exaktheit getrieben. In der Verschiedenheit seiner klassischen und modernen Anlagen erfüllt sich sein seltenes Talent. Zur Charakteristik Schweinfurths darf nicht unerwähnt bleiben, daß er ein großer Gegner des Sklavenhandels war, mit dem die Chartumer Kaufleute, seine Protektoren, ihr Geld verdienten. Wo sich ihm Gelegenheit bietet, weist er auf die Schrecklichkeit des damals im Sudan überall üblichen Menschenhandels (er ist heute noch immer in Abessinien im Schwange) hin, und die Tatsache, daß sein Werk gleich einen großen Londoner Verleger fand, dürfte auf die Rechnung dieser Meinung zu setzen sein. Diese Gegnerschaft, so sehr sie aus den Idealen der damaligen Zeit, die eine besondere Vorstellung von Freiheit und Fortschritt hatte, zu erklären ist, war doch für Schweinfurth eine Herzensangelegenheit, wie er denn überhaupt keine Meinung vertrat, ohne fest an sie zu glauben. Obwohl Schweinfurth während seiner Reisen niemals besondere Heldentaten vollbracht hat, macht doch seine Person den Eindruck der Festigkeit und der Kühnheit. Die Härte, vor der er, wenn sie als notwendig erkannt war, nicht zurückwich, steht in schroffem Gegensatz zur Weichheit eines Emin Pascha, der zwanzig Jahre später als Schweinfurth die gleichen Gegenden durch die Tragödie seines Untergangs erneut ins Licht rückte und für den Schweinfurth, als die Kunde seiner Not zu ihm drang, mit allen Kräften sich einsetzte. Emin Pascha war eine Art Fortsetzer der Schweinfurthschen Lebensarbeit, auch er Botaniker und Gelehrter, aber da die Welt sich in den zwanzig Jahren, die seit Schweinfurths Reise vergangen waren, völlig verändert hatte, mußte Emin Paschas Geschick anders verlaufen. Während Schweinfurth das Glück hatte, sozusagen das letzte verzogene Kind einer Zeitepoche zu sein, in der es keine wirtschaftlichen Sorgen gab, war der Pascha schon Exponent einer industriellen Epoche. Der Aufstand des Mahdi, der der Anfang vom Ende Emin Paschas war, wurde durch das Vordringen der westlichen Maschinenzivilisation und ihrer Anschauungen ausgelöst. Es war ein nationaler arabischer Protest von einer [298] heute noch bestaunten Gewalt und (man kann es sagen, ohne den Verhältnissen Zwang anzutun) Gewalttätigkeit. Als Schweinfurth in Chartum ankam, fühlten sich die arabischen Kaufleute durch keinerlei fremde Zivilisation bedroht, wie groß auch ihr Mißtrauen war, als aber Emin Pascha in Ladó als Gouverneur über die ägyptische Äquatorialprovinz herrschte, brachte sie jeder Einspruch gegen ihren gewohnten Sklavenhandel zu höchster Wut. Den großen Fehler Emin Paschas (er trat, um sich Vorteile zu verschaffen, zum Mohammedanismus über) hätte Schweinfurth sicher nicht begangen, schon deshalb, weil er im Grunde religiös indifferent war und in der Zugehörigkeit zu irgendeiner Glaubensgemeinschaft keinen Vorzug sehen konnte. Schweinfurth war noch zu sehr Nachfahre des achtzehnten Jahrhunderts, um sich in Weltanschauungen zu verstricken, und er war ehrlich erschüttert, als er vom Tod des Paschas erfuhr, der von mohammedanischen Sklavenhändlern umgebracht worden war. Man bekommt ein besseres Bild von der Gruppe deutscher Forscher, zu denen Schweinfurth gehört, wenn man sie mit den "Aufhellern" Afrikas der späteren Zeit vergleicht. Die verschiedene Rasse spielt dabei eine aufschlußreiche Rolle, und wenn man zum Beispiel wissen will, weshalb England und nicht Deutschland die Welt erobert hat, so werfe man einen Blick auf Stanley, der in der Emin-Pascha-Tragödie die Rolle des Mephisto gespielt hat. Während Schweinfurth den Verlust seiner Sammlungen durch einen Grasbrand betrauert, während ein Mann wie Emin Pascha gar erscheint wie ein Kind, das sich im Märchenland des Sudan verirrt hat, spielt Stanley, den die Neger wegen seines harten Charakters "Bula Matari", den "Steinzertrümmerer", nennen, mit Menschenleben wie mit Dominosteinen. Kein Mensch könnte Schweinfurth vorwerfen, daß er bei seiner Reise andere als wissenschaftliche und künstlerische Zwecke verfolgte (nur weil sie von der Reinheit dieser Absichten überzeugt waren, gaben ihm der ägyptische Vizekönig und die Chartumer Kaufleute ihre wichtigen Empfehlungen). Stanley aber war nicht einmal imstande, eine Hilfsexpedition zugunsten des schwer bedrohten Emin Pascha zu unternehmen, ohne in das Mitleid seine geschäftlichen Interessen einzubeziehen. Und was für Interessen! Man kann sagen, daß sie in ihren Absichten wahrhaft großzügig waren. Rohlfs, Barth, Schweinfurth und auch Emin Pascha hätten keinen Augenblick gezögert, den Negern, die Afrika bewohnten, auch das Besitzrecht dieses Erdteils zuzugestehen. Während sie von der idealen Vorstellung einer kulturellen Durchdringung ihrer Forschungsgebiete erfüllt waren, gab sich Stanley keinen Skrupeln hin. Ob man es Zynismus oder weise Voraussicht nennen will, er betrachtete Afrika, selbst die Gegenden, die er noch nicht betreten hatte, als selbstverständlichen Besitz seiner Auftraggeber. Er brachte es sogar fertig, während er Emin Pascha zu Hilfe eilte, deren zwei im Hintergrunde bereit zu haben, die Königin von England und den König von Belgien. [299] Kommen wir nach dieser Abschweifung zu Schweinfurths Lebensweg zurück. Er legte für die Humboldt-Gesellschaft, die ihn fortgeschickt hatte, große Ehre ein und machte die deutsche Afrika-Wissenschaft in der ganzen Welt berühmt. Die Londoner Geographische Gesellschaft sandte ihm ihre goldene Medaille zu und ernannte ihn zu ihrem Ehrenmitglied. Diese Gesellschaft besaß damals eine einzig dastehende Autorität, und durch die ungewöhnliche Ehrung, die sie dem deutschen Wissenschaftler hatte zuteil werden lassen, war er unter die Forscher von großem internationalem Rang aufgerückt. Damals hatte Schweinfurth kaum das vierzigste Lebensjahr überschritten. Noch fünfzig Jahre der Arbeit standen vor ihm, eine unendliche Wegstrecke war noch zu durchschreiten. Obwohl Schweinfurth während seiner Reisen häufig am Fieber gelitten hatte, war seine Gesundheit in bester Verfassung. Er selbst schrieb seine ungewöhnliche Zähigkeit seiner Mäßigkeit zu, auf seinen Reisen hatte er manchmal tagelang nur von Walnüssen gelebt. Nach Beendigung seiner großen Afrikareise nahm Schweinfurth dauernden Wohnsitz in Kairo, fuhr aber jedes Jahr auf kurze Zeit nach Deutschland. Er hatte in Kairo eine Wohnung in der Nähe des berühmten Ebekieh-Parks, und wenn er zum Fenster hinaussah, taten sich ihm die Wunder der geliebten tropischen Pflanzenwelt auf. Der Khedive, der Herrscher Ägyptens, wußte die Bedeutung seines deutschen Gastes wohl zu schätzen und zeigte ihm bei jeder Gelegenheit seine Gunst, so sehr, daß Schweinfurth als sein besonderer Vertrauter galt und häufig von allerlei Leuten, die etwas von der ägyptischen Regierung erreichen wollten, als Vermittler angegangen wurde. Der Khedive betraute Schweinfurth mit der Gründung einer ägyptischen Sektion der Londoner Geographischen Gesellschaft und ernannte ihn zu ihrem Ehrenvorsitzenden. Hierdurch wurde aus dem Privatgelehrten eine offizielle Persönlichkeit, mit der sich alle naturwissenschaftlichen Körperschaften der Welt in Verbindung setzten. Schweinfurth hatte mit seinem Afrikawerk für damalige Zeiten eine Menge Geld verdient, er benutzte es aber nicht für sich selbst, sondern steckte es gleich in neue Reiseunternehmungen. Da er sich für das Problem der Wüsten zu interessieren begonnen hatte, wandte er sich im Jahre 1875 der Erforschung der östlichen Wüstengebiete Ägyptens zu. Er besuchte die Oase Chargeh in der Libyschen Wüste. Im Jahre 1880 war Schweinfurth im Libanon, im Jahre darauf machte er eine Reise nach der merkwürdigen und selten betretenen Insel Sokotra, die östlich vom Kap Guardafui am Ausgang des Golfs von Aden im Indischen Ozean liegt.
Schweinfurths letzte Reisen wurden zu einigen Wüstenklöstern gemacht, die dreihundert Kilometer südlich von Kairo liegen. Er wollte die Religion der Kopten erforschen und durch sie Einblicke in die erste Zeit des Christentums erlangen. Das Ende von Schweinfurths Leben war beschattet durch den Weltkrieg und das Unglück Deutschlands. Obwohl in Riga geboren, hatte er sich stets als Deutscher gefühlt und keine Gelegenheit vorübergehen lassen, für sein Vaterland einzutreten. Deshalb verließ er, als der Weltkrieg ausbrach, die so sehr geliebte Wohnung in Kairo und siedelte nach Deutschland über. Die Inflation brachte ihn um den größten Teil seines kleinen Vermögens, so daß er die Bitternis erlebte, im hohen Alter auf wohltätige Freunde angewiesen zu sein. Zuletzt arbeitete er am Botanischen Institut in Dahlem, und dort, im Botanischen Garten, ist Schweinfurth, als er im Jahre 1925 starb, beerdigt worden. Wenn wir nun noch einmal den Blick über das Leben und die Arbeit Georg Schweinfurths gleiten lassen, erkennen wir besser die Berechtigung der Behauptung, er sei mehr eine geistesgeschichtliche als eine spezialwissenschaftliche Größe gewesen. Er war ein Polyhistor im deutschen Sinne, ein Universalist, ein Mensch, der bis ins höchste Alter von ehrlichem Interesse und glühendster Liebe für die Welt und ihre Buntheit erfüllt war. Schweinfurths kühner Vorstoß in das dunkle Herz Afrikas wird als Tat eines Soldaten der Zivilisation unvergeßlich bleiben, wenn längst seine einzelnen Forschungsergebnisse überholt und veraltet sein werden. Georg Schweinfurth war ein Kind seiner rationalistischen Zeit, und deshalb kann man seine Arbeit nur verstehen, wenn man sich die Zeit klarmacht, in der sie entstand. Wir stehen auf einem anderen Planeten. Wir haben Erlebnisse gehabt, die unserem ganzen Denken eine andere Richtung gegeben haben. Aber andererseits sind wir als Deutsche doch zu sehr Kinder unserer klassischen Kultur, um die Ideale Schweinfurths zu verkennen. Er war ein Abkömmling Schillers und Goethes, durch das Schicksal verschlagen ins Innerste Afrikas, aber auch dort zeugend von deutschem Geist und deutscher Weltauffassung. Er ist an seine Zeit gebunden und ragt doch über sie hinaus durch seine Menschlichkeit. Wenn man sich mit seinen Arbeiten beschäftigt, beginnt man ihn als Menschen zu lieben. Das ist das Ewige und Beispielhafte seiner Erscheinung, und deshalb wird das, was er gedacht und gewollt hat, nicht untergehen.
Unsere großen Afrikaner: Georg Schweinfurth
|