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Die geistige Besitzergreifung

Georg Schweinfurth

Der unglücklichste Tag seines Lebens (von ihm selber geschildert)

Die große Handelsniederlassung der Firma Rhattas, in der ich, des Aufbruches der Karawane gewärtig, mit allen meinen Vorräten weilte, bestand aus einer dichtgedrängten Masse von einigen sechzig Hütten und Schuppen, die fast durchweg nur aus Stroh und Bambus erbaut waren. Dazwischen erhoben sich, aus gleichem Material errichtet, die umfangreichen Sonnendächer, sog. Rokuba, während hohe Strohzäune zur Umfriedung der einzelnen Gehöfte dazwischen schmale, nur wenige Fuß breite Gassen freiließen. Man wird sich vorstellen können, wie mit dem Beginn der regenlosen Zeit die drohende Feuersgefahr für mich bei Tag und Nacht eine Quelle der Sorge sein mußte. Immer dichter war, meiner Vorstellungen ungeachtet, in dem engen Bezirk der Pfahlumzäunung eine Hütte neben der andern entstanden. Es ließ sich voraussehen, daß im Falle eines Brandunglückes das ganze von tropischer Sonne gedörrte Hüttenlager unrettbar verloren sein würde. Dies war das nicht ungeahnte Verhängnis, das mich am 1. Dezember 1870 um die Mittagsstunde ereilte.

Der unglücklichste Tag meines Lebens hatte in dem gewohnten Gleis der letzten Zeit begonnen. Ich war den Vor- [151] mittag über mit Briefschreiben beschäftigt gewesen, um meine Erlebnisse seit Abgang der letzten Nachrichten zusammenzustellen. Eben hatte ich mein bescheidenes Mahl zu mir genommen und das Briefschreiben wieder begonnen, als mich plötzlich der Ruf eines Bongo: "Poddu, Poddu" (d. h. Feuer) erschreckte. Dieses schreckliche Wort wird zeitlebens in meinen Ohren widerhallen. Beständig auf dem Sprunge, es zu vernehmen, erkannte ich in demselben Augenblick die ganze Tragweite des Unglücks, ich eilte vor die Tür und erblickte auch schon, nur durch drei Hütten von der meinigen getrennt, die unheilvolle Lohe aus der Spitze eines Kegeldaches emporschlagen. Um jene Tageszeit erreichte der beständig wehende Nordost stets seine größte Heftigkeit, die Windrichtung führte die Flammen unmittelbar zu meiner Behausung, da blieben mir kaum zwei Minuten Zeit zum Retten.

Sofort kamen alle meine Leute herbeigesprungen, und ohne viel Worte zu machen, griff ein jeder nach dem, was ihm grade unter die Hände fiel. Die Negerknaben machten sich zuerst an die Zeuge und ihre eigenen Kleider, als dem in ihren Augen Wertvollsten. Auf diese Art wurde auch mein Bettzeug und zwei der Lederkoffer außerhalb der Seriba in Sicherheit gebracht. Ich selber schleuderte die für einen solchen Fall bereits zurechtgelegten Manuskripte in einen großen Holzkasten; es war ein eitles Bemühen. Allerdings gelang es meinen Dienern im Handumdrehen, noch fünf von den Koffern und zwei Kasten hinauszuschaffen und auf den nahen Freiplatz der Seriba zu schleppen, wo sie auch bei der herrschenden Windrichtung genügend gesichert zu sein schienen, allein nur zu bald begann der glühende Luftstrom planlos nach allen Seiten hin umzuschlagen und fegte die Lohe über den ganzen Platz. Da hätte kein Mensch mehr standzuhalten noch Hand zum Retten anzulegen vermocht. Der schleunigste Rückzug war vornehmlich durch die Gefahr geboten, der man zwischen den von allen Seiten aufflammenden Strohmassen, besonders in den von hohen Zäunen eingefriedigten schmalen Gassen ausgesetzt war. Da schlugen die Flammen hundert Fuß lang aus den mit dür- [152] rem Grase überhäuften Sonnendächern hervor und züngelten Verderben bringend weithin über den Boden, während ein Regen von brennenden Halmen durch die Lüfte brauste.

Auf der Flucht vor der ungeheuren Gewalt der Flammen – die Menschen erschienen wie Mücken an einer brennenden Kerze – warf ich noch einen Blick auf den angeblich geretteten Rest meiner Habe, mit Entsetzen aber nahm ich schon wahr, daß die Kasten zu rauchen begannen und daß lange Flammensäulen sie bezüngelten. Es war für mich ein herzbrechender Anblick, enthielten doch diese Kasten alle meine Manuskripte, die Reisejournale und Notizbücher. Im Vergleich zu diesem Verlust erschien die Einbuße der von vornherein den Flammen preisgegebenen Effekten in meiner Hütte selbst sehr unbedeutend, und doch waren es zusammen über hundert Trägerlasten! In meiner Aufregung achtete ich nicht des vom Winde umhergetragenen Funkenregens, der mir das Haar versengte, heulend, mit verbrannten Füßen, folgten mir die Hunde, und atemlos hielten wir endlich unter einem großen Baume, um vor der allseitigen Flammenglut und dem Sonnenbrande aus der Höhe Schutz zu suchen. Bei der Überstürzung unserer Flucht hatte ich nicht einmal zu meinem Hute greifen können.

Hinter uns aus dem prasselnden Gewoge der Flammen erscholl das Krachen der zusammenbrechenden Dächer, ab und zu übertönt von dem dumpfen Schall der explodierenden Munitionsballen, während die in den brennenden Häusern zurückgelassenen Gewehre sich entluden und die Fliehenden von allen Seiten bedrohten. Überraschend ruhig und gelassen benahmen sich die Nubier. Hatten doch die meisten von ihnen nur wenig oder nichts zu verlieren, mußte doch auch so manches Schuldbuch in den Flammen verschwinden, da war für viele noch auf Gewinn zu hoffen. Nur die mohammedanischen Priester heulten und schrien vor ihren Hütten die gewohnten Beschwörungsformeln, mit denen sie dem Feuer seinen Weg vorzuschreiben wähnten; merkwürdigerweise blieb grade der Betplatz mit der weißen Fahne eines daselbst begrabenen Fagi's verschont. Der Platz war nur wenige Schritte von der Stelle ent- [153] fernt, wo meine Kisten lagen. Der Verstorbene war da ein echter Heiliger geworden, denn er hatte sich bewährt als ein Schech comme il faut.

Die ganze Seriba stand nun in vollem Brande, und die Flammen vollendeten ihren unaufhaltsamen Rundlauf nach jeder Richtung. Ganze Bündel von glimmendem Stroh führte der Sturmwind mit sich und entzündete in wenigen Minuten auch die außerhalb des Pfahlwerkes gelegenen Hüttengruppen. Die längst ausgedörrte Steppe, bisher absichtlich geschont, weil die Kornernte noch nicht beendet war, fing ebenso leicht Feuer, und selbst die alten Bäume entflammten sich – das ganze Land schien zu brennen, als sollte alles untergehen in einem Meere von Flammen. Die Katastrophe währte indes kaum eine halbe Stunde; nach Verlauf dieser Frist konnte man bereits zwischen den verkohlenden Gerüsten der Hütten ins Innere der Seriba eindringen, allerdings nur für wenige Augenblicke, da der glühende Boden und die unerträgliche Hitze für die ersten Stunden kein längeres Verweilen an dieser Unglücksstätte erlaubten. Die Leute brachten Wasser in Krügen herbei, um wenigstens einen Teil der glimmenden Kornvorräte, die in den tönernen Gugas, den großen Krügen, enthalten waren, zu retten.

Ich ließ mich schließlich in meinem Garten nieder, der, größtenteils seiner neuen Bambusumzäunung beraubt, einen trostlosen Anblick gewährte. Als die Sonne sank, wurde das Nachsuchen nach den etwa noch brauchbaren Resten in der glimmenden Asche meiner Hütte begonnen. Ich hatte wenig mehr als das nackte Leben gerettet: ohne Kleider, ohne Waffen und Instrumente, ohne Tee und Kinin stand ich jetzt vor dem Haufen Kohle und Asche, der, unwiederbringlich verloren, die Frucht mehrjähriger Anstrengungen und im übrigen so beispiellos günstiger Konjunkturen barg. Meine schöne Ausrüstung für die vorhabende Njam-Njam-Expedition, die jüngsten Sammlungen, unter denen der Verlust der gesamten entomologischen Ausbeute und vieler wertvoller Erzeugnisse des afrikanischen Kunstfleißes am meisten zu beklagen war, dann die Handschrif- [154] ten mit allen meteorologischen Beobachtungen, die ich von meinem Aufbruche von Suakin an täglich gebucht hatte und die allein gegen 7000 barometrische Ablesungen enthielten, die Reisejournale mit den Erlebnissen und Wahrnehmungen der 825 Tage, die mühsam erlangten Körpermessungen und Vokabularien schließlich – alles war in wenigen Minuten ein Raub der Flammen geworden. Die Tagebücher und die Insektensammlung hatte ich aus Furcht vor den Gefahren einer weiten Versendung von Anfang an bei mir behalten, jetzt lägen sie freilich ebenso sicher in den Fluten des Nils.

Da saß ich nun zwischen meinen Tabakstauden auf dem geretteten Bettzeug in stiller Ergebung, vor mir als einziger Rest meiner Habseligkeiten die zwei mir übriggebliebenen Koffer (mit drei geretteten holosterischen Barometern und einem Azimutkompaß) und das der Asche entnommene Eisengerät der Werkstätten der Mangbattu und Njam-Njam. Der Abend kam und mit ihm wie gewöhnlich die Kuh mit dem Kalbe, um mir zwei Gläser Milch zu spenden. Etwas Jams, dem Innern einer verkohlten Riesenknolle entnommen, die sich noch in der Asche vorgefunden, ferner ein ähnlicher Rest von einem großen Stück von mir zubereiteten Pökelfleisches vervollständigte mein Mahl, ich zehrte von den letzten Überbleibseln meiner Vorräte. Um mich herum heulten die Hunde mit ihren verbrannten Füßen, als jammerten sie über das allgemeine Elend. Die Diener und die Sklaven waren so vergnügt wie je zuvor, denn was hätten diese zu verlieren gehabt. Ich konnte die Häupter meiner Lieben zählen, sieben Vierbeinige und sieben Zweibeinige.

 
Die Entwicklung eines Botanikers

In Georg Schweinfurth, dem vierten unserer großen Afrikareisenden, tritt uns wieder eine ganz andere Persönlichkeit entgegen. Ähnlich wie Heinrich Barth ging er von vornherein mit einer großen leitenden Idee nach Afrika, nämlich mit dem Ziele einer botanischen Erforschung der Nilländer, aber diese Idee war längst nicht von so großartigem, originalem und geistig be- [155] deutendem Umfange wie Barths Mittelmeeridee, sondern blieb in den Rahmen eines einzigen Faches gespannt, eines naturwissenschaftlichen Faches, das genaueste Einzelbeobachtung und emsiges Sammeln zur Grundlage hat, dessen Bearbeiter aber, seltener als gut ist, zu großen Synthesen gelangen. Und im Gegensatze zu Gustav Nachtigal, der ohne fachliche Einengung seine gewaltige Reise antrat, ist er nicht zur geographischen Synthese von dessen Wert und Weitsicht gelangt. Nicht daß er nur Botaniker geblieben wäre, weit gefehlt, er hat sich in topographischen und geologischen, in vorgeschichtlichen und völkerkundlichen, in ägyptologischen und sprachlichen Zweigen versucht, aber dieser zu seinen Lebzeiten weitaus beste Kenner der Nilländer ist uns das schuldig geblieben, was wir billig von ihm erwarten durften: die große, umfassende, allseitige Länderkunde des Nilgebietes. Entwickelte Nachtigal sich zu einem bedeutenden und schöpferischen Geographen, so ist Schweinfurth ein solcher niemals gewesen, wenn er auch viel, sehr viel von Geographie verstand. Er blieb stets der eifrige Sammler, der aus universalem Blickwinkel heraus alles beobachtete und einordnete, dessen schöpferische Kraft aber dieser Interessiertheit nachstand. Wissen in überquellender Fülle, mehr als es jemals ein Afrikareisender von seinem Arbeitsgebiete besessen hat, und Fleiß von nie ermattender Nachhaltigkeit, beide waren vorhanden, doch es fehlte das letzte zur schöpferischen Größe.

Georg Schweinfurth wurde am 29. Dezember 1836 in der deutschen Stadt Riga im damals russischen Livland geboren. Der Vater war aus Wiesloch – am Fuße des Kraichgaus, südlich von Heidelberg gelegen – 1809 vor der französischen Aushebung geflüchtet und in Riga gelandet. Hier eröffnete er eine Weinhandlung, die deutsche und französische Weine in Rußland einführte und dadurch schnell zu großer Blüte gelangte. Die Mutter stammte von einem um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus Stendal in der Altmark eingewanderten Manne namens Mauer ab. Die Familie zählt also nicht zu den altbürtigen Balten. Der Vater war für geistige, namentlich künstlerische Dinge interessiert, und sein Haus, in dem der [156] älteste Sohn Alexander, sein späterer Nachfolger, durch musikalische Begabung hervorragte, bildete dann einen Anziehungspunkt für geistige Menschen; wir haben gesehen, daß Gerhard Rohlfs 1870 auf einer Vortragsreise hier wohnte und seine künftige Frau, eine Nichte Georgs, kennenlernte.

Der junge Georg war zeitweise in einer Erziehungsanstalt im Innern Livlands untergebracht und besuchte zuletzt die oberen Klassen des Rigaischen Gymnasiums, dessen Unterrichtssprache, ausgenommen das Fach der Fremdsprache Russisch, deutsch war. Das Lesen von Reisebeschreibungen und die Erzählungen eines in Südafrika geborenen Lehrers erweckten früh eine starke Teilnahme für Afrika und für Forschungsreisen, auf die der Knabe sich durch ausgedehnte Fußwanderungen unauffällig vorzubereiten suchte. Sein fachliches Interesse erstreckte sich auf Pflanzenkunde, wofür die erste Anregung die riesige Handelsgärtnerei eines Verwandten geboten haben dürfte. Nach einem Schulausfluge vermochte der zwölfjährige Knabe als einziger die Vertreter aller Klassen des Linnéschen Pflanzensystems vorzulegen.

Endgültig für die Botanik aber wurde Georg gewonnen, als er nach bestandener Reifeprüfung Ostern 1857 mit den Eltern nach Gastein kam und die Gebirgsflora der Hohen Tauern kennenlernte. Er machte zahlreiche Wanderungen und erstieg auch – als achter in der Reihe der Gipfelstürmer – mit mehreren Bergführern den Großglockner; ein kleiner Aufsatz, den er darüber veröffentlichte, war seine erste gedruckte Arbeit.

Im Herbst 1857 ging er auf Universitäten, und zwar bezog er zuerst die in der Heimat seiner Väter gelegene Universität Heidelberg, wo er vier Semester weilte, und studierte dann zwei Semester in München und vom Herbst 1860 an weiter in Berlin. Seine Studien erstreckten sich vorwiegend auf Botanik und Paläontologie, daneben auch auf Zoologie, Chemie und Mineralogie; Geographie hat er nicht gehört. Die Ferien benutzte er für ausgedehnte botanische Wanderungen, von denen eine solche im Sommer 1838 kreuz und quer durch die Insel [157] Sardinien – damals noch ein kleines Abenteuer – am meisten hervorsticht; geschrieben hat er darüber aber erst nach sechsundzwanzig Jahren. Stellen wir diese studentische Italienreise mit jener Heinrich Barths in Vergleich, so erkennen wir sofort den Unterschied in der geistigen Struktur der beiden Männer. Während Barths Geistigkeit einen außerhalb seines archäologischen Fachstudiums liegenden großen Zielpunkt gewann, wurde Schweinfurth nur in seinem botanischen Sammeleifer bestärkt. In Berlin schloß Schweinfurth sich vornehmlich an die Botaniker A. Braun und P. Ascherson an und wirkte eifrig in dem Botanischen Verein für die Provinz Brandenburg, in dessen Verhandlungen damals auch seine ersten botanischen Aufsätze erschienen. Schließlich hat er mit einer Arbeit über die von R. Hartmann in den Nilländern gesammelten Pflanzen 1862 in Heidelberg promoviert. Die Arbeit trägt den Titel: "Plantae quaedam niloticae quas in itinere cum divo Adalberto libero barone de Barnim facto collegit Rob. Hartmann, cum tabulis XV" und erschien, 55 Seiten stark, bei G. Reimer in Berlin. —

Als der junge Schweinfurth in Berlin mit der Bearbeitung von Pflanzen der Reisenden Hartmann, Ehrenberg und v. Beurmann aus den Nilländern beschäftigt war, kam ihm der Gedanke, sich die botanische Erforschung dieses weiten Länderraumes als Lebensaufgabe zu erwählen. Auch der Verkehr mit C. G. Ehrenberg und Heinrich Barth, die beide dort gereist waren, wirkte in dieser Richtung anregend. Deshalb wandte der junge Doktor sich an seine inzwischen verwitwete Mutter und bat um Auszahlung der Summe von 10 000 Rubeln aus seinem Erbteil. Er empfing sie und hielt damit einen Betrag im Werte von damals etwa 30 000 Mark in Händen.

Nachdem er sich in Wien noch mit dem bedeutenden Orientbotaniker Th. Kotschy beraten hatte, fuhr er nach Ägypten, wo er Ende Dezember 1863 ankam. Das in Aussicht genommene Arbeitsfeld – die östlichen Randgebiete Ägyptens, Nubiens und des Ostsudans – waren zu jener Zeit noch wenig bereist und botanisch völlig unbekannt.

[158] Er fuhr den Nil aufwärts bis Kenneh und ging dann mit Kamelkarawane nach dem Städtchen Kosseer am Roten Meere, wo ihn der Quarantänearzt C. B. Klunzinger, der selber ein sehr gutes Buch Bilder aus Oberägypten, der Wüste und dem Roten Meere (Stuttgart 1877) geschrieben hat, gastfreundlich aufnahm. Von Kosseer segelte er im März, April und Mai 1864 in einem Boote an der Küste entlang bis Suakin, machte aber eine ganze Anzahl von Abstechern in die Küstenebene und auf die Küstenberge hinauf, wobei er eine je mehr nach Süden um so erfreulicher wachsende Fülle von unbekannten Pflanzen sammelte.

Nach gründlicher Erholung von diesen Anstrengungen segelte er im Sommer nach Kosseer zurück und begab sich über Kenneh wieder nach Kairo. Die Schönheit Kairos genoß er nach dem in einem engen Segelboote verbrachten halben Jahre voller Entzücken.

Im Januar 1865 begab er sich auf dem gleichen Wege wieder nach Suakin und ging von hier im April ins Innere nach Kassala, Metamma, Gedaref und auf dem Blauen Nil nach Chartum. Von hier marschierte er am linken Nilufer bis Berber und von da quer durch die Halbwüste nach Suakin. Die Heimreise erfolgte über Dschidda, Kairo und Wien nach Riga, wo er im Juli 1866 anlangte.

Der junge Forschungsreisende hatte seine erste Expedition durch wenig bekannte Gebiete hinter sich, freilich nicht ganz ohne gesundheitliche Schädigung, denn er brachte eine ungewöhnlich vergrößerte Milz heim, die ihm oft arges Seitenstechen bereitete; auch Malaria hatte ihn manchmal geschüttelt; aber es ist sonderbar, auf seiner zweiten Reise hat er von beidem nichts mehr verspürt. Wenn er auch die Karte durch topographische Einzelheiten bereichert, über die Begavölker manches berichtet und auf der Wanderung nach Kassala ihre alte Gräberstadt Maman entdeckt hat, so liegt doch der Schwerpunkt seiner Erfolge auf botanischem und pflanzengeographischem Gebiete. Er hat damals etwa 2500 Pflanzen gesammelt und viele neue Arten besonders in den hohen Küstengebirgen am [159=Karte] [160] Roten Meer entdeckt – am Gebel Schurba, am Gebel Abu Tjur, am Gebel Uaratab – und auch in der baumreichen Landschaft Gallabat.

Die Berichte über diese seine erste Reise (1863–1866) erschienen damals in Fachblättern, vor allem in der Zeitschrift für allgemeine Erdkunde zu Berlin, in der sie von 1865 bis 1867 etwa 140 Seiten umfassen. In einer 1868 in Petermanns Mitteilungen veröffentlichten "pflanzengeographischen Skizze der gesamten Nilländer und der Küstenländer des Roten Meeres" unternahm er es auch, eine synthetische Ausdeutung seiner und anderer Erkenntnisse zu geben – einer seiner wenigen Versuche in dieser Richtung. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dieser Reise hat er etliche jener Aufsätze – leider nicht einmal alle wichtigsten – zu dem Buche Auf unbetretenen Wegen in Ägypten zusammengefaßt und 1922 bei Hoffmann und Campe zu Hamburg im Umfang von 330 Seiten erscheinen lassen; als Ergänzung sei hier auch sein Büchlein An der Küste des Roten Meeres genannt, das 1925 herauskam.

 
Die große Afrikareise (1868–1871)

Georg Schweinfurth ließ sich nach seiner ersten Reise in Berlin nieder und arbeitete seine Beobachtungen und Sammlungen aus. Hierbei wuchs in ihm das Verlangen, seine Kenntnis der Pflanzenwelt der Nilländer weiter nach Süden ins Unbekannte hinein auszudehnen, wo noch niemals ein Botaniker gereist war. Im Abendlande wollte es ihm viel zu eng vorkommen, und er sehnte sich in die Ungebundenheit und in das Schweigen der afrikanischen Weite zurück.

Freilich fehlte es ihm diesmal an eigenem Gelde, deshalb wandte er sich an die ihm wohlgesinnten Professoren A. Braun, C. G. Ehrenberg und E. du Bois-Reymond, die ihm denn auch die für fünf Jahre zur Verfügung stehenden Zinsen der von der Kgl. Akademie der Wissenschaften verwalteten Humboldtstiftung für Naturforschung und Reisen sowie der Karl-Ritter-Stiftung der Gesellschaft für Erdkunde verschafften. Haupt- [161] aufgabe war die botanische Erforschung des Stromgebietes des Bachr el Rhasal, wo auch topographische und völkerkundliche Arbeiten ausgeführt werden sollten. Das Gebiet des Bachr el Rhasal war jener Teil der Nilländer, der damals nur ganz wenig von Europäern gestreift worden war und von dem die arabischen Sklavenjäger, die hier ihr Hauptjagdbereich besaßen, jeden Europäer fernzuhalten suchten. Hier mußte sich der Übergang von der Steppe über die Baumsawanne zum dichten tropischen Regenwalde vollziehen, und überreicher Pflanzenbeute durfte ein unternehmender Botaniker von vornherein gewiß sein.

In dieser Alleinherrschaft der Sklavenhändler, die auch die ägyptische Regierung fernzuhalten wußten, lag aber auch eine große Gefahr für das Gelingen der Reise, das von einer gütlichen Verständigung mit den arabischen Händlern abhing. Schweinfurth aber, durch seine erste Reise mit arabischen Verhältnissen gut vertraut geworden, brachte das zustande. Um nicht wie seine Vorgänger in Abhängigkeit von den Händlern zu geraten, die allein Mundvorrat und Träger beschaffen konnten, machte er sich geschickt den einzigen Punkt zunutze, wo die Händler verwundbar waren, nämlich ihre Abhängigkeit von der ägyptischen Regierung in Chartum, wo ihre Zentrale war. Er vermochte die ägyptische Regierung durch Vermittlung der preußischen Vertretung, dem Generalgouverneur des Sudans die striktesten Anweisungen zu seiner Unterstützung zu geben. Und dieser wiederum verpflichtete den bedeutendsten Sklaven- und Elfenbeinhändler, den Kopten Rhattas, eine unbedingte Haftung für Schweinfurths Leib und Leben, Hab und Gut zu übemehmen. Rhattas hatte mit seinem Vermögen für alles Unglück, das den Reisenden treffen könnte, aufzukommen, und er konnte sich wohl denken, daß der Gouverneur ihn mit Vergnügen zum armen Manne machen würde, falls seinem Schutzbefohlenen Ernstliches zustieß. Und wirklich ist der Reisende in allen Seriben oder Niederlassungen des Rhattas in Bachr el Rhasal auf das aufmerksamste aufgenommen und gefördert worden. Er erhielt ein Schiff zur Fahrt auf dem Nil [162] gestellt und durfte sich später nach Belieben allen Zügen der Leute des Rhattas anschließen. So konnte Schweinfurth gutes Mutes in das unbekannte Land aufbrechen, und in der Tat hatte er es nur seiner tiefen Einsicht in die Verhältnisse und seiner Vorsicht zu danken, daß seine Unternehmungen von Erfolg gekrönt waren. Seine Vorgänger waren stets in Abhängigkeit von den Händlern geraten, waren geldlich von ihnen ausgebeutet worden und hatten trotzdem nicht viel zu sehen bekommen.

Von seiner ersten Reise her mit ausreichenden arabischen Sprachkenntnissen ausgerüstet, trat Schweinfurth seine zweite Reise an, die ihn von Juli 1868 bis Oktober 1871 in Afrika festhielt. Für diese Reise, die drei Jahre und vier Monate dauern sollte, standen ihm 25 000 Mark zur Verfügung, eine bescheidene Summe, die denn auch ohne die Hilfe des Sklavenhändlers längst nicht ausgereicht hätte.

Zuerst fuhr er im August und September von Kairo auf dem ihm vertrauten Wege über Suakin nach Chartum; er bevorzugte diesen Umweg, weil er schneller und billiger als der Weg über Assuan und die Nubische Wüste war. Nach länger als zweimonatigem Aufenthalte in Chartum, wo er die seine Reise sichernden Abmachungen mit Rhattas traf, segelte er mit einem Nugger nilaufwärts durch die Steppe und zuletzt zwischen Papyrusdschangeln zum Unterlaufe des Bachr el Rhasal; Ende Februar 1869 langte er in der Meschra e'Rek an, dem Endpunkte der Schiffahrt.

Hier botanisierte er in der Umgebung, wartete die erforderlichen Träger ab und begab sich Ende März zu Fuß nach der Hauptseriba des Rhattas, die ihm durch etliche Jahre als Station für seine Studien und Wanderungen dienen sollte. Von hier aus hat er vor allem zwei weiter ausgreifende und wichtige Reisen unternommen.

Die erste Reise führte durch den Süden von Bachr el Rhasal und dauerte vom 17. November 1869 bis zum 13. Juli 1870, währte also acht Monate. Schweinfurth wanderte in Gesellschaft einer Sklavenjägerkarawane des Händlers Abd e'Sammaat und gelangte über Sabbi, von wo er einen öst- [163] lichen Abstecher bis zum Rohlflusse machte, über den Oberlauf des Tondsch und über den Uellefluß ins Mangbattuland, um dann auf ungefähr gleichem Wege zurückzukehren. Auf dieser Unternehmung, welche den Hauptabschnitt der ganzen Expedition darstellt, lernte er nicht nur das Negervolk der Njamnjam gut kennen, sondern entdeckte auch ein neues Negervolk und eine neue Rasse, die mit den Negern blutlich nichts gemein hat. Das neue Volk waren die Mangbattu, die eine eigenartige und ansehnliche Kultur besaßen und unter ihrem Herrscher Munsa ein selbständiges, abgeschlossenes Dasein zwischen den Galeriewäldern der Baumsawanne führten, das sie sich übrigens gelegentlich durch Menschenbraten noch mehr zu verschönen pflegten. Die neue Rasse aber waren die Pygmäen vom Völkchen der Akka, hellbraune Menschlein von rund 1,40 m Körperhöhe und großer Wildheit, die der Forscher sofort und ganz richtig zu den Buschmännern Südafrikas in Beziehung setzte. Eine dritte wichtige Entdeckung dieser Reise war die Auffindung des vorher völlig unbekannten Stromes Uelle, der nach Westen fließt und den der Wanderer für den Oberlauf des in den Tschad gehenden Schari hielt, denn man hatte damals noch nichts vom Dasein des Kongo gehört, in den der Uelle in Wirklichkeit einmündet. Immerhin hatte Schweinfurth damit die südwestliche Grenze des Nilstromnetzes erkannt. Das vierte Hauptergebnis war dann noch die Festlegung der Aufeinanderfolge von drei Vegetationsgürteln, die einander von Nord nach Süd folgen und ebendorthin mit dem Regen an Pflanzenfülle zunehmen: Dorngebüschsteppe mit Akazien – Baumsawanne von parkartigem Aussehen und mit dem Butterbaum als Leitmotiv – Galeriewälder in den Flußtälern der Baumsawanne, die schon tropische Fülle zeigen. Wäre der Wanderer noch etliche Tagereisen weiter nach Süden vorgedrungen, so wäre er in den vierten und letzten Vegetationsgürtel gelangt, den des dichten Regenwaldes, dessen Ausläufer eben jene Galeriewälder waren. Die Bezeichnung Galeriewald hat sich durch Schweinfurth in der Pflanzengeographie eingebürgert.

[164] Die zweite Reise führte im Januar und Februar 1871 nach Westen und brachte in das Gewirr der Nebenflüsse Pongo, Biri und Kuru Ordnung, so daß auch hier die Abgrenzung des Nilnetzes durchgeführt werden konnte.

Leider traf ihn in der zwischen beiden Reisen liegenden Zeit, nämlich am 1. Dezember 1870, jenes schreckliche Unglück, daß fast seine ganze Habe und ein großer Teil seiner Sammlungen und Aufzeichnungen bei dem Brande der Seriba des Rhattas verlorenging. Eingangs haben wir ihm selber das Wort darüber gegeben. Die Hauptergebnisse von 825 Tagen Reise und Arbeit waren verloren! Fast zum Bettler geworden, siedelte er nach der Seriba Kutschuk Ali über und verblieb dort bis Anfang Mai 1871. Im Frühling 1871 erfuhr er dort vom Deutsch-Französischen Kriege, aber so wenig, daß er sich kein klares Bild davon machen konnte. Zur gleichen Zeit saß Gustav Nachtigal auf nicht viel nördlicherer Breite in Kuka.

Anfang Juni 1871 trat Schweinfurth die Rückreise vom Bachr el Rhasal an und gelangte zu Schiff Ende Juli nach Chartum. Er landete hier gegen Abend in so abgerissenem Zustande, daß er, ehe er sich weiter in den Ort hineinwagte, bei einem deutschen Schneider einen Anzug beschaffte. Dann drahtete er an seine Auftraggeberin, die Kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Im August von Chartum weiterreisend, erreichte er über Suakin und Sues am 2. November 1871 Messina.

Georg Schweinfurth erschien in Europa als berühmter Mann, denn die Berichte, die er unterwegs heimgeschickt hatte – zusammen etwa 500 Druckseiten der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin – waren nicht ohne Wirkung geblieben, waren es doch eigentlich die ersten wissenschaftlich genauen und eingehenden Arbeiten aus den südlichen Nilländern. Seine botanische Ausbeute bestand in mehr als 4500 Pflanzen, die einen floristischen Querschnitt durch sechs Breitengrade im Übergang von der Steppe zum Regenwalde legten. Sonderbarerweise aber hat er diese Sammlung nie selber ausgewertet, denn außer seinem Reisewerke und etlichen [165] Aufsätzen hat er über die Pflanzenwelt von Bachr el Rhasal nichts veröffentlicht. Der Sammler begann über den schöpferischen Menschen zu obsiegen.

Das Hauptergebnis der Reise bildet sein stattliches zweibändiges Werk Im Herzen von Afrika, das 1874 bei Brockhaus in Leipzig und kurz vorher unter dem Titel The heart of Africa in London erschien.

Georg Schweinfurth war erst sechsunddreißig Jahre alt, als er den Ruhm des afrikanischen Entdeckers zu genießen begann. Von den geographischen Gesellschaften in London, Paris und Rom erhielt er sofort die goldene Medaille; die Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin aber bekam er höchst sonderbarerweise erst in seinen letzten Lebensjahren.

In London wurde er übrigens von Stanley, der von seiner "Entdeckungsreise" auf Livingstone zurückgekehrt war, in einem Vortrage wegwerfend behandelt. Stanley berichtete nämlich davon, daß Livingstone, Englands afrikanischer Liebling, den Lualaba für den Quellfluß des Nils halte, und deshalb könne der Uelle, den "a Herr of some sort" entdeckt haben wolle, gar nicht vorhanden sein.

Als Schweinfurth im Sommer 1872 im Hotel Rheinischer Hof in Berlin wohnte, fragte ihn ein ebenfalls dort abgestiegener Deutschamerikaner, Berichterstatter des New York Herald, ob er schon einen Verleger für sein geplantes Reisewerk gefunden habe. Als Schweinfurth erwähnte, daß ein deutscher Verleger ihm 600 Taler geboten habe, lachte der Fremde aus dem Dollarlande und erbot sich, einen englischen Verleger aufzutreiben, der ihm gewiß 2000 £ zahlen werde. Und so geschah es – 40 000 Mark gegenüber 1800 Mark ist doch ein erstaunlicher Abstand.

Von 1874 bis 1888 hat Schweinfurth seinen Wohnsitz in Kairo gehabt und hier ein der Arbeit gewidmetes Junggesellenleben geführt, wozu ihn eine Familienrente instand setzte. Im Jahre 1875 gründete er, von dem Ägyptologen Heinrich [166] Brugsch dem Khediven dazu empfohlen, die Société Khediviale de Géographie, die er aber nur ein Jahr lang leitete, und 1887 war er ein Jahr lang Vorsitzender des Institut égyptien. Seine Hauptarbeit aber bestand in der Ausführung einer großen Anzahl von Studienreisen und in der Verwertung ihrer Ergebnisse in zahlreichen Aufsätzen. Gleich im Jahre 1874 arbeitete er in der Oase Chargeh, wo er mit Gerhard Rohlfs, seinem Schwippneffen, zusammentraf. Von 1876 an machte er zehn größere Reisen durch die östlich und westlich des Niltals gelegenen Wüsten, wofür ihm das Preußische Kultusministerium ansehnliche Summen überwies; dreißig Routenkarten und Beschreibungen waren das topographische Ergebnis, wozu noch große Mengen gesammelter Pflanzen kamen. Im Jahre 1887 gab er zusammen mit Ascherson eine Illustration de la Flore d'Égypte im Umfange von 235 Seiten in Kairo heraus. Seine geologisch-paläontologischen Aufsammlungen füllen in Berlin vierzehn Schränke. Im Jahre 1880 durchwanderte er, immer vorwiegend botanisierend, den Libanon, 1881 die Insel Sokotra, die ihm 826 Pflanzen erbrachte, 1882 ganz Oberägypten, 1883 an Bord S. M. K. Cyklop, der dort Schiffsübungen veranstaltete, das Gestade der Libyschen Küstenplatte bis Tobruk.

Schweinfurth hatte sich in dieses unabhängige, behagliche Wanderleben so tief hineingefühlt, daß er nicht mehr davon lassen konnte. So lehnte er 1876 einen ehrenvollen Ruf auf den geographischen Lehrstuhl der Universität Leipzig als Nachfolger Oskar Peschels ab; er fühlte sich auch wohl zu sehr als Botaniker und mochte Sorge haben, den neuen Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Übrigens erhielt er 1880 vom Preußischen Kultusministerium den Titel Professor. Dagegen entsprach er im gleichen Jahre der Einladung des Königs der Belgier, die wie an Rohlfs, Nachtigal und Wissmann, so auch an ihn erging, Mitglied der Association internationale zur Erforschung und Erschließung Mittelafrikas zu werden.

Im Jahre 1882 machte er das Bombardement Alexandriens durch die englische Flotte mit durch und geriet dabei in höchste [167] Lebensgefahr, so daß er sich nur mit genauer Not vor dem arabischen Pöbel retten konnte. Es war übrigens das einzige Mal, daß er in Afrika um sein Leben fürchten mußte.

Nachdem er 1879 die deutsche Reichsangehörigkeit erworben hatte, setzte er sich eifrig, wenn auch nur theoretisch, für den deutschen Kolonialgedanken ein. Er betätigte sich in der Kolonialgesellschaft, die ihn 1886 zum Ehrenmitgliede ernannte, und errang im gleichen Jahre auf der Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte einen großen Rednererfolg, als er gegen die damals übliche Verächtlichmachung unserer ersten Kolonialpioniere eintrat. Vier Jahre darauf hielt er in der Kolonialgesellschaft bei der Rückkehr des Carl Peters von der Emin-Pascha-Expedition die Festrede. Er war dann Vorsitzender des Komitees der Petersstiftung und brachte als solcher ansehnliche Summen für die Entsendung eines deutschen Dampfers zum Viktoriasee zusammen.

Endlich im Jahre 1888, jetzt zweiundfünfzig Jahre alt, ließ er sich dauernd in Berlin nieder, wo er im alten Botanischen Garten Platz für sein riesiges Herbar und sich selber eingeräumt bekam. Diese Wohnung behielt er bis zum Abbruch des Häuschens 1909, worauf sein Herbar, das 102 Schränke füllt, im Botanischen Museum zu Dahlem in zwei Zimmern aufgestellt wurde, während er selber eine Privatwohnung mietete. Er übereignete seine Sammlung dem preußischen Staate und erhielt dafür aus dem kaiserlichen Dispositionsfonds ein Jahrgeld. Das Herbar umfaßt heute 18 000 von ihm gesammelte Pflanzen, die er selber äußerst sorgfältig getrocknet und zubereitet hat. Mit Hilfe der rigaischen Familienstiftung und des preußischen Jahrgeldes hatte er auskömmlich zu leben und konnte nach Belieben Reisen machen.

Solche führten ihn bis 1914 in jedem Winter und Frühling nach Ägypten, in den Jahren 1901, 1906 und 1908 nach Algerien und Tunisien, wobei er stets Gelegenheit fand, sein geliebtes Herbar zu ergänzen. Im Winter 1888/89 wanderte er in dem selten besuchten Jemen, wo er über 800 Nummern zusammenbrachte. Zwischen 1891 und 1894 bereiste er dreimal [168] die junge italienische Kolonie Eritrea und stellte deren enge Florenverwandtschaft mit dem gegenüberliegenden Jemen fest; mehr als 4000 Pflanzen waren die Ausbeute. In den Jahren 1902–1907 wandte er sein Augenmerk der Steinzeit Ägyptens zu und sammelte, vor allem in der Umgebung von Theben, viele Eolithen und andere altsteinzeitlich bearbeitete Quarzitsteine; an vierzig Museen und Privatleute verschenkte er Mustersammlungen. Er klärte durch diese Arbeit die bis dahin strittige Frage, ob der Mensch schon zur Steinzeit in Ägypten gelebt habe, in bejahendem Sinne. In Algerien und Tunisien brachte er fast 2500 Nummern Pflanzen zusammen. Unter den Beigaben altägyptischer Gräber bestimmte er fast 200 Pflanzenspezies; dergleichen war von den Altertumsforschern bisher kaum beachtet worden. Zu Beginn des Jahres 1914 ist er das letztenmal in seinem geliebten Ägypten gewesen.

Während des Jahres 1891 wurde Schweinfurth in den Kolonialrat zu Berlin berufen, dem er bis zu seiner Auflösung 1908 angehörte. Von da an war er Mitglied der Kommission zur landeskundlichen Erforschung der deutschen Schutzgebiete, die dem Kolonialamte Vorschläge zur Unternehmung von Studienreisen machte. Die letzte Sitzung der Kommission fand im Juni 1919 statt.

Mit dem Weltkriege begann das Leben für den damals Achtundsiebzigjährigen trüber auszusehen, denn das rigaische Legat fiel von jetzt an fort, nach dem Kriege ging er auch des kaiserlichen Jahrgeldes verlustig, und so stand Schweinfurth mit zweiundachtzig Jahren dem Nichts gegenüber, angewiesen auf die Gaben seiner Freunde und Verehrer, die ihn wenigstens vor dem Hunger schützten. Erst nach Festigung der deutschen Währung erhielt er wieder bescheidene Bezüge vom Staate.

Am 19. September 1925 ist er, neunundachtzig Jahre alt, gestorben, allgemein verehrt als der Nestor der Afrikareisenden, der aus der längst verklungenen Zeit der klassischen Entdecker in unsere Tage hineinragte. Im Botanischen Garten von Dahlem hat er die seiner würdige Ruhestätte gefunden. Nachrichten [169] über Schweinfurths Leben finden sich in seinem Buche Auf unbetretenen Wegen in Ägypten (1922) sowie im Schweinfurth-Heft der Naturwissenschaften (1926).

 
Das Charakterbild

In Georg Schweinfurth hat die klassische Zeit der Afrikareisen, die Zeit der Barth, Rohlfs und Livingstone, noch in unsere Tage hineingereicht. Sein afrikanischer Ruhm, 1870 erworben, also noch vor Stanleys Entdeckung des Kongos, war längst Geschichte geworden, und doch lebte sein Name immer noch im Munde der Gebildeten, ja er gewann von Jahrzehnt zu Jahrzehnt noch an Klang. Eine sonderbare Erscheinung. Vergleicht man Schweinfurths Entdeckerleistung, den Bachr el Rhasal, etwa mit der seines Freundes Rohlfs, so erweist sie sich rein räumlich als viel kleiner, freilich in der wissenschaftlichen Auswertung als größer. Setzt man sie aber zu jener Nachtigals in Beziehung, so verblaßt sie stark, sowohl räumlich wie wissenschaftlich. Nachtigal ist 1885, Rohlfs 1896 gestorben, beide haben zu ihrem Nachruhme von sich aus nichts weiter tun können, Schweinfurth dagegen hat bis 1925 gelebt und hat durch mehrere hundert gediegene Aufsätze dafür gesorgt, daß sein Name immer wieder in der Öffentlichkeit erschien und den Gelehrten einer ganzen Anzahl von Wissenschaften wohlgefiel. Überblickt man seine Tätigkeit von 1874 bis 1925, also eines halben Jahrhunderts, ohne Voreingenommenheit, so tritt einem da nichts Außergewöhnliches entgegen – hingebende, anständige Gelehrtenarbeit gewiß, doch sie entspricht nicht recht dem Ruhme des Sechsunddreißigjährigen. Aber Schweinfurth war bei den Fachgelehrten beliebt, regelrecht beliebt, denn er war durch seine vielen Aufsätze in deren Reihen hinabgestiegen, hatte gewissermaßen auf seine Ausnahmestellung als Entdecker verzichtet und war einer der ihrigen geworden, ohne doch durch Polemik unbequem zu werden oder gar als Nebenbuhler bei der Besetzung von Lehrstühlen lästigzufallen.

Georg Schweinfurth stammte väterlicherseits von Pfälzern, mütterlicherseits von Altmärkern ab. Diese Mischung erklärt wohl die sonderbare Gegensätzlichkeit seines Wesens, die darin [170] lag, daß er gemessene Ruhe in der äußeren Haltung mit feuriger Leidenschaft im Wesen verband. Diese innere Gegensätzlichkeit scheint nicht zur Harmonisierung gelangt zu sein, was an Einflüssen seiner baltischen Jugendumgebung gelegen haben könnte, die eine dritte Komponente zwar nicht in sein Blut, so doch in seine Entwicklung und sein Verhalten zur Welt gebracht hat.

Georg Schweinfurth
[zwischen S. 160 u. 161]      Georg Schweinfurth
Versuchen wir uns nach den vorliegenden Bildern, deren frühestes den Achtundzwanzigjährigen darstellt, ein Urteil über sein rassisches Aussehen zu machen. Dieses frühe Bild, das freilich in einem sehr schlechten Autotypiedruck vorliegt, zeigt ein schmales, weich umrissenes Antlitz mit dunklen Haaren und Augen, das keineswegs sehr deutsch wirkt. Eine französische Zeichnung des Sechsunddreißigjährigen bringt einen heroisierten Kopf mit energisch vorspringendem Kinn, kühnem Weitenblick unter gerunzelten Brauen und über gesträubtem Schnurrbart. Etliche Altersbilder des Mittsiebzigers zeigen eine z. T. gradezu wilde Energie mit tiefen Falten über der Nasenwurzel, zusammengezogenen buschigen Augenbrauen und vorgebautem Kinn. Auffallend ist hier die kurze knollige Nase, das Gestraffte der Muskulatur und Mimik trotz so hohem Alter sowie die Größe der etwas abstehenden Ohren. Ein sicheres Urteil zu gewinnen ist kaum möglich, doch will uns scheinen, daß hinter einem solchen Gesichte kein Langkopf gesessen hat, und ferner, daß sich mehrere Rassen in ihm durchkreuzten und keine ausgesprochene Harmonie des Knochenbaus und der Züge zustande kommen ließen. Den Charakter angehend, fallen Lebhaftigkeit und Willenhaftigkeit selbst noch in hohem Alter auf, in dem meistens der Lebenswille schon erloschen ist. Auch Intelligenz tritt uns entgegen, doch ohne daß sich von einer eigentlichen Vergeistigung des Antlitzes sprechen ließe. Schweinfurths Körpergröße scheint nicht unbeträchtlich unter Mittelgröße gewesen zu sein, denn er gibt einmal die Länge seines Schrittes, je nach dem Gelände mit 60–70 cm an; oder aber er ist, falls er wirklich Mittelgröße erreicht haben sollte, sehr kurzbeinig gewesen.

Schweinfurths Gefühligkeit war tief und echt, spaltete [171] sich aber in einen Gegensatz von Einspännertum und Liebenswürdigkeit. Er empfand Glück und Unglück sehr stark und kam schwer über Schicksalsschläge hinweg, so über den Tod eines Akkaknaben, den er mit nach Europa nehmen wollte und der ihm in Berber an der Ruhr wegstarb. Er schrieb damals: "Noch nie war mir ein Tod so zu Herzen gegangen wie dieser, und mein eigener Zustand wurde infolge des erlittenen Kummers derartig geschwächt, daß ich mich kaum fähig fühlte, eine halbe Stunde auf den Beinen zu bleiben, ohne die äußerste Ermattung zu empfinden." Wir müssen freilich gestehen, daß uns dies reichlich übertrieben vorkommt, aber für unsere Untersuchung läßt sich doch daraus auf ein stark ausgeprägtes Mitgefühl schließen. Er hatte ein Herz für alle Kreatur, für Mensch und Tier, und auch die Pflanzen, die er zu vielen Tausenden auf das sorgsamste wissenschaftlich behandelt hat, werden ihm seelisch sehr nahe getreten sein. Er war gutherzig und hilfsbereit, liebenswürdig und gastfrei, wobei er unter den Angehörigen der verschiedenen Völker kaum einen Unterschied machte. In Rußland aufgewachsen, aber deutsch erzogen, in Ägypten lebend und in vier Sprachen schreibend, hat er lange Zeit etwas Kosmopolitisches gehabt, doch hat sich seine Deutschheit mit den Jahren immer mehr gefestigt und ausgesprochen; im Weltkriege hat er unbedenklich die ihm von wissenschaftlichen Gesellschaften verehrten goldenen Medaillen dem Vaterlande geopfert. Treu gegenüber seinen Freunden und bescheiden trotz großer Leistung, lebte er stets in vornehmer Gesinnung und Haltung. Er kam mit allen Völkern in Güte aus und errang sich eine ausgesprochene Beliebtheit.

Schwierige Lagen, denen er entgegenging, beeinflußten sein Gemüt wohl mehr, als er merken ließ; so befiel ihn bei Antritt der ins Unbekannte führenden großen Reise in Ägypten eine sehr schwermütige Stimmung. Er schrieb darüber: "Vor mir die ungewisse Zukunft, die erprobten Tücken dieses ungastlichen Weltteils, hinter mir Europa, unerträglich, darin zu leben, ohne das gewünschte Maß meiner Forschungen gefüllt zu sehen." Doch konnte solch eine Stimmung schnell einer andern [172] Platz machen, denn schon in Sues, als er an Bord ging, wich sie unter dem Einfluß eines Ärgers und eines Scherzes einer aufgeräumteren. Mit dieser labilen Gemütslage in Verbindung stand seine hohe Empfänglichkeit für Stimmungsreize von seiten der Natur und eintretender Zufälle. In seinem großen Reisewerke hat er eine feine Kunst der Landschaftsschilderung bewiesen, die nicht nur sachlich richtig ist, sondern auch in einem starken Empfinden wurzelt und die er durch gewählte Worte auszudrücken verstand. Ebenso vermochte er sich ausgezeichnet in die Seelen fremder Völker hineinzufinden. Auch hier neigte er zu milder Beurteilung und hat manches Volk, das von seinen Vorgängern schlechtgemacht wurde, in Schutz genommen. Der Antisklavereibewegung huldigte er mit Hingebung. Er vermochte sich überhaupt leicht für etwas zu begeistern und zeigte dann im Gespräch, auch noch als ganz alter Mann, eine so feurige Leidenschaft, daß jeder Besucher ihn beglückt verließ. Sein Lebensgefühl und seine körperliche Elastizität waren bis in seine letzten Jahre bewundernswert. Noch ein Jahr vor seinem Tode schrieb er an einen Gleichaltrigen, auch das Sterben wolle gelernt sein, vorläufig aber fehle es ihm an jeglicher Vorschule dazu, so daß er mit jenem für einige Zeit um die Wette leben wolle, aber doch um den Vorzug zum Sterben bitte und sich seinem gütigen Gedenken empfehle. In der Tat eine ebenso überlegene wie witzige Stellungnahme zu Leben und Tod. Hinter seinem oft etwas grimmig aussehenden Gesicht verbarg sich überhaupt ein Schalk. Er verblüffte gern durch paradoxe Behauptungen, die den andern erschrecken und völlig irre machen konnten. So behauptete er während einer Wüstenreise auf einmal, die Läuse hätten eine große hygienische Bedeutung, indem sie unreinliche Menschen zu kräftiger Hautmassage zwängen. Wenn nun der andere ernsthaft auf solche Eulenspiegelei einging und die vorgebrachte Ansicht zu widerlegen suchte, dann freute er sich diebisch, bis er schließlich lachend das Gespräch abbrach. Gelegentlich auch fing er an, durch irgendeine komische Lage veranlaßt, Knittelverse zu reimen, die jedermann höchlichst erheiterten.

[173] Dieser mäßig lebende, bescheidene Mann ist unverheiratet geblieben und hat auch sonst durch seltsam krause Ansichten sein Einspännertum bezeugt, das aber nicht so ausgesprochen war wie etwa das Heinrich Barths. Er pflegte immer irgendein Steckenpferd im Stalle stehen zu haben, das er eine Zeitlang ritt und das stets höchst sonderbar aussah. So aß er zeitweise immer eingemachte Oliven und pries deren Fettgehalt, dann wieder kaute er ohne Unterlaß Kolanüsse, weil diese angenehm anregen. Bei allem Einspännertum hatte er aber doch Bedürfnis nach Verkehr, weshalb sein Freundeskreis ausgedehnt war.

Schweinfurths Willenhaftigkeit war ausdermaßen groß. Sie spricht sich in allen seinen Bildern aus, in dem vorspringenden Kinn, den gerunzelten Brauen, dem Ausdruck der Augen. Schon als Schüler bereitete er sich durch lange einsame Fußwanderungen auf die Anstrengungen vor, die ihn dermaleinst auf den ersehnten Forschungsreisen erwarten würden, und auch als Student gab er sich diesem Sport eifrig hin. Am bemerkenswertesten erscheint uns dabei nicht einmal so sehr der Wille zur Strapaze, als die unbeirrbare Zielsicherheit des Willens, der durch viele Jahre hindurch ein bestimmtes Berufs- und Lebensziel im Auge behält und verfolgt. Mit wie überlegtem, klar durchgeführtem Wollen hat er sein Verhältnis zu den Sklavenhändlern, die doch gewiß unabhängige und abgünstige Menschen waren, mit allen möglichen Sicherungen in die Wege geleitet und erfolgreich gestaltet! Sein Wille war stark genug, um seine Gefühligkeit dahin zu leiten, gegebenen Verhältnissen und landesüblichen Vorstellungen sich geschickt anzupassen. So vermied er bei der Abfahrt von Chartum den Mittwoch und Sonnabend, die als Unglückstage gelten, nur damit ihm die Eingeborenen später bei eintretendem Unglücksfall nicht nachsagen sollten, er habe diesen selber verschuldet; lieber verlor er etliche Zeit, als daß er das Heft aus der Hand und dem Schicksal gegeben hätte. Eine ganz zähe Energie beseelte ihn. Nach dem durch den plötzlichen Brand der Seriba veranlaßten Verlust fast seiner ganzen Habe und Arbeiten war er der Verzweiflung nahe, trotzdem aber kehrte [174] er nicht, wie die meisten getan hätten, in die Heimat zurück, sondern hielt durch, indem er seine Arbeiten mit Ersatzmitteln fortsetzte. Aus Mangel an einer Uhr zählte er fortan bei der Routenaufnahme die Schritte – eine fürchterliche Anspannung des Geistes, der Aufmerksamkeit und des Willens, ohne Unterlaß in Gefahr sich zu verzählen und über dem Zählen jedes einzelnen Schrittes andere Beobachtungen zu versäumen. Es kann dem Reisenden nicht verübelt werden, daß ihn mit dem Brande doch eine gewisse Lähmung befiel, denn der frühere Schwung war geschwächt, da er unersetzliche Verluste erlitten hatte und jede fernere Arbeit doch nur halbe Sache war. Er selber schrieb darüber: "An Stelle der Begeisterung trat die Geduld, die jedes Unglück bemeistert." Während der ersten Tagereisen, auf denen er den neuen Versuch machte, hätte er fast aufgegeben, aber dann wurde es ihm doch Gewohnheit, und er setzte seinen Willen durch. Auch sein Ehrgeiz war gewiß nicht gering, denn er legte Wert darauf, in der vorderen Reihe der Afrikareisenden zu bleiben, und seine zahlreichen Arbeiten sowie ein großer Freundeskreis sorgten dafür, daß er im hellen Blickpunkte blieb. Über Ehrungen empfand er eine reine und fast kindliche Freude, aber es scheint, daß er ihnen nicht nachgelaufen ist. Er faßte seine Stellung als eine Verpflichtung auf, die Erforschung Afrikas und besonders seiner Pflanzenwelt nach dem Maße der ihm zugeteilten Kräfte zu fördern; dem weihte er sein Leben und, ordnungsliebend wie er war, richtete und etikettierte er säuberlich alles, was damit zusammenhing. —

Georg Schweinfurths Leben vollzog sich im Dienste der Wissenschaft, dem er, abgesehen von wenigen Spätjahren, in vollkommener Sorgenfreiheit sich hingeben konnte. Im Mittelpunkte seines Denkens stand zwar die Botanik, aber sein Blick richtete sich auch auf eine ganze Anzahl anderer Wissenschaften, und sein Geist fand sich voll Gründlichkeit darin zurecht, wobei ihm ein erstaunliches Gedächtnis und damit ausgedehnte Schriftenkenntnis zu Hilfe kamen. So vermochte er Querverbindungen zwischen einer ganzen Anzahl von Wissensfächern [175] zu schlagen und sie alle irgendwie zu befruchten. Er veröffentlichte Arbeiten in vier verschiedenen Sprachen, redete gern und anregend über seine Kenntnisse und Ansichten, wobei er freilich nicht selten so schnelle und unerwartete Gedankensprünge machte, daß ein Zuhörer von weniger hurtiger Reaktionsfähigkeit ihm nicht mehr folgen konnte. Seine geistige Frische und Lebendigkeit blieb ihm bis zuletzt erhalten.

Und trotz allem Reichtum und aller Vielseitigkeit des Wissens – etwas stimmte da nicht, etwas sehr Wichtiges fehlte. Georg Schweinfurth war im Grunde kein spekulativer Kopf, er war und blieb den Tatsachen verhaftet, Botaniker, der er war. Sein Geist schweifte nicht auf die große Gesamtmenge der Erscheinungen hinaus, er faßte die Einzelheiten nüchtern und klar ins Auge. Und weiter: Georg Schweinfurth blieb zeitlebens Analytiker, wenngleich man Ansätze zur Synthese nicht wird verkennen dürfen. So kletterte er schon auf seiner ersten Afrikareise keineswegs als einseitiger Botaniker durch die Bergsteppen, o nein, er beobachtete auch andere Erscheinungen, namentlich des Tier- und Völkerlebens, und sah recht wohl das Gemeinsame, das aus sämtlichen Elementen eine Landschaft, ein Volk aufbaut. Aber diese Erkenntnis blieb doch theoretisch und ging ihm nicht in niedergeschriebene Praxis über. Er reiste nicht, um das Gesamtgebilde eines Raumes aus allen beobachteten Einzelheiten literarisch nachzuschaffen, sondern er reiste, um für einen bestimmten Großraum Rohstoffe einzusammeln, in erster Linie natürlich Pflanzen, dann aber auch Routenkarten, klimatische Ablesungen, Volksbeobachtungen, vorgeschichtliche Altertümer, stets jedoch nur das, was ihn grade besonders anzog. Aber beim Material blieb es, die gedankliche Nachgestaltung eines ganzen Raumes hat er niemals versucht. Das Einsammeln von Pflanzen für sein Herbar ist zeitlebens seine liebste und wesentlichste Beschäftigung gewesen und geblieben, aber es ist bezeichnend, daß er schon die von der großen Reise heimgebrachten 4500 Pflanzen nicht mehr selber bearbeitet, sondern nur sauber geordnet und bezeichnet hat. Es gibt kein Werk von seiner Hand, das eine schöne [176] Schilderung der Pflanzenwelt der Nilländer enthält, die er doch wie keiner sonst kannte, oder eine Völkerkunde dieses Raumes, die ebenfalls niemand in gleichem Maße beherrschte, ganz zu schweigen eine großangelegte Länderkunde der Nilländer! Als er zum ersten Male nach Ägypten reiste, ging er zwar von einer Idee aus, die fast den Eindruck einer weitgefaßten Synthese macht, nämlich die Flora der Nilländer zu erforschen und diesem Zwecke sein Leben zu widmen, aber es blieb doch in der Hauptsache beim Botanisieren. So erscheint Schweinfurth uns als ein wohl sehr produktiver, aber im Grund unschöpferischer, ungenialer Gelehrter. Was er veröffentlichte, war immer gut, aber selten bedeutend und niemals groß. Zum Unterschied von Gustav Nachtigal gelangte er nicht dazu, selbst nur über den ihm doch so vertraut gewordenen Raum des Bachr el Rhasal eine geographische Monographie in seinem Reisewerke zu bringen; über Beschreibungen der einzelnen Völker ist er nicht hinausgekommen. Obwohl er viel von Geographie verstand, so ist er doch nie ein schaffender Geograph geworden, und er scheint das selber gefühlt zu haben, als er mit vierzig Jahren die Berufung auf den geographischen Lehrstuhl der Universität Leipzig ausschlug. Er war eine Sammlernatur, die, um ihre Zwecke zu erfüllen, immer und immer erneut reisen mußte. Er sagte in höheren Jahren einmal: "Ich wurde ein Botaniker im guten alten Sinne des Wortes, und meine Muse, nicht in der Gestalt einer schwächlichen Brüterei über geschliffenen Gläsern, sang frisch und frei im großen Tempel der Natur." Hier zeigt sich, was er war und daß er gar nicht mehr sein wollte.

Unterzieht man Schweinfurths Leistungen aus der Ferne der Zeiten heraus einer kritischen Beurteilung, so bleibt nur seine zweite Afrikareise als große Leistung und damit seine Durchforschung von Bachr el Rhasal, einem Gebiete von mehr als 500 000 qkm Flächenraum. Daß von hier aus dem Weißen Nil gewaltige Wassermengen zuströmen, wies erst Schweinfurth nach, denn Speke und Baker hatten den Bachr el Rhasal noch für einen unbedeutenden Nebenfluß gehalten; ja in [177] diesem besonderen Flußgebiete wies er in 4° 35' Nordbreite die Quelle des Dschur-Sueh als die erste wirklich aufgefundene Flußquelle innerhalb des Stromnetzes des Weißen Nils nach. Sodann gelang ihm der sehr wichtige Nachweis der Wasserscheide, welche das Nilsystem im Südwesten begrenzt (gegen das Kongobecken also, von dem er aber noch nichts wissen konnte). Durch gute Kartenaufnahme seiner Reisewege hat er die Topographie von Bachr el Rhasal in ihren Grundzügen festgelegt; und durch sorgsame Beobachtung der Vegetation hat er deren Zonenfolge erkannt und geordnet, auch durch fein empfundene und gut gesehene Schilderungen das Landschaftsbild dem Leser nahegebracht; die Bezeichnung Galeriewald hat er als jetzt allgemein gebräuchlichen Fachausdruck in die Wissenschaft eingeführt. Sodann hat er als erster recht eingehende, wissenschaftlich haltbare Beschreibungen der Völker von Bachr el Rhasal (Bongo, Mittu, Njamnjam, Mangbattu, Akka) gegeben und die beiden letzteren überhaupt ganz neu entdeckt. Angesichts einer so hervorragenden Leistung können wir im Belange der Wissenschaft nur bedauern, daß seine Arbeit sich bald nach der großen Reise vom Gesamtbereiche der Nilländer auf das so viel kleinere Ägypten zurückzog. Je mehr seine in späten Jahren in den ägyptischen Wüsten gemachten Kartenaufnahmen an Verständnis für die Landform und an Feinheit der Technik gewannen, um so mehr verloren sie an Bedeutung für die große Erforschung Afrikas. Sie waren schließlich doch nur Spielereien eines berühmten Mannes, der sich von dem "Elend unserer unerträglichen Kultur", wie er sich ausdrückte, in die Einsamkeit und Weite der Wüste zurückzog.


Mehr aus unserem Archiv:

Georg Schweinfurth. Biographie von Richard Huelsenbeck.








Unsere großen Afrikaner
Das Leben deutscher Entdecker und Kolonialpioniere

Ewald Banse