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Die geistige Besitzergreifung

Karl Mauch

Die beiden Weißen ließen ihre farbigen Begleiter weit zurück, als sie den Berg erstiegen. Render, der aus Transvaal entwichene Übeltäter, der aber wenige Tage vorher dem Forschungsreisenden das Leben gerettet hatte, wies lächelnd [178] hinunter: "Sie trauen sich nicht recht herauf, denn dieser Berg ist für sie ein Ort böser Zauberer."

Schließlich aber standen die Schwarzen doch neben den beiden Weißen auf der kahlen Kuppe, und plötzlich zeigte der eine mit dem elfenbeinberingten Arme gen Osten und flüsterte mit belegter Stimme: "Dort hinten, ganz in der Ferne, jener kleine Hügel, da stehen große Mauern, die sind voreinst von weißen Männern gebaut. Das ist Simbabje."

Wie verzaubert hingen die Augen des weitgewanderten Forschers an jenem winzigen hellen Punkt. Simbabje – sollte das aller Mühen und Plagen und Durste und Schmerzen endlicher Lohn sein? Klopfenden Herzens kehrte er in des Häuptlings Pika Kraal zurück, auf nichts mehr bedacht, als zu jenem fernen Hügel zu gelangen.

Am übernächsten Tage wanderte er dahin. Und dann genoß er die Freude des Entdeckens tiefer und glückflutender als jemals bei seinen Aufnahmen oder bei der Auffindung der ersten Goldfelder Südafrikas. Uralte steinerne Ringbauten mitten in Afrika, wo die Eingeborenen nichts als Hütten aus Reisig, Schilf und Stroh zu errichten verstanden!

Da ragte ein Hügel aus Granit empor, die schrägen Hänge nur dürftig mit Busch bestockt, und oben lief um seine Krone eine 9 m hohe dicke Ringmauer, innerhalb deren sich die Mauerreste eines Gebäudes und Ansätze unterirdischer Gänge fanden. Auch eine Höhle war da, in der eine in zwei Teile zerbrochene Steinschüssel lag.

Am Fuße des Berges erhoben sich die Reste eines eirunden Baues von 137 m Länge mit Mauern, die 7,20 m hoch waren. Im Innern standen noch andere Mauern und dazwischen ein kegelförmiger Turmbau von 9 m Höhe. Hügelwärts lagen Mauerreste viereckiger Gebäude. Inschriften waren nicht zu entdecken, wohl aber etliche geometrische Muster und ein paar steingemeißelte Vögel.

Ein dort hausender alter Neger, der einzige Bewohner der einsamen Stätte, erzählte, noch vor einem Menschenalter habe hier alle paar Jahre geheimer Gottesdienst stattgefunden, zu [179] welchem Menschen von weither gepilgert seien. Sein Vater sei der letzte Priester gewesen.

Der Forscher, von seiner Seminarzeit her bibelgläubig, war sofort der Überzeugung, die Ruine auf dem Berge stelle eine Nachbildung des salomonischen Tempels dar, und jene in der Ebene eine solche des salomonischen Schlosses. Und daraus folgerte er, daß dies die Stätte des in der Bibel genannten Landes Ophir sein müsse, von wo die Phönizier und Israeliten große Mengen von Gold geholt haben sollen.

Er war unsagbar glücklich über die Entdeckung und vermeinte, daß er von all seinen Erfolgen auf sie allein stolz sein könne. Auch Carl Peters bekannte sich dreißig Jahre nachher ebenfalls zu dieser Beantwortung der Ophirfrage.

Spätere eingehende Untersuchungen haben gezeigt, daß es in jenem Teile Afrikas noch viele andere ähnliche Bauten gibt. Und man glaubt jetzt eher daran, daß sie alle in dem einstmals blühenden Negerreiche Monomatapa errichtet worden und höchstens tausend Jahre alt sind. Es dürfte sich in der Hauptsache um steinerne Kraale handeln.

 
Ein tragischer Lebensgang

Haben wir in Barth und Rohlfs, in Nachtigal und Schweinfurth Männer kennengelernt, die zu großen Erfolgen und damit auch zu allgemeiner Anerkennung gelangten, so tritt uns in Mauch ein Unglücklicher entgegen, der sich unter gewaltigen Anstrengungen und ungeheueren Entbehrungen aus dem Dunkel emporkämpft und in dem Augenblicke, da er die Höhe erklommen hat, für seine Person in ein Dämmerlicht zurückgleitet, das schnell gradezu zu düsterm Vergessen wird. Dieses kurze Leben wird ausgefüllt von Eifer zur Leistung, von Ertragen unvorstellbarer Mühsal, von schlichter Arbeit um geographische Erkenntnis des weiten Länderraumes zwischen Vaal und Sambesi, dem er die erste kartenkundliche Grundlage gab und in dem er, die ersten Goldfelder entdeckend, den Weg zu einer gewaltigen Goldausbeute wies, von welcher ihm kein einziges Körnchen in die Hände rollte. Ein tragisches Leben, dem seine Landsleute die mit eiser- [180] nem Fleiß durchgeführte Leistung mit Unverständnis und Vorenthaltung selbst einer bescheidenen Lebensstellung vergalten, weshalb er vorzeitig aus dem Leben schied, ein unvollendetes Werk zurücklassend.

Karl Mauch wurde am 7. 5. 1837 zu Stetten im Tale des rechten Neckarnebenflusses Rems im württembergischen Oberschwaben geboren. Der Vater, dem Unteroffizierstande angehörend, war eine biedere, tiefreligiöse Natur, die Mutter war lebensfroh und als Kasernenmutter bei den Soldaten beliebt. Der Knabe wuchs in sehr bescheidenen Verhältnissen auf und wurde in seinem zwölften Lebensjahre nur deshalb auf die Ludwigsburger Realschule geschickt, weil die Lehrer sich bei den Eltern für den begabten Sohn dafür einsetzten. Fast immer den ersten Klassenplatz behauptend, ging er Ostern 1854, ohne daß eine Prüfung von ihm verlangt wurde, auf das Lehrerseminar in Gmünd. Auch hier war er weitaus der beste Schüler und zeichnete sich vor allem in Mathematik und Naturkunde, in Grammatik und Musik aus.

Im Herbst 1856 kam er als Hilfslehrer an die Stadtschule zu Isny. Hier aber, in seinem zwanzigsten Lebensjahre, zeigte sich, daß Neigung und Beruf ihm auseinandergingen. Sein Unterricht litt unter dem Eifer, mit dem er sich privaten Studien in Sprachen und Mathematik hingab, so daß er unter Aufsicht eines älteren Lehrers gestellt wurde. Um freier zu sein und einen Blick in die Welt tun zu können, bewarb er sich 1858 um Hauslehrerstellen, die er zuerst in Teschen und dann in Marburg i. St. antrat. In Marburg blieb er zwei Jahre lang und trieb eifrig Studien, die ihm für Forschungsreisen wichtig zu sein schienen. Er sammelte Gesteine, Pflanzen und Kerbtiere, lernte Englisch und Arabisch, las Reisewerke sowie Petermanns geographische Mitteilungen und suchte sich sogar ärztliche Kenntnisse anzueignen.

Mauchs württembergische Vorgesetzte sind gewiß von dieser Wendung seiner Laufbahn enttäuscht gewesen, aber in Wirklichkeit handelte es sich gar nicht um eine solche, sondern um den Durchbruch seines eigentlichen Wesens und Strebens, das [181] sich nicht im Einerlei der Volksschule wollte verschütten lassen. Die erste Anregung zu Entdeckungsreisen hatte die Afrikakarte in einem Schulatlas geboten, den der Zehnjährige zu Weihnachten bekommen hatte; die Leere innerhalb des einförmigen Küstenumrisses reizte seine Phantasie, und er hätte gar zu gern gewußt, was es dort wohl zu sehen gab. Später kannte er nichts Schöneres und Aufregenderes als das Lesen von Reisebeschreibungen, in denen die Jagdabenteuer natürlich am stärksten fesselten. Und mit fünfzehn Jahren war er schon so weit gelangt, daß ihm der Beruf des Afrikareisenden als die selbstverständliche und nie mehr aus den Augen verlorene Erfüllung seines Lebens galt. Wenn er auch keinem Menschen davon zu sprechen wagte, so stand dieser Entschluß doch für ihn persönlich fest und sicher. Es ist bewundernswert, mit welcher Zähigkeit er ihn entgegen allen Hindernissen zur Ausführung gebracht hat. Schon früh sagte er: "Wenn ich fortkomme, sieht man mich so bald nicht wieder."

Von Marburg nach Trient gereist, richtete er im September 1863 ein Gesuch an die württembergische Schulbehörde um Entlassung, da er sich als Lebensaufgabe den Dienst der Wissenschaft erkoren habe und eine Expedition nach Innerafrika unternehmen wolle. Die Entlassung ward ihm unverzüglich, freilich nur unter der bitteren Bedingung der Rückzahlung der für seine Berufsausbildung dem Staate erwachsenen Unkosten im Betrage von 235 Gulden.

Karl Mauch war sechsundzwanzig Jahre alt und arm wie eine Kirchenmaus, als er alle Bindungen zerschnitt und entschlossen auf sein Lebensziel lossteuerte. Es war nicht Leichtsinn, sondern wohl die innere Angst, das Leben könne entrinnen, ehe er seinen großen Traum in Wirklichkeit umgesetzt und die Leistung vollbracht habe, zu der er sich berufen fühlte.

Aus einer in Kairo erhofften Stellung wurde nichts. Darauf begab der Abenteurer sich nach London und weilte hier fünf Monate lang, trotz bitterster Armut bestrebt, im Britischen Museum, im Tier- und Pflanzengarten sein Wissen zu erweitern. Dann lag er ein Jahr lang, wohl als Matrose, auf [182] See, und schließlich im Januar 1865 gelang es, das heißersehnte Afrika in Durban zu betreten.

 
Siebeneinhalb Jahre Afrika (1865–72)

Der Erdteil seines Herzens empfing ihn wenig freundlich, denn Mauch entging vor der Landung mit genauer Not einem Schiffbruch – ein schlechtes Vorzeichen. Und in der Tat begann sofort ein hartes Leben, Kampf um das tägliche Brot und eine klägliche Unterkunft.

Zuerst machte er drei Wochen lang in einer kleinen deutschen Siedlung Landarbeit, ohne Entgelt, aber mit wachsender Verzweiflung. Dann wanderte er mit seinem Bündelchen Habseligkeiten landein nach Pietermaritzburg, wo er fast zweieinhalb Monate in irgendwelcher Beschäftigung verblieb. Aber die Gegend war schon vermessen und bot seinem Forscherdrange nichts. Als er deshalb Gelegenheit fand, mit einem Ochsenwagen nach Rustenburg und damit in das noch wenig bekannte Hochland jenseits des Vaals zu gelangen, verließ er Ende April Pietermaritzburg sofort. Auf der sechsundfünfzigtägigen Wanderung über eine Strecke von etwa 650 km bemühte er sich schon eifrig um die Erkundung des Landes, um durch Heimsendung von Wissensmaterial eine Unterstützung zu erlangen. Hatte er doch inzwischen eingesehen, daß er durch seiner Hände Arbeit viel zuviel Zeit brauchen würde, um Geld zu Reisen zu verdienen. In Rustenburg hielt er sich sieben Wochen lang auf und begab sich dann südwärts nach Potchefstroom, hier wie dort eifrig bemüht, die Umgegend kennenzulernen.

Im Mai 1866 trat Mauch seine erste Forschungsreise an, auf der er freilich nur einen Taschenkompaß als einziges Instrument besaß. Er schloß sich dem bekannten Elefantenjäger Hartley an. Sie brachen von der mittwegs Rustenburg und Pretoria gelegenen Hofstelle Hartleys auf und zogen mit Ochsenwagen nordwärts über das Veld, teilweise am Krokodilfluß abwärts, setzten über den Limpopo und gelangten schließlich über die Wasserscheide zwischen Limpopo und Sambesi nach Maschonaland, wo sie in 17° Breite umkehrten, um [183] auf ungefähr gleichem Wege zurückzuwandern. Im Januar 1867 langten sie wieder in Hartleys Hofstelle an. Die zurückgelegte Wegstrecke betrug mehr als 3500 km, sie war so gut wie ganz unerforscht und ist von Mauch erstmalig aufgenommen worden.

Von März bis Dezember 1867 unternahm Mauch in Hartleys Begleitung nochmals einen Zug dorthin auf ziemlich gleichem Wege und versuchte seine Anschauung vom Lande wesentlich zu vertiefen. Diesmal entdeckte er drei Goldfelder, zwei in Maschonaland und eins im Tatigebiet; es war das erste Gold, das in Südafrika gefunden wurde. Er fuhr dann nach Pietermaritzburg und erstattete der Behörde Bericht. Damit wurde die Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam, und es bildete sich eine Gesellschaft, die er dorthin führen sollte. Unser Landsmann aber – verzichtete, denn er wollte Forschungsreisen machen, nicht Gold suchen. Außerdem fand er Geld vor, das aus der Heimat für ihn angekommen war. Ein schon nach der ersten Reise unternommener Versuch, durch Anfertigung einer Karte von Transvaal – eigentlich die erste Karte des jungen Freistaates – etwas Geld zu verdienen, schlug fehl, da die in Kapstadt vorgenommene Vervielfältigung so schlecht ausgefallen war, daß die Karte nicht in den Handel gegeben werden konnte.

Das für Mauch eingetroffene Geld, 3460 Mark, war durch einen von dem gothaischen Kartographen und Redakteur August Petermann zugunsten des Reisenden veranstalteten Aufruf zusammengekommen. Jetzt endlich sah er sich in die Lage versetzt, einige wissenschaftliche Instrumente anzuschaffen, und zwar bestanden diese in der Hauptsache aus einem Taschensextanten mit künstlichem Horizont zur Vornahme von Breitenbestimmungen und einem guten Peilkompaß.

 
Die vier Hauptreisen

Seine vier Hauptreisen hat Mauch in den Jahren 1868–72 ausgeführt. So haushälterisch er auch mit dem Gelde umging, lange konnte es nicht reichen, deshalb blieben es im ganzen doch Jahre der Entbehrung und der Plage. Aber [184] sie waren äußerst lichtbringend für die karten-, länder- und völkerkundliche Erkenntnis des weiten Raumes zwischen Vaal und Sambesi, also Transvaals und Südrhodesiens, die beide erst durch Mauchs Arbeiten wissenschaftlich erschlossen wurden.

Die dritte Reise dauerte vom Mai 1868 bis zum Juni 1869 und bewegte sich durch den Osten Transvaals sowie bis ins Matabeleland. Es war z. T. ein langer Kampf mit Hunger, Durst und Ermüdung in einer ungewöhnlich trostlosen Trockenzeit, infolge deren großer Mangel an Wild und deshalb auch an Kost herrschte. Nicht selten dünkte dem Wanderer ein Stückchen Büffelfell ein köstlicher Leckerbissen. Mauch ging nämlich nicht wieder mit Hartley, sondern ganz allein, weil er neue Wege kennenlernen und auf der Suche nach altägyptischen Ru- [185] inen, von denen geredet wurde, bis zum Gleicher vordringen wollte. Nachdem er sich von Pietermaritzburg über Potchefstroom nach Pretoria begeben hatte, trat er am 10. Juli 1868 seine Wanderung an – zum erstenmal mit ein paar Schwarzen und zwei Tieren – und ging nach Nylstroom, mußte hier aber umkehren, da zwischen Buren und Kaffern Krieg ausgebrochen war. Dann wandte er sich von Pretoria ostwärts zu den Drakensbergen bis nach Lydenburg, in dessen Nähe er ein Steinkohlenlager entdeckte. Von dort führte der Weg über den Olifantfluß und den Limpopo zur Quelle des Bubyeflusses, wo er von Kaffern gefangen und als Spion verdächtigt wurde; sie ließen ihn schließlich frei, verboten ihm aber die Weiterreise über Injati, das heutige Bulawayo, hinaus. Nach längerem Aufenthalt in Injati, den er zum Studium der Gegend und der Matabele benutzte, kehrte er im Mai und Juni 1869 auf der ihm von den beiden ersten Reisen bekannten Fahrstraße nach Potchefstroom zurück.

Die vierte Reise trat Mauch Ende September 1869 an, nachdem er die jüngst erschlossenen Diamantfelder in der Gegend des jetzigen Kimberley besucht hatte, in seiner Hoffnung auf schnellen Gewinn aber enttäuscht worden war. Die eigentliche Forschungsreise, die er wieder in Potchefstroom begann, führte nordwärts zum Witwatersrand, dessen erst später festgestellter Goldreichtum ihm verborgen blieb, dann nach Nylstroom und zu den Zoutpansbergen. Nach topographisch sehr erfolgreicher Tätigkeit langte er Ende Dezember wieder in Potchefstroom an. Im Januar 1870 versuchte er zum zweiten Male sein Glück in den Diamantfeldern, doch blieb auch diesmal ein Erfolg aus.

Die fünfte Reise unternahm Mauch im Auftrage der Transvaalregierung und der portugiesischen Kolonialbehörde von Februar bis Oktober 1870 von Pretoria aus an die Delagoobai und nach Lourenço Marques, um Grenzvermessungen auszuführen. Hier in dem heißfeuchten Küstenlande erlitt er seine ersten Malariaanfälle, die ihn längere Zeit quälten.

Die sechste Reise war sehr kurz und fiel in den Dezember 1870 und Januar 1871. In dieser Zeit nämlich führte Mauch [186] eine Bootsfahrt auf dem Vaal aus, und zwar von südlich Potchefstroom bis zur Mündung des Mooi bei Hebron in Nähe der Diamantfelder. Er benutzte ein kleines ungefüges Flachboot, mit dem er in mühsamster Arbeit die dreiunddreißig Schnellen des Flusses überwand. Es war das erstemal, daß der Vaal befahren wurde, und das Ergebnis war die Feststellung der Unschiffbarkeit des Flusses. Mit Diamanten hatte er auch bei einem dritten Versuche kein Glück.

Nachdem Karl Mauch nunmehr Transvaal genau kennengelernt hatte, wollte er es verlassen und seine Forschungen weit nach Norden hinaus verlegen. In diesem Sinne trat er seine siebente und letzte Reise in Afrika an, die von Ende Mai 1871 bis Juli oder August 1872 währte. Von Botschabelo fuhr er mit einem Wagen nach Matlala und wanderte von dort zu Fuß nach Abbasini, von wo er mit einigen Negern zum Limpopo marschierte. Dann durchquerte er das Gebiet zwischen Limpopo und Sambesi, das er schon auf den beiden ersten Reisen im Westen kennengelernt hatte, jetzt im Osten, und erschloß damit völliges Neuland. Knapp mittwegs der beiden Strome, bevor er den Sabifluß überschritt, geriet er in Gefangenschaft von Negern, aus der ihn aber ein Buer namens Render befreite. In dessen Gesellschaft brachte er in Pikas Kraal die Zeit vom September 1871 bis Mai 1872 zu und lernte währenddessen u. a. die Ruinen des unfernen Simbabje als erster Europäer kennen. Ende Mai 1872 endlich verließ er Pikas Kraal und zog weiter durch Südrhodesien, entdeckte ein Goldfeld, das er nach dem alten Kaiser benannte, und gelangte schließlich über Makombes Stadt an den Sambesi oberhalb von Senna, von wo aus er im Juli 1872 den portugiesischen Hafen Quelimane erreichte.

 
Die letzte Frist

Karl Mauch langte, von Malaria geschüttelt, abgerissen und völlig mittellos in Quelimane an. Er war zermürbt, und er sehnte sich nach der Heimat. Afrika lag hinter ihm, und damit die siebeneinhalb wichtigsten Jahre seines kurzen Lebens. Er war müde geworden, und es verlangte ihn wohl, [187] nunmehr sich der wissenschaftlichen Welt Europas ausführlicher mitzuteilen, als er bisher in kurzen Aufsätzen getan hatte.

Aber wie die Ankunft in Afrika, so stand auch der Abschied von ihm unter einem düsteren Sterne. Mauch besaß keinen Pfennig Geld und mußte den Kapitän eines französischen Seglers bitten, ihn ohne vorherige Bezahlung des Fahrpreises mitzunehmen; und der Franzose ging, ein Jahr nach verlorenem Kriege, darauf ein. Die Entdeckung von Goldfeldern hatte dem Reisenden ebensowenig Mittel zum Leben eingebracht wie seine geographische Arbeit.

Nach einer langen Schiffsreise kehrte Mauch im Januar 1872 nach Deutschland zurück, einem Deutschland, das inzwischen die Einigungskriege durchgemacht, die Franzosen geschlagen, einen Kaiser erhalten hatte und das nunmehr Geld umsetzte in einem Maße, das vorher unvorstellbar gewesen war.

Zuerst besuchte der Heimkehrer seinen Gönner Petermann in Gotha und dann seine Eltern in Camburg bei Hall. In Stuttgart hielt er drei Vorträge über seine Reisen und machte sich damit seiner engeren Heimat bekannt. Der König empfing ihn und bewilligte die einmalige Gabe von 800 Gulden.

Dann aber ließ sich alles schlecht an. Mauchs Bemühungen um eine staatliche Anstellung, etwa am Kgl. Naturalienkabinett, blieben erfolglos, da er kein akademisches Studium aufzuweisen hatte. Deshalb war er froh, eine von Dr. Otto Kuntze geplante botanische Studienreise nach Westindien mitmachen zu können. Man fuhr von Bremerhaven im Februar 1874 nach St. Thomas, Trinidad und Caracas, wo man sich aber wegen Unstimmigkeiten trennte. Schon im Juni kehrte Mauch wieder heim.

Was nun? Der Staat kümmerte sich nicht im geringsten um ihn. Schließlich erbarmten sich die Besitzer einer Zementfabrik in Blaubeuren, die Brüder I. und G. Spohn, des Bedauernswerten und beschäftigten ihn auf ihrem Büro.

Damit sah Mauch sich in die Lage versetzt, einen zusammenfassenden größeren Bericht über seine afrikanischen Reisen zu schreiben. Er erschien Ende 1874 unter dem Titel Karl Mauch's [188] Reisen im Innern von Süd-Afrika 1865–1872, und zwar als Ergänzungsheft von Petermanns Geographischen Mitteilungen bei J. Perthes in Gotha. Es ist sein erstes und einziges Buch geblieben, und der Umfang ist mit 52 Quartseiten recht bescheiden.

Mauch muß das letzte Jahr seines Lebens in einer tiefen Verbitterung verbracht haben, eingesperrt in einen engsten Kreis, aus dem er keinen Ausweg zu finden vermochte. Dazu plagten ihn Leberleiden, Asthma und Rheuma, weshalb er an Schlaflosigkeit litt. So bleibt nicht mehr viel zu vermelden. Am frühen Morgen des 27. 3. 1875, einem dem Karfreitage folgenden Tage, fand man ihn auf der Straße vor dem Bahnhofsgebäude liegen, in dem er ein Zimmer des zweiten Stocks bewohnte. Das offenstehende Fenster verriet, daß er während der Nacht heruntergestürzt war. Die Wirbelsäule, das Hinterhauptsbein, das rechte Schläfenbein und mehrere Rippen waren gebrochen. Nach Stuttgart ins Ludwigskrankenhaus überführt, ist er am 4. 4. 1875 im Delirium gestorben, seines Alters erst achtunddreißig Jahre.

Er wurde auf dem Pragfriedhofe in Stuttgart beigesetzt. Daß der König der armen Mutter durch einen Lakaien ein Beileidsschreiben übersandte und daß bei der Beerdigung das Ministerium und die Technische Hochschule vertreten waren, hat die Unterlassungssünde, die man an dem lebenden Afrikareisenden begangen hatte, dem toten nicht wettgemacht.

 
Das Charakterbild

Ebenso früh wie Barth und Schweinfurth hat Mauch seinen Lebensweg zum Afrikareisenden betreten, aber sein ganzes Dasein stand unter einem ungünstigen Stern. Er war und blieb immer Autodidakt, aber wenn er auch als Forscher vom Dilettanten zum Fachmann emporstieg, so blieb er dem Leben gegenüber doch Dilettant, der Schwierigkeiten im Bereiche der Widerwärtigkeiten zwar zu überwinden vermochte, der aber das große Auf und Ab des Daseins nie zu meistern verstand. In ängstlichem, um nicht zu sagen kleinlichem Bemühen, nicht von seinem wissenschaftlichen Ziele abgebracht [189] zu werden, ging er der großen Gelegenheit, sein Dasein auf wirtschaftlich gesunde Füße zu stellen, aus dem Wege, indem er es nach seiner zweiten Reise ausschlug, an die Spitze einer Gesellschaft zur Ausbeutung der von ihm entdeckten Goldfelder zu treten. So anerkennenswert es vom geistigen Standpunkte aus zu sein scheint, daß er sich dem Geldmachen versagte, aus größerer Schau gesehen hätte er seiner Forscherarbeit doch mehr gedient, wenn er in etlichen Jahren so viel Geld verdient hätte, um reisen, arbeiten und leben zu können. Indem er groß zu sein glaubte, war er klein. Drei Jahre an der Spitze einer Goldminengesellschaft zu stehen, wäre besser gewesen als später ein Jahr kleiner Angestellter einer Zementfabrik, zu früher Tod und eine unvollendete Lebensarbeit.

Karl Mauch.
[zwischen S. 176 u. 177]      Karl Mauch
Betrachten wir Mauchs Kopf, so erblicken wir, soweit der blonde Vollbart eine Analyse erlaubt, ein biederes, ehrenfestes Gesicht von eindeutig fälischer Rassenprägung, blauäugig, etwas dicklich und geistig noch nicht recht durchgearbeitet, da der Dargestellte wohl erst Mitte Dreißig war. Der Körper war hochgewachsen und breitgebaut, dazu von bedeutender Muskelkraft und gewandt in turnerischen Übungen. Sonderbar ist freilich, daß er als Einundzwanzigjähriger bei der Musterung als "bedingt untüchtig" bezeichnet wurde. In Afrika aber erwies er sich als allen Strapazen, denen er sich als Einzelgänger und mit seinem ganzen Gepäck auf dem Rücken unterzog, trotz kümmerlicher Ernährung als hervorragend leistungsfähig. Er stammte aus dem Bauerntum am Nord- und Südrande der Baar, aus der Gegend von Rottweil und Tuttlingen, offenbar aus einem kernigen Geschlecht.

Der Grundzug von Mauchs Gefühligkeit war die schlichte Einfalt eines in sich beruhenden fälischen Menschen. In Gestalt einer tiefen Frömmigkeit gab sie ihm den inneren Halt im Unglück und befähigte ihn zum Ausharren. Eine ausgesprochene Harmonie der Empfindungen beseelte ihn und ließ ihn schon von seiner älteren Knabenzeit an als gefestigte Persönlichkeit mit einer nachtwandlerisch sicher erkannten Lebenslinie erscheinen. Er nahm das Leben schwer, wühlte und bohrte sich in die [190] Probleme, die es ihm stellte, hinein, faßte die Dinge sachlich ins Auge und wußte mit den unmittelbaren Gegebenheiten zu rechnen. Diese Art fühlt sich der Natur eng verbunden und liebt es, ihr durch Wandern so nahe wie möglich zu kommen, wie denn sein Leben eigentlich als eine einzige große Wanderung dahinrann. Mit Vorliebe trug er draußen eine Blume zwischen den Lippen; dies war so bezeichnend für ihn, daß man noch dem Toten, als er in den Sarg getan wurde, eine Blüte auf den Mund legte.

Er war ein großzügiger und edel gesinnter Mensch, ohne Falsch und vollkommen uneigennützig, wie allein sein Verzicht auf die Ausbeutung seiner Goldfelder zeigt. Sein Ich galt ihm gegenüber der wissenschaftlichen Forschung nichts, ohne Besinnen setzte er Leib und Leben dafür ein. Seine ideale Gesinnung befähigte ihn, der gewiß frei von Leichtsinn war, ohne einen Pfennig Geld nach Afrika zu gehen und dort alle Mühsal und Plage tapfer durchzustehen. Dabei war er durchaus kein finsterer und abweisender Mensch, sondern lustig, musik- und gesangliebend, ein anregender und beliebter Gesellschafter, der von ausgestandenen Mühen und Plagen mit köstlichem Humor zu erzähhlen wußte.

In diesem einfachen und gutmütigen Menschen nun lebte eine nicht zu zerbrechende Willenhaftigkeit. Seit seinem fünfzehnten Lebensjahre stand ihm als Ziel die Tätigkeit eines Afrikareisenden unverrückbar fest. Zu diesem Zwecke war er ein fleißiger Schüler, trotzdem ihm in seiner Seminarzeit schon klar war, daß er kein Lehrer werden wollte. Später befliß er sich des Erwerbes kaufmännischer und sprachlicher Kenntnisse, weil er sich Nutzen davon versprach, leichter nach Afrika zu gelangen. Dieses Verlangen trieb in dem immer noch durch Armut Behinderten wunderliche Blüten; so nahm er beim Schlafengehen Ringelnattern mit ins Bett, um sich an Schlangen zu gewöhnen! Als er sich einmal auf dem Schulwege verspätet hatte, überkletterte er schnell entschlossen die Stadtmauer, weil ihre Umgehung zu viel Zeit gekostet haben würde. Während seines Aufenthaltes in Marburg unternahm er Fußwanderungen von [191] 40–50 km am Tage zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter, oft ohne etwas zu essen und zu trinken. Um überhaupt nach Afrika zu gelangen, heuerte er schließlich als Matrose an, und drüben in Afrika nahm er es als selbstverständlich hin, daß er zu Fuß gehen und seine Ausrüstung auf dem Rücken schleppen mußte – in Hitze und Kälte, bei Hunger und Durst. Da geschah es denn auch nicht selten, daß er auf den einsamen Burenhöfen als abgerissener Stromer von der Schwelle gejagt wurde und die Nacht draußen im Regen zubringen mußte, durchnäßt und zähneklappernd. Eine Nacht überstand er nur auf einem Baume hockend, während unten Löwen umgingen. Er schrieb selber: "Auf solche Weise ein Land zu erforschen, ist schlimmer als Zuchthausarbeit."

Wer derart reisen mußte und trotzdem den Mut nicht verlor, der hatte die Willensprobe wahrlich bis zum Letzten bestanden, den konnte nichts mehr schrecken. Ein gewaltiges Selbstvertrauen und eine alles überwindende Leidenschaft zum Forschen beseelten ihn und machten dem Sechsundzwanzigjährigen den Entschluß leicht, ohne Geld und ohne Hilfsmittel nach Afrika zu gehen. In dem Verlangen, etwas Tüchtiges zu leisten, setzte er alle Rücksichten einer kleinlichen Lebensvernunft hintan. Er verlor niemals den Mut, selbst in den schlimmsten Lagen – Not oder Gefangenschaft – belebte ihn die Zuversicht, daß es doch einmal besser gehen müsse. Eiserne Ausdauer befähigte ihn, sein gestecktes Hochziel nicht eine Sekunde lang aus den Augen zu verlieren. Als er aus der Heimat etwas Geld erhielt, verzichtete er sofort auf die verheißungsvolle Ausbeute seiner Goldfelder, um ja nicht von seiner wissenschaftlichen Arbeit abgelenkt zu werden. Daß seine Armut ihn verhinderte, noch mehr zu leisten, als er unter Entbehrungen geleistet hat, lag außerhalb seines Willens. Er war eine Entweder-Oder-Natur, wie er schon 1863 in seinem an die württembergische Schulbehörde gerichteten Entlassungsgesuch schrieb: "... ich kenne hierin nur das aut–aut: entweder für dieses erhabene Ziel zu leben oder aber für die Welt abzusterben."

Bei der Frage nach Mauchs Geistigkeit und Leistungen [192] müssen wir davon ausgehen, daß er über die Schulbildung eines Realschülers und Seminaristen verfügte, die er durch Selbstlernen nach der mathematischen, naturwissenschaftlichen und sprachlichen Seite ergänzt hatte. So sah er sich in Südafrika in der Lage, nicht nur Wegaufnahmen mit Kompaß und Uhr, sondern astronomische Breiten- und Längenbestimmungen sowie geologische Untersuchungen zu machen, Anforderungen, denen Barth, Rohlfs und Nachtigal teilweise nicht in dem Maße gewachsen waren. Man kann diese seine Leistungen wirklich nur bewundern, mögen seine Breiten auch nicht den letzten Ansprüchen genügen. Er wurde von einer unbändigen, geradezu fanatischen Liebe zur Wissenschaft beseelt und ging mehr als mancher Gelehrte im wissenschaftlichen Denken auf; dies beweist schlagend sein Verzicht auf Ausbeutung der Goldfelder.

Sein Reise- und Arbeitsgebiet umfaßte den ganzen Südosten Afrikas vom Vaal bis zum Sambesi. Hier hat er in siebenjähriger harter Arbeit die astronomischen, topographischen und geologischen Grundlagen der Karte geschaffen, die eine spätere Zeit dann ausgebaut hat; das Land zwischen Limpopo und Sambesi, das heute den Namen Südrhodesien trägt, hat er überhaupt als erster wissenschaftlicher Beobachter, und zwar viermal durchwandert. Daß der weiße Fleck, der zur Zeit seiner Ankunft in Afrika den weiten Raum zwischen Vaal und Sambesi auf der Karte einnahm, von Punkten und Linien durchgittert erschien, als er Afrika verließ, das ist in allererster Linie Mauchs Verdienst. Gewiß, er ist kein Vollender geworden, sondern nur ein Vorläufer geblieben, aber er begnügte sich nicht damit, einzelne Reisewege zu erkunden, sondern strebte nach Schaffung einer flächenhaft ausgefüllten Karte, und hierin steht er allen Afrikareisenden seiner Zeit voran; seine große Zweiblattkarte von Transvaal in Petermanns Mitteilungen beweist das ganz klar.

Außer ihr gibt es eine Anzahl Aufsätze und Sonderkarten von Mauch in Petermanns Mitteilungen sowie das oben erwähnte Ergänzungsheft zu dieser geographischen Zeitschrift. In Anbetracht eines siebeneinhalbjährigen Arbeitens in Afrika ist [193] das nicht viel, aber wir wollen nicht vergessen, daß es ihm aus Geldmangel an ruhiger Arbeitszeit gebrach und daß er schon mit achtunddreißig Jahren starb.

Die Frage, ob Mauch die Fähigkeit besessen hätte, gleich einem Nachtigal sein Wandergebiet in einer zusammenfassenden Länderkunde zu behandeln, müssen wir mit Ja beantworten. Man braucht nur den Abschnitt "Das Gebiet zwischen Limpopo und Sambesi" seines einzigen Buches zu lesen, um zu erkennen, daß in Mauch ein geborener Geograph gelebt hat, der sogar schon – vor Richthofen – morphologische Probleme erkannte und vollkommen richtig löste. Auch ein Volk wußte er gut zu behandeln, wie die dort gegebene Monographie der Makalaka zeigt.

So können wir nur voller Trauer von Karl Mauch Abschied nehmen, dem der Unverstand einer vergangenen Zeit die Mittel vorenthielt, sich selbst und sein Lebenswerk zu vollenden. An Unternehmungsgeist und Ausdauer war er Livingstone, der weiter westlich und nördlich arbeitete, vollkommen gewachsen, an wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit war er ihm überlegen, an Glück freilich (und das heißt hier nur Geld) blieb er ihm unterlegen, weil er in der Heimat nicht die Unterstützung fand, auf die er Anspruch erheben konnte und die der Schotte in so reichem Maße erhielt. Das damalige Deutschland hat in ihm ein Talent zerrieben, das ihm in der kaum zehn Jahre nach seinem Tode anhebenden Zeit der Kolonialgründung von allergrößtem Nutzen hätte sein können.

Mauchs literarischer Nachlaß, bestehend aus fünf Tagebüchern und drei Zeichenheften, kam nach seinem Tode an seinen in Neuyork als Apotheker lebenden Bruder, befindet sich aber jetzt im Linden-Museum zu Stuttgart.

E. Mager hat ihm in dem Buche Karl Mauch, Lebensbild eines Afrikareisenden 1889 ein Denkmal gesetzt, Hans Offe hat sein Andenken 1937 in dem zu Mauchs hundertstem Geburtstag erschienenen Büchlein Carl Mauch, Leben und Werk eines deutschen Afrikaforschers wachgerufen.








Unsere großen Afrikaner
Das Leben deutscher Entdecker und Kolonialpioniere

Ewald Banse