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der deutschen Kolonien
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Von deutscher Pionierarbeit (Teil
6)
Im Institut für
Tropenkrankheiten
Professor Dr. E. G. Nauck,
Abteilungsvorsteher am Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten,
Hamburg
Die vor 50 Jahren erfolgte Erwerbung überseeischen, in den Tropen
gelegenen Kolonialbesitzes durch das Deutsche Reich traf mit einem
Wendepunkt in der Entwicklung der Tropenhygiene zusammen.
Während man bis [381] dahin geneigt war,
gesundheitliche Schäden, denen der Tropenbewohner ausgesetzt ist,
für die Folgen des Tropenklimas an sich zu
halten, - also der Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Bodenbeschaffenheit,
zeigte die genaue Erforschung der sogenannten
"Tropenkrankheiten", daß es sich bei diesen meist um
besondere, durch parasitische Lebewesen verursachte Infektionen
handelte. In schneller Folge wurden die Erreger und die zu den stechenden
Insekten gehörenden Überträger der meisten tropischen
Seuchen entdeckt, ihre biologischen Eigenschaften studiert und die Wege zu
ihrer Bekämpfung gewiesen.
Die deutsche medizinische Wissenschaft nahm an den Fortschritten in der
Erkennung und Erforschung der tropischen Infektionskrankheiten lebhaften
Anteil und stellte ihre Kräfte frühzeitig in den Dienst der
Kolonisation. Schon vor der Erwerbung eigener Kolonien waren deutsche
Ärzte und Wissenschaftler in tropischen Ländern tätig
und nahmen durch Forschung und Lehrtätigkeit an den Erfolgen der
so schnell zu einem besonderen Zweig der medizinischen Wissenschaft sich
entwickelnden Tropenmedizin teil. Nach der Besitzergreifung wurde die
sanitäre Überwachung der zu erschließenden
Schutzgebiete, die gesundheitliche Fürsorge für die weiße
und die eingeborene Bevölkerung zur Pflicht. Für den Kampf
mit den Seuchen und die Gesundheitspflege in den tropischen Kolonien
bedurfte es besonders geschulter Ärzte und Hygieniker. Aus diesen
und anderen Bedürfnissen heraus wurde bereits im Jahre 1900 auf
Anregung und unter der Leitung des damaligen Hafenarztes
Dr. Bernhard Nocht, fast gleichzeitig mit der Liverpool
School of Tropical Medicine und der London School of Hygiene and
Tropical Medicine, das "Institut für
Schiffs- und Tropenkrankheiten" als hamburgisches Staatsinstitut
gegründet. Im Jahre 1914 erhielt das Institut durch einen in
unmittelbarer Nähe des Hafens gelegenen Neubau seine heutige
Gestalt.
Der Aufgabenkreis des Institutes wurde von vornherein den vorhandenen
Notwendigkeiten angepaßt und betraf: 1. Die
sanitäre Überwachung des Hafens in Verbindung mit dem
hafenärztlichen Dienst. 2. Die Behandlung der von
Übersee nach Hamburg kommenden Tropenkranken.
3. Die Ausbildung von
Kolonial-, Schiffs-, Missions- und sonstigen Auslandsärzten,
Sanitätspersonal und Schwestern. 4. Die
wissenschaftliche Erforschung der tropischen Seuchen, ihrer Erreger und
Überträger, ihrer Behandlung und Bekämpfung.
Die Aufgaben des Institutes forderten eine Gliederung in eine Reihe
selbständiger, besondere Arbeitsgebiete vertretender Abteilungen, die
sich in der glücklichsten Weise ergänzten und eine
fruchtbringende Arbeitsgemeinschaft ermöglichten. Wenn auch an
einer Anzahl anderer Institute in Deutschland tropenmedizinische Fragen
bearbeitet wurden, so blieb doch das Hamburger Institut der Sammelpunkt
tropenmedizinischer Forschung, Lehre und Krankenbehandlung. Nach dem
Verlust eigener Kolonien schien es zwar zunächst fast so, als sei das als
Mutterinstitut für den ärztlichen und hygienischen Dienst in
den deutschen Kolonien gedachte Tropeninstitut seines eigentlichen Zweckes
beraubt und über- [382] flüssig
geworden. Die Entwicklung der folgenden Jahre hat aber gezeigt, daß
die deutsche Tropenmedizin auch ohne die
Betätigungsmöglichkeit in eigenen Schutzgebieten und trotz
aller inneren und äußeren Schwierigkeiten lebensfähig
geblieben ist. Bald nach dem Kriege war der Kontakt mit anderen
überseeischen Ländern, insbesondere mit
Latein-Amerika, hergestellt; an Institutsmitglieder ergingen Einladungen zu
Studien- und Vortragsreisen; ausländische Ärzte kamen zu
Kursen und wissenschaftlicher Fortbildung; Kranke aus allen
Ländern suchten wieder das "Hamburger Tropenkrankenhaus"
auf.
Trotz der nach dem Kriege veränderten Zielsetzung blieb der
ursprüngliche Organisationsplan des Institutes erhalten. Der vom
Hafen aus weithin sichtbare, am Nordufer der Elbe gelegene Bau besteht aus
drei getrennten Gebäuden: dem Hauptgebäude, mit
den darin enthaltenen Laboratorien,
Hör- und Kursussälen, Bibliothek und Museum, dem nach
Osten angrenzenden Krankenhaus und dem sich westlich
anschließenden zweistöckigen Tierhaus mit Stallungen
und Unterbringungsräumen für die Versuchstiere. Wenn wir
durch das Hauptportal das Erdgeschoß des Instituts betreten, gelangen
wir zu den Diensträumen der Institutsverwaltung und des
Hafenarztes, der von hier aus mit Hilfe seiner Assistenzärzte und
Gesundheitsaufseher die hygienische Überwachung des gesamten
Hafengebietes und der aus allen Weltteilen einlaufenden Schiffe versieht.
Auf drei Stockwerke verteilt finden sich die wissenschaftlichen
Abteilungen.
Helminthologische Abteilung: Das
Arbeitsgebiet dieser Abteilung umfaßt das Studium der Biologie der in
den Tropen stark verbreiteten parasitischen Würmer
(Hakenwürmer, Filarien, Leberegel u. a.), ihrer
krankheitserzeugenden Wirkung auf den Wirt und der oft
äußerst verwickelten Wege, auf denen sie in den Menschen oder
in die verschiedensten Tiere gelangen. Der verstorbene langjährige
Leiter dieser Abteilung und Nachfolger von Nocht als
Institutsdirektor, Geheimrat Fülleborn, hat sich außer
durch seine hervorragenden wissenschaftlichen Arbeiten durch das
Zusammentragen von
Sammlungs- und Demonstrationspräparaten besondere Verdienste um
das Institut erworben. Aus der jetzt unter der Leitung von Privatdozent
Dr. Vogel stehenden Abteilung sind auch eine Reihe von Lehrfilmen
hervorgegangen.
Protozoologische Abteilung: Die von
Professor Reichenow (früher von dem Entdecker der
Syphilisspirochäte Schaudinn und dem Entdecker des
Fleckfiebererregers v. Prowazek) geleitete Abteilung
befaßt sich mit Untersuchungen an den einzelnen tierischen
Lebewesen, die durch ihr Eindringen und parasitisches Dasein im
Wirtskörper Krankheiten erzeugen. Die Mehrzahl der tropischen
Krankheitserreger gehört dieser Gruppe von Mikroorganismen an
(Malariaplasmodien, Ruhramöben,
Schlafkrankheitstrypanosomen usw.); ihre Erforschung ist deshalb
für die Tropenheilkunde von allergrößter Bedeutung
geworden.
[383] Bakteriologische Abteilung: Außer den
zum Tierreich gehörenden Protozoen sind es auch Bakterien,
also pflanzliche Lebewesen, die als Erreger mancher Tropenkrankheit gelten
müssen (so z. B. der
Pest- und der Lepraerreger). Unter der Leitung von Professor
M. Mayer werden seit Jahrzehnten in dieser Abteilung
Arbeiten ausgeführt, die sich nicht nur auf das rein bakteriologische
Gebiet erstrecken, sondern auch auf andere Krankheitserreger bei Mensch
und Tier (Trypanosomen, Leishmanien, Bartonellen u. a.).
Pathologisch-Anatomische Abteilung:
Diese erst 1909 errichtete und lange Jahre von dem jetzt in Sao Paulo
tätigen brasilianischen Gelehrten Professor da Rocha
Lima, dann von Professor Hoeppli (z. Z. Peiping) und
seit 1930 von Professor E. G. Nauck geleitete Abteilung
beschäftigt sich vorwiegend mit den durch die Ansiedlung von
Parasiten im Wirtsorganismus erzeugten krankhaften
Gewebsveränderungen und besitzt eine große Sammlung
mikroskopisch-anatomischer Präparate. Seit 1930 wurden vom
Verfasser in einem besonderen Raume der Abteilung außerdem
Gewebszüchtungen aufgenommen, die dazu dienen, sogenannte
ultravisible, auf gewöhnlichen Bakteriennährboden nicht
züchtbare und eine besondere Gruppe bildende Krankheitserreger
außerhalb des Körpers am Leben zu erhalten und in
ihren Eigenschaften zu studieren. Gemeinsam mit dem ehemaligen
Oberimpfarzt Professor Paschen wurden insbesondere
Untersuchungen über die Züchtung des bereits 1906 von
Paschen entdeckten Pockenerregers ausgeführt.
Entomologische Abteilung: Zur
Leitung dieser Abteilung, deren Aufgabe das Studium der bestimmte
Krankheiten übertragenden blutsaugenden Insekten ist,
wurde 1912 Professor Martini berufen. Die medizinischen
entomologischen Arbeiten haben bei der Bekämpfung und
Verhütung von Tropenkrankheiten ihre besondere Bedeutung
erwiesen. Die genaue Kenntnis der Morphologie und Lebensweise der
Stechmücken, insbesondere der die Malaria übertragenden
Anophelen bildet einen der Grundpfeiler der Gesundung tropischer
Gebiete.
Pharmakologisch-Chemische
Abteilung: Die Tätigkeit dieser seit der
Gründung des Institutes bestehenden, bis vor kurzem von Professor
Giemsa, jetzt von Dr. Weise geleiteten Abteilung
erstreckt sich auf chemisch-physiologische Untersuchungen
über die Wirkungsweise bestimmter in der Tropenheilkunde
verwendeter Heilmittel, z. B. des Chinins, pharmakologische
Prüfung neuer Präparate, Ausarbeitung von
Färbemethoden, Studien über in den Tropen vorkommende,
durch Vitaminmangel bedingte Nährschäden
u. a. m. Zugleich werden die
chemisch-physiologischen Untersuchungen für die Krankenabteilung
ausgeführt.
Klinische Abteilung: Durch einen
überdeckten Gang gelangt man aus dem Erdgeschoß des
Hauptgebäudes in die Krankenabteilung des Institutes, die
unter der Leitung des [384] Institutsdirektors
Professor Dr. Mühlens steht. Die Verbindung der
klinischen Tätigkeit mit der in den Laboratorien geleiteten
wissenschaftlichen Forschungsarbeit ist ein besonderer Vorteil für das
Institut, den manche andere Tropeninstitute im Ausland nicht besitzen. Hier
finden die in den Laboratorien gewonnenen Erkenntnisse über Wesen,
Ursache und Behandlungsmöglichkeiten der Krankheiten ihre
praktische Anwendung am Krankenbett. Umgekehrt wird den Abteilungen
des Instituts die Möglichkeit zu genauen Untersuchungen der
Ausscheidungen oder sonstigen Krankheitsprodukte der Patienten gegeben.
Durch die Zusammenarbeit der verschiedenen Abteilungen gelingt
es, auch manche wenig erforschten Krankheitsbilder zu erkennen und
gründlich zu bearbeiten. In der Krankenabteilung des Instituts
konnten die ersten erfolgreichen Behandlungsversuche mit den von der
deutschen pharmazeutischen Industrie geschaffenen, sich bei bestimmten
Tropenkrankheiten als wirksam erweisenden Mitteln gemacht werden. Die
ersten Heilungen der Schlafkrankheit durch Germanin, die
Einführung des Yatrens zur Behandlung der
Amöbenruhr, die Behandlung der Malaria mit den neuen
synthetischen Mitteln, Atebrin und Plasmochin, die in
unserer klinischen Abteilung ein- und durchgeführt wurden, zeugen
von der fruchtbaren Zusammenarbeit deutscher Chemiker und Ärzte
auf dem Gebiete der Behandlung der Tropenkrankheiten. Das
"Tropenkrankenhaus" (60 Betten) ist mit allen neuen
Diagnose- und Behandlungsmitteln ausgestattet und besitzt eine ganz
modern eingerichtete hydro-elektro-therapeutische Abteilung. Bisher
wurden in unserem Krankenhaus über 25 000 Kranke
behandelt. Nicht nur die mit deutschen oder ausländischen Schiffen
nach Hamburg gelangten Seeleute finden hier Aufnahme, sondern es
kommen fast täglich aus allen Weltteilen Ausländer und
Auslandsdeutsche, um hier Genesung zu finden. Die große Zunahme
der Krankenzahlen in den letzten Jahren machte eine Erweiterung und
neuzeitliche Umgestaltung bes "Tropenkrankenhauses" notwendig, die im
Frühjahr 1936 vollendet war.
Bei unserem Gang durch die wissenschaftlichen Abteilungen führt uns
der Weg nach der im Obergeschoß gelegenen Bücherei und dem
angeschlossenen Lesezimmer, in dem 48 deutsche und 132
ausländische Zeitschriften ausliegen; darunter die in dem Institut
redigierten Zeitschriften: Das seit 1897 bestehende "Archiv für
Schiffs - und Tropenhygiene" und die in spanischer Sprache
erscheinende "Revista Médica
Germano-Ibero-Americana". Mit ihren 35 000 Bänden und
Sonderdrucken bildet sie eine der vollständigsten tropenmedizinischen
Bibliotheken der Welt. Der Lehrtätigkeit des Instituts dienen
gleichfalls verschiedene im Hauptgebäude des Instituts untergebrachte
Räume, ein großer Hörsaal für
Vorlesungen, Versammlungen oder Vereinssitzungen mit Vorrichtungen zur
Vorführung von Lehrfilmen, ein Kurssaal mit etwa 50
Arbeitsplätzen für Ärzte- und Studentenkurse, der
zugleich eine in Glasschränken aufgestellte Sammlung
wissenschaftlicher Präparate enthält, und das für
Ärzte und Laien bestimmte Museum.
[385] Die
alljährlich abgehaltenen Lehrkurse führen eine
große Zahl deutscher und ausländischer Ärzte nach
Hamburg, die sich hier auf dem Gebiete der medizinischen Parasitologie und
Tropenheilkunde aus- oder weiterzubilden wünschen. In den letzten
Jahren wurden auch Kurse in spanischer Sprache für
Ärzte aus Spanien, Mittel- und Südamerika gehalten. Die Zahl
der bisherigen Teilnehmer an Kursen und an wissenschaftlicher und
technischer Ausbildung in Klinik und Laboratorien beträgt
über 2400 (darunter über 700 Ausländer aus den
verschiedensten europäischen und außereuropäischen
Ländern).
Wenn wir auf das fünfunddreißigjährige Bestehen des
Hamburger Tropeninstituts zurückblicken, so können wir ohne
Überheblichkeit behaupten, daß es seinen Aufgaben und Zielen
gerecht geworden ist. Durch seine
Forschungs- und Lehrtätigkeit konnte es den ins Ausland gehenden
Kolonial-, Schiffs- oder Missionsärzten das wissenschaftliche
Rüstzeug und die Grundlage für ihre praktische
Tätigkeit mitgeben. Während des Weltkrieges leisteten deutsche
Ärzte und Hygieniker, die zu seinen Schülern gehören,
Vorbildliches. General Lettow-Vorbeck hat, wie einer der
Teilnehmer des afrikanischen Feldzuges, Dr. August Hauer,
berichtete, freimütig erklärt, daß er ohne seine
Ärzte und das Sanitätspersonal nicht hätte durchhalten
können. Die nach dem Kriege geäußerten
Prophezeiungen, daß Deutschland nach dem Verlust eigenen
Koloniallandes aus der Tropenforschung ausgeschaltet bleiben würde,
sind nicht eingetroffen. Wenn auch Arbeitsgebiet und Arbeitsrichtung sich
den Verhältnissen entsprechend in der Nachkriegszeit
veränderten, so konnte der Beweis dafür erbracht werden,
daß die deutsche tropenmedizinische Forschung und Ausbildung mit
der der anderen Länder zum mindesten Schritt halten kann und
gehalten hat. Wenn Deutschland seine berechtigten Ansprüche auf Kolonien als Rohstoffquelle
und Siedlungsgebiet erhebt, so ist es auf dem
Gebiete der Tropenhygiene geradezu berufen, kolonialen Besitz zu
verwalten. Das Hamburger Tropeninstitut würde damit vor neue
Aufgaben gestellt und bemüht sein, sich der bisherigen Tradition der
deutschen Tropenmedizin würdig zu erweisen.
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