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Die Leistungen der Mandatsmächte

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"Die Mandatsherrschaft des Völkerbundes" und
"Die deutschen Kolonien unter dem Mandatssystem".
Die erste Leistung der Mandatare, d. h. der Länder, die für den Völkerbund die Verwaltung der ehemals deutschen Kolonien übernommen haben, war in einigen Kolonien die Zerschneidung zusammenhängender Volksstämme durch willkürliche Grenzen. Die Verteilung der Kolonien hatte ja, wie in den Eingangsabschnitten dargelegt ist, keineswegs unter Berücksichtigung der Interessen der Eingeborenen sondern lediglich nach machtpolitischen Gesichtspunkten, teilweise in Gemäßheit früher abgeschlossener Geheimverträge stattgefunden. Die Folge davon ist, daß in den zwischen Frankreich und England geteilten westafrikanischen Kolonien Kamerun und Togo dem Volkstum nach einheitliche Bezirke zerrissen sind. In Togo sind dadurch [87] die Stämme der Ewe, Konkomba und Tschokossi auseinandergerissen worden; in Kamerun hatte sich nach dem englischen amtlichen Bericht an der einen Grenze zwischen der englischen und französischen Einflußsphäre "no man's land" gebildet, welches zum Schlupfwinkel für verbrecherische Elemente geworden war.1 Dies ist zwar bei der endgültigen Grenzbestimmung beseitigt worden. Aber sonst sind die schweren Nachteile dieser willkürlichen Grenzfestsetzung für die betroffenen Eingeborenen bestehen geblieben.

Die Unzuträglichkeiten der Grenzführung in Kamerun sind vom Völkerbund anerkannt worden. Er hat die beteiligten Staaten, England und Frankreich, gebeten, die Grenzführung durch eine besondere Kommission zu regeln. Bisher ist über einen praktischen Erfolg der Grenzkommission noch nichts bekannt geworden.

Weit schlimmer noch war die Lage im Innern Ostafrikas, wo die Sultanate Ruanda und Urundi als belgisches Mandatsgebiet von der England zugefallenen Hauptmasse von Deutsch-Ostafrika abgetrennt waren. Mit Rücksicht auf die englischen Verbindungslinien war unter Abtrennung eines beträchtlichen Teils des Sultanats Ruanda eine künstliche Grenzlinie gezogen worden, durch welche der König Msinga und seine Watussi auf das schwerste geschädigt, ja geradezu in ihrer Existenz bedroht wurden. Nachdem diese Angelegenheit im Völkerbund erörtert wurde, hat England eine Änderung der Grenzlinie zugestanden, so daß dem Sultanat Ruanda das von ihm abgerissene Land wieder zugefügt wurde. Aber geblieben ist die Abreißung der Sultanate Ruanda und Urundi von Deutsch-Ostafrika und deren Anfügung an die belgische Kongo-Kolonie. Das ist eine schwere Wirtschaftsschädigung für die Bewohner dieser beiden Länder, deren natürliche Verbindungen durch das jetzt unter englischer Herrschaft stehende Gebiet gehen. Belgien hat seiner Kammer am 13. 2. 1925 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Sultanate Ruanda und Urundi, die bisher einem besonderen königlichen Kommissar unterstanden, zu einem Teile (Vize-General-Gouvernement) des Belgischen Kongo erklärt.

Was die weiteren Leistungen der Mandatare anbetrifft, so enthalten die der Permanenten Mandatskommission des Völkerbundes in Genf jährlich vorgelegten Berichte regelmäßig Günstiges darüber. Aber aus anderweitigen Mitteilungen, wie sie besonders in sonst zuverlässigen englischen und sonstigen Presseorganen erschienen sind, geht hervor, daß die Wirklichkeit keineswegs so rosig ist, wie jene Mandatsberichte erscheinen lassen.

Mit dem englischen Mandatsgebiet Deutsch-Ostafrika hat sich die Times in ihrer Handels- und Technischen Beilage (Trade and [88] Engineering Supplement) in drei ausführlichen Artikeln befaßt, deren letzter in der Nummer vom 30. Juli 1923 erschienen ist. Das Mandatsgebiet wird in diesen Artikeln als "Bureaukraten-Paradies" (bureaucrats paradise) bezeichnet. Die Verwaltung umfasse weit mehr Beamte als die deutsche Vorkriegsverwaltung. Das gegenwärtige System könne nur als Steuern-Einsammlungsorganisation bezeichnet werden, welche trotz der Erhebung so schwerer Steuern, daß die Eingeborenen ihr Vieh verkaufen müßten, um diese bezahlen zu können, und in einen Zustand akuter Armut versetzt seien, nicht imstande sei, ohne beträchtliche Zuschüsse der englischen Steuerzahler auszukommen. Der Zustand der Kolonie wird beklagenswert (deplorable) genannt. Daß diese Meinung von den in Deutsch-Ostafrika ansässigen Engländern geteilt wird, geht aus der dort erscheinenden Zeitung hervor.2 Aus anderen Veröffentlichungen ergibt sich, daß im April 1923 infolge übermäßiger Abgaben die sämtlichen arabischen und indischen Kaufleute ihre Läden zugemacht hatten, daß dadurch schwere Störungen in der Versorgung der Eingeborenenbevölkerung mit Lebensmitteln eingetreten waren, und daß das Vorgehen der Regierung den einstimmigen Protest der Europäer und Farbigen hervorgerufen hatte.3 Die von deutschen Pflanzern zu großer Blüte entwickelten Plantagen von Kautschuk, Sisal usw. sind nach Vertreibung der ersteren größtenteils verwahrlost und verkommen; die Verdienstmöglichkeiten für die Eingeborenen sind zurückgegangen; der Steuerdruck ist stärker geworden. Der Tanganyika-Korrespondent der Times sagte darüber:4 "Die gegenwärtige Höhe der Eingeborenensteuer sei eine große Härte zu einer Zeit, wo die Eingeborenen wenig oder gar keine Mittel haben, etwas zu verdienen. Es sei z. B. sicher falsch, daß Eingeborene ihr Vieh zu einer Zeit, zu der keine Nachfrage sei, verkaufen müssen, um das für die Zahlung der Hüttensteuer nötige Geld aufzubringen". Auf dem Gebiet der Seuchenbekämpfung, der Gesundheitspflege für die Eingeborenen und des Schulunterrichts hat die englische Mandatsverwaltung, wie die Angaben in den amtlichen englischen jährlichen Berichten über Personal und Einrichtungen erkennen lassen, entfernt noch nicht wieder das erreicht, was unter deutscher Verwaltung vorhanden war.

In der letzten Zeit haben sich die administrativen und wirtschaftlichen Verhältnisse erheblich gebessert. Das ergibt sich u. a. aus den steigenden Ziffern des Haushaltes und Außenhandels, bezieht sich aber nicht auf die hygienischen Verhältnisse. Die infolge der [89] Untätigkeit der Mandatsverwaltung mächtig ausgebreitete Schlafkrankheit liegt wie ein Schatten über der Zukunft des sonst so aussichtsvollen Gebietes.

Auch in Kamerun und Togo hat die Mandatsverwaltung sowohl im englischen wie im französischen Gebiet zu schwerer Beeinträchtigung der Wirtschaft infolge Vertreibung der deutschen Pflanzer und Kaufleute unter Stillegung eines großen Teils der Plantagen geführt. Trotz der inzwischen eingetretenen Besserungen ist der Vorkriegszustand noch nicht wieder erreicht worden. Den Eingeborenen geht es infolge von Verminderung der Verdienstmöglichkeiten wirtschaftlich schlechter als früher. Ganz besonders verderblich für sie ist der Wegfall der großzügig organisierten deutschen Seuchenbekämpfung, vor allem der Schlafkrankheitsbekämpfung. Die Franzosen haben bisher entfernt nicht Derartiges an die Stelle setzen können, wie ihre amtlichen Jahresberichte erkennen lassen. Sie leiden unter anderem Mangel an vorgebildetem ärztlichen Personal, das der deutschen Verwaltung reichlich zu Gebote stand.

In dem französischen Teil von Togo sind die bekannten betrügerischen Schiebungen des Kommissars und anderer höherer Beamter mit den beschlagnahmten deutschen Plantagen vorgekommen, in deren Verlauf einer derselben Selbstmord beging; der Kommissar Woelfell wurde abberufen. Dieser ließ die Kolonie, der Dépêche Coloniale et Maritime vom 12. Mai 1923 zufolge, in einer vollkommenen Unordnung zurück. Über die Lage der Eingeborenen hat sich eine Zeitung in der benachbarten englischen Goldküste-Kolonie wie folgt ausgesprochen: "In jedem Haushalt, in den Straßen hört man die Leute murren und sich über die exorbitanten Lasten an Zöllen, Lizenzen und Steuern verschiedener Art beklagen, welche die Franzosen erheben".5 Ein Togoneger drückte sich in einem Brief drastischer aus: "Die gegenwärtige Regierung ist ein Unglück für Togo; sie sind wie die Wölfe. Alles ist dreimal besteuert. Die Sache wird von Tag zu Tag schlechter." Weiter sind die Eingeborenen in den unter französisches Mandat gestellten Gebieten, welche den überwiegenden Teil beider westafrikanischer Kolonien umfassen, geschädigt worden durch die oben erwähnte Militarisierung und Verwendung von Eingeborenen als Soldaten außerhalb der Kolonie.

Was die Südseekolonien anbetrifft, so will ich nur auf Samoa und Deutsch-Neu-Guinea mit einigen Worten eingehen. Auf Samoa, die Perle der Südsee, deshalb, weil dort eines der liebenswürdigsten Völkchen der Welt unter der unfähigen Mandatsverwaltung durch Neu-Seeland einem beklagenswerten, tragischen Geschick anheimgefallen ist. Dort wurde während des Krieges die spanische Grippe [90] eingeschleppt und erlangte infolge Nachlässigkeit der neuseeländischen Verwaltung eine solche Verbreitung, daß der vierte Teil der Bevölkerung daran zugrunde ging. Auch sonst hat die Mandatsverwaltung wirtschaftlich und politisch versagt und hat gleichstarke Proteste der alteingesessenen englischen und sonstigen weißen Ansiedler wie der Samoaner hervorgerufen.

Die Chicago Daily Tribune vom 22. September 1920 zog die Aufmerksamkeit auf die Zeichen des Rückschrittes und Verfalls, welche sich in der Kolonie ausbreiteten, seitdem die Regierung von Neuseeland die Verwaltung übernommen hatte. Obwohl die Besteuerung unerträglich geworden war, war alles im Verfall begriffen; große Pflanzungen hatte man zur Wildnis werden lassen und die Ananasindustrie war zerstört worden. Die Behandlung der vertriebenen Deutschen wurde als barbarisch beschrieben. Die Brisbane Daily Mail verdammte im Februar 1921 gleichfalls die Ausweisung der deutschen Pflanzer und ihre Ersetzung durch unerfahrene Leute als einen katastrophalen Fehler und berichtete, daß die Einwohner mit Besteuerung überbürdet seien; die einzigen Leute, welche einen Vorteil davon hatten, seien ein Haufe von Beamten aller Art. Das Ergebnis war allgemeine Unzufriedenheit auf Seiten der Europäer wie der Eingeborenen. In einem Artikel, überschrieben: "Wer sprach von Humanität?" hat auch der frühere amerikanische Konsul in Apia von der grausamen Ausweisung Deutscher Zeugnis abgelegt, welche er als fleißige und tätige Leute kannte, und erzählt, wie die dankbaren Eingeborenen sich versammelten, um ihrer Abreise beizuwohnen.

Über Deutsch-Neu-Guinea möchte ich einige Worte sagen, weil dort der Kontrast zwischen Schein und Wirklichkeit besonders groß ist; zwischen dem Schein einer erfolgreichen, das Land entwickelnden Mandatsverwaltung, wie er durch Berichte der letzteren an den Völkerbund und sonstige Veröffentlichungen von amtlicher Seite erzeugt werden sollte, und der Wirklichkeit des Verfalls, der üblen Verwaltungsmethoden, wie sie in unanfechtbaren sonstigen Zeugnissen zutage treten.

Durch den Vertrag von Versailles nahmen die alliierten Mächte sich das Recht, entgegen dem Völkerrecht das Privateigentum der Deutschen in allen Kolonien zu beschlagnahmen, und die australische Regierung führte dies in Deutsch-Neu-Guinea mit großer Grausamkeit durch. Seit der Zeit, seitdem die Kolonie von den australischen Truppen besetzt war, bis 2 Jahre nach dem Waffenstillstand wurde den deutschen Pflanzern und Kaufleuten gestattet und sie selbst dazu ermuntert, ihre Pflanzungs- und Handelsunternehmungen wie gewöhnlich weiterzuführen. Sie taten dies mit großem Eifer, indem sie in jener Zeit der Spannung und Erwartung durch verdoppelte Energie [91] und Konzentration auf ihre Arbeit Erholung suchten. Neue Pflanzungen wurden begonnen und andere Unternehmungen und Verbesserungen durchgeführt. Dann erschienen plötzlich vor Weihnachten 1925 drei mit jungen zurückkehrenden Soldaten beladene Schiffe und ohne Aufschub oder Ankündigung irgendwelcher Art wurden die Deutschen aus ihrem Eigentum und aus ihren Wohnungen herausgeworfen und die völlig unerfahrenen Neuankömmlinge sofort als Leiter eingesetzt. Die meisten der expropriierten Deutschen wurden ausgewiesen, wobei sie hauptsächlich auf eigene Kosten nach Deutschland verschifft wurden, selbst wenn diese Kosten wie in dem Falle von Angestellten durch die Wegnahme ihrer hart erarbeiteten Ersparnisse gedeckt wurden. In ihrer am 22. Juli 1921 veröffentlichten Nummer beschrieb die in Australien erscheinende Stead's Review die "raffinierte Grausamkeit" mit welcher die Deutschen ihres Eigentums beraubt und aus dem Lande herausgetrieben wurden.

Ein Melbourne-Korrespondent des Manchester Guardian vom 2. August 1921 schrieb bei der Erörterung dieses erstaunlichen Vorganges über die neuen Leiter:

      "Sie verstanden nichts vom Anbau der Kokosnuß und noch viel weniger von der Behandlung der Eingeborenen. Das Unvermeidliche ist eingetreten. Die besten eingeborenen Arbeiter, welche lange auf diesen Pflanzungen gewesen sind, lehnten es ab, ihre Verträge zu erneuern, und zogen es vor, in ihre eigenen Dörfer zurückzukehren und die Entwicklung abzuwarten. Den deutschen »Boß« hatten sie seit Jahren gekannt - sie hatten absolut kein Vertrauen zu dem jungen australischen »Boß«, der ihn ersetzt hatte. So ist es gekommen, daß die Pflanzungen sich schnell verschlechtern, und daß zu gleicher Zeit die Expropriationsbehörde einem akuten Mangel an Arbeitern gegenübersteht.
      Das Richtige würde für die australische Regierung gewesen sein, ein Arrangement zu treffen, um die erfahrenen deutschen Pflanzer in Neu-Guinea zurückzubehalten. An Stelle dessen hat sie in ihrem Eifer, wertvolle Pflanzungen umsonst zu bekommen, die Männer vertrieben, die sie nicht nur wertvoll gemacht haben, sondern ihre Produktivität aufrechterhalten konnten.... Anstatt eine gesunde Politik dieser Art zu betreiben, hat die Regierung das Eigentum aller Deutschen weggenommen und führt eine Politik durch, die bald die ganze Kolonie ruinieren muß."

Ein Artikel in der Westminster Gazette vom 20. Oktober 1921 ist scharf in der gleichen Richtung geschrieben. Nicht besser sei es mit den Beamten gewesen, welche zur Verwaltung der Kolonie hinausgesandt wurden. Sie waren so unerfahren, daß sie die deutschen Pflanzer um ihre Meinung befragen mußten, wie das Werk weitergeführt werden könnte. In einem Artikel, welcher von Rabaul für [92] die Empirenummer der Times vom 24. Oktober 1924 geschrieben war, führte ein Korrespondent aus, daß es der australischen Regierung bisher nicht gelungen sei, die Lücke auszufüllen, welche durch die Vertreibung der Deutschen verursacht war. Er schrieb:

      "Aber das große Problem bleibt noch. Australien hat einen genauen Bericht seiner Geschäftsführung in Neu-Guinea zu geben. Seine wohlgemeinten Bemühungen, die deutschen Kapitalisten hinauszuwerfen, haben kaum die Entwicklung des Landes zum Ergebnis gehabt. Ihr Erfolg in der Behandlung einer schwarzen Rasse, die nur ein wenig fortgeschrittener ist als ihre eigenen ursprünglichen Eingeborenen, muß noch bewiesen werden."

Das heißt die Sache mild darstellen vom Standpunkt eines Freundes; denn die harten Tatsachen sind aufs äußerste bedauerlich. Es wird genügen, auf den Bericht des Mr. Ellis, eines Spezialkorrespondenten, zu verweisen, welcher 1923 vom Sydney Daily Telegraph nach Deutsch-Neu-Guinea entsandt wurde. Er unterstützte seine Darstellungen durch zahlreiche Photographien der Pflanzungen und bebauten Gebiete, welche zeigten, daß diese in einem unglaublichen Grade vernachlässigt waren. Das, was deutscher Fleiß dort geleistet hatte, war größtenteils verkommen. Einige der unglücklichen deutschen Pflanzer, denen ihr Land unter Bruch der bei der australischen Okkupation ihnen gegebenen Zusage der Unantastbarkeit des Privateigentums abgenommen war, saßen noch in der Kolonie in der Hoffnung, daß ihre Austreibung und die Konfiskation ihres Eigentums, gegen die sie vor Jahren appelliert hatten, doch noch rückgängig gemacht werden könnte; sie mußten die entsetzliche Mißwirtschaft, diese Vernichtung ihrer Pflanzungen mit ansehen, die sie in jahrelanger, in manchen Fällen in jahrzehntelanger Arbeit unter Entbehrungen und Krankheiten dem tropischen Busch abgerungen hatten. Auf ähnlicher Höhe befindet sich die Eingeborenenverwaltung. Nach dem genannten Berichterstatter weist die Rechtspflege zahlreiche Mißbräuche auf, es seien "keine Worte zu stark, um das System, wie es ist, zu verurteilen".

Die vorstehend wiedergegebenen Darstellungen des australischen Zeitungsberichterstatters sind von australischer Seite als übertrieben bezeichnet worden. Aber auch der amtliche Bericht des Obersten John Ainsworth, ehemaligen ersten Eingeborenenkommissars der Kenyakolonie, über "Verwaltungsmaßnahmen und Eingeborenenangelegenheiten im Neu-Guinea-Territorium" an den Innenminister der australischen Regierung vom 2. September 1924 (Drucksache Nr. 109 E 11 510) kommt zu äußerst ungünstigen Ergebnissen. Ainsworth war von der australischen Regierung zu einer mehrmonatigen Besichtigungsreise durch das Mandatsgebiet Neu-Guinea entsandt. Der erfahrene englische Kolonialbeamte gelangte auf Grund seiner [93] an Ort und Stelle gemachten Untersuchungen zu folgendem Urteil:

      "Fehlen irgendwelcher konstruktiver Politik; beträchtliche Unkenntnis der Verhältnisse und der allgemeinen Bedürfnisse und Wünsche der Eingeborenenbevölkerung; der sehr unbefriedigende Zustand der Dinge muß bei Fortdauer den besten Interessen des Territoriums abträglich sein, indem er die Eingeborenen das Vertrauen zur Verwaltung verlieren läßt; es ist unglücklicherweise an vielen Plätzen eine allgemeine Atmosphäre des Rückschrittes vorhanden."

Der amtliche Bericht des Obersten John Ainsworth, welcher in der Permanenten Mandatskommission des Völkerbundes berechtigtes Aufsehen erregt hat, ließ mit einem Schlage die potemkinschen Dörfer zusammenstürzen, welche die alljährlich dem Völkerbund durch die australische Regierung vorgelegten Mandatsberichte kunstvoll aufzubauen versucht hatten. Der unbestechliche amtliche Berichterstatter stellte den vorstehend umschriebenen Zustand der Dinge fest, dazu noch eine zum größten Teil unfähige und faule Beamtenschaft sowie allgemeinen wirtschaftlichen Rückgang und Verfall der von den deutschen Vorgängern geschaffenen Wirtschaftseinrichtungen. Der zur Verfügung stehende Raum gestattet nicht, näher auf die Ergebnisse der Mandatsverwaltung in den deutschen Kolonien einzugehen. Ich verweise deshalb auf meine 1922 erschienene Schrift: Die deutschen Kolonien unter fremder Mandatherrschaft,6 in der ich die Zustände an der Hand des damals vorhandenen Materials erörterte. Über das Ergebnis dieser Untersuchung schrieb ich darin:

      "Es ist für die überwiegende Mehrzahl der Kolonien und der Mandatare einfach vernichtend. Die Mandatherrschaft hat sich als ein vollständiger Fehlschlag erwiesen. Die gegenwärtigen Zustände in jenen Gebieten sind in jeder Beziehung unvergleichlich viel schlechter, als sie unter unserer Herrschaft waren. Die deutschen Kolonien verkommen wirtschaftlich und kulturell. Von besonders schwerwiegenden Folgen für die betroffenen Eingeborenen ist das Versagen der Mandatare in bezug auf die Seuchenbekämpfung und die Gesundheitspflege. Die Eingeborenen sind mit der Mandatherrschaft äußerst unzufrieden."

Dieses Urteil war zu jener Zeit vollkommen zutreffend. Es kann gegenwärtig nicht mehr in vollem Umfange aufrechterhalten werden, weil inzwischen wirtschaftliche Fortschritte gemacht sind. Aber auch in jenen Mandatsgebieten, in denen die stärkste Entwicklung Platz gegriffen hat, sind selbst jetzt die Vorkriegsverhältnisse nur in wirtschaftlichen Dingen annähernd erreicht, während die auf humanitärem Gebiet liegenden Einrichtungen, insbesondere jene, welche die Seuchenbekämpfung und Eingeborenenerziehung betreffen, noch hinter denen zu unserer Zeit weit zurückstehen.




1Report on the British sphere of the Cameroons. Parlamentsdrucksache 1922. S. 3. ...zurück...

2Dar-es-Salam Times vom 25. 8. 23. ...zurück...

3Dar-es-Salam Times vom 21. 4. u. 5. 5. 1923. African World vom 26. 5. 1923. ...zurück...

4Times vom 24. 5. 23. ...zurück...

5Gold Coast Independant vom 24. April 1923. Zitiert nach African World vom 19. Mai 1923. ...zurück...

6Verlag Quelle & Meyer, Leipzig. ...zurück...







Die koloniale Schuldlüge.
Dr. Heinrich Schnee
ehemaliger Gouverneur von Deutsch-Ostafrika