Wie die Kolonien unser wurden Die koloniale Idee beruht darin, daß ein Volk von großer Leistungshaftigkeit den Drang verspürt, über seinen engeren Rahmen hinaus auf andere Räume oder Völker zu wirken und deren Entwicklung in neue Bahnen zu lenken. Sie ist das volkliche Gegenstück zu dem Drange, den der einzelne Entdecker verspürt, wenn es ihn in nie betretene Länder treibt. Nur Völker, denen der eigene Raum nicht mehr genug [26] ist, verschreiben sich der kolonialen Idee, sei es nun, daß der Boden die wachsende Bevölkerungszahl nicht mehr ernährt, oder daß die Industrie nach gesicherter und billiger Einfuhr von Rohstoffen verlangt, oder einfach, daß nationaler Ehrgeiz und Machtstreben nach einer Beherrschung recht weiter Ländergebiete streben und aus diesen farbige Rekruten zu gewinnen suchen. Auch rein militärische Notwendigkeiten können einen Staat veranlassen, zur Behauptung seines Lebensraumes und zur Sicherung seiner Weltstellung koloniale Stützpunkte anzulegen. Manchmal spielte auch der Wille nach Bekehrung Andersgläubiger mit, besonders bei Christentum und Islam. Die erste deutsche Kolonialbewegung – wir sehen von den germanischen früherer Zeiten ab, wie der Besiedlung Britanniens durch Angeln und Sachsen von Holstein und der Niederelbe her – begann im 12. Jahrhundert und gewann innerhalb von zweihundert Jahren ein menschenarmes Gebiet zurück, das dem Altsiedellande an Weite gleichkam und sehr bald nicht mehr als Kolonialland empfunden wurde. Die beiden nächsten Kolonialversuche waren handelspolitischer Art, indem die Welser 1527 in Venezuela und der Große Kurfürst von Brandenburg 1680 an der westafrikanischen Goldküste Faktoreien anlegen ließen. Die damalige staatliche Zerrissenheit des deutschen Volkes verhinderte jede Möglichkeit zu Kolonialgründungen, nur die Holländer schufen sich im 17. Jahrhundert ein stattliches Kolonialreich, dessen Schwerpunkt in Indien lag. Aber auch die Menschen im Reiche, aus dessen Verbande die Holländer 1648 austraten, verloren das Ausland keineswegs aus den Augen, ja sie blickten nur zu viel dorthin, denn in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte eine Auswanderung meist ärmerer Volksgenossen ein, die sich im 19. Jahrhundert auf viele Jahrzehnte hin bis zu Jahressummen von fast einer Viertelmillion gesteigert hat. Die Besiedlung Ungarns, die Einführung des Ackerbaus in der südrussischen Steppe, die daraufhin zur Kornkammer des Zarenreiches entwickelt wurde, die Kolonisierung Nordamerikas von der Ostküste her, die Besiedlung eines Teiles von Südbrasilien und Südostaustralien [27] – das alles sind Leistungen, welche die Besitzer jener Länder allein und von sich aus nicht in solchem Maße und solcher Schnelligkeit fertiggebracht hätten. Die neuzeitliche Kolonialidee erwachte im ersten Jahrzehnt des jungen Kaiserreiches, dessen außenpolitische Sicherstellung auf ihr Schicksal entscheidenden Einfluß ausübte. Bismarcks Politik lief auf Sicherung seiner Schöpfung hinaus, als deren Garantie er eine Isolierung Frankreichs und die Verhinderung eines französisch-russischen Bündnisses ansah. Deshalb legte er, neben der Freundschaft Österreich-Ungarns, den allergrößten Wert auf die Freundschaft Rußlands und durfte sich erst 1881 durch Errichtung des Dreikaiserbundes für gesichert halten. Dies um so mehr, als England wegen verschiedener Zerwürfnisse mit Frankreich, namentlich hinsichtlich Ägyptens, und auch in Besorgnis vor Rußlands Vordringen in Mittelasien, um seine Freundschaft warb. Niemals vorher hatte das junge Reich so gesichert dagestanden. Und das war der Augenblick, in dem Bismarck es glaubte wagen zu können, dem Drängen der Nation nachgebend, Übersee- und Kolonialpolitik zu treiben! Ungefähr gleichzeitig mit der Ausschaltung Österreichs aus dem Deutschen Bunde begannen im hansischen Nordwesten des Reiches Kauffahrteischiffahrt und Kolonialhandel sich stärker als vorher zu regen. Seit der Gründung des Reiches empfand der deutsche Kaufmann in Übersee, der ja jetzt stolz auf seinen Staat blicken durfte, daß er von dem überall vertretenen englischen Kaufmann und Beamten weniger duldsam als bisher behandelt wurde. Deutsche Kaufleute, die auf den Fidschiinseln lebten, vermochten in London trotz jahrelanger Bemühungen kein Gehör zu bekommen. Ende der 1870er Jahre begannen die Bücher von Hübbe-Schleiden, Fabri und von Weber für koloniale Fragen im deutschen Volke Stimmung zu machen, wobei Fabri und Weber besonders auf Südafrika als ein neues Ziel der damaligen deutschen Massenauswanderung hinwiesen. Bismarck, der einen Finger stets am Pulse seines Volkes hielt, beschloß, dessen Stimmung für Gründung von Kolonien [28] auf eine vorsichtige Probe zu stellen. Er brachte 1889 im Reichstag eine Vorlage ein, wonach dem in der Südsee arbeitenden deutschen Handelshause Godeffroy eine Unterstützung gewährt werden sollte. Als diese sogenannte Samoavorlage von der Mehrheit nicht angenommen wurde, schloß er, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit noch nicht reif für koloniale Politik sei, und stellte eine solche einstweilen zurück. Aber der Durchfall der Samoavorlage brachte trotzdem den Stein ins Rollen, denn die darob ausbrechende Entrüstung trieb eine erste Woge kolonialer Begeisterimg durch das deutsche Volk, und im Jahre 1882 entstand daraus der Deutsche Kolonialverein. Und als nun im gleichen Jahre England und Frankreich ihre Gebiete an der Küste von Sierra Leone abgrenzten, ohne sich um die Belange dortiger deutscher Kaufleute zu kümmern, da ersuchte Bismarck die Hansestädte um eine Stellungnahme zu den dort berührten Fragen. Im Juli 1883 erhielt er von der hamburgischen Handelskammer eine Denkschrift, in welcher um Verträge mit in Afrika beanteiligten Ländern, um Stationierung von Kriegsschiffen in den westafrikanischen Gewässern und gegebenenfalls um Besetzung der Bucht von Kamerun gebeten wurde. Schon vorher aber, nämlich im November 1882, hatte der bremische Kaufmann A. Lüderitz um den Schutz des Reiches für geplante Erwerbungen an der Küste Südwestafrikas nachgesucht. Es war die Zeit, als Bismarck das Reich in Europa für völlig gesichert ansehen durfte, und angesichts des Drängens der Volksmeinung war er durchaus nicht abgeneigt, Kolonialpolitik zu treiben. Allerdings wünschte er, wenigstens anfänglich, nicht eine Errichtung staatlicher Kolonien, da er dem Reiche hohe Ausgaben für Verwaltung und Sicherung ersparen wollte, sondern er dachte an die Tätigkeit geldkräftiger Privatgesellschaften, denen das Reich nur seinen Schutz für den Fall kriegerischer Verwicklungen zuzusagen brauchte. Diese Auffassung war ein Nachhall der liberal-manchesterlichen Lehre, daß es für einen Staat vollkommen genüge, ein Überseeland wirtschaftlich zu beherrschen, ohne es aber auch politisch zu besitzen – eine [29] Lehre, die grade in jener Zeit in England der neuen imperialistischen Eroberungslehre zu weichen begann. Immerhin erkannte Bismarck, daß, wenn man schon Kolonialpolitik treiben wollte, man nicht lange zögern durfte, denn offensichtlich setzte damals eine Art Wettrennen um afrikanischen Boden ein, hatte doch Frankreich 1881 Tunisien, England aber 1882 Ägypten besetzt. Ein glückliches Zusammentreffen politischer Ereignisse erlaubte dem Reichskanzler, 1884 in West- und Ostafrika England gegenüber koloniale Wünsche anzumelden und mit schneller Energie durchzusetzen. England sah sich in Mittelasien durch das Vordringen der Russen gegen die Grenzen des Pufferstaates Afghanistan und am Nil durch den rasch um sich greifenden Aufstand des Mahdi bedroht. Außerdem war es mit Frankreich verfeindet, einmal wegen der Auseinandersetzung über die Finanzverhältnisse Ägyptens, aus welchem es Frankreich eben erst verdrängt hatte, andermal aber wegen eines mit Portugal abgeschlossenen Vertrages, der die französischen und belgischen Belange am Kongo berührte. Das war die Stunde, die Bismarcks feines Ohr genau schlagen hörte, und in dieser Stunde gab er den Bitten der hansischen Handelskammern und der Bitte des Kaufmanns Lüderitz um Reichshilfe für seine in Südwestafrika gemachten Landkäufe Gehör. Im Juli 1884 fuhr der deutsche Generalkonsul von Tunis, der berühmte Afrikareisende Gustav Nachtigal, als Reichskommissar nach Westafrika, um an verschiedenen Küstenpunkten die deutsche Flagge zu hissen. Im Jahre 1883 schloß Kaufmann Adolf Lüderitz von seiner an der Bucht Angra Pequena errichteten Faktorei aus mit etlichen Eingeborenenhäuptlingen Verträge über Landrechte ab. Im folgenden Jahre wurde sein Besitz, nachdem England ihm Schutz versagt hatte, unter den des Reiches gestellt; doch hielt England weiter nördlich an der Walfischbai, die es 1878 in Besitz genommen hatte, fest. Im Jahre 1890 wurden die Grenzen der neuen Kolonie Deutsch-Südwestafrika gegen britischen und schon 1886 im Norden gegen portugiesischen Besitz festgelegt. [30] Im Juli 1884 wurden an den Gineaküsten, wo deutsche Händler arbeiteten, durch Gustav Nachtigal die beiden Gebiete Togo und Kamerun für deutsch erklärt. Die Grenze Togos gegen den französischen Nachbar wurde 1887, die gegen den englischen 1890 festgelegt. Die Grenzen Kameruns erhielten 1893/94 eine klare Linienführung, aber im Jahre 1911 wurde dieses Schutzgebiet um über die Hälfte durch Angliederung französischen Raumes vergrößert, der uns bis an den Kongo und Uelle brachte. Ende 1884 ging Carl Peters nach Ostafrika und erwarb für seine Gesellschaft im Hinterlande Bagamojos von den eingeborenen Häuptlingen ein größeres Landgebiet, dem 1885 der Schutzbrief des Reiches ausgestellt wurde. Als aber die Gesellschaft im Jahre 1888 vom Sultan von Sansibar die Zollrechte an der Küste in Pacht genommen hatte, erhoben sich die arabischen Händler, die besonders um ihren Sklavenhandel fürchteten, und das Reich bestellte den Hauptmann und Afrikareisenden Hermann Wissmann, um den Aufstand niederzuwerfen. Im Gefolge dieses Rückschlages übernahm das Reich 1890 das Gebiet der Gesellschaft als Schutzgebiet; der Gedanke einer Kolonisierung durch eine private Gesellschaft hatte sich als nicht haltbar erwiesen. Im gleichen Jahre regelte der Sansibarvertrag die Abgrenzung, wobei Wituland sowie die Inseln Sansibar und Pemba an England kamen und auf das von C. Peters im gleichen Augenblick erworbene Uganda von vornherein verzichtet wurde.
Die erste Kunde von dem Raume unserer Kolonien drang zu ganz verschiedenen Zeiten ins Abendland. An der Küste von Südwest haben schon die ersten portugiesischen Schiffer Gedenkkreuze ihrer Fahrten errichtet: Diogo Cão 1485 am Kap Croß und Bartolomeu Diaz weiter südlich 1487 an der Lüderitzbucht. Und englische wie amerikanische Walfänger haben an dieser durch kaltes Auftriebwasser fischreichen Küste schon Ende des 18. Jahrhunderts Walfang betrieben, während Engländer seit 1843 auf [31] Küsteninseln Guano abbauten. Es war auch schon 1761, daß der Bur Hendrik Hop von Kapstadt aus auf Goldsuche über den Oranjefluß in das große Namaland vorstieß, und 1791 gelangte Willem van Reenen, der die ersten Nachrichten über die Hereros und Bergdamaras heimbrachte, sogar bis in die Nähe des heutigen Windhuk. Im Jahre 1805 entstand in Warmbad die erste Missionsstation. Buren als Siedler dürften im Süden schon Ende des 18. Jahrhunderts eingetroffen sein. Auch Reisen, welche Beobachtetes berichten, wurden in Südwest ziemlich früh unternommen, so von dem Engländer James Alexander 1836/37 im Süden und besonders von dem Schweden Karel Andersson, der in den 1850er Jahren große Gebiete des Nordens durchzog. Noch weiter nördlich haben Hugo Hahn und Fr. Green 1857 das Kunenegebiet als erste bereist, während Thomas Baines und James Chapman 1861/62 von Walfischbai ostwärts nach Rietfontein am Rande der Kalahari gelangten. So war Südwest im Jahre 1884, als die deutsche Besitzergreifung erfolgte, in ganz groben Zügen leidlich bekannt. A. Lüderitz wußte übrigens von diesen Reisen so gut wie gar nichts. Die Küste Togos als Teil der Sklavenküste war seit langem dem europäischen Handel angeschlossen, und deutsche Kaufleute wirkten hier. Die Erforschung des Innern begann aber erst mit Christian Hornberger, der 1862/63 bis Atakpame vordrang. Der Norden wurde durch G. A. Krause bekannt, der 1887 von Norden her zur Küste reiste. Die Offiziere v. François und Wolf klärten 1888/89, jener den Westen, dieser den Osten auf. Von Kamerun war das nördliche Hinterland bis etwa nach Ngaundere vom Sudan her durch unsere großen Entdecker H. Barth und E. Vogel schon in den 1850er Jahren erkundet worden. Richard Burton erstieg 1862 den Kamerunberg, und Robert Flegel arbeitete 1882/83 im Gebiete des oberen Benue. Aber sonst war zur Zeit der Besitzergreifung nur der Küstengürtel bekannt und von europäischen Händlern bewohnt. Die Küstenstämme widerstrebten jedem Eindringen ins Innere, da [32] sie den gewinnbringenden Zwischenhandel zu verlieren fürchteten. Erst 1888 gelang es Kundt als erstem, von dem Hafenorte Batanga aus aufs Hochland nach Jaunde durchzustoßen. Etwas später drang E. Zintgraff von Duala durch den Urwaldgürtel auf das Bali-Hochland, also zur offenen Sawanne, und gelangte weiter zum mittleren Benue und bis Jola; hierdurch wurde eine Verbindung zwischen den Kartenaufnahmen des Südwestens und des Nordens hergestellt. In den Jahren 1891/92 erforschte Kurt Morgen den Sanagafluß und zog von Jaunde über Joko nach Ngaundere, wo er den Anschluß an Flegels Feststellungen fand. Die Erkundung des Urwaldgebietes im Südosten fand erst 1901–1903 durch Stein statt. In Deutsch-Ostafrika, dessen erste Entdeckungen schon S. 23 geschildert wurden, brachte die deutsche Besitzergreifung eine Reihe namhafter Forschungsreisen, besonders seit Beendigung des Araberaufstandes. Franz Stuhlmann führte 1890 bis 1892 eingehende Untersuchungen im ganzen Norden von der Küste bis zum Zwischenseengebiet aus. Oskar Baumann betätigte sich 1892/93 gleichfalls vorwiegend im Norden, wo er Urundi als erster betrat und den Ejassisee entdeckte. Graf Adolf Gustav von Götzen widmete sich 1893/94 ebenfalls vorwiegend dem Norden, durchquerte als erster Ruanda und entdeckte den Kiwusee sowie die Kirungafeuerberge. Oberst von Schele bereiste 1893/94 den Rufidschi-Ulanga zum Njassagebiete hin. In den mittleren Teilen der Kolonie, von der Küste bis zum Tanganjikasee und nach Ruanda hin, führte Hauptmann Ramsay 1896 eine aufschlußreiche Reise durch, während Glauning 1896 und 1900 im abflußlosen Grabengebiete, im Westen und im Raume des Kilimandscharo, arbeitete. Schließlich sei noch Richard Kandt namhaft gemacht, der 1897–1902 im Zwischenseengebiete tätig war, die Quelle des Kageranils entdeckte und ein besonders gut lesbares Reisebuch schrieb.
Unsere vier afrikanischen Schutzgebiete entwickelten sich namentlich in jenem dem Weltkriege vorhergehenden Jahrzehnt sehr gut. Die Eingeborenen lernten die deutsche Ver- [33] waltung und die unter ihr herrschende Sicherheit von Gut und Blut allmählich schätzen. Der Plantagenbau in den drei Tropenkolonien und die Viehwirtschaft in dem subtropischen Südwest entfalteten sich so vorzüglich, daß ihre Erzeugnisse für den deutschen Markt schon eine Rolle spielten, besonders Kopra und Kautschuk, Palmöl und Palmkerne, Kakao und Kaffee, Baumwolle und Erdnüsse sowie Sisalhanf. Auch die Ansiedlung von deutschen Farmern in dem gesundtrocknen Südwest und in den fieberfreien Höhenlagen Ostafrikas ging voran. Die Bekämpfung der Tropenkrankheiten durch Bakteriologen übertraf alle ähnlichen Maßnahmen anderer Kolonialgebiete. Wären unseren Kolonien noch zehn oder gar zwanzig Friedensjahre beschieden gewesen, so würden sie in prangender Blüte dagestanden haben. Der Krieg traf die Kolonien völlig unvorbereitet, zumal die tropischen, die sich auf Grund der Kongoakte im Falle eines europäischen Krieges für neutralisiert halten durften. Die Gesamttruppenzahl belief sich auf nur ungefähr 2500 weiße und 4500 farbige Soldaten, die im Laufe des Krieges auf einen Höchststand von 7700 weißen und 19 000 farbigen Soldaten gebracht wurden. Dieser Zahl von äußerstens 26 700 deutschen Kämpfern gegenüber stand im Weltkriege die ungeheure Zahl von wohl 300 000 Kämpfern, weit überwiegend von britischer Seite gestellt. Dabei ist zu beachten, daß den Deutschen alle modernen und schwereren Waffen, besonders Flugzeuge und Panzerwagen fehlten, daß sie so gut wie gar keinen Nachschub aus der Heimat erhielten und mit notdürftig hergestellten Ersatzstoffen arbeiteten, während dem Feinde alles Wünschbare in überreichem Maße zur Verfügung stand. Das kleine Togo mit seiner bescheidenen Streitmacht, die eigentlich nur eine Polizeitruppe ohne Geschütze war, insgesamt 200 Weiße und 700 Neger, erlag dem konzentrischen Einmarsche ziemlich bald. Südwest, das nur von 3000 Mann weißer Truppen und sechs Batterien verteidigt wurde, hielt den von West und Süd erfolgenden Einmarsch von 67 000 weißen und 33 000 far- [34] bigen Streitkräften der Südafrikanischen Union ziemlich lange auf. Als aber der Feind im Februar 1915 von Swakopmund längs der Bahn und von Süden her vorrückte, mußte sich die Schutztruppe fechtend auf Windhuk zurückziehen und bald darauf in den Raum um den Waterberg und nach Otawi ausweichen, wo schließlich nach heftigem Ringen nichts anderes als Übergabe blieb. In Kamerun kämpften 1460 Weiße und 6550 Farbige gegen 15 000 Engländer und Franzosen, die über 34 Geschütze verfügten. Das Küstengebiet ging bis zum November 1914, der Norden großenteils bis zum Frühling 1915 verloren. Im Raume Jaunde–Ebolowa hielt sich die Truppe während des Sommers 1915 unter heftigen Kämpfen, bis schließlich Ende des Jahres die Höhen von Jaunde von Westen her genommen wurden. Im Februar 1916 rückte die Truppe, begleitet von dem Jaundevolk, südwärts und ging über die Grenze in das spanische Munigebiet, damals noch 600 Weiße und 6000 Farbige zählend. Am heldenhaftesten war die Verteidigung Deutsch-Ostafrikas, von dem Oberstleutnant von Lettow-Vorbeck geleitet, trotzdem nur 3000 Weiße und 11 000 Farbige als Höchstzahl einer Übermacht von 230 000 britischen, 12 000 belgischen und etlichen Tausend portugiesischen Truppen gegenüberzustellen waren. Im Jahre 1914 wurden hauptsächlich an der Nord- und Westgrenze feindliche Vorstöße abgewiesen, wobei die Schlacht von Tanga (1000 Verteidiger gegen 8000 Angreifer und Kriegsschiffe) als besonders glänzende Waffentat hervorsticht. Erst vom Frühling 1916 an wurde die Lage infolge Übermacht des Feindes bedenklicher. Die Schutztruppe mußte aus dem Kilimandscharogebiete weichen, ja im Juli ging auch Tabora an der Mittellandbahn verloren. Anfang 1917 rückte die Schutztruppe noch weiter südwärts und suchte sich in zahlreichen Gefechten der drohenden Einkreisung zu entziehen, wobei die siegreiche Schlacht von Mahiva im Oktober wieder hervorragt. Aber im November gelang es doch nur unter Zurücklassung aller nicht mehr voll frontfähigen Männer, über [35] die portugiesische Grenze auszuweichen. Auf portugiesischem Kolonialboden rückte die Schutztruppe, immer von einem überlegenen Gegner verfolgt, im Sommer 1918 südwärts bis fast nach Quelimane. Von dort marschierte sie dann, stets unter Gefechten, wieder gen Norden, kehrte Ende September über den Rovuma in die eigene Kolonie zurück und bog dann um den Njassasee herum westwärts nach Rhodesien ins Britische ab. Hier erhielt sie nach einem letzten Gefechte am 12. November die Mitteilung vom Waffenstillstande. Die Truppe zählte noch 155 weiße und 1200 farbige Soldaten sowie 2000 farbige Träger. Schon im Kriege hatten Engländer, Franzosen und Belgier die deutschen Kolonien in Afrika unter sich aufgeteilt, doch setzten Wilson und Nansen es in Versailles durch, daß die Kolonien ihnen nur als Mandate, d. h. als Aufträge des Völkerbundes, zugeteilt wurden – nicht tatsächlich, aber immerhin völkerrechtlich ein gewisser Unterschied. Ein Recht auf Kolonien wurde uns abgesprochen, weil wir nicht die Fähigkeit besäßen, farbige Völker zu regieren, weil wir sie grausam behandelt hätten, und weil wir die Kolonien lediglich als Ausgangsstellungen zur Bedrohung anderer Mächte betrachtet hätten. Diese koloniale Schuldlüge war erst während des Krieges als Kampf- und Propagandamittel erfunden worden. Nicht allein der aufblühende Zustand der Kolonien, sondern auch die Treue vieler Eingeborenen, namentlich Ostafrikas, straft die dreiste Erfindung Lügen. Da nun die Farbigen selber vorläufig noch nicht reif zur Selbstregierung seien, so müsse ihre Aufsicht "fortgeschritteneren" Nationen anvertraut werden. Mit Ausnahme von Südwestafrika wurden die Deutschen aus allen Kolonien vertrieben und ihr Eigentum ihnen geraubt, wobei die Entschädigung dem – Reiche auferlegt wurde. Wie sehr die Deutschen sich für koloniales Wirken eignen, erhellt u. a. daraus, daß sie das Germanin erfunden haben, das einzige Mittel gegen die in Tropisch-Afrika so verheerend wirkende Schlafkrankheit; erst nach dem Kriege geschaffen, kommt es den anderen Nationen zugute. [36] Die Engländer wie die Franzosen und auch die Belgier bekamen also einen ansehnlichen Zuwachs ihrer ohnehin schon viel zu großen Kolonialreiche. England erhielt Ostafrika, Südwestafrika, den Westen Kameruns und den Westen Togos. Frankreich bekam den größten Teil Kameruns und den größeren östlichen Teil Togos. Belgien empfing den Nordwesten Ostafrikas. Alle drei verfügten schon nicht über genügend Weiße, um ihre alten Kolonialgebiete wirtschaftlich zu einem Höchst zu entwickeln, und erstickten in einem Übermaße von Kolonialerzeugnissen – die Deutschen aber standen mit leeren Händen da. Artikel 22 des "Friedensvertrages" von Versailles besagt u. a.: "Das Wohlergehen und die Entwicklung dieser Völker (der Farbigen also) bilden eine heilige Aufgabe der Zivilisation, und es erscheint zweckmäßig, indirekte Sicherheiten für die Erfüllung dieser Aufgaben aufzunehmen. Der beste Weg, diesen Grundsalz praktisch zu verwirklichen, ist die Übertragung der Vormundschaft über diese Völker an die fortgeschritteneren Nationen, die auf Grund ihrer Hilfsmittel, ihrer Erfahrung oder ihrer geographischen Lage am besten imstande und bereit sind, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen." Ferner ist davon die Rede, daß Mißbräuche im Sklaven-, Waffen- und Alkoholhandel hinfort aufhören und daß die Freiheit des Gewissens und der Religion gewährleistet sein müßten. Wüßte man nicht, daß der ganze "Friedensvertrag" von A bis Z eine bewußte Diffamierung des Deutschen Reiches und Volkes ist, welche aber den Anschein einer Rechtfertigung der Brutalität der Siegermächte vortäuschen soll, dann müßte man wirklich über die koloniale Fähigkeit der Deutschen bedenklich werden. Dabei ist nicht eine einzige der deutschen Kolonien durch einen Eroberungskrieg, sondern durch Verträge mit eingeborenen Herren in unsern Besitz gekommen, während Indien, Kanada, Südafrika und Ägypten durch Waffengewalt in englische, Algerien, Tunisien, Marokko, die Sahara, Dahome und Madagaskar ebenso in französische Hände gekommen sind. Man hat nie gehört, daß die [37] Eingeborenen dieser oder anderer englischer und französischer Kolonialgebiete erklärt haben, sie möchten nie unter anderer Herrschaft leben. Es ist auch nie bekanntgeworden, daß die Inder oder die Ägypter oder die Araber oder die Malgaschen unter englischer oder französischer Herrschaft glücklicher und wohlhabender geworden seien. Nie hat ein Reisender dort den Eindruck gewonnen, daß "fortgeschrittene" Nationen eine "heilige Aufgabe" erfüllen. Jeder sah vielmehr, daß sie drüben bloß Geld scheffeln wollten, wobei den Eingeborenen stets nur eine Nebenaufgabe, nämlich die der sauren, ungedankten Arbeit zufiel. Hier waltet eben der ähnliche Cant ob, der sich die Taschen füllt und scheinheilig die Daumen über dem satten Bäuchlein dreht. Sie sagen Christus und meinen Kattun. In den deutschen Kolonien war das anders. Wenn anfangs nicht alles so ging, wie es aber 1914 schon ging, so lag das daran, daß der Deutsche im Kolonisieren noch keine Erfahrung besaß. Aber er hatte einen großen Vorzug vor den anderen: er dachte tatsächlich mehr an das Wohl der Kolonien als an sein eigenes. Seiner Art gemäß ging er sachlich an die Aufgabe heran und strebte pflichthaft nach deren Erfüllung. Während der Engländer die Kolonien nur als riesige Geldaufbereitungsgebiete ansieht, an die er nur grade soviel Sorge wendet, daß der Gewinstvorgang möglich reibungslos läuft – während der Franzose aus seinen Überseebesitzungen recht viel Kanonenfutter zur Gewinnung und Aufrechterhaltung seiner Vorherrschaft in Europa herauszuholen strebt – sah der Deutsche seine Kolonien als eine Art Selbstzweck an und suchte jede von ihnen zu einer harmonischen Ganzheit zu entwickeln. Es ist eben deutsche Auffassung, einem jeden Ding sein eigenes Daseinsrecht einzuräumen. Wenn die "fortgeschrittenen" Nationen da von einer mißbräuchlichen Verwaltung reden wollen, dann stellen sie einfach die Wahrheit auf den Kopf. In den Kolonien nun setzte mit der Austreibung der deutschen Pflanzer, Händler und Beamten wirtschaftlicher Verfall ein, die Seuchenbekämpfung ging zurück, und erhöhter Steuerdruck plagte die Farbigen. Erst später, als man die Deutschen [38] wieder zuließ, wie im englischen Westkamerun, setzte ein neuer Wirtschaftsaufschwung ein; die Deutschen erhielten Erlaubnis, ihre alten Farmen – zurückzukaufen oder, wie in Ostafrika, zu pachten. Die Zahl unserer Landsleute in Südwest beläuft sich auf gut 13 000, in Ostafrika auf 2500 Köpfe, in Kamerun sind es aber nur wenige Hundert. Der neue Krieg hat wieder zur Gefangensetzung der Männer in Konzentrationslagern, zur Austreibung der Familien sowie zur Vernichtung von Vermögen und wirtschaftlicher Existenz geführt – das war von so "fortgeschrittenen" Nationen wie den Engländern und Franzosen nicht anders zu erwarten.
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