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Bd. 2: Teil 2: Die politischen
Folgen des Versailler Vertrages
II. Politische Aufgaben des Völkerbundes
(Teil 3)
B) Das Abrüstungsproblem (Teil 2)
2) Das Landheer
Dr. phil. h. c. Bernhard Schwertfeger
Oberst a. D.
Die Bestimmungen des Vertrages von Versailles über das deutsche Landheer
sind in den Artikeln
159-179, die Bestimmungen über die
Befestigungen im Artikel 180
enthalten. Die Artikel
203-210 behandeln die zur dauernden Prüfung der deutschen Entwaffnung
eingerichteten interalliierten Überwachungsausschüsse, ihre
Tätigkeit und ihre Rechte, während der Artikel
211 - allgemeine Bestimmungen - von der Pflicht der deutschen
Regierung handelt, ihre Gesetzgebung mit den Bestimmungen des Versailler
Vertrages in Übereinstimmung zu bringen. Artikel 212
setzt sodann die
Aufrechterhaltung einiger Bestimmungen des Waffenstillstandes vom 11.
November 1918 fest, und im Artikel 213
muß Deutschland sich verpflichten,
jede Untersuchung zu dulden, die der Rat des Völkerbundes mit
Mehrheitsbeschluß für notwendig erachtet.
Von grundlegender Bedeutung ist zunächst die allgemeine Bemerkung im
Anfange der Bestimmungen über Landheer, Seemacht und Luftfahrt. Danach
werden die Deutschland aufgezwungenen Bestimmungen ausdrücklich
dahin ausgedeutet, daß sie die Einleitung einer allgemeinen
Rüstungsbeschränkung aller Nationen ermöglichen sollen.
Deutschland sollte, von den Siegermächten gezwungen, den ersten Schritt
zur Abrüstung tun, die anderen Mächte ihm folgen. Ganz
offensichtlich ergibt sich diese Forderung aus der Anschauung, daß
Deutschland, wie es ja auch im Artikel
231 und in der begründenden
Mantelnote vom
16. Juni 1919 gesagt ist, den Weltkrieg entfesselt haben soll, und
zwar aus dem einzigen Grunde, weil es nach der Weltherrschaft strebte.
Sämtliche Vorschriften über das Landheer sind daher auf das innigste
mit der Frage der Schuld am Kriege verknüpft und insofern auch für
die Zukunft von den Ergebnissen abhängig, die sich aus einer unparteiischen
Prüfung der Kriegsschuldfrage ergeben werden.
Stärke und Einteilung des deutschen
Landheeres
Zu den wesentlichsten Rechten eines jeden selbständigen Staatsgebildes
gehört es, Umfang und Art der Machtmittel festzusetzen, [134] deren es zur Verteidigung seiner
Unabhängigkeit bedarf. Deutschland ist im Vertrage von Versailles einer
solchen Selbständigkeit nicht gewürdigt worden: die Siegerstaaten
haben vielmehr festgesetzt, wie Deutschlands militärische Machtmittel
für die Zukunft beschaffen sein sollen, und sie haben gerade diese
Bestimmungen zum tragenden Pfeiler des ganzen Vertrages gemacht.
Nach Artikel 160
mußte das deutsche Heer spätestens zum 31.
März 1920 auf sieben
Infanterie- und drei Kavallerie-Divisionen herabgesetzt werden. Von diesem
Zeitpunkte ab sollte die gesamte Iststärke des Heeres sämtlicher
deutschen Einzelstaaten nicht mehr als einhunderttausend Mann
einschließlich der Offiziere und Depots betragen.
Es lag auf der Hand, daß bei der Unsicherheit der politischen Lage in
Mitteleuropa 1919 und bei der für Deutschland vorliegenden Notwendigkeit,
sich nach außen und innen gegen Angriffe auf seine Staatsoberhoheit zu
verteidigen, der Termin des 31. März 1920 unhaltbar war. Das eigene
Interesse der Siegerstaaten erforderte daher in diesem Punkte ein
Entgegenkommen. In dem Abkommen von Spa vom 9. Juli 1920 bewilligte man
eine Abänderung des Artikels 160
dahin, daß bis zum 1. Oktober 1920
eine Herabminderung des Heeres auf 150 000 Mann und zum 1. Januar 1921 auf
100 000 Mann zugestanden wurde. Dem noch weitergehenden Antrage der
deutschen Regierung, das Heer von 200 000 Mann vorläufig beibehalten zu
dürfen und die Herabminderung auf 100 000 Mann erst zum 10. Oktober
1921 vornehmen zu müssen, wurde seitens der Siegerstaaten nicht
entsprochen.
Als Bestimmung des deutschen Reichsheeres setzte Artikel
160 die Erhaltung der
Ordnung innerhalb des deutschen Gebietes und den polizeilichen Dienst an der
Grenze fest. Deutscherseits war man mit vollem Rechte der Anschauung, daß
auch der "Grenzschutz" zu den Aufgaben des Reichsheeres gehöre. Die
interalliierte Militärkontrollkommission (siehe weiter unten Artikel
203-213) beanstandete diese Auffassung. Die deutsche Regierung blieb in diesem
Punkte fest und wird bei einer Neuausgabe des Vertrages von Versailles im Artikel
160 die französische Fassung "la police des
frontières" nicht mehr mit
"Grenzpolizei", sondern mit "Schutz der Grenzen" übersetzen. Bezeichnend
ist aber, daß noch im Spätsommer 1925 in einer Besprechung des
deutschen Reichkommissars mit General Walch von letzterem die Forderung
geltend gemacht wurde, das deutsche Heer sei nur als Grenzpolizei bestimmt und
dürfe nur dementsprechend ausgebildet werden. Deutscherseits wurde diese
Auffassung zurückgewiesen. Ihren Niederschlag fanden aber die
gegnerischen Auffassungen in der Entwaffnungsnote vom 4. Juni 1925, wonach es
Deutschland nicht gestattet wurde, seine Truppen [135] an den ihm nicht vertragsmäßig
gestatteten Waffen auszubilden. Die Botschafterkonferenz entschied
schließlich dahin, daß für Deutschland zwar das Studium der
Waffen, die es nicht besitzen dürfe, erlaubt, daß aber die technische
Ausbildung an derartigen Waffen unzulässig sei. Die interalliierte
Militärkontrollkommission forderte daraufhin die Vorlage sämtlicher
deutschen Ausbildungsvorschriften, um nachzuprüfen, ob man in
Deutschland der Entscheidung der Botschafterkonferenz Genüge geleistet
habe.
Die Gesamtstärke an deutschen Offizieren einschließlich der
Stäbe war ursprünglich auf 4 000 festgesetzt worden. Durch
Abkommen vom 9. Juli 1920 wurden noch weitere 300
Sanitätsoffiziersstellen und 200 solche Stellen für
Veterinäroffiziere über die Stärke des
100 000-Mann-Heeres hinaus bewilligt.
Die Einteilung und Stärke des Heeres in seinen einzelnen Teilen ist in
langwierigen Verhandlungen mit der Botschafterkonferenz und der I. M. K. K.
festgesetzt worden. Bis in die Einzelheiten hinein haben die Siegerstaaten ihren
Willen geltend zu machen und durchzusetzen gewußt, so bei den
Rekrutendepots der Ausbildungsformationen und der Pionierbataillone, bei der
Offizierverteilung, bei der Beseitigung der Radfahrerkompagnien, da diese im
Vertrage von Versailles nicht ausdrücklich vorgesehen seien, bei der
Aufhebung der Linienkommissionen, in denen die I. M. K. K. nichts anderes als
die früheren Linienkommandanturen erblicken wollte. Da nach Artikel 178
alle Mobilmachungsmaßnahmen oder solche, die auf eine Mobilmachung
hinzielten, untersagt waren, wurde die Aufhebung der Linienkommissionen
gefordert. Die Entwaffnungsnote vom 4. Juni 1925 gestand dann wenigstens
Transportoffiziere bei den Stäben der Divisionen usw. zu. Die
Bevormundung ging so weit, daß man auch die Kommandierung von
Offizieren zu den Divisionsstäben, also die Heranbildung von
Führergehilfen, beanstandete; auch wurde nicht gestattet, daß einzelne
Kommandanturen über einen General als Kommandanten und einen
Generalstabsoffizier verfügten.
Den allergrößten Wert legte der Vertrag von Versailles auf die
Beseitigung des deutschen Großen Generalstabes und aller anderen
ähnlichen Formationen. Ziffer 3 des Artikels
160 gestand nur zwei
Generalkommandos für die vorhandenen zehn Divisionen zu und forderte
die Auflösung des Großen Generalstabes, der unter keiner Gestalt neu
gebildet werden durfte. In den Kriegsministerien der deutschen Einzelstaaten
durften nicht mehr als 300 Offiziere vorhanden sein; diese waren auf die
Höchststärke von 4 000 Offizieren mit anzurechnen. Bis in die
Einzelheiten hinein hat sich die Gegenseite mit der Stellung des Chefs der
deutschen Heeresleitung und mit der Einteilung des Reichswehrministeriums
beschäftigt. Auch hier bildete die Entwaffnungsnote vom 4. Juni 1925 einen
gewissen Ab- [136] schluß; einige Abteilungen des
Reichwehrministeriums mußten aufgelöst werden, doch wurde die
Fortführung von Referaten gestattet.
Die Besorgnis vor dem "Generalstabe" ging so weit, daß die Gegenseite bei
Abschluß der Verhandlungen nachträglich sogar
diesen - in allen Armeen üblichen - Namen verboten hat, der
durch "Führerstab" ersetzt werden mußte. Risum teneatis, amici?
Die Stärke der Zivilangestellten des Heeres war im Artikel
161 auf ein
Zehntel der Stärke von 1913 festgesetzt worden. Das Abkommen von Spa
vom 9. Juli 1920 bewilligte weitere 735 Beamtenstellen. Die mehrfach
erwähnte Entwaffnungsnote vom 4. Juni 1925 beanstandete trotzdem die
Stärke des Zivilpersonals, die Zahl der vorhandenen
Verwaltungseinrichtungen und die Höhe der Lebensmittelreserven. Letztere
mußten entsprechend eingeschränkt werden. Auch forderten die
Siegerstaaten eine Liste, aus der sämtliche militärische Kasernen
usw., die sich nicht mehr im Besitze des Heeres befanden, und ihre
gegenwärtige Verwendung hervorgehen mußten. Deutscherseits
willigte man ein, die Veräußerung dieser Baulichkeiten, den Verkauf
oder Umbau, mit je 20% in fünf Jahren erfolgen zu lassen.
Bewaffnung, Munition,
Material
Die Bewaffnung des deutschen Heeres wurde in einer
Übersicht - Beilage zum
Artikel
164 - genau geregelt. Zugestanden waren
84 000 Gewehre, 18 000 Karabiner
und ein Zuschlag von höchstens einem Fünfundzwanzigstel an
Handfeuerwaffen als Ersatz für Ausfälle. Dieselbe Reserve durfte
auch für die Ausrüstung an schweren Maschinengewehren (792
Stück) und an leichten Maschinengewehren (1134 Stück) gehalten
werden. An mittleren Minenwerfern waren 63, an leichten 189 Stück mit
einer Reserve von 2% zugestanden.
Am einschneidendsten machten sich die Vorschriften des Versailler Diktates bei
der Ausrüstung der Artillerie bemerkbar. Es wird für alle Zeiten ein
unvergängliches Ruhmesblatt für die deutsche Schwere Artillerie des
Feldheeres bilden, daß die sorgenvollen Schöpfer des Versailler
Diktates neben der Beseitigung des deutschen Großen Generalstabes gerade
auch die Schwere Artillerie abschaffen zu müssen glaubten. Nur leichte
Geschütze, 204 Feldkanonen zu 7,7 cm und 84 leichte Feldhaubitzen zu 10,5
cm, sowie eine Reserve von 2% wurden zugestanden. Dadurch blieb das deutsche
Reichsheer hinsichtlich seiner artilleristischen Bewaffnung in einem so weiten
Abstande hinter allen anderen Militärmächten zurück,
daß es als Gegner im
Feld- und Stellungskriege nicht mehr zu fürchten war. Nicht genug damit:
man hat auch die Ausrüstung des Reichsheeres mit Munition und mit
Handwaffen bis in die kleinsten Einzelheiten hinein beeinflußt, obwohl es
sich hier nicht um schlachtentscheidende Waffen handelte, über die im
Versailler Vertrage ganz allgemein [137] nichts Genaueres gesagt war. So mußte
Deutschland z. B. auf seine Maschinenpistolen und Tankabwehrgewehre
verzichten und die in seinem Besitz befindlichen Stücke auf Grund einer
Entscheidung des Botschafterrates vom 25. Mai 1921 ausliefern. Auch von
Granatwerfern war im Versailler Vertrage nicht die Rede; sie wurden daher nicht
gestattet. Nur nach langen Verhandlungen gelang es, die Genehmigung der
I. M. K. K. dazu zu erwirken, daß die Waffenschulen mit
Fecht- und Exerzierwaffen aller Art ausgerüstet werden durften.
Auch wegen des zugelassenen Höchstbestandes an Munition mußte
um jede Einzelheit gefeilscht werden, ganz besonders auch wegen der
Platzpatronen für Gewehre, Karabiner und Maschinengewehre. Der
mehrfach betonte Standpunkt der deutschen Regierung, daß diese Hilfsmittel
für die Ausbildung kein Kriegsmaterial seien, wurde von der Gegenseite
nicht anerkannt. Sie erklärte sich schließlich bereit, in die
jährliche Herstellung und den Jahresverbrauch von 15 Millionen
Platzpatronen zu willigen, wobei die deutschen Gesamtvorräte 25 Millionen
niemals überschreiten durften.
Auch hinsichtlich des Gerätes beanspruchte die I. M. K. K. die Befugnis,
Höchstmengen festzusetzen und Einzelnes ganz zu verbieten. So verbot
Artikel 171
die Herstellung von Panzerwagen, Tanks oder irgendwelchen anderen
ähnlichen Vorrichtungen, die Kriegszwecken dienen konnten, in
Deutschland, ebenso deren Einfuhr nach Deutschland. Nach wiederholtem
Notenwechsel wurden schließlich am 21. Januar 1921 jeder
Infanterie-Division 15 unbewaffnete gepanzerte Kraftwagen für
Mannschaftstransporte genehmigt, im ganzen also deren 105. Sie durften aber nicht
geeignet sein, in Kampfpanzerwagen umgeändert zu werden. Alle
Anträge der deutschen Regierung, ihr für jeden Wehrkreis ein bis
zwei Panzerzüge und die Panzerung für drei weitere Züge zu
bewilligen, sind abgelehnt worden.
Auch für die Anfertigung von Waffen, Munition und Kriegsgerät aller
Art beanspruchten die Siegerstaaten laut Artikel 168
des Vertrages ein
Besichtigungs- und Beschränkungsrecht. Nur solche Zeughäuser
durften erhalten bleiben, die zur Lagerung des zugelassenen Munitionsvorrates
dienten. Alle anderen Anlagen, die der Anfertigung, Herrichtung, Lagerung von
Waffen, Munition und Kriegsgerät aller Art oder der Herstellung
entsprechender Entwürfe dienten, mußten geschlossen werden. Nach
Artikel 169
hatte sich Deutschland verpflichten müssen, innerhalb zweier
Monate nach Inkrafttreten des Vertrages alle Waffen, Munitionsvorräte und
das Kriegsgerät, einschließlich des Flugabwehrgerätes, den
Regierungen der Siegerstaaten zur Zerstörung oder Unbrauchbarmachung
auszuliefern, das in Deutschland über die zugelassenen Mengen hinaus noch
vorhanden war. Dieselbe Verpflichtung galt für alle Werkzeuge und
Maschinen, [138] die für die Anfertigung von
Kriegsgerät bestimmt waren. Die Einfuhr von Waffen, Munition und
Kriegsgerät jeder Art nach Deutschland war durch Artikel 170
ebenso
ausdrücklich verboten, wie die deutsche Anfertigung und Ausfuhr von
Waffen, Munition und Kriegsgerät nach fremden Ländern. Die
Herstellung von Giftgasen in Deutschland und ihre Einfuhr nach Deutschland
wurde durch Artikel 171
verboten, und in Artikel 172
der deutschen Regierung die
Pflicht auferlegt, den Gegnerstaaten die Beschaffenheit und Herstellungsart aller
Spreng- und Giftstoffe sowie der anderen chemischen Präparate mitzuteilen,
die von ihr im Verlaufe des Weltkrieges angewendet oder vorbereitet worden
waren.
Auch für solche Dinge, die im Vertrage von Versailles nicht
ausdrücklich angeführt waren wie Fahrräder, Motorräder
und Sondergerät, setzte die I. M. K. K. Höchstmengen fest, ebenso
auch hinsichtlich des Nachrichtengerätes. Zur Verwendung bei Streiks,
Unruhen und sonstigen Störungen erbat die deutsche Regierung dreizehn
feste Funkstellen in Königsberg, Stettin, Spandau, Dresden, Cannstatt,
Kassel, Hannover, Münster, München, Nürnberg, Potsdam,
Breslau und Frankfurt a. O., die am 13. Februar 1922 genehmigt wurden. Eine
vierzehnte Funkstelle in Weimar wurde am 31. Juli 1925 bewilligt.
Da Artikel 171,
wie bereits erwähnt, die Herstellung, den Gebrauch und die
Einfuhr von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen für
Deutschland verbot, genehmigte die Botschafterkonferenz am 22. März
1921 auch keinerlei Gasschutzgerät für das deutsche Heer. Ein
deutscher Einspruch wurde am 20. Mai 1921 zurückgewiesen. Die
Entwaffnungsnote vom 5. Juni 1925 genehmigte schließlich einen gewissen
von der I. M. K. K. festzusetzenden
Vorrat an Gasmasken (1 Maske pro Mann und
eine Reserve von 50%). Die Firma Auer wurde als alleinige Lieferantin des
Gasschutzgerätes bestimmt. Die Gebäude des ehemaligen
"Gasschutzlagers" in Hannover durften zur Verfügung des Heeres
bleiben.
Heeresergänzung und militärische
Ausbildung
Einschneidender als alle materiellen Einschränkungen der bisher
erörterten Artikel des Versailler Vertrages mußte sich die im Artikel
173 geforderte Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland
auswirken. Das deutsche Heer durfte hinfort nur im Wege
freiwilliger - wirtschaftlich sehr kostspieliger - Verpflichtung
aufgestellt und ergänzt werden. Die Unteroffiziere und Gemeinen sollten
sich - Artikel
174 - auf eine ununterbrochene Dauer von 12 Jahren
verpflichten, die in der Armee verbleibenden Offiziere bis zum Alter von 45 Jahren
in der Armee dienen. Neuernannte
Offiziere - Artikel
175 - mußten sich verpflichten,
wenig- [139] stens 25 Jahre
hintereinander wirklich Dienst zu tun. Die Teilnahme ehemaliger Offiziere an
theoretischen oder praktischen militärischen Übungen war verboten,
ebenso die Einstellung von Unteroffizieren und Mannschaften auf Probezeit.
Der Gedanke an die preußische Heeresreform von 1808 bis 1813 hat die
Bestimmungen des Versailler Vertrages über die Heeresergänzung
und militärische Ausbildung weitgehend beeinflußt. Damals war es
gelungen, neben dem von Napoleon I. genehmigten und geforderten Heere von
42 000 Mann durch Anwendung des sogenannten Krümpersystems Reserven
auszubilden und durch vorzeitige Entlassung von Mannschaften die Zahl der
ausgebildeten Wehrfähigen allmählich beträchtlich zu
erhöhen. Hiergegen wendete sich Artikel 178
mit seiner Bestimmung,
daß in keinem Falle bei den Truppenteilen, Behörden oder
Stäben Stämme für Ergänzungsformationen vorhanden
sein dürften. Unterrichtsanstalten, Hochschulen, Kriegervereine,
Schützengilden,
Sport- oder Wandervereine, überhaupt Vereinigungen jeder Art und ohne
Rücksicht auf das Alter ihrer Mitglieder dürfen sich nach Artikel 177
mit militärischen Dingen nicht befassen, ihre Mitglieder nicht im
Waffenhandwerk oder im Gebrauch von Kriegswaffen ausbilden, üben,
ausbilden oder üben lassen. Auch dürfen diese Vereine,
Gesellschaften, Unterrichtsanstalten und Hochschulen in keinerlei Verbindung mit
dem Reichswehrministerium oder irgendeiner anderen militärischen
Behörde stehen. Die Entwaffnungsnote vom 4. Juni 1925 forderte
ausdrücklich einen Erlaß der deutschen Regierung in diesem Sinne.
Ein solcher ist durch Verordnung des Reichsministers des Inneren am 12. Februar
1926 erfolgt.
Die Scharnhorstsche
Heeresreform hatte nur dadurch so gewaltige Ergebnisse
gezeitigt, daß sie den Hauptnachdruck auf den Geist, auf die Durchdringung
des kleinen preußischen Musterheeres mit echt soldatischem Empfinden und
Wissen legte. Die militärischen Lehranstalten waren dazu bestimmt, eine
einheitliche Durchbildung der ganzen Armee nach wahrhaft militärischen
Grundsätzen und unter immer weiterer Entwicklung der taktischen
Lehrvorschriften zu bewirken.
Gegen diesen militärischen Geist des deutschen Heeres richtete der
Versailler
Vertrag seinen Hauptangriff im Artikel 176.
Danach mußten
binnen zweier Monate nach Inkrafttreten des Vertrages alle Kriegsakademien oder
ähnlichen deutschen Einrichtungen, ebenso die verschiedenen
Militärschulen für Offiziere, Offiziersaspiranten, Kadetten,
Unteroffiziere oder Unteroffiziersschüler bis auf eine Schule für jede
Waffengattung aufgehoben werden. Eine Note der I. M. K. K.
vom 24. Februar 1920
erläuterte diese Vorschrift dahin, daß nur eine Infanterieschule, eine
Kavallerieschule und je eine Schule für die Artillerie und die Pioniere
vorhanden sein dürften. Der zweite Kursus [140] der Infanterieschule und die Kavallerieschule in
Soltau mußten deshalb auf Grund einer Note vom 13. Juni 1921 aufgehoben
werden. Die Schüler und die Stämme der Waffenschulen
mußten in das
100 000-Mann-Heer mit eingerechnet werden.
Die Besorgnis der Siegerstaaten vor der deutschen militärischen
Tüchtigkeit ging so weit, daß man sich auch noch dagegen zu sichern
suchen mußte, falls es Deutschland etwa einfiel, Missionen des Landheeres,
der Seemacht oder der Luftstreitkräfte in fremde Länder zu entsenden
oder auch nur dorthin abreisen zu lassen. Deutschland mußte sich im Artikel
179 verpflichten, durch geeignete Maßnahmen zu verhindern, daß
Reichsdeutsche sein Gebiet verließen, um in das Heer, die Flotte oder den
Luftdienst irgendeiner fremden Macht einzutreten. Auch durfte kein Deutscher in
einem fremden Lande beim Unterricht in Heer, Marine oder Luftwesen mitwirken.
Die Alliierten und Assoziierten Mächte vereinbarten untereinander, "keinen
Reichsdeutschen in ihr Heer, ihre Flotte oder ihre Luftstreitkräfte
einzureihen oder zur Förderung der militärischen Ausbildung in ein
Zugehörigkeitsverhältnis zu ihnen treten zu lassen, überhaupt
keinen Reichsdeutschen als Lehrer im
Heer-, Marine- oder Luftfahrwesen anzustellen".
Nur Frankreich beanspruchte für sich das Vorrecht, die Mannschaften seiner
Fremdenlegion auch weiterhin gemäß den französischen
militärischen Gesetzen und Vorschriften zu ergänzen. Hierfür
wollte es also auch auf die Beteiligung deutscher Wehrfähiger nicht
verzichten.
Befestigungen
Das Sicherheitsbedürfnis Frankreichs war so groß, daß man im
Artikel 180
die Abrüstung und Schleifung aller befestigten Anlagen,
Festungen und festen Plätze zu Lande westlich einer Linie 50 km
östlich des Rheins forderte. Jede Anlage einer neuen Befestigung in dieser
Zone wurde verboten. Für die
Süd- und Ostgrenze Deutschlands durften die bisherigen Festungen
beibehalten werden, und zwar in dem Zustande, in dem sie sich am 10. Januar
1920, dem Tage des Inkrafttretens des Versailler Vertrages, befanden.
Nach Artikel 167
des Vertrages mußte Deutschland Anzahl und Kaliber der
in seinen Festungsanlagen im Lande und an der Küste noch vorhandenen
Geschütze mitteilen. Danach kamen für die vierzehn noch in Frage
kommenden Landbefestigungen Königsberg, Pillau, Boyen, Marienburg,
Königstein, Neiße, Glatz, Breslau, Glogau, Küstrin,
Swinemünde, Ulm, Ingolstadt und Spandau 4363 Geschütze, davon
2124 schwere, in Betracht. Die I. M. K. K. entschied aber am 20. März
1920, daß nur diejenigen Geschütze zugestanden werden
könnten, für die am 10. Januar 1920 feste Stände oder
Bettungen [141] schon vorhanden gewesen seien. Für
Königsberg wurden schließlich 22 Geschütze zugestanden und
weiterhin noch 16 Flugabwehrkanonen. Hinsichtlich der übrigen Festungen
erklärte die I. M. K. K. jede Ausrüstung mit Kampfgerät
für unzulässig und unnötig, da ja die für die
Verteidigung der Festungen allein in Frage kommende Feldtruppe mit allem
Kampfbedarf ausgestattet sei. Trotz aller Einsprüche hielt die I. M. K. K. an
ihrer Weigerung fest.
Für die Leitung der Entfestigungsarbeiten mußten die
Entfestigungsämter Köln, Koblenz und Mainz geschaffen werden.
Für die Abrüstung und Schleifung kamen Wesel, Köln,
Koblenz, Mainz, Germersheim, Kiel und die Befestigungen am Oberrhein, sowie
die Reste der ehemaligen seit 1890 aufgelassenen Festung Rastatt in Betracht.
Nach langen Verhandlungen konnten die von der I. M. K. K. geforderten
Schleifungsarbeiten soweit herabgesetzt werden, daß sie einen
Kostenaufwand von nur noch 277 Millionen statt ursprünglich 619,8
Millionen Reichsmark erforderten. Auch hinsichtlich der deutschen Rayongesetze
mußte ein jahrelanger Schriftwechsel mit der I. M. K. K. geführt
werden, bis man sich schließlich dahin einigte, nur noch die
Rayonbeschränkungen bei Mainz und beim Brückenkopf Kehl
bestehen zu lassen, alle anderen aber aufzuheben.
Die Interalliierten
Überwachungsausschüsse
Wiederholt ist in den vorhergehenden Ausführungen von der
I. M. K. K. - deutsche Abkürzung für
Interalliierte Militärkontrollkommission (commission militaire interalliée de
contrôle) - die Rede gewesen. Solche Ausschüsse sind
für Landheer, Seemacht und Luftfahrt gemäß Artikel
203 des
Versailler Vertrages gebildet worden. Als ihre Aufgabe bezeichnete Artikel
204 die
Überwachung der regelrechten Ausführung der Auslieferungen, der
Zerstörungen, des Abbruchs und der Unbrauchbarmachung zu Lasten der
deutschen Regierung. Sie hatten den deutschen Behörden die
"Entscheidungen" der Siegerstaaten zur Kenntnis zu bringen und durften zu diesem
Zweck ihre Dienststellen am Sitze der deutschen Reichsregierung einrichten, sich
an jeden beliebigen Ort des deutschen Reichsgebietes begeben,
Unterausschüsse oder einige ihrer Mitglieder dorthin entsenden (Artikel
205). Die deutsche Regierung mußte für jeden interalliierten
Überwachungsausschuß einen zur Vermittlung dienenden
Beauftragten bezeichnen, der alle für die deutsche Regierung bestimmten
Mitteilungen entgegenzunehmen und die von der Gegenseite verlangten
Auskünfte oder Schriftstücke zu liefern oder zu beschaffen hatte.
Sämtliche Kosten gingen zu Lasten Deutschlands.
Die I. M. K. K. galt als
Vertreterin der Regierungen der gegnerischen Hauptmächte für die
Durchführung der militärischen Bestimmungen. Ihr mußten alle
Angaben von militärischer Bedeutung gemacht
wer- [142] den; an sie erfolgte die
Auslieferung von Waffen, Munition und Kriegsgerät, durch sie die
Überwachung der durch den Versailler Vertrag vorgesehenen
Zerstörungen, Abbrüche und Unbrauchbarmachungen.
Deutschlands Knebelung schien aber immer noch nicht hinreichend sichergestellt.
Deshalb verfügte Artikel 211
des Vertrages, daß die deutsche
Gesetzgebung nach Ablauf einer Frist von drei Monaten nach Inkrafttreten des
Vertrages so abgeändert werden müsse, daß sie mit dem
Vertrage übereinstimme. Auch mußte sich Deutschland im Artikel 213
verpflichten, innerhalb der Geltungsdauer des Versailler Vertrages jede
Untersuchung zu dulden, die der Rat des Völkerbundes mit
Mehrheitsbeschluß für notwendig erachte.
So war denn die militärische Knebelung Deutschlands nach jeder Richtung
hin feinstens ausgeklügelt und gesichert. Inmitten Europas gelegen, konnte
Deutschland mit seinen nach jeder Seite offenen Grenzen bei einer
Bevölkerung von 63,1 Millionen nur ein Heer von 100 000 Mann
Friedens- und Kriegsstärke halten, also nur 0,15 vom Hundert der
Bewohnerzahl zum Schutze seiner Landesgrenzen und seiner staatlichen
Selbständigkeit aufbieten. Eingekeilt zwischen Frankreich, das bei
nur 40,7 Millionen Einwohnern ein Heer von 671 000 Mann (1,6% der
Bevölkerung) unterhält, Polen mit einem Friedensheere von
330 000 Mann (1,1%), der
Tschecho-Slowakei mit 100 - 140 000 Mann
Friedensstärke (1%),
Belgien mit 70 900 Mann Friedensstärke (0,89%), um nur einige
unserer Nachbarstaaten zu nennen,1 ist Deutschland nach Abschaffung der
allgemeinen Wehrpflicht, ohne Großen Generalstab, ohne Schwere Artillerie,
ohne militärische Luftfahrt, ohne Tanks, in einem Maße entwaffnet, ja
geradezu wehrlos gemacht, daß selbst das ängstlichste
Sicherungsbedürfnis unserer westlichen Weltkriegsgegner zufriedengestellt
sein müßte.
Für den Fall eines europäischen Krieges ist Deutschland nicht mehr in
der Lage, militärisch mitzusprechen, denn bei der Art des modernen Krieges
läßt sich das Fehlen der wichtigsten Spezialwaffen nicht ausgleichen.
Dem deutschen Heere fehlt das Auge der militärischen Luftstreitkräfte
und der Nachdruck der Schweren Artillerie. Für den Fall einer
Mobilmachung ist nichts vorbereitet und kann nichts vorbereitet werden. Dadurch
hat Deutschland bei seiner geopolitisch bedingten schweren strategischen Notlage
inmitten Europas seinen einzigen Vorteil, nämlich die gründliche
Mobilmachungsvorarbeit der Vorkriegszeit und die Möglichkeit schneller
Anfangserfolge, verloren. Schutzlos liegt es dem Zugriff seiner stärker
be- [143] waffneten und meist auf dem Grundsatz der
allgemeinen Wehrpflicht fußenden Nachbarstaaten offen.
Zur Wehrlosmachung haben die Siegerstaaten die Kränkung
hinzugefügt. Die ursprünglichen Bestimmungen des Versailler
Vertrages sind in zahllosen Fällen durch die Auslegungen der Interalliierten
Militärkontrollkommission und der Botschafterkonferenz verfälscht,
verschoben und völlig unberechtigt nur auf Grund der tatsächlichen
Machtverhältnisse zu Ungunsten Deutschlands erweitert worden.
Die I. M. K. K. hat ihre Kontrolle auch auf
solche Punkte ausgedehnt, die nicht im Sinne des
Artikels 203
befristet waren, und auch zu diesen unbefristeten Punkten Auskunft
gefordert. Ferner hat sie die Bestimmungen des Vertrages vielfach
eigenmächtig erweitert und Lücken, die sich erst bei seiner
Durchführung herausstellten, zum Nachteil Deutschlands geschlossen.
Die Alliierten und Assoziierten Mächte sind zweifellos nicht
glücklich beraten gewesen, als sie dem im Waffenkampfe unterlegenen
Deutschen Reiche die militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrages
aufzwangen. Sie haben vergessen, daß es auch für den Sieger Grenzen
gibt, über die hinauszugehen nicht rätlich ist. Kein Volk von Ehre
kann die Erinnerung an einen so schmählichen Unterwerfungsvertrag jemals
vergessen. Mit ihm ist weder der Sache des Weltfriedens noch des
Völkerbundes gedient.
Vom deutschen Standpunkte aus kann es angesichts der militärischen
Knebelungen durch den Versailler Vertrag nur eine Frage geben: ist es
Deutschland gewesen, das den Krieg gewollt und entfesselt hat? Ist es also
Deutschland, gegen das sich die anderen Staaten Europas sichern müssen?
Von der Beantwortung dieser Frage hängt die weitere Entwicklung Europas
ab.
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