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[Bd. 3 S. 42]
Friedrich August Ludwig von der Marwitz, 1777 - 1837, von Hans Haimar Jacobs

Friedrich August Ludwig von der Marwitz.
[56a]      Friedrich August Ludwig
von der Marwitz.

Tuschzeichnung von Franz Krüger, 1827.
Schloß Friedersdorf in der Mark.

[Bildquelle: Johannes Schulz, Berlin.]
In den Nachrichten aus meinem Leben, für meine Nachkommen schreibt der preußische General Friedrich August Ludwig von der Marwitz über seine Konfirmation: "Ich wurde in der Friedersdorfschen Kirche vor der versammelten Gemeine in meiner Gensdarmesuniform öffentlich examiniert und eingesegnet." Von solcher Bedeutung ist dem rückblickenden Betrachter diese Stunde, daß in diesem Satze seine ganze Lebens- und Wertwelt zusammengefaßt vor Augen tritt.

Auf dem Gut Friedersdorf in der Kurmark, in der Nähe von Küstrin, das die ursprünglich neumärkische und pommersche Adelsfamilie von der Marwitz Ende des siebzehnten Jahrhunderts durch Heirat erworben hatte, verbrachte Marwitz, der 1777 in Berlin geboren wurde, seine Jugend und den größten Teil seines Lebens, und hier starb er 1837. Marwitz konnte sein Geschlecht bis zum Ende des dreizehnten Jahrhunderts in der Mark Brandenburg zurückführen und lebte mit Stolz in der Geschichte seiner Familie. Denn die feudale Verbindung von Kriegsdienst und Gutsherrschaft, worauf der ritterliche Adel des ostdeutschen Kolonialgebietes von Anfang an beruhte, bejahte Marwitz auch für seine eigene Zeit als die hergebrachte und berechtigte Lebensordnung des preußischen Adels. War doch Brandenburg-Preußen dem Gesetz eines sich ausdehnenden, kolonisierenden Kriegerstaates, nach dem es angetreten, nicht nur treu geblieben, sondern seit dem Großen Kurfürsten bis hin zu Friedrich dem Großen erst wahrhaft wieder gehorsam geworden! Und so war es gerade Friedrich der Große gewesen, der den ursprünglich staatlichen Sinn der gutsherrlichen Bodenverwurzelung des preußischen Adels wieder in besonderem Maße lebendig zu machen versuchte; er sah in diesem mit dem Lande in engster Interessengemeinschaft verbundenen, durch standesmäßige Ehrbegriffe straff zusammengehaltenen, befehlsgewohnten Stand die Führerschicht für Offizierkorps und Verwaltung, deren Dienstbereitschaft das Königtum durch die Erhaltung der adeligen Güter und gutsherrlichen Sonderrechte ebenso wie durch strengste Erziehung zu züchten und einzusetzen habe. So ist es besonders sinnvoll, daß es für Marwitz das "Merkwürdigste" aus seinen frühesten Erinnerungen war, dreimal Friedrich den Großen gesehen zu haben; dem Fünf- oder Sechsjährigen war es, als ob er den lieben Gott ansähe. Es gab wenig Adelsgeschlechter, die so sehr wie die Herren von der Marwitz bei aller stolzen Bodenständigkeit nicht im Landjunkertum aufgingen, sondern in der Welt des Staates ihren Schwerpunkt fanden. Einige hundert preußische Offiziere und elf Generale waren [43] schon aus dem Geschlecht hervorgegangen, als mit dreizehn Jahren Friedrich August Ludwig beim Regiment Gensdarmes eingeschrieben wurde, weil es weder ihm noch seinen Eltern einfiel, daß er etwas anderes in der Welt werden könne als Soldat.

Seinen Vater, den Hofmarschall Friedrich Wilhelms II., hatte der Dienst für den König von Preußen immer mehr vom Lande weg in die große Welt des Hofes gezogen, und Marwitz' Mutter stammte als Tochter des Staatsministers von Dorville aus dem adligen Beamtentum. Die Dorvilles waren ein altadeliges Hugenottengeschlecht, das seines Glaubens wegen Frankreich verlassen hatte und in Preußen heimisch geworden war. Der Marwitz aber unter Ludwigs Vorfahren, der in der Reformationszeit lebte, hielt sich schon 1529 seinen eigenen lutherischen Hauskaplan, und Marwitz' Großvater, der gestrenge August Gebhard, ein "Soldatenkönig im kleinen", saß allsonntäglich mit seiner Familie und seinen Bauern in der Kirche in Friedersdorf und ließ als christliche Obrigkeit durch einen Vogt den fleißigen Kirchgang seiner Untertanen beaufsichtigen.

Ludwigs religiöse Erziehung war vom Geiste der Aufklärung berührt; er nahm das überkommene Dogma nicht selbstverständlich-ungeprüft hin, sondern wurde von seinem Konfirmandenlehrer dazu angehalten, Zweifel zu äußern und zu disputieren. Aber die Grenze zwischen Vernunft- und Offenbarungsglauben, an die er so geführt wurde, überschritt er nicht im Sinne einer bloßen Vernunftreligion. Dabei war er seiner ganzen Haltung nach ein bodenständiger Wirklichkeitsmensch mit praktisch-nüchternem, kritischem Verstand und einem gewissen, echt preußischen Zug zum Räsonieren, aber eben in dieser Wirklichkeitstreue des boden- und traditionsgebundenen, im echten Landleben erwachsenen Menschen war seine Ablehnung des utopisch-verblasenen, aufklärerischen Gedankenzusammenhanges der allgemeingültigen Verstandessetzungen und der Menschengüte ebenso wie die Anerkennung der unverschleierten Wirklichkeit und des Anspruches Gottes begründet. So ist seine Religiosität nicht nur konservatives Beharren, sondern er machte sich die Überlieferung persönlich zu eigen als festen Stab durch sein ganzes Leben, "der nie gewankt hat". Als lutherischer Christ verband er die Einsicht von der eitlen Gottferne der Welt mit dem strengen Berufungsgefühl zum Wirken in ihr: "Es soll keiner sich dadurch abhalten lassen, immer und überall seine Schuldigkeit zu tun." An die Möglichkeit einer Ordnung dieser Welt nach Gesetzen christlicher Politik dachte er nicht, und ähnlich wie Bismarck stand er daher im Gegensatz zum christlichen Legitimismus der Heiligen Allianz oder der katholischen französischen Konservativen; und auch darin kam er Bismarck in seiner religiösen Haltung nahe, daß der Mensch wenig oder nichts auf die Geschichte vermöge, sondern ein Werkzeug in Gottes Hand sei und doch in der Welt zu handeln habe.

Die übliche französische Gouvernanten- und Hofmeistererziehung tritt in ihren Wirkungen völlig zurück hinter dem preußischen Heeresdienst. Schon mit vierzehn Jahren wurde Marwitz vor Anforderungen gestellt, die er, in seiner Jugend ohnehin kleiner, zarter und schwerfälliger als seine Altersgenossen, nur mit Aufbietung [44] äußerster Willenskraft erfüllen konnte; aber gerade durch diese Willensanspannung über das übliche Maß hinaus wurde Marwitz, dem zuerst das Reiten sehr schwer fiel, einer der besten Reiter des preußischen Heeres. Dieser Zug angestrengter, heroischer Gewolltheit war überhaupt der preußischen Haltung eigen. Denn die preußische Machtstellung war mehr das Ergebnis einer geradezu gewaltsamen Überwindung, als einer entwickelnden Ausbildung der ärmlichen Naturgegebenheiten des Landes. Bei Marwitz aber wiederholten sich diese preußischen Voraussetzungen auch noch in seinen besonderen Lebensverhältnissen, und so prägte sich dieser Stil in ihm mit klassischer Schärfe aus. Schon 1793 verlor er auch seinen Vater und übernahm nun die Verantwortung für die Erhaltung von Friedersdorf und die Erziehung seiner jüngeren Geschwister mit. Sein genial-frühreifer Bruder Alexander sah wie zu einem zweiten Vater zu ihm auf, und der jüngste Bruder Eberhard zeigte ihm kindliches Vertrauen; beide fielen in den Napoleonischen Kriegen. Strenges Pflichtgefühl und Autoritätsbewußtsein wurden durch diese Anforderungen in dem jungen Offizier noch mehr verstärkt.

Marwitz stellte sich der Welt mit seinem festen preußisch-soldatischen Wertsystem gegenüber und maß sie daran. Es war schwer, seinen Ansprüchen an menschliche Haltung zu genügen. So fehlt seiner wahrhaft lutherisch-nüchternen und herrenmäßig-scharfen, souveränen Menschenbeurteilung zuweilen nicht ganz ein Anflug von moralischem und auch geistigem Hochmut und absprechender Bitterkeit. "Immer nach Grundsätzen gehandelt haben", war die Infinitivformel, die Friedrich Wilhelm III. für das Wesen seines getreuen, aber schwierigen Vasallen fand. Diese Grundsätze aber waren nicht aus einem erdachten Idealbild des Menschen abgeleitet, sondern aus der Lebenswirklichkeit der staatstragenden preußischen Führerschicht erwachsen und mit Weltkenntnis und selbsterworbener literarischer und geschichtlicher Bildung durchtränkt.

Denn vor allem der junge Marwitz nahm am Hof- und Weltleben teil und fühlte sich durchaus als Angehöriger der großen Gesellschaft; daß kaum noch jemand eine gefällige Verbeugung machen könne, stellte er im Alter mit Verachtung fest, und Friedrich Wilhelm III. verzieh er auch auf diesem Gebiet seine Bürgerlichkeit nicht. Prinz Louis Ferdinand, dessen lockere Lebensführung Marwitz nicht billigte, zog den Aristokraten doch als Grandseigneur an, "wie wohl, seit die Welt sich so ganz ins Flache gewendet, keiner wieder geboren werden wird". Bei aller "Richtung auf Ordnung und Regel" auch in der Einfachheit und Strenge seiner sittlichen Überzeugungen war er doch reich genug, das "Außerordentliche", das dynamisch Große auch an Männern wie Louis Ferdinand und seinem Bruder Alexander zu würdigen, die die Grenzen seiner moralischen Welt sprengten. Dieses hohe und selbstverständliche Gefühl für edle Naturen, die zahlen mit dem, was sie sind, war dem leidenschaftlichen und unbedingt sich einsetzenden Mann aus natürlicher Verwandtschaft heraus eigen. Aber wie die deutsche Bewegung seiner Zeit, die die Aufklärung überwand, diesen Sinn für Ganzheit und Größe [45] des Menschentums wenn nicht erschloß, so doch erst in großem Stil ausdrückbar machte, so meint man auch in Marwitz' auf die Idee bezogenen und aufs Ganze gehenden Persönlichkeitsschilderungen neben dem preußischen Stoizismus der Haltung den Geist dieser Zeitströmung zu spüren, die in ihrer Ausprägung als Romantik ja besonders auf ostdeutschem Kolonialgebiet ihren Boden hatte.

Die reiche Innerlichkeit der Zeit äußert sich besonders in seinem germanisch-ritterlichen und romantischen Hang, Frauenbilder zu erfinden, wie die Erde sie nicht trägt, während sonst sein Sinn für menschliche Kräfte und Größe stets durch ein tiefes protestantisches und friderizianisches Wissen um die Fragwürdigkeit alles Menschlichen abgestimmt ist. In "Irene", mit der ihn vom sechzehnten Jahr an ein zartes, ganz seelisches Verhältnis verband, das nach sechs Jahren durch ihren Tod gelöst wurde, sah noch der Fünfziger seinen Stern und seine Leuchte in diesem Leben, und auch für das Jenseits war sie seine Beatrice. Um Fanny Brühl, die Enkelin des sächsischen Staatsmanns und Feindes Friedrichs des Großen, "die unschuldigste aller Seelen, die jemals auf Erden gewandelt haben", warb er mit unendlicher Vornehmheit; sie wurde ihm nach noch nicht einjähriger Ehe nach der Geburt einer Tochter entrissen. Jene beseelende Durchdringung der Liebe und Ehe durch Neuhumanismus und Romantik mit geistig-persönlichem Gehalt ist auch hier zu spüren, aber sie bleibt bei Marwitz in den strengen Grenzen christlicher Ritterlichkeit und der überpersönlich-natürlichen Ordnung der Familie und zumal des Adelsgeschlechtes. Von diesen Anforderungen aus ist seine spätere Ehe mit der Gräfin Charlotte Moltke, die ihm mehrere Kinder schenkte, vor allem zu verstehen. Denn "der Mensch ist keine isolierte Pflanze in der Schöpfung, die für sich allein lebt und stirbt, sondern seine Geschlechter sind ein zusammenhängendes Ganzes, das zusammenhängend bleiben und gute Gesinnungen nach dem Willen des Schöpfers fortpflanzen soll"; das war sein Vermächtnis an seine Kinder. Aber dieser Ehe fehlte der Glanz persönlicher Erfüllung; noch dreißig Jahre nach Fannys Tod lebte Marwitz in Einsamkeit und Erinnerung. Fanny trägt geradezu Züge des Kleistschen Käthchen, wie sie ihn denn zuweilen "innigst gerührt: 'Ach mein lieber Herr'!" nannte, und so lebte in Marwitz viel vom Geist seines Standesgenossen und politischen Mitkämpfers Heinrich von Kleist und, je mehr die Schicksalsschläge und Ungerechtigkeiten ihn trafen, von dessen Michael Kohlhaas.

Das unbeirrbare Rechtsgefühl, mit dem er als christlicher Ritter für das ruhmreiche, adlige Preußen und sein gutes altes Recht gegen die Umwälzungen nach 1806 kämpfte, wurde oft zur Rechthaberei; ja es ist zuweilen etwas Donquichottehaftes an ihm in jenem hohen, von Tragik umspielten Sinn des Kampfes gegen das Gewöhnliche, den Albrecht von Roon, in Herkunft, Charakter und Weltanschauung einer aus seiner Nachfolge, einmal ausgesprochen hat: "War der Ritter von La Mancha nicht ein sehr ehrenwerter Mann? Jeder redliche Kämpfer muß eine Ader von dem edlen Ritter in sich haben, um Großes und Neues hervorzubringen." Auch Friedrich der Große hat sich ja in der "edlen Verzweiflung" [46] des siebenjährigen Entscheidungskampfes als Don Quichotte empfunden, und ein gewisses, wenigstens lächelndes Einverständnis mit dem erfolglos-komischen Kämpfer für eine vergangene vornehmere Welt muß auch Marwitz empfunden haben. Kupferstiche von dessen Abenteuern schmückten neben Bildern und Büsten aus den Befreiungskriegen sein Arbeitszimmer im Friedersdorfschen Herrenhaus, dessen Fassade Schinkel, der letzte Meister des großen preußischen Stils, wie bei so manchen anderen Schlössern des märkischen Adels neu entwarf.

Schloß Friedersdorf in der Mark.
[32b]      Schloß Friedersdorf in der Mark,
vor dem Umbau durch Schinkel, Wohnsitz von Friedrich August Ludwig von der Marwitz.
Aquarell im Besitz der Familie von der Marwitz.

[Bildquelle: Johannes Schulz, Berlin.]


Als Marwitz 1802 heiraten wollte, nahm er seinen Abschied, um seine volle Kraft für die Bewirtschaftung seines hochbelasteten Gutes einzusetzen. Zum Unterschied von der alten deutschen Grundherrschaft mit ihrem Streubesitz in der Hand von Zinsbauern, deren feste Abgaben die Grundlage für das standesgemäße Rentnerdasein der Herrschaft bildeten, hatten die ziemlich unbeschränkten Verteilungsmöglichkeiten des Kolonialgebietes zur Bildung umfangreicheren, zusammenhängenden Gutslandes für den Dienstadel geführt. Da dieser in seiner unternehmend-kolonisatorischen Art ohnehin mehr zu wirtschaftlicher Eigentätigkeit neigte und der kornreiche Osten schon seit dem dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert gleichsam für den Weltmarkt, nämlich für das getreidebedürftige Westeuropa und Skandinavien, arbeitete, so bildete sich dieses geschlossene Rittergut schon früh als wirtschaftlicher Betrieb aus, der nach Vergrößerung und Arbeitskräften strebte, die umwohnenden Bauern und ihre Güter in immer stärkere wirtschaftliche und rechtliche Abhängigkeit vor allem in Zeiten der Schwäche des Landesherrn von sich brachte und zur Gutsherrschaft mit obrigkeitlicher Gewalt wurde. Auf diesem Boden konnten sich seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die Neuerungen der rationellen Landwirtschaft der Aufklärung, die mit der uralten überlieferten Dreifelderwirtschaft brach und ganz auf Ertragssteigerungen auf erfahrungswissenschaftlicher und verstandesmäßig-rechnender Grundlage gerichtet war, besser entfalten als auf den zersplitterten altdeutschen Grundherrschaften, mochte auch die Steigerung der Einnahmen vom Adel vor allem als Grundlage für standesgemäßes Leben und Staatsdienst und nicht als kapitalistischer Dienst an dem wirtschaftlichen Ertrag um seiner selbst willen aufgefaßt werden. Marwitz stand mit starkem Kartoffel- und Kleebau, mit Stallfütterung und Rapsbau in der vordersten Reihe der fortschrittlichen Landwirte; ihr Schulhaupt in Deutschland selbst, der große Albrecht Thaer, lobte 1809 seine selbständige Verwaltung Friedersdorfs "mit militärischem Ordnungsgeist, aber ohne alle Pedanterei".

Marwitz mußte zuweilen erkennen, daß "die Kunst des Menschen dem nie gleichkommen kann, was Gott geschaffen", aber stets blieb er als Betriebswirt ein Anhänger der modernen Landwirtschaft, auch als er politisch und volkswirtschaftlich der bedeutendste Gegner Thaers, des Helfers Hardenbergs, wurde und [47] gegen seine liberale Auffassung des Gutes als einer Fabrik, der Landwirtschaft als eines bloßen Gewerbes zur Erzielung höchstmöglichen Gewinns und des Bodens als freier Ware, die zum tüchtigsten Wirt wandern soll, kämpfte. Von jenem doktrinären "christlich-germanischen" Ackerbau seines Standesgenossen und Nachbarn Wilhelm von Schütz, der in grotesker Zuspitzung von Gedanken Adam Müllers die Dreifelderwirtschaft als gottgewolltes Abbild der Dreieinigkeit wieder eingeführt wissen wollte und daher die fremde Kartoffel als eine heidnische Frucht bekämpfte, ist bei ihm nicht die Rede. Scharfsichtig erkannte vor allem Adam Müller den geistigen Zusammenhang zwischen dem rationellen englischen Landbau und der Zersetzung der alten bodenständigen Gesellschafts- und Staatsverfassung durch den kapitalistischen Ertragsgedanken; er kämpfte daher auch gegen die moderne Betriebsführung. Aber diese bequeme gedankliche Folgerichtigkeit leistete sich der Praktiker Marwitz mit seinem erdfesten Wirklichkeitssinn nicht, wie der Lutheraner im Gegensatz zu seinem katholischen Kampfgenossen Adam Müller ja überhaupt von der Aufrichtung eines bruchlosen Idealreichs nach christlichen Grundsätzen nichts hielt. In sein Hauptrechnungsbuch trug er wie die bürgerlichen Kaufleute des Spätmittelalters kurze Aufzeichnungen über sein Leben ein, die den Keim zu seiner Selbstbiographie bildeten. Das ist ein Zug bürgerlicher Hingabe an seinen Betrieb, aber er zeigt zugleich, wie persönlich doch noch die Form seines Wirtschaftens war. Ein "ängstlicher, isolierter Landwirt" bloß mit dem Blick auf das Wirtschaftliche wollte er auch nach der Zerstörung der alten Gutsherrschaft durch die Bauernbefreiung nicht sein, sondern fernerhin, soweit dies noch möglich war, der Gutsherr mit seinen öffentlichen Pflichten als Vater, Versorger und Vorbild seiner Untertanen. Er behandelte sie als gestrenge Obrigkeit mit starkem Abstandsgefühl, mit mißtrauischer, rechnerischer Genauigkeit, aber auch mit Sorge für ihr wirtschaftliches Wohl und ihre christliche Schulbildung. So war er in seiner Grundhaltung ein "guter Wirt" im altpreußischen Sinne Friedrich Wilhelms I. Daß er in jahrzehntelanger Arbeit trotz der schlechten Wirtschaftslage nach 1806 sein Gut schuldenfrei gemacht hatte, rechnete er sich als besonders große Leistung an. Über den engeren ländlichen Umkreis öffentlichen Wirkens hinaus aber blieb sein Auge stets auf das Ganze des Staats gerichtet, in dem er die Sinngebung auch seiner wirtschaftlichen Tätigkeit fand.


Marwitz erhielt nie die Möglichkeit zu außenpolitisch-staatsmännischem Wirken, aber er war einer der am schärfsten blickenden und treffsichersten Beobachter der preußischen Außenpolitik, die er auch mit Hilfe des politischen Schrifttums studierte. Er dachte nicht in der kühlen Staatsräson eines bloßen mechanischen Mächtespiels, wie die preußischen Kabinettspolitiker vor 1806 und etwa Metternich nach 1815, aber er wollte auch nicht wie die Anhänger der Französischen Revolution oder die preußischen Reformer oder die späteren [48] legitimistischen Konservativen die außenpolitischen Entscheidungen von unpolitischen Ideen her gefällt wissen. Wohl sah seine ehrenfeste Rechtlichkeit in Friedrich dem Großen den Herrscher, der im Gegensatz zu Napoleon stets unter Hintansetzung eigenen Vorteils die Rechte anderer gewahrt habe; den Vorwurf des Macchiavellismus ließ er nicht auf dem König sitzen. Aber wenn Marwitz auch für die Dämonie der großen Machtpolitik kein volles Verständnis hatte, so war er doch friderizianischer als die bedenkenlos-schlauen Kabinettspolitiker seiner Zeit. Denn trotz alles ideenpolitischen Einschlags, den er nicht so wie Friedrich der Große und Bismarck völlig überwand, war der selbstverständliche und ganz unangreifbare Kern seines außenpolitischen Denkens doch nicht ein abgezogenes Gedankensystem, sondern Preußen, nicht als Ländermasse, sondern als wirkliche Schicksalsgemeinschaft mit seinen Lebensnotwendigkeiten, seiner Würde als Großmacht und vor allem den moralischen Energien, die diesen Staat geschaffen hatten. In ihnen lebte Marwitz ganz und gar, und wie dem großen König, auf den er als Verkörperung dieser Tugenden schaute, so spitzten sie sich auch ihm vor allem auf den Begriff der preußischen Ehre zu.

Jene unbedingte Verbundenheit mit dem Staat und seiner Größe, in der die Ehre des Staatsmannes besteht, erkannte Marwitz der Königin Luise zu, die "Ehre im Leibe" und das Gefühl hatte, "daß sie die Königin von Preußen sei!" Aber er vermißte es bei Friedrich Wilhelm III. "Er stand nie in der Mitte seines Reiches, sondern gleichsam immer daneben, als ob er nur etwa eines oder das andere in seinem Staate nebenher zu besorgen habe, ohne moralische Verantwortlichkeit." Das Wesen des Führertums, die lebenspendende Mitte des Staates zu sein, ist hier von Marwitz an dem Gegenbild mit einfach-großartigem Sinn erfaßt; von dieser Haltung her hat er den König bei mancher Ungerechtigkeit im einzelnen doch im Kerne mit durchdringender Wahrheit beurteilt.

Mit unbedingtem Preußentum als Lebenswirklichkeit und Urteilsmaßstab verband sich bei Marwitz ein scharfer Blick für politische Machtlagen. In dieser Haltung deutet er auf Bismarck vor, der Marwitz selbst in seinen Einzelurteilen etwa über die Konvention von Reichenbach von 1790 oder über den Baseler Frieden von 1795 ganz nahe kam und sich vielleicht von ihm beeinflussen ließ; Marwitz' umfassende Wertung der preußischen Lage nicht nur von der Kampfstimmung gegen das revolutionäre Frankreich und Napoleon, sondern ebenso von den Machtgegensätzen gegen die Verbündeten Österreich und Rußland aus stellte ihn gegenüber den konservativen Legitimisten und auch gegenüber Stein, der etwa den Baseler Frieden als Verrat an Deutschland betrachtete, in die Linie über Ranke zu Bismarck. Wie dieser erkannte er schon die Bedeutung der orientalischen Frage für die Ablenkung der Ostmächte von Deutschland, dessen Einigung er schon früh und dann vor allem nach 1813 Preußen zunächst als Möglichkeit großstaatlicher Machtsteigerung und dann erst als deutsche Aufgabe zuwies. Solche Gelegenheiten zu politischem Gewinn, schließlich aber selbst das nackte [49] Dasein Preußens sah Marwitz durch die Politik ängstlich-überschlauer Berechnung zunichte gemacht, mit der die preußischen Staatsmänner vor 1806 den Frieden mit Frankreich zu erhalten und gleichzeitig kleine Vorteile einzuheimsen hofften.

Die Besetzung Hannovers, zu der Napoleon im dritten Koalitionskrieg Englands, Rußlands, Österreichs und Schwedens 1805 das schon halb auf Seiten der Verbündeten stehende, aber entschlußlose Preußen veranlaßte, um es mit England zu verfeinden, die "Schande, des Alliierten Eigentum von dessen Feinde zum Geschenk anzunehmen", empfand Marwitz ohne jede Täuschung über die Lage als "eigene persönliche Schande". Jene Selbstvernichtung der Selbstsucht durch ihre Vollständige Entwicklung, wie Fichte später die Situation der Zeit großartig zusammenfaßte, wurde Marwitz 1805, da seine Warnungen an dem selbstischen Besserwissen der Zeitgenossen abglitten und dann sofort durch Napoleons brutale Demütigungen bestätigt wurden, mit besonderer Klarheit offenbar, und scharf sah er auch den Zusammenhang des Verderbens mit dem aufklärerischen Gesamtgeist, den Fichte im tiefsten als verstandesmäßige Herleitung der Werte aus der Sinnlichkeit und damit aus dem Eigennutz begriff und mit seinen Folgen der Schlaffheit und berechnenden Würdelosigkeit auch bei den Regierenden wirken sah.

Marwitz erkannte als eigentlichen Träger der Aufklärung und ihrer Wertsetzungen nach dem "äußeren Schein" die bürgerliche Honoratiorenschicht, den "gebildeten Mittelstand"; aber auch die regierende Zivil- und Militärbürokratie fand er angefressen. In der Linienarmee dagegen und im Volke fand er die Anhänger des "alten preußischen Muts und der brandenburgischen Rechtschaffenheit", "des preußischen Ruhms und der Ehre". Denn diese aus der Wirklichkeit der preußischen Geschichte erwachsenen Werte und nicht die Ehre der reinen moralischen Vernunftpersönlichkeit Fichtes, die die Wirklichkeit erst aus sich setzt, bildeten die Welt der sittlichen Willensfreiheit, die der Junker Marwitz der zersetzenden Aufklärung entgegenstellte; in den Erlebnissen dieses Krisenjahres 1805, als ihm der Franzosenfreund Massenbach, später der Hauptschuldige an der Niederlage von Jena, entgegenwarf: "Ehre ist ein Hirngespinst, die kann man nicht fressen!", bildete sich diese seine kämpferische Einstellung und das klare Bewußtsein seiner eigenen Haltung erst recht aus. Damals spürte sein waches staatliches Verantwortungsgefühl auch, wie die Krise in dem sonst außenpolitisch gleichgültigen Volk des absoluten Staates die politische Anteilnahme erweckte; er fühlte, daß das alte Verhältnis von Fürst, Staat und Untertanen zu einer Schicksalsgemeinschaft verwandelt werden und sich diese Bereitwilligkeit der Untertanen, "alles mit ihrem Fürsten zu ertragen und zu unternehmen", auch öffentlich darstellen müsse. Von diesen Ansätzen der Volkwerdung ließ er sich tragen, und in sie suchte er den zaudernden und abseits stehenden, "in seinem häuslichen Zirkel isolierten" König mit hineinzuziehen durch den großartig-schwungvollen Entwurf einer Eingabe der kurmärkischen Stände an Friedrich Wilhelm III., den Frieden nicht länger zu erhalten, weil "der bloße Frieden nicht das höchste Gut für Nationen ist, sondern die [50] Erhaltung ihrer Unabhängigkeit, ihr festes Zusammenhalten mit ihrem angeborenen Fürsten und ihre Sicherstellung vor den Gewalttaten eines ewigen Krieges, der unter dem Namen des Friedens geführt wird", und weil "selbst ein rühmlicher Tod besser ist als ein knechtisches Leben". Aber die Stände in ihrer alten gouvernementalen Gesinnung hatten keinen Begriff davon, daß eine solche Maßregel, wie sie dann einige Tage später die königlichen Prinzen, Stein und einige hohe Offiziere ergriffen, notwendig und erlaubt sein könne.

Als Soldat hatte er schon 1805 im mobilisierten Heer wieder Dienste genommen und war nach der unheilvollen Demobilisierung, die Preußen Napoleon in die Hand spielte, enttäuscht nach Friedersdorf zurückgekehrt. 1806 wurde er wie im Vorjahr wieder als Rittmeister Adjutant des Fürsten Hohenlohe, unter dem er mit großer Tapferkeit und Umsicht in der Schlacht bei Jena mitkämpfte; bei der schmachvollen Kapitulation von Prenzlau, die Hohenlohes Generalquartiermeister Massenbach auf dem Gewissen hatte, wurde er mitgefangen. Gegen sein Ehrenwort, nicht weiterzukämpfen, wurde er von den Franzosen entlassen. Aber er kehrte nicht nach Friedersdorf zurück, sondern auf abenteuerlicher Reise schlug er sich von Strelitz durch das besetzte Stralsund über Malmö und Kopenhagen nach Danzig und nach Königsberg zum König durch, um sich gegen einen französischen Offizier auswechseln zu lassen und Preußen wieder zu dienen, auch jetzt wieder geleitet von einer Idee des Vaterlands als "des Zusammenflusses und des Zusammenwirkens aller Individuen" und der zu weckenden Nation.

Auch sein Soldatentum erhielt jetzt einen großen, unmittelbar-politischen Zug. Der noch nicht Dreißigjährige schlug eine Expedition der ganzen noch vorhandenen Heeresmacht längs der unbesetzten Küste von Ostpreußen in die Mark vor, um in den Rücken des nach Polen abmarschierten Feindes zu kommen, sich mit Engländern und Schweden zu vereinigen und in Deutschland dann den Volksaufstand anzufachen. Ein Rest dieses kühnen Plans, nämlich die Bildung eines Freikorps, wurde Marwitz genehmigt. Er erkannte, daß mit der alten Art der Ausbildung "durch alle Längen des Geschäftsganges" jetzt gebrochen werden müsse, und stand also als Soldat darin den Reformern nahe. In ständigem Kampf mit dem Bürokratismus der höheren Befehlsstellen, auch mit seinem Oberbefehlshaber Blücher, der ihnen zu läßlich freie Hand ließ, stellte er sein Freikorps als Major zusammen und übte es ein, zuerst in Ostpreußen, dann auf Rügen, wo man sich mit dem König von Schweden zum Einfall in die Mark verbinden wollte, dann bis zur Auflösung in Pommern, nachdem der Unterwerfungsfriede von Tilsit geschlossen war. Nun kehrte Marwitz, von neuem enttäuscht, nach Friedersdorf zurück.

Wenn er, der stets zum Handeln getrieben hatte, nun der Aktivität der patriotischen Bewegung und vor allem dem Tugendbund zweifelnd gegenüberstand, so war die Veranlassung dazu neben den Enttäuschungen der letzten Jahre doch auch sein innerpolitischer Kampf gegen die Stein-Hardenbergschen Reformen, deren Zusammenhang mit dieser Bewegung er erkannte, und vor allem sein nüchternes [51] preußisch-staatliches Bewußtsein für innen- und außenpolitische Macht und feste Organisation. Dafür hatte er mehr Sinn als die Patrioten und unter ihnen Stein, dessen gewaltiger Plan einer Volkserhebung 1808 in der Tat in gefährlicher unpolitischer Gewaltsamkeit die nötige außenpolitische Sicherung schließlich völlig außer acht ließ. Aber hier werden nun auch die Grenzen von Marwitz' Persönlichkeit sichtbar. Wenn er später auf Annäherungen der Patrioten nicht einging, weil er in ihrer Tätigkeit den scharf durchdachten, sicheren Erfolg versprechenden Plan mit Recht vermißte, so erkannte er doch auch nicht die politische Notwendigkeit ihrer Aktivität bei manchem Schwärmertum und die Einsatzmöglichkeit zu großem politischem Wirken, die sich einem wahrhaften Staatsmann hier geboten hätte. Er mußte später selbst zugeben, daß die Ereignisse von 1813 ihm unrecht gegeben hätten. So mußte denn auch 1812, nach der Vernichtung der großen Armee in Rußland, sein Bruder Alexander, der den patriotischen Kreisen nahestand, den Widerstrebenden wieder zu politischem Einsatz drängen. Marwitz versuchte nun im Dezember, schon vor Yorcks Konvention mit den Russen bei Tauroggen, Hardenberg in einer Unterredung und den König durch eine Denkschrift, die diesem nicht abgegeben wurde, zum Losschlagen zu veranlassen, damit Preußen sich das Gesetz des Handelns im Vorrang vor Rußland und Österreich wahre; nun, da die Weltverhältnisse durch Rußlands Rückendeckung wieder günstiger waren, setzte er auch den allgemeinen Volksaufstand in seine Rechnung mit ein.

Wohl sah er 1813 den großen Krieg als Prinzipienkampf "der Freiheit gegen die Tyrannei", der "Tugend gegen die Sünde", des "Rechten und Wahren gegen das Böse", vor allem, ebenso wie Stein, der deutschen, organischen, genossenschaftlich-freien Ordnung gegen die französische, gleichmachende, egoistische Despotie. Im Zusammenhang ewigen deutschen Reichsdenkens, der auch bei Bismarck und im Nationalsozialismus wieder durchbrach, stellte Marwitz nun auch den künftigen Zustand Europas unter diesen deutschen Freiheitsgedanken. Der unterjochenden Universalmonarchie mit ihrer Ideologie der Beglückung und Zivilisation der unterworfenen Völker stellte er ein national-genossenschaftliches Recht der Staaten, in den Grenzen ihres sprachlich bestimmten Volkstums nach ihrer Eigenart im Frieden zu leben, "da niemand von außen her beglückt werden kann", sogar mit doktrinärer Schärfe der Folgerungen gegenüber. Selbst die militärische Sicherheit ordnete er diesen Sprachgrenzen unter, obwohl er durchaus geopolitisch zu denken verstand, daher im wesentlichen das Stromgebiet des Rheines als Ganzheit mit Flandern und der deutschen Schweiz für Deutschland forderte und auch ihn die zweihundertfünfzig Jahre französischer Rheinpolitik rachsüchtig stimmten. Aber wenn Marwitz in diesen Jahren von den Ideen der nationalen Freiheitsbewegung mehr berührt war denn je, so vergißt er doch nie wie Stein Preußen und sein "Lebensprinzip" als Großmacht gegenüber Österreich; die Idee eines "gemeinsamen teutschen Vaterlandes" wird für ihn geradezu ein Mittel, dessen sich der König von Preußen am besten durch Annahme des [52] Titels eines Königs der Teutschen in Preußen, Brandenburg und Sachsen "bemächtigen" solle, um Preußens Einfluß "vorherrschend" zu machen. Und wie später Bismarck die Legitimität der Fürsten sehr gering schätzte, so auch Marwitz, bei dem immer wieder nicht bloß adlig-ständische, sondern auch ursprünglich-volkhafte Stimmungen zutage traten, wenn er die Könige von Bayern und Sachsen für ihren Verrat am deutschen Vaterland gestraft wissen wollte und im griechischen Freiheitskampf auf der Seite der Griechen stand und nicht des legitimen "von Gott eingesetzten" türkischen Herrschers, wie die Monarchen der Heiligen Allianz in ihrer Furcht vor dem national-revolutionären Prinzip.

Dieses kraftvoll-sichere Gefühl für die echten volkhaften Kräfte, das doch immer staatlich-preußisch geformt, zuweilen allerdings auch überkrustet war, gibt auch Marwitz' Soldatentum in den Befreiungskriegen seine Prägung. Zur Landwehr, die das wehrfähige Volk außerhalb des Linienheeres erfassen sollte und von den Kreisständen organisiert wurde, hatte er ein ursprüngliches Verhältnis. Das zeigte er in Aufbau und Führung der kurmärkischen Landwehr und auch in seiner Bejahung des Landsturms, jener von den Patrioten ganz revolutionär gedachten, aber nicht geglückten Organisation der ungehemmten und aufgelockerten Guerilla gegen den Feind im Land. Marwitz' gesunde junkerliche Verbundenheit mit dem Volk durchbrach souverän und beherzt das Exerzierreglement bei der Schnellausbildung dieser Bauern, die er nach ihrem Geschmack reiten ließ, wenn sie nur zusammenblieben und die Waffe gebrauchen lernten. Das vielgerühmte Gefecht bei Hagelberg, in dem nur Landwehr kämpfte, bewies, daß die Truppen nachfolgten, wenn Marwitz voranging, aber es zeigte doch auch die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit in ihrem undisziplinierten Vorgehen und ihrer sehr geringen Standhaftigkeit, so daß die schon fast verlorene Schlacht nur durch das entschlossene Eingreifen des Oberstleutnants von der Marwitz zum Sieg gewandt wurde. Auch sonst war Marwitz einer der erfolgreichsten Landwehrführer; er wollte bei seiner Landwehr bleiben und machte diesen Krieg daher nicht auf einem Hauptschauplatz mit. 1815 aber kommandierte er als Oberst eine Kavalleriebrigade und zeichnete sich bei Ligny und Wavre so aus, daß er den pour le mérite erhielt, wurde nach dem Frieden Brigadekommandeur in Crossen und später in Frankfurt an der Oder, von wo aus er sein Gut Friedersdorf mitverwalten konnte, und 1817, da er stets ein schwieriger Untergebener war, verspätet Generalmajor; 1827 nahm er als Generalleutnant den Abschied, als er eine Division in Breslau erhalten sollte und damit die Bewirtschaftung Friedersdorfs, das ihn brauchte, hätte aufgeben müssen.

Marwitz fand sich mit dem Heer der allgemeinen Wehrpflicht und der dreijährigen Dienstzeit nach 1814 nicht bloß ab, sondern bejahte zunächst die Boyensche Heeresreform mit ihrer Durchdringung von Volk und Heer in ihren Grundzügen durchaus. Aber ihr Schwerpunkt lag für ihn nicht auf der Neugeburt des losgelösten Berufsheeres des Absolutismus aus dem Volk und der neuen geistigen [53] Bewegung heraus wie bei den Reformern, sondern umgekehrt auf der Wiedergeburt der Nation durch Armee und Landwehr und ihre feste Zucht gegen die auflösenden liberalen Mächte der reformerischen Zivilbürokratie. Der gebende Teil in dieser Verbindung war für ihn das Heer, und so war er ein Gegner von Boyens Ordnung der Landwehr durch die Gesetze von 1814 und 1815, die die Landwehr als ständige Einrichtung nun völlig von der Linie trennten und ihr eigene, aus den Einjährigen gewählte Offiziere von sonst bürgerlichem Beruf gab, um diese Neuschöpfung von dem Zwangsdrill der Linienoffiziere freizuhalten und auf der freien sittlichen Einordnung der Staatsbürger zu begründen. Dieser aufklärerisch-idealistische Glaube an "Abstraktionen" lag Marwitz fern. Bei aller Bejahung der Volkskräfte von 1813 gegenüber der Haltung von König und Regierung sah er doch nicht eigentlich die Vaterlandsliebe, deren "nur edlere Seelen fähig sind", sondern vor allem Elementartriebe der Rache und der Selbsterhaltung in dieser Erhebung wirksam. Die Lage von 1813, die jeden Untertan bis ins Innerste erschütterte, aber hielt er mit Recht für eine Ausnahme, und so lehnte er den liberalen Gedanken des bloßen Milizsystems für Preußen in seiner langhingestreckten Mittellage und ständigen Kriegsbedrohung vollends ab. Diese Gedankengänge, die sich am Versagen der Landwehr bei ihrer Mobilisierung 1848 bis 1850 als richtig erweisen sollten, verschärften sich in seinem Alter, als der Nachklang der Stimmung von 1813 immer dünner wurde, in den dreißiger Jahren nach der Julirevolution geradezu wieder zu einer Ablehnung der allgemeinen Wehrpflicht überhaupt und einer Verteidigung des altpreußischen Berufsheeres mit Kantonsystem und Söldnern; dessen Zusammenbruch 1806 schob er ja auf Fehler und Schlaffheit der bürokratisch-philanthropisch gewordenen Führung.

Wie er aber stets ein Niederwerfungsstratege war und den Krieg nicht als totes Schachspiel nach ausgeklügelten Ermattungskombinationen betrachtete, wie er Paradedrill und Methode nicht überschätzte, sondern mit beherztem Wirklichkeitssinn die Kavallerie nicht auf "Ruhe und Richtung", sondern auf das "Ungestüm, um unwiderstehlich einzubrechen", abstellte, so deutet er doch über die spätfriderizianischen Offiziere wie Ferdinand von Braunschweig und auch Rüchel hinaus zwar weniger auf die Idealisten der Befreiungskriege als auf Roon. In dessen Heeresreform fanden Marwitz' Wünsche nach Vergrößerung des mit falscher Sparsamkeit behandelten Linienheeres, seine unbefangene sachliche Zweckrichtung, sein Wille zur preußischen Großmacht und dementsprechend seine staatliche Auffassung des Heeres als Waffe dieser Politik, die auch 1866 in den von ihm prophetisch vorgesehenen unvolkstümlichen Krieg nicht versagte, ihre Erfüllung. Und sein friderizianisches Ideal des Offizierkorps als fest geschlossene, auf dem Kriegeradel und seiner Standesehre vor allem beruhende "altpreußische Kameradschaft" wurde gegenüber dem Bürgertum von 1848 in modern-fachmäßigerer Form wiederaufgenommen.


[54] Den Sinn des preußischen Adels als staatstragender Führerauslese durch seine Erneuerung um Preußens willen zu erhalten, ist das innerste Anliegen von Marwitz' innerpolitischem Wirken. Durch die Stein-Hardenbergsche Bauernbefreiung glaubte er diesen Sinn des Adels und damit das preußische Staatsgefüge überhaupt zerstört. So wurde er mit dem Grafen Finckenstein zum Vorkämpfer des Adels gegen diese Gesetzgebung. Er stand in diesem Kampfe zusammen mit der "Christlich-Deutschen Tischgesellschaft" und den Berliner Abendblättern, die Kleist herausgab. Zum Unterschied von der Mehrzahl seiner Standesgenossen, die vom wirtschaftlichen Interessenstandpunkt aus Einzeländerungen herauszuschlagen versuchten, stellte sich Marwitz auf den Boden des Rechts, das er durch Hardenbergs Finanzedikt (Oktober 1810) ohne alle Verhandlungen mit den Landständen verletzt sah. Marwitz würdigte die Notlage des Staates, der neue Steuererträge zur Kontributionszahlung an Frankreich brauchte, und er sah die "schändlichste Selbstsucht, die allereingeschränktesten Ansichten" mancher seiner Mitstände, die gar nichts bewilligt hätten. Aber er verlangte, daß die Stände nach ihrem alten Vertragsrecht der von der Regierung nach den Staatsbedürfnissen festgesetzten Summe und auch der Ablösung ihrer Rechte zustimmen dürften; in Hardenbergs einseitiger Auferlegung sah er bürokratische Willkür, die den Staat zu einer "indischen Pflanzung" mache, "wo die Sklaven zur Arbeit getrieben werden". Der schneidend scharfe Ton seiner "Letzten Vorstellung der Stände des Lebusischen Kreises an den König" wurde als Rebellion angesehen und trug ihm und Finckenstein fünf Wochen Haft auf der Festung Spandau ein. Mag sich auch der altadlige Frondeur in Marwitz zumal gegen den von ihm verachteten Friedrich Wilhelm III. noch einmal geregt haben, so war es doch trotz des Ausgangs des Kampfes von dem Geldbewilligungsrecht, dem alten Hauptanspruch der Landstände, nicht der Gedanke des dualistischen Ständestaats mit seinen beiden gleichsam selbständig sich gegenüberstehenden Mächten, Stände und Staat, der ihn erfüllte, sondern in den ständischen Formen die Auffassung des Staates als lebendigen Gemeinwesens, als eines Ganzen mit "Staatsbürgern", zu denen er den König, den Edelmann, den Bürger und den Bauern in Beziehung aufeinander rechnete.

Der Staat war für Marwitz nicht ein naturrechtliches Vertragsgebilde, das von den einzelnen zum Zweck ihres Glücks mit Einsetzung eines Königs als des höchsten Wohlfahrtsbeamten errichtet wurde, sondern an die natürliche Ordnung der ursprünglichen väterlichen Gewalt schlossen sich, als Ungerechtigkeit unter den Menschen aufkam, die Schwächeren zu ihrem Schutz an. Es ist die alte lutherische Auffassung vom Staat als Anstalt zur Bändigung menschlicher Bosheit und zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Gerechtigkeit. Aber in Marwitz' staatlicher Gesamthaltung, der seine Theorie nicht ganz nachkam, ist sie durchdrungen von dem Gefühl für die außenpolitische Machtfunktion und Ehre des preußischen Staates als schlechthin verpflichtende Werte. Auch [55] Marwitz kannte die Seite des Staates, die ihn zu einem Interessenzusammenhang macht, aber im Gegensatz zur Aufklärung und zur Französischen Revolution ging er nicht vom konstruierten Einzelmenschen aus, der sich aus Trieb und Verständigkeit mit den anderen zusammentut, sondern vom konkreten Menschen, der in bestimmten natürlichen und geschichtlichen Lebenszusammenhängen und Ordnungen stets verwurzelt ist. Marwitz erkannte, daß die Auffassung des Menschen als trieb- und verstandesmäßigen Einzelwesens den Staat dem Interesse des Augenblicks ausliefern müsse, da alle das Einzelleben auch zeitlich übergreifenden Bindungen dann fehlten. So sah er Willkür, Wechsel und Umsturz als Folge dieser atomisierenden Auffassung, die ja in der Tat später in der Bestimmung der Staatsnation als "plébiscite de tous le jours" ihren schärfsten Ausdruck fand. In den "Zank- und Deliberierversammlungen" der Parlamente wirkte dieser Geist sich aus. Durch die Teilhabe an bindender Gemeinschaft dagegen sah Marwitz wesenhafte Dauerinteressen des Menschen gegeben, und sie fanden in den Ständen und Korporationen wie etwa den Zünften ihren Niederschlag, die, durch festen Zusammenschluß in sich und durch Schranken gegeneinander geschieden, zugleich die Nahrung ihrer Angehörigen und die Erfüllung ihrer wirtschaftlichen Aufgabe für das Staatsganze sicherten.

Die friderizianische strenge Trennung der Stände, die jeden Stand auf seine Staatsaufgabe spezialisierte, wollte er erhalten wissen; das Staatsbürgertum suchte er in stärkerer staatlicher Lebendigkeit der Stände durch Belebung der landständischen Einrichtungen und der Selbstverwaltung. Das Bürgertum war ihm der andere Stand neben dem Adel. In Anlehnung wohl an Adam Müller sah er sich ergänzende, notwendige Gegensätze in den beiden Ständen, dem ackerbauenden und dem gewerbetreibenden, verkörpert, nämlich das "Unbewegliche und Dauernde" und das "Bewegliche, den raschen Erwerb". Er dachte dabei nicht ursprünglich aus der Begriffswelt der romantischen Staatstheorie, Burkes und später der französischen Traditionalisten, heraus, sondern die Gedankengänge dieser Schriftsteller halfen ihm nur dazu, seine eigenen haltungsmäßigen Einsichten zu klären und auf Generalnenner zu bringen. Die Ausgestaltung der adeligen Haltung zu bewußtem konservativem Denken ist ja überhaupt erst das Ergebnis ihrer Anfechtung durch den "allerliebsten Zeitgeist", während sie bis dahin in unbekümmertem, überkommenem Sein in sich ruhte. Nur in ständischer Einordnung und nicht in schrankenlosem Überwuchern wollte Marwitz das Prinzip des Bürgertums im Staatsganzen gelten lassen. Mit ebenso scharfem wie abwehrendem Blick erfaßte er den Zusammenhang zwischen aufklärerischem Staatsdenken und bürgerlich-kapitalistischer Wirtschaftsgesinnung, die alle natürliche und gewordene menschliche Ordnung von dem einen abstrakten Prinzip der wirtschaftlichen Erwerbssteigerung aus umstürzte. So faßte er die Aufhebung des Unterschiedes von Stadt und Land durch Hardenberg auf, die den Boden völlig dem freien Spiel der Kapitalkräfte überließ und auf diese Weise [56] höchstmögliche Ertrags- und Steuersteigerung zu erreichen glaubte; aber auch schon das Wirken Steins, der vor allem an die politische Leistung des durch Aufhebung der Erbuntertänigkeit und Bodengebundenheit nun entstehenden freien mittleren Bauerntums gedacht hatte, verurteilte Marwitz einseitig als "den Krieg der Besitzlosen gegen das Eigentum, der Industrie gegen den Ackerbau, des Beweglichen gegen das Stabile, des krassen Materialismus gegen die von Gott eingeführte Ordnung, des (eingebildeten) Nutzens gegen das Recht, des Augenblicks gegen die Vergangenheit und Zukunft, des Individuums gegen die Familie, der Spekulanten und Comptoire gegen die Felder und Gewerbe, der Bureaus gegen aus der Geschichte des Landes hervorgegangene Verhältnisse, des Wissens und eingebildeten Talentes gegen Tugend und ehrenwerten Charakter."

Denn die Überschätzung des Wissens, die sich aus dem verstandesmäßigen Zweckdenken der bürgerlichen Aufklärungskultur ergab, betrachtete er mit besonderer Sorge. Er erkannte das liberal-staatsfremde Wesen dieser reinen Wissenserziehung, die vom Handeln und der Erfassung des Augenblicks, wie sie in Staatsangelegenheiten nötig sei, ablenke. Immer wieder wies er darauf hin, daß für das Staatsleben Charakter und Betragen über Wissen, Mut über Klugheit, Ehrgefühl über Vorteil gestellt werden müßten; an der englischen Erziehung fand er bestätigt, "daß große Männer nicht gebildet werden durch gelehrten und vielseitigen Unterricht, sondern durch die Ordnung und Disziplin ihrer Jugend". So erkannte er mit aller Schärfe, daß die Bürokratie, die auf Prüfungen und Wissensanwendungen beruhte, keine politische Auslese sei. Und man denkt an Bismarcks politischen Werdegang, wenn Marwitz die Frage: "Wen zu berufen?" dem Aszendieren aus dem nächstuntergeordneten Posten in den nächsthöheren entgegensetzt. Seine Urteile über die eigentliche Intelligenzschicht des höheren Bürgertums sind von oft sehr verallgemeinernder Einseitigkeit, aber sie erfassen richtig, daß die alte heilige Kraft der Herzen bei den Klassen, die von Spekulation, Handel und Industrie leben, besonders gefährdet ist. Auch die Befähigung zum Offiziersdienst sprach Marwitz mit solchen Erwägungen dem Bürgerstand ebenso weitgehend ab, wie er sie dem Adel von seinem kriegerisch-ritterlichen Ursprung her zwar nicht mehr wie Friedrich der Große als ausschließliches Vorrecht, aber als besondere Aufgabe zuwies und mit seiner Standesehre verknüpfte. Denn "Art läßt nicht von Art – vom Vater werden weit mehr Eigenschaften auf den Sohn vererbt, als die neuen Philosophanten und Sophisten zugeben wollen." Marwitz sah hierin für den preußischen Adel ebenso richtig, wie er die kriegerischen Erbeigenschaften aller Schichten des deutschen Volkes, die auch durch alle Überdeckungen wieder hindurchbrechen, unterschätzte.

Die Grundlage auch von Marwitz' Adelsidee bilden die in diesen Jahrzehnten, da der Adel fragwürdig wurde, oft abgewandelten Gedanken Montesquieus vom Adel als Mittelstand zwischen Monarch und Volk und Justus Mösers [57] vom Zusammenhang der politisch-ständischen Freiheitsrechte mit dem Grundbesitz. Die Vorrechte des adligen Mittelstandes, die die Reformen beseitigen wollten, verteidigte er damit, daß die Abhebung des Adels vom übrigen Volk ihn mit den monarchischen Interessen verbinde und zur Teilung und Beherrschung der Massen geeignet mache. Bloße Vorzüge genügten dazu nicht, sondern durch Vorrechte müsse er zu einem Stand zusammengeschweißt sein. In diesem Herrengefühl traut Marwitz der Menge bei Aufhebung der Erbuntertänigkeit nur "äußerste Zuchtlosigkeit und gefährlichste politische Irreligiosität", Faulheit und Sittenlosigkeit zu, und diese Gedanken werden im Alter und in der Restaurationsepoche immer härter. Sein Geschichtsbewußtsein geht nicht bis auf die Stufe der altgermanischen Bauernfreiheit zurück, wie bei dem Niedersachsen Justus Möser und bei dem Bauernsohn Arndt, sondern es ist brandenburgisch und reicht nur bis zur kolonisatorischen Unterwerfung des Landes durch Albrecht den Bären und den Adel. Die Bauern aber, die ja bei der Landnahme ihre Hufen zu Erbzinsrecht erhielten, sah Marwitz als "Knechte" von altersher an, die ebensowenig einen Stand bildeten wie im Bürgertum die "Lohndiener oder Gesellen", sondern vom Adel mit repräsentiert werden. Es ist gleichsam ein preußisches Gegenstück zu Mösers sächsischer Geschichtsauffassung. Auch für Marwitz besteht die "Nation" aus den "Besitzenden", nämlich vor allem den Landbesitzern, unter denen der König der größte Grundherr ist; seine Verbeamtung durch Domänenverkauf und Zivilliste war er geneigt, als eine besondere Tücke des Ordens der Bürokratie anzusehen, ebenso wie später Bismarck sie für unvornehm hielt. "Der Grundbesitz ist es, der am festesten an den Staat kettet, der Kaufmann aber ist der, der sich in allen Staaten gleich wohl befindet." Der Adel aber "soll den Grund und Boden besitzen und eben darum ihn verteidigen, eben darum eine entscheidende Stimme haben in Landesangelegenheiten".

Denkt Marwitz über den Bauern feudal-herrschaftlich, so greift seine Idee des Adels auf das germanische Bauernkriegertum in seiner Gleichsetzung von Freiheit und Gemeinschaftsverpflichtung zurück. "Der ganze Adel sei nun geborener Soldat" – das Adelsgut aber soll die wirtschaftliche Grundlage für die Geschlechterfolge bilden, in der soldatische und vaterländische Eigenschaften fortgeerbt werden. So denkt Marwitz in seinem Reformplan daran, daß der Adel sich aus Bürgern und Bauern ergänzen solle, die sich im Kriege ganz besonders ausgezeichnet hätten, aber jeder müsse zugleich Stifter einer neuen adligen Familie sein und lohnendes Grundeigentum erhalten. Der Adel soll also trotz seiner Vorrechte keine abgeschlossene Kaste sein, sondern sich aus dem besten Blute des Volkes ergänzen und mit dem Volke in Wechselwirkung stehen; dazu soll auch das Erbrecht verhelfen, das nur dem ältesten Sohn den Adel verleiht, die jüngeren aber in den Bürgerstand zurücktreten läßt. Wie Mösers und Steins Gedanken über den Adel knüpfen auch Marwitz' Reformideen an diesen englischen Brauch an, der den Adel dem germanischen Volksadel [58] wieder anähnelt; viel schärfer aber als Stein mit seiner Forderung der Leistung des Adels für das gemeine Beste stellt der Altpreuße den Adel auf kriegerische Bewährung.

Es ist im notwendigen Zusammenhang dieses Ideals gegeben, daß auch der Grundbesitz dieses auf Dauer gerichteten Erbadels wieder – abgesehen von dem feudalen Zubehör der erbuntertänigen Bauern – die Eigenschaften des germanischen Erbhofes gewinnt. "Sein Grundeigentum muß unverschuldbar und unverkäuflich sein, damit er es nie verliere und von der Nation sich losreißen könne – woraus wiederum folgt, daß dieses unverschuldbare, unverkäufliche Grundeigentum nun auch unteilbar vom Vater auf einen Sohn, und nicht auf alle Kinder übergehen muß." Vor allem von diesem Grundgedanken her kämpft Marwitz wie Adam Müller gegen das römische Recht und seinen individualistisch-materialistischen Charakter. "Dieses Römische Recht, ausgearbeitet zur Zeit des Verfalles des Römischen Reiches... kannte nur Vermögen überhaupt, und vorzüglich Geldvermögen (da im römischen Reich der Ackerbau, als bare Nutzung, durch Sklaven betrieben wurde), Teilung desselben, Erbschaft, Vermächtnis, Ehestiftung, Vertrag und dergleichen."

Vor allem in dieser Linie liegt auch Marwitz' Kampf gegen die Hardenbergschen Reformen. Denn mag er auch an die volle Verwirklichung seines strengen Ideals vom Adel nur in den harten, auf Entscheidung gestellten Jahren vor 1813 gedacht haben, da auch Gneisenau Feiglinge vom Adel ausschließen wollte, so ist sie doch als letzter Quell seiner Urteilsbildung über den Adel immer spürbar. Es war für den ganz in der Wirklichkeit des preußischen Staates stehenden Brandenburger trotz aller Enttäuschungen an seinen Standesgenossen doch der bestehende preußische Adel, dem er eine solche Erneuerung zu "wahrem Adel" zutraute. Durch Hardenbergs Reformen sah er nun jene Entwicklung des Gutsherrn zum bloßen Landwirt, die schon mit der Herabdrückung des Adels durch die Fürsten zur politischen Bedeutungslosigkeit eingesetzt und vor allem seiner Ansicht nach den Zusammenbruch von 1806 herbeigeführt hatte, zu Ende geführt.

Als Ergebnis der Mobilisierung des Grundeigentums befürchtete er die Senkung des Wertes der Güter und ihren Übergang in die Hände jüdischer Spekulanten, so daß "unser altes ehrwürdiges Brandenburg-Preußen ein neumodischer Judenstaat" werden würde, aber er erkannte auch die Gefahr, die den nun freien Bauern vom rein wirtschaftlich eingestellten Gutsbesitzer selbst drohten; "jeder reiche Gutsbesitzer konnte sie jetzt auskaufen und fortschicken", zumal durch die Teilbarkeit kleinste, lebensunfähige Wirtschaften entstanden; auch für die bäuerlichen Güter forderte er das Anerbenrecht. Und da mit dem Wegfall der Dienste der Bauern auch der Schutz des Gutsherrn, "der bei ihrer Erhaltung interessiert und dazu verpflichtet ist", aufhörte, so mußte hieraus und aus der Beseitigung der Zunftschranken durch die Gewerbefreiheit die "bisher unbekannte Klasse der Heimatlosen, der Proletarier" entstehen, deren Gefahr [59] als "Werkzeuge des Aufruhrs" Marwitz früh klar wurde. Hinter alledem aber erblickt er die "europäische Geldoligarchie, welche eigentlich die Staaten beherrscht".

So sah er die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts bis 1933, soweit sie sich aus dem Bodenkapitalismus ergab, in den Grundlinien mit außergewöhnlicher Schärfe voraus. Trotzdem aber waren die Reformer ihm in der einen und damals notwendigsten Grundeinsicht überlegen, daß der feudal-absolutistische Staat seinem Wesen nach nicht mehr genügte, um die lebendigen Kräfte des Volkes auszuwerten und zu politischer Schlagkraft zu ordnen; Erbuntertänigkeit war auch bei so vornehmem patriarchalischem Verpflichtungsgefühl, wie Marwitz es besaß, nicht mehr als Prinzip der Volksordnung möglich. Wohl lebte Marwitz in deutsch-genossenschaftlichen Gedanken; wie Stein und wie Bismarck fühlte er sich zum englischen Staatsleben hingezogen und setzte er die ständische Selbstverwaltung aus den konkreten Lebenserfahrungen der altangesessenen Grundbesitzer gegen den Zentralismus der doktrinären, lebensfremden Bürokratie; er sah wohl ihre Gefahren richtig, aber er verkannte auch ihre Notwendigkeit für die Bildung eines straff durchgeordneten Großstaates. Sein genossenschaftliches Gemeinschaftsgefühl aber bezieht sich doch nur auf das oberste Stockwerk des Staates; die Grundlagen konnte er sich ohne herrschaftliche Verfassung nicht denken. Gerade in dieser reaktionären Haltung allerdings steckte wieder die richtige Erkenntnis, die er deutlicher als die Reformer, auch als Stein, hatte, daß durch bloße Lösung von Bindungen im Vertrauen auf sittliche Selbstbestimmung noch keine neue und lebendige Einordnung der Bauern in den Staat erreicht werde und daß vor allem die Erweckung wirtschaftlichen Lebens und wirtschaftlicher Tüchtigkeit noch keineswegs auch die Bildung neuer politischer Aufbaukräfte zu bedeuten brauche. Diese Hoffnung, die vor allem Hardenberg bei der Bauernbefreiung leitete, sah Marwitz auch sonst in dessen Reformwerk wirksam, vor allem in dem Glauben an das neue Steuersystem, von dem der Staatskanzler "die Rettung und das Wiederaufblühen des Staates" erwartete.

Für Marwitz war nicht der Mangel des Geldes, sondern der der Gesinnung die Ursache des Sturzes, so "daß uns also nicht mit Reichtum, sondern nur mit Gemeinsinn zu helfen" ist. Besonders in der an großer Politik armen Zeit nach 1815 neigte er wohl allzu sehr dazu, als politischen Gemeinsinn schon den Geist der ständischen Selbstverwaltungspraxis aus dem wirtschaftlich-gesellschaftlichen Interessengefüge heraus anzusehen; das Amt des Landtagsmarschalls des brandenburgischen Provinziallandtages von 1827 bis 1831 war sein letztes politisches Wirkungsfeld. Friedrich der Große hatte den Adel doch mehr zu soldatischem Opfergeist und gutsherrlich-verwaltender Autorität und Fürsorge als zu großer politischer Führerschaft und Entscheidung erzogen; diese behielt sich der absolute Herrscher vielmehr selbst vor und wollte sie weder der Bürokratie [60] noch dem Adel überlassen. Dieser erhaltende und beharrende Zug des Adels äußerte sich auch bei Marwitz zuweilen in jener organisch-konservativen Ideologie des Werdens, die sich aus dem Gegensatz zum künstlichen Machen des fortschrittlichen Zeitgeistes gebildet hatte, aber dem sonst von ihm so tief mitgelebten Prinzip der preußischen Großmachtpolitik widersprach, so wenn er etwa allzu zähe an allen Zufallsüberresten der alten Kreis- und Territorialbildungen gegenüber der großstaatlichen Vereinheitlichung festhalten wollte. Aber auch in diesem Fall stellte er in den Vordergrund, daß die Idee Preußen nicht durch solche bürokratischen Zweckmäßigkeiten geschaffen werde, sondern in der Gesinnung verankert sein müsse.

Mit diesem Ausgang von der erst Lebenssinn verleihenden Idee ordnet sich auch Marwitz in den reichen Zusammenhang der deutschen Geistesbewegung seiner Zeit ein; niemand trägt so wie er in ihr vielstimmiges Konzert den eigentlich preußischen Ton hinein. Sein niemals aufgegebener Kampf für politische Gesinnung und Ehre vor aller wirtschaftlichen Wohlfahrt, wissenschaftlichen Klugheit und technischen Zweckmäßigkeit verleiht der Gestalt des Altpreußen bei allen Standes- und Zeitschranken überzeitliche Vorbildlichkeit.




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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz