[Bd. 3 S. 280]
Besagt diese Tatsache nicht dasselbe wie das Wort Richard Wagners: "Nie hat ein deutscherer Musiker gelebt als du!"? Am Grabe Carl Maria von Webers wurden diese Worte gesprochen. Sein Leben fiel in eine politisch bewegte Zeit, die – durch die Französische Revolution in Aufregung und durch Napoleon in Unordnung gebracht – die Deutschen zur Selbstbesinnung und nationalen Erhebung, zu einer Neuwertung der Lebens- und Kunstinhalte führte. Solche Zeitabschnitte bedürfen der überragenden Anreger, die begabt genug sind, um für Einzelgebiete Musterleistungen zu schaffen, an die spätere Geschlechter anknüpfen. Deren Genialität liegt jedoch eigentlich in einer Vielseitigkeit, die sie den gesamten Umkreis ihres Schaffensgebietes in allen seinen Erscheinungsformen weiten und so vielgestaltig neuordnen läßt, daß sie nicht auf allen Zweigen denselben Grad der Vollkommenheit erreichen. Weber war Komponist zeitweise erst in zweiter Linie, er war außerdem Virtuose, Dirigent, Musikpolitiker, Organisator, Kritiker und Musikschriftsteller. So schuf er eine neue Erscheinungsform des deutschen Musikers, der über das stille Schaffen hinausging, um tätigen Anteil zu nehmen an der Führung seines Volkes und um für die deutsche Musik und den deutschen Musiker im aufreibenden Kampf des Alltags einzutreten. So wie er persönlich der Gegenspieler des italienischen Kapellmeisters Morlacchi am Dresdner Hof und an der Oper war, so stand schließlich auch sein Schaffen ganz bewußt gegen das Fremdländische. Im "Freischütz" erreichte er den Gipfel, und er stellte damit dem Fremden ein die Zeiten überdauerndes Idealbild des Ersehnten gegenüber. Hans Pfitzner, in vielem der treue Hüter des Erbes von Weber, faßt zusammen: "Webers Sendung war eine nationale – sie galt der Freiheit und Weltgeltung des Deutschtums, die er auf dem Felde der Musik eroberte. Sie war aus demselben Geiste wie vor ihm die Luthers, nach ihm die Bismarcks, wenn auch weniger weltumwälzend, ihrer zarten Natur nach. Weber kam auf die Welt, um den Freischütz zu schreiben." [281] In Eutin begann am 18. Dezember 1786 das Musikerleben Carl Maria Webers. In London ging es am 5. Juni 1826 zu Ende, und am 14. Dezember 1844 erfolgte die Beisetzung seiner Gebeine in der Dresdner Familiengruft. Kärglich bemessen war die Zahl der ihm vergönnten Schaffensjahre. Um so erstaunlicher ist die Ernte dieses Lebens. Sie besteht in sechs Opern, einer Reihe von Schauspielmusiken, mehreren großen Kantaten, über hundert Liedern, zwei Messen und sehr vielen instrumentalen Kompositionen. Dazu kommen die Erzeugnisse seiner Feder, denn auch der Schriftsteller Weber hat manches Bleibende gesagt. Eins der berühmtesten Wagner-Worte geht auf Weber zurück, das "jenen wahren Eifer, im stillen eben die Sache um der Sache willen zu tun" als eine deutsche Eigentümlichkeit kennzeichnet.
Das Leben Webers ist in seinen menschlichen Zügen, die bei ihm schwerlich mit den Maßstäben von Gut und Böse abzuwägen sind, so recht ein Spiegel der Nöte und Schäden des damaligen Kulturlebens und des Musikbetriebes. Allerdings war jene Zeit des Befreiungskrieges, die ein starkes Erwachen aller Kräfte der Nation auslöste, plötzlich in höherem Grade wieder schöpferisch geworden. Aus der Kenntnis des Vorhandenen und der besonderen Bedingungen, die Weber das Schaffen erschwerten und zeitweise verleideten, übersieht man erst den gewaltigen Schritt, den er getan hat, und die Größe seiner vorausschauenden Anregungen. Deshalb wollen wir in großen Zügen die Umwelt und den Verlauf seines Musikerdaseins verfolgen, um dann auf die Kennzeichnung seiner Hauptwerke zu kommen. Das künstlerische Erbe stammte von beiden Eltern. Der Vater Franz Anton war ein unsteter Geist, dem es bei allem Ehrgeiz und Können an Selbstzucht gebrach, so daß seine musikantische Natur, sein stets von neuen Idealen beherrschtes Wesen nie zu einer Entwicklung gelangte. Der Urgroßvater, ein Freiburger Amtmann, der nächste Ahn, ein Müller, zeigen die Bindungen Webers an das alemannische Volkstum. Die Mutter Genofefa war ein weiches Gemüt, das den Anforderungen ihres harten Lebens an der Seite des fast dreißig Jahre älteren Mannes nicht standhielt, sie stammte aus Schwaben, und ihrem Vater (erst Bauer, dann Schreinermeister) rühmt man künstlerische Fähigkeit nach.
1798 kam der musikalisch rasch, aber durchaus in üblichen Grenzen fortschreitende Knabe in die erzbischöfliche Kapelle Salzburgs. Michael Haydn, der Bruder Joseph Haydns, wurde auf Weber aufmerksam und unterrichtete ihn. Von seinen Schülerarbeiten ließ der Vater sechs Fughetten drucken. In München schrieb der knapp Dreizehnjährige eine Oper, die verlorengegangen ist. Auch im Klavierspiel erwarb er sich eine bemerkenswerte Fähigkeit. Seine zeichnerische Begabung ließ in dem Vater den Gedanken reifen, sich der neuen Erfindung Senefelders zu bedienen und den Notendruck mittels des Steindruckverfahrens zu betreiben. Der anscheinend auch konstruktiv befähigte Knabe verbesserte sogar bald das Verfahren. Sein Opus 2 (Sechs Variationen für Klavier) erschien in eigener Lithographie. In München waren bedeutungsvoll der Gesangunterricht bei Wallishauer und die theoretische Unterweisung bei Kalcher. 1800 finden wir Vater und Sohn in Freiburg, wo die Oper "Das Waldmädchen" aufgeführt und zu unerfreulichen Auseinandersetzungen mit der an sich wohlmeinenden Kritik führte. Die Arbeit geht aber weiter bei Michael Haydn in Salzburg, unter dessen Aufsicht eine neue Oper: "Peter Schmoll und seine Nachbarn", entsteht. Die Auswirkung dieser Zeit auf das Gesamtschaffen Webers ist stilkritisch noch gar nicht zu übersehen, weil die Vorarbeit der Materialsichtung noch nicht geleistet worden ist. 1803 kommt Weber nach Wien, wo er bei Abt Vogler äußerlich zum Abschluß der Lehrzeit gelangt. Es ist sicher richtig, daß ihm hier das eigentliche Ziel seines Schaffens, der Sinn seines Daseins in das Bewußtsein trat: der Kampf für eine deutsche Musik. Vogler sammelte neben seinen vielen anderen Tätigkeiten auch alte Volksmelodien, die für den sammelnden Kenner die nationalen Eigenheiten der Musik der Völker am unverfälschtesten verraten. Weber kam damals also schon zu wichtigen Auseinandersetzungen über die Besonderheit der Volksmusik. Vogler ist eine der seltsamsten Naturen unter den Musikern jener Zeit, zu deren größten Berühmtheiten er zählte. Als Orgelspieler, als Komponist und als ein Mann mit immer neuen Ideen brachte er die Zeitgenossen zu einer maßlosen Überschätzung seiner Person. Unschwer wird man manchen gemeinsamen Zug mit Webers Vater entdecken. Der Einfluß Voglers wird tiefer gehen, als man zur Zeit nachweisen kann, weil die systematische Weber-Forschung noch vor den wichtigsten Aufgaben steht. Vogler verhalf dem knapp Achtzehnjährigen zur Kapellmeisterstelle an der Breslauer Oper. Er lernte nun die gangbaren Werke der Opernliteratur in der praktischen Arbeit kennen. Mozart stand im Mittelpunkt seiner Tätigkeit, daneben finden wir Paesiello, Weigl, Winter, Himmel und viele andere. Die Unerfahrenheit des Jünglings führte zu einem kaum zu bemäntelnden Mißerfolg. Trotz eines leichten Lebenswandels und übermäßiger Arbeit fand er noch Zeit zum eigenen [283] Schaffen. Die nächste Station war Carlsruhe bei Brieg, wo Weber die Hofkapelle und das kleine Theater des Herzogs Eugen von Württemberg leitete. Die reine Atmosphäre, die Naturnähe, besonders der Zauber des Waldes nahmen Weber gefangen, und es ist sehr wahrscheinlich, daß gerade diese Jahre 1806 und 1807 in seinem späteren Schaffen nachklingen. Die Napoleonischen Kriege wirkten sich jetzt für Weber insofern aus, als die Kapelle nach der verlorenen Schlacht bei Preußisch-Eylau auseinanderging. Für den verschuldeten jungen Musiker mag die Zeit schwer gewesen sein, aber sie trug viel zum Reifen seines Charakters bei. Des Herzogs Bruder Ludwig in Stuttgart machte Weber auf dessen Fürsprache zu seinem Privatsekretär. Der menschlich noch nicht ausreichend gefestigte junge Weber ging in dem Hofleben unter, ja, schließlich wurde er von dem König Friedrich ins Gefängnis gesperrt und des Landes verwiesen. Für uns steht Weber makellos da, aber für die weitere Gestaltung seines Lebensweges war es ein eingreifendes Ereignis. Unbewußt lebte er auch hier seiner künstlerischen Sendung. In Stuttgart wurde zudem eine Freundschaft geschlossen, die für das fernere Leben Bestand behielt: der Musiker Danzi blieb ihm treu ergeben, und er war es, der dem aufstrebenden Komponisten, dessen Opern bereits immer häufiger aufgeführt wurden, den Weg nach Mannheim wies. Dort führte er ein Leben ohne Bindungen, unter gleichgestimmten Freunden. Weber sagt über diese Zeit, daß er "dieses Klümpchen Mannheim wie eine Geliebte im Herzen" trage. In Darmstadt traf er den Lehrer Abt Vogler wieder, um den sich neben Weber Gänsbacher und der damals noch Jacob Beer genannte Jude Meyerbeer zusammenfanden. Für den Sommer 1810 in muß die Bekanntschaft Webers mit dem soeben erschienenen "Gespensterbuch" von Apel und Laun vermerkt werden. Die erste, "Der Freischütz" betitelte Geschichte hielt ihn fest, daß er sogar schon einen Szenenentwurf für eine Oper fertigstellte. Vieles Reisen bringt Weber fortgesetzt innerlich und äußerlich weiter. Der Musikverleger André in Offenbach nahm eine Reihe fertiger und noch zu schreibender Werke zum Druck an. Der "Abu Hassan" entsteht Mitte 1810. In Bamberg lernte Weber den dort als Direktionsgehilfen am Theater tätigen E. T. A. Hoffmann kennen, mit dem er einträchtig kneipte. Dann brachte München neben einem bewegten gesellschaftlichen Leben unangefochtene Erfolge im Konzertsaal und mit "Abu Hassan" auf der Bühne. Von einer ausgedehnten Reise durch die Schweiz erwähnen wir seine Bekanntschaft mit Nägelis Singschule in Zürich, die allerdings seiner Auffassung des Volksgesanges nicht entsprach. Wichtig ist aber die Tatsache, daß sich Weber gründliche Gedanken machte, in welcher Form Volksgesang zu pflegen sei. Die Volksmusik war ihm, dem gefeierten Gitarrensänger, in allen Spielarten geläufig. Am 20. Januar 1812 wurde ein Hofkonzert in Weimar bei der Großherzogin bedeutsam, denn es wurde unerwartet von Goethe besucht. In beinahe kränkender [284] Weise schien er sich an dem Klavierspiel Webers, der mit dem Klarinettisten Bärmann musizierte, unbeteiligt zu zeigen. Zu Wieland fühlte sich Weber mehr hingezogen. Bald führte ihn der Weg für ein halbes Jahr nach Berlin. Die politische Situation war der Kunst wenig günstig. Napoleon erzwang sich damals die Unterstützung seines Feldzuges gegen Rußland. Der Tod des Vaters im April 1812 traf Weber schwer, trotz der Widerwärtigkeiten, in die ihn dessen Verhalten wiederholt gebracht hatte. Die gelungene Aufführung der "Silvana" am 10. Juli stärkte ihm auch seelisch das Rückgrat. Wenn wir uns bei der Berücksichtigung seiner Lebensereignisse auf das für die Entwicklung des Musikers Wesentliche beschränken, darf die anschließende Begegnung mit dem Gesangsmeister Caesario in Gotha nicht ausgelassen werden. Weber vertiefte durch die erhaltenen Anregungen seine Kenntnis der italienischen Schreibart. Die Kriegsvorbereitungen Preußens gegen Napoleon konnten Weber in seinen umfangreichen Reiseplänen wenig beeinflussen, bis er in Prag von Liebich, dem Direktor der Oper, für drei Jahre verpflichtet wurde. Ein neuer Abschnitt seines Lebens, die systematische Aufbauarbeit, begann.
Die zu Mozarts Zeit berühmte Prager Bühne war unter Webers Vorgänger Wenzel Müller heruntergekommen. Der kränkliche Weber war den Anforderungen, die ihm gestellt wurden und die er ehrgeizig lösen wollte, körperlich kaum gewachsen. Als Ziel schwebte ihm hier bereits die Schaffung eines deutschen Opern-Musterbetriebes vor. Weder Krankheit noch die üblichen Widerwärtigkeiten des Theaterwesens hielten ihn auf bei der völligen Neuordnung von Orchester, Ensemble, Chor und selbst des Fundus. Prag war damals ein geistiger Mittelpunkt derer, die sich vor den Kriegswirren zurückzogen. Im Hause Liebichs wird Weber Tieck, Brentano und die nur vorübergehend hier weilenden Geister gesehen haben. Seine Briefe lassen nicht erkennen, daß er an dem politischen Geschehen Anteil nahm. Aber unter Aufbietung aller Kraft schuf er als Dirigent und Regisseur, als eigener Korrepetitor und Chorstudierer sofort Leistungen, die über den gewohnten Rahmen weit hinausgingen. Unbeirrt um die anders geartete Publikumsmeinung blieben bei ihm die sogenannten "schweren" Meisterwerke im Mittelpunkt. Die Liebesnöte mit der Schauspielerin Therese Brunetti und mit der jungen Karoline Brandt, seiner späteren Gattin, brachten ihn innerlich sehr in Verwirrung. Der erste Urlaub im Sommer 1813 veranlaßte ihn zu dem längst geplanten Besuch Berlins, wo er den vaterländischen Begeisterungstaumel der heimkehrenden Sieger unmittelbar miterlebte. Dieses Erlebnis klang in ihm nach, und Weber, der Deutsche, schrieb dann während des anschließenden Besuchs in Gotha "Leier und Schwert" und das "Schwertlied", die Chöre, die seinen Namen mehr als alles andere über Nacht in aller Munde sein ließen, weil Empfindungen, die [285] die ganze Nation bewegten, hier musikalisch in eine allgemeinverbindliche Form gegossen waren.
In Prag setzte er mit Beethovens "Fidelio" seine Spielplanpolitik fort, mit einem Werk also, das damals zu dem Jüngsten im deutschen Schaffen gehörte. Er hatte den Mut zum Neuen, sofern es ihn künstlerisch überzeugte. Darüber hinaus öffnete ihm die Beschäftigung mit "Fidelio" die Augen für die Größe Beethovens, die ihm bis dahin infolge einer anscheinend bewußten Ablenkung durch den Lehrer Vogler (den "Konkurrenten" Beethovens) nicht aufgegangen war. Die Kantate "Kampf und Sieg" war das einzige größere Werk des Jahres 1814. Es brachte in Prag und danach fast überall stürmische Erfolge ein. Aber Prag sagte Weber nicht zu; er löste den Vertrag und hatte schon auf eine Anstellung in Berlin gehofft. Trotz der Fürsprache des Intendanten Grafen Brühl wurde nichts daraus, denn Spontini war noch ganz der Vertreter des vom König hochgehaltenen Musikideals. So lebte Weber denn nach der Übergabe der Geschäfte in Prag so lange in Berlin seinem Schaffen, bis der Abschluß mit Dresden zustande kam. Der dortige Intendant Graf Vitzthum hatte einen starken Eindruck von ihm gewonnen, und er setzte bald auch seine Verpflichtung nach der Hochburg der italienischen Oper durch. Die geschichtliche Überlieferung, zusammen mit der persönlichen Neigung des Königs und seines zuständigen Ministers Grafen Einsiedel, stand der Entfaltung einer gleichwertigen deutschen Oper entgegen. Bevor Weber noch sein Amt antrat, bekam er die Wirkung der Intrigen der Gegner – an deren Spitze der Kapellmeister Morlacchi stand – am eigenen Leibe zu spüren: er wurde nicht, wie vereinbart, als gleichgeordneter Kapellmeister bestätigt, sondern als
Webers Leistung fand beim König schon nach einer Einstudierung von Méhuls "Joseph" große Anerkennung, so daß er die Ernennung zum Kapellmeister daraufhin aussprach. In dem Kreis der Mitarbeiter der Dresdner Abendzeitung kam Weber mit dem eitlen Dichter Friedrich Kind zusammen. Anfang 1817 stieß er bei einem Besuch in Kinds Wohnung wieder auf das "Gespensterbuch" von Apel und Laun. Nun ging Kind auf seine Veranlassung mit großem Eifer an die Abfassung eines Opernbuches nach der Freischütz-Sage. Der Titel stand zunächst nicht fest. Aus dem "Probeschuß" wurde vorerst "Die Jägerbraut". Die Dienstgeschäfte nahmen Webers Kraft sehr in Anspruch. Zu seinen Obliegenheiten gehörte auch das Schreiben von Festmusiken und Kantaten. So kam nicht nur der "Freischütz" langsam vorwärts, sondern Weber mußte sogar seine Hochzeit wegen dienstlicher Überlastung um fast zwei Monate verschieben. [286] Das Verhältnis zwischen Weber und Morlacchi, hinter dem der sächsische Hof stand, zeigt im neunzehnten Jahrhundert noch einmal den unwürdigen Zustand der italienischen Überfremdung auf dem Gebiet der Oper, zu einer Zeit also, als die Hauptwerke der Klassik, die Deutschlands musikalische Weltgeltung in der Folgezeit unerschütterlich festigten, schon geschrieben waren. Der Italiener Morlacchi wurde mit Gunstbezeigungen überhäuft, wenn es galt, Kompositionen für besondere Anlässe zu bestellen. Webers Schöpfungen wurden kaum angehört. Eine Festoper zur Hochzeit des Prinzen Friedrich August wurde ihm erst übertragen, dann jedoch der Auftrag wieder zurückgezogen. Die große Jubelkantate zum fünfzigjährigen Regierungsjubiläum Friedrich Augusts wurde nicht angenommen. Lediglich die Ouvertüre (die berühmte Jubel-Ouvertüre) durfte folgendes Festprogramm einleiten: Arie aus "Boadicea" von Morlacchi – Violinkonzert von Polledro – Duett von Nicolini – Rondo für Klarinette – Quartett von Zingarelli.
Endlich im Mai 1819 wurde der "Freischütz" fertig, Graf Brühl gab dem Werk den ursprünglichen Titel wieder. Aber vorher sollte in Berlin noch die auf Brühls Anregung geschriebene Musik zu P. A. Wolffs Schauspiel "Preziosa" gespielt werden, um zunächst den Weg zu bahnen. Dazu kam noch ein heiteres Libretto "Die drei Pintos", an dem Weber zwischendurch arbeitete. Sein körperlicher Zustand gab immer häufiger zu Besorgnis Anlaß.
Erneut verletzten die Dresdner den Meister nach seiner Rückkehr durch die Zurücksetzung der von ihm eigens zur Eröffnung des umgebauten Opernhauses vorbereiteten Oper "Don Giovanni". Morlacchi durfte statt dessen ein italienisches Werk herausbringen. Immerhin wirkte sich der "Freischütz" für Weber aus, denn er ging über alle Bühnen. Der italienische Opernunternehmer Barbaja gab Weber für das Gastspiel seiner Truppe in Wien eine Oper "im Stile des Freischütz" in Auftrag. Weber nahm einen Vorschlag Helmina von Chezys an, die ihm nach [287] einer altfranzösischen Vorlage den Text der "Euryanthe" schrieb. Elf Monate Arbeit kostete ihn die Musik, davon brauchte er dreiundvierzig Tage für die Instrumentierung. Der 23. Oktober 1823 brachte die Uraufführung in Wien, bei der bereits auf die Schwächen des Textes hingewiesen wurde, über die die Musik nicht hinweghelfen konnte. Das Leben des Komponisten lief nun zwischen Arbeit, Ärgernissen und Krankheit tragisch ab, trotz des äußeren Ruhmes, der Weber in reichem Maße zuteil wurde. Während einer längeren Schaffenspause, die bis Anfang 1825 dauerte, wurde dann der Plan des "Oberon" geboren, denn auch der Direktor des Londoner Covent-Garden-Theaters, Kemble, trat mit einem Opernauftrag an Weber heran. Planché schrieb den Text, den Weber abschnittweise erhielt. Die Arbeit an dem "Oberon" half ihm über Enttäuschungen der Dresdner Tätigkeit hinweg, wo Morlacchi mit überlegenen Gesangskräften die deutsche Oper wieder in den Schatten stellen konnte. Die Schwindsucht machte sich unterdessen wieder bemerkbar, so daß Weber über sein Schicksal nicht im unklaren sein konnte. Sein Bestreben galt der wirtschaftlichen Sicherstellung seiner Familie – Karoline hatte zwei Knaben das Leben geschenkt. [288] Bei der Berliner Aufführung der "Euryanthe", die nach langen Kämpfen im Dezember 1825 ermöglicht wurde, war Weber anwesend. Schwerkrank, abgemagert, von Husten gequält, probte er selbst und leitete wegen des Honorars von achthundert Talern zwei Aufführungen. Nach der Ordnung seiner häuslichen Verhältnisse trat er die Englandreise an, von der er nicht mehr zurückkehren sollte. Weber wurde in London überschwenglich gefeiert, aber zu seinem Leidwesen sah man hier wie überall nur den Komponisten des "Freischütz" in ihm. Unter Aufbietung der letzten Kraft fügte er dem "Oberon" die noch fehlenden Stücke ein, darunter die Cavatine der Rezia in f-moll und die Romanze der Fatime im dritten Akt, eine Musik, der man nicht anmerkt, daß sie von einem Todgezeichneten stammt. Am 30. Mai 1826 dirigierte er noch einmal die "Freischütz"-Ouvertüre; für den 5. Juni war die Heimreise angesetzt, in der Nacht vom 4. zum 5. Juni starb er an der Schwindsucht. Erst im Jahre 1844 gelang es den Verehrern des Meisters, seinen fast schon vergessenen Sarg in die Heimaterde zu überführen. An der Spitze der Wortführer für die Erfüllung dieser Ehrenpflicht stand der geistige Erbe Webers, Richard Wagner, der an der Weberschen Familiengruft jene Gedenkworte sprach, die ebenso ein Vermächtnis des deutschen Volkes geworden sind wie seine Musik.
[289] Das war ein Teil seines Genies: er nützte sein Denkvermögen. Er ordnete mit seiner Hilfe das unbewußt Hervorquellende, das nur angeboren und nie erworben sein kann. Wir können unbedenklich annehmen, daß die Eigenart von Webers Melodiebildung, die stets einen hohen Grad von Volkstümlichkeit aufweist (seine Fähigkeit, "für den großen Haufen zu schreiben"), sich auf Grund erarbeiteter Erkenntnisse gerade so herausgebildet hat. Der große Wert, den er der harmonischen Gestaltung beilegt, die Sorgfalt der Modulation, der Führung von einer Tonart in andere (ein in der damaligen Oper besonders oberflächlich behandeltes Gebiet), die treffende Verwertung der Klangfarbe, alles dies rundet das Bild des überlegenen Geistes, der alles aus den Tiefen seines Wesens Stammende erst den Filter eines wachen, hellen Bewußtseins passieren läßt. Er ist als Sinnbild des romantischen deutschen Musikers so recht in seinem Leben und Schaffen die Widerlegung jenes verwaschenen üblichen Musikertypus, der als romantisch gilt, über den angeblich die Kunst kommt, in dem "es" gestaltet. Die Klarheit des Geistes zeigt sich in der schriftstellerischen Tätigkeit, wo Weber mit bewundernswerter Überlegenheit Schlüsse zieht, Urteile fällt und ganz natürlich als Deutscher dasteht, darin das Vorbild für Richard Wagner. So wie er das Musikerbe und die zeitgenössischen Werke dazu überblickte, so versuchte er sich naturgemäß auf allen Gebieten, und Riehl schrieb daher in richtiger Erkenntnis seiner Bedeutung bereits 1858: "So laufen in diesem merkwürdigen Manne fast alle Fäden der Gegenwart zusammen." Wollte man die vielen Neuerungen seit Weber bis in unser Jahrhundert verfolgen, so müßte ein sehr großer Teil auf ihn zurückgeführt werden. Der moderne Orchesterklang, sofern er die charakteristische Verwendung aller Instrumente fordert, der neue Klavierstil, der Chorstil werden von ihm in wesentlichen Zügen unmittelbarer getragen, als man bisher annahm. Diese Vielfältigkeit seiner Erscheinung mag der Grund sein dafür, daß eine halbwegs umfassende Einordnung seiner Persönlichkeit bis heute noch nicht gegeben werden konnte. Das Instrument Webers war das Klavier. Er hat auf seinen Konzertreisen stets besondere Erfolge durch sein Spiel errungen. Die Kennzeichen seiner Klaviermusik (die nicht mit den Vorbildern Beethovens und Mozarts verglichen werden darf) sind die virtuosen Spielfiguren und die Weitgriffigkeit, die wohl auf die große Spannweite von Webers Hand zurückzuführen ist. Die Melodie wird mit vielerlei Verzierungen ausgeschmückt. Was er an Hummels Spiel hervorhebt, "die Glätte und Eleganz mit großen, zarten Gesangsschweifungen", sind Eigenschaften, die für sein eigenes Klavierschaffen höchst treffend sind. "Weber ist für die pianistische Virtuosenmusik des neunzehnten Jahrhunderts sowohl wie für ihr häusliches Spiegelbild, die Salonmusik, tonangebend geworden." Seine beiden Klaviersonaten, die vielen Tänze und Charakterstücke verdienen ihren Platz neben der fast ausschließlich bekannten "Aufforderung zum Tanz". Zum eisernen Bestand gehört für alle Pianisten das Konzertstück mit Orchester, das entwicklungsgeschichtlich [290] eine eigene Stellung einnimmt. Es bringt eine Auflockerung in die formale Gestaltung des Solokonzerts hinein, die namentlich von Liszt später ausgebaut wird. Die wertvollen Klarinettenkompositionen wurden dem Freunde Heinrich Baermann zuliebe geschrieben, für den Weber alle Register des Instruments unbesorgt anwenden konnte, denn Baermann war der größte Virtuose der Klarinette in seiner Zeit. Auch zwei Sinfonien Webers liegen vor, an die man auch nicht mit klassischen Vergleichsmaßstäben treten darf, denn es handelt sich um durchaus wertvolle Zweckmusik. Die überzeitliche Bedeutung des Komponisten beruht in seinem Opernschaffen. So wenig übersehen werden darf, daß der Opernkomponist Weber nur einen Ausschnitt aus dem Gesamtbild dieser Persönlichkeit bildet, so berechtigt erscheint in unserem Rahmen die besondere Berücksichtigung dieser Seite seines Schaffens. Der "Freischütz" ist nun einmal die Lieblingsoper der Deutschen (ohne daß durch diese Feststellung Wertungen oder gar Vergleiche mit der "Zauberflöte" oder dem "Fidelio" beabsichtigt sind). Über hundert Jahre hindurch hat Weber auch zu Zeiten größter Gegensätze unter den deutschen Brüdern durch die Musik des "Freischütz" ebenso wie die des "Oberon" allen, die ihn hörten, deren Zugehörigkeit zu einem Volk klar ins Bewußtsein gerufen. Die Oper als Kunstform stand in den ersten Jahrzehnten nach 1800 in Deutschland noch in höchstem Ansehen, weil die anderen Gattungen mehr auf begrenzte Kreise beschränkt blieben, während gewisse Werke der Oper sich an das ganze Volk wandten. Besondere Gunst genossen allerdings insbesondere Meister, die heute vergessen sind. Da sind Peter Winter und Johann Nepomuk Poissl zu nennen, ferner Kauer, Himmel, Spohr, Spontini, E. T. A. Hoffmann, Méhul. Besonders bedeutsam wurden Cherubini und später Rossini. Weber, der alle irgendwie wichtigen Werke aus der eigenen praktischen Arbeit kannte, wird von all diesen zu ihrem Teil ebenso beeindruckt worden sein wie von Mozart und viel später auch von Beethoven. Aber es ist hier wie stets bei den überragenden Meistern der Kunst: selbst wenn im einzelnen die Herkunft der Elemente eindeutig ersichtlich ist, lassen die genialen Naturen daraus etwas Neuartiges werden. Der Wissenschaftler kommt um die Untersuchung der "Einflüsse", um die Klarlegung der Verbindung zum Vorangegangenen nicht herum. Dann hat jedoch die Wertung unabhängig davon erst einzusetzen, jene wahre Kunstphilosophie, die neben dem Handwerklichen das in seiner Art einmalige, rassisch bedingte Persönlichkeitserbe erkennt. Der allem Opernschaffen Webers gemeinsame Zug ist die volkstümliche Note, die sich schon in dem 1801 entstandenen "Peter Schmoll" zeigt. Man hat dieses überall sichtbare Streben Webers als Krampf, als unnatürliches Bemühen herabzusetzen versucht. Uns will dagegen scheinen, daß es zu seiner Mission gehört, den Deutschen in den Zeiten der Verwirrung, als alles Natürliche geächtet war, durch [291] sein lebendiges Beispiel einen Spiegel des wahren eigenen Wesens vorgehalten zu haben. Die weitere Eigentümlichkeit Webers, aus der richtigen Ausnützung der Instrumente (Hörner, Klarinetten, Bratschen) eine Erweiterung der Instrumentierungstechnik überhaupt herbeigeführt zu haben, steht in ursächlichem Zusammenhang mit seinem Streben nach Volkstümlichkeit. Durch die bessere Charakterisierung erreicht er einen besonderen Grad von Anschaulichkeit, die für jede Wirkung in die Breite unerläßlich ist. Einen anhaltenden Erfolg errang die "Silvana" (1808–1810), die Weber noch als den suchenden Musiker zeigt, der die künstlerischen Mittel erprobt. Er hat das Gelände bereits erobert, aber der Zusammenschluß zur größtmöglichen Einheitlichkeit gelingt noch nicht. So vertragen sich die äußerlichen Koloraturarien nur schlecht mit den einfachen, volkstümelnden Teilen. Ungleich lebenskräftiger ist die heute noch mit Erfolg gespielte Oper "Abu Hassan", die kurz nach "Silvana" geschrieben wurde. Hier entzündet sich Webers Genius an dem lustigen Stoff. Das große Vorbild war Mozarts "Entführung aus dem Serail". In Einzelheiten finden sich kühne Vorstöße in Neuland, die aber denkbar vorsichtig in diese späte Türkenoper eingearbeitet werden (seit Glucks Zeit waren ähnliche Stoffe sehr beliebt). Mag die Anlage noch so anspruchslos sein, so trägt die Musik doch völlig den Stempel von Webers Künstlerschaft, und mit besonderem Geschick bemüht er sich um die Charakterisierung der Personen. Die exotische Färbung der Musik und die übermütige Stimmung der harmlosen Gauneroper beweisen erneut, wieviel das Textbuch zum Erfolg eines Opernwerkes beiträgt. Das auf "Abu Hassan" folgende Werk ist – "Der Freischütz", was man keineswegs vermuten würde. In den sechs Jahren dazwischen liegt eine innere Entwicklung, die nur aus dem Freiwerden der eigenen Kraft erklärlich wird. Was bietet der Text Friedrich Kinds, des Dichters also, von dem nichts anderes als der "Freischütz" auf die Nachwelt gekommen ist? Goethe läßt ihm in einem Gespräch mit Eckermann (9. Oktober 1828) Gerechtigkeit widerfahren: "Wäre der Freischütz kein so gutes Sujet, so hätte die Musik zu tun gehabt, der Oper den Zulauf der Menge zu verschaffen, wie es nun der Fall ist, und man sollte daher dem Herrn Kind auch einige Ehre erzeigen." Demgegenüber kann nicht übersehen werden, daß Max und Agathe vom Wort her recht farblos bleiben. Der glückliche Ausgang der Oper verändert die echte Tragik der Sage in der Fassung Apels nicht gerade vorteilhaft. Aber der Handlungsrahmen selbst, mit seiner Mischung von Naturnähe – deutschem Wald und Jägerleben – mit dem Walten dämonischer Mächte, schafft die Voraussetzungen für die Entfaltung der Muse Webers. In den unerquicklichen Auseinandersetzungen zwischen Dichter und Musiker schreibt Weber einmal an Kind: "Glaubt ihr (die Dichter) denn, daß ein ordentlicher Komponist sich ein Buch in die Hand stecken läßt wie ein Schuljunge den Apfel? Daß er alles so unbesehen hinnimmt und blindlings Töne darübergießt, [292] froh, nur irgendwo die lange Verhaltenen loslassen zu können?" Sein Anteil an dem Werden des Buches ist namentlich unter dem Einfluß Karolines, die einen guten Theaterblick besaß, wesentlich und in manchem gegen den Willen Kinds bestimmend geworden. Über die Musik äußert sich Rochlitz sehr bezeichnend: "Das sonst so weiche Männel, ich hätt's ihm nimmermehr zugetraut. Nun muß der Weber gerade Opern schreiben, eine über die andere, und ohne viel daran zu knaupeln! Der Kaspar, das Untier, steht da wie ein Haus, überall, wo der Teufel seine Tatzen hereinsteckt, da fühlt man sie auch." Wenn wir dann noch von Weber selbst hören (Gespräch mit Lobe), daß er sich bemühte, für Jägerleben und die "dämonischen" Mächte die "bezeichnendsten Ton- und Klangfarben" zu suchen und festzuhalten, und daß er Volksliedstudien für den "Freischütz" trieb, so wird die Wirkung ins Volk immer verständlicher. Hier war einer, der am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts schon in Gegensatz zu der noch von Beethoven ausgesprochenen Künstlermeinung stand: "Wahre Kunst ist eigensinnig, läßt sich nicht in schmeichelnde Form zwängen." Weber übernahm Volksliedwendungen notengetreu in seine Oper, denn "die Schwierigkeit lag nur in dem Erfinden neuer Melodien für die Hörner, die einfach und volkstümlich sein mußten" (Weber zu Lobe). Die Stimmung wird von der Seite der Musik schon einheitlich vorbereitet, denn Weber entwickelt bereits eine Leitmotivtechnik eigener Art, so, wenn er die Posaunenstelle beim Kugelgießen: "Die siebente sei dein", beim Tode Kaspars wieder anwendet oder in der übereinstimmenden Sekundendissonanz des Spottchors, die in der Wolfsschlucht wiederkehrt, bevor Max seinen Entschluß ausführt: "Nein, ob das Herz auch graust!" Über die Ouvertüre hat Richard Wagner das Schönste geschrieben, was gesagt werden kann. Sie enthält in meisterhaftem Aufbau die ganze dramatische Entwicklung der Oper.
Man hat mit viel Gelehrsamkeit versucht, die einzelnen Musiknummern des "Freischütz" stilistisch bestimmten Vorbildern der französischen und italienischen Oper zuzuordnen. Hier ist uns wichtiger, daß der "Einklang zwischen Landschaft und Gefühl" gefunden war. Man braucht sich nur einiger Musikstücke zu erinnern, um den Schatz würdigen zu können, der in dieser Partitur beschlossen liegt. Da ist Agathes Gebet "Leise, leise, fromme Weise" innerhalb ihrer großen Arie, die Arie des Max "Durch die Wälder, durch die Auen", Ännchens übermütiger Gesang "Kommt ein schlanker Bursch gegangen", der Brautjungfernchor, und wir haben damit die Fülle erst angedeutet. Aus dem inhaltreichen Gespräch Webers mit Lobe, einem bedeutenden Musikschriftsteller jener Zeit, ergibt sich, daß Webers Ideal eine Wirkung auf das Volksganze in genau dem Sinne war, wie sie heute nach der Entfremdung von Kunst und Volk wieder angestrebt wird. Im Hinblick auf dieses Ziel arbeitete Weber bewußt mit der Übertreibung des Ausdrucks, die ihm als "ein hilfreicher Genius" des Künstlers erschien. Er sagt von sich: "Ich übertreibe den Ausdruck etwas, [293] suche ihn auf die glühendste Weise zu gestalten, überzeugt, daß das, was mir in der gereizten Stimmung vielleicht als zu stark und übertrieben erscheint, nicht so dem Zuhörer erscheint, sondern für ihn erst den Grad von Lebendigkeit erhält, der ihn in die verlangte Wärme und Mitempfindung zu versetzen vermag." Die von Weber entwickelten Schaffensprinzipien sind noch längst nicht ihrer Bedeutung entsprechend gewertet, ja ihre Wichtigkeit kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Noch etwas anderes folgern wir aus dieser veränderten und jetzt zweifellos richtigen Auffassung (die für Mozart etwa keine Gültigkeit hat): Weber leitete den Abschnitt der Musik ein, der in seinen letzten Vertretern zur Rausch- und Reizmusik geführt hat, weil anscheinend von den Hörern immer stärker "gewürzte" Mittel als Folge einer allgemeinen nervösen Abstumpfung gefordert wurden. Bei Weber vollzieht sich dieser Umschwung beinahe in klassischen Formen, aber es gibt Hörer, die ohne Kenntnis der zugrunde liegenden Absicht des Meisters gegen den angeblichen Überschwang mancher seiner Schöpfungen eingestellt sind. Der "Freischütz" faßte alles auf einer eigenen Ebene zusammen, was im deutschen Singspiel und in der deutschen Oper überhaupt an Möglichkeiten einer Wirkung in die Breite gegeben war. Er ist das schönste Beispiel dafür, wie sich höchste Kunst und höchste Volkstümlichkeit glücklich vermählen, sofern der richtige Mann die Fäden knüpft. Die "Euryanthe" bildet den Versuch Webers, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, bei dem sich alle Künste mit der Musik vereinigen. Die Oper dürfte für die Bühne endgültig verloren sein, weil die zukunftweisenden musikalischen Einzelheiten die hilflose Verbindung der Szenen nicht überbrücken können. Man kann "Euryanthe" als das erste Musikdrama im modernen Sinne bezeichnen, aber der glühende Verehrer des Meisters Richard Wagner sprach das Wort von dem "geheimen Fluch des Steifen, Langweiligen", der auf dem Werk liege, das andererseits Webers "schönste, reichste und meisterlichste Musik" enthalte. Der gesprochene Dialog wird von dem durchkomponierten Rezitativ als dem eigentlichen Träger der dramatischen Entwicklung verdrängt. Die Steigerung des Ausdrucks in der Wortbetonung ist neuartig und wegweisend. Die Verwandtschaft mit Wagners "Lohengrin" ist in vielem offenkundig. Die Leitmotivik wird hier noch deutlicher als im "Freischütz" zum Mittel der Dramatik erhoben. So sehr sich Wagner selbst zu dem Vorbild dieser Oper bekennt, so wenig sind durch sein Werk die hierin angebahnten möglichen Wege eines Musikdramas erschöpft. Aber eine Erörterung dieser Frage würde eine eigene Abhandlung über die ästhetischen Grundlagen der Operngestaltung nötig machen. Schließlich bleibt der Schwanengesang, der für das Londoner Covent-Garden-Theater geschriebene "Oberon", den wir vom Standpunkt Webers als nicht vollendet ansehen müssen. Für die deutsche Bühne war eine Neufassung bestimmt, denn zunächst war das Werk in Eile dem englischen Geschmack angepaßt. Noch einmal ersteht auf der Grundlage einer undramatischen Handlung der ganze [294] Zauber der deutschen Märchenromantik mit ihrer Naturverbundenheit, und zwar so rein, daß hier alles enthalten ist, was gemeinhin als deutsch in der Musik bezeichnet wird. Da findet man bereits alles, was man in Unkenntnis der wahren Zusammenhänge später auf Mendelssohn zurückführen wollte. Wieder ist es die Hornromantik zusammen mit der herrlich geprägten Melodik, die dem Werk trotz aller Einwände die Unsterblichkeit sichern. Wohl fehlt der Handlung jede Folgerichtigkeit, aber der Elfenzauber und namentlich auch das mit viel Geschick eingeführte exotische Kolorit, der begeisternde Schwung der Musik, ihre Innigkeit und die Feinheiten des Orchesterklanges helfen bei einer halbwegs verständnisvollen Wiedergabe über alle Bedenken hinweg. Der Kämpfer gegen die Überfremdung der deutschen Kunst, der einzigartige Schöpfer deutscher Musik, läßt in dem "Epilog des Hanswursts zur deutschen Oper" (1818) diesen sprechen:
"O ehrliches deutsches Vaterland, So lebte und schuf Weber als Mahner und Vorbild, und er wird in die Zukunft wirken, solange das gleiche Blut da ist, ihn zu begreifen.
|