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Pommern
Karl Passarge

Den Binnendeutschen, zumal den Großstädter, überkommt meist so etwas wie eine heitere Vision, wenn er dann und wann einmal von Pommern hört. Pommern, das ist für ihn Sommer, See, Sonne, Freiheit von Amt und Bürden, Ferien vom Ich; denn Pommern ist für viele ja nur der schmale Küstensaum von Usedom und Rügen, die Kette der bunten oft so schreienden Badeorte, die zwar gar nichts Pommersches an sich haben. Das ist allenfalls noch Stettin und das anheimelnde Stralsund, die Ausgangshäfen aller schönen Seebäderfahrten. Und sonst? Nun ja, die Landwirtschaft; Pommern ist ja das Land der Gänsebrüste, der großen Kartoffeln, der unübersehbaren Roggenfelder, in denen langweilige Ackerbürgerstädte unberührt vor sich hinträumen, und der endlosen Wälder, in denen sich die Füchse gute Nacht sagen. Eine gewisse nützliche, aber mäßig interessante Landschaft. Was hört man denn schon Großes aus Pommern? Und wann hätte je in der deutschen Geschichte Pommern politisch, wirtschaftlich, kulturell oder sonst wie irgend eine entscheidende Rolle gespielt?


Es ist richtig: Pommern stand niemals unmittelbar im Brennpunkt des deutschen Geschehens. Seine Geschichte ist längst nicht so farbig und weit weniger heroisch als die seiner Nachbarländer, der Mark und des Ordenslandes, in denen europäische Geschichte gestaltet wurde. Die Lage abseits der großen historischen Entwicklungsrichtungen, fern der Welthandelsstraßen, die schwerblütige Mischung aus deutschem und wendischem Volksgut und vor allem der Mangel an politisch denkenden und staatsmännisch handelnden Führerpersönlichkeiten bestimmte den Ablauf seiner Geschichte.

In endloser, eintöniger Reihe ziehen im Mittelalter die pommerschen Herzöge aus dem Greifengeschlecht vorüber, die zahllosen Bogislav, Barnim, Wartislav, die selbst der Fachhistoriker nur mühsam auseinander halten kann, brave, urwüchsige Gestalten, die immer nur mit großer Mühe das nötige Geld zu bürgerlich bescheidener Hofhaltung auftreiben können und sich lieber in den Wäldern und Heiden auf der Jagd als im Herrschersaal bewegen, meist gutmütige, aber schwache Landesväter, nicht immer rückständig, oft nicht ohne Kunstverständnis. Nur einmal, in Bogislav X. (1474-1523), dem Großen der pommerschen Geschichte, gipfelt dieser in uralter slavischer Vorzeit wurzelnde, dann so ausgesprochen deutsche Fürstenstamm in einer ragenden Herrschergestalt; um sie spinnt des Volkes naive Liebe und träumende Sehnsucht die schönsten Heimatsagen. Der zehnte Bogislav faßt das in ein Dutzend Splitter verzettelte Erbe kraftvoll zusammen, er schafft die einheitliche Staatsgewalt, eine Landesverwaltung, ein Münz- und Gerichtswesen, er beugt die immer rebellierenden Stände dem herzoglichen Willen, läßt alle Künste der [112] Diplomatie am kaiserlichen Hofe spielen, er bereist mit fürstlichem Gefolge die Zentren der damals bekannten Welt, greift selbst - ein Vorbild ritterlicher Tugenden - zum Schwert gegen die Korsaren des Mittelmeeres, er bringt für kurze Zeit aus der Isolierung des Kolonialgebiets sein pommersches Herzogtum als politischen Machtfaktor zur Geltung. Alles mit dem einen klar erkannten Ziel: die Souveränität Pommerns zu sichern gegenüber dem immer mächtiger zur Großmachtstellung drängenden märkischen Nachbarn, der niemals seine Lehns- und Erbansprüche aufgegeben hatte. Am Abend seines Lebens sieht er dennoch sein Werk gescheitert: Pommern muß das brandenburgische Anfallrecht anerkennen, die kaiserliche Belehnung seiner Herzöge erfolgt in Gegenwart des Märkers.

Auf Bogislav folgt ein Jahrhundert neuer Zersplitterung, politischer und wirtschaftlicher Kämpfe auf allen Fronten, Konfessionswirren und Handelskriege, bis das deutsche Geschehen in jenen gewaltigen dreißigjährigen Weltkrieg ausmündet, der bald auch Pommern in den Strudel zieht - 1628 Wallenstein vor Stralsund - und mit dem Untergang seiner Eigenstaatlichkeit endet. Alle Zweige des blühenden Greifenstammes welken plötzlich dahin, sterben schnell hintereinander ab - war es fluchwürdiges Verbrechen der Märker, war es Hexerei? Sidonie von Borcke mußte jedenfalls dafür den Hexentod sterben. Das Schicksal gibt dem Letzten seines Stammes, Bogislav XIV., noch einmal die Gesamtherrschaft über die pommerschen Lande in die Hand und zugleich damit die vielleicht einzige große politische Chance der pommerschen Geschichte. Der große Krieg wälzt sich, alles vernichtend, aus Böhmen und der Rheinpfalz nach Norden. Die bedrängten evangelischen Fürsten und die Städte des niedersächsischen Kreises unter dem Dänenkönig Christian IV. erwarten Wallensteins Angriff auf ihre Küstenbasis an der Ostsee. Beide Parteien drängen Pommern zu Gefolgschaft und Waffenhilfe, für beide ist Pommerns Anschluß entscheidend wertvoll. Bogislav zaudert, palavert mit seinen wie immer starrköpfigen Landständen, zerbricht fast an diesem brutalen Entweder-oder, denkt immer nur daran, sein Land vor den drohenden Kriegsgreueln zu bewahren, und findet schließlich zu den beiden möglichen Wegen den unmöglichen dritten: er erklärt sich und sein Herzogtum neutral. Damit ist Pommern für beide Teile Feindesland. Brennend und mordend ergießen sich von beiden Seiten die Horden über das unglückliche Land; nur Stralsund leistet heldenmütig Gegenwehr. 1630 landet Gustav Adolf, der nordische Eroberer, Bogislavs kraftlosen Verwahrungen zum Trotz, an der Peenemündung; bald ist der ersehnte Retter ein gefürchteter Zwingherr. Als man zwei Jahre darauf den silbernen Sarg in Wolgast einschifft, hausen die verwilderten, keiner Macht gehorchenden Schweden ärger noch als einst die Wallensteiner in der ausgebrannten Wüste, die ehedem das blühende Pommerland war. Der letzte Herzog steht diesen Ereignissen, von Freund und Feind verhöhnt und verachtet, teilnahmslos gegenüber; völlig mittellos, körperlich und geistig gebrochen siecht er auf seinem Schloß Stettin dahin. In uneigennütziger Gutmütigkeit hatte er seinen letzten wertvollen Besitz, das Kloster Eldena mit allen Gütern, der Greifswalder Universität geschenkt, um diesen Sitz der Wissenschaften seinem Lande zu erhalten. Verlassen und unbeachtet stirbt er 1637; erst achtzehn Jahre später gewährt ihm der neue schwedische Landesherr ein feierliches Begräbnis; niemand hatte es bis dahin der Mühe und Kosten wert erachtet, den letzten Greifen würdig zur Ruhe zu geleiten.

[113] Pommern aber war als selbständiger Staat ausgelöscht, in seiner Einheit zerrissen, unter Schweden und Brandenburg aufgeteilt, in seiner Wirtschaftskraft vernichtet, verödet, menschenleer - Pommerland war abgebrannt.


Dieses halbe Jahrtausend pommerscher Eigenstaatlichkeit ist nicht nur in seinem Ausgang vom Schein brennender Bauernhöfe blutrot umdüstert; es war stets ein unaufhörlicher Kleinkrieg gegen die stärkeren, aktiveren Nachbarn gewesen. Dänen, Polen, Brandenburger griffen immer irgendwo plündernd, brennend und mordend über die Grenze. Geschichte, Sage und Volksdichtung berichten von unzähligen Fehden und Kriegstaten, nennen getreulich alle Schlachtfelder vom Kremmer Damm bis zur Langener Heide, feiern alle ritterlichen und hansebürgerlichen Helden, sie schweigen aber zumeist von dem Stand, der in all diesen Wirren immer von neuem wahre Hekatomben an Blut- und Besitzopfern bringen mußte: vom pommerschen Bauern. Wie steht es denn eigentlich um den pommerschen, um den ostdeutschen Bauern? Den des flachen Landes, wie den der Städte, denn die östlichen Städte waren fast ohne Ausnahme, sind heute noch zum großen Teil Ackerbürgerstädte, geschlossene Bauernsiedlungen.

Um 1200 waren in das slavische "Land am Meer" - po morje - freie deutsche Siedler "bei hellen Haufen" eingewandert, gerufen von den Landesherren, besonders Barnim I., [114] geführt und geschützt von deutschen Rittern und wehrhaften Mönchen. Sie bauten auf den gleichen Fluren, an denselben Flußläufen ihre Höfe und Kleinstädte auf, an denen einst ihre germanischen Vorväter als Herren des Landes gesessen hatten, ehe nach der Völkerwanderung die slawische Überfremdung einsetzte. In harten Kämpfen, mit wechselndem Erfolg wird ein Teil der wendischen Bewohner nach Osten abgedrängt; ein anderer - vielleicht der größere - Teil geht nach anfänglichem Widerstreben allmählich in der Welle der niedersächsischen, mitteldeutschen, niederrheinischen Einwanderer auf, verliert - bis auf die Reste der Lebakaschuben - slawische Sprache und eigenes Volkstum, wirkt dafür aber seinen Blutanteil bei der Prägung des neuen Menschentypus aus, an dem dann Landschaft, Klima und die uns unbekannten Kräfte durch sieben Jahrhundert weiterformen.

Schon um 1300 ist der Sieg des Deutschtums entschieden.

Pommern war ein Bauernland geworden. In zahlreichen Dörfern, neu geschaffenen langgestreckten Hagendörfern oder übernommenen und ausgebauten wendischen Rundlingen, in siebzig teils offenen, teils ummauerten Ackerbürgerstädten lebt deutsche Kultur auf. Die Feldklöster Stolpe, Grobe, Belbuck, Kolbatz, Eldena sind nicht nur die kirchlichen Mittelpunkte, sondern zugleich die Ackerbauschulen des Landes. Noch sind längst nicht alle damals anbaufähigen Böden in Kultur genommen, noch Jahrhunderte dauert das Urwaldroden; aber im Vorpommern und im fruchtbaren Küstenstrich zwischen Oder und Leba sitzt vielfach schon Bauer neben Bauer; auch der wendische und zugewanderte deutsche Adel wirtschaftet zunächst in vorwiegend bäuerlichen Betriebsformen.

Pommern ist nicht Bauernland geblieben. Der Bauer braucht mehr als jeder andere Stand Freiheit, Ruhe, Sicherheit und Schutz für seine schwere Arbeit. Das alles konnte ihm Pommerns Entwicklung nur schlecht gewähren. In all den kriegerischen Wirren wachsen kirchliche, feudale, dynastische Gewalten bald über ihn hinweg. Geduldig, fügsam nimmt dieser Packesel der deutschen, besonders der ostdeutschen Geschichte die stetige Einschränkung seiner Freiheit, seiner Produktionskraft wie ein Fatum hin; protestieren war zwecklos - wer hätte wohl auf das Schreien der Bauern gehört? -; rebellieren wie seine süddeutschen Leidensgefährten war ihm schon rein blutmäßig versagt. Nirgends fand der pommersche Bauer eine Stütze in seiner Not, am wenigsten bei seinen an sich gutmütigen Landesherren; im Gegenteil, die braven Greifenherzöge, meist in peinlichsten Geldverlegenheiten, waren, wenn die übermächtigen Stände, Adel und Städte nicht mehr Geld herausrückten - und das war die Regel - geradezu darauf angewiesen, rücksichtslos das Letzte aus dem Bauern herauszupressen. Bogislavs X. sonst so modern anmutende Staatsreform schuf dann mit der Domanialgewalt der Gutsherrschaften die völlige Abhängigkeit der Bauern. Besonders verhängnisvoll aber gestaltete sich die Lage, als 1572 das Stettiner Bankhaus der Loitze plötzlich die Zahlungen einstellte, ein Unternehmen von, man kann fast sagen, europäischem Ruf, das gewaltige Auslandsanleihen finanzierte. Sein Zusammenbruch traf vernichtend vor allem den hinterpommerschen Adel, der sich nunmehr durch verstärktes Bauernlegen zu sanieren suchte. Die freien Kolonisten [115] des Mittelalters wurden Leibeigene; die Freizügigkeit, das erbliche unantastbare Nutzungsrecht an den Höfen, das ihnen in der ersten großen Siedlungsperiode für ewige Zeiten verbürgt war, ging verloren.

So trat das pommersche Bauerntum in seiner Lebenskraft bereits gebrochen in den großen Krieg von 1618 und seine Schrecken ein; bei seinem Ausgang ist in vielen Landesteilen von einem eigentlichen Bauerntum kaum noch zu sprechen.

Es bleibt das unbestreitbare Verdienst der beiden großen preußischen Könige, daß sie in den neu erworbenen pommerschen Landen dem Bauernlegen nach Kräften Einhalt geboten und darüber hinaus die kolonisatorischen Gedanken des 13. Jahrhunderts in neuen Formen wieder aufnahmen. "Der König hat" - so heißt es in einer Verordnung Friedrich Wilhelms I. für Hinterpommern und Kammin vom März 1719 - "in Erwägung gezogen, was es denn für eine edle Sache sei, wenn die Untertanen statt der Leibeigenschaft sich der Freiheit rühmen, das Ihrige desto besser genießen, ihr Gewerbe und ihr Wesen mit um so mehr Begierde und Fleiß als ihr Eigenes betreiben und ihres Hauses und Herdes, ihres Ackers und Eigentums sowohl für sich als für die Ihrigen, für Gegenwart und Zukunft desto mehr gesichert seien." Das waren in Pommern allerdings neue und unerhörte Gedanken. 1739 erfolgt ein generelles Verbot des Bauernlegens mit schweren Strafandrohungen, dem man aber so viel Widerstand entgegensetzte, daß es längst nicht überall wirksam wurde. Zugleich begannen noch unter Friedrich Wilhelm I. umfangreiche Öd- und Moorlandkulturen im Randowtal und in der Ückermünder Heide; die königlichen Domänen und Ämter wurden zu Mustergütern ausgestaltet; für Ackerbau, Viehzucht, Aufforstung, für die besonders vernachlässigte Obstzucht und Gartenpflege ergingen besondere Bestimmungen, deren Durchführung der König selbst überwachte.

Von weit nachhaltigerer Bedeutung wurde indessen das Siedlungswerk Friedrichs des Großen, das totz der gerade für Pommern furchtbaren Heimsuchungen des Siebenjährigen Krieges zu zahlenmäßig selbst für heutige Verhältnisse recht stattlichen Ergebnissen führte: mehrere 100 000 Morgen wertvollen Ackerlandes neu gewonnen, 159 neue Dörfer gegründet, meist nach verdienstvollen Staatsmännern und Generalen benannt: Podewilshausen, Coccejendorf, Winterfelde, Forcadenberg, Spaldingsfelde, Raumersaue, Finkenwalde und viele andere, fast 30 000 neue Ansiedler wandern in Pommern ein, die Viehbestände wachsen z. T. zu bis heute nicht wieder erreichter Höhe; der Entwurzelung der Bauern durch Einziehen ihrer Stellen wird mit allen Mitteln entgegengearbeitet.

Leider steht diesen bedeutsamen Fortschritten im preußischen Teil Pommerns eine mehr als unglückliche Entwicklung in Schwedisch-Vorpommern gegenüber; sie wirkt sich bis zum heutigen Tage in der Wirtschaftsstruktur der Provinz äußerst nachteilig aus. Unter der milden, auf allen Gebieten duldsamen schwedischen Herrschaft - um die Erhaltung mittelalterlicher Bauwerke und kultureller Schätze hat sie zweifellos größere Verdienste als das brandenburgisch-preußische Regime im übrigen Pommern - führte das durch staatliche Maßnahmen nicht gehemmte Bauernlegen zur fast restlosen Vernichtung des freien Bauernstandes. Besonders spekulativ veranlagte Gutsherren machten - wie es neuerdings Graf Günther von der Goltz schildert - ein förmliches Gewerbe daraus, ganze [116] Bauerndörfer zusammenzukaufen und die neu entstandenen Ackerwerke mit großem persönlichen Gewinn weiter zu verkaufen. In einer Erklärung der vorpommerschen Stände vom Jahre 1796 wird als allgemeiner Brauch erwähnt, daß man die gelegten Bauern zu "Einliegern", also Gutstagelöhnern, machte und die Bauernhäuser als Landarbeiterwohnungen in den Besitz der Gutsherrschaft übernahm.

Es mag hier nur kurz gestreift werden, daß das in seiner Konzeption so gewaltige Bauernbefreiungswerk des Freiherrn vom Stein durch seine Nachfolger Altenstein und Hardenberg unter dem Druck der Landstädte nicht nur wirkungslos gemacht, sondern in entscheidenden Teilen geradezu ins Gegenteil, nämlich zur Preisgabe des alten preußischen Bauernschutzes, umgewandelt wurde. Was der geniale Schöpfer Stein beabsichtigt, was der mutige Vorkämpfer Ernst Moritz Arndt, selbst aus leibeigenem rügenschen Stamm geboren, gerade für Pommern gehofft und gefordert hatte, was der große Oberpräsident Johann August Sack sich als Lebensaufgabe gestellt hatte, "ein zweites und drittes Pommern in Kultur und Bevölkerung" zu schaffen, das alles blieb bis zu diesem Tage unerfüllt. Wohl hat sich allen Widerständen und Verfolgungen zum Trotz ein bodenständiges pommersches Bauerntum erhalten; im Pyritzer Weizacker, im Rügenwalder Amt, in der fruchtbaren Strandzone zwischen Kammin und Köslin sitzen überall wurzelechte, wirtschaftlich erfahrene, politisch rege Bauern auf ihren schönen Höfen.

Aber Pommern wird in Zukunft wieder weit stärker Bauernland werden müssen, wenn es seine nationalpolitische und wirtschaftliche Aufgabe als Grenzmark gegen Polen erfüllen soll. So entscheidend heute die Bedeutung des gesamten Großgrundbesitzes für das Wirtschaftsleben der Provinz und für die Volksernährung, so unentbehrlich der einzelne gut bewirtschaftete Großbetrieb als Muster und Lehrmeister für bäuerliche Ackerkultur und Viehzucht ist, - es läßt sich heute in Pommern ohne Schwierigkeiten hinreichend Land bereit stellen, um neben dem lebensfähigen Großbesitz ein neues blühendes Bauerntum zu schaffen, das den bereits im Veröden begriffenen und menschenleer werdenden Osten mit neuem deutschen Leben erfüllt. Die Ansätze für diese dritte Siedlungswelle sind schon erkennbar. Es war nicht nur ein Pommer, sondern auch ein bekannter pommerscher Großgrundbesitzer, Schlange-Schöningen, der 1931 als Reichspostminister bewußt von Steins Reformwerk ausgehend durch den Sicherungsschutz und den Entwurf eines modernen Ostsiedlungsgesetzes schöpferisch die Grundlagen für eine neue bäuerliche Ostraumwirtschaft legte, deren Aufbau in der nächsten Zukunft über Pommerns Schicksal entscheiden wird.


Indessen Pommern besteht nicht nur aus Großgrundbesitz und Bauern. Mag auch die Landwirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart das Gesicht des Landes maßgeblich bestimmt haben, so sind doch die Städte, zumal die größeren, an schiffbaren Gewässern gelegenen, aus der historischen Entwicklung, aus Handel und Wandel und auch aus dem pommerschen Landschaftsbild nicht weg zu denken. Sie waren die ganze pommersche Geschichte hindurch die wirtschaftlichen, sie wurden nach der Reformation ausschließlich die geistigen Mittelpunkte des Landes. Gewiß, die vielen kleinen Landstädte, nicht viel mehr als große Bauernsiedlungen, oft in Tributpflicht, fast Privatbesitz des umwohnenden [117] Adels, haben niemals

Markttag in Greifswald.
[117]      Markttag in Greifswald
entscheidenden Einfluß ausgeübt; - von ihnen gilt insgesamt, was der alte urpommersche Reimspruch von ihrer einen behauptet:

    Massow, dat was so,
    dat is so un bliwt so;

die See- und Hansestädte indessen, Stralsund, Greifswald, Wolgast, Stettin, selbst Rügenwalde pflegten zeitweise über das Ostseegebiet hinaus bedeutsame Handelsbeziehungen und brachten den pommerschen Namen manchmal recht nachdrücklich zur Geltung. Sagte doch z. B. gerade das kleine Rügenwalde im 14. Jahrhundert einmal dem mächtigen Amsterdam Fehde an und nahm unbekümmert dessen Schiffe, wo es sie nur finden konnte. Unter den pommerschen Städten herrscht wirtschaftlich im Mittelalter Stralsund, in der Neuzeit Stettin; auf geistigem und wissenschaftlichem Gebiet hat Greifswald mit der 1456 gegründeten Universität stets auf das gesamte Ostseegebiet ausgestrahlt.

Das Gesicht der Städte formte vor allem die Hansa; ihre vollberechtigten Mitglieder Stralsund, Greifswald, Stettin, das allerdings in der Belagerung von 1677 stark zusammengeschossen wurde, Anklam, Wolgast, Kolberg, Stargard, Stolp und Rügenwalde sind daher baulich Pommerns schönste Städte; in ihren gewaltige gotischen Backsteinbauten, Kirchen, Stadttoren und Giebelhäusern lebt noch heute etwas von der geistigen Tatkraft patrizischer Kaufleute, vom Lebensrhythmus des freien, bewußten Bürgertums, das 1370 unter Führung des großen Stralsunders Bertram Wulflam sich Königs- und Fürstenmacht dienstbar machte.

Stargard, Portal der Marienkirche.
[123]      Stargard, Portal der Marienkirche,
ein Schmuckstück norddeutsch-gotischer Baukunst.

Sie liegen in weiten grünen Wiesenflächen, ihre kupfergedeckten Kirchtürme ragen ernst und ruhig in den nordisch klaren Himmel; an ihren Wassertoren ankerten einst die massigen Hansekoggen, bis die Entdeckung neuer Welten den Handel aus der Ostsee in das Weltmeer vertrieb; und dreihundert Jahre später zu Joachim Nettelbecks und Kasper Ohms Zeiten sind ihre Häfen noch einmal von hoch- [118] getakelten Briggs und Galeassen belebt, die Vaterstädte ganzer Geschlechterfolgen großer Segelschiffskapitäne in den männlichen Zeiten, da die Seefahrt nach der Goldküste und nach Surinam noch eine Kunst war. Pommerns größter Maler Caspar David Friedrich hat sie romantisch verklärt, zart und schwermütig in seinen Bildern festgehalten.

Auch die mittelbaren Bundesmitglieder Demmin, Wollin, die alte Bischofsstadt Kammin, Gollnow, Treptow a. R., Greifenberg und die der Hanse nur pflichtigen und befreundeten Landstädte Köslin, Belgard, Greifenhagen, Gartz und Damm, sie alle fanden Schutz, Absatz ihrer Erzeugnisse, Eintausch unentbehrlich werdender fremder Waren, auf sie alle strahlt verdünnt, verästelt und dennoch hier in einem Stadttor, dort in einem verlorenen Giebelhaus erkennbar etwas aus von jener hanseatischen Unternehmungslust, von jenem freien Bürgerstolz, der dann im Untertanengeist der späteren Entwicklung so gründlich begraben wurde.

Die meisten pommerschen Städte haben eine Vergangenheit, wenige eine Gegenwart, nicht viele eine Zukunft.

Aber die Gegenwart hat immer recht. Das unromantische Stettin, schon zu des Wendenapostels Otto von Bamberg Zeiten "ein Haupt aller pommrischen Städte", regiert diese pommersche Gegenwart und sicherlich auch die Zukunft: der größte deutsche Ostseehafen, ein Industrie- und Handelsplatz von internationaler Bedeutung, ein Zentrum des Schiffs-, Eisenbahn- und Luftverkehrs, die Stadt mit den schönen Parkflächen und dem ganz unpommerschen Tempo und Getriebe, der Stolz jedes guten Pommern. Der Große Kurfürst, 1677 nach der furchtbaren Belagerung, die Stettins hanseatische Kunstbauten in Asche legten, im Besitz der Stadt, trug sich mit der Absicht, seine Residenz in Berlin aufzugeben und Stettin zur Hauptstadt Brandenburgs zu erheben. Der Friede von St. Germain zerschlug den Plan, Stettin blieb schwedisch. Es ist müßig und reizt doch immer wieder die Phantasie: wie hätte sich wohl das Schicksal Pommerns und Preußens gestaltet, hätte damals schon Brandenburg den Zugang zur See erhalten, um "am Commercium der Welt teilzunehmen", wäre Friedrich der Große in Stettin mit dem Blick auf die Ostsee und ihre Küstenländer herangewachsen...


Dem Pommern ist ein erstaunliches Maß nüchterner, leicht ironisch gefärbter Selbstkritik gegeben. Immer war sein eigenes Urteil über sich, über sein Land, über sein Tun härter und skeptischer als das fremder Beobachter.

"Unser Volk hat von den Wenden und dem strengen Himmel, unter dem es wohnt, noch viel Grobheit an sich; darum hält es wenig oder nichts von den studiis und freien Künsten. Darum hat es nicht viel gelehrte Leute, wie wohl es sehr feine ingenia hat, wenn sie nur dazu angehalten würden"... so urteilt der ehrliche pommersche Chronist Thomas Kantzow um 1540. Und einer der großen neueren Heimatdichter, Hans Hoffmann, der aus der Sonne Griechenlands immer wieder den Weg zu dem strengen Himmel seines Ostseelandes fand, singt scherzend:

    "S'ist wahr, wir hinken noch ein wenig sehr
    In manchem nach, was man Kultur so heißt;
    Gediegne Nährkraft gilt uns meistens mehr
    Als lustge Schönheit, Anmut, Witz und Geist."

[119] Aber schon zu Kantzows Zeiten hören wir bemerkenswerte freundlichere Stimmen. So schreibt Melanchthon, der viele Pommern zu seinen Schülern und Freunden zählte: "...non facile alibi posse reperiri tot homines multa et eleganti eruditione expolitos ut in Pomerania." Und ein Gang durch Stralsunds wunderbare Gotik, ein Blick in die pommerschen Museen und großen Bibliotheken zeigt, daß Pommern den Vergleich mit andern Landschaften wohl aushalten würde.

Stralsund mit Marienkirche.
[113]      Stralsund mit Marienkirche.

Ohne große Mühe ließe sich auch eine recht lange Reihe feiner, zutiefst in der pommerschen Landschaft verwurzelter Ingenia aufzeigen, von Witzlav, dem Minnesänger, über den Reformator Bugenhagen, die Dichter Ramler, Ewald von Kleist, Ernst Moritz Arndt, die beiden Maler Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich, die Politiker und Wissenschaftler Virchow, Stephan, Kleist-Retzow, Lothar Bucher, Schwerin-Löwitz, die Soldaten Wrangel, Roon, Lettow-Vorbeck, die Geschichtsschreiber Droysen und Delbrück... Doch solcher Verteidigung bedarf es ja nicht; einzelne hervorragende Ingenia beweisen nichts für die geistige und seelische Struktur von Land und Leuten. Aber wer das Volk in seiner Umwelt und bei seiner Arbeit sucht und findet, den Kossäten am Pfluge, den Fischer im weltverlorenen Strandnest,

Der 85jährige Fischer Bradhering in Arenshoop (Ostsee).
[119]      Der 85jährige Fischer Bradhering
in Arenshoop (Ostsee).
den Mann am Bollwerk, den kleinstädtischen Handwerksmann in seiner Werkstatt, der wird diesen ein wenig verschlossenen Menschenschlag werten und lieben lernen; und wer nach langen Jahren in die Heimat zurückgekehrt und sich pommersche Augen erhalten hat, unsere alte Eigenart zu erkennen, und plattdeutsche Ohren, unsere Sprache zu verstehen, der erlebt dann wohl - wie Nettelbeck in Lissabon - die eine Stunde im Leben, wo auch ein Pommer einmal überschwenglich wird, und singt mit dem Schlußvers des Heimatliedes:

    Bist ja doch das eine
    In der ganzen Welt,
    Bist ja mein, ich deine,
    Treu dir zugesellt,
    Kannst ja doch von allen,
    Die ich je gesehn,
    Mir allein gefallen,
    Pommerland, so schön."


Pommern ist weder geographisch, noch historisch eine geschlossene Einheit; das sieht jeder, der diese vielgestaltige [120] Landschaft einmal durchfahren hat von Rügens buchengekrönten Kreidefelsen über die wiesengrüne Oderniederung zum steinigen Landrücken, der Stralsund, Greifswald, und etwa Stolp und Lauenburg besucht hat.

Kreideküste auf Rügen.
[121]      Kreideküste auf Rügen.

Auch die "pommersche Nation", von der Friedrich der Große spricht - sie bestehe aus vortrefflichen Soldaten, aber schlechten Diplomaten -, ist volkstümlich keine wirkliche Einheit; überall tritt heute noch die grundverschiedene Blutmischung klar hervor. In Hinterpommern jener schwere, die freie Lebens- und Willensentfaltung hemmende, wendische Einschlag; in Vorpommern - besonders in dem Teil nördlich der Peene, der im Volksmund heute noch Schwedisch-Vorpommern heißt - das lebendigere, leichtere Erbteil aus dänischen und schwedischen Zeiten, die nahe Stammverwandtschaft mit den benachbarten Mecklenburgern. Reuter, der sich übrigens wie Bismarck gern als halben Pommern bezeichnete, hat diesem lebensfrohen Menschenschlag in vielen seiner Läuschen und vor allem in seinen beiden schönsten Gestalten Karl Habermann und Onkel Bräsig das naturgetreue, heute noch gültige Denkmal gesetzt.

Der Hinterpommer - der amtlich leider neuerdings Ostpommer heißt - wird von dem braven Thomas Kantzow (sagen wir: für jene Zeit wenigstens sicherlich) richtig geschildert: "Es ist das Volk mehr gutherzig, denn freundlich, nicht sonders wacker oder fröhlich, sondern etwas ernst und schwermütig; sonst aber ists ein aufgericht, treu und verschwiegen Volk, das die Lügen und Schmeichelwort hasset." Diese Menschen sind fest und in innerer Harmonie mit ihrer kargen Heimat verwachsen, von der eine hinterpommersche Dichterin unserer Zeit, Katharina Zitelmann, meint: "Unsere Gegend ist von bescheidener Schönheit, sie geht nicht auf den Schein; sie begnügt sich mit Liebe, während andere Bewunderung heischen; sie wirkt auf innerliche Menschen, sie ist tief und ernst und spröde und gibt sich nicht jedem."

Auch in diesem Zusammenhang darf der pommersche Landmann ein Wort für sich beanspruchen, denn mehr als Dreiviertel der Bevölkerung lebt auf dem flachen Lande und in den Kleinstädten.

Fritz Reuter scherzt:

    "De pommersch Bur, dei is to kenn',
    Wenn hei t Gewehr fött bi dat En',
    Wenn hei den Kolben fluschen lett
    Un - wenn hei dicke Arwten frett..."

Der pommersche Bauer ist und war von je im guten Sinne konservativ. Abenteuererlust gehört nicht zu seinen vorwiegenden Charaktereigenschaften. Den Landknechtshaufen des dreißigjährigen Krieges schloß er sich erst an, wenn der eigene Hof für immer zerstört war und es geradewegs zum Verhungern ging. Auch in allen Händeln der herzoglichen Zeit zeigt er mehr derbe Rauflust in der Abwehr feindlicher Anstürme als im eigentlichen Sinne soldatischen Angriffsgeist. Trotzdem gelten mit Recht die Pommern als besonders gute Soldaten. Die unvergleichlichen Grenadiere von Leuthen waren pommersche Bauernsöhne, geführt von pommerschen adligen Offizieren; die pommerschen Truppenteile des Freiheitskrieges hat der Freiherr vom Stein "Teufelskerle, die wahren Schlachtenbahnbrecher" genannt; in den deutschen Eingungskriegen und im Weltkrieg haben sich an allen Fronten die pommerschen Regimenter mit beispielloser Tapferkeit und [121] Hingabe geschlagen. Es ist allein das Werk der beiden großen Preußenkönige, aus den Grundeigenschaften des Pommern, Gefolgstreue und Gehorsam - der Pommer ist kein Räsoneur -, Traditionsbewußtsein, unbedingte Pflichttreue, zähes Festhalten auf dem Platz, an den ihn die Vorsehung stellte, den soldatischen Geist geradezu zum Typ herausentwickelt zu haben. Für den Pommern ist es eine Selbstverständlichkeit geworden, der vorbildliche Soldat zu sein, Gut und Blut herzugeben, wenn es um die Verteidigung des Reiches geht. Deshalb wird auch nirgends so wenig mit militärischen Heldentaten geprahlt wie unter pommerschen Bauern; denn unser Bauer ist an sich ein Mann des Friedens; in Pommern auf dem Lande kennt man weder Raufereien, noch Prozeßhanselei. "Die Pommern sind weder grausam, noch blutdürstig, und ihre Sitten meist sanft; man bedarf keiner Strenge, um sie zu regieren," sagt der große König.

Ein altes Sprichwort meint: die pommerschen Bauern sind wie ihre großen Kachelöfen; sie werden ganz langsam warm, dann aber hält es auch vor. Der Bauer ist sich dieser Eigenschaften durchaus bewußt; er weiß auch, daß sie ihn so oft in den Ruf kultureller und wirtschaftlicher Rückständigkeit gebracht haben. Das Wort vom "langsamen, groben Pommern" ist ja seit Kantzow immer lebendig geblieben. Der einst so berühmte Romanschreiber des 18. Jahrhunderts Johann Timotheus Hermes hat sich in seinem damals viel gelesenen Wälzer Sophiens Reise von Memel nach Sachsen damit sehr ernsthaft und empört auseinandergesetzt; der geistvoll-fröhliche Hans Hoffmann schöpfte daraus den Stoff für eine seiner reizendsten Novellen. Der Pommer war gegen solche Vorwürfe hellerer und flinkerer Nachbarn niemals sehr empfindlich; er quittiert ja selbst irgendeine heimatliche Riesendummheit stillvergnügt-spöttisch: "Na ja, so lang, als de Hinnerpommer [122] lewt, starwt de Oß nicht ut..." Aber er ist auch nicht geneigt, sich um des günstigeren Urteils fremder Beobachter willen in seinem Grundwesen zu verändern, - selbst wenn er das könnte. Im Gegenteil: mehr als je hält er heute daran fest; immer wieder kann er z. B. in diesen schwersten Krisenjahren der östlichen Landwirtschaft beobachten, wie zugewanderte Neuerer mit Feuereifer und großem Redefluß sich neuen Anbaumethoden, neuen Werkzeugen, modernen Allheilmitteln verschreiben und dann nach kurzer Zeit ruiniert die eben erst erworbene Scholle wieder verlassen.

Gewiß, die Nivellierung unserer Zeit, die Mechanisierung seiner Berufsarbeit, die Einengung durch heutige Nachrichten- und Verkehrsmittel haben dem Bauern manches von seiner alten Eigenart genommen; aber er erkennt bereits die lauernden Gefahren und beginnt wieder, sich seiner Stellung innerhalb der Volksgemeinschaft und seines Wertes für die Erneuerung der Nation bewußt zu werden. Noch lebt in ihm das geistige und sittliche Erbe der Väter, der Stolz, das entschlossene Festhalten an der überkommenen Scholle - Pommern stellt selbst in wirtschaftlichen Notzeiten so gut wie keine Auswanderer -, das Mißtrauen gegen alle hohle Betriebsamkeit, die Abneigung gegen das laute Getöse und den Flitterglanz der großen Städte: "all sin Sorg un Mäuh un sin Wirken in de Gottesnatur makt ut den pommerschen Buren en Mann von ruhigen graden Sinn, die sülwst nich vel Redensorten makt un mißtrugsch gegen de Lüd is, dei den Mund vull nehmen, en Mann, den de Minschenverstand, so as Gott em gewen hett, nich verkrüppelt is mit angelihrten un anstudierten Putz, en Mann von einfultig, unverdorwen Sitten, vull Tru und Glowen an den ollen Herrgott, dei all Vadders un Großvadders Herrgott west is, un vull Vertrugen up den, den sinen Wirt hei erfohren hett, en Mann, de weit, dat hei de Fruchtboom is, von den sin Früchte de annern Stän'n miteten, dei sich besinnt, ob hei vör Lüd mit sine Stäwel den Haut afnehmen sall, dei di gastfrei upnimmt un di ehrlich helpt, wenn 't in sin Vermögen steiht" (Heinrich Bandlow).


Pommern ist durch die unselige Grenzziehung von Versailles wieder Grenzmark geworden. Wieder wie im ganzen Mittelalter ist seine Ostgrenze Kulturscheide und, da Polen seine Entdeutschungspolitik mit aller Härte fortsetzt, bald auch Sprachgrenze. Wieder steht Pommern im Kampf gegen den gefährlichsten und zielbewußtesten Feind seiner langen Geschichte, der stets seine angeblichen Anrechte auf alles Land östlich der Oder aufrecht erhielt. Der Pommer kennt polnische Kampfmethoden, schätzt mit seinem nüchternen Tatsachensinn die wirtschaftlichen und nationalpolitischen Energien seines Nachbarn keineswegs gering ein; er weiß, daß dieser siebenhundertjährige Kampf um den deutschen Ostraum auf die Dauer nur dann erfolgreich weitergeführt werden kann, wenn das ganze deutsche Volk die Sache des Ostens zur deutschen Sache schlechthin macht.

Pommern ist von außen bedroht, im Innern in Not.

Schwerste Wirtschaftskrise lastet in der Gegenwart und wohl für lange Jahre hinaus auf Stadt und Land. Das Fundament des einstigen Wohlstandes, die Landwirtschaft, ist in allen ihren Zweigen bis in die Grundfesten erschüttert; zahlreiche Großbetriebe, oft seit Jahrhunderten im Besitz derselben Familie, brechen rettungslos unter untilgbarer Schuldenlast zusammen, auch der bäuerliche Besitz ist bereits ernsthaft bedroht, und der Land- [123] arbeiter findet oft kein Hüsung mehr. Die Landstädte, in ihrem ohnehin bescheidenen Wirtschaftsleben auf Gedeih und Verderb mit der nächsten ländlichen Umgebung verbunden, welken dahin. Die heimische Industrie, in ihrem Binnenabsatz durch die Agrarkrise gelähmt, mit ihrer Ausfuhrerzeugung auf überfüllte Auslandsmärkte und starre Zollmauern stoßend, sieht sich vor fast unlösbare Aufgaben gestellt; ihre Arbeiterschaft füllt das Arbeitslosenheer, schrumpft ein, verschwindet oft ganz: denn Bauernnot ist Arbeitertod. Das wirtschaftliche Gesamtgefüge Pommerns wankt, neue wirtschaftliche und soziale Formen ringen um Gestaltung.

Wie so oft in seiner Geschichte ist das Leben des Pommern in solcher Zeit neuen Werdens bitterster Kampf um das bißchen Leben, harte Arbeit, Verzicht und Genügsamkeit. Nirgends aber herrscht Verzweiflung; denn wie stets in den Notzeiten seiner Geschichte wächst des Pommern zähe Lebenskraft, sein wortkarger Wille, die angestammte Scholle, die ererbte Werkstatt, den alten Arbeitsplatz wenn nicht für sich selbst, so doch für die kommende Generation hinüberzuretten zu dem Tage, da an dem strengen Himmel, unter dem wir wohnen, wieder eine hellere Sonne emporsteigt.

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Pommersche Passion: Kriegsende - Flucht - Vertreibung.

Das Versailler Diktat. Vorgeschichte, Vollständiger Vertragstext,
      Gegenvorschläge der deutschen Regierung

Das Buch der deutschen Heimat, besonders das Kapitel "Mecklenburg und Pommern".

Deutschtum in Not! Die Schicksale der Deutschen in Europa außerhalb des Reiches,
      besonders das Kapitel "Das Deutschtum in Polen: in Pommerellen und Posen."

Das Grenzlanddeutschtum,
      besonders das Kapitel "Das Grenzlanddeutschtum im polnischen Staate."

Zehn Jahre Versailles, besonders Bd. 3, die Kapitel
      "Gegnerische Gebietsforderungen und ihre Vorgeschichte: Die Polen" und
      "Gefährdung und Gebietsverlust durch Abstimmung: Posen und Westpreußen."

Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat
Unter Mitarbeit von Schriftstellern aller deutschen Stämme
herausgegeben von Dr. Eugen Schmahl.
Mit einem Geleitwort von Dr. Hans Steinacher,
Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland,
und mit einem Geleitschreiben von Hans Grimm.