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Die Mark Brandenburg
Maximilian Böttcher

"Mark" heißt Grenze, Grenzmark, Grenzprovinz. Im Falle der Mark Brandenburg: den Slaven entrissene, einem kaiserlichen Markgrafen zur Bewachung anvertraute Markgrafschaft. (Nicht zu verwechseln übrigens mit der ehemaligen, im westfälischen Regierungsbezirk Arnsberg gelegenen, an wechselvollen Schicksalen nicht minder reichen Grafschaft Mark.)

Bei Prenzlau in der nördlichen Uckermark war es, wo man zwischen Inlandeisgeschieben eine Hacke aus dem Geweih eines Rothirsches fand, Hinterlassenschaft eines brandenburgischen Steinzeitmenschen, der schon den Boden bearbeitete. Im Südosten von Berlin, in Schmöckwitz, und in Cladow an der Havel fand man aus Feuersteinen angefertigte Messer, Pfeilspitzen und Handwerksgeräte mancherlei Art. Bei Wusterwitz nahe der Stadt Brandenburg (Brennabor) kam eine Keule aus Renntiergeweih ans Licht, Andenken jener "Renntierzeit" genannten Epoche, in der die Ostsee noch ins Eismeer hinüberspülte. Dann wurde der Elch in der Mark heimisch, den man jetzt wieder in Mecklenburg und auf dem Darß ansiedeln möchte; in Fernwerder bei Ketzin grub man aus seinem Schaufelgeweih gefertigte Harpunen aus, auch Äxte und Steinkeulen. Dann finden sich, zunächst wieder in der Uckermark, in riesigen Steingräbern früheste Reste des märkischen Menschen selbst (nachdem man bis dahin seine Toten verbrannt hatte). In diesen Steingräbern lagen Waffen, Tongefäße und andere Gerätschaften, die schon ein wenig von der Kultur der jüngeren Steinzeit erzählen. Im zweiten Jahrtausend vor Christi Geburt herrschte wohl die Bronzezeit in der Mark; Bronzeäxte finden sich und Bügelnadeln zum Zustecken der Kleidung, sogenannte Fibeln, an deren technisch fortschreitenden Verzierungen sich eine erste Zeitrechnung ablesen läßt. Sogar Schmuckstücke aus gegossenem Metall grub man aus - bei Wustermark, Spindlersfeld und Seddin, man verstand also schon, das aus fremden Ländern eingeführte Kupfer und Zinn in heimatlicher Werkstatt zu bearbeiten; der sogenannte "Eberswalder Fund" mit seinen 78 Stücken aus Gold, der kostbarste prähistorische Fund Deutschlands aus der jüngsten Bronzezeit, kann den Wettbewerb selbst mit den Altertümern von Mykene aufnehmen. Aus ihm läßt sich schließen, daß man mit der Sitte der Totenbestattung gewechselt und die Leichname wieder den Flammen übergeben hat; das Rad und das Hakenkreuz, das damals vielfach als Schmuck verwendet wurde, deuten wohl auf Sonnenkultus hin.

Gesichtsurnen aus Steinkistengräbern der spätesten Bronzezeit.
[96]      Gesichtsurnen aus Steinkistengräbern der spätesten Bronzezeit
(1/5 der natürlichen Größe). Provinzialmuseum Danzig.

Im Norden von Berlin, beim Vorort Buch, grub man ein ganzes bronzezeitliches Dorf aus: lauter viereckige Häuser, aus deren Inhalten man entnehmen kann, daß ihre Bewohner sich von Hirschen, Rehen und Vögeln genährt und alle die Tiere gehalten haben, die wir jetzt noch unsere Haustiere nennen. Rudolf Virchow, ebenso groß als Anthropolog wie als Mediziner, [96] förderte die "Lausitzer Kultur" zu Tage: Burgwälle, Urnenfelder, nicht mit der Töpferscheibe, sondern mit der Hand gefertigte Gefäße buntester Form und Verzierung, Waffen und Geräte, die schon der frühen Eisenzeit zuzurechnen sind. Der berühmte Fund von Vetersfelde bei Guben dürfte aus der Zeit um 500 v. Chr. Geburt stammen; Waffen und Schmuck aus Eisen und Gold mit Löwen und Panthergestalten gehören einer fremden Welt an, entsprechen etwa den Funden vom Neuenburger See in der Schweiz und geben uns das Rätsel auf, ob sie als Handelsware eingeführt wurden oder als Überreste eines Skytheneinfalls zurückgeblieben sind. Ganz und gar keltisch muten die Gräberfunde von Vehlevanz im Osthavellande und von Breddin in der Ostprignitz an, die auf einen anderthalbtausendjährigen Betrieb, etwa bis 100 vor Chr. zurückblicken. Von urgermanischer Kultur zeugen die Dörfer- und Gräberfunde bei Großbeeren, Paulinenaue, im nächsten Umkreis von Berlin, ebenso wie die von Kyritz in der Ostprignitz und Küstrin in der Neumark. Bei Neukölln förderte man einen Reitersmann mitsamt seinem Pferde und dem Eisenschwert mit bronzenem Knauf in lederüberzogener Holzscheide an den Tag. Vermutlich aus dem 6. nachchristlichen Jahrhundert, in dem die Sueben vor der heranschäumenden Wendenflut südwestwärts nach Schwaben auswichen - bis auf die, die in der Mark bodenständig sitzen blieben und sich mit den Slawenstämmen niederer Zivilisation zu einer Volksgemeinschaft verschmolzen.

Karl der Große, der das heute von uns Mark Brandenburg genannte Land als sein Herrschaftsgebiet betrachtete, kam gegen die Völkerwanderung der Heveller, Liutizen und Obotriten nicht auf. König Heinrich räumte mit dem Slavengemisch zwar mächtig auf, eroberte auch ihre Hauptstadt Brennabor; aber erst unter Markgraf Gero drängte der Christenglaube das wendische Heidentum zurück. Wie denn den askanischen Markgrafen das Hauptverdienst daran zukommt, die Mark zu einer Heim- und Heilstätte germanischen Christentums gemacht zu haben.

[97] 1134 belehnte Kaiser Lothar, als Sachsenherzog am Schicksal Norddeutschlands stärker interessiert als die fränkischen Herrscher, den Grafen von Askanien, der in der Geschichte Albrecht der Bär heißt, mit der "Nordmark" und allen Rechten auf ostelbisches Land einschließlich der Bistümer Brandenburg und Havelberg; und nun endlich, nach viertausend Jahren prähistorischer Existenz, wuchs die Mark in die Geschichte hinein. Albrecht der Bär entriß die Prignitz den Liutizen; aber Pribislav, der Hevellerfürst, hielt es für ratsam, das dürre Land südlich der Havel, von den Wenden "Zauche" genannt, dem Söhnchen Albrechts als Patengeschenk zu verehren, so daß der Bär sich nunmehr mit Fug und Recht "Markgraf von Brandenburg" nennen konnte. Aus Westdeutschland, wo damals schon ein "Volk ohne Raum" hauste, ergoß sich ein Strom von Ansiedlern über die Elbe ostwärts, begann aus wendischer Wüstenei deutsches Kulturland zu machen. Wobei mancher deutsche Herr dadurch auf friedlichem Wege rascher vorwärts kam, daß er sich mit den Töchtern slavischer Adliger verheiratete. Erst Albrecht II. stieß indessen durch den Barnim bis nach Oderberg vor. Auch thüringische Siedler fluteten mit den Askaniern in die Mark, sowie Rheinländer, Friesen, Ostfalen und Fläminger.

Prof. Dr. F. Lampe schreibt über die Mark Brandenburg:

      "Die adligen Großgrundbesitzer brachten Grund und Boden oder Rechte rings im Lande an sich; die Städte nicht minder, worüber Städte und Adel oft in harte Gegnerschaft gerieten. Der wirtschaftlich schwache Bauer fand überhaupt keinen Schutz. 1411 kündete Kaiser Sigismund seinen Märkern »einen rechten Obristen und Verwesser« an, Friedrich von Hohenzollern, auf daß sie ihm gehorchten. Dieser, der erste seines Namens, warf einige übermütige Adelsgeschlechter nieder, die Quitzows z. B., und bändigte die anderen bald mit Härte, bald mit Nachsicht. Verwüstungen des Landes durch böhmische Hussiten konnte er allerdings so wenig verhüten wie einst die Wittelsbacher verheerende Einfälle der Pommern und Polen. Sein Sohn Friedrich II. griff dann unter den Städten gerade Berlin-Kölln heraus, um ein Beispiel zu geben, daß auch die Städte sich dem Staate einzuordnen hätten. Er erbaute zu Kölln eine kurfürstliche Burg und nahm Berlin seine alten Handelsvorrechte, so daß es, obgleich Residenz geworden, an Eigenmacht hinter anderen märkischen Städten zurückstand. So blühte Frankfurt an der Oder noch bis ins 16. Jahrhundert hinein, da zu seinem Speditionshandel bedeutsame Messen kamen, und es durch Begründung einer Universität auch zum geistigen Mittelpunkt der Mark wurde. Im Westen hatte die Bischofsstadt Brandenburg Ansehen. Gern wohnten im 15. Jahrhundert die Kurfürsten in Spandau, und Küstrin besaß seit dem 16. Jahrhundert eine Amtskammer und ein Kammergericht. Dort hat noch Friedrich der Große als Kronprinz arbeiten müssen; und von Küstrin aus wurde Neumark mustergültig verwaltet."

Schloß Küstrin an der Oder.
[106]      Schloß Küstrin an der Oder.

Auf der Landkarte nimmt sich die Mark fast wie der mächtige Brustkasten eines Riesenkörpers aus. Sein Halstorso erstreckt sich mit der Uckermark zwischen Mecklenburg und Pommern über Strasburg und Neuensund bis nahe ans Haff heran; sein rechter Armstumpf lehnt sich über Wittenberge und Lenzen an der Elbe hinweg auf die Altmark; sein linker und die Herzseite darunter ist nun wieder Grenzmark im wahrsten Sinne des Wortes geworden, Grenzmark gegen das neuerstandene, dauernd nach deutschem Lande gierige Polen. Im Süden stülpt sich der mächtige Brustkasten in der ungefähren Linie Sorau - Spremberg - Senftenberg - Uckro - Reppin auf Schlesien, Sachsen und Anhalt.

[98] Vielleicht sind Bayern, der Harz, Thüringen und die Rheinprovinz landschaftlich reizvoller als die Mark. Doch bin ich mit nicht wenigen Süd-, Mittel- und Westdeutschen durch die übel beleumundete dereinstige "Streusandbüchse des Römischen Reiches" gefahren, und immer wurde meinen Begleitern die Endlosigkeit der tiefverschwiegenen Märkischen Wälder ebenso zum Erlebnis wie der Wechsel der Flußtäler, der romantische Zauber der Seen.

Würde ein Dichter wie Theodor Fontane, ein Maler wie Walter Leistikow sich so ganz und gar mit ihren höchsten und heiligen Künsten an die Mark verloren haben, wenn sie nicht aller Wunder voll wäre?

Der Dom in Berlin.
[110]      Der Dom in Berlin,
gesehen durch die klassischen Säulen
des Kronprinzenpalais.
Wo soll ich anfangen, wo aufhören, meine geliebte Heimat zu preisen? Am besten wohl bei Berlin, der deutschen Reichshauptstadt. Auf rund 9000 Quadratkilometer Raum leben 4½ Millionen Menschen. Die Bevölkerung Berlins ist in drei Jahrhunderten von 6000 Menschen auf vier und eine halbe Million angewachsen, also um das Siebenhundertfache. Seht euch vom Schinkelplatz, am Nationaldenkmal des ersten Hohenzollernkaisers vorbei, den gewaltigen, kuppelgekrönten Bau des Schlosses an. Wendet euch im Schatten der uralten Platane und blickt über den Lustgarten zum Dom hinüber. Betrachtet, am besten bei hellem Mondlicht, die einzig schöne Fassade der Schloßapotheke, steht stumm in der marmornen Pracht des Kapitelsaales. Schreitet auf leisen Sohlen die Säulenhalle des alten Museums entlang, steigt das Kunstwerk der Freitreppe zur Nationalgalerie empor, bestaunt das Wunder der Museumsinsel in seiner Gesamtheit. Schlendert dann die historische Prachtstraße "Unter den Linden" dahin, vorbei am Zeughaus und der alten "Neuen Wache", in der ihr einen Augenblick der Toten des Weltkrieges gedenken möget. Vorüber an dem ehemaligen königlichen Opernhause, der Universität, dem Denkmal Friedrichs des Großen bis zum Brandenburger Tor. Macht auf dem Pariser Platz, der französischen Botschaft gegenüber, halt. Laßt den Verkehr, der durch die fünf Säulenportale flutet, auf euch einwirken, diesen rasenden Verkehr, der wie am laufenden Band aus dem Westen ins Zentrum, aus dem Zentrum gen Westen jagt. Und wenn ihr dann unter der stolzen Quadriga hindurch nur gute hundert Schritte weit in den Tiergarten hinein gewandert seid, wird Friede, weltabgeschiedener Friede, euch umfangen; nicht in der Oase einer von wilder Hast erfüllten Weltstadt werdet ihr euch fühlen, sondern im englischen Park eines Großen dieser Erde, der auf nichts als auf Ruhe und Behagen bedacht ist.

Auffahrt vor dem ‘Palais' gegenüber dem Zeughaus in Berlin.
[99]      Auffahrt vor dem "Palais" gegenüber dem Zeughaus in Berlin, Unter den Linden.
Gemälde von Schwarz (1835).

Und dann das prunkhafte Reichstagsgebäude dicht beim Brandenburger Tor. Wollen wir zum Schlosse Monbijou, das Eosander, der Günstling der Königin Charlotte, gebaut, und Sophie Dorothea, die Mutter des großen Friedrich, erweitert hat, und in dem neuerdings ein historisches Museum untergebracht wurde? Auch zum französischen Dom am Gendarmenmarkt, der einst wirklich ein Krammarkt war.

Dutzende von Baudenkmälern, die alle von großer oder kleiner Vergangenheit reden, müßten wir eigentlich noch besuchen, in erster Linie das Märkische Museum, unter dessen aus ganz Brandenburg zusammengetragenen Schätzen auch der "Kaak" aufbewahrt wird, der Vogelleib mit dem Menschenkopf, der einst als Wahr- und Warnungszeichen am Pranger vor dem Rathaus gestanden hat, und an dem um die gespensternde Mitternachtsstunde vorüber zu gehen die alten Berliner sich scheu hüteten. Vom Staub der Jahr- [99] hunderte bedeckt sind die Winkel Altberlins zwischen dem roten Rathaus und der großväterlichen Klosterstraße, in der neben der Parochialkirche mit ihrem fromm-beschaulichen Glockenspiel und neben allerlei historischen Amtshäusern auch das Gymnasium zum Grauen Kloster noch erhalten ist. Um die Welt- und Hauptstadt des Reiches kennen zu lernen, müßt ihr mit mir das Regierungsviertel um die Wilhelmstraße studieren, der Börse, den Kaufhäusern des Zentrums bis ins

Potsdam, die Nikolaikirche auf dem alten Markt.
[100]      Potsdam.
Die Nikolaikirche auf dem alten Markt.
Reichsbankviertel und über den durch Umbauten völlig auf den Kopf gestellten Alexanderplatz hinaus Besuch abstatten. Von der Mühlendammschleuse oder der Oberbaumbrücke müßt ihr den Blick auf den Schiffsverkehr der Spree werfen, mit der Hoch- und Untergrundbahn in die Süd-, Südost-, Ost- und Nordostbezirke, auch in die Vororte hinausfahren, nach Treptow, nach Stralau, Reinickendorf und den nach ihren großindustriellen Gründern genannten Riesenfabriken "Siemensstadt" und "Borsigwalde".


Über die Villenkolonie des Westens nach Potsdam! Schloß Sanssoucis Säle wollen wir durchgehen, einen Blick in seine Bibliothek werfen und, vor der Vergänglichkeit alles Irdischen erschauernd, neben dem alten Lehnstuhl stehen, in dem der große König erlosch. Er, der sich mit gutem Gewissen den ersten Diener seines Staates nennen durfte. Auch die Mühle von Sanssouci sei nicht vergessen, das Denkmal des unbeugsamen und unerschütterlichen Rechtsbewußtseins preußischer Kammergerichtsräte, die sich durch nichts auf der Welt bestechen oder einschüchtern ließen. Weiter dann durch die Obstgärten von Werder nach Kloster Lehnin, das Otto, des ersten Markgrafen Albrecht Sohn, inmitten meilen- [100] weiter Wälder erbaut hat. Dereinst gehörte die Stadt Werder nebst 64 Dörfern und 65 Seen den Lehniner Äbten und Mönchen, durch die Sitte und Wohlstand in die slavische Zauche, das dürre und verlauste Patengeschenk des Hevellerfürsten Pribislav, gekommen sind, und deren Geist und Erbe sich fortgepflanzt haben in den Klöstern Paradies, Himmelpfort und Chorin, das schon um des einzig schönen Westgiebels seiner Kirche willen einen Besuch lohnen würde.

Kloster Chorin. Inneres der Kreuzkirche.
[105]      Kloster Chorin. Inneres der Kreuzkirche.

Doch wir wollen von Lehnin aus nordwärts, an einer ununterbrochenen Kette schönster Seen entlang, über Güter und Herrschaftsbesitze hinweg, nach Brandenburg (brenna = Schutz und bor = Wald), nach dem die Provinz ihren Namen trägt.


Potsdam, die historische Windmühle.
[100]      Potsdam,.
Die historische Windmühle.

      "Am linken Havelufer zog sich Pribislavs Altstadt Pardunin hin, zwischen Fluß und Sandhang des Halunger Berges, wo einst Germanen, dann die Slaven ein hehres Heiligtum hatten. Rund fünfhundert Jahre stand an seiner Stelle eine liebliche Marienkirche. Noch heute vorhanden ist Pribislavs alte romanische St. Gotthardskirche, deren Feldsteinbau im 14. Jahrhundert zur gotischen Backsteinhallenkirche umgewandelt wurde. Auch das Altstädter Rathaus aus dem 14. Jahrhundert steht noch da. Nur stammen die schönsten Teile, Ostgiebel und Westportal, aus späterer Zeit. Und wie in der Altstadt noch der Turm am Rathenower Stadttor steht, so auf der anderen Havelseite, in der deutschen Kolonistenneustadt, noch der Steintorturm aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Gewaltig reckt sich aus der Neustadt die herrliche Katharinenkirche auf, mit ihrem farbenfreudigen, formenspielenden Backsteingiebel und den hohen drei Hallen ein Zeugnis aufstrebenden Bürgersinnes. Noch anders wirkt der wundersam weltabgewandte Kreuzgang von St. Paul, der zweiten Neustädtischen Kirche, die zum Kloster der schwarzen Dominikaner gehörte. Da ist solch ein Friedgarten mit uraltem Nußbaum, mit tiefen Schatten in den Gängen und den feingetönten Backsteinwänden des hineinschauenden, viel umgebauten Gotteshauses, wie wenige Orte im Brandenburger Land [101] ihn besitzen. Besonders im Abendsonnenschein eines Sommertages wohnt ein ergreifender Zauber diesem Stein gewordenen Gedicht von seliger Ruhe inne. Im malerischen Brandenburg ist es eins der reizendsten Stadtbilder, wie aus dem bewegten Ufertreiben der Schiffe im Strom und des Menschenflusses über die Havelbrücke fort die an sich schmucklosen Bauten von Johanniskirche und Franziskanerkloster mit ragenden kecken Umrissen stark aufsteigen, das Ruhende in der Erscheinungen Flucht. Für den Kunsthistoriker freilich bleibt der geweihte Boden die kleine Havelinsel im Norden mit dem Dom darauf. Gerade ein Jahrtausend ist es her, daß im harten Winter 928 zu 929 König Heinrich über die gefrorene Havel nach Brennabor einbrach. Sein Sohn, der große Sachsenkaiser Otto, begründete an dieser Stätte das Bistum Brandenburg. Als in frühaskanischer Zeit auf dem unsicheren Baugrunde der Havelinsel in unsicherer politisch-militärischer Lage des Christen- und Deutschtums der Dom in romanischer Bauform neu errichtet wurde, da konnten nicht ästhetische Gesichtswinkel die Bauausführung bestimmen. Erst im 13. Jahrhundert machte sich mit wachsender Sicherheit ein künstlerischer Sinn beim nie ermüdenden Dombau geltend... Auch einzelne prächtige Bürgerhäuser sind noch erhalten, in Alt- wie in Neustadt, besonders das mit wahrhaft liniensprudelnden Giebeln geschmückte Haus des reichen Geschlechts der Storbeck. Ihm gegenüber steht das Neustädter Rathaus, dessen alte Gotik nur noch innen erkennbar ist. Vor der Tür wurde 1474 der Roland aufgestellt, linkisch wie die Rolande von Perleberg und Potzlow; doch [102] lustig wächst ihm der Hauslauch zum Kopf heraus, als wäre zur grotesken Blumenvase geworden, was einst Sinnbild polizeilicher Marktgerechtsame und später städtischer Freiheit war. Nun ist Brandenburg mit 60 000 Einwohnern lebhafte Industriestadt. Seine Räder und Kraftwagen, Maschinen und Blechspielwaren, Kinderwagen und Havelkähne gehen weit hinaus." (Professor Lampe.)

Blick auf die Orangerie im Park von Sanssouci.
[101]      Blick auf die Orangerie im Park von Sanssouci.

Weiter, weiter nordwärts, an schimmernden Seen vorbei, durch Bauerndörfer, über Güter und Schlösser, deren Herren vielfach nicht mehr wissen, wie lange noch sie Herren sein werden auf der durch Jahrhunderte hindurch als heiligen Familienbesitz gehüteten Scholle! Immer hart an der Grenze der Provinz Sachsen entlang kommen wir nach Rathenow, das dereinst Standort der Ziethenhusaren war, und wo unter Friedrich Wilhelm III. der Prediger Dunker eine "königlich privilegierte optische Industrieanstalt" aufmachte, von der aus märkische Brillen, Ferngläser und andere Instrumente aus geschliffenem Glas die Welt eroberten. Nord- und ostwärts dehnt sich das havelländische Luch, von Flüssen, Bächen, Kanälen durchströmtes Sumpfgebiet, von Dämmen durchquert, dort, wo der Fleiß der Siedler es urbar machte, von Bauerndörfern und Gutshöfen durchsetzt, auf den Höhen von strotzendem Laubwald bestanden, aber in der Hauptsache doch Weideland für überall aus dem Grün auftauchende gemächlich grasende Viehherden. Städte hat das Luch eigentlich nur am Rande: neben Rathenow Plaue, Pritzerbe, Rhinow und Friesack.

Nun in nordwestlicher Richtung halten wir uns hart an der Grenze zwischen Brandenburg und der Altmark auf Havelberg zu, die älteste der Prignitzstädte. Zu Füßen des wuchtigen Doms, von dessen Aussicht wir schon sprachen, liegt die freundliche Inselstadt mit einem Kloster, einem Rathaus von 1698 und vielen malerischen Fachwerkbauten und Giebelhäusern. Immer an der Grenze der Altmark entlang kommen wir in das durch seine Wunderblutkirche berühmte Wilsnack und weiter nach Wittenberge. Via Perleberg durchqueren wir das fruchtbare Land bis Pritzwalk, statten dem Stift Heiligengrabe mit dem schönen Klosterhof einen Besuch ab und gelangen ostwärts nach Wittstock, südostwärts, durch zwei in die Prignitz hineingesprengte Mecklenburger Enklaven, nach Neuruppin, das seinen Ursprung aus einer altslavischen Burg zwischen dem herrlichen See und den Rhinarmen nahm. Wir eilen, nach Rheinsberg zu gelangen, ewig unvergeßlich für Preußen, weil von hier aus der in Schloß und Park romantische Feste feiernde Kronprinz Friedrich den jähen, schier unbegreiflich stolzen Sprung zur Größe seines Königtums tat.

Schloß Rheinsberg, erbaut von Friedrich dem Großen.
[103]      Schloß Rheinsberg, erbaut von Friedrich dem Großen.

Über Gransee, die ganz in Grün eingebettete Landstadt, und über die Schifferstadt Zehdenick an der Havel, deren Einwohnerzahl sich in drei Jahrzehnten verdreifacht hat, dringen wir in die Uckermark ein.

Unregelmäßig gewelltes, kesselreiches Land mit vielen Seen und Höhenzügen aus grober Gesteinpackung, mitten drin der Waldberg mit 117 m Höhe, im Süden und Westen sandig und reich an Wäldern, im Norden fruchtbar, dem Anbau von Weizen, Gerste und Zuckerrüben dienstbar gemacht. Prenzlau, dereinst Pribislav, die weitaus größte Stadt des uckermärkischen Landes, das sonst mit rund 35 Bewohnern auf den Quadratkilometer der am schwächsten besiedelte Teil der Mark ist, hat seine 20 000 Menschen in Häusern angesiedelt, die sich um den mächtigen Bau der Marienkirche wie Küchlein um ihre Glucke [103] scharen. Wie Prenzlau jetzt an der wichtigen Bahnstrecke von Berlin nach Vorpommern liegt, so wurde sie von jeher im Krieg wie im Frieden vom Verkehr bespült. Sonst ist die Uckermark ganz und gar Herrschaftsbereich ostelbischen Agrariertums; die Arnims hausen hier, in ihrer Mitte Graf Arnim-Boitzenburg auf einem herrlichen Schloß, in dessen Fremdenbuch neben tausend großen Namen auch die Namen vieler preußischer Könige stehen. Der Wildpark inmitten meilenweiter Forsten voll Rot- und Damwild birgt noch Auerochsen, die letzten lebenden Zeugen urgermanischer Vergangenheit in der Mark. Zwischen Zehdenick und Angermünde dehnt sich um Grimnitz- und Werbellinsee das dereinstige Hofjagdrevier der preußischen Könige. Wir verlassen Schorfheide und Uckermark und betreten den Bezirk Oberbarnim. Über Eberswalde, die Stadt der grünen Forstakademiker, weiter zum Hohenzollernkanal, der nördlich der Finowniederung mit Schleusentreppen aus dem Oderbruch zur Uckermark hinaufsteigt, um über die Stettiner Eisenbahn hinweg nach Westen hin die Havel zu erreichen. Mit dem Bau des größten Schiffshebewerks Europas ist dieser Kanal zu einer stolzesten Sehenswürdigkeit deutscher Technik geworden und fordert im Wettbewerb mit dem Zeppelinluftschiff die Bewunderung der ganzen Welt heraus.

Über Wriezen, das schon 1322 Stadtrechte genoß, stoßen wir ins Oderbruch vor, die von Friedrich dem Großen seinem Königreich "im Frieden hinzugewonnene Provinz". Ehe der große Siedlerfürst, an dem die Kulturpioniere der Gegenwart sich ein Beispiel [104] nehmen könnten, der Oder bei Neuglietzen einen weit kürzeren Weg nach Hohensathen erschloß, lagen Freienwalde wie Wriezen, die sich heute noch "a. O." nennen, wirklich an der Oder. Die Gilde der "Hechtreißer" holte aus den Wasseradern im Bruch Tausende von Zentnern Fische, auch Krebse, mit denen sie von Böhmen über Bayern bis Hamburg halb Deutschland versorgte (noch um 1700 konnte man bei ihnen für einen halben Groschen drei dicke Krebse kaufen). Jetzt tritt der Ertrag der Fischerei weit zurück gegen den Nutzen der Landwirtschaft.

Das Oderbruch gehört schon zur Neumark; über den Strom hinweg fahren wir nordwärts nach Königsberg zu (nicht mit dem in Ostpreußen zu verwechseln). Ein wunderschönes, fein gegiebeltes Rathaus, eine stolze Marienkirche gotischen Stils und alte Stadtmauern mit fünfzig Türmen gibt es dort zu schauen; doch kleben sich an das zinnengekrönte Schwedtertor, von der Wehrmauer durch ein schmalstes Gäßchen getrennt, Armeleutshäuser von beschämender Dürftigkeit an.

Die Neumark, im Westen von der Mietzel, einem Nebenfluß der Oder, im Süden von Warthe und Netze durchströmt, hat besonders in ihrem östlichen Teil rechts der Linie Friedberg - Arnswalde Seen über Seen. Zu zwei Dritteln in Händen des Großgrundbesitzes, zu einem Drittel in Bauernfäusten, dient sie ganz und gar landwirtschaftlichen Zwecken. Darum haben die Ackerbaustädtlein auf ihren Hochflächen nicht annähernd die Bedeutung wie die am Rande der Warthe- und Netzebruches gelegenen Orte Küstrin und Landsberg, durch die die wichtige Lebensader der Ostbahn läuft. Im Mietzelgebiet, bei Zorndorf, wurde Friedrich der Große 1758 im blutigen Ringen der Russen Herr. Landsberg, Zentrale landwirtschaftlichen Großhandels seiner Umgebung, leistet mit nahezu 40 000 Einwohnern Bemerkenswertes in Eisengießerei und Maschinenfabrik, in Sägewerken und Kunsttischlereibetrieben. Küstrin - mit einem halben Adler und einem halben Fisch im Wappen - vielumstrittene Festung durch vier Jahrhunderte, ruft zwei für Preußens Geschichte unvergängliche Erinnerungen wach: Aus einem Hoffenster seines Schlosses mußte am 6. November 1730 der gefangene Kronprinz Friedrich zusehen, wie sein Freund Katte enthauptet wurde, und am 1. November 1806 übergab der Oberst von Ingersleben die aufs Reichlichste verproviantierte Festung ohne Not einem heranschwärmenden Reiterhaufen Napoleons.

Zwischen den Ländern Lebus und Sternberg, die anschließend an Warthe- und Netzebruch die Mark nach Süden fortsetzen, liegt Frankfurt an der Oder. Durch die brutale Willkür der Verrückung unserer Ostgrenze ist es gleichsam Vorort der Hauptstadt des Deutschen Reiches gegen Polen geworden. Wir sprachen bereits davon, daß Frankfurt durch seine Universität, die übrigens bis 1811 bestand, zur Zeit des Humanismus geistiger Mittelpunkt der Mark gewesen ist. Dort lebten und dichteten, wenn auch nur auf kurze Zeit, Eobanus Hesse und der junge Ulrich von Hutten. Die Ratsherren, wachsam wie der die Tauben ankrähende Hahn in ihrem Wappen und allzeit auf dem Posten, hatten sich schon in kurfürstlicher Zeit verbriefen lassen, daß die Oder nur bei Frankfurt überschritten werden dürfe, und strebten auch sonst ein Monopol für den Handel mit den östlichen Slavenländern an. Buchhandel und Gewerbe blühten, und die drei Messen des Jahres lockten Tausende und Abertausende an. Schlimmer als irgendeine andere deutsche [105] Stadt hat Frankfurt im 30jährigen Kriege gelitten; bildete die Oder doch gleichsam die von Süden nach Norden verlaufende Grenze zwischen den Kaiserlichen und den Schweden. Schon als Eisenbahnknotenpunkt der Strecken Berlin - Warschau und Stettin - Breslau hat Frankfurt hohe wirtschaftliche Bedeutung. Drei namhafte Dichter wurden in Frankfurts Mauern geboren: Ringwaldt, Heinrich von Kleist und Franz von Gaudy.

Das Land Sternberg, von Nebenflüssen der Warthe und Oder reich durchströmt, weist vielfach Boden bester Klassen auf und dient, nur von etwa 40 Menschen auf den Quadratkilometer bewohnt, ebenso wie die Uckermark und die Neumark fast ausschließlich der Landwirtschaft großagrarischer und bäuerlicher Betriebe. Bei Goskar stürzt die 90 Meter hohe "Steile Wand" jäh in die Tiefe. Auf den Südhängen gedeihen überall noch Weinstöcke; im Lenz gleicht das Land ringsumher einem blühenden Obstgarten, im Sommer und Frühherbst breiten die Äcker sich wie ein bunter Teppich aus. Das Gelände von Lagow, zweihundert Meter hoch mit tief eingebetteten Seen, deren Spiegel kaum das Niveau von hundert Metern erreicht, erweist sich besonders mit dem Moor des Perschken Lauchs inmitten herrlicher Wälder als ein kleines Paradies und ist mit Fug und Recht zum Naturschutzgebiet erklärt worden.

Über das von Obstgärten zärtlich umschlungene Krossen wandern wir nach Guben, das [106] bis 1815 den Meißener Markgrafen gehörte, heute nahezu 40 000 meist der Textilindustrie dienende Einwohner zählt und dort, wo die Lubst in die Neiße mündet, mit seinem quer durch den Fluß gebauten neuzeitlichen Elektrizitätswerk, der dicht benachbarten Lorenzkirche aus dem 16. Jahrhundert und dem malerisch auf eine Parkinsel hingestellten zierlichen Theaterchen starke architektonische Gegensätze hart aneinander rückt. Wir sind schon in der Niederlausitz (luzyce = Sumpf), im Gebiet der brandenburgischen Braunkohle, die den Städten Sommerfeld, Sorau, Forst, Spremberg, Senftenberg, alle nahe der Grenze Schlesiens und Sachsens gelegen, ihr besonderes Gepräge gibt.

Nun Kottbus an der Spree, mit seinen 50 000 Einwohnern die Hauptstadt der Niederlausitz. Als Brückenkopf der alten Straße, die von Sachsen über Schlesien nach Polen die Spree überschreitet, ist Kottbus in den Hussitenkämpfen und im 7jährigen Kriege schwer heimgesucht worden. Doch hat das Ausdehnungsbedürfnis nie rastenden Gewerbefleißes Burg und Mauern weggeräumt, die Wälle in Promenaden verwandelt und überall, wo zwischen Fabriken und Häusern Raum blieb, heitere Anlagen mit lachendem Blumenschmuck geschaffen.

Nordwestlich von Kottbus, bei Burg, nimmt der Spreewald uns auf, die eigenartigste Landschaft, die Norddeutschland kennt. In seinem oberen, zwischen Peitz und Lübben gelegenen, Teil dreißig Kilometer lang und - zwischen Neuzauche und Lübbenau gemessen - zehn Kilometer breit, ist er in seinem unteren Teil nur etwa halb so groß, 15 : 6 Kilometer. Offenbar ist das Spreewaldgebiet, dessen Boden bis zu drei Meter Tiefe aus Torf- und Moorhumus besteht, mit dazwischen gestreuten insel- und zungenartigen Sanddünen, dadurch entstanden, daß die Strömung des von Süden kommenden [107] Flusses in der Lausitzer Niederung ein Delta anschwemmte, dabei selbst die Buchten des festen Eiszeitbodens bei Zeitz und Lübbenau mit Schwemmstoffen ausfüllend. Mühsam wühlte der Fluß sich nach Westen weiter, und selbst dort, wo er nach Norden umbiegt, kann er sein Wasser noch nicht in einem Bett fassen. So entstand eine Sumpfwildnis mit geradezu idealen Bedingungen für eine Urwaldvegetation. Eschen, Weiden und Pappeln bilden ein Gehege, das Hopfen, Winden und mannshohe Sumpfstauden um die Wette mit stachligem Brombeergestrüpp zu einem undurchdringlichen Dickicht verflechten. Die Wasserarme sind voll von Algen, Farnen, Schilf, Binsen, Kalmus und Seerosen; die Ufer strotzen von Lilien, Anemonen, Ranunkeln, Sumpfdotterblumen und unzähligen andern blühenden Gewächsen, deren Nam' und Art nur der Naturforscher kennt. Auf dem trockenen Grunde der "Horste" trotzen uralte Eichen, wahre Wodanszeichen bei Byhlen und Straupitz, sonst überall Rüstern, Linden, Buchen, Birken, und was sonst Auge und Herz sich nur wünschen mögen. In allen Ecken und Winkeln wimmelt es von Sumpf-, Moor- und Wassergeflügel, Enten, Schnepfen, Rohrdommeln, Kiebitzen, Bekassinen, Bachstelzen, Eisvögeln, Reihern, Seeadlern und Störchen. Im Lenz schluchzt die Nachtigall, zu Pfingsten flötet der Pirol, im Herbst lärmt der Eichenhäher. Auch an Fasanen ist kein Mangel; und wer ein gutes Birkhahnrevier sein eigen nennt, der mag wohl an einem Morgen sein halbes Dutzend balzender Hähne schießen.Wie denn der höchste Zauber dieser Urwaldwildnis mitten in Norddeutschland sich vor allem den Jägern erschließt, deren Kähne in der Morgen- und Abenddämmerung oder im zauberhaften Mondschein die krausverschlungenen Gräben und schnurgeraden Kanäle entlang gleiten. Oder auch den Malern, die sich übrigens in Lehde (nicht zu Unrecht "Kleinvenedig" genannt) im Gasthaus "Zum fröhlichen Hecht" ähnlich wie in Worpswede zu einer ganzen [108 ] Kolonie zusammengefunden haben. Ebenso wie in Lehde liegt in Burg und Leipe jedes Gehöft für sich auf seiner eigenen Insel. Selbstverständlich, daß sich aller Verkehr "hierzulande" zu Wasser abspielt.

Im Osten des oberen Spreewaldes, um Burg herum vor allem, sitzen heute noch unverfälschte Wenden; in Vetschau, Werben und anderen weniger vom Fremdenstrom durchspülten Orten tönen fremdklingende Namen auf. Während die urtümliche Stammestracht bei den Männern erloschen ist, findet sie sich bei den Frauen noch ziemlich allgemein, in den abgelegenen Ortschaften aus Überlieferung und Eigenwuchs, an den großen Ausflüglerstraßen im Interesse der Fremdenindustrie. Zum größten Teil sind die Bewohner des Spreewaldes allerdings germanisiert. Sie nähren sich von Viehzucht, Fischerei und dem Anbau von Gemüse, das weithin versandt wird; insbesondere hat Lübbenau durch seine sauren Gurken eine Art von Weltberühmtheit erlangt; aber auch der Spreewälder Ammen wollen wir pietätvoll gedenken.

Spreewälderinnen in einer Kottbuser Knüpfteppichfabrik.
[107]      Spreewälderinnen in einer Kottbuser Knüpfteppichfabrik.

Unsere Entdeckungsreise neigt sich ihrem Ende zu. Einen Husch in den schmalen, langgestreckten Kreis Luckau, den zwischen sächsisches und anhaltisches Gebiet hineingeschmiegten Südwestzipfel der Niederlausitz, sind wir unserm Wissensdrang noch schuldig. Denn hier gibt es trotzige Burgen und Schlösser, Kirchenruinen, Blockhäuser und Dorfkrüge aus Fachwerk von höchstem malerischen Reiz in so reicher Fülle wie sonst nirgends in der Mark.

Und nun in die Mittelmark, südlich der Linie Berlin - Potsdam - Brandenburg. Von Wittenberg her streckt sich der hohe Fläming an der Grenze der Mittelmark entlang; von Belzig über Jüterbog nach Dahme die Wasserscheide zwischen den Zuflüssen der Elbe und der Havel bildend. Den Namen hat der Höhenzug von den flämischen Kolonisten, die Albrecht der Bär ins Land rief. Belzig, Treuenbrietzen, Jüterborg, Dahme, liegen in fast gleichem Abstand auf und an der Höhe entlang. Jüterborg, in dessen Nähe die Nuthe entspringt, weist uns das Rathaus mit prunkvollem Giebel, dicht daneben die Nikolaikirche mit ihren beiden verschiedenartigen Türmen und sogar den Kasten des Ablaßpredigers Tetzel. Luckenwalde ist mit mehr als 20 000 Einwohnern die größte Stadt der Mittelmark. Das älteste Kulturzentrum der Gegend, Kloster Zinna, fordert mit der dreischiffigen Pfeilerbasilika aus Granitfindlingen und ihren romanischen Hallen unsere Ehrfurcht heraus, und wir versetzen uns in die Zeit zurück, in der dem Kloster elf Dörfer untertänig gewesen sein sollen.

Nordwärts hebt sich aus dem verhältnismäßig siedlungsarmen Gebiet die Teltowfläche mit den ausgedehnten Kummersdorfer Artillerieschießplätzen, lieblich eingerahmt von Kiefernwäldern. Bei dem freundlichen Landstädtchen Treuenbrietzen mit Bauwerken aus dem 13. Jahrhundert und der denkwürdigen Torinschrift "Wer seinen Kindern gibt das Brot und leidet darum selber Not, den schlagt man mit dieser Keule tot" finden wir sogar noch altslavische Spuren.

Quer durch die Zauche, an Ferch und Kaputh am lieblichen Schwielowsee vorbei, trägt uns der Wagen über Wildpark und Potsdam zum Ausgangspunkt unserer Reise, Berlin, zurück. Durch die Stadt unbeugsamen brandenburgisch-preußischen Pflichtbewußtseins in die Metropole deutscher Betriebsamkeit.

Berlin, das Luftkreuz Europas.
[109]      Berlin, das Luftkreuz Europas
Der Flughafen Tempelhof, einer der modernsten Flughäfen der Welt.

[110] Mit den Wurzeln Pflichtbewußtsein und Betriebsamkeit wuchs die Mark aus der öden Streusandbüchse des römischen Reiches zu dem Lande höchster Kultur empor, als das wir sie kennen gelernt haben, zu einem Gebiet, in dem auf rd. 700 Quadratmeilen dereinstiger Wüstenei heute acht Millionen Menschen leben. Menschen, die alles, was sie sind, ihrem Willen und ihrem Fleiß verdanken. Menschen, die aus den verschiedenartigsten Stämmen entsprossen, doch im Grunde ihres Wesens alle echte Deutsche sind. Deutsche, die weder die Not des Lebens noch die Feindschaft befehdender Völker je kleingekriegt hat.

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Das Buch der deutschen Heimat, besonders das Kapitel "Berlin und die Mark".

Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat
Unter Mitarbeit von Schriftstellern aller deutschen Stämme
herausgegeben von Dr. Eugen Schmahl.
Mit einem Geleitwort von Dr. Hans Steinacher,
Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland,
und mit einem Geleitschreiben von Hans Grimm.