[95]
Die Mark Brandenburg
Maximilian Böttcher
"Mark" heißt Grenze, Grenzmark, Grenzprovinz. Im Falle der Mark
Brandenburg: den Slaven entrissene, einem kaiserlichen Markgrafen zur
Bewachung anvertraute Markgrafschaft. (Nicht zu verwechseln übrigens
mit der ehemaligen, im westfälischen Regierungsbezirk Arnsberg
gelegenen, an wechselvollen Schicksalen nicht minder reichen Grafschaft
Mark.)
Bei Prenzlau in der nördlichen Uckermark war es, wo man zwischen
Inlandeisgeschieben eine Hacke aus dem Geweih eines Rothirsches fand,
Hinterlassenschaft eines brandenburgischen Steinzeitmenschen, der schon den
Boden bearbeitete. Im Südosten von Berlin, in Schmöckwitz, und in
Cladow an der Havel fand man aus Feuersteinen angefertigte Messer, Pfeilspitzen
und Handwerksgeräte mancherlei Art. Bei Wusterwitz nahe der Stadt
Brandenburg (Brennabor) kam eine Keule aus Renntiergeweih ans Licht,
Andenken jener "Renntierzeit" genannten Epoche, in der die Ostsee noch ins
Eismeer hinüberspülte. Dann wurde der Elch in der Mark heimisch,
den man jetzt wieder in Mecklenburg und auf dem Darß ansiedeln
möchte; in Fernwerder bei Ketzin grub man aus seinem Schaufelgeweih
gefertigte Harpunen aus, auch Äxte und Steinkeulen. Dann finden sich,
zunächst wieder in der Uckermark, in riesigen Steingräbern
früheste Reste des märkischen Menschen selbst (nachdem man bis
dahin seine Toten verbrannt hatte). In diesen Steingräbern lagen Waffen,
Tongefäße und andere Gerätschaften, die schon ein wenig von
der Kultur der jüngeren Steinzeit erzählen. Im zweiten Jahrtausend
vor Christi Geburt herrschte wohl die Bronzezeit in der Mark; Bronzeäxte
finden sich und Bügelnadeln zum Zustecken der Kleidung, sogenannte
Fibeln, an deren technisch fortschreitenden Verzierungen sich eine erste
Zeitrechnung ablesen läßt. Sogar Schmuckstücke aus
gegossenem Metall grub man
aus - bei Wustermark, Spindlersfeld und Seddin, man verstand also schon,
das aus fremden Ländern eingeführte Kupfer und Zinn in
heimatlicher Werkstatt zu bearbeiten; der sogenannte "Eberswalder Fund" mit
seinen 78 Stücken aus Gold, der kostbarste prähistorische Fund
Deutschlands aus der jüngsten Bronzezeit, kann den Wettbewerb selbst mit
den Altertümern von Mykene aufnehmen. Aus ihm läßt sich
schließen, daß man mit der Sitte der Totenbestattung gewechselt und
die Leichname wieder den Flammen übergeben hat; das Rad und das
Hakenkreuz, das damals vielfach als Schmuck verwendet wurde, deuten wohl auf
Sonnenkultus hin.
[96]
Gesichtsurnen aus Steinkistengräbern der spätesten
Bronzezeit
(1/5 der natürlichen Größe).
Provinzialmuseum Danzig.
|
Im Norden von Berlin, beim Vorort Buch, grub man ein ganzes
bronzezeitliches Dorf aus: lauter viereckige Häuser, aus deren Inhalten man
entnehmen kann, daß ihre Bewohner sich von Hirschen, Rehen und
Vögeln genährt und alle die Tiere gehalten haben, die wir jetzt noch
unsere Haustiere nennen. Rudolf Virchow,
ebenso groß als Anthropolog wie
als Mediziner, [96] förderte die
"Lausitzer Kultur" zu Tage: Burgwälle, Urnenfelder, nicht mit der
Töpferscheibe, sondern mit der Hand gefertigte Gefäße
buntester Form und Verzierung, Waffen und Geräte, die schon der
frühen Eisenzeit zuzurechnen sind. Der berühmte Fund von
Vetersfelde bei Guben dürfte aus der Zeit um 500 v. Chr. Geburt
stammen; Waffen und Schmuck aus Eisen und Gold mit Löwen und
Panthergestalten gehören einer fremden Welt an, entsprechen etwa den
Funden vom Neuenburger See in der Schweiz und geben uns das Rätsel
auf, ob sie als Handelsware eingeführt wurden oder als Überreste
eines Skytheneinfalls zurückgeblieben sind. Ganz und gar keltisch muten
die Gräberfunde von Vehlevanz im Osthavellande und von Breddin in der
Ostprignitz an, die auf einen anderthalbtausendjährigen Betrieb, etwa bis
100 vor Chr. zurückblicken. Von urgermanischer Kultur zeugen die
Dörfer- und Gräberfunde bei Großbeeren, Paulinenaue, im
nächsten Umkreis von Berlin, ebenso wie die von Kyritz in der Ostprignitz
und Küstrin in der Neumark. Bei Neukölln förderte man einen
Reitersmann mitsamt seinem Pferde und dem Eisenschwert mit bronzenem Knauf
in lederüberzogener Holzscheide an den Tag. Vermutlich aus dem 6.
nachchristlichen Jahrhundert, in dem die Sueben vor der
heranschäumenden Wendenflut südwestwärts nach Schwaben
auswichen - bis auf die, die in der Mark bodenständig sitzen blieben
und sich mit den Slawenstämmen niederer Zivilisation zu einer
Volksgemeinschaft verschmolzen.
Karl der Große,
der das heute von uns Mark Brandenburg genannte Land als
sein Herrschaftsgebiet betrachtete, kam gegen die Völkerwanderung der
Heveller, Liutizen und Obotriten nicht auf. König Heinrich räumte
mit dem Slavengemisch zwar mächtig auf, eroberte auch ihre Hauptstadt
Brennabor; aber erst unter Markgraf Gero
drängte der Christenglaube das
wendische Heidentum zurück. Wie denn den askanischen Markgrafen das
Hauptverdienst daran zukommt, die Mark zu einer
Heim- und Heilstätte germanischen Christentums gemacht zu haben.
[97] 1134 belehnte Kaiser
Lothar, als Sachsenherzog am Schicksal Norddeutschlands stärker
interessiert als die fränkischen Herrscher, den Grafen von Askanien, der in
der Geschichte Albrecht der Bär
heißt, mit der "Nordmark" und allen
Rechten auf ostelbisches Land einschließlich der Bistümer
Brandenburg und Havelberg; und nun endlich, nach viertausend Jahren
prähistorischer Existenz, wuchs die Mark in die Geschichte hinein.
Albrecht der Bär entriß die Prignitz den Liutizen; aber Pribislav, der
Hevellerfürst, hielt es für ratsam, das dürre Land südlich
der Havel, von den Wenden "Zauche" genannt, dem Söhnchen Albrechts
als Patengeschenk zu verehren, so daß der Bär sich nunmehr mit Fug
und Recht "Markgraf von Brandenburg" nennen konnte. Aus Westdeutschland,
wo damals schon ein "Volk ohne Raum" hauste, ergoß sich ein Strom von
Ansiedlern über die Elbe ostwärts, begann aus wendischer
Wüstenei deutsches Kulturland zu machen. Wobei mancher deutsche Herr
dadurch auf friedlichem Wege rascher vorwärts kam, daß er sich mit
den Töchtern slavischer Adliger verheiratete. Erst Albrecht II.
stieß indessen durch den Barnim bis nach Oderberg vor. Auch
thüringische Siedler fluteten mit den Askaniern in die Mark, sowie
Rheinländer, Friesen, Ostfalen und Fläminger.
Prof. Dr. F. Lampe schreibt über die Mark Brandenburg:
"Die adligen Großgrundbesitzer
brachten Grund und Boden oder Rechte rings im Lande an sich; die Städte
nicht minder, worüber Städte und Adel oft in harte Gegnerschaft
gerieten. Der wirtschaftlich schwache Bauer fand überhaupt keinen Schutz.
1411 kündete Kaiser Sigismund seinen Märkern »einen
rechten Obristen und Verwesser« an, Friedrich von Hohenzollern, auf
daß sie ihm gehorchten. Dieser, der erste seines Namens, warf einige
übermütige Adelsgeschlechter nieder, die Quitzows z. B., und
bändigte die anderen bald mit Härte, bald mit Nachsicht.
Verwüstungen des Landes durch böhmische Hussiten konnte er
allerdings so wenig verhüten wie einst die Wittelsbacher verheerende
Einfälle der Pommern und Polen. Sein Sohn Friedrich II. griff dann
unter den Städten gerade
Berlin-Kölln heraus, um ein Beispiel zu geben, daß auch die
Städte sich dem Staate einzuordnen hätten. Er erbaute zu
Kölln eine kurfürstliche Burg und nahm Berlin seine alten
Handelsvorrechte, so daß es, obgleich Residenz geworden, an Eigenmacht
hinter anderen märkischen Städten zurückstand. So
blühte Frankfurt an der Oder noch bis ins 16. Jahrhundert hinein, da zu
seinem Speditionshandel bedeutsame Messen kamen, und es durch
Begründung einer Universität auch zum geistigen Mittelpunkt der
Mark wurde. Im Westen hatte die Bischofsstadt Brandenburg Ansehen. Gern
wohnten im 15. Jahrhundert die Kurfürsten in Spandau, und Küstrin
besaß seit dem 16. Jahrhundert eine Amtskammer und ein Kammergericht.
Dort hat noch Friedrich
der Große als Kronprinz arbeiten müssen;
und von Küstrin aus wurde Neumark mustergültig
verwaltet."
[106]
Schloß Küstrin an der Oder.
|
Auf der Landkarte nimmt sich die Mark fast wie der mächtige Brustkasten
eines Riesenkörpers aus. Sein Halstorso erstreckt sich mit der Uckermark
zwischen Mecklenburg und Pommern über Strasburg und Neuensund bis
nahe ans Haff heran; sein rechter Armstumpf lehnt sich über Wittenberge
und Lenzen an der Elbe hinweg auf die Altmark; sein linker und die Herzseite
darunter ist nun wieder Grenzmark im wahrsten Sinne des Wortes geworden,
Grenzmark gegen das neuerstandene, dauernd nach deutschem Lande gierige
Polen. Im Süden stülpt sich der mächtige Brustkasten in der
ungefähren Linie
Sorau - Spremberg - Senftenberg -
Uckro - Reppin auf Schlesien, Sachsen und Anhalt.
[98] Vielleicht sind Bayern,
der Harz, Thüringen und die Rheinprovinz landschaftlich reizvoller als die
Mark. Doch bin ich mit nicht wenigen
Süd-, Mittel- und Westdeutschen durch die übel beleumundete
dereinstige "Streusandbüchse des Römischen Reiches" gefahren, und
immer wurde meinen Begleitern die Endlosigkeit der tiefverschwiegenen
Märkischen Wälder ebenso zum Erlebnis wie der Wechsel der
Flußtäler, der romantische Zauber der Seen.
Würde ein Dichter wie Theodor Fontane, ein Maler wie Walter Leistikow
sich so ganz und gar mit ihren höchsten und heiligen Künsten an die
Mark verloren haben, wenn sie nicht aller Wunder voll wäre?
[110]
Der Dom in Berlin,
gesehen durch die klassischen Säulen
des Kronprinzenpalais.
|
Wo soll ich anfangen, wo aufhören, meine geliebte Heimat zu preisen? Am
besten wohl bei Berlin, der deutschen Reichshauptstadt. Auf rund 9000
Quadratkilometer Raum leben 4½ Millionen Menschen. Die
Bevölkerung Berlins ist in drei Jahrhunderten von 6000 Menschen auf vier
und eine halbe Million angewachsen, also um das Siebenhundertfache. Seht euch
vom Schinkelplatz,
am Nationaldenkmal des ersten Hohenzollernkaisers vorbei,
den gewaltigen, kuppelgekrönten Bau des Schlosses an. Wendet euch im
Schatten der uralten Platane und blickt über den Lustgarten zum Dom
hinüber. Betrachtet, am besten bei hellem Mondlicht, die einzig
schöne Fassade der Schloßapotheke, steht stumm in der marmornen
Pracht des Kapitelsaales. Schreitet auf leisen Sohlen die Säulenhalle des
alten Museums entlang, steigt das Kunstwerk der Freitreppe zur Nationalgalerie
empor, bestaunt das Wunder der Museumsinsel in seiner Gesamtheit. Schlendert
dann die historische Prachtstraße "Unter den Linden" dahin, vorbei am
Zeughaus und der alten "Neuen Wache", in der ihr einen Augenblick der Toten
des Weltkrieges gedenken möget. Vorüber an dem ehemaligen
königlichen Opernhause, der Universität, dem Denkmal Friedrichs
des Großen bis zum Brandenburger Tor. Macht auf dem Pariser Platz, der
französischen Botschaft gegenüber, halt. Laßt den Verkehr, der
durch die fünf Säulenportale flutet, auf euch einwirken, diesen
rasenden Verkehr, der wie am laufenden Band aus dem Westen ins Zentrum, aus
dem Zentrum gen Westen jagt. Und wenn ihr dann unter der stolzen Quadriga
hindurch nur gute hundert Schritte weit in den Tiergarten hinein gewandert seid,
wird Friede, weltabgeschiedener Friede, euch umfangen; nicht in der Oase einer
von wilder Hast erfüllten Weltstadt werdet ihr euch fühlen, sondern
im englischen Park eines Großen dieser Erde, der auf nichts als auf Ruhe
und Behagen bedacht ist.
[99]
Auffahrt vor dem "Palais" gegenüber dem Zeughaus
in Berlin, Unter den Linden.
Gemälde von Schwarz (1835).
|
Und dann das prunkhafte Reichstagsgebäude dicht beim Brandenburger
Tor. Wollen wir zum Schlosse Monbijou, das Eosander, der Günstling der
Königin Charlotte, gebaut, und Sophie Dorothea, die Mutter des großen
Friedrich, erweitert hat, und in dem neuerdings ein historisches
Museum untergebracht wurde? Auch zum französischen Dom am
Gendarmenmarkt, der einst wirklich ein Krammarkt war.
Dutzende von Baudenkmälern, die alle von großer oder kleiner
Vergangenheit reden, müßten wir eigentlich noch besuchen, in erster
Linie das Märkische Museum, unter dessen aus ganz Brandenburg
zusammengetragenen Schätzen auch der "Kaak" aufbewahrt wird, der
Vogelleib mit dem Menschenkopf, der einst als
Wahr- und Warnungszeichen am Pranger vor dem Rathaus gestanden hat, und an
dem um die gespensternde Mitternachtsstunde vorüber zu gehen die alten
Berliner sich scheu hüteten. Vom Staub der
Jahr- [99] hunderte bedeckt sind
die Winkel Altberlins zwischen dem roten Rathaus und der
großväterlichen Klosterstraße, in der neben der
Parochialkirche mit ihrem fromm-beschaulichen Glockenspiel und neben allerlei
historischen Amtshäusern auch das Gymnasium zum Grauen Kloster noch
erhalten ist. Um die Welt- und Hauptstadt des Reiches kennen zu lernen,
müßt ihr mit mir das Regierungsviertel um die Wilhelmstraße
studieren, der Börse, den Kaufhäusern des Zentrums bis ins
[100]
Potsdam.
Die Nikolaikirche auf dem alten Markt.
|
Reichsbankviertel und über den durch Umbauten völlig auf den Kopf
gestellten Alexanderplatz hinaus Besuch abstatten. Von der
Mühlendammschleuse oder der Oberbaumbrücke müßt
ihr den Blick auf den Schiffsverkehr der Spree werfen, mit der
Hoch- und Untergrundbahn in die
Süd-, Südost-, Ost- und Nordostbezirke, auch in die Vororte
hinausfahren, nach Treptow, nach Stralau, Reinickendorf und den nach ihren
großindustriellen Gründern genannten Riesenfabriken "Siemensstadt"
und "Borsigwalde".
Über die Villenkolonie des Westens nach Potsdam! Schloß
Sanssoucis Säle wollen wir durchgehen, einen Blick in seine Bibliothek
werfen und, vor der Vergänglichkeit alles Irdischen erschauernd, neben
dem alten Lehnstuhl stehen, in dem der große König erlosch. Er, der
sich mit gutem Gewissen den ersten Diener seines Staates nennen durfte. Auch
die Mühle von Sanssouci sei nicht vergessen, das Denkmal des
unbeugsamen und unerschütterlichen Rechtsbewußtseins
preußischer Kammergerichtsräte, die sich durch nichts auf der Welt
bestechen oder einschüchtern ließen. Weiter dann durch die
Obstgärten von Werder nach Kloster Lehnin, das Otto, des ersten
Markgrafen Albrecht Sohn, inmitten
meilen- [100] weiter Wälder
erbaut hat. Dereinst gehörte die Stadt Werder nebst 64 Dörfern und
65 Seen den Lehniner Äbten und Mönchen, durch die Sitte und
Wohlstand in die slavische Zauche, das dürre und verlauste Patengeschenk
des Hevellerfürsten Pribislav, gekommen sind, und deren Geist und Erbe
sich fortgepflanzt haben in den Klöstern Paradies, Himmelpfort und
Chorin, das schon um des einzig schönen Westgiebels seiner Kirche willen
einen Besuch lohnen würde.
[105]
Kloster Chorin. Inneres der Kreuzkirche.
|
Doch wir wollen von Lehnin aus
nordwärts, an einer ununterbrochenen Kette schönster Seen entlang,
über Güter und Herrschaftsbesitze hinweg, nach
Brandenburg (brenna = Schutz und
bor = Wald), nach dem die Provinz ihren Namen
trägt.
[100]
Potsdam,.
Die historische Windmühle.
|
"Am linken Havelufer zog sich
Pribislavs Altstadt Pardunin hin, zwischen Fluß und Sandhang des Halunger
Berges, wo einst Germanen, dann die Slaven ein hehres Heiligtum hatten. Rund
fünfhundert Jahre stand an seiner Stelle eine liebliche Marienkirche. Noch
heute vorhanden ist Pribislavs alte romanische St. Gotthardskirche, deren
Feldsteinbau im 14. Jahrhundert zur gotischen Backsteinhallenkirche
umgewandelt wurde. Auch das Altstädter Rathaus aus dem 14. Jahrhundert
steht noch da. Nur stammen die schönsten Teile, Ostgiebel und Westportal,
aus späterer Zeit. Und wie in der Altstadt noch der Turm am Rathenower
Stadttor steht, so auf der anderen Havelseite, in der deutschen Kolonistenneustadt,
noch der Steintorturm aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
Gewaltig reckt sich aus der Neustadt die herrliche Katharinenkirche auf, mit
ihrem farbenfreudigen, formenspielenden Backsteingiebel und den hohen drei
Hallen ein Zeugnis aufstrebenden Bürgersinnes. Noch anders wirkt der
wundersam weltabgewandte Kreuzgang von St. Paul, der zweiten
Neustädtischen Kirche, die zum Kloster der schwarzen Dominikaner
gehörte. Da ist solch ein Friedgarten mit uraltem Nußbaum, mit tiefen
Schatten in den Gängen und den feingetönten
Backsteinwänden des hineinschauenden, viel umgebauten Gotteshauses,
wie wenige Orte im Brandenburger Land [101] ihn besitzen. Besonders
im Abendsonnenschein eines Sommertages wohnt ein ergreifender Zauber diesem
Stein gewordenen Gedicht von seliger Ruhe inne. Im malerischen Brandenburg ist
es eins der reizendsten Stadtbilder, wie aus dem bewegten Ufertreiben der Schiffe
im Strom und des Menschenflusses über die Havelbrücke fort die an
sich schmucklosen Bauten von Johanniskirche und Franziskanerkloster mit
ragenden kecken Umrissen stark aufsteigen, das Ruhende in der Erscheinungen
Flucht. Für den Kunsthistoriker freilich bleibt der geweihte Boden die
kleine Havelinsel im Norden mit dem Dom darauf. Gerade ein Jahrtausend ist es
her, daß im harten Winter 928 zu 929 König Heinrich über die
gefrorene Havel nach Brennabor einbrach. Sein Sohn, der große
Sachsenkaiser Otto, begründete an dieser Stätte das Bistum
Brandenburg. Als in frühaskanischer Zeit auf dem unsicheren Baugrunde
der Havelinsel in unsicherer politisch-militärischer Lage des
Christen- und Deutschtums der Dom in romanischer Bauform neu errichtet wurde,
da konnten nicht ästhetische Gesichtswinkel die Bauausführung
bestimmen. Erst im 13. Jahrhundert machte sich mit wachsender Sicherheit ein
künstlerischer Sinn beim nie ermüdenden Dombau geltend... Auch
einzelne prächtige Bürgerhäuser sind noch erhalten, in
Alt- wie in Neustadt, besonders das mit wahrhaft liniensprudelnden Giebeln
geschmückte Haus des reichen Geschlechts der Storbeck. Ihm
gegenüber steht das Neustädter Rathaus, dessen alte Gotik nur noch
innen erkennbar ist. Vor der Tür wurde 1474 der Roland aufgestellt,
linkisch wie die Rolande von Perleberg und Potzlow; doch [102] lustig wächst
ihm der Hauslauch zum Kopf heraus, als wäre zur grotesken Blumenvase
geworden, was einst Sinnbild polizeilicher Marktgerechtsame und später
städtischer Freiheit war. Nun ist Brandenburg mit 60 000
Einwohnern lebhafte Industriestadt. Seine Räder und Kraftwagen,
Maschinen und Blechspielwaren, Kinderwagen und Havelkähne gehen weit
hinaus." (Professor Lampe.)
[101]
Blick auf die Orangerie im Park von Sanssouci.
|
Weiter, weiter nordwärts, an schimmernden Seen vorbei, durch
Bauerndörfer, über Güter und Schlösser, deren Herren
vielfach nicht mehr wissen, wie lange noch sie Herren sein werden auf der durch
Jahrhunderte hindurch als heiligen Familienbesitz gehüteten Scholle!
Immer hart an der Grenze der Provinz Sachsen entlang kommen wir nach
Rathenow, das dereinst Standort der Ziethenhusaren war, und wo unter Friedrich
Wilhelm III. der Prediger Dunker eine "königlich privilegierte
optische Industrieanstalt" aufmachte, von der aus märkische Brillen,
Ferngläser und andere Instrumente aus geschliffenem Glas die Welt
eroberten. Nord- und ostwärts dehnt sich das havelländische
Luch, von Flüssen, Bächen, Kanälen
durchströmtes Sumpfgebiet, von Dämmen durchquert, dort, wo der
Fleiß der Siedler es urbar machte, von Bauerndörfern und
Gutshöfen durchsetzt, auf den Höhen von strotzendem Laubwald
bestanden, aber in der Hauptsache doch Weideland für überall aus
dem Grün auftauchende gemächlich grasende Viehherden.
Städte hat das Luch eigentlich nur am Rande: neben Rathenow Plaue,
Pritzerbe, Rhinow und Friesack.
Nun in nordwestlicher Richtung halten wir uns hart an der Grenze zwischen
Brandenburg und der Altmark auf Havelberg zu, die älteste der
Prignitzstädte. Zu Füßen des wuchtigen Doms, von dessen
Aussicht wir schon sprachen, liegt die freundliche Inselstadt mit einem Kloster,
einem Rathaus von 1698 und vielen malerischen Fachwerkbauten und
Giebelhäusern. Immer an der Grenze der Altmark entlang kommen wir in
das durch seine Wunderblutkirche berühmte Wilsnack und weiter nach
Wittenberge. Via Perleberg durchqueren wir das fruchtbare Land bis Pritzwalk,
statten dem Stift Heiligengrabe mit dem schönen Klosterhof einen Besuch
ab und gelangen ostwärts nach Wittstock, südostwärts, durch
zwei in die Prignitz hineingesprengte Mecklenburger Enklaven, nach Neuruppin,
das seinen Ursprung aus einer altslavischen Burg zwischen dem herrlichen See
und den Rhinarmen nahm. Wir eilen, nach Rheinsberg zu gelangen, ewig
unvergeßlich für Preußen, weil von hier aus der in Schloß
und Park romantische Feste feiernde Kronprinz Friedrich den jähen, schier
unbegreiflich stolzen Sprung zur Größe seines Königtums tat.
Über Gransee, die ganz in Grün eingebettete Landstadt, und
über die Schifferstadt Zehdenick an der Havel, deren Einwohnerzahl sich in
drei Jahrzehnten verdreifacht hat, dringen wir in die Uckermark ein.
Unregelmäßig gewelltes, kesselreiches Land mit vielen Seen und
Höhenzügen aus grober Gesteinpackung, mitten drin der Waldberg
mit 117 m Höhe, im Süden und Westen sandig und reich an
Wäldern, im Norden fruchtbar, dem Anbau von Weizen, Gerste und
Zuckerrüben dienstbar gemacht. Prenzlau, dereinst Pribislav, die weitaus
größte Stadt des uckermärkischen Landes, das sonst mit rund
35 Bewohnern auf den Quadratkilometer der am schwächsten besiedelte
Teil der Mark ist, hat seine 20 000 Menschen in Häusern angesiedelt,
die sich um den mächtigen Bau der Marienkirche wie Küchlein um
ihre Glucke [103] scharen. Wie Prenzlau
jetzt an der wichtigen Bahnstrecke von Berlin nach Vorpommern liegt, so wurde
sie von jeher im Krieg wie im Frieden vom Verkehr bespült. Sonst ist die
Uckermark ganz und gar Herrschaftsbereich ostelbischen Agrariertums; die
Arnims hausen hier, in ihrer Mitte Graf
Arnim-Boitzenburg auf einem herrlichen Schloß, in dessen Fremdenbuch
neben tausend großen Namen auch die Namen vieler preußischer
Könige stehen. Der Wildpark inmitten meilenweiter Forsten voll
Rot- und Damwild birgt noch Auerochsen, die letzten lebenden Zeugen
urgermanischer Vergangenheit in der Mark. Zwischen Zehdenick und
Angermünde dehnt sich um
Grimnitz- und Werbellinsee das dereinstige Hofjagdrevier der preußischen
Könige. Wir verlassen Schorfheide und Uckermark und betreten den Bezirk
Oberbarnim. Über Eberswalde, die Stadt der grünen
Forstakademiker, weiter zum Hohenzollernkanal, der nördlich der
Finowniederung mit Schleusentreppen aus dem Oderbruch zur Uckermark
hinaufsteigt, um über die Stettiner Eisenbahn hinweg nach Westen hin die
Havel zu erreichen. Mit dem Bau des größten Schiffshebewerks
Europas ist dieser Kanal zu einer stolzesten Sehenswürdigkeit deutscher
Technik geworden und fordert im Wettbewerb mit dem Zeppelinluftschiff die
Bewunderung der ganzen Welt heraus.
Über Wriezen, das schon 1322 Stadtrechte genoß, stoßen wir
ins Oderbruch vor, die von Friedrich dem Großen seinem
Königreich "im Frieden hinzugewonnene Provinz". Ehe der große
Siedlerfürst, an dem die Kulturpioniere der Gegenwart sich ein Beispiel
[104] nehmen könnten,
der Oder bei Neuglietzen einen weit kürzeren Weg nach Hohensathen
erschloß, lagen Freienwalde wie Wriezen, die sich heute noch "a. O."
nennen, wirklich an der Oder. Die Gilde der "Hechtreißer" holte aus den
Wasseradern im Bruch Tausende von Zentnern Fische, auch Krebse, mit denen sie
von Böhmen über Bayern bis Hamburg halb Deutschland versorgte
(noch um 1700 konnte man bei ihnen für einen halben Groschen drei dicke
Krebse kaufen). Jetzt tritt der Ertrag der Fischerei weit zurück gegen den
Nutzen der Landwirtschaft.
Das Oderbruch gehört schon zur Neumark; über den Strom
hinweg fahren wir nordwärts nach Königsberg zu (nicht mit dem in
Ostpreußen zu verwechseln). Ein wunderschönes, fein gegiebeltes
Rathaus, eine stolze Marienkirche gotischen Stils und alte Stadtmauern mit
fünfzig Türmen gibt es dort zu schauen; doch kleben sich an das
zinnengekrönte Schwedtertor, von der Wehrmauer durch ein schmalstes
Gäßchen getrennt, Armeleutshäuser von beschämender
Dürftigkeit an.
Die Neumark, im Westen von der Mietzel, einem Nebenfluß der Oder, im
Süden von Warthe und Netze durchströmt, hat besonders in ihrem
östlichen Teil rechts der Linie
Friedberg - Arnswalde Seen über Seen. Zu zwei Dritteln in
Händen des Großgrundbesitzes, zu einem Drittel in
Bauernfäusten, dient sie ganz und gar landwirtschaftlichen Zwecken.
Darum haben die Ackerbaustädtlein auf ihren Hochflächen nicht
annähernd die Bedeutung wie die am Rande der
Warthe- und Netzebruches gelegenen Orte Küstrin und Landsberg, durch
die die wichtige Lebensader der Ostbahn läuft. Im Mietzelgebiet, bei
Zorndorf, wurde Friedrich
der Große 1758 im blutigen Ringen der Russen
Herr. Landsberg, Zentrale landwirtschaftlichen Großhandels seiner
Umgebung, leistet mit nahezu 40 000 Einwohnern Bemerkenswertes in
Eisengießerei und Maschinenfabrik, in Sägewerken und
Kunsttischlereibetrieben.
Küstrin - mit einem halben Adler und einem halben Fisch im
Wappen - vielumstrittene Festung durch vier Jahrhunderte, ruft
zwei für Preußens Geschichte unvergängliche Erinnerungen
wach: Aus einem Hoffenster seines Schlosses mußte am 6. November 1730
der gefangene Kronprinz Friedrich zusehen, wie sein Freund Katte enthauptet
wurde, und am 1. November 1806 übergab der Oberst von Ingersleben die
aufs Reichlichste verproviantierte Festung ohne Not einem
heranschwärmenden Reiterhaufen Napoleons.
Zwischen den Ländern Lebus und Sternberg, die anschließend an
Warthe- und Netzebruch die Mark nach Süden fortsetzen, liegt
Frankfurt an der Oder. Durch die brutale Willkür der
Verrückung unserer Ostgrenze ist es gleichsam Vorort der Hauptstadt des
Deutschen Reiches gegen Polen geworden. Wir sprachen bereits davon, daß
Frankfurt durch seine Universität, die übrigens bis 1811
bestand, zur Zeit des Humanismus geistiger Mittelpunkt der Mark gewesen ist.
Dort lebten und dichteten, wenn auch nur auf kurze Zeit, Eobanus Hesse und der
junge Ulrich von Hutten. Die Ratsherren, wachsam wie der die Tauben
ankrähende Hahn in ihrem Wappen und allzeit auf dem Posten, hatten sich
schon in kurfürstlicher Zeit verbriefen lassen, daß die Oder nur bei
Frankfurt überschritten werden dürfe, und strebten auch sonst ein
Monopol für den Handel mit den östlichen Slavenländern an.
Buchhandel und Gewerbe blühten, und die drei Messen des Jahres lockten
Tausende und Abertausende an. Schlimmer als irgendeine andere deutsche
[105] Stadt hat Frankfurt im
30jährigen Kriege gelitten; bildete die Oder doch gleichsam die von
Süden nach Norden verlaufende Grenze zwischen den Kaiserlichen und den
Schweden. Schon als Eisenbahnknotenpunkt der Strecken
Berlin - Warschau und
Stettin - Breslau hat Frankfurt hohe wirtschaftliche Bedeutung. Drei
namhafte Dichter wurden in Frankfurts Mauern geboren: Ringwaldt, Heinrich von
Kleist und Franz von Gaudy.
Das Land Sternberg, von Nebenflüssen der Warthe und Oder
reich durchströmt, weist vielfach Boden bester Klassen auf und dient, nur
von etwa 40 Menschen auf den Quadratkilometer bewohnt, ebenso wie die
Uckermark und die Neumark fast ausschließlich der Landwirtschaft
großagrarischer und bäuerlicher Betriebe. Bei Goskar stürzt die
90 Meter hohe "Steile Wand" jäh in die Tiefe. Auf den
Südhängen gedeihen überall noch Weinstöcke; im Lenz
gleicht das Land ringsumher einem blühenden Obstgarten, im Sommer und
Frühherbst breiten die Äcker sich wie ein bunter Teppich aus. Das
Gelände von Lagow, zweihundert Meter hoch mit tief eingebetteten Seen,
deren Spiegel kaum das Niveau von hundert Metern erreicht, erweist sich
besonders mit dem Moor des Perschken Lauchs inmitten herrlicher Wälder
als ein kleines Paradies und ist mit Fug und Recht zum Naturschutzgebiet
erklärt worden.
Über das von Obstgärten zärtlich umschlungene Krossen
wandern wir nach Guben, das [106] bis 1815 den
Meißener Markgrafen gehörte, heute nahezu 40 000 meist der
Textilindustrie dienende Einwohner zählt und dort, wo die Lubst in die
Neiße mündet, mit seinem quer durch den Fluß gebauten
neuzeitlichen Elektrizitätswerk, der dicht benachbarten Lorenzkirche aus
dem 16. Jahrhundert und dem malerisch auf eine Parkinsel hingestellten zierlichen
Theaterchen starke architektonische Gegensätze hart aneinander
rückt. Wir sind schon in der Niederlausitz
(luzyce = Sumpf), im Gebiet der brandenburgischen
Braunkohle, die den Städten Sommerfeld, Sorau, Forst, Spremberg,
Senftenberg, alle nahe der Grenze Schlesiens und Sachsens gelegen, ihr
besonderes Gepräge gibt.
Nun Kottbus an der Spree, mit seinen 50 000 Einwohnern die
Hauptstadt der Niederlausitz. Als Brückenkopf der alten Straße, die
von Sachsen über Schlesien nach Polen die Spree überschreitet, ist
Kottbus in den Hussitenkämpfen und im 7jährigen Kriege schwer
heimgesucht worden. Doch hat das Ausdehnungsbedürfnis nie rastenden
Gewerbefleißes Burg und Mauern weggeräumt, die Wälle in
Promenaden verwandelt und überall, wo zwischen Fabriken und
Häusern Raum blieb, heitere Anlagen mit lachendem Blumenschmuck
geschaffen.
Nordwestlich von Kottbus, bei Burg, nimmt der Spreewald uns auf, die
eigenartigste Landschaft, die Norddeutschland kennt. In seinem oberen, zwischen
Peitz und Lübben gelegenen, Teil dreißig Kilometer lang
und - zwischen Neuzauche und Lübbenau
gemessen - zehn Kilometer breit, ist er in seinem unteren Teil nur etwa
halb so groß, 15 : 6 Kilometer. Offenbar ist das
Spreewaldgebiet, dessen Boden bis zu drei Meter Tiefe aus
Torf- und Moorhumus besteht, mit dazwischen gestreuten
insel- und zungenartigen Sanddünen, dadurch entstanden, daß die
Strömung des von Süden kommenden [107] Flusses in der Lausitzer
Niederung ein Delta anschwemmte, dabei selbst die Buchten des festen
Eiszeitbodens bei Zeitz und Lübbenau mit Schwemmstoffen
ausfüllend. Mühsam wühlte der Fluß sich nach Westen
weiter, und selbst dort, wo er nach Norden umbiegt, kann er sein Wasser noch
nicht in einem Bett fassen. So entstand eine Sumpfwildnis mit geradezu idealen
Bedingungen für eine Urwaldvegetation. Eschen, Weiden und Pappeln
bilden ein Gehege, das Hopfen, Winden und mannshohe Sumpfstauden um die
Wette mit stachligem Brombeergestrüpp zu einem undurchdringlichen
Dickicht verflechten. Die Wasserarme sind voll von Algen, Farnen, Schilf,
Binsen, Kalmus und Seerosen; die Ufer strotzen von Lilien, Anemonen,
Ranunkeln, Sumpfdotterblumen und unzähligen andern blühenden
Gewächsen, deren Nam' und Art nur der Naturforscher kennt. Auf dem
trockenen Grunde der "Horste" trotzen uralte Eichen, wahre Wodanszeichen bei
Byhlen und Straupitz, sonst überall Rüstern, Linden, Buchen, Birken,
und was sonst Auge und Herz sich nur wünschen mögen. In allen
Ecken und Winkeln wimmelt es von
Sumpf-, Moor- und Wassergeflügel, Enten, Schnepfen, Rohrdommeln,
Kiebitzen, Bekassinen, Bachstelzen, Eisvögeln, Reihern, Seeadlern und
Störchen. Im Lenz schluchzt die Nachtigall, zu Pfingsten flötet der
Pirol, im Herbst lärmt der Eichenhäher. Auch an Fasanen ist kein
Mangel; und wer ein gutes Birkhahnrevier sein eigen nennt, der mag wohl an
einem Morgen sein halbes Dutzend balzender Hähne schießen.Wie
denn der höchste Zauber dieser Urwaldwildnis mitten in Norddeutschland
sich vor allem den Jägern erschließt, deren Kähne in der
Morgen- und Abenddämmerung oder im zauberhaften Mondschein die
krausverschlungenen Gräben und schnurgeraden Kanäle entlang
gleiten. Oder auch den Malern, die sich übrigens in Lehde (nicht zu
Unrecht "Kleinvenedig" genannt) im Gasthaus "Zum fröhlichen Hecht"
ähnlich wie in Worpswede zu einer ganzen [108 ] Kolonie
zusammengefunden haben. Ebenso wie in Lehde liegt in Burg und Leipe jedes
Gehöft für sich auf seiner eigenen Insel. Selbstverständlich,
daß sich aller Verkehr "hierzulande" zu Wasser abspielt.
Im Osten des oberen Spreewaldes, um Burg herum vor allem, sitzen heute noch
unverfälschte Wenden; in Vetschau, Werben und anderen weniger vom
Fremdenstrom durchspülten Orten tönen fremdklingende Namen auf.
Während die urtümliche Stammestracht bei den Männern
erloschen ist, findet sie sich bei den Frauen noch ziemlich allgemein, in den
abgelegenen Ortschaften aus Überlieferung und Eigenwuchs, an den
großen Ausflüglerstraßen im Interesse der Fremdenindustrie.
Zum größten Teil sind die Bewohner des Spreewaldes allerdings
germanisiert. Sie nähren sich von Viehzucht, Fischerei und dem Anbau von
Gemüse, das weithin versandt wird; insbesondere hat Lübbenau
durch seine sauren Gurken eine Art von Weltberühmtheit erlangt; aber auch
der Spreewälder Ammen wollen wir pietätvoll gedenken.
[107]
Spreewälderinnen in einer Kottbuser
Knüpfteppichfabrik.
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Unsere Entdeckungsreise neigt sich ihrem Ende zu. Einen Husch in den schmalen,
langgestreckten Kreis Luckau, den zwischen sächsisches und
anhaltisches Gebiet hineingeschmiegten Südwestzipfel der Niederlausitz,
sind wir unserm Wissensdrang noch schuldig. Denn hier gibt es trotzige Burgen
und Schlösser, Kirchenruinen, Blockhäuser und Dorfkrüge aus
Fachwerk von höchstem malerischen Reiz in so reicher Fülle wie
sonst nirgends in der Mark.
Und nun in die Mittelmark, südlich der Linie
Berlin - Potsdam - Brandenburg. Von Wittenberg her streckt
sich der hohe Fläming an der Grenze der Mittelmark entlang; von Belzig
über Jüterbog nach Dahme die Wasserscheide zwischen den
Zuflüssen der Elbe und der Havel bildend. Den Namen hat der
Höhenzug von den flämischen Kolonisten, die Albrecht der
Bär ins Land rief. Belzig, Treuenbrietzen, Jüterborg, Dahme, liegen
in fast gleichem Abstand auf und an der Höhe entlang. Jüterborg, in
dessen Nähe die Nuthe entspringt, weist uns das Rathaus mit prunkvollem
Giebel, dicht daneben die Nikolaikirche mit ihren beiden verschiedenartigen
Türmen und sogar den Kasten des Ablaßpredigers Tetzel.
Luckenwalde ist mit mehr als 20 000 Einwohnern die größte
Stadt der Mittelmark. Das älteste Kulturzentrum der Gegend, Kloster
Zinna, fordert mit der dreischiffigen Pfeilerbasilika aus Granitfindlingen und
ihren romanischen Hallen unsere Ehrfurcht heraus, und wir versetzen uns in die
Zeit zurück, in der dem Kloster elf Dörfer untertänig gewesen
sein sollen.
Nordwärts hebt sich aus dem verhältnismäßig
siedlungsarmen Gebiet die Teltowfläche mit den ausgedehnten
Kummersdorfer Artillerieschießplätzen, lieblich eingerahmt von
Kiefernwäldern. Bei dem freundlichen Landstädtchen Treuenbrietzen
mit Bauwerken aus dem 13. Jahrhundert und der denkwürdigen Torinschrift
"Wer seinen Kindern gibt das Brot und leidet darum selber Not, den schlagt man
mit dieser Keule tot" finden wir sogar noch altslavische Spuren.
Quer durch die Zauche, an Ferch und Kaputh am lieblichen Schwielowsee vorbei,
trägt uns der Wagen über Wildpark und Potsdam zum
Ausgangspunkt unserer Reise, Berlin, zurück. Durch die Stadt
unbeugsamen brandenburgisch-preußischen Pflichtbewußtseins in die
Metropole deutscher Betriebsamkeit.
[109]
Berlin, das Luftkreuz Europas
Der Flughafen Tempelhof, einer der modernsten Flughäfen der Welt.
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[110] Mit den
Wurzeln Pflichtbewußtsein und Betriebsamkeit wuchs die Mark aus der
öden Streusandbüchse des römischen Reiches zu dem Lande
höchster Kultur empor, als das wir sie kennen gelernt haben, zu einem
Gebiet, in dem auf rd. 700 Quadratmeilen dereinstiger Wüstenei heute acht
Millionen Menschen leben. Menschen, die alles, was sie sind, ihrem Willen und
ihrem Fleiß verdanken. Menschen, die aus den verschiedenartigsten
Stämmen entsprossen, doch im Grunde ihres Wesens alle echte Deutsche
sind. Deutsche, die weder die Not des Lebens noch die Feindschaft befehdender
Völker je kleingekriegt hat.
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