Die Behandlung der Eingeborenen In den Noten zum Versailler Frieden sind schwere Anschuldigungen gegen die Behandlung der Eingeborenen in den deutschen Kolonien erhoben. Zum Beweise dafür ist auf die deutschen amtlichen und privaten Zeugnisse vor dem Kriege und auf die Angaben von Erzberger und Noske Bezug genommen. Das Material, worauf diese Beschuldigungen beruhen, ist betreffend Deutsch-Südwestafrika in dem S. 31 charakterisierten Blaubuch, für die übrigen Kolonien hauptsächlich in dem oben erwähnten englischen Handbuch betreffend Behandlung der Eingeborenen in den deutschen Kolonien (sowie in der Schmähschrift von Evans Lewin) zusammengestellt. Zur Illustration, unter welcher Nichtachtung der Wahrheit bei Verwertung der Vorwürfe betreffend Eingeborenenbehandlung verfahren ist, mag noch erwähnt werden, daß selbst längst einwandfrei als unwahr erwiesene Behauptungen in einer Weise angeführt sind (nicht nur in der Lewinschen Schrift sondern auch in dem Handbuch), als wenn es sich um Tatsachen handelte. Das ist z. B. geschehen mit dem Märchen von der Ertränkung von 50 kleinen Kindern in den Nachtigal-Fällen durch Hauptmann Dominik. Der Verbreiter dieser Schauermär, ein westafrikanischer Kaufmann, von dem sie ihr Verkünder im Reichstag Bebel erhalten hatte, hat schon im Jahre 1909 vor Gericht die Erklärung abgegeben, daß seine Beschuldigungen jeder Grundlage entbehren. Diese Erklärung ist damals mit ausführlichen Berichten über die betreffende Gerichtsverhandlung in sämtlichen großen deutschen Zeitungen veröffentlicht worden. Gewiß sind in den deutschen Kolonien, wie in den Kolonien aller andern Länder Fälle von Eingeborenenmißhandlungen und auch von Grausamkeiten vorgekommen. Aber absolut unstatthaft ist es, diese Fälle zu verallgemeinern und der deutschen Kolonialverwaltung, im Gegensatz zu andern, Härten oder Grausamkeiten vorzuwerfen. Gewiß sind im Reichstag von Abgeordneten Vorwürfe in bezug auf Eingeborenenbehandlung erhoben worden, aber in welchem Parlament von Kulturnationen ist das nicht geschehen? Es würde nicht schwer [52] sein, sowohl aus englischen wie aus französischen Parlamentsverhandlungen, wie aus einzelnen Fällen, die in Gerichtsverhandlungen oder auf sonstige Weise der Öffentlichkeit bekannt geworden sind, ähnliche Bilder zu entwerfen, wie es in den Noten, in den Handbüchern und Propagandaschriften, in dem Blaubuch von der deutschen Kolonialverwaltung geschehen ist. Stehen, um nur einzelne Beispiele aus neuester Zeit anzuführen, die Greueltaten in französischen Kolonien, über welche der Abgeordnete Boisneuf in der Sitzung der Deputierten-Kammer vom 10. November 1921 berichtete,1 irgendwie hinter irgendwelchen angeblichen Greueltaten in deutschen Kolonien zurück? Wurde nicht vor wenigen Jahren in der Sitzung des englischen Unterhauses vom 4. Juli 1923 von dem Parlamentsmitglied Mr. Snell die Beschuldigung erhoben, daß in Kenya (Britisch-Ostafrika) innerhalb der letzten Jahre Eingeborene entweder zu Tode geprügelt oder infolge von Mißhandlung gestorben sind?2 Hat nicht in Südwestafrika das Vorgehen der Mandatsverwaltung gegen die Bondelswarts mit Flugzeugbomben, durch die Weiber und Kinder des überraschten Hottentottenstammes getötet wurden, ebenso unliebsames Aufsehen in der Welt erregt, wie frühere Vorkommnisse in diesem Schutzgebiet unter deutscher Herrschaft? Sind nicht auch in den Kolonien anderer Nationen ähnliche bedauerliche Einzelfälle vorgekommen wie in den deutschen Kolonien? Die Kolonisation unter Eingeborenenvölkern weist bei allen Nationen dunkle Flecke auf. Wie es mit englischer und französischer Kolonisation im Vergleich zu der deutschen Kolonisation steht, ist in den deutschen Weißbüchern Die Behandlung der einheimischen Bevölkerung in den kolonialen Besitzungen Deutschlands und Englands, 2. Ausgabe 1919 und Deutsche und französische Eingeborenen-Behandlung 1919 eingehend dargelegt worden. Von den im belgischen und französischen Kongo befolgten, die Eingeborenenvölker vernichtenden Methoden hat besonders der Vorkämpfer für Wahrheit und Recht E. D. Morel an der Hand einwandfreien Materials ein erschütterndes Bild entworfen.3 In seinem Buch: Present conditions in the Congo (1911) faßt der Reverend John H. Harris, der Sekretär der englischen Antisklavereigesellschaft, die Lage der Dinge in dem Belgischen Kongo unter König Leopold wie folgt zusammen:
"In den meisten Distrikten wurde den Eingeborenen etwas gegeben, aber es war von äußerst geringem Wert; oft handelte es sich nur um ein paar Löffel voll Salz. Dies wurde aber niemals als Bezahlung betrachtet, sondern lediglich als eine freiwillige Gabe nach dem Belieben des weißen Beamten; M. de Smet de Naeyer hatte [53] öffentlich mit brutalem Freimut erklärt, »der Eingeborene hat Anspruch auf nichts; was ihm gegeben wird, ist eine bloße freiwillige Zuwendung.« Das Mittel, welches angewendet wurde, um diesen Strom von jungfräulichem Produkt (Kautschuk, Elfenbein und Kopal) herauszupressen, war Gewalt, welche im Kongo sich in dem Ergreifen von Geiseln, in Plünderung und Mord ausdrückte." Morels Proteste gegen die brutalen Methoden, welche tatsächlich zur Ausrottung der Eingeborenen im Kongo führen mußten, waren von Erfolg gekrönt; die Belgier und Franzosen sahen sich gezwungen, ihre Methoden zu ändern. Indessen nach dem zitierten J. H. Harris ließen die Zustände im Kongo gerade vor dem Weltkrieg noch viel zu wünschen übrig. Sein Buch Present conditions in the Congo besteht in Berichten über seine Untersuchungen in jenem Gebiet im Jahre 1911. Darin stellt er fest, daß zwar eine große Verbesserung in gewissen Richtungen stattgefunden hätte, jedoch noch "viel von dem alten Regime vorhanden ist, und daß, was von schwerwiegenderer Bedeutung ist, der größere Teil des Personals mit den korrumpierenden Grundsätzen des Leopoldschen Systems verheiratet zu sein scheint". Die Besteuerung war übermäßig; er fand, daß ein System von "Rechtspflege" bestand, unter dem Personen, die eine Klage vorzubringen hatten, genötigt waren, "eine Entfernung zu laufen, entsprechend einer Hin- und Herreise zwischen London und Newcastle und selbst dann außerhalb des Gerichtshofes länger als 2 Jahre zu warten." Zwangsarbeit herrschte auf den Kautschukpflanzungen vor. Er schreibt: "Ein Eingeborenen-Häuptling drückte die Meinung aus, daß die belgische Regierung denselben Weg ginge wie der alte Kongostaat, zuerst ein bißchen Kautschuk in der Hand; dann Körbe voll davon, und bei Ausbleiben derselben Peitsche und Gefängnis." (S. 13 des Berichtes vom 6. 12. 1911.) Die bezeichnende Wendung kommt vor: "Das bloße Wort rubber (Kautschuk) ist genug, um das Gemüt des durchschnittlichen Eingeborenen mit Schrecken zu erfüllen." Bei der Vergleichung belgischer mit deutschen Kolonien schreibt Harris:
"Bei der Vergleichung der Lage der Eingeborenen im deutschen Togo mit der der Kongo-Eingeborenen muß man sich gegenwärtig halten, daß der erstere im allgemeinen ganz günstig von der deutschen Besetzung spricht und bedeutende Vorteile daraus erhält, während heutzutage der größere Teil des Kongogebietes in einem schlimmeren Zustand sich befindet als zu der Zeit, zu der Stanley im Jahre 1877 hindurchmarschierte, und daß die Eingeborenen selbst vollkommen verarmt sind." (S. 12 des Berichtes vom 23.8. 1911). Harris schreibt in seinem Dawn in darkest Africa: "Belgien befindet sich im Besitz einer Kolonie... deren Eingeborene allenthalben seiner Verwaltung mißtrauen." Diesem Staat haben jetzt seine Ver- [54] bündeten in der Erfüllung ihrer "heiligen Aufgabe" mehr afrikanisches Gebiet und mehr afrikanische Stämme zum Verwalten gegeben! Der genannte Schriftsteller hat auch viel über die portugiesische Mißverwaltung in kolonialen Ländern zu sagen. In demselben Buch spricht er von den westafrikanischen Kolonien Portugals und erwähnt die "ausgebreitete Plantagensklaverei in Angola-San Thomé und Principe." Er hält die Schätzung für zutreffend, daß die halbe Bevölkerung von Angola damals "unter einer Form von Sklaverei lebte", obgleich die Ermahnungen des britischen auswärtigen Amtes zu einer Besserung geführt hätten, und spricht von dem noch bestehenden System des Prügelns. Er schreibt:
"Die Insel Principe besitzt einen Schrecken ganz für sich selbst; denn sie ist mit der furchtbaren Schlafkrankheit infiziert... die Sklaven von Principe bieten einen noch melanchonischeren Eindruck als die von San Thomé. Sie scheinen eine instinktive Kenntnis davon zu haben, daß sie in einer Todesfalle eingeschlossen sind, und ihre Rufe nach Befreiung sind erbarmungswürdig heftig." (S. 181.) In seiner Einleitung zu Harris' Buch schrieb der verstorbene Lord Cromer im Oktober 1912:
"Trotz der lange dauernden Freundschaft zwischen den beiden Ländern, trotz historischer Verbindungen, welche allen Engländern ans Herz gewachsen sind, und trotz der anscheinend unzweideutigen Natur von Vertragsabmachungen würde es, davon bin ich überzeugt, ganz unmöglich sein, daß im Falle die afrikanischen Besitzungen Portugals ernsthaft bedroht werden sollten, britische Waffen angewandt würden, um sie im unkontrollierten Besitz Portugals zu behalten, solange als Sklaverei erlaubt ist." Weiter schreibt Harris in seinem 1913 veröffentlichten Buch: Portuguese Slavery: Britain's Dilemma:
"Es wird aufrechterhalten, daß die Seiten dieses Buches erstens das Bestehen von Sklaverei und Sklavenhandel feststellen, zweitens, daß dies ein gegen internationales Recht begangenes Verbrechen ist, drittens, daß es die gebieterische Pflicht der europäischen Mächte ist, das Aufhören dieses Verbrechens zu verlangen, aber daß es tatsächlich unter dem Schutze Großbritanniens fortfährt zu florieren." Ich will gern hoffen, daß die Mißbräuche, welche in den Kolonien von Großbritanniens Verbündeten im Jahre 1912 als vorhanden festgestellt wurden, im Jahre 1917 nicht mehr bestanden. Aber was soll man von Anklägern sagen, welche in jenem Jahre bis auf den Anfang des Jahrhunderts zurückzugehen hatten, um ihre "Rechtfertigung" für die Aneignung der deutschen Kolonien zu geben, obwohl von englischen Autoritäten dargelegt war, daß sie den Eingeborenen bessere Bedingungen boten als die belgischen, portugiesischen, selbst französischen Kolonien. [55] Morel schreibt im gleichen Jahre, 1917, in seiner kleinen Abhandlung Africa and the peace of Europe:
"Seien wir ehrlich und geben zu, daß es vollständig unmöglich sein würde, vor einem internationalen Gerichtshof eine Klage gegen die Ausübung der deutschen Souveränitätsrechte in Afrika erfolgreich zu erheben mit der Begründung, daß Deutschland die Eingeborenen schlecht behandelt habe. Die Erhebung einer solchen Klage würde nicht nur ein schädliches und unwiderlegliches tu quoque sondern auch die Anführung vieler britischen Stimmen, die die deutsche Verwaltung in Afrika loben, zur Folge haben." Den gleichen Gedanken hat Ende 1924 ein Franzose, Alcide Ebray, in einem Buch La paix malpropre ausgesprochen, in dem er sagt:
"Wer nur halbwegs mit Kolonialgeschichte vertraut ist, weiß, daß alle Mächte gegenüber den Eingeborenen sich Übergriffe haben zuschulden kommen lassen, und daß keine Macht das Recht hat, in dieser Beziehung die andere anzuklagen. Es wäre nicht möglich, untrüglich nachzuweisen, daß Deutschland seine Eingeborenen in stärkerem Maße mißhandelt hat als die anderen kolonisierenden Länder." In den Noten werden Deutschland grausame Unterdrückungen vorgeworfen. Eine Durchsicht des Handbuchs über Eingeborenenbehandlung in den deutschen Kolonien zeigt, daß der Vorwurf sich zunächst allgemein gegen die gesamte deutsche Kolonialverwaltung von Anfang an richtet: Deutschland habe von der ersten Erwerbung der Kolonien 1884 an "die seiner Sorge anheimgestellten Eingeborenen mißhandelt"; dies habe zu schweren Eingeborenen-Aufständen und blutigen Expeditionen geführt; Grausamkeiten gegen Eingeborene, willkürliche Requisitionen, Prügelstrafen, mangelhafte Rechtspflege, schlechte Behandlung der Häuptlinge seien für die deutsche Kolonialverwaltung bezeichnend gewesen. Zum Beweis dafür wird eine Reihe von Fällen unter Bezugnahme auf Reichstagsabgeordnete angeführt. Diese Vorwürfe werden in ihrem allgemeinen Teil dadurch entkräftet, daß man den Zustand der deutschen Kolonien vor der Erwerbung vergleicht mit dem Zustand, in dem sie sich bei Ausbruch des Weltkrieges befanden. Damals waren es unerschlossene wilde Länder, in denen fast allenthalben ein Krieg aller gegen alle herrschte. Die Eingeborenenstämme wüteten gegeneinander mit Raub und Mord; in großen Teilen Afrikas wurde die friedliche Entwicklung immer wieder durch Plünderungszüge der Nomaden unterbrochen, welche die ackerbautreibenden Stämme überfluteten. Bis an die Küste drangen die aus dem Innern hervorbrechenden Stämme vor und vernichteten die Anfänge aufkeimender Zivilisation; umgekehrt brachten von der Küste ausgehende Sklaven-Expeditionen der Araber furchtbares Unheil über weite Teile des Innern. Ähnlich sah es in dem größten Teil der übrigen deutschen Kolonien in Afrika aus. [56] In Deutsch-Neu-Guinea wiederum herrschte der Kannibalismus. Die Horden der Eingeborenen überfielen einander, um Menschenfleisch zu erlangen. In manchen Teilen der dazugehörigen Inselgruppen suchten die Kopfjäger in ihren verheerenden Mordzügen die Küsten heim. Welch anderes Bild gewährten die deutschen Kolonien nach einer knapp 30jährigen Kolonisation, als der Krieg ausbrach! Überall in den Schutzgebieten herrschte Friede und Ordnung; das Rauben und Morden der Stämme untereinander hatte vollständig aufgehört. Der Eingeborene vermochte friedlich seinem Erwerb nachzugehen. Nicht selten waren es gerade die früher gefürchtetsten, kriegstüchtigsten und raublustigsten Stämme, die sich am vollständigsten in die neue Ordnung der Dinge gefunden hatten und am besten an dem Kolonisationswerk mitarbeiteten. Diese vollkommene Wandlung konnte naturgemäß nicht bewirkt werden, ohne daß es zu Kämpfen der bisher dominierenden Eingeborenenstämme gegen die deutsche Herrschaft gekommen wäre. Die Nomaden-Stämme, welche bisher ihre Herden durch Viehraub ergänzt hatten, die Eingeborenen-Machthaber, welche ihre Existenz auf gewaltsame Unterwerfung und Brandschatzung der Bevölkerung aufgebaut hatten, gaben ihre kriegerischen oder räuberischen Gewohnheiten nicht auf, ohne sich zur Wehr zu setzen. Es hat in den deutschen Kolonien schwerer Kämpfe bedurft, um den Frieden zu erzwingen. Aber in welchen Kolonialgebieten mit derartiger Bevölkerung ist das nicht der Fall gewesen? Können die Engländer, welche mit den Zulukaffern in Südafrika schwere Kämpfe zu führen hatten, einen berechtigten Vorwurf gegen die Deutschen erheben, wenn sie gegen die Ausläufer eben jener Zulukaffern in Ostafrika die Ordnung durch Anwendung von Waffengewalt durchsetzen mußten? In Anbetracht der Greuellegenden, welche von böswilliger Seite aufgemacht sind, um Deutschland zu diskreditieren und die Wegnahme seiner Kolonien zu rechtfertigen, müssen unsere Kritiker darauf gefaßt sein, Gegenvorwürfe zu hören, und werden, wenn sie gerecht denken, nicht dem eigenen Stolz gestatten, sie gegenüber feststehenden Tatsachen blind zu machen. Wenn ich hier unglückliche Episoden aus der britischen Kolonialgeschichte in die Erinnerung zurückrufe, so tue ich es nicht zu dem Zwecke, aus ihnen Kapital zu schlagen, sondern nur, um unseren Anklägern nahezulegen, daß Billigkeit, um nicht zu sagen Weisheit ihnen Rückhaltung auferlegen sollte. Hat nicht Gladstone zur Zeit des Zulukrieges die damalige britische Regierung verantwortlich gemacht für das Erschlagen von zehntausend Eingeborenen für "das alleinige Vergehen des Versuches, ihre Unabhängigkeit und ihre Heimstätten zu verteidigen?" Ist [57] die Geschichte all der zahllosen indischen Grenzkriege so ruhmvoll, daß ein jeder davon heutzutage von humanen Engländern ohne Bedauern oder Mitleid in die Erinnerung zurückgerufen werden kann? Viel Hartes ist von englischen Federn über die Matabelekriege vor 20 Jahren geschrieben worden, und es kann nicht geleugnet werden, daß es eine Zeit gab, und es ist noch nicht lange her, als die Buren von Südafrika genau so harte Dinge über die Engländer sagten, wie die hämischen Kritiker heute über Deutschlands Kolonisatoren sagen, obwohl viele von den letzteren keinen Vergleich zu scheuen haben mit den Besten irgendeines anderen Landes. J. H. Harris führt in seinem Buch The Chartered Millions, welches 1920 veröffentlicht wurde, den Maschona- und Matabelenaufstand u. a. auf den Raub des Landes und des Viehs der Eingeborenen zurück, auf ein Arbeitersystem "gleichbedeutend mit Sklaverei" und auf eine ungenügend beaufsichtigte Polizei und sagt, daß in den Feindseligkeiten die Verluste (einschließlich der Verwundeten) unter den weißen Ansiedlern, Polizei und Truppe, sich auf 344 beliefen. Er fügt hinzu:
"Die Verluste unter den Eingeborenen waren furchtbar: wahrscheinlich hat das Rachenehmen der Weißen nirgends in der britischen Geschichte solche schrecklichen Ausmaße angenommen. Männer in Rhodesien schaudern unwillkürlich, wenn sie die Art und Weise erzählen, in der die Maschonas, die zum Schutz in die Höhlen flohen, behandelt wurden. Diejenigen, welche Geschichten lieben, die das Blut gerinnen machen, können sie leicht in den Berichten sowohl der Eingeborenen wie der Weißen finden." (S. 130.) Siehe auch hierüber Some Incidents in the Life of Cecil Rhodes von Vere Stent (Kapstadt 1925) betreffend Rhodes' Zusammentreffen mit der Delegation bewaffneter Matabelehäuptlinge und Krieger am 21. August 1896, und die furchtbare Anklage von Grausamkeit, Viehdiebstahl und Vergewaltigung, die seitens der Delegation gegen die Weißen vorgebracht wurde. "Es ist alles wahr", sagte einer seiner Begleiter zu Rhodes, als die Erzählung endete. Um zu ganz neuen Zeiten zu kommen, so rief die Aktion der Mandatsverwaltung in Südwestafrika, die gegen die Bondelswarts mit Luftbomben vorging, durch welche viele Frauen und Kinder unter dem überraschten Hottentottenstamm getötet wurden, in der Welt beträchtliche Entrüstung hervor. Ferner ist zu erwähnen das Bewerfen der Waziristammesleute eines afghanischen Dorfes mit Bomben, worüber der Manchester Guardian vom 23. Juni 1923 einen Leitartikel mit der Überschrift "a modern atrocity" bringt. In diesem Falle mußte Entschädigung gezahlt werden, da die falschen Leute getötet waren. Dann war auch die Amritsar-Episode in Indien, bei der eine beträchtliche Zahl von Indern erschossen wurde. [58] Ferner kürzlich die Bombenaffäre im Irak, welche der britische Luftminister scherzhaft im Mai 1924 eine "leichte Luftaktion" (slight air action) nannte, weil ein Häuptling ablehnte, sich zu ergeben. Oder um den Fall Frankreichs zu nehmen: Können die Franzosen, die im westlichen Sudan die Eingeborenenhäuptlinge vermittelst blutiger Kämpfe unterwarfen und dasselbe in Marokko heutzutage tun, die deutsche Verwaltung tadeln wegen der Kämpfe, die notwendig waren, um Frieden in Kamerun herzustellen? Kann es schließlich irgend jemand mißbilligen, wenn gegen Eingeborenen-Stämme in Deutsch-Neu-Guinea, welche benachbarte Stämme überfielen, Gefangene mitschleppten und zur Verwendung bei kannibalischen Festschmäusen mästeten, mit Gewalt vorgegangen wurde, da nur so die entsetzlichen Sitten beseitigt werden konnten? Was Aufstände und Expeditionen betrifft, so haben die deutschen Kolonien keineswegs mehr Rebellionen und Blutvergießen gesehen als Kolonien anderer Nationen mit ähnlich gearteten Eingeborenen-Stämmen. Im Gegenteil fällt der Vergleich, wenn man die dem Kriege vorausgegangene letzte Zeit und die Kriegszeit selbst betrachtet, zugunsten der deutschen Kolonisation aus. Die größte Kolonie Deutsch-Ostafrika hatte seit 1906, also seit vollen acht Jahren vor Ausbruch des Weltkrieges überhaupt keine Aufstände mehr gesehen; in allen Teilen der Kolonie hat vollständiger Friede geherrscht. Von den angrenzenden englischen Kolonien kann nicht das Gleiche gesagt werden. In Britisch-Ostafrika ist es in dem gleichen Zeitraum wiederholt zu Eingeborenen-Aufständen gekommen; 1906 war die Erhebung der Nandi, 1913/14 der Aufstand der Kismaji, vorher ein Aufstand der Massai. In Britisch-Njassaland erhoben sich während des Krieges Eingeborene und schlugen einige englische Verwaltungsbeamte tot. In Deutsch-Ostafrika ist Derartiges nicht vorgekommen, ebensowenig in den übrigen deutschen Kolonien. In dem Handbuch sind drei große Aufstände erwähnt, welche mit starken Menschenverlusten auf seiten der Eingeborenen verbunden gewesen seien, Aufstände, die angeblich hätten vermieden werden können. Es sind in Deutsch-Ostafrika der Araber-Aufstand 1888 und der Maji-Maji-Aufstand 1905 sowie in Deutsch-Südwestafrika der Herero-Aufstand 1904. Der Araber-Aufstand, den der Verfasser zu Unrecht auf angebliches überhebendes Auftreten von Beamten der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft zurückführt, war in Wirklichkeit verursacht durch die Übernahme der Hoheitsrechte an der ostafrikanischen Küste durch jene Gesellschaft. Die Araber, welche bisher dort Herren waren, sahen darin den Anfang ihrer völligen Unterwerfung und fürchteten durch das deutsche Vorgehen gegen den Sklavenhandel eine ihrer Haupterwerbsquellen zu verlieren. Dieser Aufstand hätte [59] nur vermieden werden können, wenn Deutschland auf die Errichtung seiner Herrschaft und auf Maßnahmen gegen den Sklavenraub überhaupt verzichtet hätte. Die Niederwerfung dieses Aufstandes erfolgte durch den überall in der Welt als tadellosen Offizier und Menschen anerkannten Afrikadurchquerer Hermann von Wißmann mit Energie, aber unter Vermeidung jeden unnötigen Blutvergießens. Vom Maji-Maji-Aufstand behauptete das englische Handbuch 113 über Tanganyika (Deutsch-Ostafrika), er sei auf Haß gegen die Hütten-Steuer und gegen die erzwungene Arbeit auf europäischen Plantagen zurückzuführen. Diese Annahme wird dadurch hinfällig, daß der Aufstand auf den Süden der Kolonie beschränkt war, in dem es nur ganz wenige europäische Pflanzungen gab, während der größere nördliche Teil der Kolonie, in dem die Hauptpflanzungsgebiete sowie die Hauptanwerbegebiete für Arbeiter liegen, völlig davon verschont blieb. Die Hüttensteuer ist in Deutsch-Ostafrika zu keiner Zeit höher gewesen, als in dem benachbarten Kenya und mit Schonung der wirtschaftlich schwachen oder zurückgebliebenen Gebiete erhoben worden, zu denen gerade das Aufstandsgebiet gehörte. In Wahrheit ist der Aufstand nach der Feststellung des früheren Gouverneurs Graf Goetzen durch Ausbreitung einer von einem Eingeborenen-Zauberer verursachten Bewegung entstanden. Er trägt seinen Namen von dem als Zaubermittel verwandten Wasser (Maji). Es ist richtig, daß die Niederwerfung dieses Aufstandes verhältnismäßig große Opfer an Eingeborenenleben gefordert hat, da in dem Vertrauen auf die Wirksamkeit ihres Zaubermittels die aufständischen Eingeborenen ein sonst unbekanntes Maß von Todesverachtung und Hartnäckigkeit an den Tag legten. Nicht richtig ist aber, daß diese Menschenverluste durch irgendwelche Grausamkeiten von deutscher Seite verursacht wären. Was den dritten Aufstand, den Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika, anbetrifft, so wurde dieser verursacht durch die allmähliche Ausbreitung der weißen Ansiedler, durch welche sich die Eingeborenen in dem Besitz ihres Landes bedroht sahen. Er ähnelt darin den Aufständen, welche die Angehörigen der weißen Rasse in früheren Tagen in den Ansiedlungskolonien in Nordamerika und Australien und noch in neuerer Zeit in Südafrika, erlebt haben. Der Herero-Aufstand begann mit der Niedermetzelung aller deutschen Ansiedler, welche den Aufständischen in die Hände fielen. Die Herero legten in den sich entwickelnden Kämpfen eine unerwartet große Widerstandskraft an den Tag, so daß die Entsendung erheblicher Truppenmengen aus Deutschland notwendig wurde. Erst nach langwierigen Kämpfen wurden die Herero niedergeworfen. Ein Teil von ihnen flüchtete in das wasserarme Sandfeld, wo viele den Dursttod gefunden haben. Es ist in dem englischen Blaubuch so dargestellt, [60] als ob die Geschichte des Herero-Volkes eine solche der grausamen Unterdrückung durch die deutschen Kolonisatoren gewesen sei und als ob die Niederwerfung des Aufstandes als Ausrottungskrieg geführt worden sei. Diese Vorwürfe sind in dem oben erwähnten deutschen Weißbuch ausführlich widerlegt worden, wobei allerdings zugegeben ist, daß zeitweise bei der Bekämpfung des Herero-Aufstandes Prinzipien angewandt sind, die von der deutschen Regierung nicht gebilligt worden sind. Wenn in dem Krieg gegen die Herero infolge der Erbitterung über die Niedermetzelung deutscher Ansiedler zeitweise überscharfe Maßregeln getroffen worden sind, so werde daran erinnert, daß manche Eingeborenenvölker in fremden Kolonialgebieten völlig vernichtet worden sind, so daß niemand übriggeblieben ist, um das traurige Schicksal seines Volkes zu verkünden. Es liegen aber Zeugnisse der Herero selbst vor, die erkennen lassen, daß das Urteil dieser Eingeborenen über die deutsche Herrschaft und die deutsche Kriegführung in Wirklichkeit ein vollkommen anderes ist als das in dem englischen Blaubuch als Vorbereitung der Wegnahme Deutsch-Südwestafrikas aus allem möglichen, zum Teil recht zweifelhaften Material zusammenkonstruierte. Es liegen solche Zeugnisse nicht nur vor in Nachkriegsäußerungen von Großleuten der Herero, die der deutschen Verwaltung ihre Sympathie bewahrt haben, sondern es hat sich die Beerdigung des Oberhäuptlings des gesamten Hererovolkes Samuel Maharero am 26. August 1923 geradezu zu einer Kundgebung für die deutsche Sache gestaltet.4 Das gesamte Zeremoniell war bis in die kleinsten Äußerlichkeiten hinein nach deutschem Muster zugeschnitten. Bei der Beerdigung erschienen die Herero überwiegend in deutschen Tropenuniformen und in deutschen Farben; besonders der Schutztruppenhut mit schwarz-weiß-roter Kokarde beherrschte das Bild. Viele hatten auf den Armbinden weiß umsäumte schwarze Kreuze aufgenäht, welche nach Angabe der Herero Eiserne Kreuze darstellen sollten. Verschiedene Herero brachten Deutschen gegenüber unumwunden zum Ausdruck, daß sie auch Deutsche seien und ihren Häuptling mit deutschen Ehren bestatten wollten. Wäre es denkbar, daß die Herero in dieser Weise auftreten, wenn sie derartig behandelt und von Haß gegen ihre früheren Herren erfüllt wären, wie das englische Blaubuch dies die Welt glauben machen wollte? Würden sie nicht vielmehr alles vermeiden, was die Erinnerung an die deutsche Herrschaft zurückrufen könnte? In den Schriften, welche gegen die deutsche Kolonisation gerichtet sind, spielt auch die angeblich übertriebene Anwendung der Prügel- [61] strafe eine große Rolle. Die Prügelstrafe ist m. W. in allen Kolonialgebieten mit primitiven Rassen angewendet worden. Man mag über sie an sich denken wie man will, der Vorwurf, als ob die deutschen Kolonien sich in dieser Beziehung zu ihrem Nachteil von anderen Kolonien unterschieden hätten, ist jedenfalls nicht berechtigt. In den ersten Anfängen der Kolonisation ist bei allen Nationen ein reichlicher Prozentsatz von Leuten in die Kolonien hinausgegangen, die mit einem Überschuß von Tatkraft nicht das gleiche Verständnis für die Psyche der Eingeborenen verbanden. Die Verwendung solcher Leute in Stellen, amtlichen oder privaten, in welchen sie Aufsichtsbefugnisse über Schwarze haben, führt leicht zu Übergriffen, besonders auf dem Gebiet des Prügelns. Es soll nicht bestritten werden, daß auch in den deutschen Kolonien solche Kinderkrankheiten der Kolonisation aufgetreten sind und daß, besonders in den Anfängen, die geringe Entwicklung der Verkehrsmittel einer genauen Kontrolle durch die höheren Verwaltungsstellen entgegenstand. Aber diese Stadien sind verhältnismäßig schnell überwunden worden. Ein Bericht an die englische Regierung von ihrer Botschaft in Berlin, geschrieben 1894, kaum 10 Jahre nachdem Deutschland seine Kolonien erworben hatte, stellte folgendes fest:
"Die Strafgewalt über ihre Arbeiter wird zweifellos von vielen Herren ausgeübt, aber sie wird niemals von den deutschen Behörden anerkannt, und Beschwerden werden oft von den Arbeitern bei den Gerichten angebracht, in denen die Herren der Mißhandlung oder der Zurückhaltung ihres Lohnes beschuldigt werden. Diese Anträge auf Schutzgewährung an die Gerichtsbehörden werden mit Recht als ein großer Schritt vorwärts betrachtet und ein besonderer Aufseher ist angestellt worden, der für das Wohlbefinden der ärmeren Arbeiter sorgen und über jeden Fall schlechter Behandlung berichten soll, der zu seiner Kenntnis gelangt. Vor wenigen Jahren würde kein Arbeiter es gewagt haben, eine Zivil- oder Strafklage gegen seinen Herrn vorzubringen. Jetzt können sie dies tun... ein sicheres Zeichen des zivilisierenden Einflusses, der durch die Regierung und die Missionen auf die Eingeborenen und die öffentliche Meinung ausgeübt wird" (Report on the German Colonies in Africa and the South Pacific C. 7582 - 7, 1894). Es sind gerade in bezug auf die Prügelstrafe sowohl von dem Kolonialstaatssekretär in Berlin, wie von den Gouverneuren in den Kolonien die größten Anstrengungen darauf verwendet worden, um innerhalb der Verwaltung selbst die Anwendung dieser Strafe, soweit ihre Beibehaltung für zweckmäßig erachtet wurde, mit allen möglichen Garantien zum Schutz der Eingeborenen zu versehen und gegen jede Mißhandlung von Schwarzen durch Privatleute mit Energie vorzugehen. [62] Diese Bemühungen sind erfolgreich gewesen. Die Zustände, welche in den dem Krieg vorhergehenden Jahren in den deutschen Kolonien geherrscht haben, waren keinesfalls ungünstiger als die Zustände in fremden Kolonien ähnlicher Art. In einer Beziehung allerdings war ein erheblicher Unterschied vorhanden: In den deutschen Kolonien herrschte absolute Ordnung in bezug auf die Eintragung von Prügelstrafen in die Strafregister und in bezug auf die Beobachtung sonstiger Vorschriften, wie sie besonders seit den Anweisungen des Staatssekretärs Dernburg von 1907 für sämtliche Kolonien zum Schutze der Eingeborenen erlassen waren. Der Beamte, welcher die Prügelstrafe verhängte, mußte ihr selbst beiwohnen (im Falle seiner Verhinderung ein Vertreter), außerdem mußte ein Arzt oder ein sonstiger Sanitätsbeamter zugezogen werden. Es ist eine seltsame Verwirrung der Vorstellungen, wenn diese zum Schutze der Eingeborenen vorgeschriebene Art der Vollstreckung der Prügelstrafe in der deutschfeindlichen Propaganda hier und da so entstellt worden ist, als wenn brutale Leute sich an den Schmerzen der Geprügelten ergötzen wollten. In den Kolonien fremder Nationen sind derartige Vorschriften nicht in gleichem Maße angewandt worden. Es wäre falsch, aus dem Fehlen von Angaben, wie sie die deutschen amtlichen Jahresberichte über die Anzahl der verhängten Prügelstrafen regelmäßig enthielten, in den Jahresberichten fremder Kolonialgebiete zu schließen, daß dort weniger geprügelt worden wäre. Mein Vorgänger als Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, Freiherr von Rechenberg, hat vor dem Kriege auf Reisen in Britisch-Ostafrika Gelegenheit gehabt, in einigen Hauptplätzen der Kolonie (Nairobi, Mombassa und Kisumu) die Strafbücher einzusehen, und daraus entnommen, daß in der englischen Kolonie erheblich mehr Prügelstrafen an Eingeborenen vollzogen wurden, als in deutschen Bezirken. Dort galt das Prügeln aber nicht als gerichtliche Strafe, sondern lediglich als eine polizeiliche Maßregel, welche der Beamte unkontrolliert nach seinem Ermessen anwenden konnte. Ähnlich lag die Sache in anderen fremden Kolonien. Auch zum Schutze der eingeborenen Arbeiter gegen Prügeln oder sonstige schlechte Behandlung durch europäische Pflanzer oder Angestellte wurden Maßnahmen getroffen. Besondere Arbeiterkommissare wurden eingesetzt, zu deren Aufgabe auch die Überwachung auf diesem Gebiete gehörte. Als besonders unerhört und für die deutsche Behandlung der Eingeborenen bezeichnend wird in den feindlichen Propagandaschriften die Verhängung der Prügelstrafe gegen Weiber vorgebracht, welche in Kamerun und Deutsch-Neu-Guinea vorgekommen sei. Diese Behauptung ist, was die letztere Kolonie betrifft, unrichtig. Als Beweis ist in dem Handbuch eine Rede des sozialdemokratischen Abgeord- [63] neten Ledebour im Reichstag vom 26. März 1906 angeführt, nach welcher der Kommissar der Kolonialverwaltung Rose dies selbst zugegeben habe. In Wirklichkeit hatte, wie aus den amtlichen stenographischen Berichten des Reichstags5 hervorgeht, der Abgeordnete Ledebour Herrn Rose, der vor ihm sprach, mißverstanden. Dies ist sofort durch einen Zwischenruf richtiggestellt worden. Im übrigen ergibt die Durchsicht der amtlichen stenographischen Berichte, daß weder Herr Rose, noch irgend jemand anders jemals Mitteilungen gemacht hatte, daß in Deutsch-Neu-Guinea Frauen geprügelt worden wären. In der Tat hat sich Derartiges niemals in Deutsch-Neu-Guinea ereignet. In Kamerun ist tatsächlich ein Fall dieser Art vorgekommen. Der Kanzler Leist hat dort im Jahre 1893 einige Soldatenweiber durchprügeln lassen. Dieser Beamte ist dann durch Disziplinarverfahren zur Dienstentlassung verurteilt worden. Das ist der einzige Fall der Verhängung der Prügelstrafe gegen Weiber, welcher m. W. jemals in deutschen Kolonien vorgekommen ist. Das Prügeln von Weibern war in allen Schutzgebieten streng untersagt. Nach den seit langem gültigen Bestimmungen durften gegen Frauenspersonen irgendwelchen Alters überhaupt keine Prügelstrafen oder Rutenstrafen verhängt werden. Wie sieht es in den fremden Kolonien in dieser Beziehung aus? Nach der Entrüstung, mit welcher die oben erwähnten beiden Fälle ausgeschlachtet sind, von denen der eine erfunden ist, müßte man annehmen, daß Derartiges nirgends sonst vorkomme. Man wird daher mit einigem Erstaunen lesen, daß noch heute in der britischen Kolonie Nigeria, in den mohammedanischen Emiraten unter Duldung der englischen Regierung Frauen bei Ehebruch und übler Nachrede ausgepeitscht werden. Die Zahl der Hiebe, die ihnen mit einer Peitsche von Rhinozeroshaut auf den Rücken verabfolgt werden, ist gewöhnlich hundert. (In den deutschen Kolonien betrug die zulässige Höchstzahl bei einem gesunden erwachsenen Mann 25 Hiebe, die frühestens nach zwei Wochen wiederholt werden durften.) Vorstehende Angaben stammen von dem Gouverneur von Nigeria Sir Hugh Clifford selbst, der sie in einer Rede an den Rat von Nigeria am 29. Dezember 1920 mitgeteilt hat.6 Die einzige sichere Grundlage für das Urteil darüber, ob die Rechtspflege den Verhältnissen gerecht wird, bildet das Maß des Vertrauens, das die Eingeborenen ihr entgegenbringen. Dieses Vertrauen hat die deutsche Eingeborenenrechtsprechung in höchstem Maße errungen. Allenthalben war die Zahl derer, die freiwillig ihre Streitig- [64] keiten vor das deutsche Gericht brachten, in beständigem schnellem Wachsen, und die Leute kamen oft aus weiter Entfernung herbeigeeilt, um ihr Recht zu suchen. Theoretisch wies das deutsche Gerichtsverfahren gewiß Mängel auf, indem es an den meisten derjenigen juristischen Bestimmungen fehlte, welche das europäische Gerichtsverfahren mit Rechtsgarantien umgeben und gleichzeitig zu einer langwierigen, den Armen nur unter Schwierigkeiten zugänglichen Sache machen. Das deutsche Verfahren wies patriarchalische Formen auf und stellte an den gesunden Menschenverstand der damit betrauten Beamten und seine Vertrautheit mit Eingeborenenbräuchen größere Anforderungen, als an seine Kenntnis der deutschen Prozeßordnungen. Aber es war unabhängig und wirksam. Es war, obwohl in den meisten Kolonien ein Instanzenzug fehlte und nur die wichtigeren Urteile dem Gouverneur zur Bestätigung vorgelegt wurden, für die Verhältnisse der Eingeborenen besser geeignet, als es eine langwierige Prozeßordnung gewesen wäre. Ich kann mit einer gewissen Erfahrung sprechen, denn ich habe selbst die Eingeborenenrechtsprechung in zwei Kolonien ausgeübt und habe die oberste Aufsicht darüber in einer dritten Kolonie gehabt. Der Kampf, welchen verschiedene deutsche Richter, die im Reichstag als Abgeordnete saßen, für die Umgestaltung dieser Rechtsprechung geführt haben, beruhte mehr auf theoretischen Gesichtspunkten als auf der richtigen Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse. Es ist der deutschen Rechtsprechung in den Kolonien insbesondere vorgeworfen worden die verschiedene Beurteilung der von Weißen gegen Schwarze und der von Schwarzen gegen Weiße begangenen Vergehen. Das ist eine Erscheinung, welche sich in der Rechtsprechung aller Kolonien mit Mischbevölkerung zeigt und bei der Unabhängigkeit der Richter und der europäischen Rechtspflege dem Einwirken der Verwaltung kaum zugänglich ist. Sie trat in den deutschen Schutzgebieten keinesfalls stärker hervor als in fremden Kolonien. Es mag hier nur darauf hingewiesen werden, daß der französische Kolonialminister in der Sitzung der französischen Kammer vom 21. Dezember 1922 erklärte: "Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, daß in der Vergangenheit die Handhabung der Rechtsprechung ungenügend und schwach war, wenn es sich darum handelte, Verbrechen zu ahnden, die an Eingeborenen begangen waren".7 Auch in englischen Kolonien gibt es große Unterschiede in den Urteilssprüchen der Gerichte gegen Weiße und Farbige. In den deutschen Kolonien ist jedenfalls das Bestreben der Verwaltung immer dahin gegangen, den Eingeborenen auch nach dieser Richtung hin jeden möglichen Schutz zuteil werden zu lassen. [65] Das Handbuch behauptet, in den deutschen Kolonien seien die Häuptlinge im allgemeinen degradiert worden zu Agenten der Gouvernements; alle, die nicht machtvoll genug gewesen seien, um den Angriffen ihrer Herrscher Widerstand zu leisten, seien systematisch schlecht behandelt, geprügelt und wegen geringer Verstöße eingesperrt worden. Man vergleiche damit das Urteil eines der bedeutendsten englischen Kolonialkenner, des früheren Gouverneurs Sir Harry Johnston, welcher noch im Kriege in den Daily News über Deutsch-Ostafrika schrieb:
"Es ist eine Tatsache, daß die deutsche Herrschaft von den 90er Jahren bis zum Ausbruch des Krieges in Ostafrika keineswegs unpopulär war. Die führenden Eingeborenenhäuptlinge wurden behandelt, wie wir die indischen Radschas behandeln, und die Araber wurden so vollkommen mit der deutschen Herrschaft ausgesöhnt, daß sie mächtige Verbündete der Deutschen wurden".8 Man vergleiche weiter damit die amtlichen englischen Berichte über das Tanganyika Territory (Deutsch-Ostafrika). In dem ersten Bericht, vom Abschluß des Waffenstillstandes bis zum Ende 1920 reichend, findet sich zwar eine absprechende Kritik des deutschen Systems der "Akiden" (farbiger Distriktsvorsteher), der zweite Bericht über das Jahr 1921 enthält dagegen folgende Feststellung:
"Die Fortsetzung des deutschen Systems der Verwendung von Akiden, bezahlten eingeborenen Beamten, in der Verwaltung der Küstenbezirke, ist ziemlich erfolgreich (fairly successful). Hier fehlt es den Stämmen an Stammesorganisation und der Akide ist im allgemeinen mit dem Volk durch Abstammung verwandt. In den landeinwärts gelegenen Distrikten, wo die Stammeszusammengehörigkeit größer und der Akide oft ein Fremder, ist die Politik die gewesen, das Volk durch ihre eigenen Häuptlinge zu kontrollieren und den Akiden, wenn möglich durch eigene Häuptlinge nach Wahl des Volkes zu ersetzen".9 Diese Politik entspricht genau, auch in dem letzten Teil, der unsrigen, wie wir sie vor dem Kriege in den in Frage kommenden Teilen Deutsch-Ostafrikas verfolgt haben. Auch für die übrigen Kolonien ist die Behauptung der Degradierung und schlechten Behandlung der Häuptlinge durchaus unrichtig. In dem Schutzgebiet mit der zweitgrößten Bevölkerungszahl, in Kamerun, war es die in Anweisungen des Gouverneurs an die Lokalbehörden ausdrücklich ausgesprochene Politik der deutschen Verwaltung, die Stellung der Häuptlinge zu stärken, um durch sie die [66] Eingeborenen zu regieren. Es war dies das gerade Gegenteil dessen, was der deutschen Kolonialpolitik zu Unrecht vorgeworfen wird. Im übrigen tut die französische Mandatsverwaltung jetzt gerade das, was man der deutschen Verwaltung zum Vorwurf gemacht hat; sie untergräbt die Stellung der eingeborenen Häuptlinge dadurch, daß sie sogenannte Chefs de Région eingeführt hat, von denen der französische Mandatsbericht 1922 (S. 59) sagt: "Sie haben nur diejenige Autorität, die ihnen delegiert ist, sie haben keine eigene Autorität: es sind vor allem Verwaltungsorgane." Die in den Propagandaschriften hervorgehobenen Beschwerden der Akwa-Häuptlinge des Duala bewohnenden Küstenstammes beruhten in der Hauptsache darauf, daß im Interesse der Sanierung der wichtigsten Hafenstadt eine teilweise Enteignung und Verpflanzung der Leute stattfinden sollte. Diese Beschwerden haben dadurch ein weit über ihre Bedeutung hinausgehendes Aufsehen erregt, da sie in einer Reichstagsdrucksache dem Reichstag und damit der weiten Öffentlichkeit vorgelegt und zu einem wichtigen Bestandteil der Kolonialskandale gemacht wurden. Ein großer Teil ihres Inhalts wurde in den Untersuchungen als unzutreffend festgestellt; soweit die Beschwerden begründet waren, wurde Abhilfe geschaffen. Was die Südsee anbetrifft, so brauchen über das gute Verhältnis der samoanischen Häuptlinge zur deutschen Regierung keine Worte verloren zu werden, das noch nach dem Kriege aus der Eingabe der ersteren an den König von England um Befreiung von der Neuseeländischen Mandatsherrschaft hervorging (s. unten). In Deutsch-Neu-Guinea, wo es bei der unter den Eingeborenen herrschenden Anarchie überhaupt noch keine anerkannten Häuptlinge gab, haben wir erst solche eingesetzt und damit erfolgreich die Eingeborenen selbst zur Schaffung geordneter Zustände herangezogen. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, daß die gegen die kolonialen Verwaltungsmethoden Deutschlands erhobenen Anschuldigungen, im ganzen betrachtet, vollkommen unbegründet sind. Nicht das Gleiche läßt sich sagen, wenn von Einzelfällen die Rede ist. Zwar ist sehr viel von dem, was das Handbuch und die sonstigen Schriften darüber enthalten, unrichtig, viel war schon zu der Zeit, zu der diese Schriften verfaßt wurden, als unwahr und erfunden festgestellt worden, aber es bleiben doch Fälle übrig, in denen von Einzelpersonen Übeltaten gegenüber Eingeborenen begangen sind. Es handelt sich um eine der Nachtseiten der Menschennatur, welche auch fortgeschrittene Kultur nicht hat beseitigen können. Mit Bedauern und Empörung nur kann man auf solche Fälle blicken, in welchen Angehörige von Kulturnationen sich durch Missetaten gegen Schwarze herabgewürdigt haben. Solche Fälle sind in den Kolonien aller Nationen vorgekommen, in den deutschen Schutzgebieten erheblich [67] seltener, als in denen anderer Nationen, wenn man den belgischen und französischen Kongo mit einrechnet. Was die deutschen Fälle von den gleichartigen Vorgängen in fremden Kolonien unterscheidet, ist die außerordentliche Propaganda, welche in Deutschland selbst von den Abgeordneten und der Presse einiger großer Parteien dagegen betrieben wurde. Um derartige leidenschaftliche Angriffe gegen koloniale Persönlichkeiten im Parlament zu finden, wie sie im Deutschen Reichstag gegen Karl Peters erfolgt sind, muß man in der englischen Kolonialgeschichte schon auf die Zeiten von Clive und Warren Hastings zurückgehen. Eine Aera der "Kolonialskandale" noch im 20. Jahrhundert war der jungen deutschen Kolonisation allein vorbehalten. Es ist keine angenehme Aufgabe, jetzt nach fast 20 Jahren die längst verschollenen Kolonialskandale noch einmal aufzurühren. Ich glaube mich aber dem nicht entziehen zu dürfen. Diese Beschuldigungen sind von unseren Gegnern im Weltkriege in einseitigster, skrupellosester Weise unter Fälschung der Wahrheit durch Weglassung aller erfolgten einwandfreien Feststellungen dazu benutzt worden, um der Teilung der kolonialen Kriegsbeute einen moralischen Mantel umzuhängen. Ich halte mich für geeignet, darüber zu schreiben, denn ich war selbst zur Blütezeit der Kolonialskandale Chef der Personalabteilung im Reichskolonialamt, war an den Maßnahmen zur Untersuchung und Verfolgung der Beschuldigungen mit beteiligt, habe die darüber entstandenen Akten studiert und selbst die Denkschrift entworfen, welche beim Abschluß der Untersuchungen dem Reichstag vorgelegt wurde. Bei den Kolonialskandalen handelte es sich um eine Anzahl von Beschuldigungen gegen einzelne Beamte und Offiziere, welche zum Teil neueren Datums waren, zum Teil aber bis in die Anfänge deutscher Kolonisation zurückgingen. Ein großer Teil dieser Fälle war bereits früher durch gerichtliches oder Verwaltungsverfahren zum Abschluß gebracht worden. In anderen Fällen handelte es sich um eingeleitete oder noch nicht beendete Untersuchungen, wiederum in anderen Fällen waren neue Anschuldigungen erhoben worden, in denen Untersuchungen eingeleitet werden mußten. Zur völligen Aufklärung dieser Kolonialskandale, welche in Deutschland außerordentliches Aufsehen erregten, wurde, nachdem der Staatssekretär Dernburg 1906 an die Spitze der Kolonialverwaltung berufen war, eine Kommission von drei erprobten preußischen Richtern einberufen, von denen zwei dem Kammergericht, dem höchsten preußischen Gericht, und einer einem preußischen Landgericht angehörten. Es waren dies Beamte von gesetzlich garantierter Unabhängigkeit, die zudem in keinem Unterordnungsverhältnis irgendwelcher Art zur Reichs- oder Kolonialverwaltung standen. Die drei [68] Beamten haben in vollständiger Unabhängigkeit und Freiheit in monatelanger Arbeit die gesamten Kolonialskandale eingehendster Prüfung unterzogen. Der Staatssekretär Dernburg (damals noch stellvertretender Kolonialdirektor) hatte angeordnet, daß sie ohne jede Beschränkung in alle Akten des Kolonialamts einschließlich der aus irgendwelchen Gründen als geheim bezeichneten Akten Einsicht nehmen konnten. Ich habe persönlich darüber gewacht, daß den Herren alles offen stand und daß ihnen nichts verheimlicht wurde. Ich bin Zeuge der genauen, tiefschürfenden Arbeit dieser richterlichen Kommission gewesen, welche keine Mühe und Arbeit scheute, um die reine Wahrheit zu erforschen. Ich drucke nachstehend eine Erklärung ab, welche die richterliche Kommission selbst über ihre Tätigkeit abgegeben hat:
"Die der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts von dem Herrn Justizminister zur Verfügung gestellte Untersuchungskommission gibt gegenüber verschiedentlich in der Presse aufgetauchten Angriffen auf ihre Tätigkeit folgende amtliche Erklärung ab: Diese Kommission hat nach eingehendster Durcharbeitung, soweit erforderlich Ergänzung des vorhandenen Materials, über jeden einzelnen Fall ihr Urteil abgegeben. Das Ergebnis dieser richterlichen [69] Prüfung ist dann dem Reichstag in einer Denkschrift vom 15. April 1907 (Reichstagsdrucksache Nr. 288) vorgelegt worden. Bei Erörterung der Denkschrift in der Budget-Kommission des Reichstags waren sämtliche dazugehörigen Akten der Kolonialverwaltung zur Stelle. Der Staatssekretär für die Kolonien erklärte sich bereit, an deren Hand etwa weitere von Reichstagsabgeordneten gewünschte Auskünfte persönlich oder durch seine Kommissare zu erteilen. Der Reichstag hat keine weiteren Debatten darüber geführt und damit diese richterlichen Feststellungen als angemessenen Abschluß der Skandale erachtet. Diese Vorgänge sind in den Handbüchern, welche der Delegation in Paris zur Information dienten, ebenso wie in den gegen die deutsche Kolonisation gerichteten Propagandaschriften und Äußerungen völlig verschwiegen worden. In ihnen allen sind die Kolonialskandale so, wie sie von Abgeordneten vor den Untersuchungen vorgebracht wurden, benutzt worden, als ob es sich durchweg um festgestellte Tatsachen, um überwiesene Verbrecher und um erwiesene Greueltaten handle. Tatsächlich war dies keineswegs der Fall. In einer ganzen Anzahl von Fällen lautete das Urteil der richterlichen Kommission: "Die Ermittelungen haben nichts Belastendes ergeben" oder "Ein Anlaß zu strafrechtlichem oder disziplinarem Vorgehen gegen den Beschuldigten hat sich nicht ergeben". Das heißt, aus der amtlichen Sprache übersetzt, daß kein Beweis dafür geliefert wurde, daß die Betreffenden sich irgendwelcher Missetaten schuldig gemacht haben. In Wirklichkeit liegt die Sache so, daß in einer Reihe von Fällen nicht nur unter juristischen Gesichtspunkten völlige Entlastung erfolgt ist, sondern auch unter moralischen. Verschiedene Beamte und Offiziere, welche damals zu Unrecht beschuldigt worden sind, waren noch lange Jahre nachher in ehrenvollen Stellungen tätig. In einer Anzahl von anderen Fällen mußte die Kommission feststellen, daß die Betreffenden sich Verfehlungen schuldig gemacht hatten. Fast in allen diesen Fällen hatte bereits früher ein richterliches oder amtliches Verfahren zur Sühnung der Tat stattgefunden. Soweit schwere Mißhandlungen oder Grausamkeiten vorgekommen waren, handelte es sich fast durchweg um geistig abnorme, in ihrem Nervensystem belastete Personen. Äußerstes Bedauern aller normaldenkenden und empfindenden Menschen müssen solche Fälle erregen. Aber pharisäische Heuchelei würde es sein, wenn andere Nationen deswegen Steine auf uns werfen würden. Denn die Kolonialgeschichte keiner Nation ist frei von solchen Übeltaten. Auch gegenwärtig kommen in den Kolonien Fälle vor, ähnlich denen, welche den Gegenstand der deutschen Kolonialskandale gebildet haben. Aus französischen Kolonien werden auch in neuester Zeit Morde und [70] Greueltaten berichtet.10 In der britischen Kolonie Kenya wurde im Juni 1923 ein schwarzer Arbeiter von einem weißen Ansiedler zu Tode geprügelt. Der Ansiedler wurde nur wegen gefährlicher Körperverletzung zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt.11 Ebenfalls im Juni 1923 kam in Rhodesien ein Fall vor, in dem ein Eingeborener infolge Durchpeitschens starb. Solche Fälle werden immer vorkommen, solange es brutale oder perverse Menschen gibt. Auch die wohlmeinendste Kolonialverwaltung vermag ihre schwarzen Schutzbefohlenen nicht völlig dagegen zu schützen. Das einzige, was sie tun kann, ist, solche Vergehen unnachsichtig zu verfolgen und für Ausmerzung übler Elemente zu sorgen. Daß die deutsche Kolonialverwaltung dies getan hat, in besonders starkem Maße in den letzten, dem Kriege vorhergehenden Jahren, wird niemand bestreiten können, der die wirklichen Vorgänge kennt. Es bedarf noch des Eingehens auf die Beschuldigungen, die sich auf die angebliche Einschränkung der Freiheit von Eingeborenen in den deutschen Kolonien beziehen. Es wird so hingestellt, als ob im Gegensatz zu anderen Kolonien bei uns noch die Sklaverei innerhalb der Eingeborenenbevölkerung aufrechterhalten sei und als ob wir selbst eine Art Zwangsarbeit eingeführt hätten, die sklavereiähnliche Verhältnisse geschaffen habe. Die erste der beiden Beschuldigungen betreffend die Sklaverei kann mit wenigen Feststellungen erledigt werden. In den deutschen Kolonien in Ost- wie in Westafrika waren, als wir diese Länder erwarben, Sklavenraub und Sklavenhandel üblich. Beides ist allenthalben in wenigen Jahren unter Aufwendung größter Energie und zum Teil unter harten Kämpfen gegen die bisherigen Sklavenhändler (insbesondere in Deutsch-Ostafrika durch Niederwerfung des Araberaufstandes) abgeschafft worden. Nicht mit Gewalt beseitigt wurden dagegen die in einigen Kolonien noch vorhandenen milden Formen der Hörigkeit (bei uns mit einem wenig glücklichen Namen Haussklaverei benannt), um zu plötzliche Umwälzungen und Schädigungen der Eingeborenenbevölkerung zu vermeiden, einschließlich der alten und erwerbsunfähigen Haussklaven, für welche nach den überall herrschenden Bräuchen die Herren zu sorgen hatten. Es wurden jedoch Bestimmungen erlassen, welche ein allmähliches Aufhören der Haussklaverei herbeiführen mußten. So wurden alle nach einem bestimmten Datum (in Deutsch-Ostafrika dem 31. Dezember 1905) geborenen Kinder von Haussklaven gesetzlich als frei erklärt und die [71] Befreiung durch Loskauf durch den Hörigen selbst oder Freilassung durch die Behörde außerordentlich erleichtert. Ein neues Hörigkeitsverhältnis konnte auf keine Weise in den deutschen Kolonien entstehen. Die Haussklaverei war allenthalben zum Absterben verurteilt. Trotzdem hatte der Deutsche Reichstag 1912 eine Resolution beschlossen, daß die Haussklaverei in Deutsch-Ostafrika am 1. Januar 1920 restlos aufgehoben werden sollte. Wenngleich in der Kolonie selbst das Weitergehen des bisherigen Weges vorgezogen worden wäre, bei dem die Zahl der Hörigen von Jahr zu Jahr beträchtlich abnahm und bereits für 1930 mit einem fast völligen Aufhören der Haussklaverei gerechnet wurde, hatte die Kolonialverwaltung doch die völlige rechtliche Beseitigung der Hörigkeit für 1920 in Aussicht genommen; dabei waren Maßregeln vorgesehen, um eine Schädigung der von der Neuregelung betroffenen Eingeborenen, Herren und Hörigen, nach Möglichkeit zu vermeiden. Ohne den Ausbruch des Weltkrieges wären daher die Reste der Haussklaverei in Deutsch-Ostafrika bereits seit Jahren beseitigt gewesen. Es ist angesichts dieser Sachlage eine Irreführung, wenn von englischer Seite die im Vorjahr für das Tanganyika Territory (den unter englisches Mandat gekommenen Teil von Deutsch-Ostafrika) erlassene Verordnung, nach der niemand eine andere Person gegen deren Willen als Sklaven im Dienst halten darf, als eine Befreiungstat hingestellt worden ist, welche die deutsche Verwaltung niemals zu ergreifen gewagt hätte. Im übrigen hat diese Verordnung der englischen Mandatsverwaltung, wie der Bericht des Vertreters der Internationalen Arbeitskommission, Mr. Grimshaw, an die Permanente Mandatskommission des Völkerbundes betreffend Arbeit und Sklaverei in den Mandatsgebieten mit Recht hervorhebt, einen mehr negativen als positiven Charakter, indem sie das Bestehen einer freiwilligen Haussklaverei zuläßt.12 Was die anderen deutschen Kolonien anbetrifft, so gewinnt man aus dem erwähnten Bericht nicht den Eindruck, als ob irgend etwas Wesentliches in bezug auf die in jenen Gebieten noch vorhandenen Reste der Haussklaverei geändert sei. Bemerkenswert sind die Feststellungen des auf der Grundlage der sämtlichen Mandatsberichte erstatteten Berichts, daß der Zustand der Haussklaverei nicht notwendig eine schlechtere Behandlung mit sich bringt, als der Zustand der Freiheit unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnissen bedeuten würde, und daß unter den Haussklaven selbst kein allgemeines Verlangen nach Emanzipation vorhanden sei. Der französische Mandatsbericht für Kamerun 1924 betont auf S. 6 [72] ausdrücklich, daß die Haussklaven der Hilfe der Regierung nicht bedürfen. Bei dieser Sachlage kann der deutschen Kolonialverwaltung ganz gewiß kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie die Abschaffung der Reste dieser milden Hörigkeit nur allmählich und unter Schonung der Sitten und der Wirtschaft der Eingeborenen betrieb. In verschiedenen fremden Kolonialgebieten bestehen übrigens ähnliche Verhältnisse, und es ist betreffend allmählicher Beseitigung ähnlich verfahren worden wie bei uns. Jene englischen Kritiker, welche nachzuweisen versuchen, daß Deutschland in seinen Kolonien die Sklaverei aufrechterhielt, sollten sich des Sprichworts erinnern: "Wer in einem Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen." Indem ich meine eigene Regierung gegen ungerechte Angriffe verteidigt habe, muß ich auch ebenso anerkennen, daß die englische Regierung nicht immer sofort all das in solchen Sachen tun kann, was sie tun möchte. Lange nachdem Deutschland seinen ersten Kreuzzug gegen die Sklaverei in Ostafrika begonnen hatte, wurde die Praxis in einem englischen Gebiet in jenem Teil des Kontinents fortgesetzt. Sir Charles Eliot schrieb 1895 in seinem Buch: The East African Protectorate (von welchem Gebiet er der Administrator war):
"Die Lage unserer ostafrikanischen Besitzungen hinsichtlich der Sklaverei ist etwas eigenartig. Sie sind gegründet zur Unterdrückung der Sklaverei.... Indessen infolge einer seltsamen Verkettung von Umständen wird das ostafrikanische Protektorat heftig und nicht ganz ungerecht kritisiert wegen Aufrechterhaltung und Duldung der Sklaverei in der Gegenwart. Die Tatsachen sind, daß infolge der Versprechungen, welche wir den Arabern machten, als wir die Küste übernahmen, die Sklaverei als gesetzlich innerhalb des Herrschaftsgebietes des Sultans von Sansibar anerkannt ist, das ist in einem 10 Meilen breiten Streifen längs der Küste... der Gegensatz ist sicherlich unglücklich und illustriert das, was Fremde unsere Heuchelei nennen" (S. 233/34). Ich wende selbst nicht das harte Wort an, das ich eben angeführt habe, sondern erinnere lediglich den Leser daran, daß die besten Regierungen nicht immer die vorhandenen Umstände einfach beiseite schieben können, sondern daß sie bisweilen Übel länger zu dulden haben, als sie wünschen, um nicht noch schlimmere Übel durch unterschiedlose und plötzliche Aktionen herbeizuführen. Es ist ebenso gerechtfertigt, unsere Kritiker daran zu erinnern, daß selbst noch 1920 gestattet war, Sklaven innerhalb der Gebäude der englischen Gesandtschaft in Adis Abeba, der Hauptstadt von Abessinien, wieder gefangen zu nehmen und in die Sklaverei zurückzuführen, und daß das britische Auswärtige Amt keinen Protest erhob, bis ein öffentlicher [73] Skandal entstand. Ich führe aus den Berichten englischer Augenzeugen folgendes an:
"Abessinien ist die letzte Heimstätte offener Sklaverei. In seiner Hauptstadt Adis Abeba sind mehr Sklaven als Freie. Die britische Gesandtschaft selbst ist voll von Sklaven, deren Eigentümer die Diener der Gesandtschaft sind, welche keinen Dienst übernehmen würden, wenn ihnen nicht gestattet werden würde, ihre Sklaven mitzubringen. Der Bereich der Gesandtschaft ist britischer Boden, aber nicht nur werden Sklaven, die ihn betreten, nicht sofort frei, sondern wenn sie ihren Herren entlaufen sind, dann können diese ohne Hinderung eintreten, um sie wieder zu fangen, und tun dies auch tatsächlich. Das ist eine genügend seltsame Tatsache, aber eine noch seltsamere ist, daß eine große Zahl dieser Sklaven britische Untertanen sind, die durch Sklavenjagden auf britischem Gebiet gefangen genommen worden sind." Diese Berichterstatter fahren fort wie folgt:
"Kolonnen von Sklaven, die in Elend marschieren, die Männer in Reihen zusammengekettet und die Frauen und Kinder neben der Hauptkolonne sich mitschleppend, können heutzutage von jedem Reisenden in Südabessinien beobachtet werden. Einige von diesen Sklaven sind auf abessinischem Gebiet gefangen, andere in Britisch-Ostafrika oder andere wieder im englisch-ägyptischen Sudan." Einer der Verfasser dieser Aufsätze hat mit seinen eigenen Augen einen Transport von 10 000 Sklaven gesehen, welche nach dem großen Sklavenmarkt Jimma marschierten; und im Verlauf eines einzigen Tagesmarsches längs dem Pfade hat er mehr als 50 Tote und Sterbende gezählt, welche aus den Reihen der Gefangenen an der Straßenseite niedergefallen waren...
"Diese Dinge haben wir gesehen, und wir haben auch Hunderte von Quadratmeilen umfassende Gebiete gesehen, die durch die abessinischen Sklavenjagden vollkommen entvölkert waren. Die meisten dieser Gebiete liegen innerhalb der Grenzen des abessinischen Reiches, aber ein Teil davon liegt innerhalb des Britischen Reiches. Die Tatsachen sind dem englischen Auswärtigen Amt nicht unbekannt."13 Ich will hoffen, daß die hier erwähnten Übel inzwischen beseitigt sind, obwohl ich keine dahingehende Information habe erhalten können. Der wesentliche Punkt jedoch ist der, daß, während die Wegnahme der deutschen Kolonie durch das entschuldigt ist, was vor vielen Jahren sich ereignet hat, die vorerzählten Vorfälle und Zustände sich auf gestern beziehen. Ebenso dürfte hier auch der Skandal des Verkaufs von Mädchen in Hongkong zu erwähnen sein, [74] welcher im Februar 1922 zu einer Protestkonferenz in London führte. Es wurde seitens der englischen Antisklavereigesellschaft konstatiert, daß man die Zahl der in jenem britischen Gebiet in Sklaverei gehaltenen Mädchen auf nicht weniger als 50 000 schätzte. Was den angeblichen Arbeitszwang in den deutschen Kolonien anbetrifft, so ist die bedeutungsvollste Veröffentlichung darüber der während des Krieges abgefaßte "offene Brief" des Bischofs Frank Weston von der englischen Universitäten-Mission Sansibar und Ostafrika an General Smuts, der auch der vorerwähnten Lewinschen Schmähschrift als Anlage beigefügt ist. In der englischen Ausgabe trägt diese Schrift die Überschrift "The black slaves of Prussia" (Die schwarzen Sklaven Preußens), in der deutschen Ausgabe "Das Martyrium der Eingeborenen". Wie diese Veröffentlichung zustandegekommen ist, darüber hat der Bischof Frank Weston die Welt selbst unterrichtet in seiner 1919 erschienenen Schrift "The serfs of Great Britain. Being a sequel to 'The black slaves of Prussia'" (Die Hörigen Groß-Britanniens, Fortsetzung von "Die schwarzen Sklaven Preußens"): Er sagt darin:
"Als ich meinen offenen Brief an General Smuts schrieb, nannte ich es Großbritanniens Fetzen Papier: Werden wir ihn einlösen? Ich spielte damit auf sein (Großbritanniens) Versprechen der Gerechtigkeit gegen schwächere Völker an. Die britische Regierung nahm meinen Brief, strich einige ihr nicht zusagende Stellen aus und veröffentlichte ihn unter dem Titel 'Die schwarzen Sklaven Preußens'. Ich meine, die Ostafrikaner sind jetzt 'die schwarzen Hörigen Großbritanniens' geworden." Der Leser wird auf die gesperrt gedruckten Worte aufmerksam gemacht. Sie bieten eine nicht gerade sehr erfreuliche Illustration der Art und Weise, in welcher die üble Propaganda gegen Deutschland ins Werk gesetzt wurde. Der offene Brief enthielt den Vorwurf der Zwangsarbeit gegen die deutsch-ostafrikanische Regierung. Die zweite Schrift des Bischofs Frank Weston enthält den gleichen Vorwurf gegen die britische Regierung. Beide Schriften zeigen, daß der Bischof der Universitäten-Mission aus christlichen und humanen Gesichtspunkten das von Engländern wie Deutschen den ostafrikanischen Eingeborenen gegenüber in der Arbeitsfrage befolgte System mißbilligt. Er wendet sich in der letzteren mit der gleichen Energie gegen die 1919 für Sansibar und Britisch-Ostafrika erlassenen Verordnungen, durch welche Arbeitszwang für öffentliche Arbeiten und Förderung der Arbeit auf privaten Pflanzungen durch Ermunterung der Eingeborenen dazu angeordnet ist, wie in der ersten Schrift gegen den nach seiner Auffassung in Deutsch-Ostafrika vorhandenen Arbeitszwang. Er sagt: "Großbritannien macht mit seinen Afrikanern, was Lenin und Trotzki, [75] wie es heißt, mit den Russen tun; es ordnet eine Zwangsaushebung von Personen zur Arbeit an und stellt die Hilfsmittel der Regierung zur Verfügung einer kleinen Zahl von europäischen Ansiedlern." Es handelt sich hiernach um eine Angelegenheit der Weltanschauung. Der englische Bischof verwirft grundsätzlich jede Zwangsarbeit von Eingeborenen, während die Verwaltungen wohl aller kolonialen Nationen einen Arbeitszwang für die Durchführung öffentlicher Arbeiten kennen und im übrigen die Anleitung der Eingeborenen zu nützlichen Arbeiten begünstigen. In den deutschen Kolonien sind in dieser Beziehung ähnliche Grundsätze befolgt worden, wie sie seinerzeit der englische Kolonialsekretär Joseph Chamberlain wiederholt im Unterhaus ausgesprochen hat. Unter anderm sagte er am 6. August 1901:
"Ich glaube, daß es für den Eingeborenen nützlich ist, fleißig zu sein, und mit aller unserer Macht müssen wir ihn arbeiten lehren... Es hat nie ein Volk in der Weltgeschichte gegeben, das nicht gearbeitet hätte. Im Interesse der Eingeborenen in ganz Afrika müssen wir sie arbeiten lehren." Ferner sagte er am 24. März 1903:
"Ich bleibe dabei, zu glauben, daß unter allen Umständen der Fortschritt des Eingeborenen in der Zivilisation nur dann gesichert ist, wenn er von der Notwendigkeit und Würde der Arbeit überzeugt ist; deshalb meine ich, daß alles, was wir vernünftigerweise tun können, um den Eingeborenen zur Arbeit anzuhalten, erwünscht ist." Soweit die gegen Deutsch-Ostafrika gerichtete Schrift des Bischofs Frank Weston die Beschuldigung eines Arbeitszwanges für private Arbeiten sowie sonstige Vorwürfe gegen die deutschen Verwaltungsmethoden erhebt, sind sie von meinem Vorgänger in Deutsch-Ostafrika, Freiherrn von Rechenberg, in der Schrift Die deutsche Kolonialpolitik vor dem Gerichtshof der Welt 1918, S. 36 f., eingehend widerlegt worden. Jeder Mensch in Ostafrika weiß, daß gerade Herr von Rechenberg, den der Bischof Weston selbst in seiner Schrift "einen der besten und humansten Funktionäre" nennt, in seiner sechsjährigen Amtszeit in Deutsch-Ostafrika von 1906 bis 1912 der schärfste Gegner eines jeden derartigen Arbeitszwangs war. Auch der Staatssekretär für die Kolonien verhielt sich gegen die von manchen Seiten im Reichstag und außerhalb erhobenen Forderungen auf Einführung eines Arbeitszwanges für Plantagenarbeit der Eingeborenen durchaus ablehnend. So wurden im Gegensatz zu derartigen Wünschen Anordnungen zum Schutz der Eingeborenen gegen Arbeitszwang erlassen und aufrechterhalten. Das schloß nicht aus, daß die Eingeborenen zu nützlichen Arbeiten angeleitet und darin unterrichtet wurden. Wie englische Ansiedler, die sich gegenwärtig unter der Mandatsverwaltung in Deutsch-Ostafrika befinden, die deutsche Tätigkeit in dieser Beziehung unter Gegenüberstellung zur englischen Mandats- [76] verwaltung beurteilen, ergibt sich aus einem Artikel der Dar-es-Salam Times vom 4. März 1922, in dem es heißt:
"Diese Zeitung hat bereits zum Überdruß ausgeführt, daß man von dem Eingeborenen nicht erwarten kann, daß er das Land von allein entwickelt. Er bedarf europäischer Führung und Mitwirkung. Man ist gezwungen, zu sagen, daß er am glücklichsten war, als die Deutschen mit landwirtschaftlichen Unternehmungen und landwirtschaftlicher Entwicklung vorgingen und ihn mit Arbeit, Geld und Nahrung versahen und zur gleichen Zeit diejenigen, welche darin interessiert waren, in moderneren Methoden der Landwirtschaft unterrichteten, als sie bisher gekannt hatten." Die verschiedenen Formen der Zwangsarbeit sollen nach der Note zum Versailler "Frieden" - ob allein oder im Zusammenhang mit den früher aufgeführten grausamen Unterdrückungen und willkürlichen Requisitionen ist nicht ganz klar - "weite Strecken in Ostafrika (und Kamerun, auf das weiter unten noch eingegangen wird) entvölkert haben." Als Hauptzeuge dafür ist in allen darauf bezüglichen Schriften der holländische Pater van der Burgt angeführt, welcher im Innern Afrikas seinen Sitz hatte und sich darüber beklagt hatte, daß von den für die Plantagen angeworbenen Arbeitern nicht der dritte Teil zurückkehre. Die Klage war an sich begründet. Die Ursache lag aber nicht in der Entvölkerung Deutsch-Ostafrikas durch Aussterben der Eingeborenen, sondern in der Entwicklung der Verkehrs- und Pflanzungsverhältnisse. Viele Eingeborene zogen es vor, in den entwickelten Gegenden in der Nähe der Eisenbahn oder größerer Plätze zu leben, als in ihre entlegenen, nur durch wochenlange Märsche erreichbaren ursprünglichen Wohnsitze zurückzukehren. Pater van der Burgt hat selbst am 11. November 1918 in einem Interview14 den Irrtum widerlegt, der durch ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Sätze über seine Anschauungen hervorgerufen ist. Er hat sein Urteil dahin zusammengefaßt: "Die deutsche Kolonialtätigkeit war in Deutsch-Ostafrika der größte Segen für Land und Leute." Die Behauptung von moderner Sklaverei und Arbeitszwang hat er glattweg als Schwindel erklärt. Diese Richtigstellung des Paters Burgt ist, soweit ich sehen kann, in keiner der die Wegnahme deutscher Kolonien rechtfertigenden Schriften erwähnt worden. Im übrigen liegt gar kein Anhalt dafür vor, daß unter der deutschen Verwaltung überhaupt eine Verminderung der eingeborenen Bevölkerung in Deutsch-Ostafrika stattgefunden hat. Ich persönlich halte dies auf Grund meiner auf Reisen nahezu in allen Teilen der Kolonie gestützten Kenntnis der Eingeborenenbevölkerung für durchaus [77] unwahrscheinlich. Die Schwarzen Ostafrikas sind in den meisten Gegenden eine kräftige, virile Rasse. Die Anlässe, die früher zu Massensterben führten, waren unter unserer Herrschaft überwiegend beseitigt. Die beständigen Kämpfe der Stämme untereinander hatten aufgehört; die Seuchen, welche früher die meisten Opfer forderten, u. a. die Pocken, waren erfolgreich bekämpft; bei Hungersnöten hatte die Verwaltung hilfreich eingegriffen. Für die Arbeiter war in steigendem Maße durch vorzügliche sanitäre Einrichtungen, Krankenhäuser, deutsche Ärzte und Lazarettgehilfen gesorgt. Die Wahrscheinlichkeit spricht im Gegenteil dafür, daß die Eingeborenenbevölkerung in den Jahren vor dem Kriege zugenommen hat. Ein positiver Beweis dafür läßt sich allerdings nicht erbringen, da die Zählungen noch nicht genau genug durchgeführt wurden. Erst durch die Hineintragung des Krieges nach Deutsch-Ostafrika hat die Eingeborenenbevölkerung leider sehr starke Verluste erlitten, direkte durch Kämpfe und Strapazen, indirekte und wahrscheinlich weit größere durch die erzwungene Einstellung der deutschen Seuchenbekämpfung und sanitären Fürsorge und die dadurch verursachte Wiederausbreitung der bis dahin zurückgedämmten Seuchen.
Auch für Kamerun ist der Vorwurf der Entvölkerung durch Zwangsarbeit erhoben worden. Er ist gleichfalls unbegründet. Zwangsarbeit war in Kamerun, ebenso wie in den übrigen Kolonien, nur für öffentliche Arbeiten zugelassen. Im übrigen handelte es sich um freiwillige Arbeiten, zu denen die Eingeborenen durch private Anwerber angeworben wurden. In den Propagandaschriften wird die hohe Zahl von Todesfällen auf manchen Pflanzungen angeführt. Es ist richtig, daß die Sterbeziffer eingeborener Arbeiter zeitweise bedauerlich hoch gewesen ist. Das erklärt sich daraus, daß in den ungesunden Kameruner Küstengebieten, in welchen die Pflanzungen größtenteils liegen, wiederholt Epidemien aufgetreten sind, ganz besonders aber aus der Verwendung von Schwarzen aus dem Innern, aus höher gelegenen gesünderen Gebieten, welche den Fiebern der Tiefengebiete leicht zum Opfer fallen. Ähnliche Erfahrungen hat man in anderen, nicht nur in deutschen Kolonialgebieten, bei der Verwendung von Eingeborenen aus höher gelegenen Landesteilen in klimatisch ungünstigeren Plantagengebieten gemacht.15 Hervorzuheben ist, daß auf dem Gebiete der gesundheitlichen Fürsorge [78] für die eingeborenen Arbeiter gerade in Kamerun ganz außerordentliche Anstrengungen gemacht worden sind. Es waren dort reichliche Krankenhäuser und Ärzte vorhanden; auch waren zum gesundheitlichen Schutz der Arbeiter Bestimmungen erlassen, nach denen größere europäische Pflanzungen nach der Zahl ihrer Arbeiter ausreichende Einrichtungen mit vorgebildetem Sanitätspersonal unterhalten mußten. Die anscheinende Entvölkerung von Distrikten in Kamerun hatte eine andere Ursache als die Plantagenarbeit. Es war die Ausbeutung der in einem Teil der Kolonie vorhandenen wilden Kautschukbestände, welche zu einer übermäßigen Inanspruchnahme der an den betreffenden Karawanenstraßen wohnenden Eingeborenen für Trägerdienste und für die Verpflegung der durchziehenden Karawanen führte und ihr Familienleben zu zerstören drohte. Das hatte zur Folge, daß die Eingeborenen sich diesen fortwährenden Belästigungen für und durch die durchziehenden Karawanen durch Abzug aus der Nähe jener Straßen zu entziehen suchten. Daher drohten in der Tat manche Gegenden zu veröden, nicht etwa infolge Aussterbens, sondern infolge Abzugs der Bevölkerung. Gegen diese aus dem Kautschukhandel sich ergebenden Mißstände hat die deutsche Kolonialverwaltung entschieden Stellung genommen und Maßnahmen getroffen, welche die wirtschaftliche Existenz und das Familienleben der Eingeborenen auf sicherere Grundlage zu stellen geeignet waren, als es jene übrigens mit allmählicher Erschöpfung der wilden Kautschukbestände ohnehin abnehmende Kautschukausbeutung zu gewähren vermochte. Richtig ist, daß jene Kautschukausbeutung mit ihren Begleiterscheinungen des gewaltig angewachsenen Träger- und Karawanenwesens für einen Teil der Eingeborenenbevölkerung zeitweise eine starke Belastung mit sich brachte. Aber die Verwaltung hat doch alles getan, was in ihren Kräften stand, um diese Zustände zu mildern und den Eingeborenen eine andere Lebensgrundlage zu schaffen. Ein Vergleich Kameruns mit anderen westafrikanischen Gebieten wilden Kautschukvorkommens fällt durchweg zugunsten der deutschen Kolonie aus. Hat man jemals in dieser von "red rubber" gehört, von zwangsweiser Beitreibung von Kautschuk von den Eingeborenen mit blutiger Gewalttat? Sind jemals in Kamerun Schwarze ermordet oder verstümmelt worden, wie im belgischen und französischen Kongo, weil sie gewinnsüchtigen Gesellschaften nicht genügend Kautschuk ablieferten? Ist die deutsche Kolonie zu irgendwelcher Zeit der Schauplatz von Kongo-Greueln gewesen, wie sie in den nahen französischen und belgischen Kongogebieten jahrelang verübt wurden?
Auch von der angeblichen Entvölkerung Kameruns gilt Ähnliches, wie von der Deutsch-Ostafrikas gesagt ist. Es haben Ver- [79] schiebungen innerhalb der Eingeborenenbevölkerung stattgefunden. Eine allgemeine Abnahme der Bevölkerungszahl ist aber weder nachgewiesen noch wahrscheinlich. Ein sicheres Urteil darüber ermöglichen die bisher vorliegenden Zahlungen und Schätzungen nicht. Nach den Feststellungen des letzten Gouverneurs von Kamerun Ebermaier bei seinen vielfachen Reisen in der Kolonie ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die Eingeborenenzahl Kameruns unmittelbar vor dem Kriege erheblich höher war, als man in den früheren amtlichen Berichten angenommen hat. Auch in Kamerun sind für die Eingeborenenbevölkerung schwere Nachteile mit dem Hineintragen des Krieges und mit dem Wegfall der deutschen Seuchenbekämpfungen entstanden, an deren Stelle die Mandatare bisher nichts Gleichwertiges gesetzt haben. Was die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse in den deutschen Kolonien unter der Mandatsverwaltung anbetrifft, so ist festzustellen, daß die Zwangsarbeit für öffentliche Arbeiten überall beibehalten worden ist. Die Lage der unter französisches Mandat gestellten Kameruner Eingeborenen hat auch abgesehen von der oben erwähnten militärischen Zwangsdienstpflicht dadurch eine wesentliche Verschlechterung erfahren, daß nach dem französischen amtlichen Bericht16 für 1921 die Anwerbung von Arbeitern für Unternehmungen außerhalb des Territoriums mit Genehmigung der Chefs der letzteren zugelassen ist. Damit ist die Verwendung von Eingeborenen aus Kamerun in den ungesunden, sanitär vernachlässigten Gebieten der französischen Konzessionsgesellschaften im Bereich des Kongo und Ubangi ermöglicht. Auch ostafrikanische Eingeborene werden im englischen Nachbargebiet als Arbeiter verwandt.
2Foreign Affairs, August 1923, S. 32. ...zurück... 3E. D. Morel, Red Rubber, Great Britain and the Congo u. a. ...zurück... 4Vgl. Landeszeitung für Südwestafrika vom 25. u. 27. 8. 23 sowie Hamburger Nachrichten vom 4. 11. 1923. ...zurück... 5Jahrgang 1906, S. 2298. ...zurück... 6West Africa vom 26. 2. 21. ...zurück... 7Dépêche Coloniale et Maritime vom 23./24. 12. 1922. ...zurück... 8Zitiert nach Staatssekretär Dr. Solf, Germany's right to recover her colonies, 1919. S. 31 - 32. ...zurück... 9Report on Tanganyika Territory, covering the period from the conclusion of the armistice to the end of 1920. Parlamentsdrucksache, S. 31 ff. - Report on the Tanganyika Territory for the year 1921. Parlamentsdrucksache Juli 1922, S. 5. ...zurück... 10Vgl. z. B. L'Humanité vom 20. 7. 1922, Le Progrès Civique vom 29. 10. 1921. ...zurück... 11Einen ausführlichen Bericht darüber enthält der Manchester Guardian vom 16. 11. 23, in dem auch der Rhodesienfall und ein weiterer 1920 in Kenya als Folge brutalen Prügelns vorgekommener Todesfall eines Schwarzen erwähnt ist. ...zurück... 12Commission permanente des Mandats. Annexes aux Procès verbaux de la troisième session tenue 20. 7. - 10. 8. 1923, S. 263 f. ...zurück... 13Slave-trading and Slave-owning in Abessinia (abgedruckt aus der Westminster Gazette durch die Antislavery and Aborigines Protection Society (1922). ...zurück... 14Prof. Brinckmann, "Eine Unterredung mit Pater van der Burgt" in der Kolonialen Rundschau 1918. S. 437 f. ...zurück... 15Daß auch unter der gegenwärtigen Mandatherrschaft über die deutschen Kolonien derartige bedauernswerte Folgen sich aus der Verwendung von Eingeborenen als Arbeiter außerhalb ihres Wohnsitzes in Gegenden mit anderen klimatischen Verhältnissen ergeben, läßt der Bericht der Permanenten Mandatkommission des Völkerbundes von 1923 erkennen (Commission permanente des Mandats. Rapport sur les travaux de la troisième session de la commission présenté au Conseil de la Société des Nations du 20 juillet au 10 août 1923. S. 2, Nr. 3.). ...zurück...
16Rapport au Ministre des Colonies
sur l'administration des territoires occupés du Cameroun pendant
l'année 1921. Paris 1922. ...zurück...
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