D. Verschiedene Daten zur
Nachkriegsentwicklung
1. Allgemeines über Polen.
Fläche von 388 000 qkm (4⁄5 des Deutschen Reiches;
1772 751 000 qkm, fast das vierfache des polnischen Sprachgebiets);
von der Gesamtfläche 67 Prozent ehemals russisches,
21 Prozent österreichisches, 12 Prozent deutsches Teilgebiet.
32 Millionen Einwohner, davon
10 - 14 Millionen Minderheiten, von diesen die
Hälfte Ukrainer, Rest Juden, Weißrussen, Deutsche u. a.
Wirtschaftliche Kräfte besonders in den Minderheitengebieten:
Kohlen und Eisen in Oberschlesien; höchstentwickelte Landwirtschaft und
verwandte Industrie (Zucker, Spiritus) in Posen und Westpreußen;
Petroleum in Ostgalizien; Holz in den Ostgebieten. Kohlen hat Polen für ca.
1500 Jahre, England für 200 bis 300 Jahre). Konfession: ca. zwei
Drittel der Bevölkerung Polens römisch-katholisch; je ca.
ein Zehntel griechisch-katholisch, russisch-orthodox und jüdisch; ferner
(namentlich unter den Deutschen) Protestanten.
2. Äußere Entwicklung Polens nach
1922.
1922 Militärvertrag mit Frankreich, 1932
erneuert. - Seit 1925 Zollkrieg mit dem Deutschen
Reich. - Zahlreiche Streitfälle mit Danzig und Minderheitenklagen
vor dem Völkerbund. - 1932
Nichtangriffspakt mit Rußland.
[151] 3. Zur inneren Entwicklung Polens.
Aufbauschwierigkeiten infolge Kriegsschäden (andererseits
positive Leistungen und Hinterlassenschaften der deutschen
Okkupations-Verwaltung) und infolge des verschiedenen
Kultur- und Wirtschaftsniveaus der russischen, österreichischen und
deutschen Teilgebiete. Bis 1926 zwei Inflationen, seit 1926 stabile
Währung (1 Zloty = ca. Rm. 0,47).
Pilsudski ergreift nach mehrtägiger Straßenschlacht in
Warschau 1926 die Macht, um parlamentarischen Sumpf zu beseitigen. Seitdem
effektive Diktatur Pilsudskis und der hinter ihm stehenden (besonders der
militärischen) Kreise unter Wahrung der parlamentarischen Fassade.
Konflikt führt zur Neuwahl 1930, bei der sich die
Pilsudski-Anhänger mit unerhörtem Terror eine Mehrheit
verschaffen: die polnischen Oppositionsparteien werden führerlos gemacht
durch Verhaftung von etwa 100 führenden Abgeordneten und Politikern
und Tausenden von politisch tätigen Bürgern. Die Abgeordneten,
darunter frühere Minister und international bekannte Politiker, werden im
Gefängnis von Brest-Litowsk wochenlang schlimmer als
verurteilte Mörder gehalten, zum Teil bestialisch mißhandelt und in
ihrer Gesundheit gebrochen. Wahlterror gegen die Deutschen in
Oberschlesien und Westpreußen; blutige Greuel
gegen die Ukrainer in Ostgalizien. Annullierung von Wahllisten.3
4. Der zugesicherte
Minderheitenschutz.
Minderheitenvertrag vom 28. Juli 1919 bestimmt u. a. völlige
Rechtsgleichheit, freien Gebrauch der Sprache, Freiheit der Errichtung eigener
Schulen und anderer Einrichtungen, Garantie und Zuständigkeit des
Völkerbundes; für die Deutschen in den ehemals preußischen
Gebieten Sonderbestimmungen über staatlichen Unterricht in
deutscher Sprache und über Beteiligung der deutschen Minderheiten an
dem Genuß und der Verwendung öffentlicher kultureller
Aufwendungen. Weitergehende Bestimmungen in der Genfer
Konvention (deutsch-polnisches Abkommen über
Oberschlesien) vom 15. Mai 1922, die 1937 abläuft.
Ferner weitere Verträge. Minderheitenschutz in der Verfassung verankert.
Proklamation Pilsudskis vom 20. Januar 1920 an die Bewohner der ehemals
deutschen Gebiete siehe v. Kries in Deutschland und der Korridor,
S. 435 f. ***[Scriptorium merkt an: bitte
Zusatz zu Teil 1 Anm. 1
beachten!]
[152] 5. Die polnische Minderheitenpolitik.
Bis 1930 128 Beschwerden beim Völkerbund über
Rechtsverletzungen auf fast allen Lebensgebieten. Polen ist die Folterkammer
Europas, das "Gefängnis der Völker".4
a) Rechtssicherheit
und Rechtsgleichheit, Schutz von Leben und Eigentum:
Benachteiligung und Verwaltungsschikane bei Steuern,
Schank-, Versicherungs- und anderen Konzessionen, öffentlichen Krediten
und Aufträgen, Pressezensur, Anzweifelung der Staatsangehörigkeit,
Prozesse gegen Minderheitenführer
und -journalisten. Besonders gute Handhabe gibt das neue
Strafgesetzbuch von 1932, Minderheitsangehörige schon wegen
legaler Beschwerde beim Völkerbund ins Gefängnis zu bringen.
Judenpogrome, seit 1931 in verschiedenen Städten.
b) Schulpolitik. Staatliche deutsche
Schulen durch Abbau deutscher Direktoren und Lehrer unter
nationalistisch-polnische Leitung gebracht, polnischen Schulen angegliedert oder
geschlossen. Schulen aus den verschiedensten Gründen (z. B.
angeblich ungeeignete Schulräume, die nachher für polnische
Schulen durchaus geeignet sind) zum Erliegen gebracht. 1925 in Oberschlesien
von 8560 Anmeldungen zu deutschen Schulen 7114 für ungültig
erklärt. In Posen und Pommerellen werden neuerdings alle Anträge
auf Errichtung von privaten Minderheitsschulen abgelehnt. Große
Mehrzahl der deutschen Kinder muß in polnische Schulen gehen.
Während der Wirtschaftskrise Kämpfe gegen Minderheitenschulen
verschärft.
c) Bodenpolitik. Vor Krieg in Preußen auf
Grund des Enteignungsgesetzes von 1908 4 Güter mit 1656 ha gegen
hohe Entschädigung enteignet.
1920 - 1928 etwa die hundertfache Fläche deutschen
Grundbesitzes (Entschädigung fast durchweg völlig sabotiert)
allein durch Anwendung und Mißbrauch des Versailler
Liquidationsrechtes enteignet (über 150 000 ha nach
amtlichem polnischem Bericht). Dazu kommt die Annullierung
deutscher Vorkriegsansiedler, die vorzugsweise Anwendung der
Agrarreform auf dem Grundbesitz der Minderheiten. Zwang zum
Verkauf von Grundbesitz durch behördliche Schikane. Massenweise
Exmittierung von deutschen Pächtern in Wolhynien. Schon bis
1926 in Posen und Westpreußen zirka 500 000 ha oder ein
Drittel des deutschen Grundbesitzes verloren.
d) Oberschlesischer Wahlterror 1930. Tausende von Deutschen aus der
Wählerliste gestrichen, z. B. weil sie nicht die geforderten [153] Dokumente über
Staatsangehörigkeit so rasch beschaffen konnten. Terrorisierung der
Deutschen durch den (von den Abstimmungskämpfen her bekannten)
halbamtlichen "Aufständischen-Verband". Laut
Völkerbundsbeschwerde des deutschen Volksbundes in 255
Fällen Leben und Eigentum von Deutschen bedroht. Vielfach
Kontrolle in den Wahllokalen: wer geheim stimmt, ist Feind der Regierung.
Ehrenvorsitzender des Aufständischen-Verbandes ist der oberschlesische
Wojewode (Oberpräsident) Grazynski. Er bleibt
Ehrenvorsitzender und Oberpräsident, obwohl der Völkerbundsrat
die Haltung der polnischen Behörden in dieser Sache scharf verurteilt.
Frühling 1933 neue Deutschenverfolgung in Oberschlesien.
e) Die ukrainischen Greuel. Dmowski legt schon im Kriege der Entente
die Teilung der Ukraine unter Polen und Rußland nahe, damit sie
nicht ein Werkzeug Deutschlands werde. (Unter Schutz der Mittelmächte
1917/18 ukrainischer Staat.) Autonomie versprochen für die Ukraine, aber
nicht durchgeführt. Polonisierung bisher gescheitert, Ukrainer bis in offene
Staatsfeindschaft getrieben. Trotz Landhungers der Ukrainer polnische
Kolonisation. 1930 wegen Brandstiftungen an polnischem
Staats- und Privateigentum militärische Strafexpedition
("Pazifizierung") in das ukrainische Ostgalizien. In zirka 700 ukrainischen
Orten Verhaftungen, Zerstörungen von Büchereien,
Genossenschaftseinrichtungen usw., bestialische Mißhandlungen, an
denen zirka 50 Menschen gestorben, Hunderte erkrankt
sind. - 1932 umfangreiche Kämpfe.
f) Weißrußland. Umfangreiche polnische
Militärkolonisation. Kleinkrieg. 1927 Verhaftung von zirka 200
weißrussischen Führern, angeblich zur Vereitelung eines Aufstandes
zugunsten Sowjetrußlands; Unruhen; Auflösung der
weißrussischen Organisationen, 1928 37 weißrussische Führer
wegen Landesverrates verurteilt.
6. Polen und Danzig.
Näheres S. 96 ff., 102 f., 107.
7. Niedergang Posens und
Westpreußens.
Näheres S. 54 f.
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