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Deutschland östlich der Elbe - Max Wocke

Schlesien
(Sudeten, Oberschlesien, Breslau, Nordschlesien)

Nordschlesien

Die Nordwest-Südost gerichtete Gliederung der schlesischen Landschaften erreicht ihre deutlichste und stärkste Ausprägung in Richtung der Linie Breslau - Zobten - Hohe Eule: Die weite Ebene des Außenlandes mit dem Odertal, die anmutige Inselberglandschaft des Vorlandes mit dem Zobten und die steile Mauer des Sudetengebirges mit dem dahinter sich aufwölbenden Gneisbuckel der Hohen Eule veranschaulichen dieses Baugesetz. Im Südosten der Provinz gehen Vorland, Außenland und Sudeten allmählich ineinander über: Das Gebirge sinkt langsam ab, und Vorland und Außenland steigen ihm entgegen.

Anders im Norden Schlesiens: Auch hier verschwindet die Dreiteilung, aber es ist keine Versöhnung der einzelnen Bausteine, sondern nur eine Verkleidung! Nördlich einer Linie Steinau - Lüben - Haynau - Bunzlau - Kohlfurt - Niesky ist Südostdeutschland zu Ende, und es beginnt landschaftlich das Norddeutsche Tiefland mit seinen buckligen Moränenwällen, seinen weiten wiesigen Urstromtälern, seinen trockenen tiefen Wäldern. Das nordische Inlandeis, das ganz Norddeutschland seine Formen aufgeprägt hat, tritt hier seine Herrschaft an. In der Tiefe freilich - unter einem dicken Mantel von Sanden, Kiesen und bunten Blöcken - streichen die drei Bausteine weiter fort. Der Bohrer des Geologen gibt davon zuverlässige Kunde. Aber das Auge des Wanderers sieht davon nichts mehr als nur schwache Andeutungen des Baugerüstes oder ein Hartsteinwerk, das von einer Aufragung gewachsenen Steines berichtet. In ganz [369] Nordschlesien herrscht die Ostwestrichtung, das Richtungsgesetz des Norddeutschen Flachlandes und seiner Landschaftsformen. Das schönste Element fehlt allerdings fast völlig: die Seen! Nur an einer einzigen Stelle greift auch in dieser Form norddeutsche Landschaft in die südostdeutsche Tieflandsbucht über: Der Schlesiersee, das "Schlesische Meer", ist mit einigen benachbarten Seen der südposenschen Seenplatte die "Diaspora" dieser schönsten Landschaftsform Norddeutschlands.

Blickt man von den Königshainer Bergen bei Görlitz nordwärts, so dehnt sich vor den Augen des Wanderers ein Waldmeer aus, dessen Anfang und Ende nicht zu erfassen ist. Von der Elbe bis zur Oder zieht sich in einer Länge von ungefähr 200 Kilometern und einer Breite von 20 - 40 Kilometern die "Grüne Wüste" Nordschlesiens hin, die Niederschlesisch-Lausitzer Heide, ein geschlossener Waldstreifen, der quer über die Provinz von West nach Ost streicht und dort zu dem wasserreichen Urstromtal der Bartsch überleitet. Dieses große einheitliche Naturgebiet umfaßt die Kreise Hoyerswerda, Rothenburg, Sagan, Sprottau und Lüben. Mit einer Ausdehnung von über 3000 Quadratkilometern ist es die größte zusammenhängende Waldfläche der Provinz. Sie trennt den nördlichen Teil, das sogenannte "Neiderland", von der übrigen Provinz ab, als ob es zu der Mark Brandenburg gehöre, während der südliche wirtschaftlich reiche und rege Hauptteil von dem siedlungsarmen Streifen abgeschlossen wird wie ein Topf durch einen Deckel, unter dem dann das Leben entsprechend stärker und selbständiger sich entfaltet.

Der Name "Heide" läßt vor den Augen des Naturfreundes verschiedene Bilder erstehen: er denkt an einen sandigen Boden, an ein diesem Boden angepaßtes Pflanzenkleid, an wirtschaftlich nur schwer oder gar nicht nutzbares Land. Ursprünglich nannte man im Deutschen jedes unbebaute freie Land "Heide". In Nordwestdeutschland versteht man noch heute unter "Heide" ein "offenes Gelände ohne erheblichen Baumwuchs, welches zugleich eines geschlossenen saftigen Rasens ermangelt". Östlich der Elbe dagegen sind alle Heiden in erster Linie große Waldgebiete, gekennzeichnet durch kiesige und sandige Böden. Ihr Pflanzenwuchs: Kiefernwald auf trocknem Boden, der oft vom Winde zu Dünen aufgeweht wurde. Ab und zu leuchten Fischteiche, die "blauen Augen" der Heide, und Wiesen und Ackerlandschaften heraus, die die Ufer der Flüsse begleiten, die wie Fremdlinge aus einem anderen Lande sich durch den Sand winden.

Früher war die nordschlesische Heide ein völlig menschenleerer Grenzgürtel zwischen besiedelten Gauen, unwirtlich, unwegsam und unsicher. Viele Ortsnamen geben Kunde von dieser Zeit: Paßauf, Traunicht, Sichdichfür, Mordkretscham. Die großen Wege des Verkehrs mieden das Waldland. Die "Hohe Landstraße" am Nordrand des Gebirges und die weniger wichtige "Niedere Landstraße" umgingen sie, rückten aber mit festen Stützpunkten so hart wie möglich an den Saum des gemiedenen Gebietes heran: Die beiden Städtereihen Calau, Cottbus, Forst, Sorau, Sprottau, Sagan, Primkenau, Raudten, Lüben im Norden und Elsterwerda, Kamenz, Bautzen, Penzig, Bunzlau, [370] Haynau, Liegnitz und Parchwitz im Süden umklammern das große Waldgebiet. Der große Straßenbau Berlin - Breslau vom Jahre 1820 streifte es auch damals nur auf einer kurzen Strecke: Polkwitz - Lüben - Parchwitz. Heute freilich hat sich viel gewandelt: Während die Heide damals für das im Sande mühsam mahlende Fuhrwerk ein Hindernis war, gehen jetzt die geradesten Schienenstränge durch sie hindurch. Die Ebenheit des Bodens, die Gleichmäßigkeit des Pflanzenkleides, die dank der Einheitlichkeit des Besitzes ziemlich seltenen Gemarkungs- und Ackergrenzen setzen einer großzügigen Ausrichtung der Schienenwege kein Hindernis entgegen. So konnten auch mitten in der Heide Orte entstehen, wie z. B. das nur als Eisenbahnknoten zu seiner Größe gekommene Kohlfurt, jener Punkt, bis zu dem man die Breslauer Linie führte, um zugleich möglichst nahe an Berlin und an Dresden heranzukommen. Aber trotz allem ist die Verkehrsdichte der Heide auch heute noch sehr gering.

Immerhin war die Heide selbst in früheren Zeiten keineswegs ein völlig wertloses Gebiet. An einen Nutzholzversand konnte zwar nicht gedacht werden, wohl aber drang mit den Kolonisten auch das deutsche Zeidelwesen - das altdeutsche Wort "Zeidl" bedeutet Honig - mit den in Süddeutschland üblichen Genossenschaftsformen nach Schlesien ein. Die Kirchen und Klöster hatten einen hohen Bedarf an Wachs, und die Nachfrage nach Honig, dem einzigen Süßstoff des Mittelalters, war so groß, daß die Waldbienenzucht in der Heide im hohen Schwunge stand. Im 13. Jahrhundert zahlten die Kastellaneien Sagan und Bunzlau der Kirche ihren Zehnten in Honig! Auch Hoyerswerda, Görlitz und Muskau waren hervorragende Zeidelplätze. Die Innung von Muskau zählte noch 1769 über 170 Mitglieder mit ungefähr 7 000 Bienenstöcken. Etwa eine Stunde von Löwenberg - nicht weit von der Heide entfernt - liegt auf einer Hochfläche das alte Kirchendorf Höfel, das durch Zeugnisse einer alten derben Kunstfertigkeit berühmt ist. Hier stehen die sogenannten "zwölf Apostel", die zwar nicht zwölf und auch keine Apostel sind, sondern ein Bienenstand von 18 überlebensgroßen kirchlichen, bäuerlichen und soldatischen Gestalten, die am Ende des 17. Jahrhunderts ein begabter Holzschnitzer nach dem Auftrage eines bekannten Bienenvaters geschaffen hat.

Am längsten hat sich die Zeidelei in den weiten Wäldern der Görlitzer und Muskauer Heide erhalten. Aber das Aushauen der "Beuten" (Bienenkörbe) in Stämmen, denen man den Wipfel rauben mußte, war mit einer sorgsamen Waldwirtschaft nicht vereinbar. So mußten auch die weiten Brachen der Heide immer mehr verschwinden und der Aufforstung weichen. Heute erinnert an diese Zeiten nur noch die "Heidemiete". Da wird der Imker zum "Nomaden", und die Hausbienenstöcke aus den Dörfern werden auf die letzten Lichtungen und Waldwiesen verfrachtet, wo eine Aussicht auf gute Tracht besteht. 20-30 Millionen Bienen treten am Laurentiustage, dem 10. August, im Sonderzuge die Reise an. 4-5 Millionen Erikablüten müssen innerhalb von 4-5 Wochen beflogen werden, damit ein einziges Pfund Honig geschleudert werden kann. Das heute berühmteste schlesische Imkerlager ist im Dorfe Linden (Kreis Bunzlau), wo die Hochzuchtprüfungsstelle für ganz Ostdeutschland eingerichtet ist. Mit [371] über einem Drittel der gesamten Bienenstöcke stehen die Heidekreise noch heute an der Spitze der schlesischen Bienenzucht.

Auch andere Wirtschaftszweige wie die Köhlerei, Pottaschebrennerei, Teerschwelerei und Pechgewinnung mußten als Raubbauformen der planmäßigen Forstwirtschaft unserer Zeit zum Opfer fallen. Diese Forsten sind zum großen Teil in Staatshänden, nur einige in privaten. Verschiedene Städte haben in früheren Zeiten die günstige Gelegenheit ausgenutzt, um sich in den Besitz von Waldbeständen zu setzen, z. B. Bunzlau, Sprottau und Görlitz, das mit einem Besitz von 300 Quadratkilometer Forst ein Zehntel der Heide sein eigen nennt.

Der Waldreichtum der Heide findet heute zum großen Teil als Langnutzholz Verwendung. Die Holzbearbeitungsstätten - Sägewerke, Möbelfabriken, neuerdings auch Zellstoffabriken - sind als kraftständige Betriebe an den nach Norden ziehenden Wasserläufen in ununterbrochener Folge aufgereiht. - Aber nicht nur die hohen in der Sonne leuchtenden Stämme der Föhre geben dem Heidebewohner Arbeit und Brot, sondern auch die niedrigen Sträucher des Bodens; im Zeitalter der Eilgüterzüge und Autofernverbindungen verderben auch in siedlungsarmen Gebieten keine Beeren und Pilze mehr. Wenn das leuchtend rosenrote Weidenröschen, das Wahrzeichen des Kahlschlages und der lichten Waldränder der Heide, seine Ährenkerzen aufflammen läßt, dann sind die Heidelbeeren reif, und Tausende von "Blaubeerweibeln" tragen die mühevoll gesammelte Ernte den Berliner und Dresdner Aufkäufern zu, die auf der Straße mit Waage und Gespann warten. In der Görlitzer Heide werden in manchen Sommern mehrere hunderttausend Mark an die Beeren- und Pilzsammler von den Händlern ausgezahlt.

Auch die Landwirtschaft ist in der Heide ein alter Erwerbszweig. Aber der sandige Boden und der tiefe Grundwasserspiegel lassen nur Roggen, Kartoffel und "Heidekorn", den anspruchslosen Buchweizen, gedeihen. Die damit verbundene Futterarmut und das spärliche trockne Gras, das nur im Herbst durch Seradella, den "Klee der Heide", etwas aufgebessert werden kann, reicht nur aus, um Schafzucht zu treiben, die hier früher einmal in Blüte stand und den benachbarten Tuchstädten der Niederlausitz den Rohstoff liefern konnte.

Trocken und arm an Nährstoffen ist der Boden der Heide, spärlich ist der Pflanzenwuchs, und wenig wirft die Waldwirtschaft ab, aber unter dem stillen Bettlerkleide schlummern Schätze, die zum Teil schon früh erkannt, zum Teil aber auch erst in den letzten Jahrzehnten ausgenutzt wurden. In dem östlichen Teile, in den Kreisen Bunzlau und Sprottau, liegen unter der Oberfläche feuchter Niederungen weitverbreitet die Lager von Raseneisenstein, im Volksmunde "Diele" oder "Brille" genannt. Diese Sumpferzlager beuteten die Bewohner schon früh aus. Zahlreiche Ortsnamen - Neuhammer, Eisenberg, Altehammer, Hammerwiesen - geben davon Zeugnis, daß hier Eisen verhüttende Betriebe - Holzkohle als Betriebsstoff und Wasser als Kraftstoff standen zur Verfügung - einstmals weitverbreitet waren. Unverkennbar sind diese Werke die Bahnbrecher für größere Siedlungen in dem sonst armen Heidegebiet ge- [372] wesen. Vor Beginn der preußischen Herrschaft zählte man im schlesischen Anteil der Heide elf Eisenwerke, in dem Lausitzer Anteil waren sieben im Gange. Die Geschichte des Eisenhüttenwerkes Greulich, Kreis Bunzlau, reicht bis in das Jahr 1190 zurück. Aber dieses Eisen war durch seinen starken Phosphorgehalt, den man früher nicht zu bannen verstand, "kaltbrüchig", und mit der Einschränkung der Köhlerei durch den geregelten Forstbetrieb wurde die Kohle so rar und teuer, daß viele Hämmer stillgelegt und die Hochöfen ausgeblasen werden mußten. Nur der Name erinnert noch an die alte Form, die einst bodenständig war. Heute sind diese Betriebe, die als Gießereien weiterbestehen, in bezug auf ihren Rohstoff und Kraftstoff längst entwurzelt, denn sie verarbeiten Eisen, das Oder und Bahn ihnen bringen, und nutzen Kohle, die aus Oberschlesien stammt. So müssen sie heute schwer um ihren Bestand ringen, der freilich durch die Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung der letzten Zeit wieder gesichert ist. Einzelne Betriebe, wie die Marienhütte in Kotzenau, sind sogar vergrößert worden.

Dasselbe gilt von der keramischen Industrie, die am südlichen Rande des Gebietes ihren Standort hat und sich ursprünglich auf an Ort und Stelle vorkommende Tone gründete. Auch hier sind die Rohstoffquellen so gut wie versiegt. Geblieben sind die Betriebe, die ortsfremde Stoffe verarbeiten, geblieben ist die Tradition von Bunzlau und der weltbekannte Ruf seiner keramischen Fachschule. In Schlesien gibt es keinen Haushalt, der ohne "Bunzeltippel" bestehen könnte! Aber trotz dieser Betriebe ist der östliche Teil der Heide noch heute ein ausgesprochenes Naturgebiet.

Das ist im Westen anders. Bis zum Jahre 1882 waren noch zwei Drittel der Heidebewohner in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Umschwung begann aber bereits in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als man die weltberühmten Glassande bei Schwarzkollm und die Braunkohlenlager der Lausitz entdeckte. Als im Jahre 1867 die Bahnstrecke Berlin - Görlitz eröffnet wurde, war Weißwasser noch ein Dorf mit 800 Einwohnern. 1873 wurde die erste Glashütte eröffnet, 1900 zählte es bereits 7000 Einwohner, 1909 wurde der "Vereinigte Lausitzer Hüttenverein", der größte Glaskonzern Europas, gegründet; heute ist Weißwasser mit 13 000 Einwohnern die größte Landgemeinde Schlesiens, gewachsen im amerikanischen Tempo als ein typischer Industrieort der Gründerzeit, emporgeschossen wie ein wilder Pilz aus weltabgelegenem Sandboden. Auch Penzig, Bernsdorf, Rauscha und Muskau haben Glashütten. Der Glassand von Hohenbocka hat Weltruf und wird heute mit 40 000 Waggon im Jahre auch nach dem Auslande verfrachtet.

Je vielseitiger ein Boden in seiner stofflichen Zusammensetzung ist, um so besser ist er für Land- und Forstwirtschaft geeignet. Je einseitiger dagegen eine Schicht ist, um so vorteilhafter für den Aufbau von industriellen Werken. Die Quarzsande der Niederlausitz bestehen fast zu 100 Prozent aus reiner Kieselsäure. Sie sind das Ergebnis einer hochgradigen Verwitterung, für die das chemisch hoch aktive warme Klima der Tertiärzeit die Voraussetzungen lieferte. Dasselbe milde und feuchte subtropische Klima dieser warmen erdgeschichtlichen Epoche, die der Eiszeit so gegensatzreich vorausging, lieferte hier auch den Stoff für einen anderen [373] Bodenschatz: das Holz für die Braunkohle. In flachen Senken breiteten sich gewaltige Sümpfe und seichte Seen aus, in denen - ähnlich den Schachtelhalmwäldern der Steinkohlenzeit - tiefschattige Bäume gediehen. Bis hinauf nach Grönland wuchsen damals Palmen und Magnolien, Myrthen und Lorbeer, Tulpe und Walnuß, vor allem die Sumpfzypresse und der Mammutbaum, von deren Größe und Zahl zahlreiche Stämme unzersetzt - liegend oder in aufrechter Stellung - in den Braunkohlenlagern die Sprache ihrer Zeit sprechen. Ähnlich wie es der Köhler in der Heide durch gewisse Kunstgriffe macht - er schafft es nur viel schneller - kamen die Holzmassen durch Absinken der Erdschichten und Überflutung mit Wasser bei Luftabschluß unter hohen Druck und große Wärme, die im Laufe einer langen Zeit zu einer Anreicherung von Kohlenstoff führte bis zu 65 und 75 Prozent. Bis zu einer Mächtigkeit von 10, ja 25 Meter liegt die Braunkohle hier unter den weithin weiß leuchtenden Sanden. Sie ist die Grundlage zu einer äußerst intensiven industriellen Tätigkeit in der Heide geworden.

Die Lausitzer Braunkohlen gehören zu dem ostelbischen Vorkommen, das von der Warthe bis zum Fläming reicht. Seine Ostgrenze folgt ungefähr der Queißlinie. Da die Flöze recht mächtig sind, lohnt sich auch das Fortschaffen des Abraumes, so daß in der Lausitz diese aufgespeicherte Sonnenenergie von vor Millionen Jahren sogar im Tagebau gewonnen werden kann und damit auch durch Maschinen. Der arbeitende Mensch spielt in der Grube selbst nur eine untergeordnete Rolle als Lenker der Bagger, die mit gierigen Greifern weite Löcher in die Erde fressen: leuchtend weiß und grell stehen die Sandhänge des Abraumes da, schmutzig braunschwarz und naß wie Schlamm der Boden des Baggerbeckens. Und was die Natur selber hier nicht schuf, der arbeitende Mensch zwingt es mit Maschine und Gleis der Landschaft auf: große, in der Sonne weit leuchtende Berge. Diese Kegel der Sandkippen ragen aus der Kiefernwüste heraus, verjagen die Menschen aus ihren Dörfern, verschlingen die Wälder und schicken dunklen Arbeitsstaub kilometerweit ins Land.

Der eigentliche Großbetrieb setzte erst mit der Einführung der Brikettierung und der Umwandlung der Heizkraft in elektrischen Strom ein. Riesenschornsteine mit weißen Rauchfahnen, herrührend von dem Wasserdampf bei der Trocknung der Kohle, und die in ewig gleichen Abständen durch die Heide sich schwingenden Masten und Drähte der Überlandzentralen von den im Brandenburgischen gelegenen Werken Lautha, Trattendorf und Golpa-Zschornewitz sind die Wahrzeichen dieser Entwicklung. Im Kreise Hoyerswerda sind es die drei Riesengruben Brigitte, Werminghoff und Erika nebst einigen anderen, die so viel Menschen an sich gezogen haben, daß hier in den letzten zwanzig Jahren die Bevölkerung um 30 Prozent zugenommen hat. Die Werke sind umgürtet von Neusiedlungen, die an städtische Wohnkolonien erinnern. Aber ein Drittel der gesamten deutschen Braunkohlenförderung stammt aus der Lausitz.

Landschaftlich läßt sich eine Grenze zwischen der Mark Brandenburg, Sachsen und der schlesischen Lausitz nicht ziehen, genau so wenig wie wirtschaftlich: Sand und Kiefern, Gruben und Glaswerke, Förderbahnen und Leitungsmasten - sie machen nicht halt vor Verwaltungsgrenzen, sie kümmern sich nicht [374] um politische Scheiden. Das gilt auch von dem Reste slavischer Bevölkerung Nordschlesiens, den Wenden, für die die Heide gleich dem Spreewald ein Zufluchtsgebiet geworden ist, das sie mit insgesamt 115 000 Seelen bevölkern. Mitten im Braunkohlengebiet sind sie zu Hause; unmittelbar zwischen Gruben und Kippen, Schornsteinen und Brikettpressen wohnen sie. Am Sonntag in Hoyerswerda bestimmen sie zur Kirchzeit das Bild der Stadt: Von allen Seiten strömen hier die wendischen Kirchgänger zusammen mit ihren bunten Kopftüchern, steif abstehenden Schürzen und riesigen Hauben und sprechen eine fremde Sprache - wörtlich und bildlich.

Die anderen weiter westlich gelegenen Heidestädte sind erheblich ruhiger als die alte ehemalige Wasserfeste Hoyerswerda. Da ist Niesky, die 1742 gegründete Kolonie der Brüdergemeinde, in der ein Knabenpfleger in der Bastelstunde auf den Gedanken kam, den Adventsstern zu kleben, der heute zur nahenden Weihnachtszeit in unzähligen schlesischen Häusern leuchtet. Weit bekannter ist Muskau, das zwar von gewaltigen Tagebauten umgeben ist, aber eine Sehenswürdigkeit birgt, die nichts mit der Braunkohle zu tun hat: der 5000 Morgen große schönste Naturpark Deutschlands und größte des Kontinents, geschaffen von dem Fürsten Hermann von Pückler, einem Zeitgenossen Goethes. Dieses Werk war mehr als der launenhafte Einfall eines reiselustigen "Weltgängers", von dem man sich sehr viele Schnurren und ebenso viele Liebesaffären erzählte. In der schweren Zeit nach den Freiheitskriegen verschaffte er vielen Arbeitslosen der von ihm ererbten Standesherrschaft durch die Schöpfung des Gartens Arbeit und Brot. Jahr für Jahr bezog er immer weitere Teile des Neißetales, das sich hier durch den Lausitzer Grenzrücken hindurchwinden muß, in seinen Riesengarten ein, bis er sein Vermögen in Bäumen "verparkt" hatte, die Herrschaft verkaufen und sein geliebtes Muskau verlassen mußte, was ihn nicht hinderte, den Erlös zur Fertigstellung seines Werkes zu verwenden, um so seine Lebensarbeit doch noch vollendet zu sehen. - Sagan, die Stadt des siebenstrahligen Sternes der Schienenwege, wirkt zunächst weit nüchterner. Aber wer den Weg in die Stadt wagt, wird belohnt. An der Boberbrücke eröffnet sich der Blick auf die Pfarrkirche, die alte Stiftskirche der Augustiner. Mächtige nordische Findlinge sind in ihren Backsteinsockel vermauert. Martin Frantz, der Baumeister von Liegnitz, der Erbauer verschiedener Schlösser und Kirchen, hat ihren barocken Ausbau geschaffen. Ein Doppelkuppelraum hinter einer Gittertür aus feinstem Drahtfiligran birgt eine Überraschung: eine aus dem 18. Jahrhundert stammende, völlig unversehrte Klosterbibliothek, die bei der Auflösung zur Zeit der Säkularisation anscheinend vergessen wurde. Im Süden zeigt der Grundriß der Stadt den Willen eines Mächtigen: Wallenstein ließ hier 75 Bürgerhäuser niederreißen, damit sein wuchtiges Hufeisenschloß - 1629 begonnen - die nötige Freiheit der Umgebung bekam. Trotz seiner Durchfensterung wirkt dieses Werk eines italienischen Meisters etwas norddeutsch herb und ablehnend.

In allerletzter Zeit hat der arbeitende Mensch auch im Osten der Heide entscheidend in Landschaft und Wirtschaft eingegriffen: Im Sprottebruch, einem [375] alten Urstromtale von 15 Kilometer Länge und 7 Kilometer Breite, dem größten schlesischen Flachlandbruch, eingebettet zwischen den Dalkauer Bergen im Norden und dem Primkenauer Höhenzug im Süden. Die ersten Versuche der Urbarmachung gehen auf die Zeit Friedrichs des Großen zurück. Im 19. Jahrhundert versuchte es ein Herzog von Schleswig-Holstein, aber auch er vollbrachte nicht viel. Der entscheidende erste Spatenstich für die Kultivierung dieses Ödlandes von 24 000 Morgen wurde am 22. März 1934 getan. Nach noch nicht zweijähriger Arbeit von 1600 Freiwilligen aus acht Arbeitsdienstlagern wurden 1600 Morgen Ackerland gewonnen, und Ende des Jahres 1935 konnten 40 Bauernsiedlungen in Hierlshagen bezogen werden. Mitten durch das Bruch, wo vor kurzem noch der Karren mit saurem Heu gestoßen wurde, führt heute eine Straße für Kraftverkehr. Gewiß: der Botaniker und Naturfreund fühlt sich zurückgesetzt, aber der Volkswirt und Bevölkerungspolitiker hat gesiegt. Wir brauchen Kartoffeln, wir brauchen Roggen, wir brauchen Hanf! Und wir brauchen Bauern, die fest auf deutscher Scholle sitzen!

Drei Landschaften von völlig eigener Prägung umgeben die Niederschlesisch-Lausitzer Heide: die Bartschniederung im Osten, das Grünberger Land im Norden und das Hügelland der Oberlausitz im Südwesten.

Flach eingesenkt zwischen die Hügelketten des Schlesischen Landrückens und die Südposener Hochfläche liegt im äußersten Nordosten des Landes ein sehr eigenartiges Gebiet, das die Heide nach Osten fortsetzt und als natürliche Grenze zwischen Schlesien und Posen gelten kann: die Bartschniederung. Es ist eine sumpfige Flußtalung, in der das Wasser dank der nur ganz zarten Höhenunterschiede das Bild der Landschaft, der Siedlung und der Wirtschaft fast ausschließlich beherrscht. Wiesen, Moore, Erlenbrüche und Teiche kennzeichnen das Gebiet. Vogelkundlich ist die Bartschniederung neben Rossitten, Helgoland und Hiddensee das reichste Gebiet Deutschlands. Über 170 verschiedene Arten leben in den unzugänglichen Sümpfen und Brüchen; als Zugvögel kommen sie hierher oder brüten auch selbst im Bartschgebiet.

Das Vorherrschen des Wassers, das für eine zwar zahlreiche, aber doch einseitige Tierwelt die Lebensbedingungen schafft, setzt der Besiedlung enge Grenzen. Sie kann nur an höheren Stellen entstehen, die vor dem feuchten Element geschützt sind. Wirtschaftlich ist das Gebiet durch die ausgedehnte Karpfenzucht besonders bekannt. In weiten, sehr flachen Teichen, die von ganz niedrigen Dammwegen mit Eichen umsäumt werden, betreibt der Großgrundbesitz eine Fischzucht, die zusammen mit der Teichwirtschaft der Lausitzer Heide einen großen Teil der deutschen Weihnachtskarpfen erzeugt. Tausende von Besuchern strömen im Herbst in das Seengebiet, wenn die Zeit des Abfischens gekommen ist.

Der nördlichste Zipfel Schlesiens wird von dem waldreichen Grünberger Lande eingenommen. In einer Lichtung der Höhen und Niederung überziehenden Kiefernheide liegt die Stadt, die wohl im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts gegründet worden ist. So alt wie die Siedlung sind auch die Erwerbsquellen ihrer Bewohner: Weinbau und Wollweberei stehen hier in einer Wechselwirkung miteinander, wie sie wohl kaum eine andere Stadt zwischen Zweigen der [376] Landwirtschaft und der Industrie aufzuweisen hat. Rauchende Schlote ragen zwischen grünenden Weingärten und 500 000 blühenden Obstbäumen auf!

Nicht weit von der Polargrenze des Weinstockes hatte Grünberg dank der Gunst des Klimas und des Bodens um das Jahr 1900 mit ungefähr 5000 Morgen die größte geschlossene Anbaufläche unter allen Weinorten der Welt. Franken und Flamen brachten den Weinstock hierher. Friedrich der Große, der nicht weniger als 44mal in Grünberg weilte, befahl, daß der Weinbau soviel als möglich "poussieret" werde. Der Vorwurf der Säure des hier gekelterten Rebensaftes beruht meist nicht auf Sachkenntnis, sondern auf dem billigen Spotturteile von Großstadtliteraten. Viele der bekannten historischen Witze sind leider nicht wahr - so gut sie auch erfunden sind! Das gilt auch von dem, der über die durch Grünberger Wein hervorgerufene schiefe Schlachtordnung bei Leuthen berichtet. Wahr ist jedoch - allerdings fast gar nicht bekannt -, daß die erste deutsche Schaumweinkelterei in Grünberg stand und von hier aus erst die Herstellung des Sektes in die westlichen Weingaue gebracht wurde. Auch die Grünberger Weinbrandindustrie war die erste ihrer Art, die erfolgreich den Wettstreit gegen die Franzosen eröffnete, die vor rund 50 Jahren den Weltmarkt noch völlig mit ihrem Erzeugnis beherrschten.

In den Jahren der Industrialisierung verringerte sich auch die Anbaufläche des Weines auf den Grünberger Höhen ganz erheblich. Heute kehren zahlreiche Arbeiter aus der Industrie, in die sie abgewandert waren, wieder zur Scholle zurück, so daß unter sachkundiger Führung der Weinbau wieder allmählich aufblüht.

Zwischen dem Westflügel der Heide und dem "Scharnier", das Sudeten und Erzgebirge verbindet, liegt das Hügelland der Oberlausitz. Der Kern des Gebietes, der dem Ganzen den Namen gab, lag zwischen der Schwarzen Elster und dem Spreewald, ein sumpfiges Land; das will auch der Name "Lausitz" sagen. Später wurde er auch auf die weiter südlich gelegenen höheren Landschaften um Görlitz und Bautzen ausgedehnt.

Bautzen.
[287]      Bautzen.

Das allseits offene Land der Oberlausitz hat der Anziehungskraft benachbarter Länder nie widerstehen können. So ist es Gegenstand vieler Kämpfe gewesen und hat immer andere Herren gehabt. Volle hundert Jahre hat es unter böhmischer Herrschaft gestanden. Dann kam es an das Kurfürstentum Sachsen und damit wieder zur Mark Meißen, zu der es ursprünglich gehört hatte. Die Verwicklung Sachsens in den Zusammenbruch des Napoleonischen Reiches führte 1815 zur Teilung des Gebietes. Der östliche und nördliche Teil kamen zu Preußen, der Rest blieb bei Sachsen.

So wenig das Land durch seine Lage zu politischem Eigenleben kommen konnte, so ausgeprägt war es sein natürlicher Beruf, zwischen den vier Nachbarländern die Führung des Verkehrs zu übernehmen. Die Flußtäler begünstigen einen Nord–Süd-Verkehr, die Bergzüge des Hügellandes und seine Vulkankuppen zeichnen der von West nach Ost führenden "Hohen Landstraße" die Richtung vor und stecken sie wie mit Prellsteinen ab, jene wichtige Straße, auf der der Zug der deutschen Kolonisten von Westen nach Schlesien eindrang. Zu [377-384=Fotos] [385] ihrem Schutze wurde im 14. Jahrhundert der "Sechsstädtebund" geschlossen, in dem die Bürger von Kamenz und Bautzen, Löbau und Zittau, Görlitz und Lauban über zwei Jahrhunderte lang eine strenge Straßenpolizei gegen Wegelagerer und adlige Schnapphähne führten. Die Bedeutung des alten Weges sank, als zu Beginn der Neuzeit sich die Weltmeere dem Verkehr öffneten und die Küsten mit ihrer viel größeren Anziehungskraft die Wege im Binnenlande in andere Richtungen zwangen. Damals zog die auf Magdeburg zielende "Niedere Landstraße" am Nordrand der Heide viel von dem Verkehr der auf Leipzig gerichteten "Hohen Landstraße" ab.

Der Oybin bei Zittau.
[288]      Der Oybin (bei Zittau).

Erst mit der Entwicklung des Eisenbahnverkehrs lebten die alten Richtungen wieder auf.

Dort, wo sich der Nord–Süd-Weg und der West–Ost-Weg schneiden, liegt Görlitz. Es beherrscht den "Engpaß" zwischen der Heide und dem "Scheitel" der Randgebirge der böhmischen Festung; es liegt dort, wo das tiefe Tal der Neiße am leichtesten zu überschreiten ist. Die große Geschichte von Görlitz, der deutschen Stadt im damaligen wendischen Lande, ist ein Ausdruck der Gunst ihrer Lage. Zwischen dem erwerbstätigen Westen und dem an Rohstoffen reichen Osten übernahm sie die Vermittlung; ebenso von der Mark wie nach Böhmen.

Mit den deutschen Kolonisten war die Tuchmacherei aus dem Westen nach Görlitz gekommen. Durch das wichtige Privileg der Niederlage des "Waid", der im Mittelalter wichtigsten Farbpflanze, wurde das Gewerbe vom 14. Jahrhundert ab sehr begünstigt. Der Wohlstand stieg immer mehr bis ins 15. und 16. Jahrhundert hinein: das Stadtbild von Görlitz gibt mit den weithin berühmten Baudenkmälern der deutschen Frührenaissance, dem Schönhof und der Rathaustreppe, lebendigen Bericht von ihrem Reichtum. Wendel Roskopf, der "Meister zu Görlitz und der Schlesy", der Führer der ostdeutschen Frührenaissance, war ihr von fremden Mustern völlig unabhängiger Schöpfer. Bald danach brachten der Schmalkaldische und der Dreißigjährige Krieg, dann die Pest und später die Eröffnung des Oder-Spree-Kanals lange Jahre des Niederganges über Görlitz, dessen Selbständigkeit in den besten Zeiten beinahe an die einer freien Reichsstadt erinnert hatte. Erst im Jahrhundert der Kohle und des Dampfes erholte sich die Stadt wieder. Durch die Lage zwischen drei großen Kulturzentren und die Schönheit ihrer Umgebung ist sie die größte ostdeutsche "Pensionopolis" geworden. Seit 1889 ist sie die Stadt der schlesischen Musikfeste.

Daneben genießt auch ihre Industrie einen großen Ruf: Der "Fliegende Hamburger" ist in Hamburg nur ein "Zugewanderter", in Wirklichkeit ist er in Görlitz geboren und legt Zeugnis ab von dem hohen Stand der Arbeiten in der Görlitzer Waggon- und Maschinenfabrik. Außer diesen Erzeugnissen und solchen der Textilindustrie "liefert" die Stadt noch etwas, ohne das wir heute nicht arbeiten können: die mitteleuropäische Zeit! Mitten durch Görlitz - ein wenig westlich vom Stadtpark - geht der 15. Längengrad! Die Görlitzer können ihre Uhr nach der Sonne stellen: wenn sie am höchsten steht, ist es 12 Uhr Mittag!

[386] Das Wirtschaftsleben der übrigen Oberlausitz wächst buchstäblich aus dem Boden und seinen Schätzen heraus. Sand und Braunkohle sind hier wie in der Heide die beiden Stoffe, die die Grundlage für alle Werke liefern. An der Spitze steht die Glasindustrie. Der Lampenzylinder im entlegenen Dorf, die fast überall zur Herrschaft gekommene Glühlampe, die kostbaren geschliffenen Kuppeln in Festsälen, das Wasserglas der Ärmsten, Millionen von Viergläsern, das Einmachglas der Hausfrau und das Kristall auf der Luxustafel - alles stammt aus der Glasindustrie der Oberlausitz.

Die Textilindustrie hat sich hier im Gegensatz zu der im schlesischen Gebirge meist in größeren Städten niedergelassen. Wertvolle Tuche werden in der Oberlausitz hergestellt. Weitaus wichtiger aber ist ihr Anteil an der Gesamterzeugung der Leinenindustrie. Manches "Bielefelder Leinen" stammt von hier, und 90 Prozent aller Taschentücher, die wir mit uns tragen, sind in Lauban genäht, der Stadt der Taschentuchfabriken.

Militscher Karpfen, Grünberger Wein, Laubaner Taschentücher und Lausitzer Glas, das sind vier Erzeugnisse Schlesiens, hart an der Grenze seines Gebietes gewonnen, im ganzen Reich bekannt!

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