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3. Teil:
Polnische Thesen und deutsche Antworten

A. Wirtschaftliche Polenthesen zur Verteidigung des Korridorbesitzes

Vorbemerkung zu den wirtschaftlichen Polenthesen

Der Korridor ist ein künstlicher Gang durch deutsches Gebiet, herausgerissen aus seinem Mutterorganismus ohne Rücksicht auf wirtschaftliche, nationale und kulturelle Zusammenhänge. Das zeigt sich besonders bei den polnischen wirtschaftlichen Korridorthesen.



1. Transit oder Wohlstand?

Der Hauptinhalt der wirtschaftlichen Polenthesen ist: durch den polnischen Korridor werde Deutschland wirtschaftlich kaum geschädigt; Polen dagegen brauche ihn als Zugang zum Meere; ohne ihn müsse es ersticken und seine Selbständigkeit verlieren.

In Polens wirtschaftlicher Beweisführung wird das Korridorgebiet nicht als Land mit eigenem wirtschaftlichen Lebensrecht behandelt; es erscheint nur als Durchgangszone, als Wegstrecke für den polnischen Warenverkehr, als echter "Korridor". Das aber ist ein wirtschaftlicher Gedankenkreis von zweitrangiger Bedeutung. Bloße Durchfuhr kann den polnischen Besitz des Korridorgebietes nicht rechtfertigen. Fragen des Durchgangsverkehrs (Transits) lassen sich im Frieden bei gutem Willen verhältnismäßig leicht lösen, soweit sie nicht schon von der Wirtschaft automatisch gelöst werden. Im Kriege dagegen - das hat Deutschlands und Rußlands Schicksal im Weltkrieg bewiesen - hängt die Güterversorgung eines Landes von ganz anderen Dingen ab als von dem Besitz eines Küstenstreifens an einem Binnenmeer.

Wichtiger als konjunkturabhängige und zum Teil fiktive polnische Ideen von Transit und Meereszugang ist die Aufgabe, den Bewohnern eines Gebietes Existenz und Wohlstand zu sichern. Und dies ist die Ebene, in der die polnische Beweisführung notwendig versagen muß, in der die deutsche aber nur auf den Unterschied [36] zwischen der Gegenwart und der Vorkriegszeit zu verweisen braucht. Deutschland kann dartun, daß das Korridorgebiet und die deutsche Wirtschaft und vor allem das Korridorgebiet und die übrige ostdeutsche Wirtschaft sich früher gegenseitig im Güteraustausch ergänzten und befruchteten, während das Korridorgebiet sich mit der polnischen Wirtschaft nicht ergänzt. Durch die Zerreißung eines hochentwickelten, eng zusammengewachsenen Wirtschaftsorganismus ist das deutsch gebliebene Ostland schwer geschädigt worden, noch mehr aber hat das an Polen abgetretene deutsche Gebiet gelitten. Es sinkt unaufhaltsam wirtschaftlich, sozial und kulturell ab, dem niedrigen Niveau des ehemals russischen Kongreßpolen entgegen. Das Korridorgebiet ist - nach einem Worte des früheren amerikanischen Finanzberaters Dewey1 in Warschau - das kranke Kind Polens.



2. Verkehrspolitische "Korridorlösungen".

Manche Ausländer wollen das Korridorproblem durch Verkehrsverbesserungen lösen, also etwa durch eine deutsche Hoch- und Untergrundbahn quer durch das polnische Gebiet, gegebenenfalls unter Rückgabe des Danziger Staatsgebietes an Deutschland. So interessant für den Verkehrsingenieur diese oft sorgfältig ausgearbeiteten Projekte sein mögen, es verlohnt sich nicht, auf sie einzugehen, weil mit verkehrspolitischen und verkehrstechnischen Mitteln das Korridorproblem nicht zu lösen ist. Denn in wirtschaftlicher Hinsicht ist die Korridorfrage nicht allein ein Verkehrsproblem, sondern viel mehr noch ein Problem der wirtschaftlichen Verflechtung zusammengehöriger Landesteile - und zugleich ein Problem der Zugehörigkeit zu dem Staat und dem Volk, das die Kraft zur wirtschaftlichen Hebung dieses Gebiets in der Geschichte bewiesen hat.

Nur durch Rückgabe an Deutschland kann die wirtschaftliche und auch die politische Korridorgefahr beseitigt werden.


1. Polenthese:
Das Weichselargument

Die Polen sagen: Die Weichsel, Polens Nationalstrom, sei Polens wirtschaftliches Rückgrat. Daher müsse Polen auch den Unterlauf der Weichsel beherrschen. (Vgl. auch S. 110.)

[37] Antwort: Mit viel mehr Recht könnten wir Deutschen die Niederlande als das Mündungsgebiet unseres Rheins beanspruchen (was wir uns natürlich nie haben einfallen lassen). Denn verglichen mit ihm ist die Weichsel ein toter Strom; sie hat fast keine wirtschaftliche Bedeutung für Polen. Der ehemals russische Teil war nie eine Fahrstraße für größere Schiffe; jetzt hat Polen auch den von Preußen regulierten Unterlauf vernachlässigt; schon die dortigen Sandbänke widerlegen das polnische Weichselargument.

a) Die mittlere und obere Weichsel, also die Weichsel in Kongreßpolen, war nur vor der Eisenbahnzeit ein wichtiger Verkehrsweg, und zwar deshalb, weil bessere Verkehrswege damals fehlten. Selbst zwischen Warschau und der alten russischen Grenze können Schiffe von 200 t mit 1 Meter Tiefgang ihre Ladungsfähigkeit nur etwa drei Monate im Jahre ausnutzen.

b) Die untere Weichsel von Thorn ab ist der allein wirtschaftlich nutzbringende Teil des Flusses; er verdankt dies den Deutschen: schon vom Deutschen Orden eingedämmt; von Preußen mit großen Kosten ausgebaut, insgesamt etwa 124 Millionen hineingesteckt, zuletzt jährlich 2½ Millionen, im allgemeinen für vollbeladene 400-t-Schiffe befahrbar; Pläne zu weiteren Verbesserungen (Regulierung auf Niedrigwasser) lagen fertig vor. Untere Weichsel war Kernstück des deutschen Ostwestverkehrs (Frisches Haff - Nogat - Weichsel - Bromberger Kanal - Netze - Warthe - Oder), der für Polen kein Interesse hat. Polen hat die untere Weichsel vernachlässigt, Sandbänke vom deutschen Ufer aus sichtbar. Polen hat seine einzige moderne Wasserstraße verfallen lassen. - Schon seit dem Mittelalter Weichseltal von Thorn ab deutsch besiedelt.

c) Polen hat selbst das Weichselargument widerlegt, indem es den Weichselverkehr nicht entwickelte, sondern sogar niedergehen ließ, weil es aus politischen und wirtschaftspolitischen Gründen andere Wege vorzog: statt Weichselregulierung Bau und Bevorzugung des Eisenbahnhafens Gdingen (Konkurrenzhafen gegen Danzig, also gegen den Hafen an der Weichselmündung) und Bau der Kohlenbahn Oberschlesien - Gdingen, abnorm niedrige Eisenbahn-Seehäfentarife. Auf sämtliche Binnenwasserstraßen Polens kommen nur 3 - 5% des polnischen Güterverkehrs. Zu a - c vgl. Seraphim, Weichsel.


2. Polenthese:
Die Polen, ein seefahrendes Volk?

Die Polen sagen: Polen könne sich auf eine alte Tradition als seefahrendes Volk berufen und beanspruche schon deshalb einen seiner Bedeutung entsprechenden Platz unter den seefahrenden Nationen.

[38] Antwort: Die Polen sind niemals eine seefahrende Nation, sondern stets ein Fremdling an der Ostsee gewesen. Auch heute ist die Seefahrt für die Polen - für ein agrarisches Binnenvolk, ein Volk mit ungeheuren kulturellen und wirtschaftlichen Aufgaben im Innern - kein Lebensbedürfnis. Immerhin könnte Polen auch nach Rückgabe des Korridors eine eigene Handelsflotte unterhalten.

a) Eine polnische Handelsflotte hat es in früheren Zeiten nie gegeben. Die heutige polnische Handelsflotte, 39 Schiffe mit 65 000 Bruttoregistertonnen, ist seit 1926 vom polnischen Staate mit ausländischer Hilfe ins Leben gerufen worden, nachdem private Versuche gescheitert waren.2 Die Bemannung besteht nur etwa zur Hälfte aus Polen. Lloyds versichern kein Schiff, das einen Polen als Kapitän hat.

b) Die einzige Seeschlacht,3 auf die sich die Polen berufen, ist die von Weichselmünde gegen Schweden (1617); doch bestand die polnische Flotte aus gemieteten Danziger Schiffen mit Danziger Besatzung und Danziger Kapitänen; sie wurde von einem Danziger Admiral geführt. (Danzig war damals ein Staat, der nicht zu Polen gehörte, sondern nur zu dem polnischen König besondere Beziehungen hatte.)

c) Polen als Binnenland: 5390 km Landgrenze. Polens Eignung zur Autarkie siehe S. 42 ff. Pilsudski hat selbst einmal über die "Seekrankheit" eines polnischen Führers gespottet, weil dieser für einen polnischen territorialen Zugang zum Meere eintrat.4

d) Deutschlands Vorherrschaft in der Ostsee? Die Polen behaupten, daß sie an der Ostsee bleiben müßten, um eine deutsche Vorherrschaft in der Ostsee zu verhindern. Die einzigen, die diese Frage etwas angeht, nämlich die an der Ostsee liegenden Völker, werden ja selbst wissen, ob sie vor dem Kriege unter einer etwaigen deutschen Vorherrschaft auf der Ostsee gelitten haben.


3. Polenthese:
Polens Leistung an der Küste

Die Polen sagen: Polen habe sein Recht auf die eigene Küste durch Leistungen verstärkt: es habe z. B. den Welthafen Gdingen aus dem Boden und aus dem Meere gestampft. Preußen dagegen habe an diesem Küstenstrich keine Leistung aufzuweisen.

Antwort: Polen hat den Hafen aus politischen und strategischen Gründen (vgl. S. 103 f.) gebaut, und zwar mit französischem Gelde und dänischen Fachleuten (vgl. S. 45), unter Vernachlässigung der Weichsel (vgl. S. 37), unter Vertragsbruch hinsichtlich Danzigs [39] (vgl. S. 104) und unter Zurückstellung wichtiger kultureller, binnenwirtschaftlicher und sozialer Aufgaben. Der Gdingener Hafenbau wird sich als eine Fehlinvestition herausstellen, und zwar spätestens nach Beendigung des deutsch-polnischen Zollkriegs und des polnischen Dumpings mit oberschlesischer Kohle.

Für Preußens Hafenpolitik zeugen die Hafenanlagen in Stettin, Königsberg, Memel und (für die Zeit von 1793 - 1919) in Danzig.

Machtpolitische Zielsetzung bei der polnischen "Seepolitik": Wenn Polen mit großen finanziellen Opfern einen möglichst großen Teil seines Auslandsverkehrs durch den Korridor zwängt, so wird es dabei sehr stark von der Absicht geleitet, durch einen starken Korridorverkehr den Korridorbesitz zu rechtfertigen; vgl. 9. Polenthese. Bei Beratungen über den polnischen Militärhaushalt 1933 wurde der Regierung von dem Abgeordneten der Rechten, Arciszewski, vorgeworfen, sie tue nicht genügend gegen die deutschen Revisionsbestrebungen. Der Vertreter der Regierungspartei, Tebinka, antwortete: "Die Regierung antwortet auf diese Stimme nicht mit Worten, sondern mit Taten: Hafen und Stadt Gdingen, die Eisenbahn Bromberg - Gdingen, die Anlage von Siedlungen auf den parzellierten Gütern, der Bau der Flotte, mit einem Wort: die Investitionen in Höhe von einer halben Milliarde dienen zur Verbindung Pommerellens mit Polen und sichern den Zugang zum Meer." Die Gesamtsumme der privaten und öffentlichen polnischen Investitionen einschließlich ausländischer Kapitalien zugunsten der Seepolitik ist in Wirklichkeit viel höher. Dazu kommen laufende Ausgaben für Export- und Frachtsubventionen u. a., vgl. S. 43.


4. Polenthese:
Braucht Polen die Küste?

Die Polen sagen: Polen müßte ohne eigene Küste wirtschaftlich ersticken (vgl. S. 41 ff., 44 f., 158).

Antwort: Polen wird sich eines Tages damit abfinden müssen, daß es von Natur ein Binnenland ist - und es wird dann an dem Fehlen einer Küste ebensowenig ersticken wie die Schweiz, die Tschechoslowakei und ein gutes Dutzend andere Länder, deren Schicksal es ist, nicht ans Meer zu grenzen.

Wenn Polen einmal den Korridor nicht mehr besitzt, werden Häfen und Bahnen verschiedener Länder darin wetteifern, durch günstige Bedingungen möglichst viel polnischen Durchgangsverkehr an sich zu ziehen; für die deutschen Häfen und Verkehrswege hat außerdem Deutschland, entsprechend dem Wilson-Programm, schon 1919 für Polen international gesicherte Verkehrsvergünstigungen angeboten.

[40] Im Frieden wäre damit Polens Zugang zum Meere vollauf gesichert, der Korridor also für Polen überflüssig gemacht. Im Kriege dagegen bietet Polen der schmale Korridor und der Küstenbesitz an einem Binnenmeere keine Sicherheit.

a) Andere Binnenländer. Ohne territorialen Seezugang sind in Europa zunächst drei Länder, die Polen an wirtschaftlicher Bedeutung überlegen sind: die Schweiz, die Tschechoslowakei und Österreich. Ferner in Europa Ungarn, das hochindustrialisierte Luxemburg und die Vatikanstadt; in anderen Erdteilen Paraguay, Bolivien, Abessinien, Afghanistan u. a. m. Der Außenhandel der Schweiz nach den überseeischen Ländern war 1929 doppelt so groß wie der gesamte Außenhandel Polens. Bei der Neuerrichtung des Kirchenstaats hat man, wie der Osservatore Romano damals ausführte, bewußt davon abgesehen, ihm einen Korridor zum Meere zu geben, weil dieser nur eine "Quelle schwerer Opfer und Sorgen" sein würde.5

b) Gesicherte Durchfuhr im Frieden. Warendurchfuhr durch fremde Länder funktioniert ohne Schwierigkeiten, weil die Durchfuhrländer an der Durchfuhr verdienen und weil jedes Durchfuhrland irgendwie auf die Durchfuhr seiner eigenen Waren angewiesen ist. Auch ein großer Teil des deutschen Außenhandels ist Durchfuhr. Vom polnischen Überseehandel geht heute noch ein beachtlicher Teil über reichsdeutsche Bahnen und Häfen.

c) Bevorzugte, international gesicherte polnische Durchfuhr über Deutschland. Deutschland hat schon im Kriege Pläne für eine Weichselakte mit völliger Gleichbehandlung deutscher und polnischer Schiffe entworfen.6 Entsprechend Wilsons ursprünglichem Plan (S. 81 f.) bot Deutschland in der Note der deutschen Friedensdelegation vom 29. Mai 1919 Internationalisierung der Weichsel, besondere Eisenbahnverträge und polnische Freihafengebiete in Danzig, Königsberg und Memel an, das alles gesichert durch internationale Garantien und Instanzen.7 Parallelen: Griechenland gewährt Jugoslavien Sonderrechte für die Benutzung von Saloniki, die Tschechoslowakei hat Freihafengebiete in Hamburg bei gleichzeitiger Internationalisierung der Elbe; sie genießt ferner Vorzugs-Seehafentarife auf der deutschen Reichsbahn. Polen hat mit Rumänien Seehafentarife zum Schwarzen Meer vereinbart.

d) "Nicht zu verteidigen im Kriege" (Weygand, vgl. S. 22). Der nördliche Teil des Korridors ist etwa 35 km breit. Selbst wenn ihn Polen gegen Landtruppen, Landgeschütze, Kriegsschiffe und Flieger verteidigen könnte: was würde ihm das nützen, wenn es nicht die Ostsee und vor allem die Zugänge ins freie Meer beherrscht! Deutschland ist sogar trotz seines Zugangs zur Nordsee und trotz seiner gewaltigen Flotte ausgehungert worden. Die Schweiz dagegen hat sich ohne Küstenbesitz im Weltkrieg wirtschaftlich ebenso gut erhalten wie Holland und die nordischen Staaten.
[41]      Immerhin ist zuzugeben, daß Frankreich in einem russisch-polnischen Kriege bei deutscher Neutralität (falls Dänemark nicht die Meerengen sperrt) für Polen Truppen und Kriegsmaterial im Korridor landen könnte - falls die russischen Flieger das zulassen sollten. Das gleiche aber würde möglich sein, wenn Polen nach Abtretung des Korridors Sonderrechte erhielte.

e) Ein polnisches Urteil: "Der Danziger Korridor... stellt freilich andererseits für uns Polen etwas vollkommen Unzureichendes dar, etwas, das uns einen wirklich sicheren und ständigen Zugang zum Meere nicht garantiert. Den Deutschen steht es frei, die Beseitigung dieses Korridors zu erstreben, aber auch uns steht es frei, daß wir seine Erweiterung erstreben".8
      Ein französisches Urteil: "Wenn Pommerellen an Deutschland zurückgegeben wird, kann Polens Lage nicht schlimmer sein. Sie wird klarer und entschiedener sein: das ist der ganze Unterschied."9


5. Polenthese:
Die Konkurrenz der Durchfuhrwege

Die Polen sagen: Die Schweiz und die Tschechoslowakei seien in der Lage, Häfen und Bahnen mehrerer Länder gegeneinander auszuspielen und sich dadurch günstige Durchfuhrbedingungen zu erzwingen. Deutschland dagegen würde ohne den polnischen Seezugang die Hand an der Gurgel Polens haben.

Antwort: Auch Polen kann dank seiner Lage zwischen den Meeren die Häfen und Bahnen verschiedener Länder benutzen. Das würde es aber nach Rückgabe des Korridors gar nicht nötig haben, da ja Deutschland zugunsten Polens Freihäfen und Verkehrsvergünstigungen unter internationaler Garantie angeboten hat.

a) Polens Lage zwischen den Meeren: Für den industriellen Schwerpunkt Polens im Südwesten (hauptsächlich Ostoberschlesien) liegt die Adria nicht viel weiter als die Ostsee; Ostgalizien liegt günstig zum Schwarzen Meer; für das Wilna-Gebiet ist Riga der nächste Hafen, für Posen ist es Stettin.

b) Freihäfen und Verkehrsvergünstigungen siehe S. 40 unter c.


6. Polenthese:
Polens "wirtschaftlicher Drang zur Ostsee"

Die Polen sagen: Polens Außenhandel sei in erster Linie Überseehandel, viel mehr als der anderer Länder. Polen gravitiere wirtschaftlich nach der Ostsee.

[42] Antwort. Der größte Teil Polens gravitiert wirtschaftlich überhaupt nicht nach außen, sondern ist so gut wie autark. Ohne die ehemals deutschen Gebiete wäre Polen eines der autarksten Länder der Welt und fast gar nicht auf die See angewiesen.

Der polnische Überseehandel ist zurzeit infolge des deutsch-polnischen Zollkonflikts und der polnischen Seepolitik mit künstlichen Mitteln abnorm aufgebläht. Dennoch ging selbst im Rekordjahre 1931 wertmäßig nur ein Drittel des polnischen Außenhandels über Danzig und Gdingen.10

Neuerdings jedoch wird die polnische Kohle aus Oberschlesien, der wichtigste polnische Ausfuhrartikel, in ihrem neuen Absatzgebiet in den Ostseeländern durch die englische Kohle wieder zurückgedrängt. Nach Wiederherstellung normaler Handelsbeziehungen mit Deutschland wird außerdem der polnische Überseehandel weiter zusammenschrumpfen, denn Polens natürliche Absatz- und Bezugswege gehen über die Landgrenzen; noch 1925 gingen über die danzig-polnische Küste nur 15 - 16% der Tonnenzahl des polnischen Außenhandels (Schneider S. 84; Smog. S. 310).

a) Polens geringe weltwirtschaftliche Verflechtung zeigt z. B. der Vergleich mit anderen Binnenstaaten. Der Außenhandel pro Kopf in RM.11 betrug in

1931     Durchschnitt    
1928 - 30
            Zollgebiet Polen - Danzig     48  84           
            Schweiz 710  920           
            Österreich 300  455           
            Tschechoslowakei 209  321           
            Ungarn 94  920           
            Paraguay 72  131           

      Polen-Danzig hat also eine niedrigere Außenhandels-Kopfquote als jene fünf Binnenstaaten; es hat nächst Albanien die niedrigste Außenhandels-Kopfquote Europas.12 Dabei beruht der Außenhandel Polen-Danzigs zum größeren Teil auf den ehemals deutschen Gebieten (vgl. S. 44). Der polnische Außenhandel beträgt wertmäßig rund ein Zehntel des deutschen und noch nicht 1% des Welthandels. Fallende Tendenz des polnischen Außenhandels: 1929 5,9 Mill. Zloty, 1932 1,9 Mill. Zloty = 0,9 Mill. RM.

b) Die abnorme Aufblähung des polnischen Überseehandels durch oberschlesische Kohle ist zunächst begründet in der ungerechten und übermäßigen Zuteilung von oberschlesischen Kohlengruben an Polen. Obwohl die Bevölkerung Oberschlesiens durch polnische Banden terrorisiert wurde, brachte die oberschlesische Abstimmung von 1921 nur [43] 40% polnische Stimmen. Dennoch wurde das Land geteilt, und Polen erhielt über 90% der Kohlenvorräte, fast 75% der Kohlenproduktion, über 60% der Zink- und Bleierzvorräte, über 80% der Zinkblende-Produktion, fast 70% der Rohstahlproduktion usw.13 Dabei besaß Polen schon in den Kohlenbecken bei Dombrowa und Krakau große Bodenschätze. Oberschlesien bedeutet (nach polnischen Quellen) 1% der Fläche, 4% der Einwohner, 53% der Ausfuhr Polens.13
      Während vor dem Kriege fast gar keine oberschlesische Kohle über See exportiert wurde, hatte bis 1931 Polen in Skandinavien, Finnland und den Randstaaten den Hauptteil der Kohlenversorgung an sich gerissen (1928 - 31 53, 45, 51, 62%).13 Nur für die - die Wirtschaft vergewaltigende und den Weltmarkt störende - polnische Seepolitik gehören Oberschlesien und der Korridor zusammen wie die zwei Kugeln einer Hantel.14

c) 200 Millionen Zloty Subventionen für 600 Millionen Zloty Seeausfuhr: diese Zahlen kennzeichnen die Künstlichkeit des polnischen "Dranges zur Ostsee". Nach den Ausweisen des polnischen Handelsministeriums sind im Haushaltsjahr 1931/32 152 Millionen Exportprämien und etwa 60 Millionen Frachtprämien aus der Staatskasse zur Förderung der Seeausfuhr gezahlt worden; diese betrug im gleichen Zeitraum rund 600 Millionen Zloty. Noch größer als die staatlichen Opfer sind die privaten: hohe Inlandspreise und -frachten zum Ausgleich der niedrigen Seexportpreise und -frachten.

d) Polens Konkurrenzmethoden im Kohlenexport. Der englische Bergarbeiterstreik von 1926 erleichterte Polen die Zurückdrängung der englischen Kohle auf den Ostseemärkten, die dann u. a. mit folgenden Mitteln fortgeführt wurde: Hungerlöhne; niedrige Sozialleistungen; verbilligte Bahntarife und (in Gdingen) Hafentarife; verbilligte, tief unter den Inlandspreisen liegende Exportpreise. Bahntarife:15 der Seehafen-Exporttarif für Kohle beträgt 7,20 Zloty pro t von Oberschlesien nach Gdingen und Danzig; das sind 22% des normalen Tarifs von 32,90 Zloty;16 für die 500 000 t monatlich übersteigenden Mengen gilt der noch niedrigere Tarif von 5,50 Zloty =17% des normalen Tarifs. Es hat sich 1932 herausgestellt, daß in Wien oberschlesische Kohle über Gdingen - Triest billiger zu beziehen war als auf dem direkten Eisenbahnwege (verdreifachter Bahnweg und außerdem Seetransport rund um Europa). Dumpingpreise: Exportpreise seit 1927 immer unter den Selbstkosten der Grube, 1932 sogar unter den Kosten der reinen Arbeitslöhne. Inlandpreise heraufgesetzt, um Exportpreise senken zu können.

e) Schrumpfung des polnischen Überseehandels. Seit der Senkung des Pfundes ist England erfolgreich und zäh bemüht, den an Polen ver- [44] lorenen Kohlenabsatz wieder zu erobern. Es bemüht sich mit Erfolg um Vereinbarungen mit den nordischen Ländern, die Polens Export doppelt treffen, z. B. daß Dänemark englische statt polnischer Kohle und England dänische statt polnischer Lebensmittel einführt. Weitere entscheidende Schrumpfung muß eintreten, wenn die deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen wieder normalisiert werden. 1931 Umschlag Danzigs und Gdingens 13,7 Millionen t, 1932 nur noch 10,7.17 Vgl. auch S. 105. Der Überseehandel der Schweiz war 1929 doppelt so groß wie der ganze Außenhandel Polens.


7. Polenthese:
Der Korridor und Polens Selbständigkeit

Die Polen sagen: Ohne den polnischen Korridorbesitz würde Deutschland 70 - 80% des polnischen Außenhandels kontrollieren; damit hätte Polen seine wirtschaftliche und zugleich seine politische Selbständigkeit verloren.18

Antwort: Die Zahl von 70 - 80% beruht auf einem widersinnigen Zahlenmanöver: der Addition von Warendurchfuhr und Güteraustausch. Warendurchfuhr bedeutet im Frieden keine Kontrolle oder Abhängigkeit, und Güteraustausch bedeutet gegenseitige Abhängigkeit und beiderseitigen Vorteil.

Der deutsch-polnische Güteraustausch beruht hauptsächlich auf den von Deutschland abgetrennten Gebieten. Sie brauchen nach ihrer wirtschaftlichen Struktur den deutschen Markt für ihren Absatz und die deutsche Ware für ihren Verbrauch. Durch Rückgabe solcher Gebiete, also auch durch Rückgabe des Korridorgebiets an Deutschland würde demnach Polen die ihm unerwünschte wirtschaftliche Verflechtung mit Deutschland vermindern können.

a) Durchfuhr berührt Polens Selbständigkeit nicht: vgl. S. 39 f.

b) Die ehemals deutschen Gebiete und Polens Außenhandel. Vgl. auch S. 47 f. Die oberschlesische Kohle hat ihren natürlichen Absatz im Deutschen Reich verloren und wird jetzt von Polen unter großen Verlusten auf dem Weltmarkt verschleudert. Entsprechendes gilt für die landwirtschaftlichen Veredelungserzeugnisse der heute polnischen posenschen und westpreußischen Gebiete: Zucker, Fleischerzeugnisse, Müllereierzeugnisse, Sprit u. a. Andererseits ist in den ehemals deutschen Gebieten der kulturelle und wirtschaftliche Standard der Bevölkerung so hoch, daß sie schwer ohne deutsche Qualitätswaren auskommt. Dagegen ist bei den ehemals deutschen Gebieten die wirtschaftliche Verflechtung mit dem eigentlichen Polen gering.

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8. Polenthese:
Der polnisch-deutsche Zollkonflikt

Die Polen sagen: Nur weil Polen den Korridor und die Küste besitze, habe es den Wirtschaftskampf mit Deutschland seit 1925 durchhalten können.

Antwort: Es ist noch verfrüht, über den deutsch-polnischen Wirtschaftskampf zu urteilen. Sein Ergebnis wird von anderen Dingen abhängen als von dem polnischen Küstenbesitz, denn Polen steht und stand immer zu günstigen Bedingungen der Weg über deutsche Bahnen und Häfen offen. Es hat während des Zollkriegs 1926 den Hauptteil seines Kohlenexports über deutsche Häfen geführt. Selbst heute noch, nach Jahren krampfhafter Seepolitik, gehen im Verkehr mit Nord- und Westeuropa die wertvollen Güter überwiegend über Deutschland; dagegen gehen über Danzig und Gdingen vorwiegend geringwertige Massengüter (Kohle, Erz, Holz u. a.).

a) Krampfhafte Seepolitik s. S. 42 ff.

b) Zu der Seepolitik (planmäßige Lenkung des Güterverkehrs durch den Korridor, Bau und Bevorzugung Gdingens, Schaffung einer Handelsflotte usw.) war Polen nicht durch den Zollkampf gezwungen, sie war ein freier Entschluß, der zum großen Teil politische Ziele verfolgt: die Existenzberechtigung des Korridors nachzuweisen und Polen wirtschaftliche Weltgeltung oder wenigstens den Schein einer wirtschaftlichen Großmacht zu verschaffen. Hauptfaktor der Seepolitik, nämlich Bau des Gdingener Staatshafens, schon 5 Jahre vor Zollkampf beschlossen. Mitte 1924 Vertrag zum Bau des Hafens Gdingen mit dem französisch-polnischen Konsortium; Ausbruch des Zollkampfes erst 1925.

c) Seepolitik und Wertgüter. Überlandweg mit der Eisenbahn nach Westeuropa wirtschaftlicher als Seeweg; Seeweg langsamer, doppeltes Umladen. Für Überseexport von Wertgütern große Bedeutung der deutschen Nordseehäfen mit ihrer Handelsorganisation und ihren Verschiffungsmöglichkeiten. Vgl. Schneider, S. 78 ff.

d) Maßvolle deutsche Kampfesweise im Wirtschaftskonflikt. In der internationalen Kreditkrise von 1931 haben die deutschen Banken - im Gegensatz zu den französischen - ihre kurzfristigen Kredite in Polen kaum vermindert, obwohl ihnen selbst mehrere Milliarden vom Ausland gekündigt worden waren.19 Ferner: Deutschlands Anteil an der polnischen Ausfuhr betrug 1924 42% und 1929 trotz seit 1925 währendem Zollkonflikt noch 31%. Weiterer Rückgang des deutschen Anteils (1931 17%) liegt an deutschen Maßnahmen zum Schutz der Landwirtschaft gegen die Weltkrise, die sich allgemein gegen das Ausland richten. 1932 Abmachungen mit dem Ziel, Verschärfung des Wirtschaftskampfes zu vermeiden.

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9. Polenthese:
Das Verkehrskreuz von Dirschau (Tczew)

Die Polen sagen: Im "Korridor" mache Polens Nordsüdverkehr das Mehrfache des deutschen Ostwestverkehrs aus (Tonnenzahl, festgestellt am Knotenpunkt Dirschau).

Antwort: Bloßer polnischer Durchgangsverkehr schafft noch kein Besitzrecht, ebensowenig wie deutscher Durchgangsverkehr in Holland und Belgien. Viel wichtiger als polnischer Durchgangsverkehr ist das wirtschaftliche Lebensrecht des Korridorlandes selbst, das gerade wegen der Heraustrennung aus dem deutschen Staats- und Wirtschaftsgebiet immer mehr herunterkommt (vgl. S. 35 f. und S. 54).

Im übrigen vergleichen die Polen, und zwar mit irreführenden Zahlen, zwei ganz verschiedenartige Güterströme, die unvergleichbar sind wie Wein und Wasser:

  • auf deutscher Seite reiner Inlandsverkehr, gewissermaßen Blutumlauf in den Adern eines Wirtschaftskörpers, für Ostpreußen lebenswichtig, an Ostpreußen gebunden, das der natürliche Ausgangs- und Zielpunkt dieses Verkehrs ist;
  • auf polnischer Seite Verkehr zum Austausch von Wirtschaftsüberschüssen mit der Außenwelt, und zwar Außenverkehr eines größtenteils fast autarken Landes; Verkehr, der meist an ganz anderen Stellen die polnische Grenze überschreiten würde, wenn er nicht von Polen künstlich gegen die Wirtschaftsgesetze durch den Korridor gezwängt würde.

a) Künstliche polnische Verkehrslenkung durch die Seepolitik vgl. S. 43.

b) Lebensnotwendigkeit des deutschen Ostpreußen-Verkehrs ergibt sich aus dem agrarischen Charakter Ostpreußens: Absatz ostpreußischer Agrarprodukte, Bezug notwendiger Industrieerzeugnisse. Seeverkehr kein Ersatz für Bahnverkehr, da langwierig und mit doppeltem Umschlag verbunden.

c) Falsche polnische Berechnungsmethoden beim Güterverkehr. Die meisten polnischen Propagandaschriften vergleichen den Verkehr über Dirschau im Jahre 1928: deutscher Ostpreußen-Verkehr 1,49, polnischer Seehäfenverkehr 10,26 Millionen t (davon 9,22 Ausfuhr), also Verhältnis 1 : 7. Dabei fehlt aber der deutsche Ostpreußen-Verkehr über die südlichen Durchgangsstrecken (hauptsächlich über Bromberg), der nach Rückgabe des Korridors sicher nicht mehr über polnische Strecken gehen wird. Daher deutscher Verkehr 1928 nicht 1,49, sondern 4,48 Millionen t, also Verhältnis nicht 1 : 7, sondern 1 : 2. Das sind Tonnenziffern. Wertziffern schwer exakt zu berechnen. 75% der [47] polnischen Tonnenziffern sind Steinkohlen, 84% Steinkohle, Koks, Holz, Erz und Schrott; völlig andere Zusammensetzung des deutschen Verkehrs, der an Wert mindestens dem polnischen gleichkommt. Zieht man 1928 auf beiden Seiten die Steinkohlen ab, so ist der deutsche Verkehr an Gewicht überlegen (3,3 gegen 2,6 Millionen t).20 Noch klarer als 1928 wird sich das deutsche Übergewicht in den Zahlen von 1932 und 1933 herausstellen, seit die Exportkonjunktur für polnisch-oberschlesische Kohle nachläßt.

d) Beim Vergleich des Gesamtverkehrs muß außer dem Eisenbahngüterverkehr auch Personen-, Post- und Drahtverkehr berücksichtigt werden, wodurch das deutsche Übergewicht noch erhöht wird.


10. Polenthese:
2 oder 32 Millionen?

Die Polen sagen: Es sei gerechter, 2 Millionen Ostpreußen unter dem "Korridor" leiden zu lassen als 32 Millionen Polen durch Beseitigung des "Korridors" vom Weltverkehr abzuschließen.

Antwort: Von Polen mit seinen 32 Millionen Einwohnern ist nur ein Teil wesentlich mit dem Seeverkehr verflochten, und zwar hauptsächlich das ehemals deutsche Gebiet mit 4 Millionen Einwohnern. Und selbst dort ist der Überseehandel erstens nur ein Notbehelf und zweitens nicht an den polnischen Korridorweg gebunden.

Für die ganze Bevölkerung Polens dagegen wäre es ein Segen, wenn Polen durch Grenzrevision aus den schlechten wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit dem großen Nachbarn Deutschland herauskäme.

Auf der anderen Seite werden nicht bloß 2 Millionen Ostpreußen durch den Korridor geschädigt, sondern auch Hunderttausende von Verdrängten und letzthin die ganzen 67 Millionen Reichsbevölkerung.

a) Polens geringe weltwirtschaftliche Verflechtung siehe S. 42.

b) Gesicherte Seeausfuhr auch bei Durchfuhr durch Deutschland, also Entbehrlichkeit des Korridors, siehe S. 39 f.

c) Die früheren deutschen Gebiete als Basis des polnischen Überseehandels. Im Durchschnitt der Jahre 1927 bis 1929 kamen vom Eisenbahngüterverkehr Danzigs und Gdingens mengenmäßig auf die ehemals deutschen Gebiete beim Ausfuhrverkehr 73%, beim Einfuhrverkehr [48] 60%. Dabei sind durch Massengüter aufgebläht sowohl die Zahlen der ehemals deutschen Gebiete wie auch die des Hauptteils Polens (Kohle des Dombrowaer Bezirks, Holz aus Ostpolen u. a.). Entsprechend Warenverkehr von Danzig allein: am Eisenbahnverkehr Danzigs waren 1926 bis 1932 die ehemals deutschen Gebiete mengenmäßig stets mit 60 - 70% beteiligt. Bei Mitberücksichtigung des Binnenschiffahrtsverkehrs würden die gesamten Prozentsätze noch etwas höher sein. - Vgl. Schneider S. 93.

d) Die natürliche Verkehrsrichtung der ehemals deutschen Gebiete ist bei Oberschlesien nach Westen zum Reich (und nach Südosten), bei Posen nach Westen zum Reich, bei Westpreußen nach den umliegenden deutschen Gebieten und nach Danzig. Da Güteraustausch in dieser Richtung durch Grenzziehung erschwert und Güteraustausch mit dem eigentlichen Polen gering, bleibt Überseehandel als Notbehelf. Aber dieser ist nicht an den polnischen Korridorbesitz gebunden.

e) Bessere Lage der Polen nach Rückgabe des Korridors. Kein Volk kann auf die Dauer in einer so unsicheren Lage gedeihen wie Polen mit seinem Korridor, dessen Besitz es zu unerhörten Rüstungslasten (über 1⁄3 des Staatshaushalts) und den Opfern seiner Seepolitik veranlaßt. Gerade ein wirtschaftlich zurückgebliebenes und dabei ziemlich dicht bevölkertes Land wie Polen braucht für eine gedeihliche Entwicklung Ruhe und Sicherheit, wofür aber die Aussöhnung mit Deutschland die Voraussetzung ist. Vgl. auch S. 67 und 69.

f) Wirtschaftliche Schädigung Deutschlands durch den Korridor s. S. 49 - 52.


11. Polenthese:
Ein "deutscher Korridor"?

Die Polen sagen: Besser ein polnischer "Korridor" zum Meer als ein deutscher Korridor, ein Gang längs des Meeres nach Ostpreußen.

Antwort: Ein "deutscher Korridor": das heißt die Dinge auf den Kopf stellen. Wenn Deutschland das Korridorgebiet zurückerhält, ist dann etwa Polen in zwei Teile zerschnitten, so wie Deutschland jetzt durch den polnischen Korridor?

Das Korridorgebiet in polnischer Hand ist ein abnormer Zipfel, der mit dem übrigen polnischen Gebiet wenig verbunden ist und für Polen nur ein Durchgangsgebiet darstellt. Das Korridorgebiet in deutscher Hand dagegen würde eine Lücke im deutschen Gebiet füllen und mit dem übrigen Deutschland in engsten wirtschaftlichen Austausch treten; es würde seinen Korridorcharakter verlieren. Zugleich wäre dann das polnische Staatsgebiet von einer Ausbuchtung befreit, also seine Geschlossenheit erhöht.

[49]
12. Polenthese:
Das zerrissene ostdeutsche Eisenbahnnetz.
[34]      Abb. 8: Das zerrissene ostdeutsche Eisenbahnnetz.
(Mit wenigen Ausnahmen sind die Bahnen
an der Grenze stillgelegt oder gesperrt.)
Der deutsche Korridorverkehr

Die Polen sagen: Für Deutschland läge kein Grund vor, sich über den Korridor zu beklagen, denn der deutsche Durchgangsverkehr sei ausreichend und funktioniere einwandfrei.

Antwort: Der Korridor ist in vieler Hinsicht ein Verkehrshindernis; aber das ist ja gar nicht der Kernpunkt der Frage. Nur der Neuling in der Korridorfrage sieht in dem deutschen Durchgangsverkehr die Hauptschwierigkeit; in Wirklichkeit aber ist das deutsche wirtschaftliche Korridorproblem in erster Linie eine Frage des Güteraustauschs und der wirtschaftspolitischen Hebung eines zusammengehörigen Gebiets, das zu seinem Schaden zerstückelt worden ist (vgl. S. 51 f. und 54 f.)

a) Stillegung von Verkehrswegen. An 52 Stellen im deutschen Osten durchschneidet die neue Grenze Reichsbahnstrecken, an 144 Stellen Kunststraßen, an 722 Stellen sonstige Landstraßen.22 Die meisten dieser Stellen sind für den Verkehr stillgelegt, ja durch Blockierung oder Wegnahme der Schienen unpassierbar gemacht worden. Ein großer Teil dieser Verkehrszerschneidungen betrifft das Korridorgebiet. Zerstörung der Münsterwalder Bahn- und Straßenbrücke siehe S. 121 ff. [Scriptorium merkt an: siehe auch hier!]

b) Binnenschiffahrtsverkehr fast tot zwischen Ostpreußen und dem Reich. Vor dem Krieg billiger Massengüterverkehr über Weichsel, Bromberger Kanal, Netze; Vernachlässigung der Weichsel; Verbot des Ein- und Ausladens auf der Durchgangsstrecke.23

c) Landstraßenverkehr auf wenige Straßen beschränkt, leidet unter schlechter Straßenpflege und Durchgangsbestimmungen. Wer im Kraftwagen von Pommern über Danzig und Dirschau nach Ostpreußen fährt, passiert 10 Zoll- und Paßkontrollen.24

d) Eisenbahngüterverkehr.25 Verzögerung besonders schädlich im Viehverkehr. Durchgangszüge an der Grenze auf Grund strenger Vorschriften über Wagen- und Zugausnutzung zusammengestellt, Verzögerung bis zu 24 Stunden; Ladungen von Ostpreußen nach Schlesien brauchen für das polnische Durchgangsgebiet 3 - 4 Tage. Formalitäten: Ladelisten in siebenfacher, Zuglisten in zwölffacher Ausfertigung. Jährlich mehrere Millionen Mark Verlust der Reichsbahn, die zugunsten des Verfrachters die Differenz zwischen dem deutschen und dem polnischen Tarif trägt, der nach den hohen Anfangsstaffeln für kurze Strecken berechnet wird. Ohne diese Verluste könnte die Reichsbahn mehr für die Verbilligung des Ostpreußenverkehrs tun. Gefahr völliger Verkehrseinstellung bei polnischen Unruhen und Streiks.

[50] e) Eisenbahn-Personenverkehr.26 Keine Paßkontrolle im privilegierten Korridorzug, Fensteröffnen im Abteil in bestimmten Zügen neuerdings gestattet. Verhaftungen von Reisenden wegen Verdachts auf polnischem Gebiet begangener Vergehen und Verbrechen sind möglich und vorgekommen. Bei einem Eisenbahnunglück (Stargard 1925) lehnte die polnische Bahn Haftung für Schäden ab. - Verluste der Reichsbahn wie unter d.

f) Militär-Durchgangsverkehr. Nur Strecke Schneidemühl - Marienburg. Im gewöhnlichen Verkehr wöchentlich nur ein Militärzug und ein Militärgüterzug in jeder Richtung. Im außergewöhnlichen Verkehr (14 Tage vorher anzumelden) höchstens drei Züge täglich, Korridorverkehr nur am Tage.

g) Eisenbahn-Danzig-Verkehr. Wer ohne polnisches Visum nach Danzig fahren will, ist auf zwei visumfreie Personenzüge von Marienburg nach Danzig angewiesen. Man fährt dann von Berlin nach Danzig folgendermaßen: Berlin - Dirschau - Marienburg und im Personenzug von Marienburg wieder durch Dirschau nach Danzig. Bedeutende Verzögerung; übrigens werden sechs Grenzen überschritten. Wer ohne polnisches Visum von Hinterpommern nach Zoppot im Danziger Freistaat fahren will, darf nicht dort aussteigen, sondern fährt weiter über Danzig, Dirschau, Marienburg, wieder über Dirschau und über Danzig nach Zoppot. Das sind statt 50 km 174 km.

h) Verkehrshindernis für das Ausland. Trotz langjähriger Bemühungen über Vereinbarungen mit Polen ist bisher z. B. ein direkter Güterverkehr zwischen Deutschland westlich des Korridors und dem östlichen Auslande (Rußland, China, Japan, Lettland, Estland, Litauen) nicht möglich. Auch im Verkehr mit dem übrigen Auslande nur teilweise Verkehr mit direktem internationalen Frachtbrief über den Korridor hinaus durchgeführt. Schwierigkeiten auch im Personenverkehr: zur Zeit (März 1933) z. B. noch keine Fahrkarte Berlin - Riga.

i) Reichsbahn-Werbeschrift (Dr. Holz). In der ersten Nachkriegszeit unerhörte Zustände im Bahnverkehr mit Ostpreußen.27 Häufig unzulässige Revisionen und Beschlagnahmungen von Gütersendungen durch Polen, große Verspätungen, August 1921 8 Tage Durchgangsverkehr durch polnischen Streik betroffen; lebensgefährlich überfüllte Personenzüge, Rationierung der Fahrkarten. Daher Vertrauensschwund, Abwanderung des Verkehrs auf den Seeweg. Als schließlich die Reichsbahn mit Polen nach unendlichen Mühen das Pariser Abkommen von 1921 zustande gebracht und durchgeführt hatte, war Verkehrswerbung nötig. So entstand eine Werbebroschüre der Reichsbahndirektion Königsberg, die die günstigen Tatsachen unterstreicht; aus ihr zitiert die polnische Propaganda seit mehr als einem Jahrzehnt unablässig folgende Sätze: "Für den Durchgangsverkehr ist Ostpreußen keine Enklave mehr. Die Reichsbahn hat die Brücke über das polnische Durchgangsgebiet geschlagen."

[51] k) Seeverkehr mit Ostpreußen spielte vor dem Krieg eine geringe Rolle. Der Inlands-Güterverkehr Ostpreußens mit dem übrigen Deutschland war 1913 auf der Eisenbahn viermal so groß wie zur See. Steigerung des Seeverkehrs trotz Langwierigkeit und doppeltem Umschlag: Seeverkehr Ostpreußens mit den übrigen deutschen Häfen 1913 937 000, 1928 1 765 000, 1931 1 708 000 t.


13. Polenthese:
Wirtschaftliche und psychologische Schädigung Deutschlands

Die Polen sagen: Der "Korridor" habe für Deutschland keine wirtschaftlichen Schädigungen zur Folge, sondern wirke sich nur psychologisch aus.

Antwort: Psychologische Momente haben die größte Wirkung auf den Gang der Geschichte; gerade weil man bei der Schaffung des Korridors auf entscheidende psychologische Imponderabilien keine Rücksicht genommen hat, wird der Korridor keinen Bestand haben.

Im übrigen hat der Korridor die schwersten wirtschaftlichen Schädigungen für Deutschland zur Folge. Das gilt besonders für Ostdeutschland, das vor dem Kriege ein aufblühendes Gebiet war, heute dagegen nur durch große Opfer des übrigen Deutschland vor dem Zusammenbruch bewahrt wird.

a) Deutscher Verlust an Produktions- und Absatzmöglichkeiten. Im Korridor (einschließlich Netzegau) und Danzig 1910 1,7 Millionen Menschen, davon 1 Million in Land- und Forstwirtschaft, größerer Teil der landwirtschaftlichen Fläche war Bauernland, 3⁄4 des Grundbesitzes war in deutscher privater oder öffentlicher Hand. Etwa 1⁄3 des Korridorgebiets ist Wald- und Ödland, besonders Tucheler Heide; dafür in den Weichselniederungen sehr hoher Viehstand und bedeutende Erträge an Weizen und Zuckerrüben; landwirtschaftliche Veredelungsindustrie in Westpreußen. Schwere industrielle Absatzverluste namentlich für die schlesische Industrie und die Industrie der anderen deutsch gebliebenen Ostgebiete. Jahrelang wiederholte Überschwemmungen in dem von Friedrich dem Großen kolonisierten Warthe- und Netzebruch, seit Oberlauf der Flüsse in polnischen Händen.

b) Schäden durch Zerstückelung eines einheitlichen Wirtschaftsgebiets.28 Früher war der ganze deutsche Nordosten ein nach Westen tendierender, im übrigen aber im wesentlichen in sich geschlossener Wirtschaftskörper mit regem Austausch der Teile untereinander. Westpreußen und Posen waren landwirtschaftliche Veredelungsgebiete, für die Ostpreußen und Hinterpommern zum großen Teil das Rohmaterial in Gestalt von Getreide, Kartoffeln, Jungvieh, Magervieh lieferten. Andererseits ging der [52] industrielle Absatz Schlesiens bis nach West- und Ostpreußen. Die Arbeitsteilung innerhalb des deutschen Ostens ist durch die neuen Grenzen zerstört - zugleich auch der wirtschaftliche Aufstieg des deutschen Ostens, den die folgende Zahl zeigt: von 1882 - 1907 ist die Zahl der dort in der Industrie beschäftigten Personen um etwa 60% gestiegen. Die ostdeutsche Landwirtschaft profitierte damals von dieser wachsenden heimischen Industrialisierung und von dem qualitativ und quantitativ wachsenden Bedarf der großen deutschen Industriegebiete.
      Neue Grenze heute besonders verhängnisvoll wegen hoher Zollmauern, die durch die nationalistische, das Wirtschaftsleben stark politisch beeinflussende polnische Wirtschaftspolitik verstärkt werden.

c) Am meisten geschädigt ist Ostpreußen, das besonders stark auf den nahen Absatz im Korridorgebiet angewiesen war. Näheres siehe S. 117 ff.

d) Schäden durch schikanöse Grenzziehung. Die neue Grenze trennt mehrere Orte von ihren Bahnhöfen, zahlreiche Städte von ihrem Absatzgebiet, Bahnen und Straßen von ihren Knotenpunkten, Dörfer von ihren Schulen und Kirchhöfen, Bauern von ihrem Land. Die meisten Bahnen und Landstraßen führen ins Nichts (vgl. S. 49). Am schlimmsten die "Weichselwunde", vgl. S. 119 ff.


14. Polenthese:
Der fehlende Handelsvertrag

Die Polen sagen: Der Niedergang der deutsch gebliebenen Ostgebiete liege nicht am Korridor, sondern am Fehlen eines Handelsvertrags.

Antwort: Die Folgen einer sadistischen Grenzziehung kann kein Handelsvertrag wiedergutmachen. Kein Handelsvertrag kann Deutschland mit den abgetretenen Gebieten wirtschaftlich verbinden und dort ähnliche wirtschaftliche Vorbedingungen wie in Deutschland herstellen, andererseits aber Deutschland gegen den Wettbewerb des tieferstehenden polnischen Hauptgebiets abschließen.


15. Polenthese:
Der Korridor und Deutschlands Lebensmittelversorgung

Die Polen sagen: Deutschland könne das Korridorgebiet wirtschaftlich nicht brauchen, denn seine Rückgabe würde Deutschlands Überschuß an Agrarprodukten noch verschlimmern.

Antwort: Deutschland hat keinen Überschuß an Agrarprodukten, denn es mußte selbst im Höhepunkt der Krise noch Veredelungsprodukte, Fette und Futtermittel einführen. Der Bedarf Deutschlands an Agrarprodukten wird noch steigen, wenn einmal nicht mehr [53] 6 Millionen Arbeitslose mit ihren Familien hungern oder ihren Verbrauch einschränken.

Deutschland ist dabei, seine agrarische Produktion rationell zu ordnen; es könnte darum sehr wohl noch die landwirtschaftlichen Überschüsse des Korridorgebiets verbrauchen, zumal da sie in einem dem Reiche wiedergegebenen Gebiet nicht mehr wie heute bei einem niedrigeren Kulturniveau zu abnorm geringen Selbstkosten erzeugt werden und zu abnorm niedrigen Preisen auf den Markt kommen.


16. Polenthese:
Das Korridorgebiet unter Deutschland

Die Polen sagen: Das "Korridorgebiet" habe unter Deutschland ein kümmerliches Dasein gefristet.

Die Kulturgrenze im heutigen Polen.
[33]      Abb. 7: Die Kulturgrenze
im heutigen Polen.
("Westpolen" ist im wesentlichen das
ehemals deutsche Gebiet.)
Antwort: Den Gegenbeweis liefert die Kulturgrenze, die längs der alten deutsch-russischen Grenze durch das heutige polnische Staatsgebiet geht; sie ist wohl die schärfste, die überhaupt zu finden ist.

In dem industriellen Deutschland gehörte das Korridorgebiet als agrarischer Bezirk zu den ärmeren Landesteilen und hatte daher Nutzen von der Steuer- und Kaufkraft der reicheren Bezirke. Als es zu Polen kam, gehörte es dort zu den reichsten Gebieten und wurde zugunsten der ärmeren polnischen Provinzen hoch besteuert und ausgepowert.

Die Kulturgrenze zwischen ehemals deutschem und ehemals russischem Gebiet ist noch heute festzustellen, und zwar nicht nur vom Flugzeug, sondern auch von der Eisenbahn und dem Kraftwagen aus. Folgende Zahlen29 zeigen, daß unter Preußen und Deutschland Wohlstand ins Land und Licht in dunkle Köpfe gebracht worden ist.

Posen u.
  Pommerellen  
Galizien   Kongreß-  
polen
Ost-
gebiete
Anteil der Analphabeten 1921
in % der über 10 Jahre alten Einwohner
unter 5 etwa 30 über 30 fast 70
Einkommenssteuer der Landwirtschaft pro ha 25,50 5,70 8,50 2,20
auf 1 km fester Landstraße kommen qkm unter 4 5,2 14 72
auf 10 m Eisenbahn kamen Einwohner 5 19 26 33

[54] Ein polnisches Urteil: Bukowiecki, ein durchaus annexionistischer Pole, Generalstaatsanwalt, schreibt:30 "Die Deutschen unterschieden sich als Besitzer polnischer Gebiete auch darin von Rußland und Österreich, daß sie das eroberte Gebiet nicht als ein Objekt wirtschaftlicher Ausbeutung betrachteten, sondern in ihm eine rationelle Verwaltung einführten, die für das besetzte Gebiet von Vorteil war, wie sie denn überhaupt das Land kulturell in jeder Hinsicht zu heben verstanden." Wirtschaftszahlen s. auch S. 146.


17. Polenthese:
Das Korridorgebiet unter Polen

Die Polen sagen: Der Wohlstand des Korridorgebiets sei unter Polen nicht geringer geworden.

Antwort: Der Niedergang wird von maßgebenden Polen selbst zugegeben. Er konnte nicht ausbleiben, denn das Land wurde aus seinem Wirtschaftszusammenhang herausgerissen und mit Gebieten mit niedrigerer Lebenshaltung verkoppelt, mit denen es sich wirtschaftlich nicht ergänzt. Es verlor seine alten Märkte für landwirtschaftliche Qualitätsprodukte und mußte dafür zu niedrigsten Preisen exportieren. Die tüchtigen deutschen Landwirte wurden zum großen Teil verdrängt und durch Leute aus Kongreßpolen oder Galizien ersetzt; das Land wurde einer schlechteren Verwaltung ausgeliefert und einer Politik mit chauvinistischer, nicht wirtschaftlicher Zielsetzung untergeordnet.

Deutschland hebt seine ärmeren Landschaften, Polen zieht seine reicheren herab.

a) Rückgang der Landwirtschaft. Kunstdüngerverbrauch in Posen und Pommerellen: 1913 600 000 t, 1928 bis 1930 durchschnittlich 145 000 t = 1⁄3. Rückgang der Hektarerträge: z. B. bei Zuckerrüben in Posen Durchschnitt 1909/13 31,8, Durchschnitt 1923/30 23,5. Hektarerträge für Getreide in Posen und Pommerellen 1930 auf 64% des Standes von 1908/13 zurückgegangen. Rückgang der Schweinehaltung in Pommerellen: pro ha 1913 61, 1927 42. Niedergang wird sich erst in kommenden Jahren statistisch voll niederschlagen. Gründe für Niedergang außer den oben genannten die enorme Preisschere: hohe Preise für Industrieerzeugnisse, sehr niedrige für Landwirtschaftsprodukte, da Polen zu Preisstützungsmaßnahmen wie in Deutschland nicht in der Lage ist und da mangels genügenden Absatzes in Polen notgedrungen großer Export zu Weltmarktpreisen, also ruinöser Verlustexport. Vgl. Schneider, S. 48 ff.

b) Rückgang der Industrie betrifft alle Zweige, insbesondere Landmaschinenindustrie, Holzindustrie und landwirtschaftliche Veredelungs- [55] industrie (Zucker, Spiritus). Riesige Zuckerausfuhr (weit größer als die deutsche), 1932 zu einem Drittel der Produktionskosten.31

c) Steuerliche Auspressung: 60% seiner direkten Einnahmen zieht der polnische Staat aus den ehemals preußischen Gebieten.32

d) Polnische Zeugnisse. Im Gedenkbuch zur Zehnjahresfeier Pommerellens (herausgegeben vom Pommerellischen Reserve-Unteroffiziers-Verband und redigiert unter Leitung des Präsidenten der pommerellischen Landwirtschaftskammer) spricht St. Manthey im Hinblick auf die Landwirtschaft Posens und Pommerellens von einer "Strukturkrise, die aus der Unifizierung der drei Teilgebiete mit verschiedenem Niveau der Anbaukultur, der Produktionstechnik, der Lebenshaltung, der Agrarverfassung usw. folgt".33 Die führende Warschauer Wirtschaftszeitung Gazeta Handlowa schrieb im Februar 1932 zu einer Denkschrift der Wirtschaftsorganisationen der polnischen (ehemals deutschen) Westprovinzen, daß die Polonisierung des Wirtschaftslebens (Ersetzung der Deutschen durch Polen ohne genügendes Betriebskapital) an dem Niedergang wesentlich mitgewirkt habe. Der der Regierung nahestehende Kurier Illustrowany Codzienny schreibt am 19. Mai 1932 am Schluß eines Artikels: "Die Polonisierung der Betriebe, die Schwierigkeiten der Anpassung Posen-Pommerellens an den neuen Wirtschaftsorganismus, die Politik der Zentralregierung, das alles hat den Wirtschaftsorganismus Posen-Pommerellens vernichtet."


18. Polenthese:
Deutschlands und Polens Küstenbesitz

Die Polen sagen: Es sei kennzeichnend, daß Deutschland mit seinen 1773 km Seeküste den Polen noch ihre bescheidenen 72 km Küste wegnehmen wolle.

Antwort: Das ist eine Verdrehung des Streitpunktes. Deutschland kommt es nicht in erster Linie auf die Korridorküste an, sondern auf die Geschlossenheit seines Staats- und Wirtschaftsgebiets.


19. Polenthese:
Das Interesse der Handelspartner Polens

Die Polen sagen: Das mit Polen Handel treibende Ausland sei am Fortbestande des Korridors interessiert. Der ausländische Handel vermeide jetzt unnötige Kosten für die deutsche Vermittlung.

Antwort: Wenn der Korridor mit Danzig an das Reich zurückgegeben und dann auf dem Gebiet zwischen Oder und Memel der Wohlstand wiederhergestellt wird, dann werden diese [56] für Auslandswaren kaufkräftiger werden als heute. Und in das Gebiet, das dann polnisch bleibt, wird der ausländische Handel über die deutschen Häfen und Durchfuhrstrecken ebenso gut und billig eindringen wie etwa in die Tschechoslowakei.

Englands wahres Interesse beleuchtet ein Wort Sir Robert Donalds: England habe durch zwei Fehler (die Zuteilung Oberschlesiens an Polen und die Schaffung des Korridors) die oberschlesische Kohle an die Ostsee gebracht. Näheres über das polnische Kohlendumping siehe S. 42 f.


20. Polenthese:
Das Interesse der mitteleuropäischen Länder

Die Polen sagen: Im Besitze des Korridors könne Deutschland Mitteleuropa die Bahn- und Hafentarife diktieren.

Antwort: Welcher Staat hat den polnischen Korridor nötig, um sich einem deutschen "Tarifdiktat" zu entziehen? Für die Schweiz, Österreich, Ungarn und Südslawien liegt das Mittelmeer am nächsten, Rumänien liegt am Schwarzen Meer, und die Tschechoslowakei kann den Weg über Triest gegen Deutschland ausspielen.
      Dagegen sind alle Staaten Europas daran interessiert, daß an der gefährlichsten Stelle Europas sichere und gedeihliche Verhältnisse geschaffen werden.

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1In einem Gutachten vom September 1928; vgl. Deutschland und der Korridor, S. 249. ***[Scriptorium merkt an: bitte Zusatz zu Teil 1 Anm. 1 beachten!] ...zurück...

2Smog., S. 325 - 29. - Vergleichszahlen von Handelsflotten (1931, in 1000 BRT): Polen 64, Dänemark 1145, Schweden 1704, Norwegen 4066. ...zurück...

3Vgl. Fürst, S. 41. ...zurück...

4Nach Dr. Rydlewski im Kurjer Poznanski (Schmidt, Korridor, S. 25 f.). ...zurück...

5Vgl. Budding, S. 32. ...zurück...

6Volz, Die Frage der Internationalisierung der Weichsel (Danzig 1932), S. 33 f. ...zurück...

7Kraus-Rödiger I, S. 435 und 469. ...zurück...

8Bukowiecki, S. 75 (Polens Drang, S. 20). ...zurück...

9Martel, S. 78 der deutschen Ausgabe. ...zurück...

10Smog., S. 311. ...zurück...

11Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. ...zurück...

12Rußland ist nicht zu Europa gerechnet. ...zurück...

13Nach Werner, S. 15, 17, 21. ...zurück...

14v. Leers, S. 40. ...zurück...

15Vgl. Artikel des Leiters der Tarifabteilung des polnischen Verkehrsministeriums, Gieysztor, nach Ostland-Berichte, 1932, 9 - 11, S. 276 ff. Welche Last die Beförderung der Kohle unter Selbstkosten bedeutet, zeigt schon die Angabe, daß die Kohlentransporte 30% der Transportleistung (in tkm) der polnischen Eisenbahnen ausmachen. ...zurück...

16Die gleichen Zahlen nennt Smogorzewski auf S. 342. ...zurück...

17Einschließlich der tschechoslowakischen und sonstigen Durchfuhr. ...zurück...

18Smog., S. XI, Strasburger in Carnegie, S. 2. ...zurück...

19Vgl. Artikel von Seraphim in Osteuropa, Jan. 1932. ...zurück...

20Nach mehrfach veröffentlichen Berechnungen des Königsberger Instituts für ostdeutsche Wirtschaft. Smog. S. 363 gibt den deutschen Ostpreußen-Verkehr für 1928 mit 4,53 Millionen t an. ...zurück...

[Anm. 21 fehlt.]

22Landeshauptleute, S. 7/8. ...zurück...

23Vgl. Budding, S. 17. ...zurück...

24Vgl. Budding, S. 23 f. ...zurück...

25Vgl. Budding, S. 20 f. ...zurück...

26Vgl. Budding, S. 18 f. ...zurück...

27Näheres bei Fürst, S. 121. ...zurück...

28Näheres siehe Rauschning in Deutschland und der Korridor, S. 109 ff. ***[Scriptorium merkt an: bitte Zusatz zu Teil 1 Anm. 1 beachten!] ...zurück...

29Die erste Zahlenreihe nach Rocznik Statystyki, 1925/26, S. 43; vgl. ferner zu den ersten Zahlenreihen: Rauschning in Deutschland und der Korridor, S. 118 ff. ***[Scriptorium merkt an: bitte Zusatz zu Teil 1 Anm. 1 beachten!]; die letzte, den Stand von 1914 betreffende Zahlenreihe nach Seraphim, "Das Eisenbahnwesen Polens" in Zeitung Deutscher Eisenbahnverwaltungen, 1931, S. 607 ff. ...zurück...

30S. 77 (Polens Drang, S. 19). ...zurück...

31Ausführungen des Abgeordneten Rymar in Warschauer Blättern, April 1932. ...zurück...

32Budding, S. 26. ...zurück...

33Ausführlich zitiert bei Budding, S. 26. ...zurück...

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100 Korridorthesen:
Eine Auseinandersetzung mit Polen

Dr. Arnold Zelle