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Polnische Thesen und deutsche Antworten

 
F. Defensive polnische Danzig-Thesen
(Polens Verteidigung seiner Politik gegen Danzig)

Polens Danzig-Politik

Polen hat 1919 sein Ziel, Danzig zu einer polnischen Stadt zu machen, nicht erreicht. Es hat aber dieses Ziel seitdem niemals aufgegeben.

Im März 1933 landete Polen eine Abteilung Soldaten mit Maschinengewehren und Minenwerfern auf Danziger Staatsgebiet (auf der sogenannten Westerplatte). In den Kreisen des Völkerbundsrats erkannte man einstimmig an, daß diese Aktion Polens eine Vertragsverletzung war, und zwang Polen, seine Soldaten zurückzuziehen.

Dieser Versuch, durch eine vertragswidrige Aktion vollendete Tatsachen zu schaffen, war nicht der erste. 1932 z. B. ließen die Polen unter Verletzung der Verträge ein Kriegsschiff in den Danziger Hafen einlaufen; wenige Stunden später mußte es, auf Eingreifen der Völkerbundsorgane hin, Danzig wieder verlassen. Im [97] gleichen Jahre hat Polen versucht, auf den Eisenbahnen im Danziger Staatsgebiet die Danziger Währung zu verdrängen. Auch dieser Versuch wurde durch den Völkerbund vereitelt.

Gdingen überflügelt Danzig.
[97]      Abb. 11: Gdingen überflügelt Danzig.
Was beweisen diese Tatsachen? Sie zeigen, daß Polen unterschriebene Verträge nicht hält und sich planmäßig bemüht, durch eine Gewaltpolitik der vollendeten Tatsachen die Rechtsstellung des Danziger Staats auszuhöhlen. Gleichzeitig sucht es die Danziger durch Zerstörung ihrer wirtschaftlichen Existenz den polnischen Wünschen gefügig zu machen. Hierher gehört vor allem die Bevorzugung des polnischen Staatshafens Gdingen, den Polen wenige Kilometer von Danzig entfernt gebaut hat - obwohl Danzig nur deshalb vom Deutschen Reich losgelöst worden ist, um Polen als Hafen zu dienen.

Polens Politik gegen Danzig ist die stärkste Propaganda, die ein Staat gegen sich selbst machen kann. Über 100 Danziger Angelegenheiten haben den Völkerbundsrat von 1920 bis Anfang 1933 beschäftigt; auf 50 Ratstagungen sind durchschnittlich jedesmal fünf Danziger Angelegenheiten behandelt worden. Den üblen Ein- [98] druck dieser Streitfälle zwischen einem Staat von 32 Millionen und einem von 400 000 Einwohnern zu verwischen, das ist der Zweck der in diesem Abschnitt behandelten polnischen Thesen.


59. Polenthese:
Danzig als Staat

Die Polen sagen: Danzig sei kein Staat.

Antwort: Die Freie Stadt Danzig ist ein Staat. Sie gehört weder zum Deutschen Reich, von dem sie 1920 ausdrücklich abgetrennt wurde, noch zu Polen, von dem sie nach der bekannten Mantelnote der alliierten und assoziierten Mächte keinen Teil bilden soll.

a) Merkmale der Staatlichkeit Danzigs. Danzig hat ein eigenes Staatsgebiet, eigenes Staatsvolk, eigene Staatsgewalt. Äußere Zeichen hierfür: Danziger Staatsangehörigkeit, eigene Währung und Münze, Staatssprache (deutsch) und Staatsflagge, Post und Briefmarke, Paß. Danzig ist auch Vertragspartner bei zahlreichen zwischenstaatlichen Verträgen, so beim Kellogg-Pakt.

b) Danzig und der Völkerbund. Danziger Staatsverfassung wird vom Völkerbund garantiert. Der Völkerbund ist ferner Schiedsrichter bei Streitfragen zwischen Danzig und Polen; grundsätzlich ist Schiedsrichter in erster Instanz der Hohe Kommissar des Völkerbunds in Danzig, in zweiter Instanz der Völkerbundsrat.

c) Rechtsverhältnisse zu Polen. Die zwei Staaten Danzig und Polen bilden ein gemeinsames Zollgebiet, Danzig hat aber eigene Zollverwaltung. Um dem kleinen Danzig den Aufbau eines weltumfassenden konsularischen und diplomatischen Dienstes zu ersparen, wurde festgelegt, daß die auswärtigen Geschäfte Danzigs formell durch den polnischen diplomatischen Apparat nach den von Danzig zu gebenden Richtlinien mitbesorgt werden - soweit es sich nicht um Streitfragen zwischen Danzig und Polen handelt, und diese bilden ja infolge der ständigen polnischen Rechtsverletzungen den Hauptinhalt der Danziger auswärtigen Politik. Polen hat die Verwaltung der Danziger Vollspurbahn, die hälftige Mitverwaltung des Danziger Hafens und der Danziger Weichsel im Danziger Hafenausschuß, die freie Benutzung der Wasserstraßen und Binnenhäfen und eine eigene Hafenpost in Danzig. Die polnischen Rechte in Danzig liegen auf dem Gebiete des Verkehrs und der Außenhandelspolitik.

d) Polnische Fälschung des Pariser Vertrages vom 9. Nov. 1920. In der Urschrift dieses zwischen Polen und Danzig abgeschlossenen Vertrages hieß es überall, wie zwischen Staaten üblich: "Les Hautes Parties Contractantes". Die der Danziger Delegation von Polen zugestellte Aus- [99] fertigung dagegen enthält statt dessen "La Ville Libre de Dantzig et la Pologne"; damit wollte Polen Danzigs Charakter als Staat bestreiten.


60. Polenthese:
Danzigs Rechtsstellung einst und jetzt

Die Polen sagen: Danzigs heutige Stellung entspreche genau der früherer Jahrhunderte, in denen Danzig geblüht hat.

Antwort: Danzig ist nie auch nur entfernt so abhängig von Polen gewesen wie jetzt. Unabhängig von Polen konnte der Danziger Staat früher seine Wirtschafts- und Hafenangelegenheiten regeln; das hat ihm seine einstige Blüte ermöglicht (vgl. S. 113 und S. 141).

a) Heutige Stellung des Danziger Staats vgl. die vorige These.

b) Rechtliche Stellung des Danziger Staats gegenüber dem alten Polen war die einer Personalunion zweier selbständiger Staaten (vgl. England-Hannover), also keine Zugehörigkeit zu dem polnischen Staat, sondern nur Beziehung zum polnischen König. Der polnische Staat oder seine Angehörigen hatten keine Sonderrechte in Danzig. Danzig hat sich diese Selbständigkeit bis zum Ende Polens erhalten. Laut Verträgen mit polnischem König volles Hafenrecht, eigene Flagge, eigene Zoll-, Münz-, Militärhoheit, eigene Außenpolitik, Recht eigener Kriegführung; mehrfach im Kriege mit Polen, mehrfach neutral in Kriegen Polens. Danzigs Gästerecht galt für die Polen ebenso wie für andere Ausländer; Fremde durften in Danzig nicht miteinander Handel treiben, sondern nur mit Danzigern. Polen wie andere Ausländer vom Grunderwerb ausgeschlossen. Stapelrecht: In Danzig eintreffende Ware mußte in Danzig drei Tage lang zum Verkauf gestellt werden. Danzig war Vermittler des polnischen Handels, aber kein polnischer Hafen. [Scriptorium merkt an: vgl. zu diesem Abschnitt hier.]

c) Danzigs tatsächliche Stellung gegenüber dem alten Polen. Es konnte seine Selbständigkeit aus eigener Kraft verteidigen, da völlig andere Verhältnisse: eine gut befestigte, militärisch günstig gelegene, wirtschaftlich blühende Stadt gegen Polen, das ein locker gefügtes, im Innern zerklüftetes, finanziell schwaches Reich mit vorherrschender Naturalwirtschaft war. Hinzu kommt, daß Polen ein polnisches Danzig wenig genützt hätte. Ein solches wäre nicht lebensfähig gewesen, weil es die deutsche Hansa gegen sich gehabt hätte.

d) Warum hat Danzig damals geblüht? Hauptsächlich deshalb, weil es ohne polnische Einmischung seine Hafen- und Wirtschaftsangelegenheiten selbständig regeln und die Vorteile der Zeit ausnützen konnte: nach Sperrung der Dardanellen durch die Türken ging der Handelsweg vom Schwarzen Meer und Südrußland nach Westeuropa über Danzig. Englands wichtigster Lieferant für Getreide und Schiffbauholz. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts geht Danzig zurück: 1650 77 000, 1750 46 000 Einwohner. Gründe s. S. 143.

e) Über Danzigs Geschichte in jener Zeit vgl. S. 141 und S. 143.

f) Man beachte den Widerspruch zur These 74.

[100]
61. Polenthese:
Danzigs Güterumschlag

Die Polen sagen: Danzig habe infolge seiner jetzigen wirtschaftlichen Verbindung mit Polen einen glänzenden Aufschwung erlebt; sein seewärtiger Güterumschlag habe sich nämlich bis 1931 auf das Vierfache der Vorkriegszeit gehoben.

Antwort: Was nützt Danzig die aufgeblähte Tonnenzahl des seewärtigen Güterumschlags, wenn gleichzeitig Danzigs Handel, Gewerbe und Landwirtschaft von Polen zugrunde gerichtet werden! [101] Danzig ist durch Polen vom Handelshafen für Qualitätsgüter zum Speditionshafen für Massengüter herabgedrückt worden. Sein seewärtiger Güterumschlag besteht hauptsächlich aus Kohlen und Erzen des polnischen Oberschlesienverkehrs; daran verdient der Danziger Handel nichts.

Seit 1931 ist außerdem der Danziger seewärtige Güterumschlag um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Eine weitere Senkung ist zu befürchten.

Zusammenbruch der Danziger Seeinfuhr.
Danzigs Seeausfuhr aufgebläht durch
Massengüter.

[101]      Abb. 13: Danzigs Seeausfuhr
aufgebläht durch Massengüter, an denen die Danziger nichts verdienen. - Absturz 1932.
[100]      Abb. 12: Zusammenbruch der Danziger Seeinfuhr.
Sogar das Massengut Eisenerz geht jetzt über Gdingen.

a) Der Zuwachs an Massengütern. Von 1924 bis 1929 ist der Anteil der Brennstoffe in der Danziger Ausfuhr von 5 Prozent auf 79 Prozent gestiegen. Ohne Massengüter (Kohle, Erz und Holz) betrug Danzigs seewärtiger Güterumschlag 1911 - 1913 durchschnittlich 1,66 Millionen t,1 [102] 1932 dagegen nur 1,17. An der Spedition von Massengütern verdienen hauptsächlich polnische Firmen in Danzig.

b) Rückgang des seewärtigen Gesamtverkehrs: Güterumschlag 1931 8,3 Millionen, 1932 5,5 Millionen. - Den Auswandererverkehr hat Polen von Danzig nach Gdingen abgezogen.

c) Danzigs Wirtschaftslage. Export- und Importhandel verdient am Massenverkehr nichts; der wertvolle Verkehr Danzigs wird immer mehr nach Gdingen abgelenkt (vgl. S. 106). Schiffbau weitgehend stillgelegt. Der sonstigen Industrie ist der Absatz nach Polen gesperrt (s. These 62, b). Die Landwirtschaft leidet unter mangelndem Zollschutz und dem Wettbewerb der auf niedrigem Kostenniveau arbeitenden polnischen Landwirtschaft.

d) Was die Stadt Danzig braucht, ist die kombinierte Lebensgrundlage der Vorkriegszeit: Seehandel und -verkehr; Mitwirkung am deutschen Ostwest-Binnenschiffahrtsverkehr; Schiffbau; gewerblicher Absatz in einem blühenden Hinterland; Stellung als Hauptstadt einer großen aufstrebenden Provinz.


62. Polenthese:
Danzigs Zollunion mit Polen

Die Polen sagen: Die Zollunion mit Polen sei ein Segen für Danzig.

Antwort: Polen mißbraucht die Zollunion, um Danzigs Wirtschaft stillzulegen. Danzig hat von der wirtschaftlichen Verbindung mit Polen mehr Nachteile als Vorteile.

a) Vorenthaltener Vorteil: Polens Gdingen-Politik. Danzig hat seinen Hafen mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des polnischen Außenhandels ausgebaut. Polen aber errichtete 17 km von der Danziger Hafenausfahrt den Gdingener Staatshafen, der Danzig infolge planmäßiger polnischer Ablenkungspolitik 1932 überflügelt hat.

b) Vorenthaltener Vorteil: Wenig Absatz im polnischen Staatsgebiet. Nach dem Kriege mit Rücksicht auf den polnischen Markt große Industrieausweitungen in Danzig. Fehlschlag, da Kaufkraft der polnischen Bevölkerung hinter Erwartungen zurückblieb, Polen zwei Inflationen erlebte und eigene mit niedrigen Löhnen und Soziallasten arbeitende Industrien züchtete.
      Immer wieder neue Behinderungen der Danziger Wirtschaft, mehrfach sogar Eröffnung eines planmäßigen, amtlich befürworteten Boykotts Danziger Waren und Danziger Seebäder, ohne Beachtung der vom Völkerbund mehrfach ausgesprochenen Verurteilung solcher Methoden. Seit 1931 trotz vertraglich festgelegter Zollunion Wirtschaftsgrenze gegen Danzig aufgerichtet, so daß das polnische Gebiet als Markt Danzigs einstweilen fast ausscheidet. Immer neue Meinungsverschiedenheiten über Vertragsauslegung, die von Polen nicht wie vorgeschrieben, vor Völkerbundinstanzen gebracht, sondern als Anlaß zu Grenzsperren und allerlei Schikanen benutzt werden. Beispiel hierfür polnische Behauptung, [103] Danzig mißbrauche die ihm vertraglich zugebilligten deutschen Kontingentwaren. Daraufhin Kontrolle, Zurückweisung und eventuell Beschlagnahme zahlreicher Waren an polnisch-danziger Grenze. - Beispiel: ein Schrank, der von einer Danziger Fabrik nach Bromberg geliefert wird, wird an der Grenze in Dirschau beschlagnahmt, weil die Beschläge aus Deutschland stammen sollen. Nach einigen Monaten gelingt der Danziger Firma der Nachweis, daß die Beschläge polnisches Fabrikat sind. Dann wird der Schrank aus einem anderen Grunde von neuem beschlagnahmt. - Danziger Waren werden grundsätzlich nur dann durchgelassen, wenn der Danziger Kaufmann oder Industrielle sich polnischer Sonderkontrolle und bestimmten Bedingungen unterwirft (etwa Einstellung polnischer Arbeiter, Warenbezug von bestimmten Firmen); auch dann noch keine Garantie für freien Versand nach Polen. - Boykott- und Sperrmaßnahmen von Völkerbund als widerrechtlich verurteilt, aber von Polen noch nicht eingestellt.

c) Nachteile: Zollpolitik nicht nach Danziger Bedürfnissen, sondern nach polnischen Wünschen. Gegensatz zwischen freihändlerischen Interessen der Seestadt und Abschließungsbestrebungen des Binnenlandes. Darüber hinaus Gegensatz zwischen verschiedenen Stufen der wirtschaftlichen Entwicklung und Lebenshaltung, da die meisten Einwohner Polens noch in der Naturalwirtschaft früherer Jahrhunderte leben (Heringe als Luxusartikel). Danzig von den Waren des auf gleicher Stufe lebenden Deutschland durch einen der höchsten Zolltarife der Erde abgeschlossen.

d) Nachteil: Überflutung des Danziger Warenmarktes mit polnischen Waren. Polen produziert mit niedrigen Löhnen und Soziallasten, kann daher die Danziger Wirtschaft in landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Industriewaren, die nicht hochentwickelte Verfeinerungsprodukte sind, unterbieten.

e) Nachteil: Überflutung des Danziger Arbeitsmarktes durch billige polnische Arbeitskräfte; polnische Aufträge werden häufig von der Einstellung polnischer Arbeiter abhängig gemacht. Danzig kann sich dieser Überflutung nur schwer erwehren; steigende Arbeitslosenziffer; gleichzeitig bringt Polen durch seine Wirtschaftspolitik einen Danziger Betrieb nach dem anderen zum Erliegen.


63. Polenthese:
Gdingen und die Versailler Regelung

Die Polen sagen: Es sei für Polen ein Gebot der Staatsraison gewesen, einen eigenen Hafen zu bauen, denn die unzulängliche Versailler Regelung habe Polen gegeben:
      a) Hafenrechte in Danzig ohne Gebietshoheit,
      b) ein Küstengebiet ohne Hafen.

Antwort: Danzig ist vom Reich losgerissen worden, damit es Polens einziger Handelshafen sein sollte. Polen hätte nur vom Danziger Hafen den vollen Gebrauch machen sollen, der ihm auf- [104] erlegt worden war; dann wäre den wirtschaftlichen Interessen Polens auch ohne Gebietshoheit in Danzig vollauf Genüge getan gewesen. Aber Polen hat aus der Hafenfrage eine politische Angelegenheit gemacht. Mit dem Bau Gdingens hat Polen die Versailler Regelung, die Danzig vom Reiche lostrennte, völlig ad absurdum geführt.

a) Danzig als Polens einziger Seezugang. Note der allierten und assoziierten Mächte vom 16. Juni 1919, gerichtet an Deutschland bei der Übergabe der Friedensbedingungen:2 "Polen verlangt, und verlangt mit Recht, daß die Leitung und Entwicklung des Hafens, der sein einziger Ausgang zur See (son seul débouché sur la mer) ist, in seiner Hand sei." In der Mantelnote des gleichen Schriftstücks:2 "Die Stadt selbst ist von Deutschland abgetrennt worden, weil es keinen anderen gangbaren Weg gab (parce qu'il n'y avait pas d'autre moyen possible), Polen jenen 'freien und sicheren Zugang zum Meere' zu schaffen, welchen Deutschland abzutreten versprochen hatte."3

b) Polens Verpflichtung, Danzigs Hafen voll auszunützen ("to make full use of the port of Danzig"). Von Polen in der Entscheidung des Danziger Völkerbundskommissars vom 15. August 1921 übernommen. Seit 1921 in Kraft und für Polen verpflichtend, wie der Rat des Völkerbunds im Mai 1932 nochmals festgestellt hat. Ein Sachverständigenausschuß des Völkerbunds hat im September 1932 anerkannt, daß Polens Gdingen-Politik sich mit dieser Verpflichtung nicht verträgt.

c) Gdingen im Frieden überflüssig, im Kriege nutzlos. Als Handelshafen Polens ist Danzig ausreichend; vgl. S. 105 f. Polen durfte natürlich daneben an seiner eigenen Küste einen Kriegs- und Munitionshafen bauen; sein Munitionslager hat es allerdings gerade an den Danziger Hafenausgang (Westerplatte) gelegt. Für Gdingen gilt in verstärktem Maße, was der französische General Weygand über Polens Korridor gesagt hat: Im Frieden überflüssig, im Kriege nicht zu verteidigen. Näheres siehe S. 22, 40 f.

d) Imperialistische Zielsetzung beim Bau Gdingens. Im Frühjahr 1920, bei der Beratung über den grundlegenden Danzig-polnischen Vertrag von Paris (unterzeichnet am 15. November 1920), forderte Polen für Danzig polnische Garnison, polnische Handelsflagge, polnische Währung u. a. m. Dazu erklärte die polnische Telegraphenagentur, Polen müsse sich nach einem anderen Seezugang umsehen, wenn seine Forderungen hinsichtlich Danzigs nicht bewilligt werden würden; also schon 1920 Drohung mit dem Bau Gdingens.

[105]
64. Polenthese:
Polens Bedarf an Häfen

Die Polen sagen: Der Danziger Hafen sei für Polen nicht groß und modern genug; Polens Außenhandel könne zwei, ja drei große Häfen beschäftigen.

Antwort: Selbst den heutigen, künstlich aufgeblähten seewärtigen Außenhandel Polens könnte Danzig allein bewältigen. Aus politischen Gründen hat Polen Gdingen gebaut.

a) Polens seewärtiger Außenhandel künstlich aufgebläht: Von dem polnischen Außenhandel gingen über Danzig und Gdingen 1922 7,4%, 1923 8,2%, 1928 41,3%, 1930 52,4%, 1931 62,7%.4 Das ist für ein Binnenland mit 5000 km Landgrenzen, dessen größter Teil nicht mit der Weltwirtschaft verflochten ist, eine Abnormität, nur zu erklären durch den polnisch-deutschen Zollkonflikt, die Ausnutzung des englischen Kohlenstreiks (1926) und vor allem die künstliche Lenkung des Außenhandels über die Seegrenze. Jedoch Höhepunkt überschritten. Die polnische Kohle wird aber neuerdings seit dem Pfundsturz in den Ostseeländern durch England wieder zurückgedrängt (vgl. S. 44); eine weitere Schrumpfung des polnischen Überseehandels muß bei Normalisierung der deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen eintreten. Sinkende Tendenz des polnischen Außenhandels: in Mill. t 1929 26,1, 1931 21,6, 1932 15,3; in Mill. Zloty: 1929 5,9, 1931 3,3, 1932 1,9. Neuerdings auch stark sinkende Tendenz des überseeischen polnischen Handels: seewärtiger Güterumschlag von Danzig und Gdingen5 in Mill. t 1931 13,7, 1932 10,7.

b) Danzigs Leistungsfähigkeit. Danzig hat 1928 8,6 Mill. t bewältigt. Im nächsten Jahre wurden die Erweiterungsbauten dem Verkehr übergeben, die die Umschlagsfähigkeit um 6 Mill. t erhöhten. Einen ungefähren Anhalt gibt die vorsichtig berechnete Ziffer der Danziger Umschlagsfähigkeit: 15 Mill. t; dagegen Umschlag Danzigs und Gdingens zusammen 1931 (Rekordjahr) 13,7, 1932 10,7 Mill. t. Danzig kann den gesamten polnischen überseeischen Außenhandel bewältigen. Die Anlagen von Gdingen sind zum allergrößten Teil überflüssig; soweit es sich um Anlagen handelt, die noch nicht in Danzig vorhanden sind, hätten sie sich in Danzig mit sehr viel geringeren Kosten beschaffen lassen; das aber hat Polen mit seinen Stimmen im Danziger Hafenausschuß (s. S. 98, c) hintertrieben. Danzigs Hafen ist bis zu jedem Grad des praktischen Bedürfnisses mit relativ geringen Kosten entwicklungsfähig. Ausbau des vorhandenen Danziger Naturhafens billiger als der Bau des neuen Gdinger Kunsthafens. Von 28 Kilometer Uferlänge sind bisher nur 8 Kilometer zu Kais ausgebaut. Wenn Gdingen ganz fertig sein wird, sollen seine Kais etwa 10 Kilometer betragen. Der Hafen [106] von Gdingen könnte also bequem zweimal im Hafen von Danzig untergebracht werden.

c) Völkerbundsgutachten. Ein Völkerbunds-Sachverständigen-Ausschuß sagt in seinem Gutachten vom September 1932, daß Danzig den Gdingener Umschlag mit übernehmen könnte, mit Ausnahme eines Teils der Kohlen und einiger Lebensmittel, die Kühlhäuser brauchen (diese teilweise Unzulänglichkeit von Polen verschuldet, da es durch seine Stimmen im Hafenausschuß den Ausbau des Kohlenbeckens in Weichselmünde verhinderte und unterließ, den Hafenausschuß rechtzeitig auf die Notwendigkeit eines Kühlhauses hinzuweisen).


65. Polenthese:
Das Konkurrenzproblem beider Häfen

Die Polen sagen: Gdingen sei keine Konkurrenz für Danzig, sondern nur eine Ergänzung.

Antwort: Danzig braucht keine Ergänzung; jede Tonne in Gdingen fehlt in Danzig. Der Staatshafen Gdingen ist eine unfaire Konkurrenz für den nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen betriebenen Danziger Hafen. Gdingen ist das Werkzeug der polnischen Politik, um Danzig durch planmäßige Abziehung des Handels und Verkehrs zur Übergabe reif zu machen.

a) Rückgang des Danziger Verkehrsanteils. Vom seewärtigen Güterumschlag Danzigs und Gdingens zusammen, gerechnet in t, kamen auf
1923      1929      1932 1933
    1. Vierteljahr    
            Danzig 100% 75% 51% 49%
            Gdingen       0% 25% 49% 51%

Von dem Rückgang des Verkehrs über beide Häfen von 1931 zu 1932 kamen 97% auf Danzig, 3% auf Gdingen.

b) Lenkung des wertvolleren Verkehrs über Gdingen. der Umschlag Danzigs verhielt sich zu dem Gdingens (in t) 1932 in runden Zahlen:

Dg. : Gd. Einfuhr:
 
Dg. : Gd.
            Früchte 1 :   7 Tee 1 :   1
            Tabak 1 :   6 Kupfer 1 :   2
            Reis 1 :   9 Baumwolle 1 : 30
            frische Heringe 1 : 28 Jute 1 : 35
            Kakao     1 :   1,4 Wolle     1 :   1,3
 
Ausfuhr:
            Bacons 1 : 23 Textilwaren 1 : 37
            Schinken 1 :   7 Eisenbahnschienen 1 : 11
            Eier 1 : 11 schwefelsaures Ammoniak 1 :   6
            Reis 1 :   5 Zink     1 :   1,2
            Gummiwaren     1 :   1,6 Salpeter     1 :   1,4

[107] c) Methoden der Verkehrslenkung nach Gdingen. Der auf S. 106 erwähnte Sachverständigenausschuß des Völkerbunds hat in seinem Gutachten vom September 1932 z. B. folgende von Polen angewandte Methoden für unzulässig erklärt: Unterschiedliche Zollbehandlung (also besondere Zollermäßigung nur bei Einfuhr über Gdingen), einseitige Lenkung von Schiffahrtslinien nach Gdingen, unterschiedliche Hafentarife, Steuerbefreiungen, verbilligte Darlehen, billige Verpachtung und Abgabe von Gelände, Bevorzugung Gdingens bei der Einfuhr von Tabak und Düngemitteln durch die Staatsmonopolverwaltung sowie bei der Ausfuhr von Holz, Getreide, Mehl, Nitraten, Kalisalzen durch Staatsforsten und staatliche Unternehmungen, einseitige Lenkung des Auswanderungsverkehrs. Also eine Fülle von Mitteln einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik, die bereits einen Übergang von west- und mitteleuropäischen Methoden zu sowjetrussischen bildet. So Zusammenfassung von Unternehmungen einer Branche zu "Syndikaten", die über Gdingen zu importieren und exportieren haben und gegebenenfalls unter dieser Bedingung subventioniert werden. Staatlicher oder staatlich geförderter Bau von Reismühlen, Ölwerken, Kühlhäusern, Baumwollschuppen u. a. in Gdingen.

d) Hier Staatshafen, dort privatwirtschaftlicher Hafen: Danziger Hafen muß Verzinsung und Tilgung der für ihn aufgewandten Gelder selbst herauswirtschaften, während die Kosten für den Bau Gdingens à fonds perdu gegeben worden sind (Anleihe, die der polnische Staat verzinst). So in Gdingen (trotz höherer Anlagekosten pro t Leistungsfähigkeit) niedrigere Hafengebühren für Schiffe und Güter als in Danzig.

e) Phasen der Entwicklung.

  1. Vor 1924 Danziger Verkehr unter Vorkriegsstand, außerdem (wie auch heute) ungünstige Frachtbilanz (große Ausfuhr, kleine Einfuhr). 1911-13 durchschnittlich 2,2, 1924 2,4 Mill. t.
  2. Seit 1925 Aufblähung des polnischen Seehandels. 1925 Ausbruch des polnisch-deutschen Zollkonflikts, 1926 englischer Kohlenstreik. Große polnisch-oberschlesische Kohlenausfuhr, steigende Schrott- und Erzeinfuhr. 1928 bewältigt Danzig glatt 8,6 Mill. t.
  3. 1929 Danziger große Hafenerweiterungen und neue Umschlagseinrichtungen dem Verkehr übergeben, aber Danzigs Verkehr geht zurück. Weiterer Anstieg des polnischen Überseehandels kommt allein Gdingen zugute, das außerdem schon seit Jahren den wertvollen Verkehr von Danzig abzieht. Gdingens Bau 1920 beschlossen, 1926 0,4 Mill. t, 1928 2,0, 1931 5,3, 1932 5,2.
  4. Seit 1931 Rückgang des polnischen Überseehandels fast allein auf Danzigs Kosten. 1931 zu 1932: Danzig von 8,3 auf 5,5 Mill. t, Gdingen von 5,3 auf 5,2. Weiterer Rückgang Danzigs zu befürchten, wenn polnische Kohle weiter durch englische zurückgedrängt und wenn wieder normale Handelsbeziehungen Polens mit seinen Nachbarn.

f) Kohlenbahn Gdingen - Oberschlesien, sogenannte "Kohlenmagistrale", hauptsächlich mit französischem Geld gebaut, umgeht das Danziger Gebiet.

[108]
66. Polenthese:
Gdingen und Polens nationale Verteidigung

Die Polen sagen: Der Bau des Gdinger Hafens sei "zunächst durch Gründe der nationalen Verteidigung diktiert worden".6

Antwort: Der - ohne volle Ausnutzung Danzigs vertragswidrige - Bau eines gewaltigen Handelshafens war für die polnische Landesverteidigung überflüssig; ein Kriegs- und Munitionshafen (mit Verladegelegenheit für kriegsnotwendige Rohstoffe und Lebensmittel) hätte genügt.

a) Schon vor dem russisch-polnischen Krieg plante Polen den Bau eines eigenen Hafens; vgl. S. 104 unter d.

b) Der Danziger Hafenarbeiterstreik von 1920. Die Polen berufen sich darauf, daß im russisch-polnischen Kriege ein für Polen bestimmtes Munitionsschiff von den Danziger Hafenarbeitern nicht ausgeladen wurde; schließlich wurde die Munition von englischen Matrosen umgeladen. Für diesen unbedeutenden Vorfall, der für den Bau Gdingens nicht maßgebend gewesen ist, ist die Danziger Regierung nicht verantwortlich zu machen, denn eine solche existierte damals noch nicht; Danzig stand vielmehr noch unter der Verwaltung der alliierten Hauptmächte.

c) Polens Munitionslager auf der Westerplatte. Gegen den Widerspruch Danzigs von Polen errichtet. Die Westerplatte ist Danziger Staatsgebiet, Halbinsel, die den Hafenausgang beherrscht, dort früher Seebad; 6 - 7 km vom Danziger Stadtkern entfernt. Hälfte der Baukosten des Munitionslagers mußte Danzig tragen. Dieses Munitionslager, das wichtige Danziger Vororte unmittelbar gefährdet, und die dortige Verschiffung von Munition und anderem Kriegsmaterial wird von Polen aufrechterhalten, obwohl es inzwischen Gdingen als Kriegs- und Handelshafen ausgebaut hat. Vertragswidrige Vermehrung der Besatzung und Armierung der Westerplatte im März 1933 siehe S. 96.

d) Zweifelhafter Wert Gdingens im Kriegsfall siehe S. 104.


67. Polenthese:
Sicherheit des polnischen Warenverkehrs

Die Polen sagen: Der Bau von Gdingen sei infolge der Danziger Illoyalität nötig gewesen. Danzig biete keine genügende Sicherheit für den polnischen Warenverkehr.

Antwort: Danzig hat seine Loyalität z. B. dadurch bewiesen, daß es unter großen Opfern seinen Hafen ausgebaut hat. Volle Sicherheit für Person und Eigentum ist gewährleistet. Die gegen- [109] teiligen polnischen Behauptungen beruhen auf der Übertreibung vereinzelter Reibereien, wie sie in jedem Hafen und jeder größeren Stadt vorkommen.


68. Polenthese:
Die Initiative der Danziger Kaufmannschaft

Die Polen sagen: Die mangelnde Initiative der Danziger Kaufleute sei an Danzigs Notlage schuld.

Antwort: Es ist geradezu zynisch, dem Danziger Kaufmann, dessen Waren man nicht nach Polen hineinläßt, mangelnde Initiative vorzuwerfen.

Jeder Kaufmann will verdienen. Daher sind zunächst in der Hoffnung auf den polnischen Markt in Danzig große Industrieausweitungen und Neugründungen vorgenommen worden. Der Wagemut, mit dem sich die Danziger um die Erweiterung der polnischen Handelsbeziehungen bemüht haben, ist schwer enttäuscht worden. Zwei Inflationen in Polen, dadurch haben Danziger Kaufleute viele Millionen Gulden verloren. Dann wurde der polnische Kaufmann vom polnischen Staat gezwungen, seine - zum großen Teil jahrzehntealten - Verbindungen nach Danzig zu lösen. Boykott und Wirtschaftssperre gegen das "Ausland" Danzig siehe S. 102 f.


69. Polenthese:
Danzigs deutsche Beamte

Die Polen sagen: Danzigs Klagen vor dem Völkerbund würden von Berlin aus inspiriert. Die aus dem Reiche stammenden Danziger Beamten machten eine Politik, die den Wünschen und Interessen der Danziger Bevölkerung widerspreche.

Antwort: Danzigs Klagen vor dem Völkerbund sind die unausbleibliche Folge der planmäßigen polnischen Angriffe auf Danzig. Die Danziger Beamten stammen ebensowenig alle aus Danzig, wie etwa die Warschauer Beamten aus Warschau oder die Pariser aus Paris. Wenn die Danziger Beamten pflichtgemäß die Freie Stadt gegen Polen verteidigen, so ist sich darin die ganze deutsche Bevölkerung Danzigs mit ihnen einig, und zwar ohne Unterschied der Parteien und der Berufsstände.

Die polnische Partei in Danzig erhielt bei den letzten drei Wahlen 1927, 1930 und 1933 3% der Stimmen (vgl. Smog. S. 276). - Von sämtlichen Starosten (Landräten) Pommerellens stammt nur ein einziger aus Pommerellen, sehr zum Leidwesen der eingesessenen Bevölkerung.

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1Bestätigt von Smog., S. 317. ...zurück...

2Französischer Text z. B. bei Ziehm in Carnegie, S. 154.. ...zurück...

3Daß die Mächte, die in Versailles den Friedensvertrag diktierten, nicht beabsichtigten, daß Polen an seiner Küste einen Konkurrenzhafen errichte, geht aus Artikel 98 V. V. hervor. Dort wird zugunsten Polens ein privilegierter Durchgangsverkehr auf deutschen Strecken östlich der Weichsel vorgesehen, aber nur für den Durchgang nach dem Danziger Staatsgebiet, nicht aber nach dem polnischen Küstengebiet. ...zurück...

4Berechnet auf Grund der Tonnenzahlen; nach Smog., S. 310. Wertmäßig ging 1931 ein Drittel über Danzig und Gdingen (Smog., S. 311). ...zurück...

5Einschließlich tschechoslowakischer Durchfuhr, 1929 und 1930 0,4 Mill. t, davon etwa 90% Erzeinfuhr für die Hüttenwerke im Teschener Schlesien. Darüber hinaus hat die danzig-polnische Küste für die Tschechoslowakei keine Bedeutung. Vgl. Schneider, S. 14. ...zurück...

6Strasburger in Carnegie, S. 12; vgl. Smog. ...zurück...

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100 Korridorthesen:
Eine Auseinandersetzung mit Polen

Dr. Arnold Zelle