[33] II.
Um die polnische Militär- und Marinebasis in
Danzig
In richtiger Erkenntnis der gefährdeten Stellung Danzigs hat der
Völkerbundrat veranlaßt,1 daß in die Danziger Verfassung die
Bestimmung aufgenommen wurde, die Freie Stadt dürfe ohne vorherige
Zustimmung durch den Völkerbund in jedem einzelnen Falle weder als
Militär- noch als Marinebasis dienen.2 Aber dies widersprach den
polnischen Absichten. Polen wußte nur zu gut, daß derjenige, der die
bewaffnete Macht in Händen hat, jederzeit und praktisch ohne
Einschränkung Herr der Lage in Danzig ist und durchsetzen kann, was er zu
erreichen willens ist. Schon in seinem ersten Entwurf für den Pariser
Vertrag hatte Polen unumwunden gefordert, in Danzig die Militärhoheit
ausüben zu dürfen.3 Die Nichtgewährung dieses Rechts durch
den endgültigen Vertrag veranlaßte Polen sogar, die Unterzeichnung
ostentativ hinauszuschieben.4 Aber vergeblich.
[34] Auf der am 14. November 1920 begonnenen
Tagung des Rats war Polen wiederum im gleichen Sinne tätig. Paderewski
bezog sich hier auf eine angebliche mündliche Erklärung des
britischen Ministerpräsidenten, wonach Polen ermächtigt sein sollte,
nach Danzig starke Truppenmassen zu führen, falls Polen es für
erforderlich erachten sollte, und bat, "daß Polen ein ständiger Auftrag
zur Verteidigung Danzigs erteilt wird".5 Also die gleiche Forderung, nur in
einem anderen Gewande. Der vom japanischen Vertreter Ishii am 17.
November 1920 erstattete und vom Rat genehmigte Bericht zeigte dann auch ein
Nachgeben gegenüber dem polnischen Verlangen.6 Er machte sich die von
der Botschafterkonferenz am 20. Oktober 1920 zum Ausdruck gebrachte Meinung
zu eigen, daß "die polnische Regierung als besonders geeignet erscheint, um
eventuell vom Völkerbunde das Mandat zur Sicherung der Verteidigung der
Freien Stadt zu erhalten". Die Bedingtheit dieses Mandats wird aus dem
vorgelegten Bericht deutlich. In diesem wird besonders hervorgehoben, daß
dieses Mandat niemals ausschließlichen Charakter haben könnte ("ne
pourrait jamais être donné à titre exclusif")
und nur nach Prüfung der
besonderen Umstände jeden Falles durch den Völkerbundrat erteilt
werden könnte. Als
ent- [35] scheidenden Gesichtspunkt für eine
eventuelle Betrauung Polens mit einem Verteidigungsmandat hatte der
Berichterstatter angeführt, daß gemäß Art. 28 des Pariser
Vertrages "zu jeder Zeit und unter allen Umständen" Polen das Recht haben
sollte, "über Danzig Waren jeglicher Art, soweit sie nicht nach polnischen
Gesetzen verboten seien,
ein- und auszuführen". Es fragt sich, ob der Völkerbund hier nicht
über die ihm gesetzte Aufgabe zum Nachteil Danzigs hinausgegangen ist.
Die Verfassung der Freien Stadt sollte gemäß Art. 103, VV., vom
Völkerbunde garantiert werden, nicht aber der Pariser Vertrag zwischen
Danzig und Polen. Danzig sollte gemäß Art. 102, VV., unter den
Schutz des Völkerbunds gestellt werden, nicht aber die Interessen von
anderen Staaten auf Danziger Gebiet.
Die zur Verteidigung Danzigs eventuell nötig werdenden
Maßnahmen sollten nach dem gleichen Ratsbeschluß vom
Ständigen beratenden Ausschuß für
Militär-, Marine- und Luftfahrtsfragen geprüft werden. Dieser schlug
in seinem dem Rat kurz darauf erstatteten Bericht vor, daß Polen
ermächtigt werden sollte, erstens auf Danziger Gebiet in Friedenszeiten
Befestigungsanlagen zu errichten, und zweitens in diesen Anlagen
Sicherungsmannschaften zu unterhalten. Zwischen diesem Vorschlag der
Militärs und dem Bericht Ishiis aber klafft ein Widerspruch, den auch der
britische Vertreter, Balfour, in der Ratssitzung vom 12. Dezember 1920
hervorhob.
Über den gleichen Gegenstand erstattete der Völkerbundskommissar
Haking dem Generalsekretär des Völkerbundes am 25. Januar 1921
ausführlich Bericht. In diesem sprach er sich grundsätzlich gegen
die Verleihung eines Mandats zur Verteidigung Danzigs an Polen aus. Seine
Ausführungen sind nicht nur wegen der hier vorgenommenen
Charakterisierung der Lage bemerkenswert, sondern auch wegen der
Entschiedenheit, mit der der Hohe Kommissar sich hier für die Interessen
der Freien Stadt Danzig einsetzte, um die sinnvolle Erfüllung der dem
Völkerbunde anvertrauten Aufgabe zu erreichen. Note und Denkschrift
seien daher (in deutscher Übersetzung) in folgendem im vollen Wortlaut
wiedergegeben:
Danzig, den 25. Januar
1921.
"Herr General-Sekretär!
Gemäß Ihrem Schreiben.... vom 20.
Dezember 1920 beehre ich mich, Ihnen mit dieser Denkschrift meine Ansicht
über die Vorteile eines schon jetzt oder zu einem späteren Zeitpunkt
an Polen zu erteilenden Auftrages [36] für die Verteidigung Danzigs mitzuteilen.
Ich habe die Frage unter allen Gesichtspunkten geprüft, sowohl nach der
politischen, als auch nach der militärischen Seite hin, und habe
sorgfältig die Gründe erwogen, die für und gegen den
Vorschlag sprechen, der verschiedentlich von den Polen, der Einwohnerschaft
Danzigs, sowie von Vertretern der Großmächte, der
Botschafterkonferenz und des Völkerbundes gemacht ist.
Eine prüfende Durchsicht dieser Denkschrift wird
es ermöglichen, darüber ein Urteil zu fällen, daß
niemand, auch nicht die Polen, einen Vorteil davon hätten, daß
irgendeine Nation einen Auftrag zur Verteidigung der Freien Stadt Danzig
erhielte. Die Unversehrtheit Danzigs wird viel besser gewährleistet, wenn
es weiter, wie gegenwärtig, unter dem Schutze des
Völkerbundes bleibt.
Die in dieser Denkschrift ausgedrückte Ansicht ist
das Ergebnis eingehendsten Studiums der Frage, eines Studiums, welches ich
während meines Aufenthaltes in Danzig lange Zeit fortgesetzt habe. Ich
habe im übrigen Gelegenheit gehabt, die Ansichten amtlicher Vertreter der
polnischen Regierung kennenzulernen, einschließlich des Fürsten
Sapieha,7 ebenso wie die
französischer Offiziere, hoher englischer
Offiziere, wie endlich auch einheimischer Bürger. Ich bezweifle, ob es
wohl einen Unparteiischen gibt, der eine gründlichere Kenntnis der
örtlichen Verhältnisse hat, als die meinige ist, besonders in bezug
darauf, was das Verhalten der Einwohnerschaft Danzigs gegenüber den
Polen anbetrifft. Dabei habe ich mich, während ich diese Denkschrift
aufsetzte, bemüht, soviel als möglich diejenigen Gründe
herauszuheben, welche man zugunsten eines polnischen Auftrages über
Danzig anführen könnte.
Genehmigen Sie....
R. Haking
Hoher Kommissar der Freien Stadt Danzig.
Denkschrift über die Verteidigung der Freien Stadt Danzig.
1. Bei der Untersuchung dieser Frage muß man zu
gleicher Zeit die politischen wie die militärischen Gesichtspunkte
prüfen, und sich zu allererst über die Vorteile Rechenschaft ablegen,
welche einerseits Danzig, andererseits Polen haben würde, wenn man
letzterem einen Verteidigungsauftrag für Danzig erteilen würde. Ich
habe nicht die Absicht, mich hier mit irgendeiner Frage zu beschäftigen, die
sich auf die den Polen, sei es durch die Botschafterkonferenz, sei es durch den Rat
des Völkerbundes gemachten Versprechungen bezieht, vorausgesetzt,
daß solche Versprechungen bestehen, was mir zweifelhaft erscheint. Ich
werde gleicherweise alle die Punkte ausschalten, welche die gegenwärtige
oder vergangene Politik der Alliierten oder des Völkerbundes
berühren, da ich weder genügend unterrichtet bin, noch
genügende Befugnisse habe, um über diese Frage in eine
Erörterung einzutreten.
Ich werde mich darauf beschränken, die
Verhältnisse von örtlichen Gesichtspunkten aus zu untersuchen, in
dem ich gelegentlich hervorhebe, welche Folge dieser oder jener Beschluß
für die künftige Politik nach sich ziehen könnte, und welche
Verantwortlichkeit für die Alliierten oder den Völkerbund daraus
entstehen würde.
2. Die militärische Frage ist leicht zu verstehen. Die
erste Frage, die man sich vorzulegen hat, ist die, ob Danzig wirklich noch eine
andere Verteidigung als den vor allem moralischen Schutz nötig hat, den
ihm schon der Völkerbund versprochen hat. Die Polen behaupten,
daß eine Kriegslage plötzlich entstehen kann, auch dann, wenn
anscheinend in der Welt tiefster
Frie- [37] den herrscht; sie behaupten ferner, daß zur
Anwendung von Abwehrmitteln, die ein kriegerisches Eingreifen erfordern
würden, schon lange vorher eine sorgsame Vorbereitung in Friedenszeit
stattfinden müsse; man müsse ständige Garnisonen,
Befestigungen usw. usw. haben. Das ist ein völlig einleuchtender Grund,
aber man geht dabei von der Voraussetzung aus, daß Danzig einem
plötzlichen Angriff von See oder von Land aus seitens einer benachbarten
oder etwas entfernteren
See- oder Landmacht ausgesetzt sei.
3. Wenn wir zuerst die Voraussetzung eines Angriffs von
See her untersuchen, so kommen dabei eigentlich nur zwei Fälle in
Betracht: Rußland und Deutschland. Rußland erscheint aber für
längere Zeit ungeeignet, eine Seeoffensive zu ergreifen, und, wenn es auch
schon Danzig angreifen wollte, würde es dies zweifellos von Land aus tun.
(Siehe weiter unten unter 4.)
Was nun Deutschland anbetrifft, welches ja
Flottenstützpunkte in Königsberg und Stettin besitzt, so
könnte es allerdings solche kriegerische Unternehmung zuvörderst
ins Werk setzen, aber es wäre doch auch für Deutschland viel
leichter, auf dem Landwege gegen Danzig zu marschieren. (Siehe unten unter
Abs. 5.) Es ist im übrigen ein Wahnwitz, sich vorzustellen, daß
irgendein Mitglied des Völkerbundes, mit Ausnahme von Polen, einen
Angriff dieser Art versuchen könnte;8 und Polen könnte es
doch nur von der Landseite aus tun. Mir scheint doch, daß man hier auf
lange Jahre hinaus kaum mit der Wahrscheinlichkeit eines Angriffs von See aus
zu rechnen haben würde.
4. Da Danzig vollständig wehrlos
ist, - es besitzt weder ständige Garnisonen noch
Befestigungen -, würde ein Angriff von Land aus für
irgendeine Macht, welche die an Danzig angrenzenden Gebiete besitzt, eine recht
einfache militärische Unternehmung sein.
Auch hier, wenn man von den Mitgliedern des
Völkerbundes absieht, wären die einzigen Staaten, welche Danzig in
dieser Weise angreifen könnten, Rußland und Deutschland. Das
erstere dieser beiden Länder, Rußland, könnte Danzig nur dann
erreichen, wenn es schon ganz Ostpreußen oder Polen besetzt hätte.
Aber es würde wohl im ersteren Falle eine geraume Zeit vergehen, ehe sich
Rußland Ostpreußens bemächtigen und die militärische
Besetzung des Gebietes durchführen könnte. Es ist daher in der Tat
höchst unwahrscheinlich, daß Rußland solch ein
militärisches Unternehmen beginne, oder wenn es sich doch dafür
entschiede, daß dieses von Erfolg gekrönt sein würde. In jedem
Falle hätte der Völkerbund Zeit genug, um Danzig mit materiellen
Mitteln außer seinem moralischen Schutz zur Hilfe zu kommen, falls man
es für vorteilhaft erachten sollte, hierzu seine Zuflucht zu nehmen. Im
anderen Falle, wenn es Rußland gelingen sollte, den nördlichen Teil
von Polen zu besetzen, dann wäre dieses Land von Danzig abgeschnitten,
oder würde wenigstens Gefahr laufen, es zu werden. Es wäre dann
selbst so sehr in einen Krieg verwickelt, der bis dahin unglücklich verlaufen
sein würde, um überhaupt eine Verteidigung Danzigs
durchführen zu können. Der unter Ziff. 3 ausgeführte
Gedanke, d. h. Möglichkeit eines Angriffs auf
Danzig - unter gewissen Umständen - durch Polen
selbst, sei es mit Wissen der eigenen Regierung, sei es ohne es, empfiehlt
durchaus nicht, etwa Polen den Auftrag einer Verteidigung Danzigs zu
erteilen.8 Das würde
bedeuten, daß Polen oder die polnische
Armee Absichten auf den nationalen Bestand Danzigs hegen würde, was
doch gegen die Absichten des Völkerbundes und der Alliierten, die doch
Danzig als "Freie Stadt" konstituiert haben, verstoßen würde.
[38] Daraus ergibt sich also, daß
keine ausreichenden Gründe zugunsten Polens vorhanden sind, um ihm im
Falle eines russischen Angriffs einen Auftrag zur Verteidigung Danzigs zu
erteilen.
5. Ein Angriff von deutscher Seite zu Lande ist vom
militärischen Gesichtspunkt aus ein einfaches Unternehmen, sei es,
daß er von Westen oder von Osten unternommen wird, oder von beiden
Seiten gleichzeitig. Aber das würde für Deutschland
Kriegserklärung an die Alliierten bedeuten, und, vorausgesetzt, daß
Deutschland ein solches Unternehmen vorbereitet hat, so würden weder die
Polen noch sonst eine benachbarte Macht dies hindern, können, besonders,
da es feststeht, daß die deutschen Truppen mit großer Freude im
"Korridor" und in Danzig
begrüßt werden würden.
Die Verteidigung Danzigs Polen anzuvertrauen,
würde bedeuten, den deutschen Angriffsabsichten einen Grund mehr zu
geben, denn es liegt im Bereich der Möglichkeit, daß Deutschland
nach einigen Jahren die östlichen Teile seines früheren Gebietes,
welche jetzt Polen besetzt hat, wieder zurückerobert, bevor die Alliierten
einschreiten könnten. Andererseits, wenn Danzig durch den
Völkerbund verteidigt ist, wird es Deutschland unmöglich sein, in
dessen Gebiet einzumarschieren, ohne den Verbündeten den Krieg zu
erklären.
6. Aus allem Obigen geht vor allem hervor, daß nur
Deutschland plötzlich angreifen könnte, und dann, falls es zu solch
einem Angriff kommen sollte, daß jede Verteidigung durch Polen
überflüssig sein würde.
Für Deutschland würde es von
größerer Wichtigkeit sein, die polnische Armee in freiem Felde zu
vernichten, als sich ein Ziel in Danzig zu setzen. Für Deutschland
würde aber der Angriff auf eine Freie Stadt Danzig, die sich unter dem
Schutze des Völkerbundes befindet, ein viel ernsteres Unternehmen
sein, als Danzig als polnische Stadt anzugreifen; und eine solche
würde Danzig zweifellos dann später werden, wenn Polen den
militärischen Verteidigungsauftrag dafür erhalten
würde.8 Zusammenfassend bin ich
der Ansicht, daß Danzig
keine militärische Verteidigung braucht, weil alle etwa von den
Verbündeten getroffenen Maßnahmen ungenügend sein
würden, um Danzig gegen die, wenn auch wenig wahrscheinliche, einzige
Gefahr eines deutschen Angriffs zu schützen.
7. Das ist der militärische Gesichtspunkt. Ich will
jetzt den politischen prüfen: Hier nur der wichtigste Grund, den die Polen
zuvörderst geltend machen: "Ihr habt uns den Zugang zum Meere gegeben,
damit wir gefahrlos Überseehandel treiben können, aber ihr habt uns
nicht den Hafen an dieser Küste gegeben. Der Hafen von Danzig ist
für uns wertlos, denn er kann infolge von politischen oder wirtschaftlichen
Störungen, die wir nicht überwachen können, in dem
wichtigsten Augenblicke geschlossen sein, wie dies schon im Sommer 1920 der
Fall war". Fast wörtlich so nannte uns Fürst Sapieha diesen Grund im
letzten November in Warschau. Er setzte hinzu, daß Polen niemals mit
Danzig einen Vertrag abschließen würde, wenn man ihm nicht die
Möglichkeit geben würde, Danzig militärisch zu benutzen.
Wir wissen jetzt, daß die Polen mit Danzig einen Vertrag unterschrieben
haben, aber heute sagte mir der polnische Gesandte im Gespräch, daß
die für Polen im Augenblick wichtigste Frage die sei, zu wissen, ob ihm der
militärische Verteidigungsauftrag für Danzig erteilt werde.
Obgleich Polen Mitglied des Völkerbundes ist, muß ich doch meiner
Überzeugung Ausdruck geben, daß es den Verteidigungsauftrag nicht haben
will, um Danzig vor [39] einem Angriff von außen zu
schützen, sondern um seinen völkischen Charakter zu vernichten,
und es faktisch, wenn auch nicht rechtlich, der Republik
einzuverleiben.8
8. Trotzdem hat der obige Grund soviel für sich,
daß er nicht unberücksichtigt gelassen werden kann, ohne zu
beweisen, daß es für Danzig oder für Polen wenig Vorteil
haben würde, letzterem einen Auftrag zur Verteidigung Danzigs zu erteilen,
oder vielmehr, um die Sache beim rechten Namen zu nennen, ihm zu erlauben, in
Danzig, wie es dies schon tatsächlich verlangt hat, einen
Armee- und Marine-Stützpunkt einzurichten.
9. Der Versailler Vertrag und die von Polen und Danzig
unterzeichnete Konvention scheinen mir zwei sehr wichtige Grundsätze zu
enthalten: Erstens soll Danzig seinen völkischen Charakter einer freien,
unabhängigen Stadt, unter dem Schutze des Völkerbundes,
behalten, und zweitens soll Polen jede Möglichkeit erhalten, den Hafen von
Danzig ungehindert zu benutzen. Niemand kennt besser als ich die
Schwierigkeiten, die zu überwinden sind, um diese beiden
Grundsätze zu vereinigen, die sich ein wenig widersprechen, besonders
angesichts der feindseligen Gefühle, die doch nun einmal augenblicklich
zwischen den beiden Nationalitäten bestehen. Ich bin indessen
überzeugt, daß, wenn die endgültige Entscheidung über
die militärische Verteidigung der Freien Stadt Danzig durch Polen
zugunsten Danzigs ausfällt, der Beschluß zwei Folgen nach sich
ziehen würde: Erstens wird Danzig bei seinem eigenen völkischen
Charakter die Folgerungen daraus ziehen und sich allmählich von
deutschen Einflüssen freimachen. Zweitens wird die Benutzung des
Danziger Hafens durch die Polen bedeutend erleichtert. Wenn aber im Gegensatz
dazu, die Entscheidung dem Wunsche der Polen entspricht, dann verlieren
zweifellos die Danziger Einwohner ihren völkischen Charakter und werden
wieder Deutsche, und Polen wird bei Benutzung des Danziger Hafens auf alle
möglichen Schwierigkeiten stoßen. Es wird gezwungen sein, sich
mehr und mehr der Gewalt und der auf den Waffen beruhenden Herrschaft
zuzuwenden, inmitten einer Bevölkerung von mehr als 300 000
reinrassigen Deutschen. Wenn Danzig früher ganz an Polen gegeben
worden wäre, bevor Deutschland sich nach der ersten Verwirrung infolge
seiner Niederlage und nach seinen politischen Umwälzungen erholt
hätte, dann wäre die Lage heute nicht so bedenklich, und im Laufe
der Zeit hätte man sich mit den Tatsachen abgefunden. Aber jetzt, nachdem
das Deutsche Reich sich wieder von seinen Schlägen erholt hat, ist Danzig
wieder so deutsch wie je.
10. Vergleiche werden immer kritisiert. Aber auf Grund
meiner Erfahrungen muß ich bekennen, daß die Deutschen im
einzelnen bessere Verwalter und fleißigere Arbeiter sind als die Polen. Aus
diesem Grunde wird Polen vom Hafen von Danzig, der für die Stadt die
einzige wirkliche Einnahmequelle bildet, ohne Zweifel einen
größeren Nutzen ziehen, wenn die Stadt ihren eigenen Danziger
Volkscharakter behält, als wenn man ihnen die polnische Nationalität
aufzwingt.
11. Ich hege die Überzeugung, daß, wenn
der Völkerbund auch fernerhin seinen starken Schutz der Freien Stadt
angedeihen läßt und keinem fremden Staat einen besonderen
Verteidigungsauftrag erteilt, ich den Polen in meiner Eigenschaft als Hoher
Kommissar des Völkerbundes in Danzig die Benutzung der Hafenanlagen
ohne jegliche Beschränkung versprechen kann, [40] und ich bin sicher, daß manche
Schwierigkeiten, die jetzt noch die Polen und die Einwohnerschaft Danzigs
voraussehen, aus der Welt geschafft werden können.8
Danzig, den 25. Januar
1921.
R. Haking
Hoher Kommissar für die Freie Stadt
Danzig".
Als die Polen (wohl durch eine Indiskretion) von dieser Denkschrift erfahren
hatten und gegen ihren Inhalt protestierten,(4) sah sich der Kommissar Haking
veranlaßt, in einer Note vom 5. Mai 1921 seine im Januar ausgesprochene
Meinung vollauf zu bestätigen.9 Diese Erklärungen des Kommissars
sind so eindeutig, daß sie keiner Erläuterung bedürfen. Sie
verfehlten daher auch nicht ihren Eindruck auf den Rat. Zwar konnte sich dieser
nicht zur Zurücknahme seines Beschlusses vom 17. November 1920
entschließen, aber in seinem Beschluß vom 22. Juni 192110
spezifizierte er seinen am 17. November 1920 gefaßten und hier nochmals
bestätigten Beschluß weitgehend. Wenn auch jede Spezifizierung
eine gewisse Einschränkung und damit in diesem Falle eine Verminderung
der Gefährdung Danzigs bedeutet, so bleibt es dennoch überaus
bedenklich, daß der Völkerbund in Verkennung seiner Aufgabe, die
auf die Erhaltung der Selbständigkeit Danzigs gerichtet sein soll,
überhaupt den Gedanken in Erwägung ziehen konnte, Polen mit
einem
militäri- [41] schen Mandat in Danzig zu betrauen. Die
Bestätigung eines solchen Beschlusses aber wirkt frappierend, wenn sie
erfolgte in Kenntnis des eingehenden und warnenden Berichts des vom
Völkerbundrat in Danzig eingesetzten Vertrauensmannes. Offenbar hat der
Völkerbundrat die ganze Frage der militärischen Ansprüche
Polens in Danzig dadurch, daß er sich und / oder den
Völkerbundkommissar als allein entscheidende Instanz eingefügt hat,
auf ein totes Gleis schieben wollen. Bei einer verantwortungsvollen Haltung des
Rats und des Kommissars kommt dieses Beiseiteschieben sicherlich einem vollen
Ausschalten gleich. Praktisch hat sich auch gezeigt, daß bis heute in keinem
Falle Polen auch nur Gelegenheit gefunden hat, die Übertragung des
militärischen Mandats (in Form des Verteidigungsmandats) zu fordern.
Polen hat daraufhin versucht, auf indirektem Wege militärisch in Danzig
festen Fuß zu fassen.
Aus der Zeit des Kondominiums der Alliierten befand sich eine polnische
Militärabteilung auf Danziger Gebiet, einquartiert in den Baracken von
Neufahrwasser, zur Bewachung polnischer Munitionstransporte.(6) In einer Entscheidung des Kommissars vom 4.
Februar 1921 wurde diese Angelegenheit dem Hafenausschuß zum
friedlichen Ausgleich überwiesen. Bis dieser seine Tätigkeit
aufgenommen hatte, sollte
Danzig - to show goodwill - den weiteren
Aufenthalt der Abteilung zur Bewachung [42] der Transporte gestatten, Polen
aber - to show goodwill on their side - die Abteilung ihres
militärischen Charakters entkleiden und das Tragen von Uniform, Waffen
und militärischer Ausrüstung untersagen.
Die polnische Regierung legte Berufung beim Völkerbundrat ein. Unter
ihren Argumenten sind zwei hervorzuheben. Erstens erklärte sie die
Bewachung von Kriegsmaterial für eine rein militärische Pflicht.
Und zweitens, sagte sie, würde eine Wache ohne militärischen
Charakter das Prestige und die Autorität der polnischen Regierung in
Danzig mindern.
Von Danziger Seite wurde erwidert, daß die Polizeigewalt als ein
Souveränitätsrecht der Danziger Regierung allein zustände,
und daß die Freie Stadt in der Lage wäre, ihre Polizeipflicht in jeder
Hinsicht zu erfüllen, und alle polnischen Transporte durch Danzig daher in
vollkommener Sicherheit durchgeführt werden könnten.
Der dem Rat von der Verwaltungsabteilung des Völkerbundsekretariats am
22. Juni 1921 vorgelegte Bericht (ohne Vermerk über die Genehmigung
durch den Rat veröffentlicht) kam zu dem Schluß, daß,
gemäß Ratsentscheidung vom 22. Juni über die Verteidigung
Danzigs, es Aufgabe des Kommissars wäre, falls Polen plötzlich und
tatsächlich an der Ausübung seiner ihm nach Art. 28 des Pariser
Vertrages zustehenden Rechte gehindert sein würde, von der polnischen
Regierung die erforderliche Unterstützung zur Aufrechterhaltung der
Ordnung in Danzig anzufordern. Daraufhin kam es am folgenden Tage in Genf zu
einer Vereinbarung(7)11 die die Entscheidung des Kommissars
bestätigte. Die Stärke der Wache sollte noch zwischen dem
Kommissar und der polnischen Regierung vereinbart werden. Wenn sich auch
gegen dieses Kompromiß nicht ohne Berechtigung Bedenken geltend
machen lassen, so war damit das polnische Verlangen nach Unterhaltung einer
Formation militärischen Charakters in Danzig zunächst abgewiesen.
Der Versuch wurde jedoch bei der Frage des Munitionsumschlagplatzes
wiederholt und sollte diesmal Erfolg haben.
Als der Rat im Juni 1921 zum zweiten Male die Frage der Verteidigung Danzigs
erörterte, gelangte auch die Frage eines der polnischen Regierung zum
Umladen und zu
vorübergehen- [43] den Einlagerung von Munition zur
Verfügung zu stellenden Platzes zur Besprechung.(8) (Munition glaubte Polen zu den "Waren aller Art"
rechnen zu dürfen, deren
Ein- und Ausfuhr ihm durch den Pariser Vertrag zugesichert worden war.) Eine
mit der Prüfung dieser Frage vom Rat betraute Kommission12 schlug in
ihrem an den Rat erstatteten und von diesem genehmigten Bericht vor, daß
mangels Übereinstimmung zwischen den Parteien sich der
Hafenausschuß mit der Platzfrage befassen sollte. Es sei erwähnt,
daß in der Kommission der französische Vertreter die im Hafen von
Danzig gelegene Insel Holm in Vorschlag gebracht und sich insoweit die
polnische Forderung zu eigen gemacht hatte. Der Bereitstellung eines geeigneten,
an den Ufern der Weichsel gelegenen Platzes hatte die Danziger Regierung
grundsätzlich zugestimmt, jedoch in ihrer Erklärung hervorgehoben,
daß der Platz "genügend weit von der Stadt entfernt" sein
müßte. Der Danziger Vertreter hatte ausdrücklich festgestellt,
daß in Anbetracht der großen Gefahr für die Freie Stadt Danzig
die
Holm-Insel nicht in Frage kommen könnte.
Der Hafenausschuß ging nur mit äußerstem Widerstreben und
unter Geltendmachung schwerster Bedenken an die ihm übertragene
Aufgabe. Er erklärte, "daß es im Hafen von Danzig keinen Platz gibt,
der den Bestimmungen dieser Vereinbarung [zwischen den Regierungen vom 23.
Juni 1921] entspricht, wenn die Ausdrücke 'Entfernung und Abgelegenheit'
so verstanden werden müssen, daß Kriegsbedarf, Sprengstoffe mit
einbegriffen, entladen, eingelagert oder weiterbefördert werden kann, ohne
daß die Freie Stadt Danzig einer tatsächlichen Explosionsgefahr
ausgesetzt ist. Wenn indessen die Regierungen von Polen und Danzig
übereingekommen sind, die volle Verantwortung auf sich zu nehmen, die
die Vereinbarung in sich schließt,... dann wird die Aufgabe des
Hafenausschusses auf die Auswahl eines Platzes beschränkt sein, dessen
Lage die geringste Gefahr in sich schließt."(9)
Der Hafenausschuß wählte darauf einen Platz an der
Südwestecke des Hafenbeckens auf dem Holm aus, lehnt aber
ausdrücklich jede Verantwortung "für irgendwelche Folgen, die
[44] sich aus der Anwesenheit von Kriegsmaterial
gleich welcher Art auf der Reede, im Hafen, auf den Wasserwegen oder auf dem
Schienennetz ereignen könnten",(9) ab. Gegen die Wahl des Hafenausschusses erhob
die polnische Regierung Einspruch und verlangte einen Platz auf dem Holm an
der Ostseite des Hafenbeckens. Der Völkerbundkommissar Haking
entschied darauf am 7. April 1922, erstens, daß Polen vorübergehend
ein Platz an der Ostseite des Holms zur Verfügung gestellt werden sollte,
zweitens, daß jede Einlagerung von über 100 Tonnen Sprengstoffen
auf länger als 24 Stunden ihm, dem Präsidenten des Senats und dem
Vorsitzenden des Hafenausschusses zu melden wäre, drittens, daß die
beiden Regierungen über den Bau eines Hafenbeckens an der Ostseite der
toten Weichsel in Verhandlung treten sollten, viertens, daß Polen im Falle
einer Explosion entschädigungsverpflichtet wäre. Polen aber
verlangte vor dem Rat,(10) an den es Berufung eingelegt hatte,
endgültig den Platz an der Ostseite des Holms und erklärte sich auch
zur Tragung der Hälfte der hierdurch entstehenden Kosten nur unter der
Bedingung bereit, daß der Holm Anlegehafen für polnische
Kriegsschiffe würde. Die Schadensersatzpflicht wollte Polen auf den Fall
des Verschuldens beschränken, worüber im Zweifelsfall der
Ständige Internationale Gerichtshof im Haag entscheiden sollte. Als
Erwiderung auf diese Ausführungen des polnischen Vertreters Askenazy
konnte der Präsident des Senats Sahm als Vertreter Danzigs daran erinnern,
daß Kommissar Haking in einer an beide Regierungen gerichteten Note
vom 21. August 1922 erklärt hatte, es gäbe auf Danziger Gebiet
für den Munitionsumschlag keinen Platz, der weit genug entfernt
wäre, um jede Gefahr für Menschen und Eigentum sowie für
die wirtschaftliche Entfaltung auszuschließen. "Wenn ich nicht durch den
Vertrag von Versailles gebunden wäre," habe der
Völkerbundkommissar bei dieser Gelegenheit geschrieben, "hätte ich
niemals die von mir gefällte Entscheidung unterschrieben." Sowohl der
Kommissar als auch der Vorsitzende des Hafenausschusses hätten Polen
vorgeschlagen, den Munitionsumschlag im polnischen Kriegshafen Gdingen
vorzunehmen. Sahm beantragte daher, erstens Depots von Munition auf Danziger
Gebiet zu untersagen, zweitens alle Kosten für nötig werdende
Neuanlagen Polen aufzuerlegen. Darauf der polnische Vertreter Askenazy: "Der
sogenannte Hafen von Gdingen, von dem Herr Sahm gesprochen hat, ist nur ein
Fischerdorf." Nachdem der
Völkerbundkom- [45] missar Haking nochmals festgestellt hatte, daß es
erstens in der Freistadt keinen sicheren Ort gäbe, daß aber zweitens
Polen nach dem Versailler Vertrag das Recht habe, Munition über Danzig
einzuführen, und nachdem er drittens hinzugefügt hatte, daß
die Konsuln fast aller in Danzig vertretenen Staaten ihn informiert hätten,
das Vorhandensein von Explosivstoffen in Danzig würde auf den
Außenhandel von äußerst nachteiligem Einfluß sein
("aurait... une influence néfaste"), beschloß der Rat, die Entscheidung des
Kommissars zu bestätigen.
Mit diesem Beschluß, durch den der Völkerbundrat einen sich
keineswegs zwangsläufig aus dem Versailler Vertrag sich ergebenden
Schluß zog, war die Frage des polnischen Munitionsumschlagsplatzes in
Danzig jedoch noch nicht erledigt. Der Rat sollte noch mehrere Male mit dieser
Frage befaßt werden. Zunächst ergaben sich aus der Wahl des Platzes
Schwierigkeiten.(11) Der Kommissar und der Hafenausschuß, die
unabhängig voneinander diese Frage geprüft hatten, waren zu
verschiedenen Ergebnissen gelangt. Bei der Sitzung des Rats vom 13.
Dezember 1923 nahm der Danziger Vertreter Sahm daher Gelegenheit, erneut
die ganze Frage aufzurollen. Er wies darauf hin, daß nach den bestehenden
Verträgen Polen wohl das Recht der Munitionsdurchfuhr, aber nicht der
Munitionseinlagerung habe. Er führte hierbei die Ansicht des
Präsidenten des Hafenausschusses an, wonach es am Weichselufer keinen
geeigneten Platz zur Munitionslagerung, ohne Gebäude zu
gefährden, gäbe. Er konnte sogar geltend machen, daß Polen
seit zwei Jahren von seinem Recht, auf dem Holm Munition zu lagern, keinen
Gebrauch gemacht, die Sorge für die Munitionsumladung vielmehr dem
Hafenausschuß überlassen hätte, und daß bisher die
Umladung stets in wenigen Stunden bewerkstelligt worden wäre, Polen also
gar keine Munition einzulagern brauche. Zum Schluß lenkte er die
Aufmerksamkeit des Rats wiederum auf Gdingen, als den für die
Munitionsumladung geeigneten polnischen Hafen. Die Argumentation des
polnischen Vertreters wirkte demgegenüber schwach. Er sagte, Polens
Recht zur Munitionsdurchfuhr wäre unbestreitbar (von einem Recht auf
Munitionslagerung sprach er jedoch nicht), die Frage Gdingen wäre
abzuweisen, und der Polen auf dem Holm zugewiesene Platz wäre zu klein.
Ohne nochmals auf die von Danzig angeschnittene grundsätzliche Frage
einzugehen, ernannte der Rat einen Ausschuß, bestehend aus neutralen
Sachverständigen [46] und je einem englischen und
französischen Militär. Dieser erstattete dem Rat am 8. Februar 1924
nach Prüfung an Ort und Stelle Bericht.(12) Der Ausschuß hatte den Südteil der
Halbinsel Westerplatte als Munitionsumschlagsplatz für Polen
gewählt. Der Platz sollte in das Eigentum des Hafenausschusses
übergehen, der auch mit der Durchführung der notwendig werdenden
Bauten betraut werden sollte. Alle Kosten hätten Polen und Danzig je zur
Hälfte zu tragen. Bis zur Fertigstellung sollte der Freihafen weiter zur
Verfügung stehen. (Minderheitsvotum des französischen Obersten
Rémond: die Insel Holm wäre besser geeignet.) Die Bestimmungen
für die Munitionsumladung sollten von einem Ausschuß festgelegt
werden, in dem Polen das Übergewicht zustehen sollte. Entgegen diesem
Bericht beanspruchte Polen auf der Ratssitzung vom 14. März 1924(12) den Holm und ließ erneut Vorbehalte zur
Frage der Verantwortlichkeit für etwa entstehende Schäden machen.
Der Danziger Vertreter wandte ein, daß die Westerplatte bewohnt
wäre und eine Explosion sowohl Neufahrwasser als auch den Freibezirk
gefährden würde. Er wies erneut darauf hin, daß weder der
Vertrag von Versailles, noch der Vertrag von Paris Polen einen
Munitionslagerplatz gewährten.13 Der Rat faßte einen den
Sachverständigen-Bericht genehmigenden Beschluß.(13) Bis zur Fertigstellung der neuen Anlagen sollte die
Munition weiter im Freibezirk (oder in einem anderen Teil des Hafens) entladen
werden. Außerdem sollte Polen der in der Entscheidung des
Völkerbundkommissars vom 7. April 1922 genannte Platz auf dem Holm
auf bis zu 6 Monaten zur Verfügung stehen. Als sich herausstellte,
daß die Grenze für den Munitionsplatz auf der Westerplatte durch ein
Gelände ging, auf dem sich die Reparaturwerkstätten des
Hafenausschusses befanden, übertrug der Rat in einem späteren
Beschluß diesem Ausschuß die Abgrenzung.(14) Mit der Übergabe der Westerplatte an die
polnische Regierung am 31. Oktober 1925(15) fand die Frage des
Munitionsumschlagplatzes14
zu- [47] nächst ihre Erledigung, deren Art nicht
dem entsprach, was die Freie Stadt als Schützling des Völkerbundes
von diesem glaubte erwarten zu können.
[48] Zwei Jahre später wurde die prinzipielle
Frage des polnischen Munitionsplatzes in Danzig durch eine Note des Senats vom
25. Juli 1927 und eine Eingabe des Danziger Heimatdienstes wieder
aufgenommen.(17) Die letztere konnte sich dabei stützen auf
eine in Krakau vorgekommene Munitionsexplosion, die die polnische
öffentliche Meinung zur Forderung nach einer Fortverlegung der
Munitionsplätze aus den Städten veranlaßt hatte.15 "Was
Krakau recht ist, muß Danzig billig sein", hatte schon der Danziger
Vertreter Sahm im Rahmen der Geschäftsordnungsdebatte im Juni vor dem
Rat gefordert. Dieser beauftragte am 1. September 1927 ein Juristenkomitee mit
der Prüfung der Frage, ob der Rat seinen Beschluß vom 14.
März 1924 umstoßen und erneut in eine Verhandlung über die
Frage des polnischen Munitionsplatzes in Danzig eintreten könnte. Das
Juristenkomitee verneinte die Vorfrage. Es wäre keine neue Tatsache
vorgebracht worden, die die Frage für den Rat zu einer neuen machte.
Demgemäß lehnte auch der Rat die Wiederaufnahme ab.(19)
Diese Ablehnung gibt Anlaß zu einer prinzipiellen Bemerkung. Es scheint
nicht
angängig - auch wenn durch entsprechende Ratsbeschlüsse die
Verfahrensfrage so Rechtens
ist -, daß der Rat seine Entscheidungen wie gerichtliche Urteile
behandelt. Der Rat ist keine richterliche, sondern eine politische Instanz. Seine
Entscheidungen fließen nur zum geringsten
Teile - gerade eine Reihe von Danziger Entscheidungen zeigen dies mit aller
Deutlichkeit - aus einer rechtlichen Überzeugung, sondern aus
Erwägungen politischer Zweckmäßigkeit, oftmals wohl
modifiziert durch die nicht vollständig beiseite zu schiebende
Völkerbund-Ideologie. Jede politische Instanz kann aber
selbstverständlich zu jeder Zeit eine ergangene Entscheidung unter einer
veränderten politischen Konstellation wieder umstoßen und durch
eine anderweitige, sogar gegenteilige Entscheidung ersetzen. Anders liegt der Fall,
wenn die höchste [49] richterliche Instanz, der Ständige
Internationale Gerichtshof im Haag, auf Veranlassung des Rats eine Entscheidung
gefällt hat. Erst dann kann von einer "chose jugée" mit Berechtigung
gesprochen werden. Und selbst da muß es Revisionsmöglichkeiten
für bestehendes Recht, auf das sich der Haager Gerichtshof allein
stützen kann, durch eine politische Instanz geben. Es soll damit nicht der
Lehre von der clausula rebus sic stantibus das Wort geredet werden. Für
politisches Denken ist es aber unmöglich, im Formalen zu beharren und es
hinzunehmen, daß die Verträge von 1919 sowie die Entscheidungen
und Abkommen der nachfolgenden Jahre unabänderlich sind. Aus dieser
grundsätzlichen Erwägung heraus muß darum auch Danzig
Gelegenheit geboten werden, die allgemeine Frage des polnischen
Munitionsumschlagplatzes in Danzig dem Rat zur erneuten Behandlung
vorzulegen.
Die Zuerkennung eines Munitionsplatzes an Polen hatte eine weitere Frage im
Gefolge. Am 19. September 1925 berichtete der Völkerbundkommissar
MacDonnell dem Rat,(15) daß Polen bei ihm um die
Ermächtigung eingekommen wäre, eine ständige Wache von 2
Offizieren, 20 Unteroffizieren und 66 Mann für die polnischen
Munitionsdepots einrichten zu dürfen. Einen Antrag auf Erhöhung
hätte die polnische Regierung sich vorbehalten. Der Kommissar glaubte
seine Zustimmung geben zu können, hielt es jedoch für ratsam, dem
Rat im Hinblick auf Art. 5 der Danziger Verfassung (wonach Danzig ohne
besondere Einwilligung des Völkerbundes weder als
Militär- noch als Marinebasis dienen darf) Gelegenheit zur Prüfung
der Situation zu geben. Diese Situation faßte Kommissar MacDonnell selbst
wie folgt zusammen:
1. Auf Grund eines Abkommens zwischen der Freien Stadt und Polen
dürfen die polnischen Kriegsschiffe den Danziger Hafen benutzen und sich
hier vorübergehend aufhalten. Es handelte sich um etwa 15 Einheiten, mit
einer Besatzung von etwa 600 Offizieren und Matrosen. 2. Ein
Munitionsdepotplatz wäre Polen am Eingang des Danziger Hafens zur
Verfügung gestellt worden. 3. Nach dem in Frage stehenden Vorschlage
würde dieser Platz von einem ständigen Kommando von 88
Offizieren und Mannschaften des polnischen Heeres bewacht werden.
Danzig war der Ansicht, daß die Unterhaltung einer polnischen
Militär-Abteilung der Schaffung einer polnischen
Mili- [50] tärbasis in Danzig gleichkäme und
machte geltend, daß das Munitionsdepot den Danziger Gesetzen
unterstände. Mit der Vereinbarung vom 22. Juni 192116 hätten die
Vertragschließenden nur eine zivile Wache im Auge gehabt. Es
genügte, wenn jeweils bei Eintreffen von Munitionstransporten
Mannschaften aus Polen herangezogen werden würden. Im übrigen
wären die Hafenanlagen in Gdingen fertiggestellt. Die Danziger Regierung
wäre daher nicht in der Lage, das Abkommen über die Benutzung
des Danzigers Hafens für polnische Kriegsschiffe zu erneuern. Der Rat
möchte Polen auch die Verlegung des Munitionsdepots nach Gdingen
empfehlen. Danzigs Aufgabe wäre die eines offenen Handelshafens
für sein Hinterland. Polen bestritt, daß von der Errichtung einer
polnischen
Militär- oder Marinebasis in Danzig die Rede sein könnte. Die
Bewaffnung des Kommandos würde sich auf den durch die Bewachung
gegebenen Zweck beschränken. Militärisch wäre das
Kommando ohne Wert. In dem dem Rat vorgelegten Bericht wurde die von
Danzig erneut angeschnittene grundsätzliche Frage nicht in Betracht
gezogen. Ebensowenig die Anregung des schwedischen Vertreters Undén,
Zivilpolizei statt Militär zu verwenden. Der Rat beschloß, gegen die
Anwesenheit der polnischen Wachmannschaften keinen Einspruch zu erheben.
"Gemäß dem Ratsbeschluß vom 14. März 1924",
hieß es in den Schlußfolgerungen dieses vom Rate genehmigten
Berichts, "darf der der polnischen Regierung zur Verfügung gestellte Teil
der Westerplatte ausschließlich zur Löschung, zur Einlagerung von
Kriegsmaterial und Explosivstoffen im Transit und zu deren
Weiterbeförderung nach Polen dienen. Dies schließt einerseits aus,
daß die Wachen andere Aufgaben haben, als sich mit dem genannten
Material im Transit zu befassen, und andererseits, daß die polnischen
Kriegsschiffe in dem polnischen Bassin der Westerplatte vor Anker gehen.
Gemäß dem Abkommen zwischen Danzig und Polen [51] vom 23. Juni 1921, darf das Wachpersonal
außerhalb der reservierten Plätze keine Uniform17 tragen. Die
Bewaffnung dieses Personals wird sich, wie die polnische Regierung versichert
hat, streng auf den gegebenen Zweck, die auf dem fraglichen Terrain
auszuübende Überwachung, beschränken. Dieses Terrain wird
in keiner Weise befestigt werden".(21) So bedenklich die Anwesenheit eines polnischen
militärischen Kommandos, mag der Zweck sein, welcher er wolle,
zweifellos für die Selbständigkeit und Neutralität der Freien
Stadt ist, so ist doch festzustellen, daß die Polen vom Völkerbunde
auferlegten Bedingungen scharf und eindeutig sind, und eine unmittelbare Gefahr
für Danzig daher nicht droht. In Genf hat man offenbar durch die an
Klauseln gebundene Zustimmung das polnische Verlangen an eine feste, ein Mehr
ausschließende Form binden wollen. Es ist Polen zwar gelungen,
Militär nach Danzig zu bringen, aber es kann es nicht nach seinem freien
Ermessen verwenden.
Bei folgerichtiger Anwendung des zwei Jahre später anläßlich
eines noch zu erörternden Falles vom Rat ausdrücklich anerkannten
Grundsatzes, daß Polen auf Danziger Gebiet, und insbesondere auf der
Westerplatte keinerlei Exterritorialrechte besitzt, hätte der Rat zu einer
Ablehnung des polnischen Verlangens auf eine militärische Wache auf der
Westerplatte kommen müssen. Wenn der Rat dennoch seine Zustimmung
gab, so ist dies als ein Kompromiß aus
praktisch-politischen Gründen, nicht aber als eine Entscheidung aus
rechtlichen Erwägungen zu werten. Mit dem Grundsatz, daß allein
Danzig Staatshoheitsrechte auf Danziger Gebiet zukommen, ist diese
Ratsentscheidung ebenso unvereinbar wie die in dem "Memorandum" (warum
nicht Entscheidung?) des Völkerbundkommissars van Hamel vom 8. April
1927(22) ausgedrückte Ansicht, daß die
Überwachung der Anwendung der für die Westerplatte festgesetzten
Sicherheitsvorschriften, wie auch der allgemeinen Zollvorschriften auf der
Westerplatte Polen zukäme. Der dem Rat am 27. September 1927
vorgelegte Bericht(22) des chilenischen Vertreters bestätigte diese
Ansicht des Kommissars. Der deutsche Außenminister Stresemann
beantragte darauf erneute Prüfung unter Hinzuziehung von zwei Juristen
und erklärte, dem vorgelegten Bericht seine Zustimmung nicht geben zu
können. Wegen der Einstimmigkeitsregel war der Bericht damit abgelehnt.
Das [52] darauf am 8. Dezember 1927 vorgelegte
Juristengutachten18 war für
Danzig günstig. Jetzt erfolgte der
Gegenzug des polnischen Vertreters, der Vertagung beantragte, um in Danzig
über die praktischen Details zu verhandeln und zu einer direkten
Verständigung zu kommen. Bei einem Kompromiß sah der polnische
Vertreter die Aussichten Polens als günstiger an, als bei einer juristischen
Entscheidung. Der Antrag auf Vertagung wurde vom Rat angenommen.
Aus dem Memorandum des Kommissars sind noch zwei weitere Punkte zu
erwähnen, die von Danzig nicht zum Gegenstand einer Berufung gemacht
worden sind. Der Kommissar erkannte als Recht an, daß Danziger Beamte
in Ausübung ihres Amtes die Westerplatte betreten dürfen,19 und
legte den Begriff Kriegsmaterial, worunter Polen alle bei der Kriegsführung
notwendigen Waren verstehen wollte, dahin aus, daß Kriegsmaterial nur
diejenigen Gegenstände wären, die im Kapitel I der Konvention
über den Waffenhandel vom 17. Juni 1925 aufgeführt
wären.
Polen erhob auch für seine Kriegsflotte Ansprüche in Danzig. Am 5.
März 1921 richtete die polnische Delegation beim Völkerbunde(24) einen Antrag an den Rat und verlangte: "daß
der polnischen Regierung im Danziger Hafen eine Anlegestelle ('point d'attache')
zur Verfügung gestellt wird, um das Festmachen, die Versorgung und
Instandhaltung der Schiffe der polnischen Seepolizei... sicherzustellen". Mit einer
Note vom 21. April 1921 wurde dieses Verlangen wiederholt, das offenbar an den
auf Grund des Ratsbeschlusses vom 17. November 1920 vom Ständigen
beratenden Ausschuß für
Heeres-, Flotten- und [53] Luftfahrtfragen erstatteten Bericht20
anknüpfte. Die Frage kam am 22. Juni 1921 vor dem Rat zur Verhandlung.
Dieser beschloß, den Kommissar zu ersuchen, "die Mittel zu prüfen,
um im Hafen von Danzig einen Anlegehafen ('port d'attache') für die
polnischen Kriegsschiffe zu schaffen, ohne dadurch einen Flottenstützpunkt
zu errichten".(25) Es fällt auf, daß ohne einen
erkennbaren Grund dieses Mal statt von einer Anlegestelle von einem
Anlegehafen die Rede war. Bei der Diskussion, die am gleichen Tage im
Ständigen beratenden Ausschuß für
Heeres-, Flotten- und Luftfahrtfragen über die Frage eines polnischen
Munitionsumschlagplatzes stattfand, war schon der Holm als besonders als
Liegeplatz für die polnische Wachflottille geeignet bezeichnet worden.(26)
Auf Verlangen des Rats erstattete der Kommissar Haking einen Bericht (vom 10.
September 1921). In diesem hieß es:
"Die erste Schwierigkeit bestand darin, den Sinn des Ausdruckes 'Anlegehafen'
('port d'attache') herauszufinden. Augenscheinlich gibt es keinen
gleichbedeutenden Ausdruck dafür, denn in dem englischen Text des
Beschlusses des Rats sind die Worte auf Französisch wiedergegeben. Ich
habe verschiedene französische Autoritäten nach der Bedeutung
dieses Wortes gefragt, ohne von ihnen eine genügende Antwort zu erhalten.
Die Presse gibt ihm offenbar einen sehr ausgedehnten Sinn, derjenige,
erklärt sie, welcher einen Anlegehafen einrichten kann, ohne gleichzeitig
eine Marinebasis zu schaffen, würde die Quadratur des Zirkels
lösen..."
"Es scheint demnach, daß diesem Ausdruck ein begrenzter Sinn beigelegt
werden muß, und daß Polen nicht eine ständige Einrichtung am
Lande gegeben werden dürfe, sondern nur ein Ankerplatz oder Kaianlagen,
wo die polnischen Kriegsschiffe festmachen können, und welche immer
für diesen Zweck verfügbar sind. Wenn dieses der Fall ist, erhebt
sich natürlich die Frage nach den Bedingungen, unter welchen die
polnischen Kriegsschiffe unbegrenzt in dem Hafen von Danzig bleiben
können, ohne daß dieser eine Flottenbasis werde ...." Nachdem er
noch zum Ausdruck gebracht hatte, daß Polen zwar für seine
Kriegs- [54] schiffe im Danziger Hafen gewisse Vorrechte zu
gewähren sind, Danzigs Mitwirkung aber dadurch nicht ausgeschaltet
werden dürfte, kam er zu folgenden Vorschlägen: "Erstens, daß der
Hohe Kommissar des Völkerbundes in Danzig ermächtigt werden
solle, die Zurückziehung der polnischen Kriegsschiffe aus dem Danziger
Hafen zu verlangen, wenn er meint, daß die Lage diese Maßnahme
erfordert. Zweitens, daß die polnischen Kriegsschiffe, während ihnen
ein ständiger Ankerplatz für ihre Schiffe gegeben wird, keine
ständigen Einrichtungen am Lande besitzen dürfen". Was den ersten
dieser Vorschläge anbetreffe, so hätte er der polnischen Regierung
mitgeteilt, daß es unwahrscheinlich wäre, daß er jeweils zur
Ausübung dieser Vollmacht aufgefordert werden würde, daß
aber seiner Meinung nach eine solche Vorschrift unerläßlich
wäre, um die Anschuldigung zu vermeiden, daß eine polnische
Marinebasis in Danzig errichtet worden wäre. Die polnische Regierung
stimmte jedoch diesen Vorschlägen des Kommissars nicht zu. Sie
erklärte, daß weder Putzig noch Dirschau in Betracht kommen
könnten (Gdingen erwähnte sie nicht), daher nur Danzig als
Schutzhafen für polnische Kriegsschiffe übrig bliebe. Sie definierte
dann noch den Begriff
Anlegehafen,21 - denn auf die
Festlegung dieses Begriffes lief [55] der Streit, der jetzt zu einer
Meinungsverschiedenheit zwischen dem Kommissar und der polnischen
Regierung geworden war,
hinaus - und trotz der von ihr gegebenen Definition versteht man nicht,
warum sie die Vorschläge des Kommissars nicht glaubte annehmen zu
können. Man kann sich angesichts dieses Widerstandes schwer des
Eindrucks erwehren, daß Polen mehr meinte, als es hier sagte. Der weitere
Verlauf dieser Angelegenheit ist weder interessant noch wichtig. Sowohl der
Ständige beratende Ausschuß für
Heeres-, Marine- und Luftfahrtfragen,22 als auch der Präsident des
Senats,(27) unternahmen nochmals den Versuch einer
Definition des Begriffes Anlegehafen. Die polnische Vertretung beim
Völkerbunde bat am 29. September 1921 erneut um
Anker- und Lagerplätze sowie
Reparatur-Gelegenheit, dieses Mal für
Fischerei-Schutzfahrzeuge. Die Frage gelangte jedoch nicht mehr auf die
Tagesordnung der
September-Tagung 1921. Auf Anregung des Generalsekretärs des
Völkerbundes und unter den Auspizien des Kommissars Haking
beschlossen die beiden Regierungen am 8. Oktober 1921 ein vorläufiges
Abkommen. Danzig gestattete die Anwesenheit polnischer Kriegsschiffe, bis die
Frage des Anlegehafens entschieden wäre. Völkerbundkommissar
und Präsident des Hafenausschusses befaßten sich später
nochmals mit dieser Frage. Im Jahre 1922 versuchte Polen, sie mit der Frage des
Munitionsplatzes zu verknüpfen. Auf Vorschlag des Kommissars fanden
bei der
März-Tagung des Rats im Jahre 1924 ergebnislos verlaufende
Besprechungen zwischen den Parteien statt. Der Ständige beratende
Ausschuß für
Heeres-, Marine- und Luftfahrtsfragen hatte in seinem schon erwähnten [Gutachten]
vom 24. September 1921 die Benutzung des Danziger Hafens als Anlegehafen
für polnische Kriegsschiffe nur bis zur Fertigstellung des polnischen Hafens
Gdingen für zulässig erklärt und für Benutzung bis zu
diesem Zeitpunkt scharfe Bedingungen aufgestellt. Damit war allen auf Weiteres
gerichteten polnischen Wünschen ein Riegel vorgeschoben. Trotzdem
meldete Polen in seiner dem Kommissar am 15. Oktober 1927 vorgelegten Note
einen Rechtsanspruch auf Benutzung des Danziger Hafens durch seine
Kriegsschiffe an.23 [56] Bisher hatte es von "Notwendigkeit" für
sich und "wirtschaftlichem Interesse" für Danzig gesprochen, also lediglich
Billigkeitsmomente angeführt. Die Frage ist seitdem in der Schwebe.
Stresemann hatte auf der Septembertagung 1927 vergebens versucht, eine
sofortige Entscheidung zu erreichen. Im Hinblick auf in Aussicht stehende direkte
Verhandlungen zwischen den Parteien mußte er in die Vertagung
willigen.(28) Es liegt auf der Hand, daß es im Interesse
der Selbständigkeit Danzigs liegt, die Frage möglichst schnell zur
Entscheidung zu bringen. Handelt es sich doch nur noch um die Tatfrage, ob
Gdingen heute die polnische Kriegsflotte aufnehmen kann.24 Alles andere ist
verdunkelndes Drum und Dran.
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