III.
Um die innere Hoheitssphäre der Freien Stadt
Der folgenschwerste Vorstoß Polens in die Hoheitssphäre der Freien
Stadt Danzig war der sogenannte Briefkastenstreit vom Jahre 1925. Die Erhitzung
der Gemüter erreichte damals auf beiden Seiten einen Grad, daß die
ernstesten Befürchtungen für den Frieden an der
Weichselmündung und für die Selbständigkeit der Freien Stadt
vollauf berechtigt waren.
Bereits zweimal hatte sich der Völkerbundkommissar vorher mit der Frage
der polnischen Post in Danzig zu beschäftigen gehabt. In seiner
Entscheidung vom 25. Mai 1922 hatte General Haking über die Bedeutung
des Wortes "unmittelbare Verbindung" zwischen dem Hafen von Danzig und
Polen(1) zu handeln. Polen hatte das Recht verlangt, beliebig
viele Postämter, innerhalb oder außerhalb des Hafens von Danzig,
einzurichten, [57] mit völliger Freiheit, von dort seine
Postsendungen von und nach Polen in jeder Weise und in jeder Richtung zu
befördern, sowie zu diesem Zwecke von ihnen gewünschte
Gebäude oder Gelände außerhalb des Danziger Hafens zu kaufen
oder zu pachten. Damit wäre aber ein erheblicher Teil der Danziger
Posthoheit auf Polen übergegangen. Die Danziger Regierung setzte sich zur
Wehr. Der Kommissar erkannte Polen ein Postamt in der Nähe des Hafens
zu. Die "Notwendigkeit" des Besitzes weiterer Gebäude oder
Gelände in Übereinstimmung mit Art. 30 des Pariser Vertrages
hätte Polen für jeden einzelnen Fall nachzuweisen.
Eine weitere Entscheidung betraf das polnische Verlangen nach einer
Briefsortierungsstelle auf dem Danziger Hauptbahnhof. Der
Völkerbundkommissar Haking wies diese Forderung am 23. Dezember
1922 ab. Nach seiner Entscheidung vom 25. Mai 1922 hätte Polen in
Danzig nur das Recht auf einen einzigen Platz. Was der
Völkerbundkommissar versagte, gestand jedoch bald darauf die Danziger
Regierung bei Verhandlungen in Genf auf Veranlassung des
Völkerbundsekretariats selbst zu. Durch Abkommen vom 18. April 1923
willigte sie in die Errichtung einer polnischen Sortierstelle auf dem Danziger
Hauptbahnhof [ein], die jedoch für das Publikum nicht zugänglich sein
sollte.(2)
Im Verlauf des Jahres 1922 fand über die Frage des
Geschäftsbereichs der polnischen Post in Danzig zwischen den beiden
staatlichen Verwaltungen ein Schriftwechsel statt. In einem Schreiben vom 9.
Dezember 1922(3) erklärte die polnische
Post- und Telegraphendirektion in Danzig, daß sich "der
Geschäftsbereich der polnischen Zentrale für den
Post-, Telegraphen- und Fernsprechverkehr ipso facto über den ganzen
Gemeindekreis der Stadt Danzig" erstreckte. Begründet wurde diese
Ansicht damit, daß der Völkerbundkommissar in seiner Entscheidung
vom 25. Mai 1922 den Begriff "Hafen von Danzig" nicht definiert und
überdies erklärt hatte, daß diese Definition nicht leicht
wäre. Aus dem Schlußabsatz dieses an die Danziger
Post- und Telegraphenverwaltung gerichteten Schreibens ergab sich, daß Polen
sich mit der Absicht trug, auf eigene Faust zu handeln. Der Senat bat darauf den
Völkerbundkommissar, da Polen "anscheinend eine vollendete Tatsache
schaffen" wollte, "um dadurch für spätere Verhandlungen sich einen
Vorzug zu schaffen", um Entscheidung. Der Kommissar Haking aber glaubte
nicht an die [58] polnische Absicht. Er schrieb dem polnischen
diplomatischen Vertreter am 6. Januar 1923, Polen hätte kein Recht, "einen
Postdienst einzurichten, welcher irgendwo über die Grundstücke
hinausgeht, die ihm für den Zweck und für die
Weiterbeförderung der Postsachen von diesen Grundstücken nach
Polen und umgekehrt und von und nach fremden Ländern zugeteilt worden
sind". Wahrscheinlich bestände in dieser Frage ein
Mißverständnis, und Polen hätte nicht die Absicht, einen so
erweiterten Postdienst einzurichten....(4)
Weitere Verhandlungen über die Frage des polnischen Postdienstes haben
dann offenbar nicht mehr stattgefunden.(5) Erst am 1. Dezember 1924 richtete der Senat an die
polnische Regierung die Anfrage, "ob es zutreffe, daß die polnische
Regierung beabsichtige, den Postdienst im Hafen in allernächster Zeit zu
eröffnen und durch Briefkästen und Briefträger zu erweitern,...
daß in diesem Falle die Freie Stadt ein solches Vorgehen als mit der
Entscheidung des Hohen Kommissars vom 25. 5. 22 im Widerspruch stehend
erachten würde; ein solches Vorgehen vor der Regelung der in der
Angelegenheit bestehenden Meinungsverschiedenheit auf Grund von Art. 39
würde auch einen direkten Schritt bedeuten. Die Antwort auf dieses
Schreiben, die vom 3. Januar 1925 datiert war, lautet dahin, daß die beim Senat
vorliegende Nachricht zutreffend sei.(6)
Bevor aber dieser Brief in die Hände des Empfängers gelangt war,
schuf Polen die schon in der Note des Senats an den Völkerbundkommissar
vom 4. Januar 1923 vorausgesehene vollendete Tatsache. Am 5. Januar
wurden - "während der Dunkelheit, nach Angabe des Senats, bei
Tageshelle, nach Angabe des polnischen diplomatischen
Vertreters"(7) - an etwa zehn verschiedenen Stellen der
Stadt, polnischen
Dienst- und Bankgebäuden, polnische Briefkästen angebracht.
Gleichzeitig wurde ein
Einsammel- und Bestelldienst durch Briefträger in polnischer Uniform
eröffnet. In der folgenden Nacht spielte sich ein Zwischenfall ab, der
zunächst die Situation noch weiter zuspitzen sollte. Die polnischen
Briefkästen wurden von Unbekannten
schwarz-weiß-rot übermalt. Darauf Beschwerde des polnischen
diplomatischen Vertreters beim Senat. Er verlangte Genugtuung wegen der
Übermalung der Embleme der polnischen Republik. "Sollten die
örtlichen Polizeikräfte sich als nicht ausreichend erweisen,"
hieß es in dieser Note vom 6. Januar, "so behält sich die polnische
Regierung vor, weitere Maßnahmen [59] zum Schutze ihres Eigentums und des normalen
Funktionierens ihrer Ämter in Danzig zu ergreifen".(8) Eine Drohung also in nur noch leicht
verhüllter Form. Der Senat sprach daraufhin am 7. Januar dem polnischen
diplomatischen Vertreter sein Bedauern über dies Vorkommnis aus. Er
betonte jedoch, daß es sich nur um eine Sachbeschädigung und nicht
um eine Verletzung der polnischen Hoheitszeichen handelte, und wies im
übrigen darauf hin, daß der Zwischenfall nicht hätte eintreten
können, wenn die eigenmächtige und vertragswidrige Anbringung
der polnischen Briefkästen unterblieben wäre. Noch am gleichen
Tage lag beim Senat die
Antwort-Note(9) des polnischen diplomatischen Vertreters vor. Die
Senats-Erklärung wurde nicht als Satisfaktion angesehen. Es wurde
persönliche Entschuldigung eines
Senats-Vertreters im Dienstgebäude des polnischen diplomatischen
Vertreters gefordert. Bei dieser Gelegenheit wurde auch behauptet, daß
Beamte sich an den Beschädigungen beteiligt, und daß Polizeibeamte
sich geweigert hätten, dem polnischen Staatseigentum Schutz angedeihen
zu lassen. Um eine weitere Zuspitzung1 zu vermeiden, ließ der Senat
nunmehr, - einem Rat des Kommissars MacDonnell
folgend(10) - dem polnischen diplomatischen Vertreter
durch einen Regierungsrat seiner Abteilung für auswärtige
Angelegenheiten erklären, daß er die auf Danziger Gebiet
vorgekommenen Beschädigungen polnischen Staatseigentums, "die ihrer
besonderer Art nach von der polnischen Regierung als eine Beleidigung des
polnischen Staates und des polnischen Volkes aufgefaßt werden,
vorbehaltlos mißbilligt und bedauert".(11) Die polnische Regierung war befriedigt und
bezeichnete in einer Erklärung vom 10. Januar die Senatserklärung
"ohne Rücksicht auf die mehr oder minder glückliche Form als
ausreichende Genugtuung".(12)
Jetzt griff der Völkerbundkommissar MacDonnell in den eigentlichen Streit
ein und ersuchte am 9. Januar den polnischen diplomatischen Vertreter,(13) die nötigen Schritte zu unternehmen, um
den Status quo ante wieder herzustellen. Das Vorgehen der polnischen Regierung
wäre ein fait accompli. Am [60] 12. Januar lehnte der polnische diplomatische
Vertreter das Ersuchen des Völkerbundkommissars ab. Darauf
benachrichtigte dieser den polnischen Vertreter, Strasburger, daß, falls
dessen Regierung nicht in der Lage wäre, seinem Ersuchen Folge zu leisten,
er sich verpflichtet fühlen würde, den Senat zu ersuchen, die
Briefkästen auf seine Verantwortung zu entfernen, mit Ausnahme des
Briefkastens an dem polnischen Generalkommissariat, der in Anbetracht der
Exterritorialität dieses Gebäudes nicht angerührt werden
dürfte. Gegen diese vom Völkerbundkommissar beabsichtigten
Schritte erhob der polnische diplomatische Vertreter am 14. formellen Einspruch,
da sie dessen Befugnisse überschritten. Wenn der Senat dem Ersuchen des
Völkerbundkommissars nachkäme, besagte die Note weiter,
"würde die polnische Regierung die Sache so ansehen, als wäre der
Senat rechtswidrig vorgegangen. Dies würde die polnische Regierung
ermächtigen, die erforderlichen Maßnahmen gegen den Senat zu
unternehmen, während die polnische Regierung gleichzeitig der Ansicht
sein würde, daß die Anwendung des Art. 39 des Pariser Vertrages
unmöglich geworden sei. "Während nicht im einzelnen gesagt
wurde", - so berichtete der Völkerbundkommissar dem
Völkerbundrat(10) -, "welcher Art diese Maßnahmen sein
würden, hieß es, daß sie die unangenehmsten Folgen für
Danzig haben
könnten - 'les plus facheuses
conséquences' -, und es wurde mir kein Zweifel darüber
gelassen, daß ein direktes Vorgehen gewaltsamer Art beabsichtigt
wäre, obgleich ich nicht befürchtete, daß es den Gebrauch von
Waffengewalt in sich schließen würde. In kurzen Worten: eine vom
Senat auf mein Ersuchen und meine Verantwortung getroffene Maßnahme
würde zu Repressalien seitens Polen gegen die Freie Stadt
führen".(14) Zur selben Zeit kamen aus Warschau wiederum
scharfe Töne. Der Vizepremierminister Thugutt erklärte, daß
niemanden und um keinen Preis gestattet werden könnte, Polen wie eine
Negerbande zu behandeln.(15) Und am Tage darauf drohte Thugutt mit
militärischen Mitteln, wenn ein Tropfen polnischen Blutes vergossen
werden sollte. Es müsse der Anteil Danzigs an den polnischen
Zolleinnahmen einer Revision unterzogen werden.(16) Über die hier entstandene Situation schrieb
die Neue Züricher Zeitung:(17) "....und während man in Genf über
diese lästigen Kleinigkeiten die Achseln zuckt, haben sich hier
Verhältnisse gebildet, daß der Völkerbund zwar einen
Oberkommissar, aber keine Autorität hat, seine Entscheidungen
durchzusetzen." Polen
be- [61] drohte nicht nur in
unmißverständlicher Weise Danzig. Es lehnte auch offen die
Funktion des vom Völkerbunde eingesetzten Kommissars ab.
Am 2. Februar fällte der Völkerbundkommissar MacDonnell eine
Entscheidung und erklärte die Anbringung von Briefkästen
außerhalb der Grenzen des polnischen Postamtes am Heveliusplatz sowie
die Einrichtung eines polnischen
Einsammel- und Bestelldienstes für unzulässig und der Entscheidung
des Völkerbundkommissars Haking vom 25. Mai 1922 widersprechend.
Mit diesem Spruch trat der Völkerbundkommissar mit Entschiedenheit
für die Rechte der Freien Stadt ein. Gegen die Entscheidung legte die
polnische Regierung beim Völkerbundrat Berufung ein. Der spanische
Vertreter, Quiñones de Léon, als Berichterstatter vor dem Rat,
faßte seine Ansicht in der Sitzung vom 13. März 1925 wie folgt
zusammen: "Ich betrachte es als meine Pflicht auszusprechen, daß der
Entschluß Polens, zur Anbringung dieser Briefkästen zu schreiten,
ohne zu versuchen, sich mit den Danziger Behörden zuvor ins Benehmen
zu setzen, und ohne Kenntnis des Hohen Kommissars, zu Bemerkungen
('observations') Anlaß geben könnte. Und der Rat
könnte die Möglichkeit ins Auge fassen, von Polen zu verlangen,
daß es den Dienst der fraglichen Briefkästen aussetze bis zur
endgültigen Regelung der Angelegenheit".(18) Ein solches Vorgehen stellte der Rat nicht, aber er
beschloß, die Frage dem Ständigen Internationalen Gerichtshof
vorzulegen, und diesen aufzufordern, für die Erstattung des Gutachtens eine
außerordentliche Tagung einzuberufen. Hierbei spielte sich noch ein
Zwischenfall ab. Der polnische Vertreter, Graf Skrzynski, versuchte dem Senat
die Befugnis, sich vor der Cour vertreten zu lassen, abzustreiten. Wohl in der
Ansicht, daß der Spannungszustand vom Frühjahr 19252 demjenigen des Sommers 1923
ähnlich geworden war, benutzte der Berichterstatter die Gelegenheit,(22) an den Ratsbeschluß vom 7. Juli 1923
anzuknüpfen, und stellte fest, daß die "geistige
Annähe- [62] rung", von der jene Resolution gesprochen hatte,
weit entfernt wäre, erreicht zu sein. Er sprach sich gegen die Belastung des
Rats mit Entscheidungen dieser Fragen sekundärer Natur und in bezug auf
die beiden Staaten gegen jede direkte Aktion aus. Eine direkte Aktion aber
könnte - und damit brachte er einen Vorwurf gegen beide
Regierungen
an - sowohl passiver Widerstand als auch eine positive Aktion sein. Der
Völkerbundkommissar sollte provisorisch entscheiden, ob eine
Maßnahme eine direkte Aktion wäre oder nicht. Bis zur
endgültigen Entscheidung durch den Rat wäre die Entscheidung des
Kommissars zu respektieren. Der polnische Vertreter, Skrzynski, stimmte lebhaft
zu. Es wäre jedoch keine direkte Aktion, wenn Polen von einem
vertragsmäßigen Rechte Gebrauch machte. Präsident Sahm als
Vertreter Danzigs warf darauf die Frage auf, ob der Hohe Kommissar, dessen
Autorität er gestärkt zu wissen wünschte, das Recht
hätte, eine direkte Aktion zu verhindern. Über diese prinzipielle
Frage gingen die Ratsmitglieder mit Stillschweigen hinweg.
Der in Ausführung des Art. 104 des Versailler Vertrages zwischen Polen
und Danzig abgeschlossene Vertrag vom 9. November 1920 gab Polen im Art. 29
das Recht, "im Hafen von Danzig zur unmittelbaren Verbindung mit Polen einen
Post-, Telegraphen- und Telephondienst einzurichten". Dieser Dienst sollte sich
erstrecken "auf die
Post- und Telegraphenverbindungen zwischen Polen und dem Auslande
über den Hafen von Danzig, sowie auch die Verbindung zwischen Polen
und dem Hafen von Danzig". Dieser Artikel wurde durch entsprechende
Bestimmungen des Vertrags vom 24. Oktober 1921 ausgeführt und
ergänzt. (Art. 149 bis 168.) Die Regelung war allerdings auch nicht
vollständig. Sah doch der Art. 168 ein weiteres zwischen Danzig und Polen
zu treffendes Abkommen vor, wodurch Polens postalische Rechte in Danzig
festgelegt werden sollten. Der formale Inhalt dieses Abkommens war im
übrigen hier bereits skizziert. Ob auch materiell eine Bindung erfolgt war,
bildete eine Streitfrage zwischen Polen und Danzig, die von Polen bejaht, von
[63] Danzig verneint wurde. Das am 16. Mai 1925
abgegebene Gutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im
Haag entschied diese Frage nicht ausdrücklich, bejahte sie aber
praktisch.(23) Die Völkerbundkommissare hatten vorher
einen entgegengesetzten Standpunkt eingenommen, indem sie das von Polen
beanspruchte Recht, außerhalb des polnischen Postamtes am Heveliusplatz
einen Postdienst zu organisieren, verneinten.(24) Wenn aber die Frage, ob Danzig durch den Art.
168 des Warschauer Abkommens zur Einräumung der hier
aufgeführten Rechte verpflichtet war, und nur noch über die
Ausführung zu verhandeln war, bejaht wird, dann lief der ganze
Danzig-polnische Poststreit auf die Abgrenzung des Tätigkeitsbereiches des
polnischen Postdienstes hinaus. Die Wichtigkeit dieser Frage hatte der
Völkerbundkommissar Haking bereits in seiner Entscheidung vom 25. Mai
1922 hervorgehoben.(25) Und der Ständige Internationale Gerichtshof
schloß sein Gutachten mit der Bemerkung ab, daß seiner Ansicht nach
die praktische Anwendung seiner Antwort von der Frage der Abgrenzung des
Hafens von Danzig im Sinne der Bestimmungen des Vertrages abhinge.(26) Es muß bedauert werden, daß der
Gerichtshof diese Frage, die für den
Danzig-polnischen Poststreit die entscheidende ist, und ohne deren Beantwortung
die vom Völkerbundrat zu ziehenden praktischen Folgerungen nicht
gemacht werden konnten, nicht in den Kreis seiner Untersuchungen genommen
hat. "Welches die genauen Grenzen des Hafens sind, ist eine Frage, mit der der
Gerichtshof sich nicht zu befassen hat".(27) Im übrigen war der Gerichtshof der Ansicht,
daß Polen berechtigt wäre, innerhalb des Hafens und außerhalb
des Postamtes am Heveliusplatz Briefkästen anzubringen und Postsachen
einsammeln und ausgeben zu lassen. Zur Bestimmung der Grenzen des Hafens
beschloß der Rat am 11. Juni 1925,3 ein
Experten-Komitee zu bilden. Dieses studierte dann die Frage vom 19. bis 23. Juli
in Danzig und faßte sein Urteil in seinem Bericht(29) vom 3. September wie folgt zusammen: "Die
Grenzen des Hafens als Zone des polnischen Postdienstes sind durch das
Gutachten des Gerichtshofes nicht festgelegt worden. Der Ausschuß ist
einstimmig der Ansicht, [64] daß der Hafen vom postalischen
Standpunkt nicht nur das Gebiet umfassen muß, auf dem sich seine
technischen Vorbedingungen befinden, sondern auch das Gebiet, auf dem seine
wirtschaftlichen Vorbedingungen zusammenliegen. Wenn die Verträge von
den Postverbindungen zwischen Polen und dem Hafen von Danzig sprechen, so
ist der vernunftgemäße Sinn dieser Bestimmungen, vor allem die
Verbindungen von und zu den Anlagen der
Reederei-, Handels-, Agentur-, Bankfirmen usw. in Danzig ins Auge zu fassen,
welche, da sie Grundstücke und Büros brauchen, nicht ihre
Hauptanlagen auf dem Wasser, den Ladestraßen oder in den Speichern
einrichten können. Der Ausschuß hält es nicht für
nötig, die Gründe auseinanderzusetzen, aus denen er nach
gründlicher Prüfung der Ansicht war, die Einwände nicht
anerkennen zu können, die im Gegensatz zu dieser Auffassung erhoben
worden waren." Diese Festlegung des Begriffes "Hafen von Danzig" steht aber in
einem ins Auge fallenden Widerspruch zu der Ansicht des Haager Gerichtshofes,
der sich in seinem Gutachten dahin ausgesprochen hatte,(30) "daß der Hafen von Danzig im postalischen
Sinne nicht eine personelle Einheit ist, die bestimmte Behörden und
Ämter, oder Gruppen von Personen umfaßt, wie von Danzig
behauptet wird, und daß der polnische Postdienst nicht auf eine
Tätigkeit innerhalb des Gebäudes auf dem Heveliusplatz
beschränkt ist, ist unbedingt notwendig, daß erklärt wird,
weshalb der Gerichtshof den Hafen von Danzig als ein territoriales Gebiet
ansieht". Als Begründung dafür, daß "'Hafen von Danzig' in
der üblichen Anwendung den Begriff einer territorialen und
topographischen Einheit ausdrückt", wurde vor allem auf den Wortlaut des
Art. 168 des Abkommens von Warschau verwiesen. Dieser Widerspruch
zwischen dem Bericht der (bloß technischen) Sachverständigen und
den Ausführungen des angesehensten
Juristen-Kollegiums der Welt veranlaßte den Danziger Vertreter, Sahm, auf
der Sitzung des Rats vom 19. September 1925 zu dem Antrag, von dem
Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag möchte ein
ergänzendes Gutachten zum Zwecke der Definition des Begriffes "Hafen
von Danzig" eingeholt werden.(31) Der Antrag wurde aber abgelehnt, der
Sachverständigen-Bericht genehmigt. Die Art und Weise, in der die vom
Völkerbunde eingesetzte
Sachverständigen-Kommission sich mit dieser grundsätzlichen und
allen weiteren Erwägungen voranzustellenden Frage nach dem Inhalt des
Begriffes "Hafen von Danzig" auseinandergesetzt hat, mußte von Danziger
Seite [65] scharfe Kritik hervorrufen. So urteilte
z. B. Otto Loening:(32) "Das ist eine überaus merkwürdige
Auslegung des Wortes 'Hafen', die weder mit dem gewöhnlichen Begriffe
eines Hafens, noch mit dem Begriff 'Hafen von Danzig', wie er in dem das
Danzig-polnische Verhältnis regelnden Pariser Vertrage vom 9. November
1920, ständig gebraucht wird, irgendwie in Einklang zu bringen ist. Kein
Mensch wird bei einer
Wort-Interpretation auf den Gedanken kommen, den Begriff 'Hafen' einer Stadt
derartig auszulegen, daß darunter diejenigen Teile einer Stadt zu verstehen
sind, wo sich Handelsniederlassungen befinden. Ob wohl schon ein
Engländer die Londoner City als
Hafen-Bezirk von London bezeichnet hat?.... Sieht man näher zu, so ist die
Abgrenzung des
Hafen-Bezirks gar nicht gekünstelt, sondern nur die Begründung. Die
jetzt festgelegte postalische Hafenlinie folgt nämlich fast genau derjenigen
Linie, auf der Polen im Januar, unter Nichtachtung seines dem Völkerbunde
gegebenen Versprechens, sich jeder action directe zu enthalten, seine
Briefkästen angebracht hatte.4 Die gekünstelte
Begründung der Hafenlinie ist nur deswegen gegeben, um den
Völkerbundrat nicht in die Verlegenheit zu setzen, einen Beschluß
gegen Polen durchsetzen zu müssen. Die Sachlage wird noch dadurch
kompliziert, als alle fünf Jahre die postalische Hafenlinie neu festgelegt
werden kann.5 Polen wird daher alles daransetzen,
daß dann auch außerhalb der jetzigen Linie eine Anzahl polnische
Handelsniederlassungen sich befinden, um womöglich den
Hafen-Bezirk noch weiter auszudehnen und ganz Danzig postalisch in seine Hand
zu bekommen. Die jetzige Abgrenzung des Danziger Hafenbezirks ist so
offensichtlich lediglich im polnischen Interesse erfolgt, daß man sich
eigentlich wundern muß, daß ihr ein juristisches Mäntelchen
umgehängt ist."
Dadurch, daß der Völkerbundrat ein so angefochtenes
Sachverständigen-Gutachten annahm, hat er den
Völkerbundkommissar MacDonnell, der sich in so entschiedener Weise
für die [66] Rechte der Freien Stadt eingesetzt und sich
deren Standpunkt zu eigen gemacht hatte, desavouiert. Eine Untergrabung der
Autorität des Vertrauensmannes des Völkerbundrats muß sich
aber letzten Endes gegen den Völkerbund selbst und sein Ansehen als
Friedensschirmer auswirken.
Ein zweiter Komplex von Nicht-Übereinstimmung zwischen Danzig und
Polen betraf die Stellung des polnischen diplomatischen Vertreters und der in
Danzig befindlichen polnischen Behörden. Die Stellung und Funktion des
Vertreters der polnischen Regierung in Danzig, wie der Pariser Vertrag sie
bestimmte, ist anders geworden, als die polnische Regierung es begehrt hatte.6 Im ersten polnischen Entwurf wurde er
als "Resident" angesprochen. Als Aufgabe sollte ihm die Vertretung der
Regierung der Republik Polen und die Vermittlung zwischen dieser und "den
Behörden der Freien Stadt Danzig" zugewiesen werden. Im zweiten
Entwurf hat die polnische Regierung auf die Bezeichnung und damit auf die
Stellung als "Resident" verzichtet. Aber mit gewollter Unklarheit wurde seine
Aufgabe als Vermittlung zwischen der polnischen Regierung und "der Freien
Stadt" umrissen. Im endgültigen Text ist diese Unklarheit beseitigt. Seine
Aufgabe wurde als Vermittlung zwischen der polnischen Regierung und der
Regierung der Freien Stadt festgelegt. Diese Wandlung des Wortlautes zeigt
deutlich die polnische Forderung und die Absicht der Alliierten, die den
endgültigen Text (nicht ohne Berücksichtigung Danziger
Wünsche und Argumente) bestimmten. Während Polen seinem
Vertreter eine der Rechtstheorie vom autonomen Selbstverwaltungskörper
unter der Souveränität der polnischen Republik entsprechende
Stellung gegeben wissen wollte, wurde dieser Geschäftsträger bei der
Regierung eines als unabhängig auch von Polen anzuerkennenden Staates.
Damit kann die polnische Regierung durch ihren Vertreter in Danzig nicht
unmittelbar ihren Willen zur Ausführung bringen. Ihr Vertreter kann sich
mit polnischen Wünschen und Ansprüchen nur an den Senat als die
Regierung der Freien Stadt wenden. Dieser hat dann selbständig Stellung zu
nehmen. Zwar wird der "polnische diplomatische [67] Vertreter", wie die durch den Pariser Vertrag
eingeführte Amtsbezeichnung lautet, ohne unmittelbare Mitwirkung der
Organe der Freien Stadt vom polnischen Staatspräsidenten ernannt. Aber
dieser Tatbestand läßt sich nicht als Argument gegen den
Staats-Charakter Danzigs anführen.(34) Ist der Vertreter Polens in Danzig doch auf das
Vertrauen der
Freistadt-Regierung und deren Bereitwilligkeit, mit ihm zu arbeiten, angewiesen,
wenn er seine Aufgaben erfüllen soll. Wenn auch keine formelle demande
d'agréation seitens der polnischen Regierung erfolgt, so hat diese doch als Akt
selbstverständlicher Höflichkeit die bevorstehende Ernennung des
jetzigen Vertreters, Strasburger, dem Senat mitgeteilt. Der Sachlage entsprechend
hat der Senat darauf seine Person als "sehr angenehm" bezeichnet.7
Die polnische Regierung aber hat auch nach Abschluß des Pariser Vertrages weiter
versucht, ihrem Vertreter eine den Bestimmungen ihrer beiden Vorentwürfe
entsprechende Stellung zukommen zu lassen. Sie gab ihm den Titel
"Generalkommissar" und der Behörde, deren Leitung der diplomatische
Vertreter innehat, die Bezeichnung "Generalkommissariat", in der Hoffnung,
daß ein lange genug aufrechterhaltener, und mit einigem Nachdruck
betonter Schein einmal Wirklichkeit werden könnte. Die Danziger
Regierung benutzte nach kurzer Übergangszeit den vertraglichen
festgelegten Titel "polnischer diplomatischer Vertreter" und hielt auch, trotz
polnischer Drohungen, die bereits in einem anderen Zusammenhange
erwähnt worden sind,(35) an ihm fest.
Es bleibt indessen nicht beim Streit um den Titel. Der
pol- [68] nische diplomatische Vertreter beanspruchte eine
weiterfassende Befugnis der Repräsentation. So ließ er
ausländischen Journalisten die Stadt,8 ausländischen Marineoffizieren
den Hafen zeigen und lud sowohl Journalisten als auch Offiziere zu sich, ohne die
Regierung in der Freien Stadt auch nur davon in Kenntnis zu setzen. So nahm er
auch das Recht für sich in Anspruch, fremde Flotten, die Danzig anliefen,
in Danzig offiziell zu begrüßen. Als im August 1922 die
dänische Flotte im Danziger Hafen weilte, hielt der polnische diplomatische
Vertreter bei einem Empfang der dänischen Marineoffiziere in seinem
Hause eine Ansprache, in der er u. a. sagte: "Ich begrüße Sie in
dem Augenblick, wo Ihre Flotte zum ersten Mal Polen in Danzig
berührt".(37) Eine Kritik dieser Rede glaubte der
Völkerbundkommissar Haking in seiner Entscheidung vom 23. August
1922 wegen der Exterritorialität des polnischen diplomatischen Vertreters
nicht unternehmen zu können.9 Aber er umriß bei dieser
Gelegenheit die Stellung des polnischen diplomatischen Vertreters in Danzig in
unmißverständlicher Weise dahin, daß er "das
Verbindungsglied zwischen der polnischen und der Danziger Regierung sein soll;
d.h. daß er als Sprecher seiner Regierung bei ihren Verhandlungen mit der
Danziger Regierung in Tätigkeit tritt und seiner Regierung die
Mitteilungen, die ihm von der Danziger Regierung zugehen, mit den Berichten,
Erklärungen usw., die er für zweckmäßig hält,
übermittelt. Ich kann in keinem Artikel der Konvention," sagte der
Völkerbundkommissar weiter, "weder dem Wortlaute noch dem Sinne nach
entdecken, daß andere Machtbefugnisse dem diplomatischen Vertreter der
polnischen Regierung in Danzig verliehen werden als die in Art. 1 deutlich
ausgesprochenen". Der Kommissar entschied daher, dem Antrage der Danziger
Regierung entsprechend, daß der
pol- [69] nische diplomatische Vertreter nicht das Recht
habe, in Danziger Gewässern oder auf Danziger Boden fremde Flotten
amtlich zu begrüßen, daß, wenn die polnische Regierung in
Danzig eine fremde Flotte zu begrüßen den Wunsch habe, sie an die
Danziger Regierung mit einer entsprechenden Bitte ("request")
herantreten möge. Gegen diese Entscheidung legte die polnische Regierung
beim Völkerbundrat Berufung ein.(38) Ende Januar 1923 wurden anläßlich
der Ratstagung zwischen den Parteien Verhandlungen eingeleitet, die in Paris
unter den "Auspizien" des Völkerbundkommissars Haking und des
Direktors der
Verwaltungs-Abteilung des Völkerbundsekretariats stattfanden. Das
Ergebnis war ein Kompromiß. Danzig gestand der Polnischen Republik "in
Anbetracht ihrer anerkannten Rechte" zu, daß der polnische diplomatische
Vertreter das Recht erhielt, die Kommandanten von Danzig anlaufenden fremden
Kriegsschiffen nach der Begrüßung durch den Senat zu empfangen,
oder das Kriegsschiff zu begrüßen.10 Es ist nicht bekannt geworden, unter
welchen Einflüssen oder gegen welchen Preis der Präsident des
Senats dieses Zugeständnis gemacht hat. Die klare Linie, die die polnischen
Rechte in Danzig von den Hoheitsrechten der Freien Stadt scheidet, und deren
strikte Aufrechterhaltung zur Vermeidung von Reibungen und daraus
entspringenden Konflikten erwünscht sein muß, ist jedenfalls dadurch
verwischt worden.11
Im Jahre 1921 erhob die polnische Regierung das Verlangen nach einer
Sonderbehandlung des polnischen Eigentums und der polnischen Beamten sowie
auch der polnischen Schiffe. Sie verlangte für diese Exterritorialität.
Die auf den Hafen bezüglichen polnischen Forderungen werden an anderer
Stelle(41) zu erörtern sein. In bezug auf
Grundeigentum verlangte Polen das Recht, es in vollständig
uneingeschränkter Weise kaufen,
ver- [70] kaufen und besitzen zu können, in bezug
auf seine Beamten, die alleinige Gewalt auszuüben, und in bezug auf seine
Behörden in Danzig, daß deren Verordnungen ebenso wie diejenigen
der Danziger Behörden für die Einwohner, die Behörden und
Gerichte der Freien Stadt verbindlich sein sollten.12 Hiergegen machte die Danziger
Regierung geltend, die Verwirklichung dieser Forderung "würde die
Errichtung eines Staates im Staate bedeuten und würde in
unerträglicher Weise die Souveränität der Freien Stadt
beeinträchtigen". Dieser Stellungnahme Danzigs trat der
Völkerbundkommissar Haking in seiner Entscheidung vom 6. Dezember
1921 vorbehaltlos bei. "Es scheint mir", sagte er hier, "daß, wenn die Rechte,
die jetzt durch Polen geltend gemacht werden, in vollem Umfange zugebilligt
würden,... daß Danzig dann nicht länger eine Freie Stadt
genannt werden kann." Er entschied, daß polnisches Staatseigentum als
einziges Vorrecht das der
Steuer- und Lastenfreiheit genießen solle. Der letzte Punkt seiner
Entscheidung ist allerdings wohl dahin aufzufassen, daß er Danzig nahe
legte, Polen "in großzügiger Weise irgendwelche rechtlichen
Ausnahmen oder Sonderrechte zu gewähren", eine Schlußfolgerung,
die nicht ganz in Einklang zu bringen ist mit der Art, in der diese Entscheidung
begründet worden ist. Im Mai 1922 fanden darauf in Genf in Gegenwart des
Kommissars [71] zwischen den Parteien Verhandlungen statt, die
zu folgendem Ergebnis(42) führten. Polnische
Regierangsgebäude in Danzig sollen, soweit sie für polnische
Regierungszwecke gebraucht werden, nicht der Danziger Gerichtsbarkeit
unterstehen. Polnische Behörden auf Danziger Gebiet sollen innerhalb ihres
Aufgabenbereiches ebenso wie Danziger Behörden innerhalb ihres
entsprechenden Aufgabenbereiches behandelt werden. Polnische Beamte in
Danzig sollen im Dienst nur ihren polnischen Vorgesetzten unterstehen. Archive
und Amtsräume polnischer Behörden sollen unverletzlich sein.
Durch dieses Abkommen wurde der Rat der Notwendigkeit enthoben, eine
Entscheidung zu fällen. Aber auch hier ist durch Verhandlungen am Orte
der Ratstagung die weiter oben gekennzeichnete klare Linie verwischt worden.
Über die Beziehungen zwischen dem polnischen diplomatischen Vertreter
und den übrigen polnischen Behörden fanden dann im Januar 1923
anläßlich der Ratstagung in Paris noch weitere Verhandlungen statt.
Diese Beziehungen wurden für innere Angelegenheiten der polnischen
Verwaltung erklärt.(43)
Die Frage, welchen polnischen Regierungsbeamten in Danzig
Exterritorialität zuzuerkennen wäre, ist Gegenstand einer
Entscheidung des Völkerbundkommissars MacDonnell vom 23. Mai 1923
geworden. Dieser entschied hier, daß nur diejenigen polnischen Beamten in
Danzig ein Anrecht auf diplomatische Vorrechte hätten, die
ausschließlich mit diplomatischen Geschäften betraut sind. Aber in
ähnlicher Form wie in der Entscheidung seines Vorgängers Haking
vom 6. Dezember 1921 stellte der Kommissar MacDonnell der Freien Stadt
Danzig anheim, "im Hinblick auf die besonderen Interessen, die Polen in Danzig
hat, in weiterem Umfange Exterritorialrechte an polnische Beamte in Danzig zu
verleihen". Wiederum fanden im Anschluß an diese
Entscheidung - Polen hatte bereits Berufung beim Rat
angemeldet - Verhandlungen zwischen den Parteien statt. Am 6. Dezember
1923 wurde in Danzig ein Abkommen(44) abgeschlossen. Die Zahl der Personen
nicht-Danziger Staatsangehörigkeit, die im Dienste des polnischen
Vertreters diplomatische Vorrechte genießen, wurde auf 60 begrenzt. Damit
hatte Polen wiederum von Danzig ein Zugeständnis erreicht. Ist doch
schwerlich anzunehmen, daß der Umfang der diplomatischen
Geschäfte Polens in Danzig 60 Personen erfordert. Eine
größere Zahl von reinen Verwaltungsbeamten müssen damit
ebenfalls Exterritorialität erlangt haben.
[72] Die ferner von der polnischen Regierung
erhobene Forderung auf Sonderrechtstellung für alle ihre
Staatsangehörigen hat ebenfalls den Völkerbundkommissar
beschäftigt. Die polnische Regierung bestritt der Danziger Regierung das
Recht, Personen polnischer Staatsangehörigkeit auszuweisen und hierzu
gegebenenfalls physische Gewalt anzuwenden. Sie erklärte, "daß
dieses Verfahren nicht nur die gewährleisteten Rechte der polnischen
Republik verletzt, sondern auch Polen völlig von dem freien Zutritt vom
Meere über den Hafen von Danzig ausschließt..." Die Danziger
Regierung entgegnete, daß der Zustrom von Fremden erstens die Preise
für Nahrungsmittel hochtriebe, zweitens die Wohnungsnot
vergrößerte und drittens Arbeitslosigkeit unter Danziger
Staatsangehörigen hervorriefe. Staatsnotwendigkeit erheischte daher die
Fremdenkontrolle. Das Recht dazu hätte Polen in Art. 12 des
Danzig-polnischen Vertrages vom 9. November 1920 anerkannt. Der
Völkerbundkommissar Haking sprach sich darauf dahin aus, daß es
kaum die Absicht der alliierten und assoziierten Hauptmächte gewesen sein
könnte, polnischen Staatsangehörigen auf Kosten Danziger
Staatsangehöriger Vorteile zukommen zu lassen. "Von keinem
unabhängigen Staate kann erwartet werden, daß er fremde
Staatsangehörige besser behandelt als seine eigenen...." In der Entscheidung
(vom 16. Dezember 1921) wurde daher die Rechtmäßigkeit des
bisher angewandten Verfahrens bestätigt, Danzig nur "als Akt der
Höflichkeit"
auferlegt - womit der Kommissar allerdings die richterliche
Entscheidungsbefugnis
überschritt -, falls eine Person polnischer Staatsangehörigkeit
einem erteilten Ausweisbefehl nicht Folge leistet, vor Anwendung von
Gewaltmaßregeln den polnischen diplomatischen Vertreter zu
benachrichtigen, um diesem Gelegenheit zu geben, binnen der nächsten 7
Tage Einspruch zu erheben, und den Fall eventuell zum Gegenstand eines
Verfahrens gemäß Art. 39 des Pariser Vertrages zu machen. Gegen
diese Entscheidung legte die polnische Regierung Berufung ein. Statt aber
seinerseits eine Entscheidung zu fällen, verwies der Rat die Parteien auf
direkte Verhandlungen.(45) Diese fanden unter Mitwirkung des
Völkerbundkommissars in Danzig statt. Das am
17. August 1922 in Danzig geschlossene Abkommen brachte im wesentlichen die
Bestätigung und Ausführungsbestimmungen. Der einzige
erwähnenswerte Unterschied war die Verlängerung der
Einspruchsfrist für den polnischen diplomatischen Vertreter [73] auf 4 Wochen. In dringenden Fällen
(rechtskräftige Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung, erhebliche
gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung, Inanspruchnahme der
öffentlichen und privaten Fürsorge) war der Danziger Regierung das
Recht, eine Ausweisung sofort durchzuführen, ausdrücklich
zugebilligt worden. Das hier vereinbarte Verfahren hat sich bewährt.13 Danzig hat sich
regelmäßig aller unerwünschten Elemente polnischer Herkunft
entledigen können, ohne daß der polnische diplomatische Vertreter
auch nur in einem Falle Einspruch erhoben hätte. Die hier vorher
bestehende Reibungsfläche war damit beseitigt.14
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