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IV.
Um die Danziger Außenpolitik

Über die Führung der auswärtigen Angelegenheiten der Freien Stadt(1) enthält der Versailler Vertrag eine Bestimmung, über deren Bedeutung eine grundsätzliche Meinungsverschieden- [74] heit entstand. Im Art. 104 verpflichteten sich die alliierten und assoziierten Hauptmächte, ein Abkommen zwischen der polnischen Regierung und der Freien Stadt Danzig zu vermitteln mit dem Zweck, ... "6. die Führung der auswärtigen Angelegenheiten der Freien Stadt Danzig sowie den Schutz seiner Staatsangehörigen im Auslande durch die polnische Regierung sicherzustellen". ("De faire assurer par le Gouvernement polonais la conduite des affaires extérieures de la Ville libre de Dantzig..." Und entsprechend im englischen Text: "To provide that the Polish Government shall undertake the conduct of the foreign relations of the Free City of Danzig...") Die Meinungsverschiedenheit wird deutlich durch Gegenüberstellung der betreffenden Artikel in den von Danziger und polnischer Seite vorgelegten Entwürfen zu dem in Frage stehenden Abkommen. Im Danziger Entwurf lautet der Art. XI: "Danzig hat das Recht der auswärtigen Vertretung sowie des Schutzes seiner Staatsangehörigen im Auslande. Wenn und soweit Danzig darum ersucht, wird Polen die auswärtige Vertretung nach den Wünschen Danzigs sowie den Schutz der Danziger Staatsangehörigen im [75] Auslande übernehmen".1 Demgegenüber besagte der erste Artikel des 1. und 2. polnischen Entwurfs: "Die Führung der auswärtigen Angelegenheiten der Freien Stadt Danzig, die diplomatische und konsularische Vertretung sowie der Schutz ihrer Staatsangehörigen in den fremden Ländern liegen der Polnischen Republik ob." ("...appartiendront à la République Polonaise.") Der von der Botschafter-Konferenz aufgestellte und von beiden Seiten schließlich angenommene Vertragstext stellte ein Kompromiß dar. Der erste Satz des Art. 2 des Vertrages vom 9. November 1920 hat folgenden Wortlaut: "Es soll Sache der polnischen Regierung sein, die Führung der auswärtigen Angelegenheiten der Freien Stadt Danzig sowie den Schutz der Staatsangehörigen Danzigs in fremden Ländern sicherzustellen." ("Il appartient au Gouvernement polonais d'assurer la conduite des affaires extérieures..." bzw. "Poland shall undertake the conduct of the foreign relations...") Damit war man fast wörtlich zum Text des Versailler Vertrages zurückgekehrt. Die Botschafter-Konferenz hatte die zwischen Danzig und Polen herrschende Verschiedenheit in der Auffassung bestehen lassen, ohne den Versuch einer endgültigen Regelung zu machen.2

Kurz darauf gelangte die gleiche Frage vor den Völkerbund, als der Rat sich mit der Danziger Verfassung beschäftigte. In dem vom Danziger Volkstag am 9. Dezember 1920 angenom- [76] menen Text der Verfassung wurde über die Frage der auswärtigen Angelegenheiten gesagt: "Der Senat vertritt die Freie Stadt nach außen." (Art. 41, Abs. 1) und "Ein Gesetz ist auch erforderlich für... den Abschluß von Verträgen mit anderen Staaten." (Art. 44, Abs. f.) Hierüber entwickelte sich eine Korrespondenz mit dem Völkerbundskommissar und dem Generalsekretär des Völkerbundes.(3) Hiergegen wandte sich auch der polnische Vertreter in seiner Denkschrift vom 20. Februar 1921.(4) Das Resultat dieser vereinigten Bemühungen war die Festsetzung des Textes der betreffenden Bestimmungen in der heute gültigen Verfassung durch den Völkerbundrat.(5) Es wurden Klauseln eingefügt, "welche... die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten der Freien Stadt Danzig durch die polnische Regierung sichern".(6) Die Einfügung einer weiteren Klausel, wie es der polnische Außenminister verlangt hatte, wonach der Senat jeden von Polen abgeschlossenen, Danzig betreffenden Vertrag binnen 30 Tagen als Gesetz zu verkünden hätte, wurde vom Rat am 18. Juni 1921 abgelehnt. Die Bestimmungen der Verfassung, insbesondere Art. 44 (f) in der neuen Fassung, wären ausreichend.(7) Die Frage dieses Artikels war bereits im Februar des gleichen Jahres durch die Botschafter-Konferenz vor den Rat gebracht worden.(8) Bei deutsch-polnischen Verhandlungen unter den Auspizien der Botschafter-Konferenz hatte nämlich der anwesende Vertreter Danzigs erklärt, daß er nicht ermächtigt wäre, die Ansicht der Freien Stadt bekanntzugeben. Nach Art. 44 der Verfassung wäre für den Abschluß eines Vertrages ein Gesetz nötig, wofür ein Votum des Volkstags erforderlich wäre. Der Vorsitzende der Botschafter-Konferenz teilte diesen Tatbestand dem Rat mit und fügte hinzu, daß, solange die Verfassung noch nicht endgültig angenommen wäre, die Botschafter-Konferenz es für ratsam hielte, wenn der Rat einschritte, und in die Verfassung eine Bestimmung setzte, durch welche die Regierung von Danzig in den Stand gesetzt würde, gemäß Art. 6 des Vertrages vom 9. November 1920 ihre Ansicht mitzuteilen, unter Bedingungen, die praktisch nicht alle Verhandlungen unmöglich machen würden. Der Rat überwies die hier aufgeworfene Frage dem Völkerbundkommissar zur Entscheidung.

Dessen Entscheidungen wurden dann auch bald genug nötig. Über die Frage, ob Ausländer zum Betreten des Danziger Gebietes eines polnischen Sichtvermerks bedürften, war zwischen den Regierungen eine Meinungsverschiedenheit entstanden. [77] Polen verlangte als einen Teil der Führung der auswärtigen Angelegenheiten das Recht, einem Ausländer die Erlaubnis zum Betreten der Freien Stadt zu verweigern. Danzig berief sich auf das ihm nach Art. 12 des Pariser Vertrages zustehende Recht die Fremdenkontrolle und verlangte selbst zu entscheiden, ob ein Sichtvermerk notwendig wäre oder nicht. Die polnische Forderung wurde als "eine Verletzung der souveränen Rechte von Danzig als einer Freien Stadt" bezeichnet. Der Völkerbundkommissar Haking entschied am 30. August 1921, "daß der polnische Sichtvermerk nicht notwendig ist, um einen Ausländer zum Betreten der Freien Stadt Danzig zu berechtigen, es sei denn, daß die Regierung der Freien Stadt verlangt, daß ein solcher Sichtvermerk gegeben werden muß". Wichtiger als die Entscheidung selbst, die bereits dem Recht Polens auf Führung der auswärtigen Angelegenheiten eine deutliche Schranke setzte, war die Begründung. Hier hieß es: "Die polnische Regierung scheint in ihren Beweisgründen der Ansicht zu sein, daß die in Art. 12(9) erwähnten 'Rechte' Polens bedeuten, daß es hinsichtlich der auswärtigen Beziehungen Danzigs tun kann, was ihm beliebt. Die 'Rechte' Polens hinsichtlich der Führung der auswärtigen Beziehungen Danzigs scheinen nur zu bedeuten, daß die Regierung von Danzig die auswärtigen Beziehungen nur durch die Vermittlung der polnischen Regierung führen kann. Ich bin der Ansicht, daß der erste Absatz des Art. 2 sowohl dem Buchstaben sowie noch mehr dem Sinne nach bedeutet, daß Polen es übernommen hat, etwas für Danzig zu tun, und hiernach Danzig es nicht selbst tun soll, aber nicht, daß Polen das Recht gegeben ist, Danzig zu nötigen, etwas zu tun."

Im gleichen Sinne war die Entscheidung des Völkerbundkommissars Haking vom 17. Dezember 1921 gehalten. Die allgemeine Frage der Führung der auswärtigen Angelegenheiten der Freien Stadt durch Polen war von dem Präsidenten des Senats aufgeworfen worden. Die Entscheidung ist wichtig genug, um im Wortlaut angeführt zu werden. Der Kommissar entschied:

      "1., daß, wenn Polen von Danzig aufgefordert wird, irgendeine der auswärtigen Angelegenheiten der Freien Stadt wahrzunehmen, es das Recht hat, das Ansuchen abzuweisen, wenn die betreffende Angelegenheit offenbar zum Nachteil der wichtigen Interessen des polnischen Staates ist;
      2., daß Polen nicht das Recht hat, Danzig zu einer bestimmten auswärtigen Politik zu veranlassen, oder sie ihm aufzudrängen, die offenbar dem Gedeihen, der Wohlfahrt und einer guten Regierung der Freien Stadt entgegengesetzt ist. Im übrigen geht aus den polnischen Ausführungen zu diesem Punkte klar hervor, daß Polen nicht die Absicht hat, dies zu tun;
[78]  3., daß die polnische Regierung auf Verlangen der Danziger Regierung, irgendwelche auswärtigen Angelegenheiten der Freien Stadt zu erledigen, sofort, wie sie selbst in ihrer eigenen Ausführung zu diesem Punkte es uneingeschränkt zugesteht, von dem Ersuchen Kenntnis nehmen wird; daß sie ferner entweder Danzigs Wünsche ohne Verzug und in erschöpfender und loyaler Weise durchführen wird, oder die Regierung der Freien Stadt sobald wie möglich, jedenfalls innerhalb einer Frist von 30 Tagen benachrichtigen wird, daß die polnische Regierung nicht imstande ist, die Wünsche der Danziger Regierung durchzuführen. Polen wird auch die Gründe für seine Weigerung angeben und die Danziger Regierung wissen lassen, wie weit sie zu gehen bereit ist, oder welchen anderen Vorschlag sie annehmen würde, um den Wünschen der Danziger Regierung in dieser Angelegenheit zu entsprechen."3

Eine klare Entscheidung über das, was Danzig von Polen fordern kann, und was Polen auszuführen hat, war hiermit nicht getroffen. Es bleibt dem Ermessen der polnischen Regierung überlassen, welche Danziger Forderungen sie als im Widerspruch zu "wichtigen Interessen des polnischen Staates" stehend betrachten will. Gewiß kann jede Meinungsverschiedenheit über einen solchen Gegenstand gemäß Art. 39 des Pariser Vertrages dem Völkerbundkommissar unterbreitet werden. Bis aber eine Entscheidung des Kommissars - oder, im Falle einer Berufung, gar des Völkerbundrats - ergehen wird, darauf können vielleicht die wirklich großen Fragen warten, nicht aber die kleinen Geschäfte des diplomatischen Alltags, von denen das Schicksal von einzelnen Personen abhängen, aus denen sich aber auch große Fragen entwickeln können. Dadurch, daß es nicht gelungen ist, eine allgemeine Norm festzusetzen, unter die jeder Fall in der auswärtigen Politik Danzigs mit Sicherheit untergeordnet [79] werden kann, hat Polen die Vorhand behalten. Mag Polen in einer bestimmten Weise handeln, oder mag es ablehnen zu handeln, immer bedeutet sein Tun oder Unterlassen das Schaffen einer vollendeten Tatsache, bis eine anderweitige Entscheidung ergeht. Aus dieser Sachlage lassen sich weder gegen Kommissar noch gegen Völkerbund Vorwürfe herleiten. Man fragt sich aber, ohne eine plausible Antwort zu finden, was die Alliierten im Jahre 1919 bewogen haben mag, Polen mit dem Mandat zur Führung der auswärtigen Angelegenheiten der Freien Stadt zu betrauen,4 ohne den Auftraggeber genau zu bestimmen.5 Heute erscheint diese Bestimmung als nichts weiter als ein Verlegenheitskompromiß, das weitere hitzige und daher den Verlauf der Friedenskonferenz störende Diskussionen abschneiden sollte.

Der Völkerbundrat, an den beide Parteien Berufung eingelegt hatten, suchte eine Entscheidung zu vermeiden und regte daher direkte Verhandlungen unter der Leitung des Berichterstatters vor dem Rat und unter Mitwirkung des Völkerbundkommissars an. In der dem Rat am 17. Mai 1922 vorgelegten und von ihm am gleichen Tage genehmigten Vereinbarung(13) wurde die Entscheidung des Völkerbundkommissars vom 17. Dezember 1921 interpretiert, im übrigen aber bestätigt.

Schon am Tage nach seiner Entscheidung vom 17. Dezember 1921 sah sich der Völkerbundkommissar Haking genötigt, in einer weiteren die auswärtigen Angelegenheiten Danzigs betreffenden Frage eine Entscheidung zu fällen. Polen hatte einen von dem Verwalter der alliierten Mächte in Danzig mit dem Deutschen Reich abgeschlossenen Rechtshilfe-Vertrag mit der Errichtung der Freien Stadt für unwirksam erklärt. Hiergegen berief sich Danzig auf Art. 11 des Pariser Vertrages, worin allerdings nur von "unmittelbaren Beziehungen zwischen den örtlichen Verwaltungs- und Gerichtsbehörden der Freien Stadt Danzig und der Nachbargebiete Ostpreußens" die Rede war, der daher im vorliegenden Fall ohne Beweiskraft war. Der Kom- [80] missar kam zu einer Ablehnung des auf Austausch der Ratifikationsurkunden des strittigen Vertrages gerichteten Verlangens. Seine Entscheidung muß aber dennoch als nicht voll den Verhältnissen Rechnung tragend empfunden werden. Wenn der Kommissar schon nicht die Wirksamkeit des abgeschlossenen Vertrages glaubte anerkennen zu können, so kann die Polen gemachte Auflage, daß es "Danzig dieselben Erleichterungen für das Zustandekommen eines Vertrages mit Deutschland, der die rechtlichen Angelegenheiten zum Gegenstande hat, gewährt, die sie [die polnische Regierung] für ihr eigenes Abkommen mit Deutschland vorsieht," kaum als ausreichend bezeichnet werden. Danzigs Interesse an einem Rechtshilfeabkommen mit Deutschland ist zweifellos erheblich größer als das Polens. Ein solches Abkommen zwischen Danzig und Deutschland hätte schwerlich "offenbar zum Nachteil der wichtigen Interessen des polnischen Staates" sein können. Die gegen diese Entscheidung von Seiten Danzigs eingelegte Berufung ist von ihm selbst am 17. Mai 1922(14) zurückgenommen worden, nachdem Polen sich zum baldigen Abschluß eines Danzig-deutschen Rechtsüberleitungs- und Rechtspflegeabkommens verpflichtet hatte.6

Erst durch einen zweiten Konflikt kam es in der Frage der durch Polen für Danzig vorzunehmenden Vertragsabschlüsse zu einer allgemeinen Regelung. In einem von dem Danziger Senat der polnischen Regierung zum Abschluß übermittelten Entwurf eines Vertrages mit Memel über die An- und Abmusterung von Seeleuten hatten die polnischen Unterhändler eine Klausel über das Inkrafttreten und über die Verlängerung des Vertrages eingefügt und den Vertrag abgeschlossen. Danzig erkannte den Vertrag aber nicht als rechtskräftig an, da er erstens nicht gemäß Art. 45 (f) der Verfassung vom Volkstag genehmigt und zweitens über den Zusatz keine Beratung mit der Danziger Regierung gepflogen worden war. Der Völkerbundkommissar Haking lehnte das erste Argument unter Hinweis auf einen Ratsbeschluß über die Danziger Verfassung vom 2. März 1921(15) ab. Das zweite Argument dagegen erkannte er an im Hinblick auf Art. 6 des Pariser Vertrages, in dem es heißt: "Polen wird keinen Vertrag oder zwischenstaatliches Abkommen, an dem die Freie Stadt interessiert ist, ohne vorherige Beratung mit der Freien Stadt [81] abschließen." Er entschied am 3. November 1922, "daß die polnische Regierung, bevor sie einen Vertrag, der die Interessen der Freien Stadt berührt, abschließt, mit der Danziger Regierung beraten muß, und wenn nach dieser Beratung während der nachfolgenden Verhandlungen irgend welche Änderungen oder Zusätze, die die Interessen der Freien Stadt berühren, in den Vertrag eingefügt werden, eine weitere Beratung zwischen den Regierungen von Polen und Danzig stattfinden muß". Im Zusammenhang mit den Gesamtberatungen nach dem Julivorstoß von 1923 kam auch diese Frage nochmals zur Verhandlung. In dem umfassenden Abkommen vom 1. September 1923 - das jedoch, da Polen wegen formeller Fragen (Präambel, Anwendung der polnischen Sprache im Vertragstext) Schwierigkeiten bereitet, noch nicht in Kraft getreten ist -, wurde im wesentlichen die angeführte Entscheidung des Völkerbundkommissars bestätigt.(16) Ergänzend wurde hinzugefügt, daß, "um jedes Mißverständnis darüber zu vermeiden, ob diese Beratung stattgefunden hat oder nicht", das Ergebnis der Beratung dem Kommissar mitgeteilt werden sollte. In einer wichtigen Beziehung ging diese Vereinbarung aber über die bisherigen Entscheidungen des Völkerbundkommissars hinaus: "Falls die Interessen der Freien Stadt denen Polens zu widersprechen scheinen, braucht der Vertrag von der Freien Stadt nicht angenommen zu werden, es sei denn, daß der Vertrag auf dem Danziger Territorium infolge der Bestimmungen der in Kraft befindlichen Verträge wirksam wird, wie z. B. in Zollangelegenheiten".7 Damit hat Danzig bei Vertragsabschlüssen wenigstens nachträglich ein gewisses Mitbestimmungsrecht erhalten, dessen Wert freilich dadurch gemindert ist, daß dem Völkerbundkommissar (und dem Völkerbundrat) das entscheidende Wort zufällt.

Neben dem Recht Polens auf Führung der auswärtigen Ange- [82] legenheiten Danzigs besteht aber auch eine direkte Verbindung mit auswärtigen Staaten, die der Freien Stadt Initiative und Handlungsfreiheit in etwas weiterem Rahmen läßt. Mit Entscheidung vom 24. August 1922 hat der Völkerbundkommissar Haking das Recht der Freien Stadt anerkannt, "einen oder mehrere Vertreter zu... [internationalen] Tagungen zu entsenden, und daß seine Vertreter, obgleich sie kein selbständiges Stimmrecht haben, an allen Erörterungen wirtschaftlicher Art, welche die Wohlfahrt oder das Gedeihen der Freien Stadt berühren, teilnehmen".8 Hierzu hat der Kommissar Haking am 7. Oktober 1922 eine wichtige Ergänzung gemacht. "Die Frage, ob die Beratung wirtschaftlicher Natur ist oder nicht, sowie ob sie die Wohlfahrt oder das Gedeihen der Freien Stadt berührt oder nicht, muß an Ort und Stelle durch eine Vereinbarung zwischen den polnischen Bevollmächtigten bei der Tagung und dem Danziger Vertreter entschieden werden. Wenn eine Einigung nicht zustandekommt, so wird der Danziger Vertreter nicht in der Lage sein, an der Beratung teilzunehmen, und die Rechtsmäßigkeit der Entscheidung des polnischen Bevollmächtigen würde alsdann unter Art. 39 der Konvention vom 9. November 1920 fallen, und zwar als ein nachträgliches Verfahren, daß in keiner Weise den Fortgang der Tagung beeinflußt, soweit es sich um Polen handelt." Statt durch eine Norm, die nur genau angewandt zu werden brauchte, um jeden Fall zu treffen, diese Frage zu regeln, enthielt die Entscheidung des Kommissars erneute Konfliktstoffe. Aber auch die am 27. Januar 1923 in Paris anläßlich der Tagung des Rats, an den beide Parteien Berufung eingelegt hatten, abgeschlossene Vereinbarung(17) vermochte nicht über das "sowohl als auch" hinauszukommen. Es war drei Jahre vorher, ebenfalls in Paris, so vorausbestimmt worden. Immerhin erhielt Danzig in dieser Vereinbarung das Recht, daß es eine eigene Einladung zu beanspruchen hat, daß eine besondere Danziger Delegation zu [83] bilden, und eine eigene Danziger Stimme abzugeben ist, also die Danziger Delegation nicht der polnischen Delegation angehört.

Der erste Konflikt entstand wegen der Teilnahme an der Berner Eisenbahn-Konferenz vom Mai 1923. Polen hatte Danzigs Beteiligung mit der Begründung abgelehnt, daß die Eisenbahnen im Gebiete der Freien Stadt polnisches Eigentum wären. Der Völkerbundkommissar MacDonnell entschied am 8. Januar 1924, "daß die Freie Stadt das Recht hatte, auf Kosten der polnischen Regierung einen Vertreter zu der internationalen Eisenbahn-Konferenz im Mai 1923 zu entsenden". Diese Entscheidung erging aber 8 Monate nachdem die Berner Konferenz geschlossen worden war. In einem am 4. Mai 1924 abgeschlossenen Abkommen(18) verpflichtete sich die polnische Regierung jedoch, für Danzig die auf der Berner Eisenbahn-Konferenz geschlossenen Abkommen zu unterzeichnen und dafür zu sorgen, daß die Freie Stadt als Signatar in das Schlußprotokoll aufgenommen würde.

Ein zweiter Konflikt betraf den Weltpost-Kongreß in Stockholm. Die Geschäftsordnung des Kongresses bestimmte, daß nur Delegierte das Wort ergreifen dürften. Ein halbes Jahr vor Kongreßbeginn hatte daher der Senat den Völkerbundkommissar um eine Entscheidung ersucht dahingehend, daß die Danziger Vertreter zu Delegierten ernannt werden sollten. Der Völkerbundkommissar MacDonnell aber hatte abgelehnt, "über den vorausgesetzten Fall, welcher mir vom Senat, der die Sachlage genau so voraussah, wie sie sich ergab, unterbreitet wurde, zu entscheiden, da ich annahm, daß die polnische Regierung, da sie die Sachlage kannte, die geeigneten Schritte tun würde, um ihr gerecht zu werden...".(19) Der polnische Delegierte auf dem Stockholmer Kongreß bemühte sich zwar um die Abänderung der Geschäftsordnung, als er sie nicht erreichte, lehnte er es dennoch ab, die Danziger Vertreter zu Delegierten zu machen. Die Danziger Vertreter wurden darauf vom Senat zurückgerufen. Vor der Abreise richtete sie in dieser Angelegenheit ein Schreiben an den Präsidenten des Kongresses. Trotzdem gab der polnische Delegierte im Namen Danzigs die Stimme ab und unterzeichnete die polnische Regierung im Namen der Freien Stadt die Verträge und sogar die Vollzugsordnungen des Weltpostvereins. (Da die Danziger Regierung nicht ratifizierte, erlangten diese Unterzeichnungen allerdings keine Rechtskraft.) In seiner Entscheidung vom 18. November 1924 sprach sich der Völkerbundkommissar Mac- [84] Donnell dahin aus, "daß die Freie Stadt einen gerechten Grund zur Beschwerde darüber hat, daß ihren Vertretern nicht die Stellung gegeben wurde, die sie benötigten, um sich an den Kongreß wenden zu können". Es wäre Pflicht der polnischen Regierung gewesen, "einen Danziger Delegierten oder mehrere zu ernennen, um ihnen zum Sprechen die Möglichkeiten zu geben." ... "Das Recht, das der Freien Stadt zur Entsendung von Delegierten gegeben wurde, soll es diesen möglich machen, an den Arbeiten des Kongresses teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen,..." Auch der Stockholmer Kongreß war schon mehrere Monate beendet, als der Völkerbundkommissar seine Entscheidung bekannt gab. Die von beiden Regierungen an den Völkerbundrat eingelegten Berufungen blieben ohne Erfolg.(20) Die Entscheidung des Kommissars wurde lediglich einigen redaktionellen Änderungen unterworfen.9

Weiter hat Danzig in gewissem Umfange das Recht wenn auch nur indirekten Verkehrs mit fremden Staaten in Konsular-Angelegenheiten. Art. 3 des Pariser Vertrages bestimmt, daß Danzig den polnischen Konsulaten an denjenigen Orten, "wo die Freie Stadt Danzig wichtige wirtschaftliche Interessen hat", eigene Beamte beiordnen kann. Diese Beamten haben freilich unter der Leitung und Verantwortung des polnischen Konsuls zu arbeiten, aber sie sind mit den Angelegenheiten zu betrauen, "welche speziell die Interessen der Staatsangehörigen der Freien Stadt Danzig betreffen". Sie haben also auch die Interessen der Danziger Staatsangehörigen gegenüber den Behörden an den betreffenden Orten wahrzunehmen. Aber nur an einem einzigen polnischen Konsulat wirkt ein solcher Danziger Beamter: in Hamburg. Die sich noch auf andere Plätze erstreckenden Forderungen des Danziger Senats lehnte die polnische Regierung im Jahre 1924 zunächst mit der Begründung ab, daß die Ausgaben (welche nach Art. 5 des Pariser Vertrages Polen zufallen) im Haushaltsplan nicht vorgesehen wären. Der Völkerbundkommissar MacDonnell sprach sich darauf in seiner Entscheidung vom 8. November 1924 dahin aus, daß nicht nachgewiesen zu werden brauchte, "ob die polnische Regierung für die Gehaltszahlung für diese Attachés im voraus die nötigen Vorkehrungen getroffen [85] hat, sondern ob die Danziger Regierung einen genügend wichtigen Grund für die Beiordnung von Konsular-Attachés an diesen Plätzen10 vorbringen kann". Für den Fall, daß über diese Frage keine Übereinstimmung zwischen den Regierungen erzielt werden könnte, sollte die Angelegenheit einer unparteiischen Autorität in Konsular-Fragen zum Schiedsspruch vorgelegt werden.

In diesem Stadium ist die Frage der Danziger Attachés an polnischen Konsulaten in der Schwebe geblieben. Welche Bedeutung es für Danzig als Handelsstaat hat, Konsular-Berichte in Handels- und Zollfragen den besonderen Danziger Bedürfnissen entsprechend zu erhalten, und die Fürsorge für seine Staatsangehörigen durch eigene statt polnische Beamte ausüben zu lassen, die vielleicht nicht einmal der deutschen Sprache mächtig sind und sich der Danziger Staatsangehörigen selbst bei bestem Willen nicht mit vollem Verständnis annehmen können, bedarf keiner eingehenden Darlegungen.

Der Vollständigkeit halber seien zum Schluß noch drei weitere Streitfälle zwischen Danzig und Polen, die Führung der Danziger auswärtigen Angelegenheiten betreffend, erwähnt. Der erste bezog sich auf die Form des Schriftwechsels mit auswärtigen Staaten. Danzig hatte verlangt, daß es Noten an auswärtige Regierungen nur mit dem Vermerk "durch den diplomatischen Vertreter der Republik Polen" zu versehen brauchte. Der Völkerbundkommissar Haking entschied am 28. November 1922, der polnischen Stellungnahme entsprechend, "daß die Regierung der Freien Stadt bei jedem Schriftwechsel, der sich auf die Führung der auswärtigen Angelegenheiten Danzigs bezieht, alle Mitteilungen unmittelbar an den diplomatischen Vertreter der polnischen Regierung mit dem Sitz in Danzig richten muß, welcher als Vermittler zwischen der polnischen Regierung und der Regierung der Freien Stadt tätig ist". Obgleich Danzig zunächst gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt hatte, erklärte es sich am 1. Februar 1923 in Paris, nachdem der polnische diplomatische Vertreter eine entgegenkommende Erklärung abgegeben hatte, mit der Entscheidung einverstanden.(22) - Der zweite Streitfall betraf die durch Polen von Danziger Staatsangehörigen beim Überschreiten einer polnischen Grenze erhobenen [86] Sichtvermerks-Gebühren. Der Völkerbundkommissar MacDonnell entschied am 1. Mai 1925, "daß nichts in den Verträgen oder Abkommen Polen ausdrücklich hindert, von Danziger Staatsangehörigen eine Sichtvermerks-Gebühr zu verlangen," daß aber Danziger Staatsangehörige "auf Grund der besonderen politischen, geographischen und wirtschaftlichen Lage, in welcher Danzig sich befindet," "einen besonderen Anspruch auf ausnahmsweise und bevorzugte Behandlung seitens Polens" hätten. - Und der dritte Streitfall bezog sich auf die Ausgabe von Pässen an Danziger Staatsangehörige in Polen und im übrigen Auslande. Polen hatte - was der Völkerbundkommissar in seiner Entscheidung als "direct action" bezeichnete - durch polnische Konsulate im Auslande und durch polnische Ortsbehörden die von der Freien Stadt ihren Staatsangehörigen ausgestellten Pässe einziehen und gegen gewöhnliche polnische Pässe eintauschen lassen. Der Völkerbundkommissar MacDonnell entschied am 28. Januar 1924: "Die Behörden der Freien Stadt sind berechtigt, ihren eigenen Staatsangehörigen daheim und im Auslande Danziger Pässe auszustellen, und kein Danziger Staatsangehöriger kann gegen seinen Willen gezwungen werden, einen polnischen Paß anstelle oder neben seinem Danziger Paß zu führen." Diese Entscheidung wurde am 4. Mai 1924 durch ein Abkommen(23) ersetzt, welches jedoch ohne Abweichung von Belang die Entscheidung des Kommissars bestätigte.

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1Eine noch präzisere Stellungnahme zu der Frage der Souveränität der Freien Stadt Danzig hatte die Note der Danziger Delegation an die Botschafter-Konferenz vom 8. Oktober 1920 enthalten: "Nach Auffassung des polnischen Entwurfs soll die Führung der auswärtigen Angelegenheiten der Freien Stadt Danzig, sowie der Schutz ihrer Staatsangehörigen im Auslande als ein Recht dem Staate Polen zugesprochen werden. Diese Auslegung ist unvereinbar mit der Bestimmung des Friedensvertrages,..." "Danzig wird sich als kleines Staatswesen nicht in allen Ländern Vertretungen halten können und deswegen von der ihm... gegebenen Möglichkeit, sich durch Polen vertreten zu lassen, gegebenenfalls gern Gebrauch machen. In diesem Fall werden die polnischen auswärtigen Vertretungen ihre besonderen Instruktionen von Danzig erhalten, nach denen sie handeln müssen. Denn nur Danzig allein ist in der Lage, zu beurteilen, was seine Interessen erfordern... Daneben aber muß es Danzig freistehen, in allen Staaten, wo es besondere Interessen hat, auch eigene Vertreter zu beglaubigen und in besonders wichtigen Anlässen Sondermissionen zu entsenden." ...zurück...

2Die nach Abschluß der Pariser Konvention bestehende Unklarheit war groß genug, um de Lannoy(2) im Jahre darauf zu folgender Deduktion zu veranlassen: "Da der Völkerbund nicht imstande ist, das ihm durch Art. 102 verliehene Protektorat selbst auszuüben, überträgt der Versailler Vertrag die wichtigsten Kompetenzen der polnischen Regierung, nämlich die Führung der auswärtigen Angelegenheiten, sowie den Schutz seiner Staatsangehörigen im Ausland." ...zurück...

3Aus der Begründung mag noch folgender Absatz Erwähnung finden: "4. Wenn Polen uneingeschränktes Recht hinsichtlich der auswärtigen Angelegenheiten Danzigs gegeben wird, einschließlich der Vollmacht, sich zu weigern, etwas zu tun, was Danzig verlangt, oder es in einer Weise zu tun, die den Wünschen der Danziger Regierung entgegengesetzt ist, kann man zu der Schlußfolgerung gelangen, daß Polen zu einem politischen Eingriff in Danziger Angelegenheiten befugt ist, der nicht dem Begriff entspricht, daß Danzig eine Freie Stadt unter dem Schutze des Völkerbundes ist. Die Interessen des Völkerbundes und Danzigs sind jedoch in dieser Hinsicht durch Art. 39 der Konvention vollkommen geschützt."
      Die polnische Auffassung von dem sich aus seinem Mandat zur Führung der Danziger auswärtigen Angelegenheiten ergebenen Konsequenzen bringt Makowski(10) zum Ausdruck:
      "Es ergibt sich..., daß Polen gegenüber auswärtigen Mächten ausschließlich verantwortlich ist für alles, was auf Danziger Gebiet passiert: wenn folglich der Vertreter, die Flagge oder ein Staatsangehöriger eines fremden Staates beleidigt wird oder irgendeinen Schaden erleidet, so muß das Verlangen auf Reparation an die polnische Regierung gestellt werden, und diese muß dann Genugtuung geben." ...zurück...

4Die von Donath(11) vertretene Ansicht, daß diese Regelung der mit der Führung von auswärtigen Angelegenheiten verbundenen Kosten wegen, die für Danzig "unerschwinglich" sein sollen, getroffen ist, erscheint im Hinblick auf die Praxis in den Jahrhunderten früherer Danziger Selbständigkeit, wie auch im Hinblick auf andere selbständige Staaten von heute abwegig. ...zurück...

5Bouchereau(12) wirft die Frage auf, ohne indessen eine klare Antwort zu finden, ob die Polnische Republik als Mandatar des Völkerbundes anzusehen ist. ...zurück...

6Fünfundeinhalb Jahre später (Jahresschluß 1927) standen dem Zustandekommen eines solchen Vertrages noch Meinungsverschiedenheiten zwischen Danzig und Polen über die Fassung der Präambel entgegen. ...zurück...

7Zu einem weiteren Streitfall über die Frage des Beitritts Danzigs zu internationalen Verträgen kam es im Jahre 1924. Danzig hatte am 22. September 1922 die polnische Regierung ersucht, das am 24. Juni des gleichen Jahres zwischen Deutschland und Polen über den Durchfuhr-Verkehr zwischen Polnisch-Oberschlesien und dem übrigen Polen über Deutschland geschlossene Abkommen - die Frage des Durchfuhr-Verkehrs zwischen Danzig und Polen durch Deutsch-Oberschlesien bildete einen Teil dieses Vertrages - auch im Namen Danzigs abzuschließen. Auf dieses Ersuchen erhielt die Freie Stadt weder eine Antwort noch wurde sie zur Vertragspartei gemacht. Der Völkerbundkommissar MacDonnell entschied am 18. Oktober 1924, "daß die polnische Regierung verpflichtet war, dem Ersuchen der Freien Stadt, als Vertragspartei, dem Breslauer Abkommen vom 24. 6. 22. angeschlossen zu werden, nachzukommen." ...zurück...

8In der Begründung zu dieser Entscheidung bezog sich der Völkerbundkommissar auf Art. 3 des Pariser Vertrages, welcher "bestimmt, daß Danziger Staatsangehörige den polnischen Konsulaten in fremden Städten, in denen die Freie Stadt Danzig große wirtschaftliche Interessen hat, beigegeben werden sollen," und erklärte es für "nur billig", "daß ihr auch gestattet werden muß, Vertreter auf zwischenstaatlichen Tagungen zu haben, und das wird von Polen zugegeben,..." Den von Danziger Seite angezogenen Passus aus dem Bericht des Vicomte Ishii vom 17. November 1920, Danzig wäre ein "State in the International Organisation of Europe", ließ der Kommissar als zu allgemein nicht als stichhaltig gelten. ...zurück...

9Es mag Erwähnung finden, daß die Teilnahme von Danziger Vertretern an der Weltwirtschaftskonferenz und an der Konferenz zur Schaffung eines Welthilfsverbandes von der polnischen Regierung beim Völkerbundrat ordnungsgemäß veranlaßt worden ist.(21) ...zurück...

10Danzig verlangte die Beiordnung von Danziger Staatsangehörigen zu den polnischen Konsulaten an folgenden Plätzen: London, Antwerpen, Riga, Reval, Helsingfors, Bukarest, Moskau, Berlin, Kopenhagen, Stockholm, New York, Rotterdam, Christiania. ...zurück...

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Danzig, Polen und der Völkerbund
Eine politische Studie
Dr. Hans Adolf Harder