Schluß
Hat der Völkerbund seine Aufgabe als Schützer Danzigs und als
Garant seiner Verfassung erfüllt? Man wird die Frage bejahen
dürfen. Diese Bejahung bedarf jedoch einiger Erläuterungen. Es ist in
Genf manches Kompromiß zustande gekommen, das wahrscheinlich selbst
seinen Urhebern keine reine Freude bereitet hat, das nur zu verstehen ist als der
Versuch, die dem Völkerbunde gesetzte Aufgabe wenigstens
annäherungsweise zu erfüllen, nachdem man die
Völkerbundsaufgabe mühselig gegen anders gerichtete politische
Wollungen verteidigt hatte. Eindeutig genau hat die Völkerbundsaufgabe
wohl in keinem einzigen Fall erfüllt werden können. Manchen
Beschluß wird man im Sinne dieser Aufgabe sogar nicht ohne Bedenken
betrachten können. Es braucht nur an den Ausgang des Poststreits erinnert
zu werden, der nur zu offensichtlich keine loyale Ausführung des Haager
Gutachtens, sondern eine Machtresultante darstellt. Auch in der Frage eines
polnischen Munitionslagers hat der Völkerbundrat eine Haltung
eingenommen, von der man vielleicht nicht einmal sagen kann, daß sie der
Form nach unkorrekt ist, die aber doch das Bewußtsein von der
Ver- [117] antwortung als Schützer der Freien Stadt
und seiner staatlichen Freiheit durchaus vermissen läßt. Es wird an
dieser Stelle eine kritische Aufzählung der
Völkerbundentscheidungen und eine Prüfung ihrer Wirkung auf die
Selbständigkeit und Unversehrtheit Danzigs nicht noch einmal nötig
sein, nachdem das völkerbundliche Handeln in sechs Kapiteln zur
Darstellung gelangt ist. Nur eine allgemeine Beobachtung mag zur
Ergänzung und zur Vervollständigung des Eindrucks noch
angeführt werden. Wie auch verschiedene Äußerungen von
Ratsvertretern verdeutlichen, wurden die immer wieder auf die Tagesordnung des
Rats gelangenden Danziger Fragen von den von den großen Problemen der
internationalen Politik bewegten Staatsmännern mehr und mehr als
lästig empfunden. Die immer wiederholten Vertagungen sind ein nicht zu
verkennendes Zeichen für diese Stimmung. Präsident Sahm wies
beispielsweise vor kurzem darauf hin, daß die Frage der Westerplatte im
Dezember 1927 zum 17. Mal auf der Tagesordnung des Rats gestanden hat. Die
Entscheidung wurde bekanntlich nochmals vertagt. Das Interesse in Genf war in
den vergangenen acht Jahren keineswegs stark auf Danzig gerichtet. Aber darf
man dem Völkerbund deswegen Vorwürfe machen? Uns will
scheinen, und dies gerade auf Grund der vorliegenden Spezialuntersuchung,
daß Vorwürfe nur zum geringen Teil berechtigt sind. Eine kurze
Besinnung auf das Wesen des Völkerbundes wird unsere Auffassung
klarstellen. Nach einem oft wiederholten und, wie uns scheinen will, recht
treffenden Wort ist der Völkerbund eine politische Börse.
Börsenmitglieder sind dann die Staaten, die in Genf ihre Abrechnungsstelle
unterhalten. Die in Genf abgeschlossenen Geschäfte unterliegen aber, um in
dem gleichen Bilde zu sprechen, den allgemeinen Preisgesetzen. Wenn in Genf
auch eine Völkerbundideologie gepflegt wird, die sicher nicht ganz ohne
Einfluß auf politische Entscheidungen bleibt, so würde man sich
doch Illusionen hingeben, wenn man es für möglich halten
würde, daß das Völkerbundsekretariat eine "Arbeitsstelle
für sachliche Politik" sein könnte und die Maximen seines Handelns
allein aus den sich aus der Sache selbst ergebenden Notwendigkeiten
schöpfen würde. Für die Bildung eines nur
sachgemäß arbeitenden Apparates sind in der Wirtschaftsorganisation
und den humanitären Körperschaften des Völkerbundes, im
Internationalen Arbeitsamt und vor allem im Ständigen Internationalen
Gerichtshof im Haag vielversprechende Ansätze vorhanden. Nur für
die sogenannten [118] Verwaltungsaufgaben des Völkerbundes,
zu denen eben die Danziger wie auch die
Saar-Frage gerechnet werden, fehlt ein solcher
technisch-sachgemäßer Apparat, wäre aber nach unserer
Ansicht nicht nur durchaus möglich, sondern auch notwendig. Besonders,
wenn man in Betracht zieht, in wieviel Fällen die
Danzig-polnischen Streitfälle Rechtsfragen sind, in denen nur
unabhängige Juristen einen gerechten Spruch abgeben können,
während politische Instanzen in wohl allen Fällen der fordernden
Partei wenigstens einen Teil ihrer Forderungen befriedigen und insoweit von der
strengen Linie des Rechts abweichen werden. Hieraus erklärt sich auch,
daß die Polen zwar mit ihren Forderungen sehr oft in Genf abgewiesen
worden sind, aber irgendwelche Bewilligungen in der Regel trotzdem mit nach
Hause gebracht haben. Es ist eine der bedenklichsten Folgen der
Entscheidungsbefugnis politischer Instanzen, daß jeder Streit
möglichst weit getrieben wird, um einen Teil der aus Taktik
übertriebenen Forderungen bewilligt zu erhalten. Zu welchen
gefährlichen Spannungszuständen dieses Spiel des
Alles-Forderns, um etwas zu erreichen, führen kann, haben die Ereignisse,
die zum polnischen Julivorstoß von 1923 geführt haben, gezeigt. Es
hat auch beim Poststreit im Januar 1925 nicht viel gefehlt, um militärische
Zwischenfälle herbeizuführen. Was diese aber in Osteuropa
bedeuten, wissen wir genau. Selbstverständlich hat auch die Entscheidung
politischer Konflikte durch Juristen ihre Grenzen. Diese liegen da, wo es um das
Prinzipielle des Problems geht, in unserem Falle um die Lösung der
Danziger Frage, in deren eigentlichem und umfassendem Sinne.
Wenn in der politischen Diskussion von der Danziger Frage schlechthin
gesprochen wird, so meint man damit nicht den Problemkreis, der in dieser Arbeit
zur Darstellung gebracht worden ist. Die Auseinandersetzungen zwischen Danzig
und Polen, die in so weitgehendem Maße von der Weltöffentlichkeit
Interesse verlangen und in Deutschland besitzen, und die über die Instanz
des Völkerbundes immer wieder Gegenstand der hohen internationalen
Politik geworden sind, sind letzten Endes Auswirkungen eines allgemeinen
Spannungsverhältnisses zwischen dem Deutschen Reich und der
Polnischen Republik. Wir haben hierbei nicht Schwierigkeiten im Auge, die
wegen der agrarischen Konkurrenz dem Abschluß eines Handelsvertrages
und wegen der
neo-merkantilistischen polnischen Handelspolitik der Regelung des
Niederlassungsrechts für Deutsche in Polen [119] entgegenstehen. Ohne diese Hemmnisse einer
gedeihlichen Entwicklung der
deutsch-polnischen Beziehungen zu
unterschätzen, - sie sind schließlich doch nur sekundärer
Natur, nur in der Wirkung verschärft durch die Ausstrahlungen aus der
entscheidenden Konfliktsphäre. Diese aber liegt in der in Versailles
festgelegten Grenzziehung zwischen Polen und Deutschland begründet. In
der Frage des geteilten
Oberschlesiens und in der Frage des Deutschland teilenden
Korridors.
Gerade wir Deutschen haben aus dem Zusammenbruch von 1918 die
Überzeugung gewinnen müssen, daß ein Problem Staat und
Nation entstanden ist,1 das sich weder mit der Formel vom
Selbstbestimmungsrecht der
Völker - die bei der in Europa, besonders in Osteuropa bestehenden
nationalen Gemengelage die Auflösung aller staatlichen Formungen
bedeuten
würde2 - noch mit der Fiktion vom
Nationalstaat - was nichts anderes als die mit allen Mitteln zu betreibende
Entnationalisierung oder richtiger Einnationalisierung der Minderheiten
heißen
würde - zur Erledigung bringen läßt. Aus der Bewegung
der in der Diaspora lebenden Deutschen selbst ist der Gedanke der
"Kulturautonomie" in die Welt gerufen worden. Diese Idee findet ihre besonders
eindrucksvolle Ausdeutung in einem Aufsatz des deutschen Abgeordneten im
lettländischen Landtag, Paul Schiemann.(1) Wie sich im Laufe der Entwicklung Staat und
Kirche voneinander freigemacht3 und ein Eigenleben mit eigenen
Zielsetzungen herausgebildet hätten, so müßten auch
Staatsgemein- [120] schaft und Volksgemeinschaft voneinander
getrennt werden. Als Merkmale der Staatsgemeinschaft sieht Schiemann die
Beherrschung des Raumes, die Ordnungsfunktion und die Wirtschaftshoheit an.
Demgegenüber soll die Volksgemeinschaft die Verantwortung für
die Gesamtheit der sich zu einer Kulturgemeinschaft Bekennenden tragen und die
Unterhaltspflicht für die Entwicklung der gemeinsamen Kultur
übernehmen. Die sich für Schiemann hieraus ergebenden
organisatorischen Forderungen mögen hier unerörtert bleiben. Der
Ideengehalt ist das Gestaltende. Und da scheint es, als ob der Idee von der
Trennung von Staat und Nation die Zukunft gehört.4 Die politische Grenzziehung
würde damit nicht aufgehoben, wohl aber würden die Grenzen, die
heute noch Zeichen der Macht und Würde zu sein vorgeben, an Wichtigkeit
einbüßen. Eine Grenze könnte dann auch nicht mehr als etwas
für alle Ewigkeit Gegründetes erscheinen. Die Grenzwache
würde dann nur Funktion der sich auf Territorialmacht gründenden
Staatsgemeinschaft sein, nicht aber Anspruch darauf erheben, zugleich eine
Nation gegen die andere abzuschließen.
Die Anwendung dieses Gedankens auf die Lösung der Danziger Frage
ergibt die Forderung
nach der Wiedervereinigung des Korridorgebiets mit dem
Deutschen Reich. Die Territorialgemeinschaft Deutsches Reich darf in ihrem
organischen Zusammenhang und ihrer Gesamtentwicklung nicht durch den
Durchstich des Korridors gehemmt werden. Eine polnisch fühlende
Bevölkerung darf kein Hindernis für die Wiederangliederung ihres
Wohngebiets an das Deutsche Reich sein. Polens wirtschaftliche, nicht aber
Polens machtpolitische Bedürfnisse nach einem Zugang zum Meer sind
anerkannt. Sie bedürfen heute keiner Begründung mehr. Als
Handels- und Umschlagplatz wird Danzig der polnischen Wirtschaft auch
fernerhin zur Verfügung stehen. Diese Funktion wird sogar Danzigs
eigentliche Aufgabe sein. Danzig könnte so, in einem anderen Sinne als
von der polnischen Politik seit 1918 erstrebt, für gute und für
schlechte Zeiten mit der Wirtschaft Polens fest verbunden werden. Und diese
Verbundenheit wäre Polen auch in aller Form rechtlich sicherzustellen.
[121] Mögen diese Rechte nun in einer
Internationalisierung der zum Meer führenden Verkehrsstraßen, der
Weichsel und der Eisenbahn, und der Exterritorialisierung zugunsten Polens von
Gdingen oder in der Zuerkennung eines Freibezirks im Danziger Hafen oder auch,
wie in der deutschen Antwortnote an die Alliierten vom 29. Mai 1919
vorgeschlagen wurde,6 in der Einräumung von Rechten
sowohl von Königsberg als auch von
Danzig - wobei, der Oderverbindung wegen, Stettin einbezogen werden
könnte - bestehen, auf jeden Fall sollte Polen in so weitherziger
Weise wie nur irgend möglich "ein direkter Zugang zu den großen
Verkehrsstraßen des Meeres zugebilligt werden".7 Für die Innehaltung der so zu
übernehmenden Verpflichtungen sollte das Deutsche Reich eine
umfassende Garantie bieten. Die im Laufe der letzten Jahre in mannigfacher Form
ausgeprobte Institution des Völkerbundkommissars wäre
hierfür das geeignete Mittel. Der Völkerbund wäre der in
Frage kommende Garant. Daneben würde das Deutsche Reich die,
nötigenfalls ebenfalls unter internationale Garantie zu stellende,
Verpflichtung auf sich nehmen müssen, denjenigen Bewohnern des jetzigen
Korridorgebiets, die sich zum polnischen Volkstum bekennen, die
Zugehörigkeit zur polnischen Volksgemeinschaft im Sinne Schiemanns zu
erleichtern und zu sichern.
Man kann nicht verkennen, daß die Widerstände psychologischer
Natur gegen jeden derartigen Vorschlag einer Lösung außerordentlich
groß sind.8 Der Traum von der nationalen [122] Einheit, der nach 126 Jahren plötzlich
zur Verwirklichung gekommen ist, hat die Vorstellung von dem nationalen
Einheitsstaat tief in die Vorstellungen aller Polen eingegraben. Hier sollen sie nun
Zugeständnisse machen, die wie eine Schmälerung des Idealbildes
von der polnischen Nation aussehen? Fast will es unmöglich scheinen, an
die Polen derartige Forderungen zu stellen. Die Argumentation, da. Polen doch
gar kein Nationalstaat, sondern ein beinahe typischer Nationalitätenstaat
ist,9 verschlägt da zunächst
nicht viel. Und doch, es gibt nur das eine: die
Polen - und die Welt - in geduldiger Arbeit von der unausbleiblichen
Notwendigkeit einer Regelung im angedeuteten Sinne zu überzeugen.
Vielleicht bewahrheitet sich dann wieder die alte Erfahrung, daß das mit
Nachdruck und Nachhaltigkeit wiederholte politische Argument schließlich
doch seine Wirkung erzielt.
Die in den ersten Jahren nach dem Kriege wohl hier und da aufgesprungene
Vorstellung von dem "Saisoncharakter" der Polnischen Republik hat sich als
falsch erwiesen. Der polnische Staat muß als festgegründet gelten.
Dann aber bietet Artikel 19 des Völkerbundpaktes die Möglichkeit,
die Revision eines Vertrages herbeizuführen, der den Frieden der Welt in
naher oder ferner Zukunft gefährden könnte. Es ist dies eine
Bestimmung der Völkerbundsatzung, die noch keine praktische Erprobung
erfahren hat, auf die aber kein Geringerer als Georges Clémenceau die
deutsche Regierung hingewiesen hat,10 und die als ultimo ratio
für die Lösung der Danziger Frage als anwendbar erscheint.
[123] Anhang
Rechts-Gutachten von Sir Cecil Hurst und Massimo Pilotti über die
Frage des polnischen Munitionsplatzes in Danzig
I.
Hinsichtlich der Überwachung der
Sicherheitsvorschriften haben die Juristen nachstehendes Gutachten aufgestellt:
Es wird von den Parteien nicht bestritten, daß der
Platz, der der polnischen Regierung auf Grund des Abkommens vom 22. Juni
1921 für die Löschung von Kriegsmaterial und Sprengstoffen zur
Verfügung gestellt werden sollte, kein Exterritorialitätrecht
genießen darf. Die Folge davon ist, daß die Souveränität
Danzigs über dieses Gebiet unberührt bleibt. Polen befindet sich in
derselben Lage wie irgendeine andere auswärtige Regierung, die eine
Konzession auf dem Gebiete eines andern Staates für einen
besonderen Zweck erhalten hat.
Polen hat, als es die Konzession zum Gebrauch der
Westerplatte erhielt, die Souveränität Danzigs in dem durch das
Abkommen vorgesehenen Umfange anerkannt. Danzig hat seinerseits, als es
zustimmte, daß der fragliche Platz Polen für die Löschung von
Munition zur Verfügung gestellt werde, sich dessen begeben, Einspruch
gegen die Benutzung des Platzes zu diesem Zwecke zu erheben. Durch den
Beschluß des Rats vom 14. März 1924 sollten des weiteren die
Vorschriften für die Löschung der Munition durch einen besonderen
gemischten Ausschuß festgesetzt werden.
Daraus, daß Polen die Verpflichtung
übernommen hat, für Schäden durch Explosionen
Entschädigungen zu zahlen, kann man rechtlich nicht irgendeine
Minderung der Rechte der Freien Stadt folgern.
Unter Vorbehalt der beiden vorstehend berührten
Punkte - nämlich: Gebrauch des Geländes für die
Löschung von Munition und Aufstellung der Sicherheitsvorschriften durch
einen gemischten Ausschuß, bleiben die Rechte Danzigs auf seinem Gebiete
unberührt.
Andererseits muß auch die Tatsache in
Berücksichtigung gezogen werden, daß Polen nicht nur für
einen privaten oder wirtschaftlichen Zweck eine Konzession auf dem
Westerplattengelände erhalten hat, sondern für einen mit den
lebenswichtigen Bedürfnissen des Staates zusammenhängenden
Zweck, und daß in dem Vertrag, durch den die Freie Stadt geschaffen
wurde, die Souveränität Danzigs eingeschränkt worden ist, um
diesen lebenswichtigen Erfordernissen des polnischen Staates Rechnung zu
tragen.
Es handelt sich also um eine Berechtigung
öffentlich-rechtlicher Art, die der polnischen Regierung auf der
Westerplatte zuerkannt werden muß, selbstverständlich unter dem
Vorbehalt der Souveränitätsrechte der Freien Stadt. Von diesem
Standpunkt aus scheint das Recht Polens, auf der Westerplatte eine bewaffnete
Abteilung als Wache für das Kriegsmaterial und die Niederlagen zu
unterhalten, als ein Aufsichtsrecht (droit de police), [124] das auch die Verpflichtung in sich
schließt, durch alle disziplinarischen Mittel die Beachtung der Vorschriften
seitens aller der polnischen Oberhoheit unterstehenden Personen
sicherzustellen.
In Anbetracht des Vorstehenden liegt es Danzig als dem
Inhaber der souveränen Gewalt ob, sich zu vergewissern, daß die von
dem gemischten Ausschuß aufgestellten Vorschriften durchgeführt
werden, und für den Fall, daß Danzig feststellt, daß diese
Vorschriften nicht durchgeführt werden, sich zu vergewissern, daß
geeignete Maßnahmen getroffen werden, damit ihnen Beachtung verschafft
wird, wobei es nötigenfalls von dem Kommandanten der polnischen
Wachabteilung oder von der polnischen Regierung die Befolgung der
notwendigen Maßnahmen fordern kann.
Danziger Beamte, die von ihrer Regierung beauftragt sind,
die Beachtung der Vorschriften zu überwachen, sollen das Zutrittsrecht zu
dem Gelände der Westerplatte zu diesem Zweck gemäß den
Danziger Gesetzen haben. Die Vertreter der polnischen Regierung auf der
Westerplatte sollen das Recht haben, sich zu vergewissern, daß die
fraglichen Personen Danziger Beamte sind, die für diese Aufgabe in
ordnungmäßiger Weise ermächtigt sind. Wenn aber diese
Feststellung einmal getroffen ist, haben sie nicht mehr die Befugnis, in die
Durchführung der Aufgaben dieser Beamten einzugreifen. Die Aufgabe
dieser letzteren wird je nach den Umständen darin bestehen, zu fordern,
daß die polnischen Behörden auf der Westerplatte ihre
Amtsbefugnisse gegenüber Personen durchführen, die zu der Wache
gehören oder gegenüber den beschäftigten Zivilpersonen im
Dienste der polnischen Regierung auf der Westerplatte. Was die Zivilpersonen
anbetrifft, so kann die Aufgabe der Beamten so weit gehen, daß sie
Personen, die von ihnen als einer Übertretung der Vorschriften schuldig
erachtet werden, den Danziger Gerichten anzeigen.
Andere Danziger Beamte - zum Beispiel
Gerichtsbeamte - sind ermächtigt, die Westerplatte zu betreten, um
ihre Dienstpflichten in demselben Maße zu erfüllen, wie sie hierzu
beim Betreten von privaten Grundstücken ermächtigt sind. Ein
solches Recht besteht nur hinsichtlich der Ausübung von
Amtshandlungen.
Im Interesse der Freien Stadt muß das Betreten der
Westerplatte seitens Danziger Beamter auf das Mindestmaß
beschränkt werden, das mit der Ausübung ihrer Amtspflichten
vereinbar ist, wegen der offensichtlichen Gefahr, die durch die Anwesenheit einer
großen Anzahl von Personen auf einem Gebiet, auf dem sich Sprengstoffe
befinden, hervorgerufen wird.
II.
Was die Zollfrage anbetrifft, so haben die Juristen
nachstehendes Gutachten aufgestellt:
Durch den am 9. November 1920 zwischen Polen und
Danzig abgeschlossenen Vertrag wird Danzig in die polnischen Zollgrenzen
eingeschlossen. Danzig und Polen bilden ein einziges Zollgebiet, welches der
polnischen Zollgesetzgebung und dem polnischen Zolltarif unterstellt ist. Danzig
bildet hinsichtlich der Zölle eine Verwaltungseinheit, welche Danziger
Beamten anvertraut ist und unter der Überwachung der
Zentralzollverwaltung Polens arbeitet.
Der Zweck dieser Bestimmungen war die Feststellung,
daß es Polen obliegt, für das gesamte Zollgebiet, einschließlich
Danzigs, Gesetze zu erlassen, daß es aber auf dem Danziger Gebiet der
Regierung der Freien Stadt obliegt, diese Gesetze durchzuführen und
für ihre Beachtung zu sorgen.
[125] Diese Absicht ist klar in der
Entscheidung des Obersten Rats, die in Spa am 12. Juli 1920 getroffen wurde und
die die Grundlage des
polnisch-Danziger Vertrags vom 9. November 1920 bildet, ausgedrückt.
"Der Vertrag wird auch die Anwendung des in Polen in Kraft befindlichen
Zolltarifs in der Freien Stadt Danzig vorsehen, aber die örtliche
Zollverwaltung soll von den Beamten der Freien Stadt geleitet werden."
Polen hat nicht das Recht, die Danziger Beamten der
Zollverwaltung auf dem Danziger Gebiete auszuschalten und diese Verwaltung
mittels von Polen erlassener Gesetze anderen Personen als diesen Beamten
anzuvertrauen, selbst wenn diese Gesetze in allgemeiner Form gehalten sind und
auf das ganze Zollgebiet Anwendung finden. Danzig hat überall auf seinem
Gebiet das Recht, die Zollgesetze durchzuführen, und die Westerplatte
befindet sich in derselben Lage wie das übrige Danziger Gebiet. Die
Regierung der Freien Stadt hat das Recht, durch ihre eigenen Beamten den
Schmuggel auf der Westerplatte zu verhindern und sich zu vergewissern,
daß alle Waren, die auf der Westerplatte gelöscht und nach Polen
weiterbefördert werden, unter die Gruppe "Kriegsmaterial und
Sprengstoffe" fallen.
Natürlich muß dieses Recht von Danzig in
der Weise ausgeübt werden, daß sich daraus keine Hemmnisse
für die Ausübung des Polen zugestandenen Rechts der Benutzung
der Westerplatte und die Möglichkeit für die polnische Regierung
ergeben, die Zollabfertigung des Kriegsmaterials nicht bei der Ankunft dieses
Materials auf der Westerplatte vorzunehmen, sondern bei seiner Ankunft an
seinem Bestimmungsort in Polen, da die Forderung dieser Möglichkeit als
durchaus berechtigt anerkannt werden muß. Zu diesem Zweck soll jede
Schwierigkeit beseitigt werden, indem jedoch zugelassen wird, daß die
Danziger Beamten einerseits die Schiffe in dem Augenblick, wo sie in dem
Becken der Westerplatte festmachen und während der Löschung
durchsuchen, um sich zu vergewissern, daß man von den im Becken
festgemachten Schiffen nur Sendungen löscht, die für Polen
bestimmtes Kriegsmaterial und Sprengstoffe enthalten, und andererseits die
Züge durchsuchen, die die Westerplatte verlassen, um sich zu vergewissern,
daß sie dieselben Sendungen, die gelöscht wurden,
weiterbefördern. Diese zweifache Feststellung würde jede
Untersuchung durch Danziger Zollbeamte innerhalb der Kasematten auf der
Westerplatte und jede Einmischung der Kommandostelle der polnischen Wache
zur Unterdrückung des Schmuggels überflüssig machen.
III.
Hinsichtlich der Begriffsbestimmung des Kriegsmaterials
haben die Juristen nachstehende Erklärung abgegeben:
Die Begriffsbestimmung des Kriegsmaterials, wie sie in
der Entscheidung des Hohen Kommissars aufgestellt ist, und in Artikel VI des
Berichts des Berichterstatters bestätigt worden ist, gibt zu keinen
Einwendungen vom juristischen Standpunkt aus Anlaß und scheint auf einer
angemessenen Würdigung der Grundbegriffe der Frage zu beruhen.
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