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Schluß

Hat der Völkerbund seine Aufgabe als Schützer Danzigs und als Garant seiner Verfassung erfüllt? Man wird die Frage bejahen dürfen. Diese Bejahung bedarf jedoch einiger Erläuterungen. Es ist in Genf manches Kompromiß zustande gekommen, das wahrscheinlich selbst seinen Urhebern keine reine Freude bereitet hat, das nur zu verstehen ist als der Versuch, die dem Völkerbunde gesetzte Aufgabe wenigstens annäherungsweise zu erfüllen, nachdem man die Völkerbundsaufgabe mühselig gegen anders gerichtete politische Wollungen verteidigt hatte. Eindeutig genau hat die Völkerbundsaufgabe wohl in keinem einzigen Fall erfüllt werden können. Manchen Beschluß wird man im Sinne dieser Aufgabe sogar nicht ohne Bedenken betrachten können. Es braucht nur an den Ausgang des Poststreits erinnert zu werden, der nur zu offensichtlich keine loyale Ausführung des Haager Gutachtens, sondern eine Machtresultante darstellt. Auch in der Frage eines polnischen Munitionslagers hat der Völkerbundrat eine Haltung eingenommen, von der man vielleicht nicht einmal sagen kann, daß sie der Form nach unkorrekt ist, die aber doch das Bewußtsein von der Ver- [117] antwortung als Schützer der Freien Stadt und seiner staatlichen Freiheit durchaus vermissen läßt. Es wird an dieser Stelle eine kritische Aufzählung der Völkerbundentscheidungen und eine Prüfung ihrer Wirkung auf die Selbständigkeit und Unversehrtheit Danzigs nicht noch einmal nötig sein, nachdem das völkerbundliche Handeln in sechs Kapiteln zur Darstellung gelangt ist. Nur eine allgemeine Beobachtung mag zur Ergänzung und zur Vervollständigung des Eindrucks noch angeführt werden. Wie auch verschiedene Äußerungen von Ratsvertretern verdeutlichen, wurden die immer wieder auf die Tagesordnung des Rats gelangenden Danziger Fragen von den von den großen Problemen der internationalen Politik bewegten Staatsmännern mehr und mehr als lästig empfunden. Die immer wiederholten Vertagungen sind ein nicht zu verkennendes Zeichen für diese Stimmung. Präsident Sahm wies beispielsweise vor kurzem darauf hin, daß die Frage der Westerplatte im Dezember 1927 zum 17. Mal auf der Tagesordnung des Rats gestanden hat. Die Entscheidung wurde bekanntlich nochmals vertagt. Das Interesse in Genf war in den vergangenen acht Jahren keineswegs stark auf Danzig gerichtet. Aber darf man dem Völkerbund deswegen Vorwürfe machen? Uns will scheinen, und dies gerade auf Grund der vorliegenden Spezialuntersuchung, daß Vorwürfe nur zum geringen Teil berechtigt sind. Eine kurze Besinnung auf das Wesen des Völkerbundes wird unsere Auffassung klarstellen. Nach einem oft wiederholten und, wie uns scheinen will, recht treffenden Wort ist der Völkerbund eine politische Börse. Börsenmitglieder sind dann die Staaten, die in Genf ihre Abrechnungsstelle unterhalten. Die in Genf abgeschlossenen Geschäfte unterliegen aber, um in dem gleichen Bilde zu sprechen, den allgemeinen Preisgesetzen. Wenn in Genf auch eine Völkerbundideologie gepflegt wird, die sicher nicht ganz ohne Einfluß auf politische Entscheidungen bleibt, so würde man sich doch Illusionen hingeben, wenn man es für möglich halten würde, daß das Völkerbundsekretariat eine "Arbeitsstelle für sachliche Politik" sein könnte und die Maximen seines Handelns allein aus den sich aus der Sache selbst ergebenden Notwendigkeiten schöpfen würde. Für die Bildung eines nur sachgemäß arbeitenden Apparates sind in der Wirtschaftsorganisation und den humanitären Körperschaften des Völkerbundes, im Internationalen Arbeitsamt und vor allem im Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag vielversprechende Ansätze vorhanden. Nur für die sogenannten [118] Verwaltungsaufgaben des Völkerbundes, zu denen eben die Danziger wie auch die Saar-Frage gerechnet werden, fehlt ein solcher technisch-sachgemäßer Apparat, wäre aber nach unserer Ansicht nicht nur durchaus möglich, sondern auch notwendig. Besonders, wenn man in Betracht zieht, in wieviel Fällen die Danzig-polnischen Streitfälle Rechtsfragen sind, in denen nur unabhängige Juristen einen gerechten Spruch abgeben können, während politische Instanzen in wohl allen Fällen der fordernden Partei wenigstens einen Teil ihrer Forderungen befriedigen und insoweit von der strengen Linie des Rechts abweichen werden. Hieraus erklärt sich auch, daß die Polen zwar mit ihren Forderungen sehr oft in Genf abgewiesen worden sind, aber irgendwelche Bewilligungen in der Regel trotzdem mit nach Hause gebracht haben. Es ist eine der bedenklichsten Folgen der Entscheidungsbefugnis politischer Instanzen, daß jeder Streit möglichst weit getrieben wird, um einen Teil der aus Taktik übertriebenen Forderungen bewilligt zu erhalten. Zu welchen gefährlichen Spannungszuständen dieses Spiel des Alles-Forderns, um etwas zu erreichen, führen kann, haben die Ereignisse, die zum polnischen Julivorstoß von 1923 geführt haben, gezeigt. Es hat auch beim Poststreit im Januar 1925 nicht viel gefehlt, um militärische Zwischenfälle herbeizuführen. Was diese aber in Osteuropa bedeuten, wissen wir genau. Selbstverständlich hat auch die Entscheidung politischer Konflikte durch Juristen ihre Grenzen. Diese liegen da, wo es um das Prinzipielle des Problems geht, in unserem Falle um die Lösung der Danziger Frage, in deren eigentlichem und umfassendem Sinne.

Wenn in der politischen Diskussion von der Danziger Frage schlechthin gesprochen wird, so meint man damit nicht den Problemkreis, der in dieser Arbeit zur Darstellung gebracht worden ist. Die Auseinandersetzungen zwischen Danzig und Polen, die in so weitgehendem Maße von der Weltöffentlichkeit Interesse verlangen und in Deutschland besitzen, und die über die Instanz des Völkerbundes immer wieder Gegenstand der hohen internationalen Politik geworden sind, sind letzten Endes Auswirkungen eines allgemeinen Spannungsverhältnisses zwischen dem Deutschen Reich und der Polnischen Republik. Wir haben hierbei nicht Schwierigkeiten im Auge, die wegen der agrarischen Konkurrenz dem Abschluß eines Handelsvertrages und wegen der neo-merkantilistischen polnischen Handelspolitik der Regelung des Niederlassungsrechts für Deutsche in Polen [119] entgegenstehen. Ohne diese Hemmnisse einer gedeihlichen Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen zu unterschätzen, - sie sind schließlich doch nur sekundärer Natur, nur in der Wirkung verschärft durch die Ausstrahlungen aus der entscheidenden Konfliktsphäre. Diese aber liegt in der in Versailles festgelegten Grenzziehung zwischen Polen und Deutschland begründet. In der Frage des geteilten Oberschlesiens und in der Frage des Deutschland teilenden Korridors.

Gerade wir Deutschen haben aus dem Zusammenbruch von 1918 die Überzeugung gewinnen müssen, daß ein Problem Staat und Nation entstanden ist,1 das sich weder mit der Formel vom Selbstbestimmungsrecht der Völker - die bei der in Europa, besonders in Osteuropa bestehenden nationalen Gemengelage die Auflösung aller staatlichen Formungen bedeuten würde2 - noch mit der Fiktion vom Nationalstaat - was nichts anderes als die mit allen Mitteln zu betreibende Entnationalisierung oder richtiger Einnationalisierung der Minderheiten heißen würde - zur Erledigung bringen läßt. Aus der Bewegung der in der Diaspora lebenden Deutschen selbst ist der Gedanke der "Kulturautonomie" in die Welt gerufen worden. Diese Idee findet ihre besonders eindrucksvolle Ausdeutung in einem Aufsatz des deutschen Abgeordneten im lettländischen Landtag, Paul Schiemann.(1) Wie sich im Laufe der Entwicklung Staat und Kirche voneinander freigemacht3 und ein Eigenleben mit eigenen Zielsetzungen herausgebildet hätten, so müßten auch Staatsgemein- [120] schaft und Volksgemeinschaft voneinander getrennt werden. Als Merkmale der Staatsgemeinschaft sieht Schiemann die Beherrschung des Raumes, die Ordnungsfunktion und die Wirtschaftshoheit an. Demgegenüber soll die Volksgemeinschaft die Verantwortung für die Gesamtheit der sich zu einer Kulturgemeinschaft Bekennenden tragen und die Unterhaltspflicht für die Entwicklung der gemeinsamen Kultur übernehmen. Die sich für Schiemann hieraus ergebenden organisatorischen Forderungen mögen hier unerörtert bleiben. Der Ideengehalt ist das Gestaltende. Und da scheint es, als ob der Idee von der Trennung von Staat und Nation die Zukunft gehört.4 Die politische Grenzziehung würde damit nicht aufgehoben, wohl aber würden die Grenzen, die heute noch Zeichen der Macht und Würde zu sein vorgeben, an Wichtigkeit einbüßen. Eine Grenze könnte dann auch nicht mehr als etwas für alle Ewigkeit Gegründetes erscheinen. Die Grenzwache würde dann nur Funktion der sich auf Territorialmacht gründenden Staatsgemeinschaft sein, nicht aber Anspruch darauf erheben, zugleich eine Nation gegen die andere abzuschließen.

Die Anwendung dieses Gedankens auf die Lösung der Danziger Frage ergibt die Forderung nach der Wiedervereinigung des Korridorgebiets mit dem Deutschen Reich. Die Territorialgemeinschaft Deutsches Reich darf in ihrem organischen Zusammenhang und ihrer Gesamtentwicklung nicht durch den Durchstich des Korridors gehemmt werden. Eine polnisch fühlende Bevölkerung darf kein Hindernis für die Wiederangliederung ihres Wohngebiets an das Deutsche Reich sein. Polens wirtschaftliche, nicht aber Polens machtpolitische Bedürfnisse nach einem Zugang zum Meer sind anerkannt. Sie bedürfen heute keiner Begründung mehr. Als Handels- und Umschlagplatz wird Danzig der polnischen Wirtschaft auch fernerhin zur Verfügung stehen. Diese Funktion wird sogar Danzigs eigentliche Aufgabe sein. Danzig könnte so, in einem anderen Sinne als von der polnischen Politik seit 1918 erstrebt, für gute und für schlechte Zeiten mit der Wirtschaft Polens fest verbunden werden. Und diese Verbundenheit wäre Polen auch in aller Form rechtlich sicherzustellen.

[121] Mögen diese Rechte nun in einer Internationalisierung der zum Meer führenden Verkehrsstraßen, der Weichsel und der Eisenbahn, und der Exterritorialisierung zugunsten Polens von Gdingen oder in der Zuerkennung eines Freibezirks im Danziger Hafen oder auch, wie in der deutschen Antwortnote an die Alliierten vom 29. Mai 1919 vorgeschlagen wurde,6 in der Einräumung von Rechten sowohl von Königsberg als auch von Danzig - wobei, der Oderverbindung wegen, Stettin einbezogen werden könnte - bestehen, auf jeden Fall sollte Polen in so weitherziger Weise wie nur irgend möglich "ein direkter Zugang zu den großen Verkehrsstraßen des Meeres zugebilligt werden".7 Für die Innehaltung der so zu übernehmenden Verpflichtungen sollte das Deutsche Reich eine umfassende Garantie bieten. Die im Laufe der letzten Jahre in mannigfacher Form ausgeprobte Institution des Völkerbundkommissars wäre hierfür das geeignete Mittel. Der Völkerbund wäre der in Frage kommende Garant. Daneben würde das Deutsche Reich die, nötigenfalls ebenfalls unter internationale Garantie zu stellende, Verpflichtung auf sich nehmen müssen, denjenigen Bewohnern des jetzigen Korridorgebiets, die sich zum polnischen Volkstum bekennen, die Zugehörigkeit zur polnischen Volksgemeinschaft im Sinne Schiemanns zu erleichtern und zu sichern.

Man kann nicht verkennen, daß die Widerstände psychologischer Natur gegen jeden derartigen Vorschlag einer Lösung außerordentlich groß sind.8 Der Traum von der nationalen [122] Einheit, der nach 126 Jahren plötzlich zur Verwirklichung gekommen ist, hat die Vorstellung von dem nationalen Einheitsstaat tief in die Vorstellungen aller Polen eingegraben. Hier sollen sie nun Zugeständnisse machen, die wie eine Schmälerung des Idealbildes von der polnischen Nation aussehen? Fast will es unmöglich scheinen, an die Polen derartige Forderungen zu stellen. Die Argumentation, da. Polen doch gar kein Nationalstaat, sondern ein beinahe typischer Nationalitätenstaat ist,9 verschlägt da zunächst nicht viel. Und doch, es gibt nur das eine: die Polen - und die Welt - in geduldiger Arbeit von der unausbleiblichen Notwendigkeit einer Regelung im angedeuteten Sinne zu überzeugen. Vielleicht bewahrheitet sich dann wieder die alte Erfahrung, daß das mit Nachdruck und Nachhaltigkeit wiederholte politische Argument schließlich doch seine Wirkung erzielt.

Die in den ersten Jahren nach dem Kriege wohl hier und da aufgesprungene Vorstellung von dem "Saisoncharakter" der Polnischen Republik hat sich als falsch erwiesen. Der polnische Staat muß als festgegründet gelten. Dann aber bietet Artikel 19 des Völkerbundpaktes die Möglichkeit, die Revision eines Vertrages herbeizuführen, der den Frieden der Welt in naher oder ferner Zukunft gefährden könnte. Es ist dies eine Bestimmung der Völkerbundsatzung, die noch keine praktische Erprobung erfahren hat, auf die aber kein Geringerer als Georges Clémenceau die deutsche Regierung hingewiesen hat,10 und die als ultimo ratio für die Lösung der Danziger Frage als anwendbar erscheint.



[123] Anhang

Rechts-Gutachten von Sir Cecil Hurst und Massimo Pilotti über die Frage des polnischen Munitionsplatzes in Danzig

I.
      Hinsichtlich der Überwachung der Sicherheitsvorschriften haben die Juristen nachstehendes Gutachten aufgestellt:
      Es wird von den Parteien nicht bestritten, daß der Platz, der der polnischen Regierung auf Grund des Abkommens vom 22. Juni 1921 für die Löschung von Kriegsmaterial und Sprengstoffen zur Verfügung gestellt werden sollte, kein Exterritorialitätrecht genießen darf. Die Folge davon ist, daß die Souveränität Danzigs über dieses Gebiet unberührt bleibt. Polen befindet sich in derselben Lage wie irgendeine andere auswärtige Regierung, die eine Konzession auf dem Gebiete eines andern Staates für einen besonderen Zweck erhalten hat.
      Polen hat, als es die Konzession zum Gebrauch der Westerplatte erhielt, die Souveränität Danzigs in dem durch das Abkommen vorgesehenen Umfange anerkannt. Danzig hat seinerseits, als es zustimmte, daß der fragliche Platz Polen für die Löschung von Munition zur Verfügung gestellt werde, sich dessen begeben, Einspruch gegen die Benutzung des Platzes zu diesem Zwecke zu erheben. Durch den Beschluß des Rats vom 14. März 1924 sollten des weiteren die Vorschriften für die Löschung der Munition durch einen besonderen gemischten Ausschuß festgesetzt werden.
      Daraus, daß Polen die Verpflichtung übernommen hat, für Schäden durch Explosionen Entschädigungen zu zahlen, kann man rechtlich nicht irgendeine Minderung der Rechte der Freien Stadt folgern.
      Unter Vorbehalt der beiden vorstehend berührten Punkte - nämlich: Gebrauch des Geländes für die Löschung von Munition und Aufstellung der Sicherheitsvorschriften durch einen gemischten Ausschuß, bleiben die Rechte Danzigs auf seinem Gebiete unberührt.
      Andererseits muß auch die Tatsache in Berücksichtigung gezogen werden, daß Polen nicht nur für einen privaten oder wirtschaftlichen Zweck eine Konzession auf dem Westerplattengelände erhalten hat, sondern für einen mit den lebenswichtigen Bedürfnissen des Staates zusammenhängenden Zweck, und daß in dem Vertrag, durch den die Freie Stadt geschaffen wurde, die Souveränität Danzigs eingeschränkt worden ist, um diesen lebenswichtigen Erfordernissen des polnischen Staates Rechnung zu tragen.
      Es handelt sich also um eine Berechtigung öffentlich-rechtlicher Art, die der polnischen Regierung auf der Westerplatte zuerkannt werden muß, selbstverständlich unter dem Vorbehalt der Souveränitätsrechte der Freien Stadt. Von diesem Standpunkt aus scheint das Recht Polens, auf der Westerplatte eine bewaffnete Abteilung als Wache für das Kriegsmaterial und die Niederlagen zu unterhalten, als ein Aufsichtsrecht (droit de police), [124] das auch die Verpflichtung in sich schließt, durch alle disziplinarischen Mittel die Beachtung der Vorschriften seitens aller der polnischen Oberhoheit unterstehenden Personen sicherzustellen.
      In Anbetracht des Vorstehenden liegt es Danzig als dem Inhaber der souveränen Gewalt ob, sich zu vergewissern, daß die von dem gemischten Ausschuß aufgestellten Vorschriften durchgeführt werden, und für den Fall, daß Danzig feststellt, daß diese Vorschriften nicht durchgeführt werden, sich zu vergewissern, daß geeignete Maßnahmen getroffen werden, damit ihnen Beachtung verschafft wird, wobei es nötigenfalls von dem Kommandanten der polnischen Wachabteilung oder von der polnischen Regierung die Befolgung der notwendigen Maßnahmen fordern kann.
      Danziger Beamte, die von ihrer Regierung beauftragt sind, die Beachtung der Vorschriften zu überwachen, sollen das Zutrittsrecht zu dem Gelände der Westerplatte zu diesem Zweck gemäß den Danziger Gesetzen haben. Die Vertreter der polnischen Regierung auf der Westerplatte sollen das Recht haben, sich zu vergewissern, daß die fraglichen Personen Danziger Beamte sind, die für diese Aufgabe in ordnungmäßiger Weise ermächtigt sind. Wenn aber diese Feststellung einmal getroffen ist, haben sie nicht mehr die Befugnis, in die Durchführung der Aufgaben dieser Beamten einzugreifen. Die Aufgabe dieser letzteren wird je nach den Umständen darin bestehen, zu fordern, daß die polnischen Behörden auf der Westerplatte ihre Amtsbefugnisse gegenüber Personen durchführen, die zu der Wache gehören oder gegenüber den beschäftigten Zivilpersonen im Dienste der polnischen Regierung auf der Westerplatte. Was die Zivilpersonen anbetrifft, so kann die Aufgabe der Beamten so weit gehen, daß sie Personen, die von ihnen als einer Übertretung der Vorschriften schuldig erachtet werden, den Danziger Gerichten anzeigen.
      Andere Danziger Beamte - zum Beispiel Gerichtsbeamte - sind ermächtigt, die Westerplatte zu betreten, um ihre Dienstpflichten in demselben Maße zu erfüllen, wie sie hierzu beim Betreten von privaten Grundstücken ermächtigt sind. Ein solches Recht besteht nur hinsichtlich der Ausübung von Amtshandlungen.
      Im Interesse der Freien Stadt muß das Betreten der Westerplatte seitens Danziger Beamter auf das Mindestmaß beschränkt werden, das mit der Ausübung ihrer Amtspflichten vereinbar ist, wegen der offensichtlichen Gefahr, die durch die Anwesenheit einer großen Anzahl von Personen auf einem Gebiet, auf dem sich Sprengstoffe befinden, hervorgerufen wird.

II.
      Was die Zollfrage anbetrifft, so haben die Juristen nachstehendes Gutachten aufgestellt:
      Durch den am 9. November 1920 zwischen Polen und Danzig abgeschlossenen Vertrag wird Danzig in die polnischen Zollgrenzen eingeschlossen. Danzig und Polen bilden ein einziges Zollgebiet, welches der polnischen Zollgesetzgebung und dem polnischen Zolltarif unterstellt ist. Danzig bildet hinsichtlich der Zölle eine Verwaltungseinheit, welche Danziger Beamten anvertraut ist und unter der Überwachung der Zentralzollverwaltung Polens arbeitet.
      Der Zweck dieser Bestimmungen war die Feststellung, daß es Polen obliegt, für das gesamte Zollgebiet, einschließlich Danzigs, Gesetze zu erlassen, daß es aber auf dem Danziger Gebiet der Regierung der Freien Stadt obliegt, diese Gesetze durchzuführen und für ihre Beachtung zu sorgen.
[125] Diese Absicht ist klar in der Entscheidung des Obersten Rats, die in Spa am 12. Juli 1920 getroffen wurde und die die Grundlage des polnisch-Danziger Vertrags vom 9. November 1920 bildet, ausgedrückt. "Der Vertrag wird auch die Anwendung des in Polen in Kraft befindlichen Zolltarifs in der Freien Stadt Danzig vorsehen, aber die örtliche Zollverwaltung soll von den Beamten der Freien Stadt geleitet werden."
      Polen hat nicht das Recht, die Danziger Beamten der Zollverwaltung auf dem Danziger Gebiete auszuschalten und diese Verwaltung mittels von Polen erlassener Gesetze anderen Personen als diesen Beamten anzuvertrauen, selbst wenn diese Gesetze in allgemeiner Form gehalten sind und auf das ganze Zollgebiet Anwendung finden. Danzig hat überall auf seinem Gebiet das Recht, die Zollgesetze durchzuführen, und die Westerplatte befindet sich in derselben Lage wie das übrige Danziger Gebiet. Die Regierung der Freien Stadt hat das Recht, durch ihre eigenen Beamten den Schmuggel auf der Westerplatte zu verhindern und sich zu vergewissern, daß alle Waren, die auf der Westerplatte gelöscht und nach Polen weiterbefördert werden, unter die Gruppe "Kriegsmaterial und Sprengstoffe" fallen.
      Natürlich muß dieses Recht von Danzig in der Weise ausgeübt werden, daß sich daraus keine Hemmnisse für die Ausübung des Polen zugestandenen Rechts der Benutzung der Westerplatte und die Möglichkeit für die polnische Regierung ergeben, die Zollabfertigung des Kriegsmaterials nicht bei der Ankunft dieses Materials auf der Westerplatte vorzunehmen, sondern bei seiner Ankunft an seinem Bestimmungsort in Polen, da die Forderung dieser Möglichkeit als durchaus berechtigt anerkannt werden muß. Zu diesem Zweck soll jede Schwierigkeit beseitigt werden, indem jedoch zugelassen wird, daß die Danziger Beamten einerseits die Schiffe in dem Augenblick, wo sie in dem Becken der Westerplatte festmachen und während der Löschung durchsuchen, um sich zu vergewissern, daß man von den im Becken festgemachten Schiffen nur Sendungen löscht, die für Polen bestimmtes Kriegsmaterial und Sprengstoffe enthalten, und andererseits die Züge durchsuchen, die die Westerplatte verlassen, um sich zu vergewissern, daß sie dieselben Sendungen, die gelöscht wurden, weiterbefördern. Diese zweifache Feststellung würde jede Untersuchung durch Danziger Zollbeamte innerhalb der Kasematten auf der Westerplatte und jede Einmischung der Kommandostelle der polnischen Wache zur Unterdrückung des Schmuggels überflüssig machen.

III.
      Hinsichtlich der Begriffsbestimmung des Kriegsmaterials haben die Juristen nachstehende Erklärung abgegeben:
      Die Begriffsbestimmung des Kriegsmaterials, wie sie in der Entscheidung des Hohen Kommissars aufgestellt ist, und in Artikel VI des Berichts des Berichterstatters bestätigt worden ist, gibt zu keinen Einwendungen vom juristischen Standpunkt aus Anlaß und scheint auf einer angemessenen Würdigung der Grundbegriffe der Frage zu beruhen.

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1Außerhalb des Deutschen Reiches leben heute in geschlossenen Siedlungsgebieten rund 12 Millionen Deutsche. Davon 6 Millionen in Österreich. Die 2¾ Millionen Deutschsprechende in der Schweiz, in Liechtenstein und in Luxemburg wurden nicht mitgerechnet. ...zurück...

2Es sei hier nur das Beispiel der in Osteuropa lebenden Deutschen angeführt:
Danzig 0,3 Millionen  deutsche  Einwohner
Polen 1,5 " " "
Tschechoslowakei     3,5 " " "
Litauen 0,04 " " "
Lettland 0,06 " " "
Estland 0,03 " " "
Rußland 1,5 " " "
Ungarn 0,5 " " "
Rumänien 0,85 " " "
Südslawien 0,9 " " " ...zurück...

3"Die wichtigsten Merkmale der Trennung von Staat und Kirche sind, glaube ich, der Verzicht auf den Begriff einer Staatsreligion und die Aufhebung der zwangsmäßigen Zuzählung zu einer Konfession... Der moderne demokratische Staat ist zweifellos areligiös und darin liegt erst die endgültige Garantie der Gewissensfreiheit begründet." ...zurück...

4"Daß Nation und Staat in jeder gerechten Ordnung sich decken müssen, war der Irrglaube des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts. Er ist nicht überwunden, doch der Fanatismus, mit dem er vertreten wird, zeigt, daß die Zeit seiner inneren Kraft vorbei ist".(2) ...zurück...

5 Diese Anmerkung fehlt im Original. [Scriptorium.]

6Der Vorschlag, der noch Gegenwartswert besitzt, hatte den folgenden Wortlaut: "Die deutsche Regierung ist... zur Erfüllung der von ihr übernommenen Verpflichtung, Polen einen freien und sicheren Zugang zum Meere zu geben, bereit, die Häfen von Memel, Königsberg und Danzig zu Freihäfen auszugestalten und in diesen Häfen Polen weitgehende Rechte einzuräumen. Durch eine entsprechende Vereinbarung könnte dem polnischen Staatswesen jede Möglichkeit zur Errichtung und Benutzung der im Freihafen erforderlichen Anlagen (Docks, Anlegestellen, Schuppen, Kais usw.) vertraglich gesichert werden. Auch ist die deutsche Regierung bereit, durch ein besonderes Abkommen mit dem polnischen Staate hinsichtlich der Benutzung der Eisenbahn zwischen Polen und anderen Gebieten des ehemaligen russischen Reiches einerseits und den Häfen von Memel, Königsberg und Danzig andererseits, jede erforderliche Sicherheit gegen Differenzierung in den Tarifen und der Art der Benutzung zu geben." ...zurück...

7So im 13. von Wilsons 14 Punkten. - Mit der Ausgestaltung der Rechte Polens in der angedeuteten Richtung würde Deutschland den betreffenden Punkt der Wilsonschen Proklamation zur Ausführung bringen und damit das erfüllen, was es bei der Waffenniederlegung zu tun versprach. ...zurück...

8So äußerte sich der polnische Außenminister Zaleski in einer Rede am 9. Januar 1927, niemand in Polen würde es zugeben, daß die Beziehungen guter Nachbarschaft zu Deutschland mit einer Revision der polnischen Westgrenze erkauft würde. "Zu keinem Preis werden wir jemals einen Zollbreit der pommerellischen oder des schlesischen Landes abtreten... Ohne sie kann Polen nicht bestehen, da diese 30-Millionen-Nation unter solchen geographischen und politischen Verhältnissen ersticken würde. Jeder Pole würde also Gut und Blut opfern, um diese Gebiete gegen alle Angriffe zu verteidigen, von welcher Seite sie auch kommen mögen".(3) ...zurück...

9Der polnische Bestandteil der Bevölkerung der polnischen Republik macht nach Schätzungen, die als zuverlässig angegeben werden, nur 45% aus. Nach der offiziellen Statistik allerdings 69,1 %. Von einem nationalen Einheitsstaat kann also weder so noch so die Rede sein. ...zurück...

10In der Note an die deutsche Friedensdelegation vom 16. Juni 1919, Ziff. VIII, Abs. 3:(4) "Le Traité crée en même temps l'organe nécessaire... pour trouver les moyens de modifier de temps à autre le règlement même de 1919 en l'adaptant à des faits nouveaux et à des conditions nouvelles, à mesures qu'elles se présenteront." ...zurück...

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Danzig, Polen und der Völkerbund
Eine politische Studie
Dr. Hans Adolf Harder