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[107] VI.
Der Völkerbundkommissar als Richter

Der Versailler Vertrag weist dem Kommissar des Völkerbundes in Danzig zwei Aufgaben zu. Erstens soll im Einvernehmen mit ihm von ordnungsgemäß ernannten Vertretern der Freien Stadt die Verfassung Danzigs ausgearbeitet werden. Zweitens soll er über alle Streitigkeiten entscheiden, welche aus dem Versailler Vertrag oder den ergänzenden Abmachungen und Vereinbarungen zwischen Danzig und Polen entstehen. (Art. 103.)

Da sich sowohl die Tendenz geltend macht, die Kompetenz des Kommissars zu erweitern, aus der richterlichen eine "staatsmännische" Tätigkeit zu machen, als auch die Kompetenz einzuschränken, seine Entscheidungen zu bloßen Ratschlägen herabzudrücken, an die die Parteien in keiner Weise gebunden wären,1 ist es nötig, die rechtliche Stellung des Kommissars näher zu betrachten. Wir folgen hierbei Herbert Kraus, der dieser Frage in der Deutschen Juristenzeitung(2)2 eine Spezialuntersuchung gewidmet und das Ergebnis wie folgt formuliert hat:

"Der Kern der Betätigungen des Kommissars ist durchaus judiziellen Charakters. In dem Bukett seiner Zuständigkeiten überwiegen richterliche Funktionen nach Zahl und Bedeutung voll- [108] ständig. Sie, und nur sie, sind seiner Stellung wesentlich. Was sich später an Verwaltungsobliegenheiten hinzugefunden hat, ist alles Beiwerk. Der Völkerbundkommissar ist ein erstinstanzlicher, internationaler, in den Völkerbundsorganismus eingegliederter in weitem Umfange abhängiger Einzelrichter (nicht nur Schiedsrichter), dem dazu noch einzelne besondere Verwaltungsaufgaben übertragen sind. Seine Benennung als Kommissar ist demnach höchst unkorrekt und mindestens ebenso irreführend wie seine Bezeichnung als 'Ober'-Kommissar." Kraus weist in diesem Zusammenhang auf eine Bemerkung im Gutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofs im Poststreit. "Aus diesen Bestimmungen geht ganz klar hervor, daß die Tätigkeit des Hohen Kommissars richterlichen Charakter hat." Die nichtrichterlichen Funktionen sind nach Kraus nichts weiter als Bündel von Einzelzuständigkeiten ohne inneren Zusammenhang. "Schon deshalb besteht keine Berechtigung dafür, ihren Kreis im Wege der Interpretation "abzurunden", d. h. zu erweitern. Dies ist um so weniger zulässig, als eine jede solche Abrundung auf Kosten Danzigs oder Polens, zweier Staatswesen, gehen würde und dadurch mit jenem Satze in Kollision geraten würde, der in dem bekannten Kommentar zur Völkerbundsatzung von Schücking und Wehberg, 2. Aufl., S. 122, in die Formel gebracht ist: "daß ein Gemeinwesen als Staat auch im Falle seiner Abhängigkeit alle diejenigen Kompetenzen hat, die ihm nicht ausdrücklich [109] entzogen sind"...3 Speziell eine allgemeine Garantie- und Schutzfunktion des Kommissars ist mangels einer rechtlichen Basis hierfür nicht gegeben. Soweit dem Völkerbund Garantie- und Schutzfunktionen in bezug auf Danzig zustehen, hat sie der Völkerbundrat in den Bereich seiner Tätigkeit gezogen. Nur vereinzelte Splitter davon hat er durch die... Beschlüsse an den Kommissar zur Ausübung delegiert. Wir unterlassen es hier, die völkerrechtliche Berechtigung derartiger Delegationen eines internationalen Organs an ein anderes, sei es im Wege der Unterdelegation, sei es als unmittelbare Zuständigkeitszuteilung, einer Kritik zu unterziehen, und beschränken uns auf die Feststellung, daß ein derartiges Verfahren eine völkerrechtliche Abnormität darstellt. Jedenfalls hat der Rat selbst nie daran gedacht, in irgendeinem beträchtlichen Umfange seine Zuständigkeiten dem Kommissar zu übertragen. Alles, wozu er sich bisher aus Gründen der Geschäftserleichterung veranlaßt gesehen hat, ist, daß er den Hohen Kommissar mit vereinzelten, vorläufigen und unselbständigen Hilfstätigkeiten zu seiner Unterstützung begabt hat."

Mit der ersten der eingangs genannten Aufgaben wurde der Verwalter der alliierten und assoziierten Hauptmächte in Danzig, Sir Reginald Tower, von dem Rat des Völkerbundes am 13. Februar 1920, also bereits einen Monat nach Inkrafttreten des Völkerbundvertrages, betraut.(4) Ihm wurde zugleich aufgetragen - und damit beginnt die Reihe der Kompetenzausweitungen -, darüber zu wachen, daß die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung "auf einer so breiten und demokratischen Grundlage wie möglich" stattfinden. Der Versailler Vertrag besagt allerdings nicht, daß der Kommissar irgendwelchen Einfluß auf die Zusammensetzung der Verfassunggebenden Versammlung ausüben sollte. Ein solcher Auftrag hätte, genau genommen, Tower [110] nur von den Alliierten als den Inhabern der souveränen Gewalt in Danzig (Art. 100 V. V.) erteilt werden können. Der von dem belgischen Vertreter Hymans als Berichterstatter dem Rat vorgelegte Bericht sieht eine weitere Aufgabe des Kommissars vor, die ebenfalls im Versailler Vertrag nicht Erwähnung gefunden hat. Er soll dem Rat über die Gegenstände, die in das Bereich seiner Entscheidungs-Gewalt fallen, Bericht erstatten. Hymans begründete diese Kompetenzvergrößerung damit, daß es für den Rat "augenscheinlich notwendig" wäre, "über das, was vor sich geht, unterrichtet zu sein". In Anbetracht des zwischen dem Völkerbunde und Danzig bestehenden Schutzverhältnisses wird man diese Begründung gelten lassen können. Einen dritten Punkt dagegen wird man mit einigem Bedenken betrachten müssen. Hymans sprach nämlich davon, die Garantie der Danziger Verfassung durch den Völkerbund schlösse in sich, daß der Verfassungsentwurf durch den Völkerbund "geprüft und gebilligt" würde ("la Société devra en étudier et en approuver les articles" bzw. "involves the consideration and approval of its provisions by the League"). Es wäre daher ratsam, wenn der Kommissar dem Rat die Verfassung übermitteln würde, bevor er sie förmlich genehmigte ("avant de l'approuver officiellement" bzw. "before formally agreeing to it"). Aus demselben Grunde würde der Rat den Vertretern der Freien Stadt wahrscheinlich vorschlagen, in die Verfassung ausdrücklich die Bestimmung aufzunehmen, daß die Genehmigung des Völkerbundes für jede künftige Verfassungsänderung erforderlich wäre.4 Der Versailler Vertrag erklärt jedoch die Danziger Verfassung weder durch den Kommissar noch durch den Völkerbundrat für genehmigungspflichtig. Der Versailler Vertrag setzt für die Ausarbeitung der Verfassung nur ein "Einvernehmen" ("d'accord avec un Haut Commissaire" bzw. "in agreement with a High Commissioner") mit dem Kommissar voraus. Ein Einvernehmen bedingt die Gleichwertigkeit der Faktoren. Nicht aber eine Überordnung und Unterordnung, wie Hymans sie durch die Worte "Prüfung" und "Genehmigung" vorsah. Wenn der Völkerbund durch seine Organe trotzdem den von der Danziger Verfassunggebenden Versammlung ausgearbeiteten Verfassungsentwurf einer sehr eingehenden Prüfung unterziehen ließ und der Kom- [111] missar erst nach Erfüllung aller vom Rat erhobenen Forderungen nach zweijährigem Hin und Her am 11. Mai 1923 die Danziger Verfassung "genehmigte",(6) so ist dies ganz offensichtlich eine Überschreitung der dem Völkerbunde vertraglich eingeräumten Kompetenzen und wegen der etwaigen daraus entstehenden Folgen und der daraus zu ziehenden Folgerungen eine Beschneidung der Selbständigkeit der Freien Stadt.

Interventionen des Völkerbundes sind im wesentlichen in vier Fällen festzustellen. Die vom Rat in bezug auf die Danziger Verfassung erhobenen Forderungen betrafen: 1. Die Einfügung des bedingten Verbots für Danzig, als Militär- und Marinebasis zu dienen. Art. 5 der Verfassung.(7) (8) 2. Die Einfügung einer Klausel, durch die die Vertretungs-Befugnis des Senats und die Gesetzgebungs-Kompetenz des Volkstages ausdrücklich durch das Recht Polens auf Führung der auswärtigen Angelegenheiten begrenzt wird.(7) (8) (10) 3. Die Einfügung einer Klausel, daß der Entwurf eines Gesetzes über den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit dem Völkerbund zur Prüfung vorzulegen wäre.(7) 4. Die Verkürzung der Amtszeit der Senatoren.(9) (11)

Alle vier Forderungen sind von Danzig erfüllt worden, bevor die Genehmigung des Kommissars erteilt wurde. Die vom Völkerbunde vorgenommenen Eingriffe in die Selbständigkeit der Freien Stadt sind nicht von dem gleichen Ausmaße. Das Verbot, als Militär- und Marinebasis zu dienen, könnte aus dem Verantwortungsbewußtsein des Schützers entsprungen sein. Es ist aber dann nicht recht verständlich, aus welchen Motiven der Völkerbund sich die etwaige Genehmigung zur Benutzung Danzigs für Militär- und Marinezwecke vorbehalten hat. Es scheint, als ob es für die Selbständigkeit eines so kleinen Staatswesens förderlicher ist, wenn eine Neutralisierung ohne Einschränkung ausgesprochen wird. Ebensowenig ist es mit den dem Völkerbunde durch den Versailler Vertrag überwiesenen Aufgaben ("Schutz Danzigs" und "Garantie einer Verfassung") in Einklang zu bringen, wenn der Völkerbund darauf bestand, daß die Polen durch die Führung der auswärtigen Angelegenheiten zukommenden Rechte ausdrücklich in der Verfassung Erwähnung finden sollten. Es scheint hier die Ansicht wirksam gewesen zu sein, die Polen später veranlaßte, an den Rat als Protektor des "Régime spécial établi à Dantzig" zu appellieren,(12) womit es den Völkerbund wohl zugleich zum Protektor der polnischen [112] Rechte und Ansprüche in Danzig gemacht haben möchte.6 In ähnlicher Weise sprach sich Bouchereau(14) aus: "Diese Gesamtheit der Danzig-polnischen Beziehung wird indirekt garantiert durch den Schutz, den der Völkerbund der Freien Stadt sichert." An anderer Stelle ging Bouchereau(15) noch weiter, wenn er sagte, der Völkerbundkommissar müßte darüber wachen, "daß Polen die ihm durch die Konvention mit Danzig gewährten Rechte genießt". Ja, derselbe Autor versteigt sich sogar zu der Behauptung,(16) daß der Schutz Danzigs durch den Völkerbund "tatsächlich von Polen ausgeübt wird". Hier zeigt sich, welche Konsequenzen aus diesen Interventionen des Völkerbundes gezogen werden und wie die Freiheit der Freien Stadt, die zu schirmen der Völkerbund verpflichtet worden ist, dadurch gefährdet wird. Nach den Verträgen hätte für den Völkerbund ebenfalls keine Veranlassung vorgelegen, sich durch die Verfassung das Recht der Prüfung und Genehmigung eines Gesetzes über den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit zusichern zu lassen.7 Allgemein ist bei dieser Gelegenheit festzustellen, daß der Völkerbund für nicht eine einzige seiner Verfassungsinterventionen ein formelles Recht besaß. Der am meisten in die Sphäre des staatlichen Lebens einschneidende Eingriff des Völkerbundes war das Verlangen auf Verkürzung der Amtszeit der Senatoren, um dem Volkstag einen größeren Einfluß zu sichern. Zu der Frage, ob es zweckmäßig ist, Regierungsmitglieder - denn das sind die Danziger Senatoren - auf zwölf Jahre zu bestellen, mag man stehen, wie man will. Aber vom Standpunkt demokratischer Anschauung aus, die der Rat hier zu vertreten glaubte, hätte man einen solchen Beschluß der Danziger Verfassunggebenden Versammlung achten müssen.8

[113] Mehr noch als die bisher genannten Fälle vom Völkerbunde oktroyierter Verfassungsbestimmungen scheint in Danzig ein ähnlicher Tatbestand, dessen Bedeutung aber sehr fraglich ist, Widerspruch erfahren zu haben.9 Professor Attolico, der um die Jahreswende 1921/22 auf kurze Zeit und interimistisch Kommissar in Danzig war, hatte in einem an den Rat gerichteten Bericht die Ansicht vertreten, daß der Völkerbund das Recht hätte, Änderungen auch bei der in Kraft getretenen Verfassung zu verlangen. Diese Ansicht zitierte der Rat in einer Instruktion an den Kommissar über die Frage der Amtszeit der hauptamtlichen Senatoren.10 Ob der Rat sich damit diese Ansicht zu eigen machen wollte, bleibt durchaus ungewiß. Man wird vielleicht nicht fehlgehen in der Annahme, daß der Rat sich nicht festlegen, aber doch für alle Fälle für die Zukunft die Postulierung eines solchen Rechtes vorbehalten wollte. Am Schlusse des vom [114] Rate genehmigten Berichtes wurde im übrigen diese Frage nochmals berührt.11

Es mag verwunderlich erscheinen, daß die Freie Stadt diese Kompetenzüberschreitungen ohne Widerspruch hingenommen hat. Es ist dies nur daraus verständlich, daß die leitenden Persönlichkeiten sich damals in der Welt der internationalen Politik noch nicht auskannten. Dann aber war damals der Völkerbund noch mehr oder minder Organ der Alliierten, die auch gegenüber Deutschland in diesen Jahren immer erneut Kompetenzausweitungen vorgenommen haben. Unter dem Gesichtspunkt der Völkerbund-Ideologie muß es trotzdem als bedenklich erscheinen, daß sich der Rat und in seinem Auftrag die Kommissare sich nicht peinlich genau an die Einzelheiten der Verträge gehalten haben.12

Welche Rolle die Völkerbundkommissare für das Schicksal der Freien Stadt bis zu ihrer Konstituierung und von da an bis auf den heutigen Tag gespielt haben, darüber wird man wohl erst in späterer Zeit ein vollständiges Urteil besitzen. Es mag auch Gegenstand anderweitiger Erörterung bleiben, was England dazu bewogen hat, das ganz offenbare Interesse an Danzig - Großbritannien hatte, abgesehen von dem kurzen Interregnum Attolicos, bisher regelmäßig die Völkerbundkommissare gestellt: Tower, Strutt, Haking und MacDonnell - allmählich so weit abflauen zu lassen, daß Chamberlain am 11. Dezember 1924 vor dem Rat erklärte,(23) er würde im nächsten Jahr weder die Verlängerung der Amtszeit von MacDonnell noch die Ernennung eines anderen britischen Staatsangehörigen in Vorschlag bringen. Es erscheint dies als eine Frage allgemeiner britischer Politik in Osteuropa und nicht nur aus der Tatsache erklärbar, daß der letzte Kommissar britischer Nationalität in langer kolonialer Lauf- [115] bahn keine Gelegenheit zum Anknüpfen guter persönlicher Beziehungen zum Foreign Office gefunden hatte, und daß er daher auch nicht das britische Interesse an Danzig immer von neuem zu wecken wußte, wie seine Vorgänger es sichtlich vermocht hatten. Während MacDonnell die regelmäßigen Verhandlungen in Genf laufen ließ, wie sie mochten, und sich in seinen Entscheidungen, wie im Falle des Postkastenstreits, ruhig desavouieren ließ, hatten Tower und Haking sich sehr energisch für ihre Überzeugungen eingesetzt, mochten diese nun gegen13 oder für14 Danzig sein. Aus ihrer Haltung sprach interessierte Unabhängigkeit.15

[116] Am 22. Februar 1926 hat dann der jetzige Völkerbundkommissar van Hamel sein Amt angetreten. Er erfreut sich in Danzig nicht der gleichen Wertschätzung wie seine Amtsvorgänger. Es muß in der Tat befremden, daß der Rat van Hamel trotz seiner politischen Vergangenheit - er hatte während des Krieges eine maßlose Propaganda gegen Deutschland entfaltet und alles Deutsche mit Haß überschüttet(33) - zum Richter in Danzig-polnischen Streitigkeiten und dazu noch entgegen der bisherigen Gepflogenheit gleich auf drei Jahre ernannt hat.16(34)

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1Makowski(1) behauptet, die beiden Parteien könnten von den Entscheidungen des Kommissars oder des Rats Kenntnis nehmen, könnten aber nicht genötigt werden, sich danach zu richten. "Offenbar wird, auf Grund der Ungleichheit im Rang der Parteien, das letzte Wort immer Polen gehören." ...zurück...

2An dieser Stelle wendet sich Kraus auch gegen eine Äußerung des damals gerade ernannten Kommissars van Hamel in einem Interview, das er dem Nowy Kurjer Polsk gewährt hatte. Hatte er sich doch bei dieser Gelegenheit in einer für den ehemaligen Direktor der juristischen Abteilung des Völkerbundsekretariats erstaunlichen Weise dahin ausgedrückt, daß ihm der "Schutz der Freien Stadt übertragen" worden wäre. (Wiedergegeben in der Danziger Zeitung vom 29. Juni 1926.) "Wenn... der eben ernannte Kommissar... die Behauptung aufgestellt hat, ihm sei der Schutz der Freien Stadt übertragen worden, so beruht das auf einem grundsätzlichen Irrtum über seine Zuständigkeiten." Die Stellung des Kommissars wird daher auch nach der negativen Seite festgestellt: "Noch weniger steht ihm eine allgemeine Aufsichtsfunktion über die laufende Verwaltung zu. Jeder Versuch der Ingredienz in dieser Richtung würde sich als eine Verletzung des sog. Nichtinterventionsprinzips darstellen... Die im Art. 42 der Danziger Verfassung enthaltene Bestimmung, wonach der Senat der Freien Stadt dem Völkerbund auf dessen Verlangen jederzeit amtliche Auskünfte über die öffentlichen Angelegenheiten der Freien Stadt zu erteilen hat, gibt nicht ihm, sondern dem Völkerbundrat, bzw. der Völkerbundversammlung ein Auskunftsrecht. Und noch ein letztes, hier unmittelbar Anschließendes, ist hier zu sagen: Da der Kommissar natürlich kein Danziger Staatsorgan ist, so ist der Verkehr mit ihm für Danzig eine 'auswärtige Angelegenheit'. Es ist aber ein im internationalen Verkehr streng eingehaltener Grundsatz, daß für die Wahrnehmung solchen Verkehrs nicht die nationalen Sachressorts zuständig sind, sondern daß er in Ermangelung anderweiter ausdrücklicher Regelungen über bestimmte, hierzu speziell bestellte Organe zu gehen hat. Für Danzig ist das betreffende Landesorgan, gemäß Art. 41 der Danziger Verfassung, ausschließlich der Senat. Hieran hat sich auch der Völkerbundkommissar zu halten. Er ist demgemäß insbesondere nicht dazu befugt, mit irgendeiner anderen Danziger Behörde als dem Senat von sich aus in direkten dienstlichen Verkehr zu treten. Nicht einmal mit den dort residierenden auswärtigen Konsulaten ist ihm dies gestattet. Noch weniger darf er sich natürlich die Anknüpfung irgendwelcher amtlicher Relationen zur Danziger Bevölkerung gestatten." Kraus schließt seinen Artikel mit den Worten: "Mit der Einhaltung dieser Beschränkungen wird er nicht nur andernfalls unausbleibliche Reibungen und Verstimmungen vermeiden, sondern auch am besten dem hohen richterlichen Amt dienen, das ihm der Rat des Völkerbundes anvertraut hat." ...zurück...

3Der interimistische Kommissar Attolico hat hierzu eine treffende Bemerkung gemacht: "Nach meiner Ansicht darf man in der Danziger Frage niemals von dem grundlegenden Satz abgehen, daß der Völkerbund sich so wenig wie möglich in die inneren Angelegenheiten der Freien Stadt einmischen soll, aber er darf dabei auch nicht aus den Augen verlieren, daß er Vorkehrungen treffen muß, um der Bevölkerung zu ermöglichen, selbst in voller Freiheit die Lösung der gegenwärtigen politischen Fragen zu finden".(3) Kraus weist ferner auf noch eine Bemerkung hin, die in dem dem Ratsbeschluß vom 13. März 1925 betr. die sog. "Actions directes" zugrundeliegenden Bericht enthalten ist: "Es ist überflüssig zu sagen, daß der Hohe Kommissar diese Befugnis natürlich mit der allergrößten Vorsicht ausüben wird, um jede unangemessene Beschränkung der Handlungsfreiheit der Republik Polen oder der Freien Stadt Danzig zu vermeiden." ...zurück...

4Eine solche Bestimmung ist dann auch in der Verfassung aufgenommen worden. Sie wurde zum ersten Mal im Jahre 1926 bei der Aufwertungsgesetzgebung praktisch: am 10. Juni 1926 gab der Rat seine Zustimmung.(5) ...zurück...

5 Diese Anmerkung fehlt im Original. [Scriptorium.]

6Es verdient in diesem Zusammenhange erwähnt zu werden, daß die Rechtsabteilung des Völkerbundsekretariats den polnisch-Danziger-norwegischen Handelsvertrag außer auf die Vereinbarkeit mit der Danziger Verfassung auch auf die Vereinbarkeit mit dem Danzig-polnischen Vertrag vom 9. November 1920 hin geprüft hat.(13) ...zurück...

7Der dem Rat durch den Kommissar übermittelte Gesetzentwurf wurde von diesem am 12. Januar 1922 auf Grund eines Berichts des japanischen Vertreters Ishii genehmigt. Jedoch behielt sich der Rat die Genehmigungsbefugnis für jede etwaige Änderung dieses Gesetzes vor.(17) ...zurück...

8Die Vorgänge bei dieser Oktroyierung waren für die Situation bezeichnend.
      Über die Abänderung der Verfassung wegen der vom Völkerbunde verlangten Verkürzung der Amtszeit der Senatoren war am 4. April 1922 im Volkstag abgestimmt worden. Die einfache Mehrheit stimmte zu, nicht aber die für Verfassungsänderungen vorgesehene qualifizierte Mehrheit. Der Präsident des Senats erklärte dem Kommissar, daß er keine Möglichkeit sähe, die qualifizierte Mehrheit zu erreichen. Der Kommissar verlangte nochmalige Abstimmung, was von den politischen Parteien einstimmig abgelehnt wurde. Darauf erklärte der Kommissar am 11. Mai 1922, da die Verfassung noch nicht durch seine Genehmigung in Kraft getreten wäre, wäre auch eine qualifizierte Mehrheit für eine Verfassungsänderung noch nicht erforderlich. Er bezeichnete daher die Abstimmung vom 4. April für ausreichend und genehmigte die Verfassung mit den vom Völkerbunde verlangten Abänderungen.(18) ...zurück...

9Vgl. hierüber Loening.(19) Sehr viel ruhiger beurteilt Freudenberg(20) diese Frage: Der Beschluß des Völkerbundrats vom 3. März 1921 "bringt lediglich zum Ausdruck, daß der Rat das Recht der Initiative zu Verfassungsänderungen für sich verlangt, ein Recht, das wir ihm als logische Folgerung aus seinem in Art. 48 [der Verfassung] festgelegten Mitwirkungsrecht bei Verfassungsänderungen zugebilligt haben. Der Beschluß betont, daß der Rat die Freie Stadt ersuchen könne, Änderungen in die Verfassung aufzunehmen. Also, der Rat ersucht, die Freie Stadt, d. h. Senat und Volkstag, nimmt alsdann die Änderung vor. Aus der Stellung des Völkerbundes als Protektor und Garant ergibt sich für die Freie Stadt keine rechtliche Verpflichtung, einem solchen Ersuchen Folge zu leisten.
      "Daß allerdings eine Weigerung für Danzig in Anbetracht der Machtverhältnisse kaum möglich ist..." ...zurück...

10Wörtlich heißt es im englischen, bzw. französischen Text: "He [Prof. Attolico] also affirms the right of the League (a right which is implied by the duties as protector and guarantor) to demand that the Constitution be amended when circumstances require it." "Il [Prof. Attolico] affirme aussi le droit de la Société (impliqué par ses fonctions de protection et de garantie) de demander une modification à la Constitution, lorsque les circonstances les justifieront".(21) ...zurück...

11"As regards the question raised by M. Attolico with reference to amendments to be introduced in the Constitution of Danzig in the future and to the question raised by General Haking concerning the appointment of an Assembly whose duty it will be to revise the Constitution... there is no doubt but that the League of Nations - in view of the fact that the Constitution is placed under its guarantee - will always be able to call upon the Free City to introduce into the Constitution such subsequent amendments as may be judged necessary or advisable in the light of experience." ...zurück...

12Dagegen muß anerkannt werden, daß Eingriffe in die innere Hoheitssphäre nicht vorgekommen sind. Beispielsweise hat der Kommissar Haking eine Beschwerde der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Danzigs über eine angebliche Verfassungsverletzung durch den Senat an den Rat mit dem Bemerken weitergesandt, es wäre nicht nötig, etwas zu veranlassen.(22) ...zurück...

13So griff Tower scharf ein, als im Verlaufe von Unruhen Präsident Sahm am 29. Juli 1920 gewaltsam von einer erregten Menge aus seinem Amtszimmer geschleppt wurde, und bestellte alliierte Truppen als Polizei.(24) So paßte er sich nach dem polnischen Sieg über die Bolschewisten der Schwenkung Lloyd Georges an, donnerte den Danziger Staatsrat wegen des Danziger Neutralitätsantrages an, und drohte mit Truppen Verstärkungen auf Kosten Danzigs.(25) So vertagte der Vertreter Towers, Oberstleutnant Strutt, wegen Skandalszenen im Parlament kurzerhand die Verfassungsgebende Nationalversammlung bis auf weiteres.(26) "Eine Demütigung", lautete die Überschrift des Leitartikels der Danziger Zeitung,(27) der sich mit der Vertagung befaßte. So verbot Strutt während der Dauer der Pariser Verhandlungen alle öffentlichen politischen Versammlungen.(28) ...zurück...

14Hier sind zwei Zeitungsauslassungen von Interesse. Die Danziger Zeitung brachte(29) folgende Meldung aus Amsterdam: "Das Amsterdamer Blatt Nieuws van den Dag, das sich während des Krieges streng neutral verhalten hat, bespricht die Danziger Konvention und meint, daß Sir Reginald Tower eine bedeutende Rolle dabei gespielt haben müsse. Tower habe ursprünglich die Danziger Gemeindeverwaltung in ihrer antipolnischen Politik unterstützt, solange England auf die Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen mit Rußland hoffte und daher kein Interesse daran hatte, Polen gegen Rußland zu bewaffnen. Später habe er die Schwenkung Lloyd Georges sofort mitgemacht, so daß Danzig, als die Russen zurückgeschlagen wurden, mit seinen antipolnischen Demonstrationen allein dagestanden habe." Als Gegenstück eine französische Presseäußerung:(30) "Der Hohe Kommissar... hat sich als Aufgabe gestellt, die Danziger Bevölkerung gegen die sie früher oder später bedrohende Polonisierung zu schützen. Diese Rolle ist nicht im Versailler Vertrag vorgesehen.... Der Bürgermeister Sahm ist in seiner antipolnischen Politik offen von Sir Reginald Tower begünstigt worden. Diese Persönlichkeit... unterstützte offen oder heimlich die deutschen Ansprüche auf Danzig. Sein Übelwollen gegenüber Polen kam in skandalöser Weise im August, zur Zeit des russisch-polnischen Krieges, zum Ausbruch." ...zurück...

15Bezeichnend hierfür ist die Rede, die Oberstleutnant Strutt als Völkerbundkommissar bei der feierlichen Konstituierung Danzigs als Freie Stadt am 15. November 1920 hielt. In dieser Rede sagte er am Schluß: "Jetzt, meine Herren, als Soldat zu Soldaten sprechend, denn fast alle von Ihnen sind Soldaten gewesen, Soldaten der größten und bewundernswertesten Armee, die die Welt jemals gesehen hat, sage ich Ihnen: Laßt uns Frieden halten jeder Zeit... Die Welt braucht Frieden. Möge Danzig und Polen dem östlichen Europa darin ein Vorbild sein... Hiermit erkläre ich feierlichst die Stadt Danzig und das sie umgebende Gebiet mit dem heutigen Tage zur Freien Stadt".(31) Hierher gehört auch das Eintreten Hakings für die Danziger Polizei, als am 30. Januar 1923 eine Beschwerde des französischen Vertreters über Zwischenfälle zwischen französischen Matrosen und Danziger Einwohnern vor dem Rat zur Sprache kam. Der Völkerbundkommissar erklärte, daß die Danziger Polizei alles getan hätte, was in ihren Kräften stand, um die französischen Matrosen zu schützen.(32) ...zurück...

16Seine Vorgänger sind nur jeweils auf ein Jahr ernannt worden. Es drängt sich der Verdacht auf, daß man bei der Ernennung van Hamels auf drei Jahre an den bevorstehenden Eintritt Deutschlands in den Völkerbund gedacht hat und eine vollendete Tatsache hat schaffen wollen. ...zurück...

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Danzig, Polen und der Völkerbund
Eine politische Studie
Dr. Hans Adolf Harder