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2. Teil:
Der Korridor und die polnische Propaganda

"Eine überlegte Behandlung der europäischen Probleme hätte damals im Osten ohne weiteres eine Lösung finden können, die den verständlichen Ansprüchen Polens genau so wie den natürlichen Rechten Deutschlands entgegengekommen wäre."

Diese Worte aus Adolf Hitlers berühmter Reichtagsrede vom 17. Mai 1933 zeigen, daß Polens staatliche Existenz für uns nicht zur Diskussion steht, wenn wir die Revision der deutsch-polnischen Grenze verlangen. Was an unvermeidlichen Folgen aus der Neugründung Polens entstehen mußte, nehmen wir auf uns. Dagegen wenden wir uns gegen die vermeidbaren Ergebnisse der Versailler Siegerpolitik, die Polen falsche Grenzen gab, es in ein Bündnis gegen Deutschland einspannte und zugleich das Deutsche Reich zu einseitiger Abrüstung zwang.



Was Bismarck vorausgesehen hat.

1863, als die Polen einen aussichtslosen Aufstand gegen Rußland unternahmen, äußerte Bismarck in einem Brief an den preußischen Gesandten in London:1

"Polens Unabhängigkeit ist gleichbedeutend mit einer starken französischen Armee in der Weichselposition."

1848, als das deutsche Publikum für die Freiheit der Polen schwärmte, schrieb er:1

"Man kann Polen in seinen Grenzen von 1772 herstellen wollen, ihm ganz Posen, Westpreußen und Ermland wiedergeben; dann würden Preußens beste Sehnen durchschnitten und Millionen Deutscher der polnischen Willkür überantwortet sein, um einen unsicheren Verbündeten zu gewinnen, der lüstern auf jede Verlegenheit [15] Deutschlands wartet, um Ostpreußen, 'Polnisch'-Schlesien, die 'polnischen' Bezirke von Pommern für sich zu gewinnen."

Schon vor 85 Jahren konnte also ein Kenner der polnischen Geschichte und Denkweise voraussagen, daß ein wiederaufgerichtetes Polen ein Element der Unruhe in Europa und ein Feind Deutschlands sein würde. Erst recht hätte man es vor 17 Jahren voraussehen können, als die Mittelmächte das "Königreich Polen" proklamierten. Auf drei Gründe konnte sich eine solche Prognose berufen.

Es lag erstens nahe, daß ein temperamentvolles Volk in extreme Neigungen verfallen würde, wenn es nach mehr als hundertjährigem Verschwinden seines Staates wieder ein eigenes Staatswesen erhielt. Schon die Geschichte Polens läßt starke romantische Neigungen, aber keinen besonderen Hang zum Maßhalten erkennen. Um so mehr war vorauszusehen, daß sich in einem wiederhergestellten Polen eine lange aufgespeicherte Lebensgier, ein hochgesteigerter Geltungsdrang und eine mißtrauische Existenzangst geltend machen würden.

Zweitens war zu erwarten, daß die Polen die geschichtliche Entwicklung der Neuzeit seit der Aufteilung ihres früheren Königsreichs ignorieren und in ihrer Zielsetzung an die Verhältnisse des 17. und 18. Jahrhunderts anknüpfen würden. Nun hat sich aber in dem Jahrhundert, in dem Polen von der Landkarte verschwunden war, eine entscheidende Wendung vollzogen: die Wendung vom Nationalitätenstaat des Mittelalters und des Absolutismus zum Nationalstaat des demokratischen Zeitalters. Als Nationalitätenstaat ist Polen untergegangen; sein Staatsgebiet umfaßte im 18. Jahrhundert fast das Vierfache des polnischen
Polens Appetit auf deutsches Land.
[16]      Abb. 5: Polens Appetit auf deutsches Land.
(Abgrenzung Polens nach Westen in dem "Geographisch-Statistischen Atlas von Polen" des polnischen Professors E. v. Romer, Warschau und Krakau 1916.)
Sprachgebiets. Und als Nationalitätenstaat ist Polen - im Namen des nationalen Prinzips! - wiedererstanden. Führende Polen fühlen diesen Widerspruch. Sie sind sich bewußt, daß ihr neuer Staat, der zu mindestens einem Drittel Minderheitsvölker umfaßt, ein Anachronismus ist. Aber sie ziehen daraus nicht etwa die Folgerung einer föderalistischen Gliederung. Sie suchen vielmehr durch Ausrottung der Minderheiten nachträglich einen Nationalstaat zu schaffen.

Drittens mußte man mit der alten Abneigung der Polen gegen die Deutschen rechnen. Sie entspricht einem historischen Minderwertigkeitsgefühl und ist fast so alt wie die Gründung von Städten wie Krakau, Warschau, Posen und Lodz durch deutsche Einwanderer, die die polnischen Könige im Mittelalter als Kulturträger ins Land gerufen hatten. In der Rota,2 einem vielgesungenen Liede [16-17=Karten] [18] der Polen, heißt es: "Der Deutsche wird uns nicht mehr ins Gesicht spucken." Die Polen haben stets nur mit Widerwillen und Ärger die deutsche Überlegenheit anerkannt. Darum versteigen sich polnische Schriftsteller z. B. zu der Behauptung, die Kultur sei den Polen von den Deutschen
Was Polen erreicht hat.
[17]      Abb. 6: Was Polen erreicht hat.
(Dem Deutschen Reich verbliebene Reste von Westpreußen, Posen und Oberschlesien sind punktiert.)      [Vergrößern]
gestohlen und dann in ein System gebracht worden. Der polnische Professor Rudnicki will sogar die Entdeckung gemacht haben, daß die deutsche Hansa auf slawischer Tradition beruhe - womit es ihm allerdings noch immer nicht gelungen ist, die Polen zu einer Nation kühner Seefahrer zu stempeln.

Überschwang der nationalen Befreiung, Ignorierung der Teilungsepoche, eingewurzelte Mißgunst gegen die Deutschen: dies alles ließ ein Nationalgefühl entstehen, das zu Auswüchsen wie Geltungssucht, Expansionsdrang und Gehässigkeit neigt. Aber zur Erklärung des heutigen polnischen Phänomens reicht das noch nicht aus: zur Erklärung eines oft ins Krankhafte verbogenen Nationalismus, ja einer chauvinistischen Psychose; zur Erklärung eines Tatendranges, der sich sogar auf die Angliederung weiterer deutscher Gebiete richtet. Hier haben wir die Psychose eines Volkes von mittlerer Größe vor uns, das man zu einer - seiner Lage und seinen Kräften nicht entsprechenden - Großmachtpolitik verleitet hat: die Psychose, die sich mit soziologischer Notwendigkeit aus den Geburtsfehlern des neuen Polen ergibt; sie liegen in der übermäßigen Ausdehnung des Staatsgebiets - Polen steht gewissermaßen auf den Zehen fast aller Nachbarn - und in der daraus erwachsenen Zweifrontenfeindschaft gegen Deutschland und Rußland, vor allem aber in der Versailler Korridorregelung.



Die Korridorpsychose.

Da liegt ein Staat von 32 Millionen Menschen, von denen noch dazu mindestens ein Drittel fremden Volksgruppen angehört, zwischen zwei Nachbarstaaten von fast 70 und 160 Millionen. Mit beiden war Polen bisher gleichzeitig verfeindet, weil es beiden große Teile ihres Volksgebietes genommen hat. Polen lebt nicht von der wohlwollenden Duldung seiner beiden großen Nachbarn, sondern von ihrer vorübergehenden Schwäche. Aus dieser Lage entstand eine Geistesverfassung, die sich in vieler Hinsicht als Angstpsychose kennzeichnen läßt. Was bleibt den Polen in ihrer Lage übrig? Nach ihrer Meinung nicht die Aussöhnung mit den Nachbarn, sondern nur die Aktivität eines überhitzten und fehlgeleiteten Chauvinismus. Sie legen eine Rüstung an, die dem Lande zu schwer ist. Sie peitschen eine nationale Leidenschaft, die an sich Achtung verdient, [19] zum Irrsinn auf. Mit Gewalt suchen sie die Fremdvölker in ihren Grenzen zu polonisieren, damit aus zwanzig Millionen Polen einmal dreißig werden. Rasch, solange die großen Nachbarn noch schwach sind, möchten sie ihren Staat durch Eroberungen abrunden und stärken und damit die letzten, sogar in Versailles nicht erreichten Wünsche durchsetzen.

Aber ist das nicht alles Utopie und Wahnwitz? Dem polnischen Nationalismus scheint es nicht so. Polen ist doch eine europäische Großmacht, als Hüter der Versailler Ordnung von Frankreich gestützt und jahrelang mit Geldmitteln für gewaltige Rüstungen versorgt! Es war doch immer das verwöhnte Schoßkind der Westmächte, als Besieger Rußlands und Bollwerk gegen den Bolschewismus gefeiert, vom Völkerbund in allen Streitfragen mit Nachsicht behandelt. Man hat ja Polen sogar einen Korridor quer durch deutsches Land gegeben: einen freilich nach polnischer Ansicht sehr unzulänglichen Zugang zur See, der erst durch weiteres deutsches Gebiet ausgebaut und gesichert werden könnte. Also vorwärts! "Durch den Krieg mit Deutschland werden wir die Welt in Erstaunen setzen."

Der letzte Satz, der für die polnische "grandomanie" kennzeichnend ist, steht in folgendem Zusammenhang (Zeitschrift Mocarstwowiec, Oktober 19303):

      "Wir wissen, daß der Krieg zwischen Polen und Deutschland nicht zu vermeiden ist. Wir müssen uns zu diesem Krieg systematisch und mit aller Energie vorbereiten. Die heutige Generation ist dazu berufen, in die Geschichte Polens einen neuen Sieg bei Grunwald4 einzutragen. Dieses Grunwald werden wir aber in den Vororten von Berlin erkämpfen. Unser Ideal ist, Polen im Westen durch die Odergrenze und die Lausitzer Neiße abzurunden und wiederum uns Ostpreußen einzuverleiben, von dem Pregel bis zur Spree. In diesem Kriege wird es keine Gefangenen geben und wird kein Platz für menschliche Regungen sein. Durch den Krieg mit Deutschland werden wir die Welt in Erstaunen setzen."

Man könnte polnische Äußerungen dieser Art, getan von einflußreichen und autoritativen Stellen, beliebig häufen.5 Die Geistes- [20] verfassung, die aus ihnen spricht, läßt sich nicht nur als Angstpsychose, sondern auch als Ausfluß schlechten Gewissens erklären. Einzelmenschen wie Völker haben das Bedürfnis, den herabzusetzen und zu hassen, dem sie Schaden zugefügt haben oder künftig Unrecht tun wollen. Der Angreifer steht vor sich selbst eher gerechtfertigt da, wenn sein Opfer minderwertig und hassenswert erscheint, wenn es keine bessere Behandlung zu verdienen scheint. Wie der Propagandapsychologe Baschwitz überzeugend darlegt, hat vor dem Kriege die Einkreisung den Haß gegen Deutschland gefördert; und wenn im Kriege auch neutrale Völker der antideutschen Propaganda völlig erlagen und das Bedürfnis hatten, alle Greuelmärchen zu glauben, dann lag dieser Massenwahn daran, daß sie sich zu Helfern der Hungerblockade hatten pressen lassen. Ähnlich ist offenbar der polnische Deutschenhaß zum großen Teil nichts anderes als das Spiegelbild des unberechtigten polnischen Korridorbesitzes und der polnischen Absichten auf Ostpreußen und andere deutsche Gebiete.

Aus der Diagnose ergibt sich die Therapie. Es leuchtet ein, daß Nachgiebigkeit gegen die polnischen Wünsche die Erkrankung nur verschlimmert.

Haben wir es mit einer Angstpsychose zu tun, dann muß der Grund der polnischen Ängste beseitigt werden. Man wird also durch die Revision der deutschen Ostgrenze eine Lage schaffen müssen, in der Polen von einem versöhnten Deutschland nichts mehr zu fürchten braucht.

Eine Schuldpsychose ist zu heilen, wenn man in drastischer Form dem Schuldgefühl den Nährboden entzieht. Man nehme also den Polen durch Neuregelung der Grenzen das Bewußtsein, das deutsche Land zerstückelt zu haben, und bringe sie dadurch in eine Lage, in der sie alle weiteren Absichten auf deutsche Gebiete als aussichtslos endlich aufgeben müssen!

Befreit von dem Albdruck der Zweifrontenfeindschaft wird Polen sein inneres Gleichgewicht finden. Es wird nicht mehr alle Kräfte auf die Mühlen des Chauvinismus zu leiten brauchen. Es wird Energien für seine große, vielleicht übergroße, säkulare Aufgabe freibekommen: seine übrigen Landesteile auf europäisches kulturelles und wirtschaftliches Niveau zu heben. Polen wird dann durch Kulturarbeit seine Geltung unter den Völkern erhöhen können. Es wird vielleicht sogar die Besinnung und den Mut finden, seine Minderheitenpolitik umzustellen.

[21] Aber kann denn Polen ohne den Korridor leben? Ein Franzose urteilt hierüber: "Wenn Pommerellen an Deutschland zurückgegeben wird, kann Polens Lage nicht schlimmer sein. Sie wird klarer und entschiedener sein".6

Inzwischen kämpft Polen, und zwar vor allem mit einer äußerst rührigen Propaganda, für die Verwirklichung seiner irrealen Ziele.



Ziele der polnischen Korridorpropaganda.

Aus dem Zusammenbruch dreier Kaiserreiche gewannen die Polen einen Staat, doppelt so groß wie das polnische Sprachgebiet. Aber sie blieben hinter ihren Zielen weit zurück. Ein italienischer Teilnehmer der Friedensverhandlungen, Graf Sforza, berichtet:7

      "Diese Polen waren fürchterlich unlogisch und hartnäckig mit dem Erfolg, daß jedem übel wurde von ihren ewigen Ansprüchen. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, so wäre halb Europa ehemals polnisch gewesen und hätte wieder polnisch werden müssen. So kam es z. B., daß das diplomatische Europa, als Dmowski die Abtretung Ostpreußens an Polen verlangte, um - wie er sehr folgerichtig sagte - den Widersinn des Danziger Korridors zu vermeiden, dermaßen ergrimmte über diese uferlos wachsenden Forderungen, daß wir vielleicht, wenn es nur nach Lloyd George gegangen wäre, zuguterletzt noch eine vierte Teilung Polens erlebt hätten."

Der polnische Unterhändler in Versailles, Roman Dmowski, hat seine Gedanken über den Korridor und Ostpreußen mit klassischer Logik in seiner Denkschrift an Wilson vom 8. Oktober 1918 dargelegt:8

      "Wenn Ostpreußen ein zusammenhängender Teil des deutschen Gebiets bleiben soll, muß auch das polnische Westpreußen im Besitz Deutschlands bleiben. Wenn Ostpreußen als gesonderter preußischer Besitz, von der Hauptmasse des Landes durch die dazwischenliegenden polnischen Gebiete abgeschnitten, in deutscher Hand bleibt, wird es eine dauernde Quelle nie endenden Streites zwischen Polen und Deutschland sein, das beständig bemüht sein wird, sich auf Kosten Polens eine Verbindung zu schaffen."

[22] Hätte man in Versailles bewußt ein Pulverfaß schaffen wollen, man hätte es nicht besser machen können. Foch hat bekanntlich zu der Versailler Korridorregelung erklärt, hier liege die Wurzel des nächsten Krieges. Die Versailler Karikatur einer Lösung ist ein Unsegen für Deutschland, Polen und Europa. Die Deutschen können sich mit der Zerreißung ihres Gebiets niemals abfinden. Es erhöht ihre Verbitterung, daß die deutsche Korridorwunde nicht einmal ein befriedigtes Polen geschaffen hat, daß Deutschland also einem rein zerstörerischen Akt zum Opfer gefallen ist. Die Korridorregelung ist für Polen eine ständige Verführung zur Maßlosigkeit, denn der Korridor ist gewissermaßen ein sich selbst vorwärtstreibender Keil. Der Korridorbesitz bestärkt Polen darin, nach weiteren deutschen Gebieten zu streben. Der Korridor endet in einem dünnen Flaschenhals. Nur 31 km ist der Hafen Gdingen von der deutschen Grenze entfernt. "Überflüssig im Frieden, nicht zu verteidigen im Kriege", lautet das Urteil des französischen Generals Weygand über den Korridor. Wertvoller - so glaubt Polen - würde der Seezugang erst sein, wenn er im Osten durch Danziger und ostpreußisches, im Westen durch pommersches Gebiet erweitert und seines Korridorcharakters entkleidet würde. So bekommt die polnische Korridorpropaganda zwangsläufig ein doppeltes Ziel:

  1. das defensive der Rechtfertigung des Korridorbesitzes;
  2. das offensive, die Erweiterung des Korridors nach Westen und Osten durch Danzig, Ostpreußen und Hinterpommern vorzubereiten.

In der propagandistischen Bearbeitung des eigenen Landes werden noch weitere deutsche Gebiete beansprucht: möglichst das ganze Stromgebiet der Oder von Oberschlesien bis Stettin. In dem vielgerühmten Buche des Oberstleutnants im polnischen Kriegsministerium, Baginski,9 ist die polnische Ländergier besonders hübsch zum Ausdruck gebracht:

      "Solange wird nicht Friede in Europa herrschen, bis nicht die polnischen Länder10 vollkommen an Polen zurückgegeben sein werden, solange nicht der Name Preußen, da er ja der Name eines schon nicht mehr vorhandenen Volkes ist, von der Karte Europas [23] getilgt sein wird, und solange nicht die Deutschen ihre Hauptstadt von Berlin weiter nach Westen verlegen."



Die innerpolnische Propaganda.

Die Propaganda der Polen hat dreierlei Arbeitsgebiete: das Inland, die deutschen Grenzbezirke, das Ausland. Die Tonart und die Argumente werden überall verschieden abgestimmt. Man spricht im Auslande europäisch und pazifistisch und peitscht im Innern den Hunger nach fremdem Lande auf. Die Polen können sich diese Doppelzüngigkeit leisten, weil ihre Sprache nur wenig verstanden wird. Selbst große angelsächsische Weltblätter sind in Warschau nicht durch Berichterstatter ihres eigenen Volkes, sondern durch Nationalpolen vertreten.

Immer wieder wird Polens Ehe mit dem Meere gefeiert; ihr werden geradezu mystische Kräfte zugeschrieben. Eifrig wird für eine Kriegsflotte und Kolonien geworben. Vor allem wird das Volk auf den Krieg mit Deutschland innerlich vorbereitet und die territoriale Expansion gepredigt. Der Franzose Valmigère, der diese Erscheinungen an Ort und Stelle studiert hat, faßt seinen Eindruck folgendermaßen zusammen:11

      "Weiß Frankreich, daß dieses Polen noch nicht zufrieden mit seinen 40 Prozent Fremdstämmigen ist und daß es Großmannssucht und den Kilometerwahnsinn so weit treibt, Schlesien von Beuthen bis Oppeln, die ganze Ukraine, Danzig und Ostpreußen aufsaugen zu wollen?... Ich habe hier die Reden seiner Staatsmänner, seine Zeitungen und Bücher vor mir liegen. Niemals ist in der Geschichte der Heißhunger nach Land bis zu einem derartigen Wahnsinn getrieben worden. Die Völker, deren es sich bemächtigt, tyrannisiert es, beleidigt es und zermürbt es."

Die leitenden Staatsmänner legen sich natürlich in der innerpolnischen Annexionspropaganda Zurückhaltung auf. Hohen polnischen Beamten und Offizieren dagegen wird es nicht verwehrt, sich weiter hervorzuwagen.12 Auch die hohe und niedere Geistlichkeit spielt in der nationalistischen Propaganda eine bedeutende Rolle. Vor allem betätigen sich darin zahlreiche Verbände, besonders der [24] amtlich finanzierte Westmarkenverein ("OKZ."). Auch die Wissenschaft widmet sich weitgehend chauvinistischen Zielen. Mit eifrigen prähistorischen Forschungen zum Beispiel will man die Behauptung erhärten, daß niemals Germanen im Korridor gesessen hätten. Das "Westslawische Institut" an der Universität Posen will "den urpolnischen Charakter aller Gebiete östlich der Elbe" nachweisen; das "Baltische Institut" bearbeitet die Probleme des "Polnischen Meeres" - ein auch auf polnischen Landkarten vorkommender Ausdruck für die Ostsee - und entfaltet eine große Publikationstätigkeit. Unter den propagandistisch tätigen studentischen Korporationen seien nur genannt: die "Silesia", die "das Polentum in Schlesien wecken" will, und die "Masovia", die "tätig Anteil nimmt an der nationalen Aufklärungsarbeit unter den Masuren". Auch die polnischen Pfadfinder widmen sich nationalistischer Propaganda.

Wer Wind sät, wird Sturm ernten. In einem hochgerüsteten Lande kann eines Tages die nationalistische Welle der Regierung über den Kopf wachsen. Die Deutschland aufgezwungene Abrüstung wirkt wie ein Freibrief für kriegerische Unternehmungen. Im Frühling 1932 wurde die Gefahr einmal wieder brennend. Auf einer polnischen Studentenkundgebung in Danzig erklärte am 2. Februar der Oberst Landau vom Korpsstab in Thorn, er werde vielleicht eher nach Königsberg in Uniform kommen als zum zweiten Male in Zivil nach Danzig; Danzig nehme man im Vorbeigehen. Auf der gleichen Tagung erklärte Legationsrat Lalicki, der Stellvertreter des polnischen diplomatischen Vertreters in Danzig:

      "Wir können heute den Tag und die Stunde nicht nennen, an welchen der Versailler Friedensvertrag korrigiert wird. Nicht nur die Polen aus Danzig, sondern auch die von germanischem Haß geknechteten Brüder in Ostpreußen kehren wieder in den Schoß des Vaterlandes zurück. Es kommt der Tag - ja, er ist schon angebrochen -, daß Danzig dem Vaterlande zurückgegeben wird."

Im Mai 1932 alarmierten englische Zeitungen die Welt mit der Nachricht, in Polen stände alles bereit zum Einmarsch in Danzig. Vielleicht ist ein großes Unheil durch die Wachsamkeit der englischen Journalisten verhütet worden. Leider ist es inzwischen nicht ruhiger geworden. Im März 1933 sind widerrechtlich polnische Truppen auf Danziger Staatsgebiet (Westerplatte)13 gelandet und erst nach schärfstem Druck des Völkerbundes zurückgezogen worden. Europa [25] und Deutschland tun gut daran, sich für die Zukunft auf alle Möglichkeiten einzurichten.



Propaganda in den Grenzgebieten des Deutschen Reichs.14

Bei der Bevölkerung der deutschen Grenzgebiete hat der großpolnische Gedanke keine Werbekraft. Sie hat sich fast durchweg ohne Rücksicht auf sprachliche Verschiedenheiten endgültig dem deutschen Kulturkreis angeschlossen. Polen versucht, sie aus dieser Bindung zu lösen. Es will den Anschein erwecken, als schmachteten große, polnisch bevölkerte Gebiete unter deutscher Herrschaft. Es will so der Welt vortäuschen, daß es in Versailles noch zu kurz gekommen sei, daß also eine Grenzrevision höchstens zugunsten Polens vorgenommen werden dürfe.

Mißbrauch der Religion, wirtschaftliche Lock- und Druckmittel, soziale Verhetzung: das sind die wichtigsten Mittel der polnischen Grenzpropaganda. Mit diesen Mitteln, insbesondere mit der Losung: "Du bist katholisch, also bist Du Pole!" wird für die polnischen Minderheitsschulen geworben. So werden manche Eltern gegen ihren Wunsch dazu gedrängt, ihre Kinder in diese Schulen zu schicken, obwohl sie dort eine Sprache lernen, die ihnen in Deutschland außerhalb der schmalen gemischtsprachigen Bezirke nichts nützt. Neben diesen Schulen, die nicht aus dem Willen der Erziehungsberechtigten geschaffen worden sind, sollen Vereine, Genossenschaften und Banken dazu dienen, ein großpolnisches Gemeinwesen als Fremdkörper im Reich zu schaffen. Künstlich werden Zwischenfälle hervorgerufen, die dann von der polnischen Propaganda aufgebauscht und ausgewertet werden. Deutsche Reichsangehörige polnischer Nationalität werden laufend in Polen in dieser Kunst geschult.

Alle diese Bemühungen haben aber keinen dauernden Erfolg gehabt. Bei den beiden Reichstagswahlen des Jahres 1932 ist die Zahl der polnischen Stimmen im ganzen Reich auf 33 000 zurückgegangen, gegenüber 100 000 im Jahre 1924.15 Zahlreiche Minderheitenschulen im deutschen Grenzgebiet mußten wegen Mangels an Schulkindern geschlossen werden - trotz großzügiger finanzieller und personeller Unterstützung von jenseits der Grenze.


[26]
Propaganda im Ausland.

Die öffentliche Meinung des Auslands wird mit außerordentlichen Geldmitteln und großem Geschick bearbeitet, besonders in Frankreich, England und den Vereinigten Staaten. Maßgebende Ausländer werden zu Reisen nach Polen veranlaßt, gastfreundlich aufgenommen, geschickt geführt und bereitwillig mit Material und Vergünstigungen bedient. Den Polen, die ins Ausland reisen, wird in einer gedruckten Anweisung17 gesagt, was sie im Auslande zu erzählen haben, z. B. daß Polen seine Minderheiten einwandfrei behandle oder daß es für Polen keine Korridorfrage gäbe. Außerhalb Polens werden massenweise Propagandaschriften verbreitet, gewichtige Werke und leichte Broschüren, die mit Schaubildern und Karten den Leser in wenigen Minuten für den polnischen Standpunkt einfangen sollen. Rundfunk und Presse des Auslands werden eifrig und geschickt von den polnischen diplomatischen Vertretungen und anderen Stellen bearbeitet. Einflußreichen ausländischen Journalisten wird in polnisch geleiteten Auslandszeitschriften Gelegenheit gegeben, sich sehr hohe Artikelhonorare zu verdienen. Man veranstaltet zahlreiche Propagandavorträge.

Die wirtschaftlich an Polen interessierten Kreise des Auslands werden zur propagandistischen Mitarbeit herangezogen. In Frankreich, das ja für Polen eine einzigartige Bedeutung besitzt, haben die Polen es verstanden, durch Gründung einer "Association France-Pologne" die maßgebenden Wirtschaftskreise, insbesondere die Rüstungsindustrie an der Finanzierung der Propaganda zu beteiligen. Bei den großen Nachrichtenbüros werden Tendenzmeldungen untergebracht. Durch ein umfangreiches Netz von Beziehungen zu allen Kreisen, die in Frankreich die öffentliche Meinung machen und die Politik bestimmen, suchen die Polen das auf vielfacher Enttäuschung beruhende Abebben jener polenfreundlichen Stimmung zu verhindern, in der das französische Volk seine Interessen mit den polnischen gleichsetzt.

Daß Genf, das große internationale Propagandaforum, besonders intensiv bearbeitet wird, versteht sich von selbst, denn hier muß sich ja Polen ständig gegen seine Diskreditierung durch die unaufhörlichen Minderheiten- und Danzig-Streitfälle zur Wehr setzen, deren Tatsachen deutlich vor der Welt gegen Polen sprechen. Wie auch solche internationalen Konferenzen, die Polen an sich wenig angehen, zur Propaganda ausgenutzt werden, das zeigt eine polnische [27] Denkschrift für die Pariser Young-Konferenz von 1929. In dieser wird mit großem Geschick jeder scheinbar schwache Punkt der deutschen Gesamtposition ausgewertet und unter anderem dargelegt, daß Deutschlands Ostgebiete bevölkerungspolitisch ein verlorener Posten seien.18



Dialektische Methoden.

Die Polen sind alte Propagandisten. Als es keinen polnischen Staat gab, war die Propaganda ihre einzige Waffe. Die polnischen Emigranten haben sie angewandt, um Napoleon I. für die Wiederherstellung Polens zu gewinnen und um bei den späteren polnischen Aufständen gegen Rußland die Westmächte zum kriegerischen Eingreifen zu veranlassen. Vor dem Weltkrieg haben polnische Propagandisten eifrig mitgewirkt, um die französisch-russische Entente zu festigen. Das preußische Enteignungsgesetz von 1908, das praktisch kaum - gegenüber vier Gütern mit 1656 ha - angewandt worden ist, gab dem Dichter Sienkiewicz Gelegenheit zu einem Propagandafeldzug gegen Deutschland. Ihr Meisterstück hat die polnische Propaganda schließlich im Weltkrieg geleistet - im Weltkrieg, um den achtzig Jahre vorher Polens Nationaldichter Mickiewicz gebetet hatte: "Um den allgemeinen Krieg bitten wir Dich, o Herr, für die Freiheit der Völker!"19 Ein geschliffenes geistiges Rüstzeug war lange fertig. Ein Häuflein fanatischer und skrupelloser Propagandisten ersetzte Polen die fehlende Armee.

Die polnische Werbung spricht eine eindrucksvolle, bilderreiche Sprache. Ostpreußen z. B. ist das "Schlangennest der preußischen Reaktion" und "die schwere deutsche Faust im polnischen Nacken". Die Polen erfinden unter Verdrehung der Streitfragen bestechende Formulierungen. Sie fragen beispielsweise: "Sollen 30 Millionen Polen vom Meere abgeschnitten werden, damit 2 Millionen Ostpreußen einen Korridor nach Deutschland bekommen?" (Vgl. S. 47 f.) Sie passen sich geschickt der Denkweise fremder Völker an.20 Sie appellieren an die eigenartigen geschichtlichen Auffassungen der Franzosen, an die Bolschewistenfurcht der Angelsachsen, an das Mitgefühl alter seefahrender Nationen, an die slawische Gesinnung und die Seehandelsinteressen der Tschechen. In Italien vergleichen [28] sie den Korridor mit Südtirol und Triest, in Frankreich mit Elsaß-Lothringen. Vor allem nutzen sie das allgemeine Bedürfnis nach Ruhe, Frieden und Bequemlichkeit; sie behaupten deshalb, daß jeder Versuch zur Grenzrevision zu Krieg und Chaos führen müsse.

Wer stark ist, bekommt leicht recht. Darum erklären die Polen, sie seien eine Großmacht, die niemand zu Gebietsabtretungen zwingen könne, zumal da Polen um den Korridor bis zum Äußersten kämpfen werde. (Vgl. S. 65 f.)

Wer Sympathie genießt, findet leicht Glauben. Deshalb stellen sich die Polen als ein altes, großes Kulturvolk hin, von der Geschichte mißhandelt, mit großen Wiederaufbauleistungen, vorbildlicher Minderheitenpolitik, wahrhaft demokratischen Zuständen. Die Deutschen dagegen werden oft als ein gefährliches Volk von intelligenten Gewaltmenschen ohne echte Kultur beschrieben. Zuweilen - so in Amerika von dem Klavier- und Propagandakünstler Paderewski - wird ein Gegensatz zwischen Preußen und den anderen deutschen Ländern konstruiert und der Korridor als Angelegenheit des gefährlichen Preußentums hingestellt, dem man kein Entgegenkommen zeigen dürfe.

Mit scharfem Blick werden alle Blößen, die sich Deutschland gibt, festgestellt und in der Auslandspropaganda ausgewertet. Mit Vorliebe werden deutsche Äußerungen zitiert, die aus dem Zusammenhang gerissen, polnische Argumente stützen könnten, und seien es selbst Artikel von Foerster oder Karl Marx. Sogar in einer Aufklärungs- und Werbeschrift der Reichsbahndirektion Königsberg haben sie einige Sätze gefunden, die - aus dem Zusammenhang gerissen - für ihre Propaganda geeignet sind und daher seit mehr als 10 Jahren immer wieder zitiert werden (vgl. S. 50).



Mißbrauch von Geschichte, Erd- und Volkskunde.

Ein umfangreicher Mißbrauch wird mit Geschichte und Volkskunde getrieben. Wenn auf dem polnischen Geographentag in Gdingen (24. - 26. Mai 1931) von den "deutschen Banditen" gesprochen wurde, die Polen die ganze Küste von Hamburg bis Memel geraubt hätten, so liegt darin eine häufig gebrauchte Methode. Jedes Gebiet, in dem einmal vor tausend Jahren zwischen Wäldern und Sümpfen einige Stammesverwandte der Polen gesessen haben, wird als "urpolnisch" beansprucht. Und was einmal unter polnischer Herrschaft gestanden hat - und sei es auch nur kurze Zeit um 1000 unter dem großen König Boleslaw Chrobry -, das muß künftig [29] wieder polnisch werden. Auf Karten des alten polnischen Reichs wird Ostpreußen als polnisch gezeichnet, weil es eine Zeitlang in einem lockeren Lehnsverhältnis zu Polen gestanden hat. Gleichzeitig sucht man zu beweisen, daß alle Rückschläge in der polnischen Geschichte seit tausend Jahren mit der Vernachlässigung oder dem Verlust der Seeküste, des "Talismans im Leben des polnischen Volkes"22 zusammengehangen hätten.

Ähnlich wird die Geographie ausgewertet. Schon die Natur soll Polen zur Landbrücke zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer bestimmt haben. Oder, Weichsel, Memel, Düna, Dnjestr und Dnjepr werden als polnisches Flußnetz beansprucht. Bis auf die Eiszeit gehen solche Betrachtungen zurück, ähnlich wie die historische Beweisführung erst bei der Steinzeit Halt macht.

Am erstaunlichsten aber ist der Mißbrauch, der mit der Religion für weltliche Machtzwecke getrieben wird.



Mißbrauch der Religion.

Die Polen behaupten gelegentlich katholischen Ausländern gegenüber, sie dürften den Korridor nicht aufgeben, weil sie als einziges katholisches Volk an der protestantischen Ostsee eine Mission zu erfüllen hätten. Worin eine solche religiöse Mission bestehen könnte und warum sie den polnischen Besitz von Pomerellen zur Voraussetzung haben soll, das ist nicht einzusehen.

Betonen die Polen so die katholische Solidarität, so sind sie andererseits schon seit dem Mittelalter bestrebt, selbst als bevorzugtes Glied der Kirche zu gelten. In ihrer Propaganda im Inneren und im deutschen Grenzgebiete stellen sie die deutschen Katholiken - in Deutschland und Österreich leben absolut mehr Katholiken als in Polen - als minderwertig, als halbe Protestanten hin. Noch heute heißt es: Wen Gott zu einem guten Katholiken machen wolle, dem gebe er eine polnische Zunge mit; ja katholisch sei gleichbedeutend mit polnisch, und die Muttergottes verstehe nur polnisch. Ein Beispiel für die krankhafte Vermischung von Religion und Chauvinismus aus einer Schrift, die das Imprimatur des Bischofs von Kulm erhalten hat:23

[30] "Die Ostsee und das Schwarze Meer mit Oder und Dnjepr wirst Du, Gott, uns zurückgeben!... Christus und Polen von Meer zu Meer: Das ist die Losung des Polen!"

Es ist noch heute das Gebet vieler einfacher, der Politik an sich fernstehender Leute: "Lieber Gott, hilf Polen, strafe die Deutschen!"



Fälschungen.

Regelrechte Fälschungen sind in der polnischen Propaganda nicht selten. Namentlich in der Zeit vor Versailles sind gefälschte Karten ausgiebig verwandt worden, wie überhaupt die Korridorregelung zum großen Teil auf einer Täuschung der Ententestaatsmänner durch die Polen beruht. Eine der folgenreichsten Fälschungen der Weltgeschichte ist die sogenannte Spettsche Karte,25 eine teils irreführende, teils falsche Wiedergabe der deutschen Sprachenstatistik von 1910. Es ist den Polen 1918 durch einen Wiener Mittelsmann mit Hilfe eines feinen Täuschungsmanövers gelungen, diese Karte bei dem weltberühmten deutschen Kartenverlag Perthes als Druckauftrag herstellen zu lassen und sie bei den entscheidenden Verhandlungen als deutsches Beweismaterial für die polnischen Ansprüche zu verwenden. Neueren Datums ist eine Kunstmappe,26 in der Danziger Bauten, geschaffen von deutschen und niederländischen Baumeistern, als "Motive polnischer Architektur" mit dreisprachiger Beschriftung dargestellt werden.



Deutschlands Position.

Auf diese eben beschriebenen Kunstgriffe kann die deutsche Aufklärungsarbeit in der Korridorfrage verzichten. Wir brauchen nicht zu Fälschungen zu greifen. Wir haben es nicht nötig, weit hergeholte, gewaltsame Argumente anzuführen. Wir lassen uns ja auch nicht einfallen, etwa die Grenzen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wiederherstellen zu wollen oder auf Grund der Germanenherrschaft während der Völkerwanderung fast ganz Europa nebst Teilen Afrikas zu beanspruchen.

[31] Doch die gute Sache setzt sich nicht immer von selbst durch - im politischen ebensowenig wie im geschäftlichen Leben. Erst wenn für sie geworben wird, und zwar im gleichen Umfang und mit dem gleichen Geschick wie für die schlechte Sache, erst dann erweist sie sich als die stärkere.

Wenn nicht der Deutsche als der Nächstbeteiligte die Welt über den Ernst der Korridorfrage und den wahren Charakter Polens aufklärt: wer in der Welt soll es sonst tun? Deutschland kann es gar nicht verantworten, zur Korridorfrage zu schweigen, denn es würde damit im Auslande einem gefährlichen Irrtum Vorschub leisten, nämlich der falschen Auffassung, daß das deutsche Volk sich jemals mit der Zerreißung seines Gebietes abfinden könne und daß Polen sich mit seinem jetzigen Gebietsstand begnügen werde: daß es also nur darauf ankomme, mit einigen kleineren Verbesserungen die Atmosphäre zu entgiften. Aus diesem Wahn heraus entstehen dann Projekte von neuen Verkehrswegen durch den Korridor über und unter der Erde; auf Grund eines solchen bequemen Selbstbetruges werden als End- und Gesamtlösung lokale Berichtigungen an Stellen besonders grotesker und bösartiger Grenzführung empfohlen, wie etwa die Verlegung der Weichselgrenze in die Flußmitte27 - Grenzberichtigungen, die das eigentliche Korridorproblem gar nicht berühren.

Die notwendige radikale Beseitigung des ganzen Korridors wird Deutschland erst erreichen, wenn es die Welt davon überzeugt, daß hier ein brennendes europäisches Problem vorliegt, welches auf andere Weise nicht gelöst werden kann. Und hier liegt die entscheidende Stärke der deutschen Position. An sich gilt die Änderung bestehender Grenzen als Quelle unliebsamer Konflikte, Wagnisse und Schwierigkeiten. In der Korridorfrage aber kann Deutschland nachweisen, daß hier das Gegenteil richtig ist: hier ist gerade die Duldung des Bestehenden das große Wagnis, hier bildet der gegenwärtige Zustand die zwangsläufige Quelle der Unruhe und Gefahr. Ruhe, Entspannung und Sicherheit kann erst die radikale Revision bringen. Das Chaos wird leicht eintreten, wenn man abwartet und den Dingen ihren Lauf läßt; es wird dagegen vermieden, wenn man entschlossen zur gründlichen Änderung schreitet. Der bestehende Zustand hat keine Aussicht auf Dauer. Er ist es ja gerade, der bei Polen immer neue, nur mit Gewalt zu verwirklichende Ansprüche weckt und auch deshalb bei den Deutschen eine ständig [32] wachsende Verbitterung und Unruhe erzeugt, zumal bei der heranwachsenden Generation.

Die Beseitigung des Korridors, des größten Explosionsherdes Europas, ist das Mittel, um einem vernichtenden Brand vorzubeugen. Sie schafft zugleich erst die Möglichkeit einer gedeihlichen Entwicklung des ganzen Küstenraumes zwischen Oder und Memel. Immer in der Geschichte ist es der deutsche Mensch gewesen, der diesem Gebiete Wohlstand und Kultur gebracht hat. Unter Polen dagegen ist das Korridorgebiet schon einmal in früheren Jahrhunderten und jetzt von neuem wirtschaftlich, sozial und kulturell zurückgegangen. Die Wiederherstellung der Ruhe, des Wohlstandes und der Kaufkraft dieser Landstriche wird auch auf weitere mittel-und osteuropäische Bezirke ihre wohltätigen Wirkungen ausstrahlen. Darüber hinaus wird erst ein an seiner empfindlichsten Stelle beruhigtes und gesichertes Deutschland in vollem Maße als aufbauender europäischer Faktor wirken.

Damit ist die entscheidende Frage für Europa klar und eindringlich gestellt. Entscheidet es sich dafür, durch Wiederherstellung der räumlichen Geschlossenheit des Deutschen Reiches den größten Gefahrenpunkt Europas zu beseitigen und den Weg für aufbauende Arbeit freizumachen, dann wird damit zugleich das erfüllt, was stets die Aufgabe echter Staatskunst ist: nämlich das rechtzeitig zu verwirklichen, was doch kommen muß. Kommen muß, weil es den Notwendigkeiten und Machtverhältnissen der Zukunft entspricht. Versailles ist ein geschichtswidriger, aberwitziger Versuch, den Augenblick der deutschen Ohnmacht von 1919 zu verewigen. Er ist nach den Gesetzen der Geschichte zum Scheitern verurteilt, ebenso wie die Bemühungen Polens, sich als führende Großmacht des Ostens zu stabilisieren.

Das neue Polen ist gewissermaßen eine Pyramide, die auf der Spitze steht; auf einer schmalen Basis an Volkskraft und wirtschaftlichem Potentiel erhebt sich ein gewaltiges Machtgebäude. Deutschland umgekehrt ist eine verstümmelte, eine abgestumpfte Pyramide: auf einer sehr breiten Basis an tüchtigen Menschen und an technisch-wirtschaftlichen Hilfsmitteln, an geistigen Energien und sittlichen Kräften steht zur Zeit kein entsprechender machtpolitischer Überbau. Oder, um ein anderes Bild zu gebrauchen: hier ein kleines, aber gefährlich übertakeltes Schiff: Polen - und dort ein großes, das nur wenige Segel gesetzt hat: Deutschland. Deutschland wird im Laufe der Zeit dahin gelangen, durch Auswertung [33] seiner friedlichen geistigen und wirtschaftlichen Einflußmöglichkeiten ein stärkerer politischer Faktor zu werden. Dann wird es das nötige Gewicht haben, um, gestützt auf die Einsicht der Großmächte, im Osten auch ohne Schwertstreich seine gerechten Ansprüche zu verwirklichen. Wenn dann das Korridorgebiet in die Hände des Volkes kommt, das auf die Dauer das größere, stärkere und ruhigere von beiden ist, dann erst wird damit der Friede an der Weichsel gesichert, die Korridorgefahr beseitigt sein.

Inzwischen muß Deutschland die Welt von seiner guten Sache überzeugen. Es darf nicht müde werden, nachzuweisen: das Unrecht, den Widersinn, das Verhängnis und die Gefahr des polnischen Korridors und die Gerechtigkeit, die geschichtliche Notwendigkeit und den schöpferischen Charakter des deutschen Revisionsanspruches.

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1Zitiert nach Fuchs, S. 3. Das zweite Zitat stammt aus einer Zuschrift an die Magdeburger Zeitung vom 20. IV. 1848. ...zurück...

2Voller Text in Polen wider Polen, S. 84. ...zurück...

3Zitiert nach Schmidt, Korridor, S. 10. ...zurück...

4Grunwald ist die polnische Bezeichnung für die Schlacht bei Tannenberg von 1410, in der der Deutsche Orden besiegt wurde. ...zurück...

5Vgl. Fuchs, Der neue Polenspiegel; Deutschland und der Korridor, S. 365 [***[Scriptorium merkt an: bitte Zusatz zu Teil 1 Anm. 1 beachten!]]; Axel Schmidt, Wider den Korridor; Ostpreußen; von Frankenberg und Proschlitz, Die polnischen Kriegsdrohungen (München 1932). - Ferner in diesem Buch besonders S. 22, 24, 61, 66, 110, 128. ...zurück...

6Martel, S. 163 d. dt. Ausg. Über Nutzlosigkeit und Entbehrlichkeit des Korridors näheres S. 39 ff. Über Sanierung Polens durch Rückgabe des Korridors näheres S. 48, 67, 69. ...zurück...

7Sforza, Gestalten und Gestalter des heutigen Europa. Hervorhebungen in den folgenden Zitaten stammen vom Verfasser. ...zurück...

8Zitiert nach Fuchs, S. 31. ...zurück...

9Baginski, Zugang, S. 20 (im Original S. 61). ...zurück...

10Aus dem vorhergehenden Text ergibt sich, daß mit den "polnischen Ländern" Brandenburg, Ostpreußen und Schlesien gemeint sind. Das Buch Baginskis beruht auf öffentlichen, allgemein mit Beifall aufgenommenen Vorträgen und ist von der gesamten polnischen Presse in den höchsten Lobeserhebungen besprochen worden. ...zurück...

11Valmigère, S. 12 der deutschen Ausgabe von Et demain? (Und morgen?, Berlin 1929). ...zurück...

12Belegmaterial siehe Fußnote 5 auf S. 19. ...zurück...

13Vgl. S. 96. ...zurück...

14Reiches Material bei Rathenau, Polonia Irredenta und v. Oertzen, Polen an der Arbeit. - Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, daß die Polen auch mit deutsch maskierten Zeitungen arbeiten; so hielten sie lange Zeit in Danzig eine deutschsprachige Zeitung namens Baltische Presse. ...zurück...

15Vgl. S. 93. ...zurück...

[Anm. 16 fehlt.]

17Vgl. S. 58. ...zurück...

18Widerlegung vgl. S. 94 ff. ...zurück...

19Fuchs, S. 95. ...zurück...

20Im alphabetischen Sachregister (S. 159 ff.) findet man unter den Stichworten Frankreich, England, U.S.A. usw. die Stellen, an denen Sonderfragen der polnischen Propaganda in dem betreffenden Lande berührt werden. ...zurück...

[Anm. 21 fehlt.]

22Vgl. Sobieski, Der Kampf um die Ostsee von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart (Leipzig 1933). - Die Polen haben früher niemals Seefahrt betrieben (vgl. S. 37 f.). ...zurück...

23Lukaszkiewicz, Legende und Geschichte von der Weichsel, von dem großen König Chrobry und dem heiligen Adalbert (Graudenz 1929). Nach Fuchs S. 54 f. ...zurück...

[Anm. 24 fehlt.]

25Vgl. S. 90. ...zurück...

26Jan Gumowski, Motive polnischer Architektur, Heft 5: Danzig. Die Bilder sind gezeichnet im Auftrage des Außenministers und gedruckt in der Druckerei des Kriegsministeriums. - Vgl. auch die Fälschung des Hauptvertrages zwischen Danzig und Polen (S. 98). ...zurück...

27Vgl. S. 119 ff. ...zurück...

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100 Korridorthesen:
Eine Auseinandersetzung mit Polen

Dr. Arnold Zelle