[43] Erstes Kapitel (Forts.)
Entwicklung der Deutsch-Polnischen Beziehungen
B. Deutschlands Bemühen
I. Verhandlungen
Nr. 26 Berlin, den 2. Mai 1933
Der Herr Reichskanzler empfing heute morgen in meiner Gegenwart den Polnischen Gesandten, der im Auftrage seiner Regierung darauf hinwies, daß in Polen seit der Übernahme der Regierung durch die Nationalsozialistische Partei in Deutschland eine wachsende Unruhe Platz gegriffen hätte, die teilweise einen panikartigen Umfang angenommen habe. Der Gesandte betonte das Interesse Polens an einem freien Ausgang zum Meer, das von keiner Polnischen Regierung mehr aufgegeben werden könne. Aus diesem Grunde müsse Polen sein Recht auf Danzig aufrechterhalten, und er sei beauftragt, vom Herrn Reichskanzler eine Zusicherung zu erhalten, daß man deutscherseits nicht beabsichtige, irgend etwas an dem jetzigen Zustand in Danzig zu ändern. Der Kanzler erwiderte Herrn Wysocki, daß er zunächst ein besonderes Recht Polens auf Danzig zurückweisen müsse. Wenn in Polen eine Beunruhigung bestehe, so könne er nur sagen, daß man deutscherseits wesentlich mehr Anlaß zu einer solchen Beunruhigung habe und sich durch die Vorgänge in Oberschlesien, durch Zusammenziehung von Militär an der Grenze, durch die Besetzung der Westerplatte in Danzig dauernd bedroht fühle. Die Grenze zwischen Polen und Deutschland sei durch die Kurzsichtigkeit der Staatsmänner, durch Unverstand und durch Übelwollen in einer Weise gezogen, daß ein ruhiges Nebeneinanderleben der zwei Nationen, solange diese Grenzziehung bestehe, so gut wie undenkbar sei. Er achte jede Nationalität, und er betrachte Polen als eine Realität, die er als solche berücksichtige. Allerdings verlange er, daß auch polnischerseits Deutschland als Realität behandelt würde. Wenn zur Zeit des Abschlusses des Vertrages von Versailles die Gemüter nicht völlig verwirrt gewesen wären, so hätte polnischerseits der Errichtung eines Korridors durch das deutsche Gebiet niemals zugestimmt werden dürfen, denn es sei klar, daß dadurch eine dauernde Spannung zwischen Deutschland und Polen entstehen mußte. Es wäre wesentlich klüger gewesen, den Zugang zum Meer, von dem der Gesandte als von einem unveräußerlichen Recht der Polen gesprochen habe, auf der anderen Seite von Ostpreußen zu suchen. In diesem Falle würde wohl schon längst ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland und Polen bestehen und auch die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Verständigung gegeben gewesen sein. Er, der Kanzler, möchte nur wünschen, daß die zwischen Deutschland und Polen schwebenden politischen Fragen einmal von den beiderseitigen Staatsmännern leidenschaftslos geprüft und behandelt würden. Er sei überzeugt, daß sich dann auch ein Aus- [44] weg aus der jetzigen unhaltbaren Lage ergeben könnte. Deutschland wolle den Frieden. Eine gewaltsame Enteignung polnischen Gebiets liege ihm ferne. Es behalte sich aber vor, diejenigen Rechte, die ihm vertragsmäßig zuständen, jederzeit und nach Gutdünken in Anspruch zu nehmen. Auf Bitten des Polnischen Gesandten erklärte sich der Reichskanzler bereit, über den Empfang des Gesandten und die Unterredung ein Communiqué herauszugehen, das im Wortlaut beigeheftet ist.18
Frhr. von Neurath
Nr. 27
Amtliches Deutsches Communiqué, 3. Mai 1933 Der Polnische Gesandte Herr Wysocki stattete heute dem Deutschen Reichskanzler einen Besuch ab. Die Unterredung, bei welcher der Außenminister Freiherr von Neurath zugegen war, beschäftigte sich mit den schwebenden politischen Fragen, die das Verhältnis Deutschlands zu Polen berühren. Der Reichskanzler betonte die feste Absicht der Deutschen Regierung, ihre Einstellung und ihr Vorgehen strengstens im Rahmen der bestehenden Verträge zu halten. Der Reichskanzler sprach den Wunsch aus, daß die beiden Länder ihre gemeinsamen Interessen beiderseits leidenschaftslos überprüfen und behandeln möchten.
Nr. 28
Amtliches Polnisches Communiqué, 4. Mai 1933 Die Unterredung, die am 2. d. M. der Herr Reichskanzler in Anwesenheit des Herrn Außenministers Freiherr von Neurath dem Polnischen Gesandten Herrn Dr. Wysocki gewährte und die vom Wolffschen Bureau veröffentlicht wurde, hat einen beruhigenden Einfluß auf die deutsch-polnischen Beziehungen zur Folge gehabt. Im Zusammenhang mit dieser Unterredung hat der Außenminister von Polen Herr Beck den Deutschen Gesandten in Warschau Herrn von Moltke empfangen und hervorgehoben, daß die Polnische Regierung ihrerseits die feste Absicht hat, ihre Einstellung und ihr Vorgehen strengstens im Rahmen der bestehenden Verträge zu halten. Der Polnische Außenminister sprach weiter den Wunsch aus, daß die beiden Länder ihre gemeinsamen Interessen beiderseits leidenschaftslos überprüfen und behandeln möchten.
..... Die geistige Mentalität des vergangenen Jahrhunderts, aus der man glaubte, vielleicht aus Polen und Franzosen Deutsche machen zu können, ist uns genau so fremd, wie wir uns leidenschaftlich gegen jeden umgekehrten Versuch wenden. [45] Wir sehen die europäischen Nationen um uns als gegebene Tatsache. Franzosen, Polen usw. sind unsere Nachbarvölker, und wir wissen, daß kein geschichtlich denkbarer Vorgang diese Wirklichkeit ändern könnte. Es wäre ein Glück für die Welt gewesen, wenn im Vertrage von Versailles diese Realitäten auch in bezug auf Deutschland gewürdigt worden wären. Denn es müßte das Ziel eines wirklich dauerhaften Vertragswerkes sein, nicht Wunden zu reißen oder vorhandene offenzuhalten, sondern Wunden zu schließen und zu heilen. Eine überlegte Behandlung der europäischen Probleme hätte damals im Osten ohne weiteres eine Lösung finden können, die den verständlichen Ansprüchen Polens genau so wie den natürlichen Rechten Deutschlands entgegengekommen wäre. Der Vertrag von Versailles hat diese Lösung nicht gefunden. Dennoch wird keine Deutsche Regierung von sich aus den Bruch einer Vereinbarung durchführen, die nicht beseitigt werden kann, ohne durch eine bessere ersetzt zu werden.19 .....
Nr. 30
Der Deutsche Gesandte in Warschau an das Auswärtige Amt Bericht Warschau, den 30. August 1933
Prüft man, was hinsichtlich einer Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen geschehen könnte, so wäre ein Abbau der Kampfmaßnahmen des nunmehr 8 Jahre dauernden Zollkriegs von besonderer politischer Tragweite. Daß die Aufhebung der im Laufe dieser Zeitspanne beiderseits ergriffenen Kampfmaßnahmen nicht nur auf die weitere Ausgestaltung der Wirtschaftsbeziehungen günstig einwirken würde, sondern auch im Sinne der deutsch-polnischen Entspannung einen starken Eindruck auf die Öffentlichkeit hervorrufen würde, steht außer Zweifel. So groß das Mißtrauen in die Absichten und Methoden des Gegners bei uns sein mag - wozu Polen besonders auch wieder in letzter Zeit zahlreiche Anlässe gegeben hat -, halte ich doch die Überwindung der praktischen und psychologischen Schwierigkeiten für möglich und erforderlich. Der deutsch-polnische Handelskrieg, der noch im vorigen Herbst mit Recht als ein Stellungskrieg bezeichnet werden konnte, hat in letzter Zeit wieder stärker den Charakter eines Offensivkrieges angenommen. Diese Verschärfung zu beseitigen und darüber hinaus wieder zu normaleren und besseren Beziehungen auf dem Gebiete des Handels zu gelangen, würde - mehr als [46] vieles andere - zur Entspannung der deutsch-polnischen politischen Beziehungen, wie sie in den Verlautbarungen des Herrn Reichskanzlers programmatisch verkündigt worden ist und auch aus der Danziger Initiative zu einer Bereinigung der Streitfragen mit Polen20 erkennbar wird, in allerstärkstem Maße beitragen.
von Moltke
Nr. 31
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts an den Deutschen Gesandten in Warschau Erlaß Berlin, den 25. September 1933
Die Auffassung, daß im Zuge der auf eine Entspannung der deutsch-polnischen Beziehungen hinzielenden Politik jetzt auch wirtschaftspolitische Besprechungen mit Polen wieder angebahnt werden sollten, wird hier geteilt. Was den materiellen Inhalt der Verhandlungen mit Polen angeht, so müßten zunächst einmal die beiderseitigen Kampfmaßnahmen abgebaut werden. Die Deutsche Regierung ist unter der Voraussetzung einer entsprechenden Haltung der Polnischen Regierung hierzu bereit. Wieweit darüber hinaus durch gegenseitige Zugeständnisse, die auf polnischer Seite bei dem dort bestehenden System der Einfuhrverbote und vielfach prohibitiven Zölle praktisch in Einfuhr- und Zollkontingenten bestehen müßten, eine Erweiterung des außerordentlich stark geschrumpften beiderseitigen Handelsvolumens möglich ist, müßten die Verhandlungen ergeben. Ich bitte ergebenst, die Frage einer Wiederaufnahme der wirtschaftspolitischen Besprechungen mit der Polnischen Regierung zu erörtern und über das Ergebnis zu berichten.21
von Bülow
Nr. 32
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts an den Deutschen Gesandten in Warschau Telegramm Berlin, den 15. November 1933
Die Unterredung des Herrn Reichskanzlers mit Herrn Lipski hat heute vormittag in Gegenwart von Herrn von Neurath stattgefunden und ungefähr eine Stunde gedauert. Das amtliche Communiqué wird durch WTB verbreitet. Dieses Communiqué ist mit Herrn Lipski vereinbart worden, der auch die Genehmigung der Warschauer Regierung eingeholt hat.22 [47] Herr Lipski begann die Unterredung, indem er Grüße von Marschall Pilsudski bestellte und dem Wunsch des Warschaus Ausdruck verlieh, die deutsch-polnischen Beziehungen durch unmittelbare Aussprache freundschaftlicher zu gestalten. Er hob dabei hervor, daß es immer der Wunsch des Marschalls gewesen sei, mit Deutschland freundschaftliche Beziehungen zu pflegen. Auf die längere Rede von Herrn Lipski erwiderte der Herr Reichskanzler eingehend, indem er zunächst ausführte, daß sein Standpunkt als Nationalsozialist bekannt sei; er rechne mit Realitäten und betrachte den Bestand des polnischen Staates als etwas Gegebenes. Ähnlich wie in seiner Reichstagsrede vom Mai d. J.23 hat der Herr Reichskanzler ausgeführt, daß er ein Gegner jeder gewaltsamen Nationalisierung fremder Gebietsteile sei. Polen und Deutschland seien nun einmal Nachbarvölker, dieser Tatsache müsse Rechnung getragen werden, und es sei ein Unsinn, etwa wegen kleiner Grenzberichtigungen einen Krieg zu führen. Allerdings müsse er betonen, daß durch den Friedensvertrag von Versailles ein Zustand geschaffen worden sei, der für Deutschland unerträglich sei und jeden Deutschen immer schmerzen müsse. Er glaube, daß es ebensogut möglich gewesen wäre, dem Wunsche Polens auf freien Zugang zum Meere auf einem anderen Wege zu entsprechen. Er sei Soldat gewesen, er kenne den Krieg und wisse auch, daß ein siegreicher Krieg keinem Teil dauernd nur Vorteil bringen würde und, gemessen an den Opfern, in keinem Verhältnis stehen würde zu dem Gewinn. Er glaube aber, daß bei gutem Willen und bei Schaffung einer geeigneten Atmosphäre auch schwierige Fragen einer friedlichen Lösung entgegengeführt werden könnten. In diesem Sinne begrüße er die Anregung Marschall Pilsudskis, und er sei seinerseits zu einer Erklärung durchaus bereit, daß die Deutsche Regierung die Absicht habe, auf eine gewaltsame Lösung der zwischen Deutschland und Polen schwebenden Fragen zu verzichten.
Bülow
Nr. 33
Der Reichsminister des Auswärtigen an den Deutschen Gesandten in Warschau Telegramm Berlin, den 24. November 1933
Der Herr Reichskanzler ist mit dem Ihnen hier bereits persönlich übergebenen Entwurf einer deutsch-polnischen Erklärung einverstanden.24 Der Herr Reichskanzler ist ferner damit einverstanden, daß Sie diesen Entwurf in einer Audienz dem Marschall Pilsudski im Namen des Herrn Reichskanzlers übergeben. Ich bitte Sie, sofort diese Audienz in geeigneter Form nachzusuchen und auf schnelle Anberaumung des Termins zu drängen. Ich bitte, bei der Audienz etwa folgendes auszuführen: Der Herr Reichskanzler erwidere mit bestem Dank die Grüße des Marschalls. Er habe mit Genugtuung die Stellungnahme des Marschalls begrüßt, dessen Ideen von ihm durchaus geteilt würden, wie sich aus dem vereinbarten Pressecommuniqué25 [48] ergebe. Der Reichskanzler sei der Ansicht, daß es zweckmäßig sei, es nicht bei diesem Communiqué zu belassen, sondern eine Form zu finden, welche die Gedanken und die Willensrichtung der beiden Regierungen klarer präzisiere und einen nachhaltigeren politischen Effekt habe. Sie seien deshalb beauftragt, den Entwurf einer Erklärung zu überreichen, wie sie von beiden Regierungen abgegeben werden könnte, um zu dem gewünschten Ziele zu gelangen. Zur Begründung dieses Entwurfs wäre weiter auszuführen, daß es dem Herrn Reichskanzler gut erscheine, nicht mit den hergebrachten alten Begriffen und schon etwas abgegriffenen Formulierungen zu operieren, sondern anstatt dessen eine Form zu wählen, die den politischen Entschluß der beiden Regierungen unzweideutig in Erscheinung treten lasse und auf die Öffentlichkeit einen stärkeren Eindruck machen würde als die nicht mehr in besonderem Ansehen stehende übliche Paktform. Dabei wäre aber zu betonen, daß die in dem Entwurf gewählte Form nichts an dem bindenden Charakter der Abmachungen ändere, wie sich schon aus der am Schluß vorgesehenen Ratifizierung ergäbe. Zu Ihrer Information möchte ich noch darauf hinweisen, daß die Fassung der von uns vorgeschlagenen Erklärung in keiner Weise die Anerkennung der heutigen deutschen Ostgrenzen in sich schließt, sondern im Gegenteil zum Ausdruck bringt, daß mit dieser Erklärung eine Grundlage für die Lösung aller Probleme, also auch der territorialen Probleme, geschaffen werden soll.
Neurath
Nr. 34
Der Deutsche Gesandte in Warschau an das Auswärtige Amt Telegramm Warschau, den 28. November 1933
Empfang bei Marschall Pilsudski hat heute nachmittag stattgefunden. Die Unterredung, bei der Außenminister Beck zugegen war und die etwa 1¼ Stunde dauerte, trug einen betont freundlichen Charakter, wie überhaupt die für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich schnelle Anberaumung des Empfangs als besondere Aufmerksamkeit zu werten ist. Der Marschall, der in Unterhaltung gern vom sachlichen Thema abschweift, um persönliche Erinnerungen, meistens militärischer Art, einzuflechten, macht einen geistig frischen, körperlich aber über seine Jahre hinaus gealterten und fast gebrechlichen Eindruck. Seine Grundeinstellung zu dem erörterten Fragenkomplex war gekennzeichnet durch eine immer wieder zum Ausdruck kommende sympathische Anerkennung der Persönlichkeit des Reichskanzlers, dessen aufrichtigen Friedenswillen er im Laufe der Unterhaltung wiederholt unterstrich. Ich begann die Unterredung mit Übermittlung der Grüße des Reichskanzlers, die Pilsudski mit sichtlicher Befriedigung entgegennahm. Nach der weisungsgemäß erfolgten Darlegung über die von uns gewählte Form der "Erklärung" habe ich diese dem Wunsch des Marschalls entsprechend auf deutsch vorgelesen und durch Erläuterungen in der ihm geläufigeren französischen Sprache ergänzt. [49] Pilsudski äußerte sich zustimmend zu Grundgedanken des deutschen Vorschlags. Er billigte insbesondere, und zwar in der ihm eigenen drastischen Ausdrucksweise, die Wahl einer neuartigen Formulierung und den ihm besonders sympathischen Verzicht auf die verhaßten Paragraphen, ließ aber vorsichtshalber durchblicken, daß manchmal auch althergebrachte Formen und Paragraphen ihren Wert hätten. Er erklärte, daß er naturgemäß nicht in der Lage sei, zu Einzelheiten des Entwurfs Stellung zu nehmen, daß er aber ein besonderes Bedenken schon jetzt hervorheben wolle, und zwar die Bezugnahme auf den Schiedsvertrag von Locarno, der in Polen einen schlechten Klang habe. Hinsichtlich des weiteren procedere setzte der Marschall des längeren auseinander, wem alles der Entwurf zur Prüfung und Begutachtung vorgelegt werden müsse, und wies wiederholt darauf hin, daß dieses Verfahren geraume Zeit in Anspruch nehmen würde. Im weiteren Verlauf der Unterredung unterstrich Pilsudski den Wunsch, die deutsch-polnischen Beziehungen auch seinerseits auf eine freundnachbarliche Basis zu bringen, betonte aber mit einer Deutlichkeit, wie ich sie bisher von polnischen Politikern kaum gehört habe, daß sich aus der 1000 Jahre alten Deutschfeindlichkeit des polnischen Volkes große Schwierigkeilen bei der Durchführung dieser Politik ergeben würden. Diese Politik dürfe infolgedessen nicht auf Gefühlsmomente, sondern nur auf Erwägungen der Vernunft aufgebaut werden. Seiner Behauptung, daß die Verhältnisse in Deutschland ähnlich lägen, widersprach ich und betonte unter Hinweis auf Vorfälle der letzten Zeit die Notwendigkeit, eine planmäßige Verständigungspolitik einzuleiten, wie das bereits von seiten Deutschlands z. B. auf dem Gebiet der Presse in wirksamer Weise geschehen sei. Meine Darlegungen beantwortete Pilsudski, indem er seiner grenzenlosen Verachtung für die Presse Ausdruck verlieh, mit der er nichts zu tun haben wolle, gab aber zu, daß es nützlich sei, auf die politischen Organisationen einzuwirken. Abschließend erwähnte ich den Wunsch des Reichskanzlers, auch auf wirtschaftlichem Gebiet zu normalen Beziehungen zu gelangen. Pilsudski erwiderte, daß seinerzeit nur ein einziger Minister im polnischen Ministerium dem Zollkrieg widersprochen habe, während heute sich wohl kaum ein Minister finden würde, der die Fortführung dieses unseligen Krieges gutheiße. Allerdings sei Polen, das sich ohne jegliche Reserve durch die Wirtschaftskrise durchgekämpft habe, darauf angewiesen, einen wirtschaftlich tragbaren Ausgleich zu suchen.
Moltke
Nr. 35
Unterredung des Reichsministers des Auswärtigen mit dem Polnischen Gesandten Aufzeichnung Berlin, den 9. Januar 1934
Der Polnische Gesandte hat mich heute aufgesucht und hat mir einen abgeänderten Entwurf für eine Erklärung über die Regelung der deutsch-polnischen Beziehungen übergeben. Der Gesandte hat dabei darauf hingewiesen, daß die Polnische Regierung sich bemüht habe, unserem Entwurf so nahe als möglich zu kommen. Er habe die Vollmacht zur Zeichnung und sei jederzeit dazu bereit. [50] Ich erklärte Herrn Lipski, ich müßte natürlich den polnischen Entwurf zunächst durchsehen, ehe ich zu ihm Stellung nehmen könnte, würde ihm aber so bald wie möglich Mitteilung darüber zukommen lassen, ob und welche Wünsche wir etwa noch zu äußern hätten. Mir scheint besonders bedenklich der Vorschlag, daß unter die Erklärung nicht solche Fragen fallen sollen, "welche nach internationalem Recht zur ausschließlichen Zuständigkeit der Staaten gehören". Damit wird offensichtlich bezweckt, die Frage der Behandlung der deutschen Minderheit in Polen von einer direkten Aussprache zwischen der Deutschen und der Polnischen Regierung auszuschließen.
Frhr. von Neurath
Nr. 36
Aufzeichnung des Direktors der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts Berlin, den 22. Januar 1934
Der Polnische Gesandte sagte sich am Sonnabend, dem 20. d. M., bei mir zu einer Fortsetzung unserer Besprechungen an. Er erzählte, daß er inzwischen in Warschau die von mir gestellten Fragen in seinem Ministerium und vor allem mit Marschall Pilsudski besprochen habe. Bei der Erörterung des polnischen Vorschlags, wonach die Erklärung sich nicht auf die zur ausschließlichen Zuständigkeit der Staaten gehörenden Fragen erstrecken sollte, beantwortete Herr Lipski meine frühere Frage dahin, daß man damit nur die Einmischung in innere Angelegenheiten des Landes ausschließen wolle. In Polen hätten sich, wie er behauptete, z. B. im letzten Jahr hier und da Bestrebungen geltend gemacht, der Behandlung der Juden in Deutschland entgegenzutreten. Das habe die Regierung selbstverständlich abgelehnt. Es sei gut, in der Erklärung derartige Möglichkeiten ausdrücklich auszuschließen. Ich nahm Herrn Lipski beim Wort und sagte ihm, wenn die Polnische Regierung nichts anderes bezwecke, dann solle sie doch ihren Vorschlag auch dementsprechend formulieren, damit die Öffentlichkeit sehe, was gemeint sei. Er erklärte daraufhin, man werde sich in Warschau mit folgender Fassung zufriedengeben:
Diese Formel hat gegenüber der alten Formel den Vorteil, daß sie die Minderheitenfrage nicht mehr von einer eventuellen diplomatischen Besprechung zwischen Deutschland und Polen ausschließt. Denn die Minderheitenfragen sind zweifellos keine Fragen, die nach internationalem Recht ausschließlich als innere Angelegenheiten eines Landes angesehen werden könnten.
Gaus
[51]
Nr. 37
Erklärung der Deutschen und der Polnischen Regierung, 26. Januar 1934 Die Deutsche Regierung und die Polnische Regierung halten den Zeitpunkt für gekommen, um durch eine unmittelbare Verständigung von Staat zu Staat eine neue Phase in den politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen einzuleiten. Sie haben sich deshalb entschlossen, durch die gegenwärtige Erklärung die Grundlage für die künftige Gestaltung dieser Beziehungen festzulegen. Beide Regierungen gehen von der Tatsache aus, daß die Aufrechterhaltung und Sicherung eines dauernden Friedens zwischen ihren Ländern eine wesentliche Voraussetzung für den allgemeinen Frieden in Europa ist. Sie sind deshalb entschlossen, ihre gegenseitigen Beziehungen auf die im Pakt von Paris vom 27. August 1928 enthaltenen Grundsätze zu stützen, und wollen, insoweit das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen in Betracht kommt, die Anwendung dieser Grundsätze genauer bestimmen. Dabei stellt jede der beiden Regierungen fest, daß die von ihr bisher schon nach anderer Seite hin übernommenen internationalen Verpflichtungen die friedliche Entwicklung ihrer gegenseitigen Beziehungen nicht hindern, der jetzigen Erklärung nicht widersprechen und durch diese Erklärung nicht berührt werden. Sie stellen ferner fest, daß diese Erklärung sich nicht auf solche Fragen erstreckt, die nach internationalem Recht ausschließlich als innere Angelegenheiten eines der beiden Staaten anzusehen sind. Beide Regierungen erklären ihre Absicht, sich in den ihre gegenseitigen Beziehungen betreffenden Fragen, welcher Art sie auch sein mögen, unmittelbar zu verständigen. Sollten etwa Streitfragen zwischen ihnen entstehen und sollte sich deren Bereinigung durch unmittelbare Verhandlungen nicht erreichen lassen, so werden sie in jedem besonderen Falle auf Grund gegenseitigen Einvernehmens eine Lösung durch andere friedliche Mittel suchen, unbeschadet der Möglichkeit, nötigenfalls diejenigen Verfahrensarten zur Anwendung zu bringen, die in den zwischen ihnen in Kraft befindlichen anderweitigen Abkommen für solchen Fall vorgesehen sind. Unter keinen Umständen werden sie jedoch zum Zweck der Austragung solcher Streitfragen zur Anwendung von Gewalt schreiten. Die durch diese Grundsätze geschaffene Friedensgarantie wird den beiden Regierungen die große Aufgabe erleichtern, für Probleme politischer, wirtschaftlicher und kultureller Art Lösungen zu finden, die auf einem gerechten und billigen Ausgleich der beiderseitigen Interessen beruhen. Beide Regierungen sind der Überzeugung, daß sich auf diese Weise die Beziehungen zwischen ihren Ländern fruchtbar entwickeln und zur Begründung eines gutnachbarlichen Verhältnisses führen werden, das nicht nur ihren beiden Ländern, sondern auch den übrigen Völkern Europas zum Segen gereicht. Die gegenwärtige Erklärung soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden sollen so bald als möglich in Warschau ausgetauscht werden. Die Erklärung gilt für einen Zeitraum von 10 Jahren, gerechnet vom Tage des Austausches [52] der Ratifikationsurkunden an. Falls sie nicht von einer der beiden Regierungen 6 Monate vor Ablauf dieses Zeitraums gekündigt wird, bleibt sie auch weiterhin in Kraft, kann jedoch alsdann von jeder Regierung jederzeit mit einer Frist von 6 Monaten gekündigt werden. Ausgefertigt in doppelter Urschrift in deutscher und polnischer Sprache.
Berlin, den 26 Januar 1934
Für die Deutsche Regierung: Für die Polnische Regierung: C. Freiherr von Neurath Jozef Lipski
Nr. 38
Der Deutsche Gesandte in Warschau an das Auswärtige Amt Telegramm Warschau, den 27. Januar 1934
Außenminister Beck, der mich heute zu sich bat, äußerte sich dankbar und mit lebhafter Befriedigung über Zustandekommen deutsch-polnischer Vereinbarung. Die Bedeutung dieses Ereignisses, das man wohl als historisch bezeichnen könne, sei für ihn und ganz besonders für den Marschall Pilsudski noch erhöht worden durch die Worte, die der Herr Reichskanzler an den Polnischen Gesandten gerichtet habe. Der Eindruck in polnischer Öffentlichkeit sei außerordentlich und stärker, als er erwartet habe. So habe zum Beispiel Bekanntgabe in größtem Konzertsaal Warschaus lebhaften Applaus Publikums hervorgerufen und selbst in der Provinz habe Zeitungsauflage verdreifacht werden müssen. Es zeige sich, daß nach Fehlschlag von internationalen Konferenzen und Pakten eine mutige und von Führerwillen zeugende Politik starke Wirkung ausübe, insbesondere wenn sie allgemein vorhandenem Friedensbedürfnis Rechnung trage. Hierin liege Ansporn für Weiterverfolgung dieser Linie. Die Oppositionsparteien hätten sich noch nicht geäußert. Er fürchte sie auch nicht und werde in der nächsten Woche Gelegenheit nehmen, seine Politik vor dem Sejm zu vertreten. Die Aufnahme in der Weltöffentlichkeit sei, soweit ihm bisher Nachrichten vorlägen, durchweg günstig. Insbesondere begrüße er das diesbezügliche Havas-Comniuniqué, das ihm Anlaß gegeben habe, den Polnischen Botschafter in Paris zu beauftragen, der Französischen Regierung Dank auszusprechen.
Moltke
18Vgl. Nr. 27. ...zurück...
19Den gleichen Gedanken hat der
Führer in seiner Rede im Berliner Sportpalast vom 24. Oktober 1933
folgendermaßen entwickelt: 20Vgl. Nr. 179, Anm. [126]. ...zurück... 21Die Verhandlungen wurden bereits Anfang Oktober aufgenommen und führten am 7. März 1934 zur Unterzeichnung des "Zollfriedensprotokolls". ...zurück...
22Das Communiqué hat folgenden
Wortlaut: 23Vgl. Nr. 29. ...zurück... 24Es handelt sich um einen Vorentwurf der unter Nr. 37 abgedruckten Erklärung vom 26. Januar 1934. ...zurück...
25Vgl. Nr.
32, Anm. [22]. ...zurück...
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